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Quo vadis?

von

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Kraftlos

Erschöpft ließ sich Farin in sein Bett sinken. An diesem Tag hatte er wieder Chemo gehabt, die nun ihre Nebenwirkungen zur Gänze darlegte. Der Gitarrist seufzte. Er konnte einfach nicht mehr, das alles wurde ihm mittlerweile schlichtweg zu viel. Vier Monate war es her, seitdem die verheerende Diagnose gestellt worden war. Vier Monate, die von Operationen, Bestrahlung und Chemo dominiert wurden. Nun tat ihm alles weh. Seine Haut war von der Therapie so sensibilisiert, dass selbst die kleinste Berührung sich für ihn anfühlte, als würden tausende Nadeln auf einmal auf ihn einstechen. Die Schmerzmittel schienen nicht mehr helfen zu wollen.
 

„Hey Schatz, wie geht es dir?“, fragte Lisa behutsam, als sie das Zimmer betrat. Vorsichtig setzte sie sich neben ihm aufs Bett, sie wusste, welche Qualen ihr Freund erdulden musste. Jener brachte nur ein leises, schmerzvolles Stöhnen hervor, sah sie aber mit einem liebevollen Ausdruck in den Augen an.

„Ich hab hier etwas Tee für dich“, meinte sie, nahm die Tasse, die sie zuvor auf das Nachtkästchen gestellt hatte, wieder in ihre Hand und führte sie vorsichtig an seine Lippen. Farin trank behutsam ein paar Schlucke, bevor er ihr bedeutete, die Tasse wieder abzustellen. Er gähnte und musste sich anstrengen, seine Augen offen zu halten.

„Du bist bestimmt müde, oder? Versuch doch etwas zu schlafen“, erwiderte die gelernte Krankenschwester, liebevoll lächelnd.

„Legst du dich zu mir?“, fragte jener flüsternd, woraufhin sich Lisa so neben ihn legte, dass sie zugewandt zueinander gebettet waren. Lange Zeit lagen sie einfach nur so nebeneinander. Farin genoss sichtlich ihre bloße Anwesenheit. Er war so froh, sie kennen gelernt zu haben, war sie doch immer für ihn da, unterstützte ihn doch, wo sie nur konnte und liebte sie ihn doch genauso sehr, wie er sie.

„Ich brauch doch nur eine Pause…ein paar Tage, wo ich mich ausruhen kann…“, erklärte der Gitarrist schließlich seufzend.

Seine Freundin nickte verstehend und nahm sich vor, gleich bei der nächsten Gelegenheit mit seinen Ärzten zu reden. Sie widerstand den Drang, seine Hand in ihre zu legen, wusste sie doch, welche Schmerzen sie ihm damit bereiten würde. Jenem schien es nicht anders zu gehen, jedoch setzte er seinen Wunsch in Taten um und nahm ihre Hand vorsichtig in seine. Sie sah ihn erstaunt an, als er leise auflachte.

„Jetzt musst du sogar zuhause Krankenschwester spielen“, erwiderte er schmunzelnd.

„Aber das mach ich doch gern“, meinte sie und beobachtete ihn, während er einschlief.
 

„Wo hast du denn das Tagebuch?“, fragte Lisa Farins Schwester, als die beiden gemeinsam am Küchentisch saßen und sich bei einer Tasse Kaffee etwas Ruhe gönnten. Diese verschwand in ihrem Zimmer und kam kurz darauf mit der Mappe zurück, in der sie alle Behandlungsberichte oder ähnliches eintrugen.

„Er wünscht sich eine Pause“, berichtete die Krankenschwester seufzend, während sie ihre neuesten Beobachtungen niederschrieb.

„Glaubst du, da lässt sich was machen?“, wollte Julia wissen.

„Klar. Das kommt öfters vor bei Patienten wie Jan. Schließlich braucht der Körper Kraft für die Behandlung…“, erwiderte Lisa sachlich. Sie kannte das nur zu gut, immerhin war der Musiker nicht der erste Krebspatient, den sie betreute. Jedoch war er der erste, bei dem sie den Behandlungsverlauf so intensiv miterlebte.

Das weitere Gespräch verlief relativ oberflächlich. Zwar trugen sie beide dieselben Ängste in sich, doch hofften sie, dass diese sich, solange sie sie nicht aussprechen würden, auch nicht bewahrheiten würden.
 

