Zum Inhalt der Seite

Inspiration

Ka/Re
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Before

So Kinders!

Hier mein nächstes Werk, ich hoffe es gefällt euch ;)

Schaut ruhig mal öfter in meinem Zirkel 'Woainis Werke' rein, da stehen oft Infos über neue Kapitel und dergleichen^^

Viel Spaß beim lesen!
 

Inspiration
 

Kapitel 1
 

Before
 

Jeder Schritt ist ein weiterer Nagel in meinem Sarg.

Immer wieder schießt mir ein ‚Wieso?’ durch den Kopf, verursacht allmählich Kopfschmerzen.

Wieso bin ich in diese Stadt gegangen?

Wieso konnte ich mein loses Mundwerk nicht halten?

Wieso habe ich mich eingemischt?

Wieso habe ich mich nicht umgedreht, habe mich abgewendet, wie alle anderen Menschen?

Die Antwort ist simpel: Ich bin ich.

Mit einem bitteren Lächeln auf den spröden Lippen betrete ich langsam die erste Stufe des Podestes.

Kaum zu glauben, dass ich hier landen konnte.

Hinter mir ertönt Jubelschrei, weil das Monster nun endlich gehängt wird.

An den Galgen mit dem Ungetüm.

Es soll sterben, dieses widerliche Biest.

Der Bastard, Ich, soll sterben.

Es ist fast zum Lachen und ganz sicher zum Weinen.

Ich bin ein Monster. Womöglich ein gefährliches.

Wieso dann?

Bin denn nicht ich es, der von einer Horde Monster geschnappt, verprügelt und verurteilt wurde?

Nur weil ich anders bin?

Wie wäre es gewesen, hätten sie meine Kraft nicht erlebt?

Würde ich dann leben dürfen?

Die Schlinge wird mir um den trockenen Hals gehängt.

Die Menge tobt, schmeißt mit verfaulten Tomaten und Salatköpfen nach mir.

Wie ein kreischendes, wütendes Heer stehen sie geschlossen vor mir.

Begeistert von der Idee mir gleich das Leben aus dem Körper zu hauchen.

Ironisch, denke ich, ich wollte immer so sein wie sie.

Menschlich, nichts Besonderes.

Mit einer glücklichen Kindheit, als einer unter Ihnen.

Ohne Aufgaben, Sorgen und Geheimnissen,

Ich wollte doch nur Leben.

Dies ist mein Verbrechen.

Der Henker schreitet nach Vorne, präsentiert mich noch ein letztes Mal der kreischenden Menge.

Mir tun die Ohren weh.

„Nun Freunde! Schicken wir diese Ausgeburt der Hölle hinter die Tore Satans! Gott wird uns mit einer reichen Ernte danken, für unsere Tat, sobald wir die dämonischen Überreste entsorgt haben!“

Wildes Gebrüll.

Zustimmung.

Einige fangen hektisch an zu Beten.

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden.

Ich habe keine Angst vor eurem Gott, deshalb schließe ich meine Augen auch noch nicht.

Vor eurem grausamen Urteil fürchte ich mich vielleicht, doch so weit ich weiß, ist dieser Gott ein barmherziger, verkalkter Geist, der in Nachthemdchen in den Köpfen der Menschen spuckt und ihr Gewissen beruhigt.

So ein Gott wird mich nicht richten.

Meine langen, schwarzen Haare wehen im Wind, treiben mir ein bitteres Lächeln auf die Lippen.

Nichts ist gut.

Ich sterbe und das war es auch schon.

Warum?

Weil ich einen Dieb aufgehalten und den fälschlicherweise beschuldigten Jungen gerettet habe!

Ohne Gewalt.

Doch als der Dieb mich angreifen wollte, mich von hinten mit dem versteckten Dolch meucheln wollte, sprang ich in einem geübten, hohen Satz auf ein Dach und verriet mich.

Kein Mensch kann so was.

So etwas können nur Dämonen.

Oder eben Neko-jins, wie in meinem Fall.

Eine gezüchtete Rasse, zwischen menschlichem Aussehen, doch katzenhaften Reaktionen und Reflexen, Fähigkeiten.

Mehr bin ich nicht.

Allein auf der Straße des Lebens.

Ohne Familie, Begleiter oder Freunde.

Wann immer ich versuche welche zu finden, schrie man entsetzt auf, sobald mein Geheimnis gelüftet wurde.

Vielleicht verdiene ich keine Freunde.

Was spielt das auch jetzt noch für eine Rolle?

Ich werde sterben!

Die Menge fängt an hinunter zu zählen.

Dass sie dies kann, erstaunt mich.

3, 2… Brüllen sie im Chor.

Zeigen mir ihre dämonischen Fratzen, entstellten Gesichter.

Schnell schließe ich die Augen, will mir diesen Anblick nun wirklich ersparen.

Dann verliere ich den Halt unter den Füßen.

Mit einem gewaltigen Ruck komme ich im freien Fall zum Halt, spüre sogleich meinen Hals und Nacken schmerzen.

Der Strick bohrt sich tief in meine Haut, pumpt jegliche Luft aus meinen Lungen hinaus.

Ich zapple gar nicht erst, weiß, dass es mir nicht das Geringste bringen wird.

Ich habe verloren.

Ich bleibe allein.

Mein Bewusstsein schwindet langsam.

Alles wird in Watte gepackt, verstummt, verschwimmt, ist nicht mehr wichtig.

Zum Glück höre ich ihr Lachen nicht mehr.

Vielleicht blieb ihnen das dreckige Lachen im Halse stecken, als sie sahen, wie ich langsam starb.

Es wäre zu schön um wahr sein.

Plötzlich fühle ich einen Ruck und falle benommen zu Boden.

Bewegungslos liege ich da, schnappe eher unbewusst nach Luft, lebe irgendwie immer noch.

Die Menge beginnt panisch zu kreischen, versucht wegzulaufen, steht sich aber selber im Weg.

Ich bleibe völlig vergessen, selbst der Henker flüchtet lieber, als den Dämon zu bannen.

Als ich zaghaft die Augen öffne, sehe ich verschiedene Menschen, mit Waffen, wie sie auf die Menschen einreden.

Neben mir tauchen plötzlich schwarze Stiefel auf.

Jemand steht vor mir, doch bevor ich den Blick heben kann, um fest zu stellen, ob Freund oder Feind, verliere ich das Bewusstsein.

Als ich wieder zu mir komme, sehe ich zwei besorgte Gesichter über mir.

Ein Gesicht hat blonde Haare und Sommersprossen, das andere ist moppelig und mit blau- lilanen Haaren umrahmt.

Neugierig verfolgen zwei Augenpaare meine Regungen.

„Er ist wach!“, brüllt Moppelchen und sofort tauchen noch ein paar mehr Köpfe über mir auf.

Ich bleibe liegen, bin noch nicht so ganz da, verfolge bloß als Außenstehender das Geschehen mit.

Ein Junge, mit feuerroten Haaren, brüllt gleich weiter.

„Kai! Ich glaube, er hat ernsthaften Schaden erlitten!“

Mir tun wieder die Ohren weh, von der Lautsstärke, doch ich bleibe stumm.

Die anderen Köpfe machen Platz, als besagter Kai mich einmal kritisch beäugt.

Rotglühende Augen bohren sich in mich hinein, analysieren mich.

Ich kann meinen Blick nicht abwenden, bin so gefesselt von diesen Augen, dass selbst Blinzeln zu einer Herausforderung wird.

„Wir haben dich vom Galgen befreit und hierher gebracht. Hier bist du vorerst in Sicherheit!“

Seine Stimme klingt beinahe gefühlslos, wenn nicht sogar leblos, doch seine Augen strahlen soviel Leben aus, dass es mich an ihm zweifeln lässt.

Mir wird schwindelig.

Langsam schwindet meine Sicht, wird dunkel, geradezu düster, dann schwarz.

Wirre Träume verfolgen mich, suchen mich in einer Intensivität heim, dass es mir ganz schlecht wird.

Ich möchte aufwachen.

Doch irgendwie bin ich noch nicht bereit dazu.

Es ist dunkel, als ich die Augen endlich öffne.

Kein Problem für mich, da ich auch im Dunkeln relativ gut sehen kann.

Ich liege immer noch im Freien, dicht am Feuer, es brennt noch.

Langsam setze ich mich auf. Mein Knie schmerzt und meine Handgelenke.

Halsschmerzen habe ich auch, aber dafür, dass ich noch vor kurzem am Galgen hang, geht es mir eigentlich ganz gut.

In Between

Kapitel 2
 

In Between
 

Meine Retter schlafen.

Sie schnarchen, schmatzen, kuscheln sich aneinander.

Zumindestens die meisten.

Diesen Kai, wenn ich mich nicht irre, sehe ich nicht, egal, ich sollte verschwinden.

Mühsam kämpfe ich mich auf die wackeligen Beine, ignoriere den kurzen Schwindel.

„Wo willst du denn hin?“, fragt mich der Grau- blauhaarige.

Seine roten Augen bohren sich durch mich hindurch.

„Nach Hause!“, antworte ich ruhig, lächle dabei verlegen.

