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American Vampire

von

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Doktor

Mit gepackten Koffern stand ich drei Monate später in meinem kleinen Wohnzimmer.

Ich hatte dieses malerische Städtchen in mein Herz geschlossen, ebenso wie mein Haus. Verkaufen wollte ich es nicht, also hatte ich Maidread die Obhut überlassen. Ich würde es vermieten und sie sollte sich um die neuen Mieter kümmern, sofern denn mal welche kommen sollten.

"Dass du schon wieder abreist ist wirklich traurig, Abigail Liebes", hatte sie gesagt.

"Ja das empfinde ich auch so", hatte ich ehrlich erwidert, "aber mir ist klar geworden, dass ich das tun muss was mein Vater und auch meine Mutter gewollt hätten, dass ich meine Träume lebe. Ich werde studieren und die Welt bereisen, vielleicht komme ich eines Tages wieder hier her. Nein, nicht vielleicht, ich komme auf jeden Fall wieder."

Irgendwann, wenn mich kein Bewohner dieser Stadt mehr kennt, fügte ich in Gedanken hinzu.

Für sie war es ein tränenreicher Abschied gewesen und hätte ich meinen Gefühlen solchen Nachdruck verleihen können, ich hätte es getan.

Aber ich musste gehen, nicht nur, weil es irgendwann aufgefallen wäre, dass ich nicht alterte, sondern auch weil ich erkannt hatte, mit Fergus und Athanasias Hilfe, dass ich mich nicht mein ganzes Dasein lang in den äußersten Winkeln der Erde verstecken konnte.

Jetzt stand ich also hier, in dem kleinen Raum, mit der niedrigen Decke und schaute mich ein letztes Mal um, während ich auf die McBeth-Geschwister wartete.

Alle Möbel waren mit weißen Laken bedeckt, ich sollte sie hier lassen, hatte Athanasia mir geraten, die Häuser die wir beziehen würden, wären alle schon vollständig ausgestattet. Ich hatte die Fensterläden geschlossen, so das es jetzt, bis auf das spärliche Licht einer Stehlampe neben dem Kamin, dunkel war.

Durch das wenige Licht aus der Ecke warfen die verhüllten Möbel lange Schatten auf den Holzfußboden und die hell tapezierten Wände.

Als Kind hatte ich mich vor der Dunkelheit gefürchtet, meine Mutter musste immer ein Licht anlassen, welches dann eben solche diffusen Figuren geworfen hatte.

Eingetaucht in diese verzerrten Schatten war mein Zimmer ein Paradies für meine blühende Kinderfantasie gewesen und ich hatte mir alle möglichen Geschichten ausgedacht, die mir die Schattenfiguren erzählen mochten.

Ich schüttelte lächelnd den Kopf, das waren nur Kinderfantasien, längst vergangene Erinnerungen.
 

Das feine Gestein des unbepflasterten Weges vor dem Haus knirschte unter den Reifen eines ankommenden Autos. Ich nahm meine Koffer und schaltete das Licht aus, ehe ich das letzte Mal über die Schwelle meines Hauses trat.

Fergus kam mir bereits entgegen und nahm die Koffer. "Bereit für diese weite Welt?", fragte er, als wir zusammen über den schmalen Kiesweg zurück zum Auto gingen.

Stumm nickte ich und lächelte.

Wie immer hielt er mir die Tür auf und ich stieg ein.

Athanasia saß vorne auf dem Beifahrersitz, aber sie drehte sich um und lächelte mir entgegen. "Auf in einen neuen Abschnitt unseres Lebens", meinte sie lächelnd.

Ich nickte erneut und seufzte. "Wann wollt ihr mir sagen wo es hingeht?"

"Wenn wir da sind", erklärte Fergus lachend, während er sich anschnallte und den Motor anließ.

Es herrschte Schweigen währen der gesamten Fahrt, ich hing meinen Gedanken und Erinnerungen an die letzten Monate nach und die Geschwister unterhielten sich sicher über Gedankenübertragung.

Gott, wie das klingt! Wie aus einem dieser Science-Fiction-Filme, die in letzter Zeit total angesagt waren.

Aber es war anders, viel größer und unglaublicher als in der von Menschen erschaffenen Fiktion.

Es war Liebe.

Liebe, die schon im menschlichen Leben groß war.

Liebe, die durch zehn Jahre Trennung nicht verschwunden, sondern gestärkt worden war.

Liebe, die alles überschritt, was ich kannte.

Seit ich diese Geschwister kannte, sah ich die Welt mit anderen Augen oder viel mehr, ich sah genauer hin und erkannte wie viel Liebe und Zuneigung uns jeden Moment umgab.

Es gab sie in so vielen Facetten, schillernd begegnete sie uns überall.

Eine Frau die ihren Garten liebevoll pflegte, zwei Kinder die zusammen auf der Straße Ball spielten, ja sogar der Mann der Sonntags sein Auto wusch und polierte - sie alle liebten, jeden Tag, jeden Augenblick.

Doch selbst wenn ich ein frischverliebtes Pärchen sah, ihre Liebe konnte man nicht mit der zwischen Fergus und Athanasia McBeth vergleichen.

