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Johann und Tabea

Nur ein letzter Herzschlag noch
von

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Es war ein warmer Tag gewesen. Tabea hatte sich ununterbrochen mit ihrem Fächer Luft zufächern müssen,

um nicht an der dicken, schwülen Schwere zu ersticken, die sie umgab. Jetzt war sie glücklich über das kühle Wasser, das sie sich auf die Stirn und in den Nacken streichen konnte. Es vermischte sich mit ihrem Schweiß und durchnässte ihren Kragen, aber das störte sie nicht. So blieb ihr Hals wenigstens länger kühl.

Mit einem Seufzen wandte sie sich von ihrem Waschtisch ab und strich sich die feuchten Haare aus dem Gesicht. Dank der zugezogenen Vorhänge herrschte eine angenehme Temperatur in ihrem Zimmer. Trotzdem zog Tabea sich voller Erleichterung ihr viel zu dickes Kleid aus und schlüpfte in ihr Nachthemd und den Morgenmantel. Danach schlenderte sie zum Schreibtisch und inspizierte den Teller frischer Plätzchen, die das Küchenmädchen trotz der Hitze jeden Tag aufs Neue backte und in den Räumen des Hauses verteilen ließ. Tabea nahm sich eines und musterte es kritisch, biss hinein und legte es neben den Teller auf das dunkle Holz des Tisches. Sie hatte nicht den geringsten Hunger, obwohl sie seit dem Frühstück keinen Happen mehr gegessen hatte. Es war einfach viel zu warm, um hungrig zu sein.

Weil sie Langeweile hatte, nahm sie sich den Kamm vom Waschtisch, setzte sich aufs Bett und begann lustlos durch ihre goldblonden Locken zu fahren. Sie waren bereits ordentlich gekämmt, so dass die Zinken widerstandslos hindurchglitten. Das leise Streichen von Haar auf Metall war das einzige Geräusch in der Stille. Nur das Zwitschern der Vögel drang noch von draußen herein, doch das Glas des Fensters dämpfte den abendlichen Gesang.

Als es an der Tür klopfte, sah Tabea auf und hielt in den Kämmbewegungen inne. „Herein“, sagte sie, den Blick auf die Tür gerichtet, die sich nun öffnete. Herein trat Raphael, der Diener des Hausherren, ihres Vaters, dürr und groß, immer mit halb geschlossenen Augen und etwas zu hoch erhobenem Kinn. Tabea sprach nicht oft mit ihm, was jedoch zu großen Teilen daran lag, dass Raphael sehr schweigsam war.

„Ja?“, fragte Tabea jetzt und zog den Kamm aus ihrem Haar. Ihr Vater hatte ihn ihr zu ihrem Geburtstag geschenkt. Das Metall hatte seitdem einige Kratzer erhalten, war jedoch noch immer glänzend und lag vertraut in ihrer Hand.

„Das Abendessen ist angerichtet“, sagte Raphael in seinem näselnden Tonfall und verneigte sich dabei leicht. „Euer Vater lässt Euch herunterbitten. Er wünscht mit Euch zu dinieren.“

Tabea schluckte ihren Unwillen herunter und ersparte sich ein Seufzen. Sie mochte es nicht, mit ihrem Vater zu Abend zu essen. Er aß viel zu langsam und sprach stattdessen viel zu viel. Das allein wäre noch nicht allzu grauenvoll gewesen, doch die Themen, auf die er zu sprechen kam, waren meistens mehr als ermüdend.

„Sagt ihm, ich komme gleich“, befahl sie resignierend und legte den Kamm neben sich auf das geblümte Tuch, das über den Tag hinweg über ihrem Bettzeug ruhte. „Ich wünsche lediglich noch mich zu waschen.“

Raphael nickte ergeben, verließ den Raum und schloss leise die Tür hinter sich. Raphael vermochte es, fast alles was er tat lautlos oder zumindest kaum hörbar zu vollziehen. Als Kind hatte Tabea oft Angst davor gehabt, von ihm ausspioniert zu werden, ohne es zu wissen.