Ein kurzes Lächeln bildet sich auf seinen Lippen, ehe sein Mund wieder einem Strich gleicht. Mit langen Schritten steht er schließlich vor mir, sieht auf mich herab, obwohl ich nur ein, zwei Zentimeter kleiner sein kann als er.

„Wie mir scheint, hast du gar kein zu Hause!“, antwortet er amüsiert.

„Wieso sollte ich das nicht haben?“, frage nun ich leise zurück.

Ich fühle mich unwohl in meiner Haut.

Zum Glück ist es dunkel, da fallen meine vielen Merkmale nicht auf.

Unbewusst spanne ich mich an.

„Mir scheint so, als würdest du nirgendwo fest wohnen. In der letzten Stadt wollte man dich aufhängen und mehr Sachen als die, die du am Körper trägst, hast du auch nicht dabei. Sieht eher so aus, als wärst du ein Reisender auf der Flucht!“, grinst er gemeiner.

Dieses Grinsen steht ihm gar nicht.

„Und wenn die Welt mein Zuhause wäre?“, sinniere ich, grinse keck und entspanne mich.

Er schüttelt den Kopf, stellt sich mir gegenüber und blickt mir tief in die Augen.

„Dein Name?“, es klingt kalt.

„Rei. Ich heiße Rei!“, antworte ich freundlich, dennoch leise.

„Also, Weltenbummler Rei, was hast du denn nun wirklich vor? Wieso willst du mitten in der Nacht verschwinden ohne ein Wort oder ein Dankeschön?“

Das er dieses Wort überhaupt kennt, erscheint mir skurril.

„Ich wollte mich noch bedanken!“, protestiere ich, werde etwas zu laut, muss mich mäßigen.

Einmal tief Luft holen.

„Ich gehe erstmal in die nächste Stadt und dann mal sehen…“, sage ich nun wieder leise, sehe zu Boden.

Ich möchte nicht, dass er mich analysiert.

Es ist mir unangenehm durchschaubar zu sein.

„Du könntest auch vorerst bei uns bleiben, wir wollen auch in die nächste Stadt!“

Misstrauisch sehe ich ihn nun doch an.

Ein verlockendes Angebot.

Könnte aber auch eine Falle sein.

Man kann nie vorsichtig genug sein.

Wieder hadere ich mit mir selbst.

Es wäre sicherer mir mehreren zu reisen und spaßiger.

Aber was wäre, wenn sie mein Geheimnis lüften?

Wie würden sie reagieren?

Stoßen sie mich wie alle anderen von sich, setzten mich im Wald aus oder bringen sie mich um, verkaufen mich womöglich sogar.

Glaubt mir, vieles habe ich bereits erlebt.

Vielleicht zu viel.

Vielleicht bin ich zu misstrauisch geworden?

Vielleicht ist das meine lang ersehnte Chance Freunde zu finden?

Vorsichtig sehe ich auf.

„Wer seid ihr eigentlich?“

„Wir sind Auftrags-“, will Kai antworten, wird aber unterbrochen, da ein Rothaariger aufgesprungen und seinem Kai, wie er ihn nennt, um den Hals gefallen ist.

„Wir erledigen Dinge für Leute, die uns Geld dafür anbieten. Ganz einfach. Dienstleistung gegen Bezahlung, nicht wahr, Kai?“

„Tala, lass mich los!“, knurrt beturtelter Kai böse.

Lachend wirft sich Tala nun an meinem Hals, spielt Katze, obwohl das eigentlich mein Gebiet wäre.

„Böser, böser Rei-chan! Einfach sang- und klanglos verschwinden wollen! Das war ja ganz gemein von dir!“, plärt er und erinnert mich eher an ein kleines Kind.

Ich bringe nur ein Lächeln zustande.

Ich wüsste gar nicht, was ich erwidern sollte.

„Du kommst doch jetzt mit uns, oder? Oder, Rei, war dein Name, gell?“, er redet schnell.

Manchmal etwas zu schnell für mich.

Ich brauche wohl zu lang.

Erwartungsvoll werde ich angesehen, werde immer mehr in die Ecke gedrängt.

„Ehm, ich heiße Rei, ja. Aber ich kann doch nicht mit euch einfach mitgehen! Ich kenne euch ja nicht einmal!“

Fast fühle ich mich meines Sieges sicher, doch der Rothaarige erstickt jegliche Hoffnung im Keim.

Schwungvoll wirbelt er mich herum.

„Das macht doch nichts, Rei-chan! Dann stelle ich dir eben alle vor! Also unseren Kai hast du ja schon kennen gelernt. Das ist unser Chef, könnte man sagen. Den, den du hier am lautesten Schnarchen hören kannst, ist unser Takao. Zu seinen Hobbies gehören Essen, schlafen, Essen und Kai auf den Wecker fallen. Gleich neben ihm liegt unser Sonnenscheinchen Max, solltest du ein Morgenmuffel sein, oder unter morgendlicher Blindheit leiden, halte dich fern von ihm, denn er kann sein Strahlemannlächeln sehr gut einsetzten und scheut nicht vor dem Knuddelmodus zurück.

Mhm, dann haben wir noch meinen Brian, er gehört auch eher zur schweigsamen Sorte. Ab und an wirft er mit bissigen Kommentaren um sich, aber ich habe ihn eigentlich ganz gut im Griff.

Tja und ich bin Tala und schon kennst du uns alle!“, grinste es fröhlich und knuddelte mich erneut durch.

Kai wendet sich von uns ab, mit einem grimmigen Gesichtsausdruck dem Sonnenaufgang entgegen.

„Und was muss ich machen, dass du mich loslässt?“, frage ich kleinlaut und versuche Luft zu bekommen.

„Ich lasse dich erst dann los, wenn du gesagt hast, dass du bei uns bleibst, so einfach ist das!“

Sein Grinsen wird breiter.

Vielleicht ist er doch nicht so harmlos, wie ich zuerst vermutete.

Er hat es faustdick hinter den Ohren.

Irgendwie wird mir das alles zu viel.

Ich beiße mir unruhig auf der Unterlippe herum, so wie ich es immer tue, wenn ich schwer am Nachdenken bin.

Von den Rothaarigen vernehme ich nur ein Kichern, ehe er mir auf die Schulter klopft und mich so in die Knie zwingt.

„Okay, wie klingt denn das: Du begleitest uns vorerst?“

Vorerst ist gut.

Dann habe ich die Möglichkeit auszusteigen, wann ich will.

Ich mag es Freiheiten zu haben.

Geschlagen nicke ich also.

Werde sofort in eine kräftige Umarmung gezogen und werde von dem Rothaarigen um die eigene Achse gewirbelt.

Worauf habe ich mich nur eingelassen?

Ehe ich mich beschweren kann, drückt man mir einen Teller in die Hand.

Sieht das eklig aus!

„Was ist das?“, frage ich entsetzt.

„Frühstück!“, wird mir verwirrt geantwortet.

Oh mein Gott.

Angeekelt schiebe ich den Teller von mir.

„Das ist kein Frühstück, das ist Selbstmord!“

Kritisch beäugt sich Tala meinen Teller, zuckt unwissend mit den Schultern.

„Das essen wir immer!“, sagt er tonlos.

Ungläubig sehe ich ihn an.

„Gib mir den Löffel und alles, was ihr an Nahrungsmitteln dabei habt! Und zum Teufel schmeiß dieses Zeug da weg!“, energisch stehe ich auf.

Eine halbe Stunde später habe ich es geschafft aus diesem Etwas etwas zu zaubern.

Die anderen Schlafenden starren mir seit Beginn dieses Kochversuches gebannt zu.

Immer wieder wollen sie probieren oder schnüffeln entzückt an dem Gericht.

Dieser Takao sabbert zum 3. Mal sein Shirt voll, während Max aufgeregt wie ein Flummi abwechselnd über meine oder Takaos Schulter schaut.

Brian und Tala sitzen mit wartendem Teller neben mir.

Kai muss erst von Letzterem geholt werden.

Gespannt nehme ich den ersten Bissen seit drei Tagen zu mir.

Bald sitzen wir sechs beieinander, essen stumm und ich bin froh, nicht diesen Selbstmordversuch gegessen zu haben.

Gierig schlingen meine zukünftigen Mitstreiter ihr Frühstück hinunter, Tischmanieren außer Acht lassend.

Selbst Kai schlingt.

„Boah, das schmeckt ja voll gut! MEHR!“, fordert mich Takao auf und hält mir anspruchsvoll seinen Teller wieder entgegen.

“Erstmal machst du den Mund leer, bevor du was fragst und dann bekommst du deinen Nachschlag, okay?“, frage ich lächelnd und fülle seinen Teller schnell auf.

Takao schluckt seinen Bissen hinunter, ehe er ‚Hunger!’ brüllt.

Schnell reiche ich ihm seinen heiß ersehnten Teller, bekomme gleich 4 altbekannte Teller erwartungsvoll entgegengestreckt.

Anscheinend habe ich gut gekocht.

Scheint fast so, als hätte ich die Bewährungsprobe bestanden.

Takao schwärmt von meinem Essen.

