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Johann und Tabea

Nur ein letzter Herzschlag noch
von

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Fröstelnd zog Tabea die Schultern hoch und ging noch ein wenig schneller als zuvor. Ihre Tanten... ihre Kusinen! Hatte ihr Vater denn den Verstand verloren?! Sie hasste ihre Tanten und vor allen Dingen hasste sie ihre Kusinen. Giggelnde, gaggelnde Weiber, hochnäsig, dumm und eingebildet, jede einzelne von ihnen, die schlimmste Sorte Frau, die Tabea sich vorstellen konnte: Ihr Stolz lag unter dem Wert des Geldes und alles, was reich machte, war ihnen recht. Tabea verabscheute diese Art zu leben. Sie verstand sie einfach nicht. Sie selbst war von klein auf reich gewesen, hatte mit Puppen aus Porzellan gespielt und teure Kleider getragen, und sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wieso einen jemand um ein Korsett und ein drückendes Paar Schuhe beneiden sollte. Nicht, dass sie ihre Kleider nicht mochte. Sie war sogar in der Tat sehr modebewusst und trug gerne extravaganten Schmuck und auffällige Stoffe. Aber dafür ihre Seele zu verkaufen, schien ihr bei weitem ein zu hoher Preis zu sein.

Zu solchen Heuchlern wollte ihr Vater sie also schicken? Wunderbar! Ob diese Option besser war, als mit einem Grafen verheiratet zu werden, wollte sich Tabea nicht so recht erschließen. Doch nicht nur, dass ihr Vater sie zu ihren verhassten Verwandten schicken wollte – er wollte auch, dass sie ihn verließ! Ihn verlassen. Ihren Vater und seit nunmehr acht Jahren den einzigen Menschen auf Erden, der ihr noch etwas bedeutete. Wie konnte er von ihr verlangen einfach zu gehen? Wenn sie ihn allein ließ, würde er doch vor Kummer vergehen! Wie konnte er so selbstlos sein und das von ihr erwarten? Sie verstand es nicht. Und sie musste sich eingestehen, dass sie wütend auf ihren Vater war. Nicht nur weil er so töricht war und sich für sie opfern wollte, sondern auch weil er ernsthaft zu glauben schien, dass sie ein solches Angebot annehmen würde! Wie kam er auf die Idee, dass ihr jetziges Leben ihr nicht gefiel? Wie kam er auf die Idee, dass sie ihn einfach alleine lassen könnte? Hatte sie ihn denn wirklich so schlecht behandelt, dass er so etwas von ihr dachte?

Tabea fühlte sich plötzlich fürchterlich schuldig. Niedergeschlagen schlang sie die Arme fester um ihren Körper und ließ sich auf einer der Bänke nieder, die am Seeufer standen. Jetzt, wo sie Sonne untergegangen war, war es kühl geworden und Tabea verfluchte sich dafür, nicht ihren Mantel mitgenommen zu haben, bevor sie aus dem Haus gestürmt und davon gelaufen war. In Nachthemd und Morgenmantel war es eine Spur zu kalt für sie. Die Hitze des Tages war vollständig verschwunden und hatte einer nächtlichen Kälte Platz gemacht, die langsam immer weiter in die Ärmel von Tabeas Nachthemd kroch und sich darin festzusetzen schien. Auf ihren Armen hatte sich bereits eine Gänsehaut ausgebreitet, die langsam sogar ihren Rücken hinunter zu laufen begann.

Mürrisch biss sie die Zähne zusammen und trat mit ihrer Fußspitze eine kleine Mulde in den Kies zu ihren Füßen. Ihr war kalt, sie war wütend und eigentlich hatte es nicht viel Sinn hier draußen zu sitzen und Kuhlen in den Kies zu treten. Sie sollte zurück nach Hause gehen und sich bei ihrem Vater entschuldigen. Mit ihm darüber sprechen und ihm sagen, dass sie doch bereits ein gutes Leben bei ihm hatte. Dass sie nicht weggehen wollte und es ihr bei ihm gefiel. Und sie sollte ihm sagen, dass –

Mit einem hastigen Luftholen zuckte sie zusammen und presste sich die Hand aufs Herz. Als sie registrierte, dass das, was ihre Schulter berührte, ein simpler, harmloser Mantel war, atmete sie erleichtert aus und schloss für einen Moment die vor Schreck zuvor weit aufgerissenen Augen. Ihr Herz schlug noch immer sehr schnell, als sie wieder aufsah und über ihre Schulter nach hinten blickte.

Mit den Händen auf die Rückenlehne der Bank gestützt, stand ein Junge und lächelte sie an. Er war in etwa so alt wie Tabea selbst, das schätzte sie zumindest, und sein Lächeln wurde etwas breiter, als er merkte, wie sie ihn musterte. Obwohl seine Mundwinkel dabei seine Wangen nach oben schoben, wirkte sein Gesicht lang und schmal. Lang und hübsch und schmal. Tabea starrte ihn an.

