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Rampenlicht

von

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Mello war fünf, als er entdeckte, was Rivalität bedeutete.
 

Das ist ein Hemingway“, prahlte Mello und fuchtelte energisch mit einem dünnen Buch vor Nears Gesicht herum. „Hab ich gelesen. Gestern.“

Near saß mit ausdruckslosem Gesicht auf dem Boden und schichtete gelassen Bauklötze aufeinander. Der aufgebaute Schutzwall war jedoch nicht hoch genug, um ihn vor Mellos Blicken versteckt zu halten, und genau deshalb war er nun in dieser altbekannten Situation: Inmitten eines Haufen Spielzeugs, vor ihm Mello, der ihn wütend anstarrte, und Matt, der gutmütig daneben stand.
 

Er setzte einen weiteren Klotz auf den Wall, um mit dem Bau des Wachturmes zu beginnen. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass der halbe Wall anschließend auf ihn einbrechen würde – obwohl er es hätte sollen. Near hob den Kopf und sah dem Verursacher des Einsturzes missmutig ins Gesicht. „In Ordnung, Mello.“
 

In Ordnung?“ Mello stieß ein verärgertes Fauchen aus und trat ein weiteres Mal auf die Bauklötze ein. „Ist das alles, was du sagst?!“
 

Near legte den Kopf schief und sah ruhig in Mellos vor Wut funkelnde Augen. Es war erstaunlich, wie leicht er sich aufregte, und irgendwie lustig, dass es ihm nur bei Near so erging. Er hätte sich geehrt gefühlt, wenn nicht immer seine Burgen darunter leiden müssten.

„Eigentlich schon.“
 

„Oh, du blöder – du – du Blödmann!“, schimpfte Mello und stampfte auf ein paar weitere Spielzeuge. Das war befriedigender, als lediglich auf den Boden zu stampfen, und sah auch weit weniger trotzig aus, fand Mello. Immerhin war Mello der Erwachsenere, Klügere, Bessere von beiden, auch wenn Near das nicht einsah.
 

„Und du“, fuhr er schließlich fort, nachdem er den Pfad seiner Zerstörung unterbrochen hatte, „und du spielst mit Bauklötzen.“
 

„Ja, Mello.“ Near versuchte unauffällig, ein paar der Spielzeuge zu Seite zu schieben. Er hatte keine emotionale Bindung zu ihnen, aber sie waren verflucht teuer. Es würde ewig dauern, sie wieder zu bekommen.
 

„Mann, kapierst du denn nichts?!“ Frustriert beförderte Mello einen der Roboter mit einem gezielten Tritt ins Spielzeugnirwana, aber das reichte nicht, um seinem Unmut Luft zu machen. „Ich lese ein Buch. Ein literisches Meisterwerk. Und du spielst mit Bauklötzen und Robotern und Puzzles und... und komischen Würfeln!“
 

„Du meinst literarisch“, korrigierte Near monoton.
 

„Hab ich doch gesagt, Klugscheißer. Im Gegensatz zu dir lese ich.“
 

„Ich bin drei Jahre alt, Mello. Es ist völlig adäquat, mich mit Spielzeugen zu beschäftigen.“
 

„Ach... halt die Klappe, ja?!“
 

„Das reicht, Mello“, fuhr Matt nun dazwischen. Matt wusste, wann er den Streithahn – Streithähne wäre unpassend gewesen, wenn man bedachte, dass Mello generell damit anfing – zur Ruhe bringen musste.
 

„Aber-“
 

„Kein aber. Wir gehen rüber, okay? Ich hab auch Schokolade“, murmelte Matt in verschwörerischem Ton.
 

„Scheiß auf Schokolade“, maulte Mello düster. „Warum ist der die Nummer eins? L braucht keine Spielzeugspinner!“
 

Near überhörte das Gezanke; es war einfacher, Mello auszublenden, wenn dieser nicht mehr auf ihn fixiert war. Langsam machte er sich stattdessen daran, seinen Wall wieder aufzubauen - bis Mello wiederkommen würde.
 

Mello war zehn, als ihm klar wurde, dass die Zuneigung mancher Menschen nicht bedingungslos war.
 