Max scheint sowieso immer glücklich und zufrieden zu sein.

Tala knuddelt immer wieder jeden durch.

Brian macht seine Witze, ist aber freundlich zu mir.

Kai beobachtet mich.

Mehr passiert nicht.

Gegen Mittag brechen wir erst auf.

Ich werde ausgefragt, es ist anstrengend, aber irgendwie auch ganz lustig.

Hunderte Male ermahne ich Takao dies nicht zu tun, jenes zu tun, aufzupassen oder still zu sein.

Immer wieder ernte ich bei meinen Erziehungsversuchen erstaunte Blicke von den anderen, doch niemand erklärt mir wieso.

Bis zur nächsten Stadt sind es etwa 9 Tage.

Wir müssen um einen Berg herum, über einen Fluss, Stein, und Wald, doch dies alles erst ab Morgen.

Ich bin müde.

Wieder bereite ich das Abendessen zu, dieses Mal wurde ich von Kai persönlich dazu aufgefordert.

Heute gibt es nur etwas Kaninchenfleisch, ein paar Möhren, ein karger Eintopf.

Und dennoch wird er gierig verschlungen.

Anscheinend bin ich ein ziemlich guter Koch.

Mir nur recht, dann sterbe ich nicht an einer Lebensmittelvergiftung.

Ich hänge an meinem Leben.

Todmüde falle ich in einen tiefen Schlaf.

Bin geschafft von dem Tag, dem Laufen, den Unterhaltungen und den Personen um mich herum.

Es ist lustig, aber auch sehr anstrengend.

Eigentlich fühle ich mich wohl.

Sicher, sie ist da, meine Angst.

Die Angst, dass sie mich verstoßen und hassen.

Dass sie mich auch als Monster betrachten.

Sie sind nett, deswegen würde es dieses Mal besonders wehtun.

Ich will sie in guter Erinnerung halten.

Ausnahmsweise verfolgen mich diese Nacht keine Alpträume.

Erholsame Träume.

So schlage ich ausgeruht meine Augen bei Sonnenaufgang auf.

Die Vögel zwitschern.

Ein Lächeln stiehlt sich mir auf die Lippen.

Heute Abend wird es regnen.

Seufzend richte ich das Frühstück her, kriege schon bald Gesellschaft von Kai.

„Was gibt’s?“, fragt er und kratzt sich am Hinterkopf.

„Es heißt guten Morgen, Kai!“, tadele ich ihn leise und rühre die Eier um.

Er erwidert nichts darauf.

Bleibt neben mir sitzen und schweigt.

Als die anderen aufwachen, sitzt Kai immer noch stumm neben mir, starrt auf meine gebratenen Eier.

Ich glaube, er hat Hunger.

Takao spinnt mal wieder herum, will sich mit Kai prügeln, weil Kai „Takaos Platz“ geklaut hat.

Der Platz neben mir.

Nun streiten der Blau- Grauhaarige und der kleine Fettsack sich lautstark miteinander, zerstören die friedliche Idylle.

Niemand unternimmt etwas.

Dieser Kinderstreit nimmt einfach kein Ende.

Energisch stehe ich also auf, treibe beide auseinander, verhindere, dass sie sich gegenseitig an die Gurgel springen.

„Schluss jetzt! Ihr habt euch lange genug angeschrien! Wenn ihr jetzt nicht still seid, und euch vertragt, dann bekommt keiner mehr von euch beiden etwas von mir zu Essen!“, sage ich streng und funkle beide böse an.

„Aber Rei, er hat-“, versucht es Takao, wird aber von Kai unterbrochen, „Schieb die Schuld ja nicht mir zu! Du mieser-!“

„Ruhe jetzt! Mir ist es egal, wer was war, wer was gesagt hat oder getan hat, ihr vertragt euch jetzt oder ihr seid beide auf Diät! Na los! Ich warte! Ich höre kein ‚Entschuldigung’!“

Ich weiß, ich klinge wie eine Mutter, aber ich kann nicht anders.

Ihr Geschrei war für mein feines Gehör unerträglich.

Takao schaut mich zunächst geschockt an, dann Kai.

Kai sieht auch eher so aus, als würde er mich massakrieren wollen.

Zögerlich und hinter zusammengebissenen Zähnen flüstert Takao schließlich seine Entschuldigung und bekommt von mir ein dankbares Lächeln, sowie ein freundschaftliches Schulter klopfen.

Erwartungsvoll schauen wir zu dem letzten Streithahn.

„Kai, na komm schon, du auch!“, ich lasse einfach nicht locker.

Ich bin für Fairness.

Kai durchbohrt mich mit seinem Blick, doch ich halte Stand.

„Wir warten, Kai!“, sage ich und ziehe die Augenbrauen hoch.

Ich höre ihn genau knurren.

Dann endlich quetscht er seine Entschuldigung hinaus, fügt ein ‚Du fauler Sack!’ noch dran und stürmt von dannen.

Endlich Ruhe.

Lächelnd drehe ich mich um, starre in vier ungläubige Gesichter.

Tala springt mich wieder an, wirbelt mich einmal im Kreis.

Ich habe mal wieder keine Ahnung, was los ist.

Massenweise wird mir auf die Schulter geklopft.

Versteh ich nicht.

Was habe ich denn gemacht?

Kai geht mir aus dem Weg. Ist noch kälter zu mir als sonst.

Dafür sind die anderen nur noch freundlicher zu mir und Takao und Max sind richtig gehorsam und brav.

Ich würde fast sagen, die himmeln mich an!

Ich verstehe nur nicht wieso.

Gegen Abend massiere ich mir müde meine wunden Füße.

Wirklich weit sind wir nicht gekommen, weiß der Geier wieso.

Vielleicht sind wir im Kreis gelaufen.

Vielleicht gehen wir einen Umweg.

Egal, ich bin erledigt.

Tala und Boris sind jagen gegangen, unsere Kleinkinder sammeln Holz.

Kai hat sich wortlos verkrümelt, wahrscheinlich ist er sauer auf mich.

Müde lehne ich mich zurück, genieße den Schatten, den mir der Baum spendet.

Jetzt ein bisschen schlafen.

Ein leichter Wind umschmeichelt meine Nase.

Es vergeht eine Weile.

Schlummernd meditiere ich unter dem kräftigen Baum, entspanne mich von dem anstrengenden Tag.

Gleich herrscht wieder Raubtierfütterung.

Da brauche ich Kraft.

Na ja, besser ich koche, als das ich vergiftet werde.

Leise kichere ich.

Ein Schatten legt sich über mein Gesicht, zwingt mich dazu, die Augen verschlafen zu öffnen.

„Warum?“, fragt mich eine eiskalte Stimme ganz nah bei mir.

Ich muss mehrere Male blinzeln, um Kai zu erkennen, habe mich zunächst fürchterlich erschreckt.

„Was warum?“

Ich bin müde.

Will nicht denken oder von seiner Arroganz gestraft werden.

„Warum hast du mich gezwungen es zu sagen?“, er betont ‚es’ als wäre es eine Krankheit.

Irritiert sehe ich ihn an.

„Was habe ich denn gemacht?“

„Wieso hast du dich auf ihre Seite gestellt?!“

Seine rot glühenden Augen durchbohren mich.

Fragend hebe ich eine Augenbraue hoch.

„Wieso stellst du meine Autorität in Frage!?“, seine Hände sind zu Fäusten geballt.

„Autorität in Frage stellen? Kai? Komm mal wieder runter, ich weiß gar nicht, was du meinst!“, nun stehe ich auch auf.

Ich mag Vorwürfe nicht.

„DA! Du tust es schon wieder!“, keift er und zeigt mit dem Finger auf mich.

Sind wir hier im Kindergarten?

Nun auch wütend, schlage ich seine Hand weg, will den Vorwurf zerschmettern.

„Hör auf mit dem Finger auf mich zu zeigen! Ich weiß gar nicht, wo dein Problem liegt!“

„Du hast mich gezwungen, mich zu entschuldigen!“, mit bitterer Stimme offenbart er mir meine grausame Tat.

Ich breche in Gelächter aus.

„Darum geht’s? Du gehst mir aus dem Weg, strafst mich mit bösen Blicken und meckerst mich an, dass ich dich überredet habe, dich zu entschuldigen??“

Ungläubig sieht er mich an.

Sein Blick bleibt kalt.

Er erinnert mich ein bisschen an ein schmollendes Kind.

Erschöpft wische ich mir die Haare aus dem Gesicht.

„Kai, meinst du nicht, dass du etwas übertreibst? Was ist so schlimm daran sich bei einem Freund zu entschuldigen?“

Ehe ich mich versehe, packt er mich am Kragen und drückt mich feste gegen den Baumstamm.

Unsere Gesichter sind sich ganz nah.

„Ich bin nicht ihr Freund! Ich bin ihr Anführer! Sie gehorchen mir, verstanden?“

Es schmerzt, wie er mit mir umgeht.

Und wie er über seine Freunde redet.

Ich versuche dem eisernen Griff um meinen Hals zu lockern, bin doch zu schwach dafür.