Farins Ärzte gaben sich verständnisvoll und stellten seinen Therapieplan so um, dass er sich die nächsten zwei Wochen ausruhen konnte. Er sollte sich aber schonen und so viel wie möglich liegen, was dem Gitarristen nicht weiter schwer fallen würde, da er sowieso kaum etwas anderes machen konnte. Des Weiteren verordneten sie ihm einen Rollstuhl, weil es schien, als würden Farins Beine die Last nicht länger tragen können. Eine Wohltat für dessen geschundenen Körper, der, wie seine Freunde und Familie immer wieder meinten, nur noch ein Schatten seiner selbst war.
 

An einem dieser freien Tage wurde er von seinen beiden Managern, Axel und Patty, besucht. Schließlich rückte die Veröffentlichung seines neuen Soloalbums immer näher, die Promo-Tour würde bald beginnen.

„Hey, wie geht’s dir?“, fragte Axel vorsichtig. Die beiden setzten sich auf die zwei Sesseln, die schon in weiser Voraussicht vor Farins Bett platziert worden waren. Zwar ging es dem Hünen wieder etwas besser, doch sein Zimmer konnte er noch immer nicht verlassen, ohne sich zu sehr zu überanstrengen.

„Wieder etwas besser, danke…die freien Tage kamen echt nicht zu früh“, erwiderte der Gitarrist, milde lächelnd.

„Was machen wir denn jetzt mit der Promo und der Tour, Jan?“, fragte Patty vorsichtig. Ein paar Termine mussten sie schon absagen, wegen gesundheitlichen Problemen, wie sie angaben. Der Hüne fühlte sich dem Ganzen einfach nicht mehr gewachsen.

„Die Tour… ich…“, begann Farin schwach, aber er musste eigentlich nichts mehr erklären. Man sah ihm schon an, dass er nicht im Stande war, auf Tour zu gehen. Zwar gefiel es ihm gar nicht, er hatte sich schon so auf diese gefreut, aber sein Körper wollte es nicht zulassen. Nun musste er sich etwas Wichtigerem, nämlich dem Kampf ums Überleben, widmen.

„Ist doch verständlich…mit einem Rollstuhl kannst du schlecht auf der Bühne stehen“, unterbrach Axel ihn schmunzelnd, um ihn etwas aufzuheitern. Er wusste, wie schwer seinem Freund diese Entscheidung viel.

„Aber ein paar Interviews möchte ich schon geben…aber sie sollen keine Fotos machen…ich will nicht, dass die Leute erfahren, was ich wirklich hab…“, meinte der Musiker bestimmend.

„Schon klar, für die Öffentlichkeit bist du einfach nur krank, nichts Näheres…und was ist mit den –“

„Sagt den Teamern bitte, dass ich krank bin, den Rest möchte ich selber erledigen…“, beantwortete der Kranke die Frage der Tourmanagerin, bevor sie vollständig ausformuliert war.

„Gut, wir werden uns dann mal dranhängen, deine Termine zu minimieren“, versprachen die Manager. Sie wollten sich eigentlich wirklich gleich damit beschäftigen, aber ihr Klient hielt sie auf.

„Ihr seid doch nicht nur deswegen gekommen, oder?“, fragte Farin verunsichert.

„Vordergründig schon, aber eigentlich…wollten wir mal so schaun, ob wir irgendetwas für dich tun können…?“, druckste Axel herum.

„Das ist schön“, flüsterte der Patient lächelnd. So sehr er sich über die Gesellschaft seiner Familie und von Lisa freute, so war er doch auch dankbar dafür, ab und zu mal ein anderes Gesicht zu sehen.

„Wie geht’s euren Familien?“, fragte er dann, um dem allgegenwärtigen Gespräch über seine Krankheit zu entgehen.

„Gut, dass du das fragst, das hätte ich jetzt beinahe vergessen“, meinte Axel hastig und kramte in seiner Tasche herum, ehe er eine Papierrolle, die mit einer Schleife versehen war, hervorholte und sie dem Gitarristen reichte.

„Ist von meiner Tochter“, erklärte er.

Farin rollte das Geschenk aus und betrachtete die Zeichnung des begabten Teenagers lange.

„Wunderschön“, kommentierte er sie dann und wies seinen Freund an, seiner Tochter einen Dank auszurichten.

„Wie’s sonst so bei uns läuft? Die Kinder nerven, weil sie sich schon so auf die Osterferien freuen und Isa blüht zurzeit voll im Nähen auf…unfassbar“, ging der Manager dann auf Farins Frage ein.

