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Quo vadis?

von

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¡Perdóname!

Viele würden über Belas Verhalten denken, dass Farin ihm egal sei. Dass dieser doch sowieso nur noch ein Arbeitskollege für ihn sei und ihn es deshalb nicht kümmerte, wie es diesem gerade ging. Aber in Wirklichkeit hatte der Schlagzeuger einfach nur Angst. Angst, seinen langjährigen besten Freund zu verlieren. Klar hatte ihre Freundschaft im Lauf der letzten Jahre etwas an Bedeutung verloren, aber dennoch waren sie noch immer so etwas wie Seelenverwandte. Sie wussten, was der andere sagen wollte, auch wenn dieser es nicht in Worte fassen konnte. Sie kannten sich einfach und hatten bisher kein Problem mit all den Macken des anderen.

Aber jetzt, wo das Yin zu seinem Yang todkrank war, konnte er ihn nicht einfach besuchen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, weil er die vergangen zwei Jahre mehr damit verbracht hatte, sich mit Farin zu streiten, als etwas mit ihm zu unternehmen. Er hatte diese kostbare Zeit einfach vergeudet. Außerdem wusste er nicht, wie er das Ganze noch einmal durchstehen sollte. Er hatte erst vor kurzem jemanden, der ihm sehr nahe stand, durch Krebs verloren, er würde es nicht ertragen können, wenn sein Jan ihn auch noch verlassen würde. Nicht der, dessen Lebensstil gesünder war, als bei manchem Profisportler.
 

„Weißt du was Neues von Bela?“, fragte der Hüne Rod, als der Chilene seinen Freund wieder einmal im Krankenhaus besuchte und all die Fragen über den Gesundheitszustand und der Therapiepause beantwortet waren. Die beiden hatten bis eben auf dem Balkon gesessen und die Sonnen genossen.

„Nicht viel…hat, glaub ich, grad wieder einen Film gedreht, oder so“, überlegte der Bassist, der sich nur zu gut vorstellen konnte, dass sich der Älteste im Bunde einfach nur nicht traute, bei Farin vorbeizuschauen. Er schob den Patienten mit dem Rollstuhl zurück ins Zimmer, da es nun doch etwas zu kalt wurde und half ihm anschließend ins Bett.

„Schwer im Stress, also“, seufzte der Gitarrist und ließ sich dankbar zurück ins Kissen sinken. Er würde seinen Freund so gerne wieder einmal sehen, aber sein Zustand ließ einen Besuch bei ihm nicht zu. So konnte er nur hoffen, dass der Drummer sich durchringen konnte und zu ihm ins Krankenhaus schauen würde.

„Er wird schon noch kommen…und wenn ich ihn eigenhändig herzerren muss“, versprach Rod, bevor sie sich verabschieden mussten, da nun Visite war und die Herrn Doktoren gerne mit ihrem Patienten alleine sein wollten.
 

„Soo, Herr Vetter“, begann der Onkologe, der am Fußende des Bettes stand, und studierte noch einmal kurz das Krankenblatt. „Die neuesten Tests haben ergeben, dass der Tumor sich zwar nicht vergrößert, aber auch nicht verkleinert hat“, fuhr er dann fort.

„Und…was heißt das jetzt“, fragte Farin, der verunsichert mit dem Infusionsschläuchlein spielte. Zwar waren es für seine Ohren gute Nachrichten, immerhin ist der Tumor ja nicht gewachsen, aber der Arzt schien da anderer Meinung zu sein.

„Nun ja, an sich sind das gute Nachrichten, aber eigentlich hatten wir gehofft, dass, durch die Therapie, das bösartige Gewebe schrumpfen würde, was nun nicht der Fall ist. Deshalb würden wir gerne die Bestrahlung und die Chemotherapie noch verstärkter einsetzen“, erklärte der Doktor sachlich.

„Ist…daran die Pause schuld?“, wollte der Gitarrist wissen und war in diesem Moment dankbar für den Sauerstoff, den er über die Nasensonde bekam, denn sonst wäre er jetzt bestimmt, aufgrund mangelnder Luftzufuhr, bewusstlos geworden, so tief wie er ein- und ausatmete, um sich zu beruhigen.

„Nein…nein, das dürfen Sie nicht denken, immerhin hat die Pause doch dafür gesorgt, dass sich Ihr Körper wieder etwas erholen konnte“, erwiderte der Arzt. Nachdem alles Weitere besprochen wurde, verabschiedeten sich die Mediziner schnell, um sich den anderen Patienten zu widmen.