„Du meinst wohl, du könntest dir alles erlauben! Du und deine scheiß Freundlichkeit! Wenn du wüsstest, wie sehr du mich ankotzt!“

Seine Stimme grollt.

Gepeinigt schließe ich die Augen.

Es tut weh.

Er tut mir weh.

Seine kalten Hände, die sich um meinen Hals schlingen und mich leicht würgen.

Seine Worte schmerzen.

Ich halte die Luft an, warte darauf, dass er mir den Gnadenstoß verpasst, mich beschimpft und dann letztendlich umbringt.

Doch es kommt ganz anders.

Plötzlich spüre ich seine Lippen auf den Meinigen.

Ein harter Kuss.

Vielleicht ein gieriger.

Es fehlt die Zärtlichkeit.

Erschrocken öffne ich die Augen, halte die Luft unbewusst an.

Weiß gar nichts mit dieser Situation anzufangen.

Er löst sich von mir, sieht mich immer noch wütend an.

„Du verwirrst mich!“, knurrt er, zieht mich, wenn es überhaupt noch geht, näher zu sich.

„Wieso kann ich dir nicht widerstehen?“

Seine Stimme klingt leicht verzweifelt, sein Blick ist der eines fragenden Kindes.

Sein Griff bleibt aber hart.

Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn an, bin mit dieser Situation völlig überfordert.

‚Wieso kann ich dir nicht widerstehen?’, fragt er.

Wieso konnte ich mich nicht wehren, das ist die bessere Frage!

Endlich lässt er mich los.

„Mach das nie wieder!“, knurrt er wieder, will sich von mir abwenden.

Hat er mich gerade geküsst oder ich ihn?

Hallo? Ich allein habe hier das Recht wütend zu sein!

Dieser Satz sollte also aus meinem Munde kommen!

Wütend stehe ich auf.

„Was soll das? DU hast doch damit angefangen!“

Normalerweise bin ich nicht so aufbrausend.

Normalerweise bin ich nicht so streitsüchtig.

Normalerweise bin ich ausgeglichen.

Doch nun ist nichts mehr normal.

Mein Herz rast.

Meine Hände zittern.

Und das wegen einem einfachen Kuss.

Meinem aller ersten.

Kai winkt gelangweilt meinen kleinen Ausbruch ab.

„Reg dich ab, Tiger! Ich meinte die andere Sache! Du sollst meine Autorität nie wieder in Frage stellen, kapiert?“

Ohne meine Antwort abzuwarten, dreht er sich um und geht.

Sein Schal weht im Licht und verleiht ihm einen coolen Abgang.

Nur ich plumpse völlig uncool auf den Hintern.

Bin vollkommen geplättet.

Was hat mich denn bitte überfahren?

Völlig neben mir starre ich vor mich hin.

Was habe ich denn bitte falsch gemacht?

Verdammt, meine Lippen tun weh!

Dieser Kai hat mir die Lippe wund gebissen!

Mein Herz rast noch immer.

Ich bin völlig verwirrt.

Völlig fertig.

Am Ende meiner Kräfte lehne ich mich zurück, versuche wieder zur Ruhe zu kommen.

Doch eigentlich falle ich nur in einen tiefen Schlaf.

Ich weiß nicht, wie lange, aber als ich meine Augen wieder öffne, schüttelt Tala mich schon ordentlich durch.

„Gut, er lebt noch!“, sagt er lächelt zu Brian, welcher über seiner Schulter ein paar Fische trägt.

Müde reibe ich mir den Schlaf aus den Augen.

„Was ist denn los?“, frage ich leise, bin immer noch nicht ganz wach.

Tala schnaubt verärgert.

„Was los ist? Das frage ich dich! Brian-chan und ich kommen hier von der Jagd, freuen uns auf dein leckeres Abendessen und dann? Dann liegst du hier unter dem Baum wie tot und selbst nachdem ich dich angeschrien habe, wolltest du nicht aufwachen! Ich hab mir schon voll die Sorgen gemacht!“

Brian tätschelt Talas Kopf, streichelt und tröstet ihn.

Ich will auch getröstet werden.

Seufzend richte ich mich auf.

„Tut mir leid, ich werde mich jetzt ans Essen machen, okay?“

Ablenken.

Ja, das ist gut.

Bloß nicht an das zuvor Geschehende denken.

Nicht an Kai denken.

Und an seine unverschämte Art und Weise Probleme zu lösen!

Völlig in Gedanken vertieft, die mir eigentlich unangenehm sind, beginne ich mit dem Essen.

Tala jammert oder erzählt mir von seiner anstrengenden Jagd, doch ich höre ihm eigentlich gar nicht zu.

Kann mich nicht so richtig auf beides konzentrieren.

Meine Multitaskingfähigkeit schläft wohl noch.

Seufzend beende ich meine heutige Kochkunst, rufe zum Essen, fülle ihre Schalen, gebe mir selber aber nichts.

Ich kann nichts essen.

Brauche meine Ruhe.

Will weg von Kais forschenden Blicken.

„Ich gehe baden!“, verkünde ich und mache mich auf den Weg.

Keiner fragt genau nach, doch ich finde das eigentlich ganz gut so.

Kellertief seufzend lasse ich mich in das kalter Wasser gleiten.

Kaltes Wasser.

Nicht gerade das angenehmste der Welt, aber akzeptabel.

Schließlich bin ich es gewöhnt.

Als ich klein war, hat man mich nur mit kaltem Wasser gewaschen.

Das sollte meine innere Abwehr stärken und mich weniger anfällig für Klimaaveränderungen machen.

Schließlich wurden wir er- und gezüchtet.

Seufzend wasche ich mir meine Haare.

Kämme sie so gut es eben geht mit meinen Händen durch.

Nach getaner Arbeit binde ich sie mir wieder zu einem Zopf

„Du badest also kalt?“

Er ist es!

Erschrocken drehe ich mich um, sehe gleich doch wieder hektisch weg, da Kai gerade ins Wasser eintaucht.

Was macht er hier!?

Und wieso ist er nackt?

„Warum hast du nichts gegessen?“, seine Stimme ist ruhig.

„Ich hatte keinen Hunger!“, antworte ich leise, sinke noch tiefer ins Wasser, schließe meine Augen.

„Das Essen war gut, also hättest du ruhig probieren können!“

Lobt er mich etwa gerade?

Schultern zuckend bleibe ich an Ort und Stelle, ignoriere ihn.

„Warum badest du kalt und auch noch so lange?“, fragt er weiter.

Ich spüre seinen forschenden Blick auf mir liegen, doch ich umgehe diesen Trick.

‚Ich sehe ihn nicht, also sieht er mich auch nicht!’, denke ich.

„Ich bin es gewöhnt in Flüssen oder Bächen zu baden, also macht es mir nichts aus!“

Endlich ist er ruhig.

Fragt nicht weiter.

Fast schlafe ich wieder ein.

Erst seine Berührung an meiner Wange lässt mich aufschrecken.

Der Blau- Grauhaarige berührt fast schon zärtlich meine Wange, ist plötzlich viel zu dicht neben mir.

„Du solltest dich abtrocknen! Du bist eiskalt!“

Wie nett er klingen kann.

Mir schießt das Blut in den Kopf.

Er soll aufhören.

Ich will nicht noch mehr Chaos!

Er soll mich nicht schon wieder verwirren!

Etwas zu hektisch steige ich aus dem Wasser, flüchte mich in die Büsche, werfe keinen Blick mehr zurück.

Soll er doch ersaufen!

Schnell versuche ich in meine Klamotten zu schlüpfen, gebe mir kaum die Mühe, mich abzutrocknen.

Ich will hier weg!

Ich kann ihn hören, wie er sich auch aus dem Wasser begibt, gemächlich zu mir schlendert und sich grinsend dabei an den Baum anlehnt, nur um mich einmal ausgiebig betrachten zu können, wie ich mich fast an meinem Oberteil erwürge.

„Irre ich mich, oder hast du es eilig?“

Sein Grinsen wirkt pervers.

Schnell schlüpfe ich in mein Hemd, dieses Mal richtig.

„Hast du es etwa eilig?“, provokant lehnt er sich nach vorne.

Unverschämterweise immer noch nackt.

„JA!“, quietsche ich, springe auf.

„Ich gehe schon mal vor!“, rufe ich über meine Schulter und laufe weg.

Ich höre ihn lachen.

Sicher, er amüsiert sich.

Und ich laufe wie ein gehetztes Tier durch den Wald.

Mit klitschnassen Haaren.

Am Lagerplatz komme ich keuchend zum Stehen.

Takao kommt zu mir, fragt, ob alles in Ordnung ist.

Ich kann nicht antworten.

Ich will nicht schon wieder lügen.

Weiß es doch selber nicht mehr.

Vorsorglich führt Max mich zum Feuer, hält mir eine dampfende Tasse Tee entgegen.

Ich trinke ihn.

Schweigen.

Sie können mir auch nicht mehr helfen.

Müde reibe ich mir die Augen.

Ich kann nicht mehr.

Tala sieht mich besorgt an, fühlt fürsorglich einmal meine Stirn.

„Rei- chan, du solltest dich hinlegen, du hast Fieber!“

Verständnislos sehe ich ihn an.

