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Das letzte Werk

von

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Der Anfang vom Ende

Tokyo 1985
 

„SIE IDIOOOOT!“

Chefs ändern sich nicht. Schon gar nicht sein Chef.

Toshi Utsumi war mal wieder nach einem der misglückten Versuche, Katzenauge zu fangen, zum Chef zitiert worden, der ihn anblaffte.

Im Grunde sollte es sein Boss vielleicht mal mit Beta-Blockern versuchen, dann wäre er nicht so schnell auf 180.

„Wie kann es sein, das Katzenauge Ihnen jedes mal entwischt?“, schrie sein Chef und Toshi kratzte sich am Hinterkopf.

Ja, diese Frage hatte er sich des Öfteren schon gestellt – im Grunde waren die Pläne wasserdicht. Aber das waren sie wohl doch nicht, es gab offenbar viel zu viele Variablen, die schiefgehen konnten. So erklärte Toshi es sich.
 

Was er nicht wissen konnte, war, das er selber des Rätsels Lösung war – er verriet Pläne und Strategien selbst an Katzenauge – wenn auch unwissentlich.

Und nein, nicht durch Hypnose oder Wahrheitsdrogen – nein, die Macht der Liebe zwang ihn dazu.

Denn Toshi Utsumi, der Idiot, wie ihn der Chef nannte, war in Katzenauge verliebt.

Und das ohne es groß zu wissen – für ihn waren die drei Kisugi-Schwestern, die ihr Caféhaus „Cats Eye“ genau gegenüber der Polizeiwache hatten, drei wundervolle, liebevolle Personen und die mittlere Tochter Hitomi seine Liebste.

Leider – aber das wusste Toshi nicht – waren die drei Schwestern nicht nur die Inhaber des Cafés Cats Eye , sondern auch die drei gesuchten Kunstdiebinnen Katzenauge.

Das hatte in erster Linie damit zu tun, das der Vater der drei Mädels, Michael Heinz, ein begnadeter Maler war. Nachdem er verschwand, wurden seine Bilder, die er den Mädels hinterlassen hatte, im Laufe der Zeit gestohlen und tauchten entweder in Museen oder aber bei privaten Sammlern auf.

Naja – und was lag da näher, als sich in den hautengen Leotard zu zwängen und die Bilder zurückzustehlen?

Davon wusste Toshi Utsumi allerdings nichts, als er das Café betrat und, wie so üblich, einen Kaffee und ein Sandwich bestellte.
 

Love Kisugi, die Jüngste der drei Schwestern, begrüßte ihn mit amüsiertem Alt und deutlich lächelnd: „Hallo Toshi – na, hat der Chef dich wieder runtergeputzt?“

Nun ist es bei Menschen und besonders bei Männern so, das sie wenn sie sowieso schon auf 180 sind, irgendein Ventil brauchen, um die schlechte Laune auszulassen – in diesem Fall war die arme Love das Ventil.

Toshi erhob seine Stimme und blaffte: „Was geht’s Dich an?! Bring mir lieber mal ein Sandwich und einen Kaffee!“
 

Manche Frauen neigen dazu, nachdem sie angeblafft wurden, zurückzuschrecken. Dann steigt ihnen Wasser in die Augen und der Mann kann – wie es Mario Barth beschrieben hat - im Männerhandbuch nachschauen und feststellen: „Die weint!“
 

Ja, manche Frauen neigen generell zum weinen. Sei es, das sie nah am Wasser gebaut sind, sei es, weil ihnen gerade danach ist, oder weil sie wissen, wie sie uns Männer herumkriegen. Doch Love gehörte nicht zu diesen Frauen. Zumindest nicht immer – normalerweise war ihr dieses Getue zuwider, wobei es zwischenzeitlich durchaus seine Vorteile hatte, das arme, unschuldige Wesen zu spielen, das komplett hilflos war.

Da konnte es sein, das ein Eis oder sogar eine nette Langspielplatte als „Wiedergutmachung“ herauskam.

In diesem Fall jedoch zeigte sie, aus welchem Holz sie geschnitzt war.