„L kommt, L kommt!“ Das aufgeregte Wispern und Tuscheln der anderen Kinder verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Mello davon Wind bekam, und nun stand er nervös neben Matt in einer Reihe aufgeregter Kinder. Natürlich gestand er sich nicht ein, nervös zu sein, aber Matt wusste es besser. Aufmunternd klopfte er Mello auf die Schulter. „Bleib locker, Mann. Kein Grund zur Aufregung, okay? Er kommt nur zu Besuch, schon vergessen?“

Mello warf seinem Freund einen zweifelnden Blick zu. Natürlich versteckte er seine Zweifel unter einer Maske erhabener Selbstgefälligkeit – so erhaben, wie ein Zehnjähriger eben sein konnte – und zuckte nur die Schultern. „Ich bin nicht nervös.“

Matt grinste schief. „Alles klar.“
 

Das Tuscheln wurde zu einem Raunen, als eine lange, schwarze Limousine vor den Toren des Waisenhauses vorfuhr. Es war das erste Mal, dass die meisten von ihnen den legendären L zu Gesicht bekamen, und das sorgte selbstverständlich für Furore. Mello gab es ungern zu, aber auch er war gespannter, als er sich eingestehen wollte.
 

Schließlich stand er da. In einer abgetragenen Jeans, einem weiten, weißen Pullover und barfuß, mit einer Haltung, die jedem Orthopäden Kopfschmerzen verursacht hätte. Statt irgendetwas zu sagen, irgendwie auf die aufgeregten Jungen zu reagieren, taxierte er die Kinder nur mit emotionslosen Blicken und wandte sich dann an Roger, den Leiter des Waisenhauses, der versucht hatte, die Aufregung nicht ausarten zu lassen. „Welcher ist es?“, fragte L scheinbar teilnahmslos.
 

Roger blickte L einen Moment lang gedankenverloren an, räusperte sich dann aber. „Near“, antwortete er. „Near, komm mal her“, rief er in die Reihe gespannter Kinder und wandte sich dann schließlich wieder an L.

Mello bekam von dem anschließenden Gespräch jedoch nicht viel mit. Der sagenumwobene L, der Detektiv, der all das war, was er je sein wollte – er unterhielt sich gedämpft mit Roger, wandte sich an Near und bedeutete Roger schließlich, dass er sich mit dem Jungen unterhalten wollte. In Ruhe, wie es schien, denn die anderen Kinder wurden letztendlich wieder hineingescheucht.
 

Mello starrte im Innern des Hauses nur vor sich hin, aber Matt spürte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. So war Mello. „Mello?“, fragte er vorsichtig und legte eine Hand auf seine Schulter. „Alles okay?“
 

„Natürlich“, gab der Angesprochene unwirsch zurück und fegte achtlos die Hand weg. „Warum auch nicht.“

Es war keine Frage, aber es klang dennoch unsicherer, als es hätte klingen sollen. Matt war vielleicht nicht unbedingt der genialste Bewohner des Waisenhauses, aber zumindest feinfühliger als die meisten von ihnen.
 

„Er hat’s bestimmt nicht so gemeint“, sagte Matt, und Mello platzte der Kragen.

„Ist mir doch scheißegal, Mann! Was interessiert mich, ob der große, tolle, geniale L sich um Near kümmert, hm? Was interessiert’s mich?!“
 

Matt hob abwehrend die Hände. „Okay, okay, verstanden. Sorry.“
 

„Sollen sie doch puzzlen“, murmelte Mello leise, und in diesem fast unhörbaren Satz steckte mehr Hass als in jedem seiner berühmten Wutausbrüche. Matts Innereien verdrehten sich schmerzhaft, als er den verletzten Ton in Mellos Stimme hörte, aber es war egal, was er sagte. Es würde nichts ändern.
 

Mello war fünfzehn, als er verstand, wo er hingehörte.
 

„Near.“ Mello stand vor ihm und betrachtete seinen Rivalen, der gerade seelenruhig einen Turm vor sich hinstapelte, mit offenkundiger Abscheu.

„L ist tot und du spielst mit deinem verdammten Kinderkram?!“ Es war ersichtlich, wie sehr Mello dieses gleichmütige Verhalten auf die Palme brachte. Near kümmerte sich nicht darum; es würde nichts an Ls Tod ändern, wenn er sich wutentbrannt auf die nächstbeste Person stürzte, um seine Wut an ihr abzulassen. Es war egal, was er tat, also konnte er auch das tun, was er am besten tat. Mello verstand das nicht, aber Mello war nie gut darin gewesen, andere zu verstehen.
 