Fieber? Wovon das denn?

Von meinen Verletzungen? Alle verheilt.

Von unserem anstrengenden Fußmarsch? Ich habe doch schon in der Zwischenzeit geschlafen!

Vielleicht werde ich krank von dem Chaos, tief in mir drin!

Ich denke zuviel nach.

Erst Tala weckt mich aus meinen tristen Gedanken.

Mir ist schlecht.

„Ich werde mich dann wohl besser mal hinlegen…. Dann geht das Fieber schon von alleine wieder weg!“, sage ich leise, rolle mich zusammen.

Niemand protestiert.

Niemand versucht mich zu wecken.

Sie schweigen.

Legen Feuerholz für mich nach.

Immer wieder.

Gehen auch bald schlafen.

Kai kommt auch, wird aber sofort von Tala und Takao fortgeschleift.

Seltsam.

Die Nacht ist grausam.

Schlimmer Erinnerungen durchzucken meinen geschwächten Körper.

Lassen mich diese Qualen noch einmal durchleben.

Ich habe keine Kraft mehr.

Ich kann mich nicht mehr wehren.

Ich muss sie wieder ertragen.

Ich will aufwachen, aber nichts vermag mich aus meinen tiefen Schlummer zu holen.

Bis auf Kai.

Erschrocken reiße ich die Augen auf, als ich fremde Lippen wiederholt auf meinen Lippen spüre.

Jeglicher Schlaf weicht mir aus dem Körper, macht einem ganz anderen Gefühl platz.

Angst.

Ich will das nicht!

„Du hast Fieber, bleib liegen, ich hole dir etwas Wasser!“, schnell verschwindet er aus meinem Sichtfeld.

Angestrengt lausche ich, höre niemanden.

Allein.

Mir ist kalt.

Ich bin durstig.

So schwach.

Kann mich kaum bewegen.

Der Rotäugige kommt zurück, hilft mir auf, gibt mir etwas zu Trinken.

Gierig trinke ich.

‚Mehr!’, schalt es mir durch den Kopf.

Ich will mehr!

In meinem Kopf hämmert es.

Was ist denn nur los mit mir?

Ich fühle mich so elend!

Kais kühle Hand auf meiner Stirn tut gut.

„Es ist gestiegen!“, murmelt er mehr zu sich selbst.

Etwas besorgt sieht er mich an, traut sich gar nicht mich los zu lassen.

Ich versuche zu antworten, doch meine Stimme ist viel zu leise, zu schwach.

Ich brauche mehrere Anläufe, dann endlich gelingt es mir.

„Wo sind die anderen?“

Seufzend wischt er mir die Haare aus dem Gesicht.

„Sie suchen Wasser, etwas zu Essen und Pflanzen gegen dein Fieber!“

Damit hätte ich nicht gerechnet.

Normalerweise lässt man mich sterbend irgendwo liegen.

Will mich einsperren und später töten.

Niemand will bei mir bleiben.

Immer bin ich allein.

Es tut weh anders zu sein.

Fertig mit der Welt, breche ich in Tränen aus.

Ich kann nicht mehr.

Ich muss der Verzweiflung freien Lauf lassen.

Schnell verberge ich mein Gesicht in meinen Händen, schluchze leise vor mich hin.

Jetzt ist eh alles egal.

„Ist es so schlimm, dass die anderen gegangen sind nur ich nicht?“

Kai.

Besorgt hockt er über mir.

Ich kann ihn nur kurz ansehen.

Schäme mich für meine Tränen.

Trotzdem schüttele ich den Kopf, verstecke mich wimmernd.

Ich bin erbärmlich.

Der Rotäugige hebt mich hoch, nimmt mich in den Arm.

„Komm schon, hör auf, du bist ein Junge! Jungen weinen nicht!“, versucht er es, bringt mich aber eigentlich nur noch mehr zum Weinen.

Ich kann einfach nicht mehr.

Ich fühle mich so schwach, wie niemals zuvor.

So angreifbar.

Ich ertrage diese Einsamkeit nicht länger.

Dieses Leben mit Zweifeln, Vorsicht.

Ich will normal sein.

Freunde haben.

Unbeschwert leben können.

Frei sein.

Lange liege ich in Kais Armen und weine, wie ich es noch nie zuvor getan habe.

Doch es tut mir gut.

Auch wenn das Fieber wieder steigt.

Jemand ist da.

Lässt mich einfach mal weinen.

Tröstet mich.

Hält mich.

Er fragt nicht nach.

Ist ruhig und spendet mir nur seine Nähe.

Es beruhigt mich.

„Kai!“, bringe ich schließlich kläglich heraus, presse mein Gesicht näher in sein Shirt, will mich noch weiter verstecken, vor allem, den Menschen, der Welt.

„Ist es wegen deinem Alptraum?“, fragt er dann doch vorsichtig, drückt mich noch mehr an sich.

Leicht nicke ich, schüttele aber doch gleich wieder den Kopf.

„Das war nicht nur ein Alptraum!“

Noch einmal schniefe ich.

„Dann erzähl mir, was dich quält!“, sagt er ruhig und irgendwie sanft.

„Ich kann nicht! Sonst hasst du mich!“, schreie ich, weine wieder.

Ich bin kaputt.

„Ich hass es, dich weinen zu sehen, also entweder du hörst jetzt auf, oder du erzählst mir, warum du weinst!“

Er ist lieb.

Gans anders als sonst.

Er bringt mich zum Lächeln.

Hauchfein und winzig.

Aber es ist ein Lächeln.

„Halt mich!“, wispere ich.

Er kommt sofort meiner Bitte nach.

Überrascht mich mit seiner Zärtlichkeit.

Entspannt schließe ich meine Augen, lasse meinen pochenden Kopf in Kais Halsbeugen sinken.

„Ich bin anders…“, beginne ich, warte auf seien Fragen, aber er schweigt.

„Ich bin normal geboren worden, aber das war es dann auch schon im Punkt normal. Man brachte mich in ein Labor und hat komische Dinge mit mir gemacht.“

Tief muss ich Luft holen, fühle mich schon jetzt erschöpft.

„Was für komische Dinge?“, fragt er skeptisch nach, streichelt beruhigend über meinen Rücken.

„Experimente… Ich bekam zum Beispiel Spritzen. Dutzende. Vitaminspritzen, Spritzen zur Verbesserung der Reflexe, Stärken, Zum Knochenaufbau, Gifte, Antidote und auch tierliche DNA…“

Mein Blick ist leer.

„Sie haben uns untersucht, uns kämpfen lassen gegeneinander, haben uns gefoltert und schließlich entmenschlicht…“

Mir ist so kalt.

Bilder tauchen vor meinen Augen auf.

Bilder von Laboren, glänzenden Knochensägen, Skalpellen, großen Spritzen, welche fürchterlich schmerzten.

Ich spüre kaum mehr die Welt um mich herum.

Bin gefangen in meinem Fluch.

„Und dann wollten sie uns übermenschliche Wesen in den Krieg schicken. Doch am Tag zuvor wurde unsere Existenz gesetzlich verboten. Sie haben manche von uns umgebracht. Manche flohen. Seitdem sind wir auf der Flucht. Unser Verbrechen ist es geboren zu sein…“, meine Stimme erstirbt.

Große, dicke Tränen laufen mir zuhauf die Wangen hinab.

Jegliches Gefühl weicht aus meinem Körper.

Ich bin leer.

„Was für Tier DNA haben sie dir gegeben?“, fragt er mich leise, krault meinen Nacken.

„Gepard, Tiger und ein bisschen Katze…“

Wir schweigen.

Er wird mich los lassen.

Mich abstoßend finden.

Mich körperlich umbringen.

Seelisch bin ich schon tot.

The End

Kapitel 3
 

The End
 

Ich bin eingeschlafen.

Liege fröstelnd am Feuer, fühle mich matschig.

Es ist Abend.

Der Rest unserer kleinen Gruppe ist auch wieder zurück.

Max hält meine Hand.

‚Ich hätte so traurig ausgesehen!’, sagte er auf meinen fragenden Blick.

„Wo ist Kai?“, frage ich kleinlaut.

Vorhin war er noch da.

Bevor ich eingeschlafen bin.

Wieso lässt er mich alleine?

Bin ich ihm also doch zuwider?

„Er ist Kräuter suchen…. Wir haben die falschen mitgebracht…“, gesteht mir Tala, wuschelt mir durchs Haar.

Der Abend verläuft ruhig.

Es gibt Braten.

Ich esse nur wenig.

Takao kämmt mir die Haare durch, gibt sich Mühe mir nicht weh zu tun.

Max brüht mir Tee auf.

Tala und Brian schauen mich nur besorgt an.

Ich weiß nicht, ob es am Fieber liegt, aber ich fühle mich so taub.

Immer wieder schlafe ich ein.

Schrecke dann auf, wie als hätte ich einen Alptraum.

Es soll aufhören.

Doch das tut es nicht, niemals.

Wir reisen am nächsten Tag weiter.

Ich werde mit Fieber Huckepack getragen von keinem anderen als Kai.

Er sagt kein Wort.