Sie schaute Toshi an und blaffte zurück: „Nicht in diesem Ton! Mach dir doch selbst ein Sandwich!“

Damit stand sie auf, drehte sich um und stapfte, stolz wie eine gekränkte Bastet persönlich – die ägyptische Fruchtbarkeitsgöttin, die in der ägyptischen Mythologie als Katze oder Katzenfrau dargestellt wurde - in den Wohnberich der kombinierten Wohn-Arbeitsstätte der Kisugischwestern zurück.
 

„Dieser dumme Toshi!“, schimpfte Love, kaum, das sie den Vorhang hinter sich zugezogen hatte. Hitomi Kisugi, die mittlere von drei Schwestern, trug gerade ein T-Shirt und fing die Schürze, die Love wütend von sich warf, geschickt auf. Dann schaute sie Love verblüfft an:

„Was ist denn los?“

„Stell dir vor, er hat mich angeblafft. Ich solle ihm lieber einen Kaffee bringen. Ich bin doch nicht seine Haushälterin!“, zeterte die Jüngste der Kisugi-Schwestern und drehte sich mit hoch erhobenem Kopf zur Kellertür um: „So, und jetzt geh ich an meinem neuen Projekt basteln!“

Hitomi hob den Kopf und fixierte ihre Schwester amüsiert grinsend: „Du verbringst seit neuestem viel Zeit im Keller. Was baust Du da?“

„Das, liebe Schwester, ist ein Geheimnis.“, lächelte Love, wieder ein wenig besser gelaunt und ging in den Keller.

Die sportliche Asiatin, mit den langen, schwarzen Haaren drehte sich nun zum Vorhang um, schnallte sich die Kochschürze um, schob den Vorhang beiseite und trat mit einem strahlenden Lächeln auf Toshi zu.

„Hey, Toshi.“

Der junge Japaner drehte sich um und man sah, das er nicht anders konnte, als zu lächeln.

Hitomi trat auf ihn zu: „Love sagte, das du sehr unhöflich zu ihr gewesen bist – entschuldige dich das Nächste mal bei ihr.“

„Werde ich tun. Ich war nur ein wenig aufgebracht – mein Chef hat mich wieder zusammengestaucht.“

„Armer Toshi.“, sagte sie und er spürte, wie ihre Hände zu seinem Nacken wanderten, um selbigen zu massieren, „Mein armer Toshi.“

Toshi entspannte sich merklich und sank mit dem Rücken leicht gegen den Oberkörper seiner Verlobten, die ihn weiter massierte.

Gegen seinen Willen musste er grinsen – sie war seine Verlobte. Seit 2 Jahren veranstalteten die beiden einen Eiertanz der Gefühle, den er – ganz ehrgeizgetriebener Polizist, der er war – erst dann ganz beenden wollte, wenn er dieses diebische Katzenauge, das ihn seit ungefähr 2 Jahren narrte, fing. Denn nicht eher, das hatte er sich, den Schwestern und vor allem seinem Stolz geschworen, nicht eher, wollte er Hitomi vor den Altar führen. Er fühlte sich teilweise wie ein echter Glückspilz – eine wunderschöne Frau liebte ihn, er liebte sie und sie waren quasi stets nur einen Katzensprung entfernt – aber andererseits kam er sich vor, wie in der Hölle. Katzenauge nasführte ihn seit 2 Jahren, er war nicht in der Lage, ihr irgendwie zuvor zu kommen, und selbst wenn eines der wertvollen Gemälde, die sich die Katzen mit schöner Regelmäßigkeit krallten, wieder auftauchte, konnte er zwar vor seinem Chef Schön-Wetter-machen, sprich, die Lorbeeren einstreichen, aber er selbst wusste, das es eher aus Großherzigkeit oder aus welchem Motiv auch immer geschah, das die Katzen dazu bewegte, manche Gegenstände wieder in den Besitz der Eigentümer zu bringen.

Auch wenn Katzenauge ihm hin und wieder das Leben rettete, auch wenn die Katzen mit ihm spielten und auch wenn es Momente gab, an denen er sie bewunderte – es führte kein Weg daran vorbei, sie musste verhaftet werden. Allein schon, weil sie Unrecht taten, und nichts auf der Welt Unrecht rechtfertigte.