„Offensichtlich, Mello.“ Mehr antwortete Near nicht, und es trieb Mello in den Wahnsinn. Egal, was er tat, er bekam nie mehr aus Near heraus, nie mehr als ein paar desinteressierte Floskeln. Near schien alles egal zu sein; dass L tot war, dass niemand wusste, wer sein Nachfolger würde, selbst, dass er immer der Bessere gewesen war. Near war völlig gleichgültig, und Mello war gerade verdammt wütend.
 

Aber er wusste, dass er gehen würde. Das hatte er schon mehr als genügend verdeutlicht, und jetzt, jetzt versuchten sie, ihn zum Bleiben zu bewegen. Jetzt war er der Mittelpunkt des Interesses, jetzt kümmerte man sich darum, was Mello tat. Jetzt, wo es nicht mehr wichtig war.

Nur Near war genau wie vorher. Near schien es so egal wie immer zu sein, was Mello tat, und es ärgerte und beruhigte ihn gleichermaßen.
 

Jetzt, zum ersten Mal, stand er im Rampenlicht.

Aber – er wusste nicht, ob es das war, was er wollte.

Doch jetzt... war es endgültig zu spät.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  DKelli
2009-11-12T12:19:06+00:00 12.11.2009 13:19
Hallöle!
Bin durch viele Irrungen und Wirrungen hier gelandet - und musste sie einfach mal durchlesen.
Da ich sie vorerst nicht so noch einmal lese (was ich meist tue, damit ich einen besseren Eindruck hab) liegt daran, dass die Story mit diesem Gefühl des ersten Lesen bleiben soll; die FF ist wirklich klasse.
An einigen Stellen musste ich echt lachen, auch wenn es nicht unbedingt deine Absicht war...?
Mellos Charakter hast du wirklich auf den Punkt getroffen und um ihn zu untermalen noch Matt (obwohl man nicht allzu viel von ihm weiß) dazu genommen, was die Figur dem Leser gut nahe gebracht hat. Auch Nears Reaktionen und Gedankenfetzen sind ganz nach der Death Note- Story.
Da die originale Death Note - Story ja ziemlich trocken teilweise ist, hast du mit deinem Schreibstil viel Leben und Witz eingebracht, aber es geschafft, den Ernst am Ende der Geschichte zu erhalten, was einen großen Pluspunkt gibt.
Rechtschreibfehler hab ich eigentlich keine gefunden... darum gibt es eigentlich nichts zu meckern.^^

Wirklich tolle Fanfiction, ich setzte sie auf meine Favo-liste.
Mach weiter so!

MfG,
DT
Von:  koenigin
2009-08-23T05:08:52+00:00 23.08.2009 07:08
Ich kann mich meinen beiden vorposter nur anschließen. Dein ff ist einfach nur wunderbar geworden. Dein Schreibstil und die Story - einfach nur toll *_*
Von:  cork-tip
2009-07-05T10:31:08+00:00 05.07.2009 12:31
Vulkan-chan hat Recht, es ist wirklich schade, dass hier kaum jemand kommentiert. Deshalb agiere ich heute nicht als Schwarzleser.^^ Allerdings bleibt mir kaum etwas zu sagen, was nicht schon gesagt worden ist. Ich mag die Story und finde, dass du vor allem Near richtig gut getroffen hast. Hab mich gefreut, als ich hierher gefunden habe, weil ich auf der Suche nach einer FF war, die wirklich gut gemacht und demzufolge lesbar ist. Von der Sorte gibt es in letzter Zeit einfach zu wenig.^^"
Gruß
Von:  vulkan_chan
2009-05-30T21:20:21+00:00 30.05.2009 23:20
Ob ich eine Geschichte gut finde oder nicht, hängt bei mir zu 70% vom Schreibstil ab, zu 20 von der umgesetzten Grundidee und zu 10 von Serie, Genre etc.
wenn ich dir jetzt also sage, dass du mich zu 100% überzeugt hast, meine ich damit, dass ich von deinem Stil restlos begeistert bin. du kannst wirklich sehr sehr gut schreiben.
auch hat mir die Art und Weiße der Gliderung sehr gut gefallen. Es war originell und machte aus dem ganzen eine rune sache.
wenn ich ehrlich bi, frage ich mich wirklich, wieso du bisher keinerlei kommentare erhalten hast. Die FF ist großartig! und deswegen hoffe ich, dass es noch der ein oder andere Schwarzleser schafft, dir das mitzuteilen.


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