Ich auch nicht mehr.

Ich versuche seine Wärme aufzusagen, versuche mich an ihr zu nähren.

Ich schlafe viel.

So vergehen drei Tage.

Bis auf Schlafen habe ich nicht viel gemacht.

Das Fieber ist zwar gesunken, aber immer noch da.

Die Stadt ist noch eineinhalb Tage entfernt.

Am nächsten Tag, ist mein Fieber so weit herunter gegangen, dass ich laufen kann.

Etwas mehr Freiheit.

Trotzdem bin ich geschafft.

Ich rede weniger.

Bin zu müde dazu.

Ich komme mir so nutzlos vor.

Zwei Tage lang hat man mich betüttelt, nun will ich frei sein.

So bin ich am Mittag, nachdem Kai ebenfalls abgehauen ist, einfach ausgebüchst.

Nun genieße ich die Mittagssonne.

Ich brauche Ruhe.

Vielleicht jage ich auch etwas.

Seufzend streife ich durch den Wald.

Eigentlich sollten wir schon heute Abend in die Stadt kommen, Abkürzung sei Dank.

Doch Kai hat plötzlich darauf bestanden, dass wir eine längere Pause machen.

Etwas seltsam.

Dennoch habe ich nicht nachgefragt.

Morgen sind wir also in der Stadt.

Dort trennen sich dann unsere Wege.

Dann verliere ich meine neuen Freunde.

Es macht mich zwar traurig, aber auch etwas glücklich.

Wenigstens habe ich jetzt Freunde.

Ich werde sie wiedersehen, wenn ich es will.

Mit einem Lächeln begrüße ich die Sonne, strecke mich im Licht und fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben glücklich.

Es ist verrückt, aber ich bin glücklich!

Es ist unbeschreiblich.

Unglaublich.

Grinsend hebe ich einen Stein auf.

Der Vogel kommt mir doch gerade recht.

Mit einem gezielten Wurf bringe ich den kleinen Vogel zu Fall, freue mich über meinen Fang.

Das wird mich satt machen.

Eine Brieftaube mit einem Brief.

Es liegt in meinen Genen, dass ich neugierig bin.

„Morgen sind wir in der Stadt.

Er ist ein Katzenmensch.

Keine Gefahr.

Denk an meine 100.000 Taler!

Kai“

Grausam.

Mein Kopf ist wie leer gefegt.

Verdammte Bastarde!!

Erst einen auf freundlich tun, dann mich verkaufen wollen!

Heuchler!

Lügner!

Verdammte Wut steigt in mir auf.

Wie konnte ich so blind sein?

Wie konnte ich so auf ihn hereinfallen?

Kein Wunder, dass er so nett zu mir war!

Kein Wunder, dass er mir zugehört hat!

Gedanklich hat er jedes Mal sein Geld gezählt!

100.000 Taler für ein wertloses Leben, für mein Leben!

Und um mich noch ein bisschen mehr zu quälen, spielen wir doch mit dem kleinen Idioten ein paar perverse Spielchen und machen ihm damit ein paar Hoffnungen!

Freundschaft!

Liebe?!

Ich bin so ein Narr!

Das sind bestimmt alles Kopfgeldjäger, oder sie sind bezahlte Banditen, die für Geld einfach alles tun würden!

Es war so klar!

Ich bin so was von naiv!

Wieso sollte ich auch glücklich sein?

Schieben wir doch eine kleine Nummer mit dem kleinen Teufel, machen wir ihm Hoffnung und dann verkaufen wir ihn, er wird zwar sterben, aber wir hatten ja alle unseren Spaß!

Meine Schritte sind fest.

Ich muss das klären.

Ich stampfe nicht, gehe dennoch energisch zum Lager zurück.

Mein Gesicht ist emotionslos, verbergen die brennende Wut in mir.

Ihr kleinen Bastarde werden euch noch wundern….

„Warum habt ihr nicht aufgepasst? E hatte nicht alleine weglaufen sollen!“, brüllt Kai.

Kurz beobachte ich den Streit, spüre dieses wehleidige Ziehen in meinem Herzen, aber ignoriere es.

Ihr habt mich zum Narren gemacht.

Nun bekommt ihr die Quittung.

„Ich bin hier!“, sage ich laut und trete aus dem Schatten der Bäume.

Alle Blicke sind auf mich gerichtet.

Max und Tala laufe auf mich zu, wollen mich in den Arm nehmen, doch ich weiche aus.

„Was ist den los, Rei-chan?“, fragt der Rotschopf.

Schnell bildet sich um mich ein kleiner Kreis.

Fest sehe ich ihnen in die Augen.

Die Wut macht mich stark.

Ich krame den Zettel aus meiner Tasche, werfe ihn zerknüllt dem blauen Streifenhörnchen an den verdammten Schädel.

„100.000 Taler sind ein echter Dumpingpreis für so etwas wie mich. Da wären locker 200.000 Taler drin gewesen!“

Sofort erbleicht Kai, sucht fieberhaft nach einer Ausrede.

Die anderen glotzen nur blöde, machen mich nur noch wütender.

„Ich schätze mal, unser Deal ist hiermit nichtig, Kai!“

Sag was, verdammter Feigling!

„Du hattest Spaß genug, nicht wahr?“

Verdammtes Arschloch, sag etwas!

„Was ist überhaupt hier los, Rei? Wieso solltest du so viel Geld kosten? Ich verstehe gar nichts mehr!“, völlig konfus schüttelt Max den Kopf.

Nicht schwach werden.

Nicht Gefühle entwickeln.

Es ist vorbei.

„Du willst wissen, warum ich so viel Geld wert bin? Ich wurde gezüchtet um in den Krieg zu ziehen und als Übermensch zu gewinnen. Deswegen will man mich lieber umbringen. Leute wie ihr macht Jagd auf Leute wie mich und so verdient ihr euch euer Geld. Indem ihr mich tötet. Pech nur, dass das dieses Mal nicht ganz so abläuft!“

Es tut weh.

„Was soll das heißen?“, fragt Kai plötzlich.

Sobald es um sein Geld geht, findet er also seine Sprache wieder.

Oder ist es, weil ich dieses Mal die Macht habe?

Wissen ist Macht.

Ich durchschaue ihn, er mich aber nicht.

Ich trete einen Schritt zur Seite.

„Ganz einfach! Ihr meint, ihr könntet einen auf guten Freund machen und mich in die Stadt bringen, dann verkauft ihr mich.

Falsch gedacht! Ich gehe nicht mit euch. Ich verlasse euch hier und jetzt.“

Man starrt mich an, als wäre ich ein Pferd.

Das hätte ihr nicht gedacht.

Euer kleines Haustier Rei wird widerspenstig.

„Rei, was…?“, bringt Takao mühsam hervor.

„Ich gehe!“, wiederhole ich genervt.

„Wohin?“, fragt Kai hellhörig.

Ja, das willst du wissen!

Dem geht es ja nur um das scheiß Geld!

Rei nicht in der Stadt gleich Kai hat kein Geld.

Einfache Rechnung.

„Ich gehe in die Stadt!“

Alle schauen mich entgeistert an.

Ein herrlicher Anblick.

„In die Stadt? Bist du wahnsinnig?? Die warten doch nur auf dich und bringen dich gleich um!“

Man Kai sich Sorgen?

Sorgen um sein Geld.

Ein bitteres Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.

„Deswegen gehe ich da ja hin!“

Vielleicht bin ich ja blöd.

Aber ich bin es so leid.

„Rei, spinnst du??“, sofort schüttelt Tala mich durch.

Soll er doch.

Es ist mir egal.

„Ich bin es leid! Wenn ich so meine Ruhe bekomme, dann sterbe ich eben!“

Mein Leben ist mir egal.

Leben, was heißt das schon?

Mein leben bestand nur aus Flucht, Hass und Enttäuschung.

Ich will nicht mehr.

Es ist genug.

Ich hatte gehofft und nun liegt mein Inneres wieder in Scherben.

„Rei, dass kann nicht dein Ernst sein!“, geschockt flüstert Max, steht den Tränen nahe.

„Es ist aber mein Ernst! Es will mich doch sowieso jedermann tot sehen, also warum nicht ihren Wunsch erfüllen?“

Ich bin kalt, völlig emotionslos.

„Wir wollen aber nicht, dass du stirbst!“, brüllt ausgerechnet Brian, packt mich am Handgelenk.

„Aber ihr wolltet mich verkaufen, das wäre mein Tod gewesen.“

Sofort lässt er mich los, starrt Kai mit bösen Blicken an.

„Das hat Kai so geplant!“

„Aber er ist euer Anführer und ihr tut, was er euch sagt, denn ihr erfüllt Aufträge für Geld, oder irre ich mich?“

Alle erbleichen.

Kai taumelt einen Schritt zurück.

„Ihr kriegt euer Geld dieses Mal nicht. Das Ungeheuer stirbt und ihr geht leer aus!“

Noch einmal lächle ich triumphierend.

Dann drehe ich mich um und gehe, gehe geradewegs in mein Verderben.

Niemand hält mich auf.

Ich hätte es auch nicht erwartet.