Das war Toshis Glaubensgrundsatz – und diesem Grundsatz fühlte er sich bei der Jagd nach den Katzen verpflichtet. Natürlich hatte er sie hin und wieder, wenn sie ihm geholfen hatten, mit mehr als nur einem zugekniffenen Auge entkommen lassen, aber dann gab es wieder Situationen, wo er ganz oben auf sein wollte und sie ihm das einfach streitig machten.

Aber – er musste sie fangen, allein schon, um seine wunderschöne Hitomi Kisugi zu ehelichen.
 

Hitomi schaute mit traurigen Augen zu ihrem Freund und Verlobten herunter, dessen Schultern sie gerade massierte – er war deutlich verspannt und sie wollte ihn wenigstens heute mal ein wenig entspannen. Die letzte Aktion war ein voller Erfolg gewesen, Toshi hatte sich seinen üblichen ‚Anschiss’ abgeholt und saß nun, grummelig wie sonst immer, wenn die Katzen ihn überlistet hatten, vor ihr.

‚Toshi’, dachte sie sich, und es brach ihr das Herz, das sie ihm nie sagen konnte, das er eigentlich sie jagte. Aber – sie durfte nicht, er war viel zu sehr Polizist, als das er ihr das durchgehen lassen konnte. Ausserdem – was für ein Licht werfe dies auf ihn? Es würde bedeuten, das er ein so schlechter Detektiv war, das er nicht bemerkte, das seine Verlobte Katzenauge war und eine Diebin. Nein – das konnte sie ihm nicht antun.

Ausserdem war er, wenn er informiert war, gefährlich – was dazu führen könnte, das sie ihn aus dem Weg schaffen müsste. Und das wollte sie nicht.
 

„AU!“, brachte der Aufschrei des Mannes Hitomi wieder in die Jetztzeit zurück und sie schaute ihn an: „Was ist denn, Toshi?“

„Du hast mir einen Nerv eingeklemmt! Danke, Hitomi!“, jammerte er, „Du bist heute wirklich nicht so ganz bei der Sache, oder?“

Die Frau musste kurz schlucken, um ein amüsiertes Kichern zu unterdrücken: „Es tut mir leid, Toshi, aber es wühlt mich emotional auf, das Du dich mit Love streitest!“

Mit einem Mal entglitten die Gesichtszüge des Polizisten und er legte ihr die Hand auf die Schulter: „Entschuldigung, Schatz, das wu… wusste ich nicht.“

„Du solltest dich nicht zwischen zwei Schwestern stellen und zwingen, zu wählen.“, sagte sie und wandte sich ab.

Toshi kam sich vor, wie in ein Paralleluniversum verbannt: „Bi… Bitte?!“

„Du hast mich schon verstanden.“, sagte sie und grinste ihn dann an: „Hab dich.“

Der Detective runzelte die Stirn: „Bitte?“

„Toshi“, seufzte Hitomi, „Du bist manchmal…“
 

„… merkwürdig.“, sagte Ran Sato und schaute von ihren Studien auf. Calvin Nathan Cat, der Kommandant der USS Dragonfly stand hinter ihr, die Hände hinter den Rücken verschränkt, damit keiner sehen konnte, wie nervös er war.

„Was ist merkwürdig?“, fragte er und trat einen Schritt näher.

Die Asiatin schaute zu ihm und lächelte: „Nichts Schlimmes, Sir, ich habe nur bemerkt, das diese Katzenkarte keine 200 Jahre alt ist. Und noch etwas – sie ist repliziert.“

„Repliziert?“, erwiderte der Captain und er versuchte, keinen Hehl aus seiner Nervösität zu machen – stattdessen griff er nach einem Tricorder, warf ihn in die Luft und fing ihn wieder auf.

„Captain, ich glaube nicht, das das eine so gute Idee ist.“, meinte Ran grinsend und schaute ihn dann an.

„Warum nicht?“, fragte Cal, warf den Tricorder nochmal hoch und wandte sich dann ihr zu.
 