„Johann“, sagte er und seine Stimme klang dabei so sanft wie eine Berührung zarter Lippen auf der Haut. Tabea verstand ihn nicht, bis er noch einmal etwas sagte. „Mein Name. Das war es doch, wonach du als erstes fragen wolltest, oder?“

Tabea war verwirrt. Seine Lider waren es, die sie verwirrten. Sie blinzelten nicht ein einziges Mal. Als er ihren starren Blick bemerkte, lachte er und blinzelte doch.

„Oh, Verzeihung“, lachte er und Tabea wusste nicht, ob sie ebenfalls lachen oder lieber weglaufen sollte. „Das vergesse ich manchmal, weißt du? Das mit dem Blinzeln. Ich habe es mir abgewöhnt.“

Tabea blinzelte verwirrt. Die Ironie dabei fiel ihr erst viel später auf. Doch der Junge, nein, Johann hieß er ja, schien es zu bemerken, denn er lächelte wieder und schob dabei erneut seine Wangen nach oben. Dann deutete er auf die Bank und legte seinen Kopf ein wenig schief. „Darf ich mich setzen?“

Tabea rückte ein Stück zur Seite, ohne einen Ton zu sagen und sah Johann dabei zu, wie er um die Bank herum schlich und sich in gebührendem Abstand neben sie setzte.

„Entschuldige, dass ich dich so erschreckt habe“, sagte er und schmunzelte. „Aber du sahst so aus, als hättest du gefroren.“

„Das habe ich auch“, murmelte Tabea abwesend und tastete nach dem fremden Stoff über ihren Schultern. Dass Johann sie unentwegt duzte, obwohl sie offensichtlich von höherem Stand war als er, bemerkte sie gar nicht.

„Was machst du denn auch allein hier draußen in Nachthemd und Morgenmantel?“, wollte der Junge wissen und sah sie immer noch schmunzelnd von der Seite an. Sie fühlte seine Augen auf sich ruhen, obwohl sie ihn bewusst nicht ansah.

„Ich wollte mir den See ansehen“, log sie leise und scharrte wieder mit dem Fuß im Kies. „Er glitzert so schön, wenn der Mond darauf scheint.“

Johann wandte den Blick zum See und schien ihre Aussage überprüfen zu wollen. Dann hob er einen Stein vom Boden auf und warf ihn in das dunkle Wasser. „Plupp“, machte es, als der Stein versank. Kleine Wellen breiteten sich aus und Tabea folgte ihnen unbewusst mit den Augen, bis sie sich in der Weite des kleinen Sees verliefen.

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, deshalb schwieg sie verbissen. Sie fühlte sich unwohl, aber es erschien ihr unhöflich, einfach zu gehen. Weil sie wieder nervös wurde, begann sie mit den Fingern den Kragen des Mantels durchzukneten, bis ihr einfiel, dass der Mantel ja gar nicht ihr gehörte. Vorsichtig zog sie ihn von ihren Schultern und betrachtete ihn kurz. Es war ein seltsamer Mantel, schwer, aus grobem, rauem, Stoff und von einer Asymmetrie, die Tabea noch nie bei einem Kleidungsstück gesehen hatte. Auf der einen Seite war der Kragen viel länger als auf der anderen und am vorderen Teil des Kleidungsstückes hingen mehrere Schnüre und Riemen, die keinen rechten Zweck zu erfüllen schienen.

Bevor sie sich noch weiter über das merkwürdige Stück Stoff in ihren Händen wundern konnte, zwang sie sich selbst es damit gut sein zu lassen und hielt es stattdessen seinem Besitzer entgegen.

„Danke“, sagte sie. „Aber ich brauche ihn nicht mehr. Ich werde nun gehen.“

Johann sah sie an als sei er soeben aus einem tiefen Traum erwacht, nahm ihr den Mantel aber dann mit einem Lächeln aus der Hand.

„In Ordnung“, meinte er, als läge es an ihm, ob sie gehen durfte oder nicht und stand auf, als sie es tat. Als sie sich umdrehen wollte um zu gehen, hielt er sie mit einem: „He!“ zurück und als sie sich zu ihm herum drehte, legte er ihr erneut den Mantel um die Schultern.

„Den nimmst du aber mit“, befahl er lächelnd und trat einen Schritt von ihr zurück. Tabea dankte es ihm, dass er so viel Abstand wahrte. „Sonst frierst du auf dem Rückweg doch schon wieder“, erklärte er.

Tabea überlegte kurz und fasste nach dem Mantel, um ihn festzuhalten. Sie wusste, dass er nur ein Vorwand für ihn war, um sie wiedersehen zu können. Aber bevor sie sich entscheiden konnte, hatte Johann sich schon umgedreht und war einfach so in die Nacht verschwunden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  CassiopeiaBlack
2009-08-03T18:50:55+00:00 03.08.2009 20:50
Hmm.
Ich mag Tabea irgendwie. Sie ist mal was anderes nicht immer diesen Bella verschnitt den die meisten Autoren benutzen. Das ist wirklich erfrischend und was ganz anderes.
Und Johann finde ich aucuch sehr anziehend, ich bin gespannt wie es weiter gehen wird.


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