„Kannst du mir mal erklären, wie du auf diese schwachsinnige Idee gekommen bist, Kai?“, brüllt Brian, packt seinen Anführer am Kragen.

„Lass mich los!“

Doch er tut es nicht.

„Wieso?“, fragt nun auch Max, kämpft mit den Tränen.

„Ich sagte: Lass mich los!“

Niemand hilft.

„Er war nett! Tüchtig, anständig, fleißig und er hat so was absolut nicht verdient!“, kreischt Tala.

„Lasst mich in Ruhe, ihr versteht das nicht!“

„Wir verstehen was nicht? Dass du ein geldgeiler Sack bist? Dass du kein Herz hast? Wie konntest du ihm das antun? Wir dachten, du magst ihn auch! Du hast ihn schließlich gleich abgeknutscht!“, mischt sich nun auch Takao ein.

„Ihr habt es gesehen??“, fragt der blau- grauhaarige leicht hysterisch.

„Was hättest du denn getan an meiner Stelle!? Er war einer von denen, das ist leicht verdientes Geld! Ich hab mir nichts dabei gedacht, ich kannte ihn schließlich nicht mal!“

Brian drückt fester zu, „Spätestens nach eurem Kuss, hätte ich diesen beknackten Vertrag aufgelöst!“.

„Das ging doch nicht! Der Kunde wollte ihn, verstehst du das denn nicht? Er wird nicht ohne Grund gejagt, er ist gefährlich!“

„Du versuchst dich doch nur rauszureden! Rei ist nicht gefährlich! Er ist völlig harmlos! Nicht er ist das Monstern, sondern du! Hast du kein Herz?“, wettert Tala, pickst seinem großen Anführer in die Brust.

Der große Anführer.

Nun schweigt er, fühlt sich ganz klein.

Das schlechte Gewissen nagt an ihm.

Seine Freunde sind gegen ihn.

Er ist ganz allein.

Ein Feigling.

Ein Schuft.

„Willst du ihn wirklich ins Verderben laufen lassen, Kai?“, fragt schließlich Tala einfühlsam, befreit seinen großen Anführer aus dem Griff seines Freundes.

„Was soll ich denn tun? Er hat sich entschieden!“

Seufzend schütteln die beiden Jüngeren die Köpfe.

„Also wirklich Kai,…“, beginnt Takao, „… Er ist doch nur gegangen, weil er verletzt ist! Verstehst du denn nicht, dass Rei am Ende ist? So oft wurde er schon verraten…“, endet Max.

Schweigen.

Die Stadt liegt in einem atemberaubenden Rot vor mir.

So schön rot.

Hier geschieht es.

Hier sterbe ich.

Tief atme ich die klare Luft ein.

Mein letzter Atemzug in Freiheit.

Ich bin leer.

Mit wiegenden Schritten betrete ich die Stadt.

Tarne mich ein letztes Mal als einer von ihnen.

Ohne Angst.

Ohne Gefühl.

Meine Beine führen mich zum Rathaus.

Hier beginnt meine Show.

Mit einem gewaltigen Satz springe ich auf das Dach des Rathauses, zeige dem erschreckten Menschen meine längeren, spitzen Zähne, meine zu Schlitzen verengten Augen.

Ein leises Fauchen dringt mir aus der Kehle.

„Ein Monster!“, schreit eine hysterische Frau.

Ein Mann schmeißt sein Obst nach mir.

Mit eleganten Sprüngen lande ich wie eine Katze auf dem Kirchturm.

Gerade jetzt fängt die Glocke an zu läuten, macht mich fast taub.

Hektik bricht im Dorf aus.

Die Stadtpolizei stürmt zur Kirche.

Man beschmeißt mich.

Man brüllt mich an.

Monster, Ungetüm, Bastard.

Die üblichen Vokabeln.

Ich spüre keine Angst.

Ich habe eh schon verloren.

Vor viel zu langer Zeit, als ich geboren wurde.

Ich kann nicht mehr zurück.

Verloren bin ich, seitdem ich in rotbraune Augen blickte und ihnen geglaubt habe.

Ich schließe meine Augen, lasse mich nach vorne vom Dach fallen, werde von der tobenden Menge aufgefangen.

Sofort kriege ich Prügel.

Man spuckt auf mich.

Beschimpft mich weiter.

Es ist mir egal.

Bringt diesen Körper um, die Seele, das Herz, beides ist schon zerstört.

Ich werde in einen Käfig geschmissen.

Schnell wird entschieden, was mit mir getan werden soll.

Kopf ab.

Kein schlechter Tod.

Seufzend schaue ich in den Himmel.

Ein Stern, der mich versucht zu trösten.

Zu spät.

Man lässt mich schmoren.

Im Käfig gefangen, den Blicken aller ausgesetzt.

Das Volk darf gaffen.

Kann mit Gemüse nach mir schmeißen.

Es ist mir egal.

Ich habe genug von diesem schmerzhaften Leben.

Falsche Freunde.

Heuchelei.

Sogar der Junge in dem ich mich gerade zu verlieben begann, hat mich nur betrogen.

Wahrscheinlich ist er jetzt sauer.

Schreit Takao und Max an, weil sie nicht ruhig sind.

Takao und Brian versuchen zu kochen.

Betonung liegt auf versuchen.

Ich muss schmunzeln.

Sie waren nett.

Nett und falsch.

Ich weiß nicht, was mehr wehtut.

Doch, eigentlich weiß ich es.

Ich war glücklich und plötzlich innerlich tot.

Ich kann ihnen nicht böse sein.

Es ist nicht ihr Problem, dass ich so naiv bin.

Seufzend starre ich in die dunkle Nacht hinaus.

Wie gerne wäre ich ein Stern.

Wie gerne würde ich diesen ganzen Schmerz nicht mehr spüren.

So oft betrogen.

Ich kann nicht mehr.

Ich bin zu feige es selbst zu tun, also lasse ich die Menschen ihre Hände schmutzig machen. So wie sie auch für mich Monster sind, lasse ich sie mich Monster töten.

Es ist völlig egal, wer am Ende das Monster ist, einer muss sterben in diesem Spiel namens Leben.

Ich gebe auf.

So einfach ist das.

Trommeln ertönen, Fackeln leuchten mir den Weg.

Die Menge teilt sich, als ich gefesselt durch sie hindurch geführt werde.

Ich bin taub.

Höre ihre Beleidigungen gar nicht mehr.

Mühsam setze ich einen Fuß vor den anderen.

Es ist doch Angst einflößender, als ich dachte.

Man hat mir zu Ehren ein Podest aufgebaut.

Direkt vor der Kirche.

Der rachsüchtige Gott sieht auf mich herunter.

Lacht mich ruhig aus, so wie es der heilige Gott tut.

Ich bin der Teufel.

Kaum betrete ich das Podest, ertönt wildes Geschrei.

Unsanft werde ich in die Knie gezwungen.

Warte nur auf die schwingende Axt.

„Schlagt ich ab!“, ruft das Volk.

Diesmal schließe ich meine Augen nicht.

Bisher habe ich es immer getan, wollte nichts mehr sehen.

Dieses Mal will ich sterben.

In einer leicht demütigen Haltung warte ich auf den Schlag.

Die lassen sich ganz schön Zeit, wollen die die Spannung heben?

„Bist du bereit zu sterben, Sohn des Satans?“, fragt mich der Dorfvorsteher, hält in seinen Händen eine schwere Axt.

„Nun mach doch mal hinne…“, murmele ich leise und seufze.

Man hört mich nicht.

Mir auch egal.

Man zählt rückwärts.

Bei eins sehe ich die kräftige Bewegung, endlich schwingt die Axt, trennt meinen schmerzenden Kopf von meinem lästigen Körper.

Ich bin allein…

Kurz bevor das kalte Metall meinen Hals erreicht, werde ich zur Seite gerissen, an einen Körper gedrückt und plötzlich ist alles ganz still.

Was soll das?

„Was erlaubst du dir?“, schreit mein Mörder.

Mein Herz rast.

Als müsste es jetzt alle Schläge auf einmal nachholen.

Zaghaft hebe ich meinen Kopf an.

„Was soll das?“, kreische ich ihn an.

Ich will nicht.

„Wie, was soll das? Ich rette dir hier dein Leben, du Vollidiot!“

„Ich habe dich nicht darum gebeten!“, schreie ich zurück, kämpfe mit den Tränen.

Ich versuche mich, trotz Fesseln, zu befreien, doch er hält mich fest, dieser verdammte Kai.

„Rei!“, höre ich meinen Namen im Echo.

Tala, Brian, Max und Takao stehen vor mir, versuchen die Menge von mir fern zu halten.

Was soll das?

Kai entfernt mir die Fesseln.

Sofort springe ich ihn an, packe ihn am Kragen, schüttele ihn.

„Was soll das? Reicht es dir denn nicht, zu was du mich gebracht hast? Verschwinde und lass mich in Ruhe!“

Rotbraune Augen sehen mich zweifelnd an.

„Ich rette dir hier dein Leben!“, sagt er ruhig, schiebt mich ohne große Mühe von sich herunter.