Nun ist es ein bekanntes Gesetz, das nichts, was man in die Luft wirft, dort bleibt. Auf Raumschiffen besonders dann nicht, wenn die Umweltkontrolle funktioniert, und die künstliche Schwerkraft dies ebenfalls tut.

Der Tricorder fühlte sich offenbar ebenfalls der Schwerkraft verpflichtet und kam wieder runter – und traf Cals Kopf.

„AU VERDAMMT NOCHMAL!!!“, fluchte er, hielt sich die schmerzende Stelle und schaute seine Offizierin an.

„Deswegen sollten Sie mit dem Tricorder vorsichtig sein.“
 

Cal schaute sie an, in seinen Augen funkelte zeitgleich Schmerz und Wut: „Würdest Du bitte mal sagen, WAS genau Ambach ist?“

Das war das Problem mit der Kommunikation mit Cal. Denn, obwohl er eigentlich aus Großbritannien kam, hatte er sich damals, zur Zeit der Teenagerrebellion, dazu entschlossen, sich akzenttechnisch im deutschen Sprachraum zu bedienen.

Und nicht nur Hochdeutsch, also so, wie man es aus schlechten amerikanischen Filmen des späten 20. Jahrhunderts kannte, in denen die „Deutschen“ entweder bayrisch sprachen oder zumindest so aussahen und deren einziger Hinweis darauf, das sie Deutsch waren, durch ein eingestreutes „Ja!“ oder „Jawoll!“ war – je nach dem, welche Filme man schaute. Nein, nein, Cal griff ganz tief in die Dialektkiste.

Er verwandte die Syntax des Ruhrdeutschen und trieb mit seinen entsprechenden Übungen seine Eltern in den Wahnsinn.

‚What is the matter with you, boy?’, hatte ihn eine seiner Lehrerinnen mal gefragt und Cal hatte grinsend geantwortet: “Ach weißte – wennze mich so fragst, is mich so schnarchich, dat kannste maa gar nich glauben, da besteht extremen Bekakelungsbedaaf.“

Natürlich hatte die Lehrerin kein Wort von dem verstanden, was der junge Cal ihr da sagen wollte, also übersetzte er es nochmal ins feinste Oxfordenglisch – was der Lehrerin natürlich auch nicht passte. Ebensowenig übrigens, wie es den Eltern genehm war.

Natürlich hatte man ihm den Dialekt wieder, so gut es ging, ausgetrieben, doch konnte es sein, das hier und da der Dialekt wieder hervorbrach. So auch jetzt.
 

„Wie schon gesagt“, lächelte die Asiatin den Captain an, „Die Katzenkarte ist keine 200 Jahre alt. Sie ist repliziert.“

„Das hattest Du mir ja gesagt.“, meinte Cal und trachtete danach, den Tricorder nochmal hochzuwerfen, doch Agatha, die plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen neben ihm stand, nahm ihm das Gerät aus der Hand.

„Gib das her, bevor Du dich damit versehentlich erschlägst, anata.“, lächelte sie und fuhr ihm sanft über den Kopf.

Cal hob eine Augenbraue und schaute sie an: „Hast Du mich gerade Anakin genannt?“

„Nein, Anata“, erklärte Ran trocken, „Das bedeutet sowohl ‚Du’ in der höflichen Variante, als auch „Liebling“. Und da wir eure Verhältnisse hier kennen, dürfte klar sein, welche Variante gemeint ist.“

Der Captain war nun wirklich baff und schaute seine rothaarige erste Offizierin an: „Okay, was ist mit dir los?“

„Nichts, ich fühl mich“, sie streckte sich einmal, seufzte genüsslich und lächelte ihren Captain an, wie die Katze, die den Kanarienvogel verschlungen hatte, „Herrlich.“

„Na gut, dann fühl dich mal herrlich, Geliebte. Wir müssen diese Katzenkarte weiter analysieren.“
 

„Eine Katzenkarte?“

Sofort war Hitomi Kisugis Interesse geweckt – so schien es zumindest – und sie ließ sich neben Toshi auf dem Stuhl am Tresen nieder. Die junge Frau lächelte sanft und wandte sich dann mit dem Kopf ihrer Schwester zu: „Nami, könntest Du uns, also Toshi und mir einen Kaffee machen? Er ist ja ganz entkräftet von seiner Jagd nach den Katzen.“

Nami Kisugi, die Älteste der drei Schwestern nickte und machte sich daran, den Kaffee zuzubereiten. Schön stark, wie Toshi und Hitomi ihn gerne tranken. Das würde die Beiden zwar heute die ganze Nacht wachhalten, aber – was sollte es? Man hatte schließlich einen neuen Einbruch zu planen. Aber, davon durfte natürlich Toshi Utsumi nichts wissen.
 