„Hey, das schaffst du schon“, munterte Lisa, die sich, unbemerkt von der Gruppe abgesetzt hatte und bei ihrem Freund geblieben war, ihn auf. Sie setzte sich zu ihm aufs Bett, rückte sein Kopftuch zurecht und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Stirn.

„Was heißt das jetzt eigentlich konkret?“, bat Farin die Krankenschwester dann um Klarheit.

„Das heißt, dass du in den nächsten vier Wochen intensiv Therapie hast und dann operiert wirst. Nach der OP wird man dann, je nach dem, wie viel entfernt werden konnte, die Bestrahlung und die Chemo neu einstellen und wenn du Glück hast, wirst du bei den drei Ärzte-Konzerten sogar wieder Haare haben“, erklärte sie lächelnd.

„Wenigstens sind das nur Festivalkonzerte, die sind nicht so lang…drei Stunden spielen würd ich sicher nicht aushalten!“, fügte Farin grinsend hinzu. So schlecht schienen die Aussichten dann doch nicht zu sein.
 

Wenige Tage darauf musste Rod sein Versprechen, das er dem Gitarristen gegenüber gegeben hatte, einlösen, denn Bela war nicht bereit, den Patienten zu besuchen.

„Dirk Albert Felsenheimer, du schwingst jetzt sofort deinen Arsch vom Sofa und wirst mit mir ins Krankenhaus fahren“, knurrte der Jüngere, nachdem alle anderen Versuche, den Schlagzeuger zu einem Besuch bei Farin zu bewegen, fehlgeschlagen waren.

Der Angesprochene zuckte zusammen. Wenn der Chilene ihn schon mit seinem vollen Namen ansprach, dann war dieser wohl mit seiner Geduld am Ende, was an sich schon an ein Wunder grenzte. Murrend stand Bela also auf und schlurfte lustlos ins Vorzimmer, wo er sich seine Schuhe und seine Jacke überstreifte.

„Na also, geht doch“, meinte der Bassist mit einem triumphierenden Lächeln. „Jan wird sich freuen“, setzte er dann noch hinzu, als er am Älteren vorbei durch die Tür hinaus ging und ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte.
 

Da das Krankenhaus nicht allzu weit weg von Belas Wohnung war, beschlossen die beiden, zu Fuß dorthin zu gehen. Je näher sie dem Gebäude kamen, desto unruhiger wurde der Schlagzeuger. Immer wieder schloss er für kurze Zeit seine Augen oder schüttelte leicht den Kopf, so als wollte er so die Gedanken aus seinem Gehirn vertreiben.

„Ich hab Angst“, sprach er dann leise seine allgegenwärtigen Überlegungen aus. „Ich will ihn nicht verlieren!“

„Bis jetzt ist doch alles gut verlaufen, oder? Und du hast ihn doch selbst gehört, dass er alles tun wird, um zu überleben“, erwiderte Rod in einem beruhigenden Tonfall.

„Aber…unsere Freundschaft…in letzter Zeit hat sie sich…haben wir uns einfach auseinander gelebt und jetzt…würd ich alles dafür tun, dass es wieder so ist, wie früher“, beteuerte Bela.

„Mann, du tust ja schon so, als wäre Jan schon tot! Wir haben doch noch Zeit, dass wir das wieder hinkriegen, hörst du?“

„Aber was, wenn…irgendwelche Komplikationen auftreten? Bei Inge haben wir auch gedacht, sie schafft’s, aber dann…“, Bela musste abbrechen, da ihm sonst die Tränen gekommen wären und dass wollte er nicht, immerhin standen sie schon vorm Krankenhauseingang. Er wollte nicht, dass die Öffentlichkeit ihn weinen sah.

„Jan ist ein Kämpfer, hörst du? Wir müssen nur ganz fest daran glauben, dann wird er’s schon schaffen“, beschloss Rod. Er wollte nicht, dass der Ältere merkte, dass er mindestens genauso viel Angst vor einem möglichen Verlust hatte.

Entschlossen betrat er das Gebäude und ging zum Lift. Er musste auf Bela warten, der noch einmal tief Luft holte und dann erst durch die Tür gehen konnte. Sie betraten die kleine Kabine und warteten still darauf, dass sie in den richtigen Stock gebracht wurden.