„Nachdem du es verkaufen wolltest?“

Er hält mich fest, zerrt mich vom Platz.

Weg von der Meute.

In den tiefen Schatten zweier Häuser.

Ich versuche mich zu wehren, aber besonders kräftig bin ich nicht.

Mir geht es schlecht.

„Rei, komm schon, stell dich nicht so an!“, zischt er, zerrt weiter an meinem Handgelenk.

„Ich stell mich aber an!“, fauche ich zurück, werde im nächsten Moment gegen die nächste Wand gepresst.

Kurz wird mir schwarz vor Augen.

„Lass mich los!“, flüstere ich, versuche die blöden Sternchen los zu werden.

„Es tut mir Leid, Ok?“, sagt er leise und wischt mir über die Wange.

Tränen. Ich weine?

Geschockt starre ich auf seine Hand, kann es selbst nicht glauben.

„Ich hab nicht nachgedacht… Ich wollte nicht, dass du stirbst!“

Seine Stimme ist ganz sanft.

Ganz anders als ich sie in Erinnerung habe.

Ich starre ihn einfach nur an.

Was soll das?

„Ich musste herkommen und dich retten, also hör bitte auf zu weinen…“

Wieder wischt er mir über die Wange, streichelt sie.

Warum ist er nur so zärtlich zu mir?

Er soll aufhören.

„Wieso?“, schniefe ich, beiße mir die Unterlippe blutig in der Hoffnung, dass ich aufhöre zu weinen.

„Weil ich mich entschuldigen musste und weil ich… dich nicht so leicht gehen lassen konnte…“

Ein schiefes Lächeln bildet sich auf seinen Lippen.

Ich spüre den Kloß in meinem Hals.

Möchte am liebsten irgendwo anders sein.

„Ich hatte gehofft, dass du mir irgendwie verzeihst…“

Wieder kommt er mir näher.

Ist noch sanfter zu mir.

„Wieso tust du das?“, hauche ich, sehe ihn verzweifelt an.

„Weil ich einen Fehler begangen habe… Und weil ich dich nicht verlieren möchte. Ich mag dich, verstehst du?“, fragend legt er den Kopf schief.

„Nein, ich verstehe nicht!“, schluchze ich laut und lasse den Tränen freien Lauf.

Ich bin verwirrt.

Ich bin völlig durcheinander.

“Rei…“, haucht er, beugt sich zu mir herunter, langsam, bedacht, dann küsst er mich, leckt mir das Blut von den Lippen.

Wieder bin ich vollkommen erstarrt.

Aber das Chaos legt sich ein kleines bisschen.

Erst als er sich von mir löst, fällt mir auf, dass ich meine Augen während des Kusses geschlossen hatte.

Fragend sehe ich ihn in sein verträumtes Gesicht.

„Komm schon, Rei… Das musst du doch verstanden haben!“, er lächelt, macht mich wahnsinnig.

„Mir ist schwindlig…“, nuschele ich noch, verliere dann den Halt.

Nichts gegessen.

Nichts getrunken.

Viel Stress.

Viel Schmerz.

Ich brauche Ruhe.

„Dann fang ich dich auf…“, flüstert Kai, nimmt mich auf seine Arme und macht sich mit mir aus dem Staub.

Wir verlassen das Dorf.

Reden kein Wort miteinander.

Ich versuche das Chaos zu beseitigen.

Auf einer Wiese lässt er mich herunter, reicht mir eine Feldflasche voll Wasser.

Dankend trinke ich ein paar Schlücke.

„Du musst dich ausruhen, Rei. Die haben dich ganz schön in die Mangel genommen und du warst vorher auch noch geschwächt…“

Vorsichtig tastet er meine Verletzungen ab, verbindet sie, falls nötig, kümmert sich um mich.

Ich trinke von dem Wasser, will nicht reden, will nicht, ach, ich weiß gar nicht mehr, was ich will.

Seufzend starre ich in die Nacht.

„Die anderen kommen gleich nach, sie klauen sich noch zu Essen und so was…“

Ich nicke müde.

Es wird ihnen schon nichts passiert sein.

„Was soll ich denn jetzt machen?“, frage ich eher an mich, ziehe Kais Aufmerksamkeit vollkommen auf mich.

„Na ja, du könntest erstmal ein bisschen ausruhen und dann könntest du mit mir… mit uns weiterreisen…“

„Und dann verkauft ihr mich…“, setzte ich traurig fort.

Er nimmt mich in den Arm, streicht mir über die geschundene Lippe.

„Nein, das werde ich nicht…. Ich mache so einen Mist nie wieder, versprochen! Wir reisen mit den anderen Idioten einfach um die Welt und niemand tut dir mehr etwas, okay?“

„Wen nennst du hier Idiot?“, bläfft Takao mit vollem Mund.

„Halt die Klappe, Takao!“, faucht das Streifenhörnchen.

„Wah, Kai hat wieder gute Laune, wie unheimlich!“, grinst Tala, zieht seinen Brian hinter sich her.

„Ach haltet doch alle die Klappe!“, zischt Kai noch ein letztes Mal, dann schmollt er vor sich hin.

Irgendwie muss ich schmunzeln.

„Aber Rei, in einer Sache hat er Recht: Reist du nun mit uns weiter? Ich schwöre auch, dass ich auf dich aufpasse!“, fragend sieht mich Max mit seinen blauen Kulleraugen an.

Seufzend ergebe ich mich meinem Schicksal.

„Okay…“, antworte ich leise, lasse den Kopf etwas hängen.

Die anderen, bis auf Kai, führen einen kleinen Freudentanz auf, sind ganz aus dem Häuschen.

„Aber ich habe jetzt Hunger, also bringt mir etwas, dass ich zubereiten kann, denn euer Fraß bringt mich nur um!“

Meine Pechsträhne ist vorbei.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (6)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Ciura
2009-07-04T19:16:23+00:00 04.07.2009 21:16
>///<"
oha~
das war ein schön langes und intensives Kapitel, bzw ending~
meiner Meinung nach!
Ich finds gut, dass Kai Ray doch noch rausgeholt hat, das war jawohl mal mehr als knapp... *fiep*
Und ich bin froh, dass sie ihn jetzt voll aufnehmen XDD
Max ist ja wieder sooo süß~ *g*
ist ja neben ray mein lieblingschara, von daher XP

Ich würde mich darüber freuen, wenn du mir bei deiner nächsten FF wieder bescheid geben könntest? *g*
GLG Ciura
Von:  Yukitohana
2009-06-28T17:19:18+00:00 28.06.2009 19:19
Ja armer Ray.
Aber ich meag sie haste toll geschrieben freue mich schon drauf wenns weiter geht.

Von:  NekoReen
2009-06-16T06:08:03+00:00 16.06.2009 08:08
*schnief*
Der arme Ray
Er kleine tut mir echt leid

Das Kapitel ist toll geworden. Ich mag Tala. villeicht solltest du wirklich noch einmal schreiben, wann es genau passiert. Da ja die rede von Laboren aber gleichzeitig klingt es in deiner Geschichte mehr nach einer früheren Zeit.

Aber sonst ein tolles Kapitel. Ich freue mich schon auf das nächste

Neko
Von: abgemeldet
2009-06-14T09:54:58+00:00 14.06.2009 11:54
Heyhey,
endlich komm ich dazu... sorry!
Du hast einen sehr ungewöhnlich Schreibstil, so anders, aber erfrischend. Manchmal lässt du durch deine kurzen Hauptsätze doch sehr viel passieren, es wird in dem Sinn Spannung aufgebaut, was selten in eine Art Unruhe beim Lesen führt (zumindest bei mir...). Es reist mich einfach mit und als Leser komm ich nicht dagegen an!

Was ich verwirrend fand, waren Reis Ohnmachten. Durch das häufige Aufwachen und in Ohnmacht-fallen hast du mich dann zum Schluss hin doch sehr irritiert, da es nicht so ersichtlich war. Ich würde da Absätze einbringen, das erhöht die Übersichtlichkeit zwischen den Wachphasen.
Zum Beispiel auch das mit dem Henker, woran merkt Rei, dass der lieber abhaut(Geruch, Hörsinn)?

Die ganze Einleitung ist ansonsten von der Geschichte her sehr gut gelungen, macht Vorfreude auf mehr.
Weiter so!!! Du hast deinen Weg gefunden.
Mianchan
Von:  Ciura
2009-06-09T09:49:45+00:00 09.06.2009 11:49
*ieks*
das ist tooooool~~
gibst du dann auch nochmal an, zu welchem zeitalter das ganze spielt? XD~
hört sich so Mittelaltermäßig an oder sowas~ *g*
du hast ray cool dargestellt und kai ist wie immer extrem faszinierend~
Somit bin ich auch jetzt schon Fan von der Story *lach*
Und bemühe mich zu kommentieren, ne?
XDD
GlG Ciura
Von:  NekoReen
2009-06-09T07:09:57+00:00 09.06.2009 09:09
erste^^
Ich muss sagen der anfang hört sich interesannt an. Ich mag dein Schreibstyl. Hoffentlich kommt bald das nächste Kapitel raus. Ich freue mich schon drauf

Mau


Zurück