Hitomi lächelte ihren Freund an, pustete einmal in ihren Kaffee, damit er ein wenig kühler wurde und trank dann einen vorsichtigen Schluck. Es tat gut, wenn das Getränk in den Magen lief und dort diese wohlige Wärme ausbreitete.

„Also, was wisst ihr von der Katzenkarte?“, fragte Hitomi, hoffend, dass sie nicht zu neugierig klang, aber – offenbar verdrängte Toshi diese Frage ein wenig. Er begnügte sich damit, grimmig in die dunkle Brühe zu schauen, in seinen Augen stand jähe Entschlossenheit.

Dann stellte er die Tasse auf den Tisch, dass es nur so schepperte und riss den Kopf zu Hitomi herum.

„Hitomi, ich weiß, ich habe dir gesagt, dass ich Dich erst dann heiraten kann, wenn ich die Katzen gefasst habe – aber so lang will ich einfach nicht mehr warten. Wenn es für dich okay ist…“

Es gab nicht oft diese Momente - aber es gab sie auch in Hitomis Leben – diese Momente in denen man einfach nur sprachlos ist. Dies war ein solcher Moment. Die Augen aufgerissen, die Kontrolle über die Kiefermuskulatur verloren, so saß sie da und sie musste wahrscheinlich aussehen wie eine asiatische Variante des „Schreis“ von Edvard Munch. Die junge Frau konnte nicht glauben, was dort passierte, direkt vor ihren Augen. Wollte Toshi ihr einen Antrag machen?

Auf der einen Seite freute sie das – schließlich liebte sie Toshi wirklich, sie hatte ja nicht nur mit ihm geflirtet, weil er im Polizeirevier gegenüber arbeitete. Nein, im Gegenteil, sie kannte ihn wesentlich länger, als sie Katze und er ihr Jäger war.

Auf der anderen Seite war dies der Moment der Wahrheit und der Entscheidung, der Moment den sie so sehr fürchtete, wie nichts Anderes, nicht mal, als bei einem ihrer Raubzüge gefangengenommen, oder getötet zu werden. Sie kannte sich – sie würde annehmen, und sie musste sich dann irgendwie versuchen, mit dem Doppelleben als Ehefrau und Einbrecherin zu arrangieren. Vielleicht konnte sie auch aussteigen, aber das würde bedeuten, das Nami und Love die Einbrüche im Alleingang durchzogen und – bei allem Respekt für Love, dafür erachtete Hitomi sie als noch zu unerfahren. Die Jüngste war einfach noch nicht so weit. Selbst sie – und sie war eine gute Turnerin, athletisch gebaut und kam aus so gut wie allen Schwierigkeiten heraus, selbst sie war immer noch unerfahren genug, in diverse Fallen zu tappen, so sagte sie sich.

Also blieb nichts Anderes übrig, als darauf zu warten, das Toshi das Haus verließ um die Katzen zu fangen und dann selbst das Haus zu verlassen, um die Gejagte zu werden.

Anschließend musste es blitzschnell gehen, so dass sie noch zu Hause war, bevor er dort ankam.

Das würde eine sehr anstrengende Zeit werden.

Und wenn sie versagte? Wenn er sie fasste? Wie standen sie beide dann da?

Wie stand sie dann da? Sie wäre nur die ‚Schlampe’, die für Informationen mit dem Feind ins Bett gegangen ist. Und er? Er wäre der Idiot, der sich von ihr hatte blenden, ausnutzen und verführen lassen.

Nein, so konnte es einfach nicht gehen.

Was konnte sie tun?
 