„Bei uns ist’s fast genauso. Michael ist zurzeit ganz auf dem Heimwerkertrip und macht jetzt endlich bei unserer Modelleisenbahn weiter“, erwiderte Patty schmunzelnd.

Die drei redeten noch eine Weile, ehe sich die beiden Besucher verabschiedeten, damit sich der Gitarrist etwas ausruhen konnte.
 

„Na Bruderherz, wie sieht’s aus?“, fragte Julia, nachdem die zwei gegangen waren. Nun waren sie beide wieder alleine zu Hause, denn Lisa musste arbeiten und Tom war in Berlin.

„Bis auf ein paar Interviews wird alles abgesagt oder verschoben“, informierte Farin seine Schwester traurig.

„Die Tour holst du dann halt später nach, wenn’s dir wieder besser geht…oder du gar wieder gesund bist…ist doch kein Problem“, versuchte sie ihn aufzumuntern.

„Willst du was essen?“, wechselte sie dann schnell das Thema.

„Oh Gott, ich kann noch nicht einmal dran denken und du fragst mich, ob ich’s tun will?“, stöhnte der Gitarrist gequält auf. Dank der Therapie konnte er nur noch sehr wenig bei sich behalten.

„Komm schon, etwas musst du essen…“, bat sie ihn.

„Und wie jedes Mal werde ich natürlich gezwungenermaßen tun, was du sagst, weil du mir, wie jedes Mal, sagst, dass ich noch jede Menge Kraft benötige und deshalb soviel essen soll, wie nur irgend möglich, oder?“, meinte der Musiker theatralisch.

„Also wenn dein Humor noch da ist, kann’s dir ja nicht sooo schlecht gehen“, erwiderte Julia lachend, während sie aufstand, um ihrem Bruder etwas zu essen zu machen.
 

Kurze Zeit später kam sie mit einem Schüsselchen Joghurt, welches mit aufgetauten Himbeeren vermischt war, und einem Glas Orangensaft zurück. Sie stellte das Tablett zuerst auf den Boden, um Farin in eine etwas aufrechtere Lage aufzuhelfen. Niedergeschlagen bemerkte sie, dass diese Berührungen noch immer Schmerzen für den geschwächten Kranken bedeuteten. Dankend nahm er sein Mahl an und begann bedächtig zu essen.

„Ich hab übrigens nachgedacht“, begann er nach einiger Zeit und nahm einen weiteren Löffel voll Joghurt in den Mund.

„Worüber denn?“, hakte seine Schwester nach, als er sich viel Zeit ließ beim Essen.

„Du wolltest doch eh immer mehr ins Kreative, oder? Ich mein, das Fotografieren und so, das hat dir doch immer gefallen, oder?“, fuhr Farin fort, nachdem er geschluckt hatte.

„Ja…?“, bestätigte Julia gedehnt, sie hatte keine Ahnung, worauf ihr Gegenüber hinauswollte.

„Tja, also, ich hab mir gedacht…ich mein, ich hatte mir gedacht, immerhin ist das bis auf Weiteres eh hinfällig, aber ich hab mir gedacht, –“, erklärte der Gitarrist.

„Jan, worauf willst du hinaus?“, unterbrach die Frau ihn.

„Jetzt unterbrich nicht, ich wollt’s gerade sagen“, fuhr er sie liebevoll an.

„Also, ich hab mir gedacht“, fuhr er fort, wobei er kurz unterbrach, um Julia mit gehobener Augenbraue und einem Grinsen anzusehen. „dass ich irgendwie von der Tour ein paar Filmchen oder Fotos haben möchte und wenn du willst, kannst du die machen und die kannst du dann auch als Referenz anbieten, wenn du dich für so eine komische Kreativheini-Arbeit, keine Ahnung, wie man das heute nennt, bewirbst“, verkündete Farin seinen Vorschlag und wartete nun auf ihre Reaktion.

„Das…ist eine tolle Idee…ich mein, so was in der Art hab ich mir auch schon öfters überlegt, aber ich hab nie gedacht, dass ich das wirklich zu meinem Beruf machen könnte…würdest du das echt für mich machen?“, fragte sie ihn begeistert.

„Klar, wozu bin ich denn sonst da?“, erwiderte der Gitarrist lächelnd und freute sich, dass seine Überlegungen so gut ankamen.



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