Als der Diener gegangen war, stand sie auf und trat erneut an ihren Waschtisch heran. Ein mit Holz verzierter Spiegel bildete die Rückwand des Tisches, der genau genommen eher eine Kommode als ein solcher war. Tabea strich sich die Haare hinter die Ohren und betrachtete ihr Gesicht darin. Ihr rundes Gesicht mit dem spitzen Kinn, die Nase mit der breiten, abgerundeten Spitze, die feinen Brauen und die großen, grünen Augen. Sie sah ihren Eltern sehr ähnlich, wie sie fand und sie wusste nicht, ob sie das gutheißen oder eher lästig finden sollte. Ihre Mutter war hübsch aber tot, ihr Vater gut aussehenden aber zu dick. Nein, nicht dick. Eher stämmig. Zu viel Speck ließ sein eigentlich nettes, sogar attraktives Gesicht aufgequollen wirken. Seit dem Tod seiner Frau vor acht Jahren aß, schlief und schrieb er nur noch, fast wie eine programmierte Maschine. Er war Schriftsteller, aber seit einiger Zeit war er des Schreibens müde – „ausgelaugt“, wie er es nannte. Stattdessen schrieb er Kritiken für die Werke anderer, die jedoch niemand wirklich ernst zu nehmen schien. Zum Glück waren er und seine Tochter so sparsam, dass der Rückgang des einst beachtlichen Einkommens zunächst nicht sehr ins Gewicht fiel.

Tabea beendete ihren Gedankengang mit einem Schwung Wasser in ihr Gesicht, trocknete sich ab und seufzte dabei einmal leise in den weichen, weißen Stoff. Es half nichts. Sie musste gehen und sich erneut dem Wrack von Vater stellen, das sie besaß. Bevor sie ging, band sie die Locken am Hinterkopf zu einem Zopf zusammen, dann verließ sie ihr Zimmer, zog ihren Morgenmantel zu und machte sich auf den Weg hinunter ins Esszimmer.

Ihr Vater saß bereits am Tisch und schüttete aus einer Glaskaraffe Rotwein in sein Glas. Tabeas war schon bis zum Rand gefüllt, obwohl sie gar nicht gerne Wein am Abend trank. Sie bevorzugte Milch, an so einem heißen Tag wie heute am besten gekühlt, aber sie würde den Rotwein überstehen. Als Kind wohlhabender Eltern war sie das schwere Getränk längst gewohnt.

Als sie den Stuhl zurückzog, sah ihr Vater auf und lächelte sie an. Unter seinen Augen mit den dicken Tränensäcken und den grauen Wimpern lagen dunkle Schatten und die unteren Lider waren gerötet, als hätte er geweint. Tabea war auch das gewohnt. Ihr Vater weinte viel, seitdem ihre Mutter gestorben war. Sie selbst hatte das Weinen vor langer Zeit schon aufgegeben.

„Setz dich, Liebling“, sagte er und stellte die verschlossene Karaffe auf den Tisch. Seine Stimme klang rau und erdrückt, wie immer, wenn er am Tag nicht viel gesprochen hatte. Tabea gehorchte, zog den Stuhl an den Armlehnen zurück an den Tisch, legte dann die Hände auf das Tischtuch und sah ihren Vater an.

„Du hast wieder geweint“, stellte sie fest und fühlte sich fast schuldig, als der Mann betroffen den Blick abwandte. „Möchtest du reden? Darüber, meine ich?“

Ihr Vater schüttelte kaum merklich den Kopf und tastete mit zittrigen Fingern nach dem Weinglas. Beinahe verschüttete er alles, schaffte es aber dann doch noch zu trinken, ohne den Inhalt des Glases über die Tischdecke zu gießen. Danach schien es ihm besser zu gehen, er räusperte sich kurz und griff abwesend nach der Gabel für die Bratenplatte. Tabea tat es ihm gleich und begann, sich mit einem Löffel Kartoffeln auf den Teller zu laden. Sie war nicht besonders hungrig, aber nur stumm am Tisch zu sitzen, während ihr Vater aß, kam ihr reichlich sinnlos vor.