Toshi griff nach ihrer Hand, schaute sie an: „Hitomi Kisugi.“

Als er sie direkt ansprach, realisierte sie, dass er kniete und in dem Moment, in dem sie es realisierte, sprach er die verhängnisvollen Worte schon aus.

„Willst du mich heiraten?“

Was tat sie nun?

Sie merkte, wie ihr Körper ein wenig in sich zusammensackte, wie ihre Augen feucht wurden.

Die ersten Tränen liefen ihre hübschen Wangen herunter, tropften auf Toshis Hand, der sie verblüfft ansah.
 

Weswegen weinte Hitomi?

Hatte sein gebrochenes Versprechen dazu geführt?

Waren es Freudentränen, darüber, das er die störrische Jagd nach den Katzen aufgab?

Was war es?

Und dann, als ihre Stimme, zwar sanft, doch dunkel und brüchig, zu ihm drang, wusste, er, weswegen sie weinte.

„Es…“

Die Antwort auf seine Frage mit „Es“ zu beginnen, war schon mal ein sehr schlechtes Zeichen, wobei eine innere Stimme, der ewige Optimist, ihn daran erinnerte, das der Satz auch gut mit „Es freut mich sehr, dich zu Heiraten“, weitergehen konnte.

Nur – so fragte der Pessimist in ihm – wer antwortet so auf die Frage aller Fragen?

Nein, diese Frage kann man im Grunde bei einem positiven Bescheid mit zwei kleinen Buchstaben beantworten. Ein J und ein A. „Ja, ich will“, kann man, wenn man poetisch beseelt ist, auch noch sagen, aber den Satz mit „Es“ zu beginnen, bedeutete für Toshi eigentlich genau das, was sekundenbruchteile später fast dafür sorgte, das sein Herz komplett stehen blieb.

„Es… es tut mir leid, Toshi.“, kam es, durch Schluchzer abgehakt, von Hitomi und Toshi merkte, wie er kurz davor war, das Gleichgewicht zu verlieren. Sowohl das Körperliche, als auch das Seelische.

Wobei ihm sein innerer Optimist ins Ohr flüsterte: „Du warst einfach zu früh, zu forsch. Sie weint nur, weil du sie komplett unvorbereitet mit der Frage konfrontiert hast und sie keine Möglichkeit hatte, sich mit ihren Schwestern zu beraten.“

Doch, der Pessimist, der ihm innewohnte, lachte hämisch: „Ha, das hast Du jetzt davon. Du hast sie verloren. Ein für alle mal verloooooooooooooren!“

Sich langsam aufrichtend, schaute Toshi seine Hoffentlich-noch-sehr-wahrscheinlich-aber-schon-Ex-Verlobte an und flüsterte, da auch er merkte, wie die Tränendrüsen ihre Arbeit aufnahmen, wie sein Herz langsamer pochte und wie seine Stimme brüchig wurde: „Ich verstehe.“

Dann lächelte er sie an, was durch die Tränen, die ihm über die Wangen rannen, eher nach einer billigen Karrikatur eines Lächelns aussah: „Woran… liegt es?“
 

Sie schluckte, blinzelte zwei, drei Mal, versuchte ihre Gedanken zu ordnen.

Nur nichts falsches sagen, nur nichts falsches sagen., spukte es ihr mantra-ähnlich durch den Kopf.

„Ich…“

Nur nichts falsches sagen, nur nichts falsches sagen.

„Du musst wissen, ich bin…“

Nur nichts falsches sagen, nur nichts falsches sagen.

Hitomi holte tief Luft, schaute Toshi an und schüttelte dann den Kopf: „Ich kann es dir nicht sagen… Du würdest es nicht verstehen.“

Sie hasste es, ihrem Toshi so wehtun zu müssen, aber es gab keinen anderen Weg.

Das war der Grund, weswegen sie geweint hatte, weil sie in diesem Moment der astronomischen Klarheit erkannt hatte, das es nur diesen einen Weg gab. Alle anderen Möglichkeiten waren einfach nicht gangbar.

Das Doppelleben als Ehefrau und Einbrecherin? Niemals. Es brauchte nur einen Fehler zu geben, und die Ehefrau saß hinter Gittern, ihre Ehe wäre zerstört und Toshis Polizistenherz für immer gebrochen.