Kaum waren sie ausgestiegen, erblickten sie auch schon Lisa, die gerade etwas in eine Krankenakte vermerkte.

„Hey Lisa, wie geht’s?“, begrüßte Rod die Schwester freundlich.

„Hey ihr beiden! Bela, welch Überraschung, du bist auch wieder einmal da“, erwiderte diese schmunzelnd, während sie die Akte in ein Fach legte und ihren Kugelschreiber in die Tasche ihres Kittels schob.

„Wie geht’s Jan?“, fragte der Bassist, nachdem der Ältere beschlossen hatte, nicht sprechen zu wollen.

„Na ja, er hat vorhin grade eine Chemo bekommen, das heißt, er ist vielleicht etwas müde, aber er wird sich sicher freuen, dass ihr hier seid“, meinte Lisa. Dann blickte sie Bela direkt in die Augen und fügte lächelnd noch ein „Vor allem, dass du hier bist“ hinzu.

„Das heißt, wir können zu ihm?“, hakte Rod sicherheitshalber nach.

„Ja klar, du weißt ja, welches Zimmer er hat, oder? Ich muss nämlich wieder weiter, die Arbeit ruft“, erklärte die Krankenschwester und wandte sich zum Gehen.
 

Schnell hatten die beiden Musiker das richtige Zimmer gefunden, klopften an die Tür und traten, ohne eine Antwort abzuwarten ein. Farin lag gerade in seinem Bett und hatte die Beine etwas angezogen. Da das Bett quer zur Tür stand, konnten sie sehen, dass der Kopfteil etwas erhöht war. Der linke Arm hielt ein Buch, das an den Beinen lehnte und der rechte stützte den Kopf, um den ein dunkelgrünes Tuch gebunden war. Man kam nicht umhin, die ganzen Infusionen, die an Farins Armen hefteten und das kleine Schläuchlein der Nasensonde, das quer über das Gesicht des Patienten verlief und hinter den Ohren verschwand, zu bemerken. Bela, der seinen Freund schon länger nicht mehr gesehen hatte, fiel sofort dessen ungesunden Teint und der dünne Körper auf.

„Hey, wen haben wir denn da?“, begrüßte der Hüne seine Besucher und richtete sich etwas auf, um die beiden umarmen zu können.

„Schön, dass du hier bist“, nuschelte er, als er den Drummer kraftlos an sich drückte.

„Ich dachte, ich schau auch wieder einmal vorbei“, lockerte dieser die, für ihn bedrückende, Stimmung auf.

Die drei redeten eine Weile über alles und jeden, bevor Rod sich, unter dem Vorwand, noch etwas erledigen zu müsse, verabschiedete.

„Jan, es…es tut mir Leid, dass ich dich so selten besuche“, begann Bela nuschelnd. Er traute sich nicht einmal, seinem Freund in die Augen zu sehen, stattdessen betrachtete er den äußerst interessanten Boden. Farin beobachtete ihn aufmerksam. „Weißt du…ich hab einfach Angst, ich…würd am liebsten heulen, wenn ich dich so seh…so schwach und…hilflos. Es tut einfach so weh, zu wissen, dass ich dir da so wenig helfen kann und…das halt ich einfach nicht aus! Ich…hab solche Angst, dich zu verlieren“, fuhr der Drummer fort. Während er gesprochen hatte, hatten ein paar kleine Tränen sich ihren Weg in die Freiheit gebahnt, die er jetzt, peinlich berührt über seinen Gefühlsausbruch, wegwischte.

„Ach Dirk…komm her!“ Der Größere zog seinen Freund zu sich hinunter, umarmte ihn schwach und strich ihm tröstend über den Rücken. „Glaubst du etwa, ich hab keine Angst?“, begann er dann leise. „Ich hab eine solche Scheißangst, ich…ich will nicht der sein, der stirbt.“

Bela, der jetzt neben ihm auf dem Bett lag, sah ihm in die Augen und strich ihm sanft über die eingefallene Wange.

„Dann musst du der sein, der lebt“, hauchte er dann.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2009-08-09T16:33:51+00:00 09.08.2009 18:33
Ich find es super geschrieben, gerade wie du gefühle und die Gedanken der Personen beschreibst....
Ich musste ein zwei tränchen verdrücken ;-)

Hoffe es geht bald weiter.

LG


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