„Nun“, begann dieser schließlich das Gespräch und goss dunkelbraune Soße über seinen Braten. „Was hast du heute so gemacht?“

„Ich war draußen“, antwortete Tabea und zerkleinerte ihre Kartoffeln mit den Zinken ihrer Gabel. „Lesen, im Park. Sie haben neue Bänke aufgestellt, man kann jetzt auch am Ententeich sitzen.“ Ihr Vater schien ihr gar nicht zuzuhören, als sie das erzählte, stattdessen schaufelte auch er sich Kartoffeln auf den Teller und gleich darauf Gemüse.

„Es war sehr warm heute“, fügte sie hinzu, nur um zu sehen, ob ihr Vater etwas sagen würde, doch auch darauf reagierte er nicht. Tabea senkte den Blick und rührte mit der Gabel im Kartoffelbrei herum. Ihr Vater aß erst ein paar Stücke Braten, bevor er sich erneut räusperte, einen Schluck Wein nahm und zu seiner Tochter sah.

„Weißt du, woran ich heute gedacht habe?“, fragte er.

Tabea schüttelte den Kopf. „An was denn?“, wollte sie wissen.

„An dich“, kam prompt die Antwort, als habe ihr Vater nur auf diese Frage gewartet. „Und an deine Zukunft.“

Tabea nahm schnell einen Schluck Wein, verschluckte sich fast und presste sich hustend die Serviette vor den Mund. Unbeeindruckt fuhr ihr Vater fort: „Wir bekommen nicht mehr viel Geld, weißt du? Weil ich... na ja, du weiß schon. Ich bin ausgelaugt.“ Er sah auf seine Hände und zuckte mit den fleischigen Fingern. „Es kommen einfach keine Geschichten mehr da raus... Sie sind leer... Völlig leer... Wie ausgetrocknet...“ Er klang müde, beinahe als spreche er nur zu sich selbst. Eine Weile lang starrte er auf seine ausgetrockneten Finger, dann hob er den Kopf und lächelte Tabea an. Diese knetete nervös auf der Serviette herum und starrte ihren Vater an, als habe sie Angst vor jedem Wort, das er jetzt sprechen könnte.

„Du sollst es gut haben, mein Mädchen“, fuhr er schließlich fort. „Nicht so enden wie ich, so... alt und langweilig.“ Er versuchte zu lachen, aber es klang mehr wie ein trockenes Keuchen.

Tabea ahnte, was jetzt kam. Er wollte sie verheiraten, ganz bestimmt, an irgendeinen reichen, spröden Schnösel, einen Grafen oder einen Baron. Womöglich hatte er sogar schon einen für sie ausgesucht! Sie schüttelte sich innerlich bei diesem Gedanken und konnte es nicht verhindern, dass ihre Lippen sich angewidert kräuselten.

Doch ihr Vater sprach unbeirrt weiter, als hätte er den Ausdruck in Tabeas Gesicht überhaupt nicht bemerkt. Leise und ernst klang seine Stimme beim Sprechen, als diktiere er Tabea einen sehr wichtigen Text, von dem sie kein Wort vergessen durfte. Er sagte es langsam und sehr ruhig und was er sagte, verwirrte Tabea mehr als alles anderes, was sie von ihm zu hören gedacht hatte. Er sagte zu ihr: „Deshalb werde ich dich fortschicken, in eine andere Stadt, zu deinen reichen Kusinen und Tanten, damit du dort ein besseres Leben hast.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Graeflicher-Trottel
2009-09-22T16:26:26+00:00 22.09.2009 18:26
Ha! endlich lese ich es auch einmal! freue dich, herzchen^^
Von:  CassiopeiaBlack
2009-08-03T18:46:33+00:00 03.08.2009 20:46
Öh, wieso seh ich noch keine Kommis hier?
Wirklich schön geschrieben, ich mag deinen Stil, schön fließend und leicht.
Es macht lust auf mehr. Also geh ich einfach mal schnell weiter lesen ^^


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