Andererseits konnte sie sich auch nicht aus dem Geschäft zurückziehen, obwohl ihre Schwestern – sie kannte sie nunmal –sicherlich genau auf diese Möglichkeit spekuliert hatten, um ihm und ihr eine glückliche Ehe zu bescheren.

Doch auch dies schied aus, da die beiden anderen Frauen entweder zu jung und unerfahren, oder zu alt waren.

Und obwohl Nami erst siebenundzwanzig Jahre alt war, obwohl sie immernoch in ihr Katzenkostüm schlüpfen und sich durch Laserschranken schlangengleich winden konnte – wie lange würde dies gut gehen?

Und Love die Aufgabe überlassen? Sie war zwischenzeitlich so unvorsichtig und so leichtsinnig, dass auch sie diese Aufgabe nicht erledigen konnte – noch nicht. Es würde noch zwei oder drei Jahre des Trainings brauchen, bis sie auf alle Eventualitäten vorbereitet sein konnte. Selbst sie, die Vierundzwanzigjährige wurde hin und wieder von Fallen überrascht, die sich Toshi ausgedacht hatte.

Und wenn Love oder Nami gefangen würden – es würde ebenfalls auf sie zurückfallen.

Und damit auf ihn.

Nein – das waren keine gangbaren Lösungen.

Genausowenig, wie es eine gangbare Lösung war, ihrem Toshi jetzt alles zu beichten.
 

Toshi merkte, wie seine Tränendrüsen richtig auf Hochtouren arbeiteten, aber er wollte nicht einfach so in Tränen ausbrechen. Das tat ein Mann nicht.

Zumindest in Toshis Denken. Im Gegenteil – er zwang sich, kalt wie ein Eisblock zu sein, scheiterte nach zwanzig Sekunden jedoch gnadenlos. Die Tränen rannen über seine Wangen und er wandte sich ab, noch ein „Wir sehen uns dann“ murmelnd und das Lokal verlassend, ein Sinnbild des Elends und der Traurigkeit.
 

Doch, aber das wusste Toshi nicht, Hitomi ging es nicht besser.

Kaum das der Polizist das Lokal verlassen hatte, kaum, das er ausser Sicht- und Hörweite war, brach Hitomi Kisugi in einen lauten Weinkrampf aus, der ihren Körper schüttelte.

Sie hatte ihn verloren.
 

Das Agathas Augen plötzlich wässrig glitzerten, bemerkte der Captain nach ein paar Sekunden und schaute sie an.

„Was ist?“, fragte er überrascht und trat auf seine Freundin zu, um sie in den Arm zu schließen.

Er wusste, das das bei ihr immer, wenn sie down war, gute Dienste tat.

Doch diesmal wich sie zurück, hob abwehrend die Hände und schüttelte den Kopf: „Nein, es ist – alles in Ordnung.“

Cal sah seine erste Offizierin verwundert an, zuckte aber mit den Schultern und schaute zu Ran herüber.

„Also, wo waren wir stehen geblieben?“
 

Die hübsche Asiatin warf einen Blick zu Toshi Utsumi und räusperte sich.

„Detective Utsumi, sie sind heute ein wenig unkonzentriert, oder? Sie fragen mich schon zum drittel Mal, wo wir stehen geblieben sind.“

Toshi schaute zu seiner Partnerin, Mitsuku Asaya an und lächelte traurig.

„Wissen Sie – ich habe heute einen ziemlichen Fehler gemacht.“, seufzte er, „Und ich fürchte, ich …“

Der Polizist stockte und schaute Asaya an: „Warum erzähle ich Ihnen das überhaupt? Was geht es Sie an?“

Er schüttelte den Kopf und runzelte anschließend die Stirn: „Also, WO genau waren wir?“

„Wir haben eine erneute Ankündigung von Katzenauge erhalten. Sie wollen sich den Sonnenwind holen. Mister Nakatomi vom Nakatomi Plaza hat ihn in der obersten Etage des Gebäudes ausgestellt.“
 

„Das Nakatomi Plaza?“, fragte Hitomi und lehnte sich interessiert nach vorne: „Du meinst dieses 35-stöckige Hochhaus in Los Angeles, das in zwei Jahren fertig gestellt sein soll?“

Love, die den Computer bediente, schüttelte den Kopf: „Nein, das ist die Niederlassung in Los Angeles. Ich rede vom Hauptsitz in Japan. Hiroshi Nakatomi hat hier die Fäden seiner Firma in der Hand und wird sie vermutlich in zwei Jahren an seinen Nachfolger Joseph Takagi weiterreichen. Momentan ist jedoch Nakatomi unser Mann.“

Hitomi, die ihren blauen Catsuit trug, der ihren Körper umschloss, wie eine zweite Haut, lächelte traurig: „Dann werde ich ihn doch mal übernehmen.“

Sie wandte sich zum Gehen und Love rollte mit den Augen: „Gott, bist Du doof!“

„LOVE!“

Die Empörung in Hitomis Stimme war deutlich zu hören.

Ihre jüngste Schwester machte eine wegwerfende Handbewegung: „Ach komm schon, Schwesterherz. Du hättest den Antrag ruhig annehmen können.“

„Du machst dir das da ein wenig leicht, Love. Wie hätte ich die Sicherheit unseres Geheimnisses da garantieren können?“, fragte die Frau im blauen Leotard und Love lächelte: „Du hättest eine Vielzahl von Möglichkeiten gehabt. Du hättest ihn hypnotisieren können, du hättest ihm immer, wenn wir auf Diebestour gehen, eine Schlaftablette in den Abendkaffee geben können, oder – ich weiß auch nicht – du hättest ihm die Wahrheit sagen können. Toshi ist ein pfiffiges Kerlchen und vor allem ist er gerecht. Wenn wir ihm erklären würden, warum wir tun, was wir tun, würde er es verstehen.“

„Das siehst du ein wenig zu einfach“, meinte dann Nami und verschränkte die Arme vor der Brust: „Er ist in erster Linie Polizist. Und wir sind in erster Linie Diebe. Das heißt, wir stehen auf der anderen Seite des Gesetzes.“

„Es heißt, er wird uns jagen müssen, wenn wir es ihm sagen. Ganz zu schweigen davon, dass er von uns allen enttäuscht wäre.“, murmelte Hitomi und Love schaute sie an: „Du hast nur Angst, das er dich danach weniger liebt, als vorher. Wer weiß, vielleicht findet er dich danach nur noch begehrenswerter. Männer stehen doch auf Frauen, die auch austeilen können.“

„Love! Woher weißt du das alles schon wieder?“

„Ich bin auch eine Frau. Und meine Freunde stehen darauf, dass ich auch die Krallen ausfahren kann.“

„Das mag ja alles sein.“, sagte Nami, „aber wir müssen uns erst um das Thema Nakatomi Plaza…“

Sie stockte und wandte sich dann abrupt zu Love um: „Moment mal, was meinst Du mit Freunde?!“

„Ihr seid ganz schön altmodisch. Meint ihr etwa im Ernst, ich bleibe wie das brave Mauerblümchen sitzen, während meine Freundinnen schon längst ihren Typen haben?“

Nami und Hitomi schauten einander an, schluckten – das war eine Vorstellung, an die sie sich nur sehr schwer gewöhnen mochten, aber es war unvermeidlich. Ihre jüngste Schwester wurde erwachsen.

Dann breitete sich ein Lächeln auf Namis, anschließend auf Hitomis Lippen aus.

Sie traten auf die junge Frau zu und stemmten die Hände in die Hüften: „Nun, dann erzähl mal, wir sind neugierig.“

Love schaute die beiden Frauen verblüfft an: „Und was ist mit Nakatomi Plaza?“

„Die fünf Minuten haben wir noch.“
 

Wenn Hitomi gewusst hätte, was noch auf sie zukäme, hätte sie sich nicht so schnell von Love ablenken lassen. Sie wusste nichts davon, das sie Toshi Utsumi an diesem Tag zum letzten Mal gesehen hatte – sie wusste nichts davon, das dieser Tag mit dem Tod ihres Geliebten enden würde – und mit ihrem.
 

Tbc



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