Ich konnte nicht verleugnen, dass ich ein wenig neidisch war - egal was die Ewigkeit mit sich brachte, diese beiden hatten einander, ob sie nun einen Gefährten fanden oder nicht, aber ich hatte niemanden.

Ein bisschen fühlte ich mich wie ein Gegenstand den man herumreichte, eine alte Puppe als Familienerbstück in der großen Gemeinschaft der Vampire.

"Gracy? Liebes, stimmt etwas nicht?" fragte Athanasia besorgt. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass sie sich zu mir umgedreht hatte und mich musterte.

"Es ist alles in Ordnung, was sollte sein?", fragte ich leise zurück, eher zu mir selbst als zu ihr.

"Du hast geseufzt und es klang nicht wie einer dieser gelangweilten Seufzer. Eher deprimiert", schaltete sich jetzt auch noch Fergus mit ein.

Ich hatte geseufzt? Das hatte ich gar nicht realisiert.

"Es ist nichts", antwortete ich langsam, "ich... ich habe mich nur gefragt wann wohin wir fahren. Es deprimiert mich, es nicht zu wissen."

Er lachte. "Du bist wahrlich zu ungeduldig für einen Vampir."

Ich antwortete lächelnd: "Ja, vermutlich."

In diesem Moment fuhren wir an mehrere Häusern vorbei und ein Ortsschild verkündete groß: ABERDEEN

Fragend hob ich die Augenbrauen. "Wir ziehen nach Aberdeen? In eure alte Heimat?"

Athanasia schüttelte den Kopf. "Nein, jedenfals nicht zu diesem Zeitpunkt, später vielleicht. Jetzt wollen wir nur... unser Gefährt austauschen, doch erst morgen. Heute gehen wir einkaufen." Sie drehte sich wieder zu mir und lächelte.
 

Es wurde lustig, zumindest für Athanasia. Fergus hatte ein schlechtes Los und musste alle Tüten tragen, aber er lächelte und versicherte ständig, er habe ebenfalls Spaß. Ich bot ihm an, einige Sachen abzunehmen, aber er winkte nur ab und meinte mit einem Zwinkern, er sei stärker, als er aussähe.

Zu meiner Missbilligung ließen es sich die beiden nicht nehmen, alles zu bezahlen und wenn Athanasia einmal am Einkaufen war konnte nichts sie bremsen!

Zudem kam noch, dass ein Großteil von Fergus Gepäck für mich gedacht war.

Athanasia hatte ihren Spaß mir Berge von Kleidung auf die Arme zu häufen und mich in Umkleidekabinen zu zwängen.

Ich lies es über mich ergehen und marschierte über den Teppich der Modeläden.

Sie lächelte bei jeder von ihr zusammengestellten Kombination, während ihr Bruder mir ein mitfühlendes, aber dennoch freches Grinsen zu warf.

Vermutlich war er froh, dass nicht er die Anziehpuppe spielen musste.

Ich sah ihn immer Hilfe suchend an, in der Hoffnung, er könnte seine Schwester aufhalten, aber er lächelte nur und winkte ab.

Fünf Stunden und geschätzten 300 Tüten später hatte ich endgültig genug und sprach ein Machtwort.

Athanasia schaute mich überrascht an, dann fing sie an zu lachen.

Ihr Bruder stimmte ein. Wenn sie lachten klang es wie eine Stimme aus zwei Mündern.

"Ich dachte, du wärst sooo ungeduldig", lachte Fergus.

"Dafür hast du dich wirklich gut als Opfer gemacht. Du hast den Test mit mehr als herausragend bestanden. Glückwunsch."

Ich war verwirrt und starrte verdattert in ihre lachenden Gesichter. Test?

"Ich bin beeindruckt, dass du es so lange ertragen hast. Fergus gibt immer schon nach höchstens zwei Stunden auf und sagt das es reicht", meinte Athanasia.

"Aber ich hab doch schon vorher Einwände erhoben", sprach ich dazwischen.

"Ja, aber nur, wegen des Geldes, was für uns eh keine Rolle spielt. Hättest du gesagt, dass es genug für dich ist, dann..." "Moment, wenn ich gesagt hätte, ich habe keine Lust mehr, dann hätten wir aufgehört?", unterbrach ich sie erneut.

"Natürlich."

Hatte jemand mal 'ne Wand, damit ich meinen Kopf dagegen hauen konnte?

Die beiden lachten noch immer.

"Ach komm, du warst immer noch besser dran als Carlisle."

Ich schaute Fergus fragend an. "Wer ist Carlisle?"

"Du erinnerst dich doch noch daran, dass wir dir von einem Vampir mit perfekter Selbstbeherrschung erzählten, der sogar als Chirurg arbeiten kann. Das ist Dr. Carlisle Cullen."

Natürlich erinnerte ich mich - der Felsbrocken neben dem ich ein Sandkorn war.

Fergus lachte. "Er ist einfach zu nett und hat es nicht gewagt Athanasia zu widersprechen. Der Arme musste sich 16 Stunden lang von ihr einkleiden lassen, dann hatte ich doch etwas Mitleid und habe lieber eingegriffen. Wir wären sonst heute noch unterwegs."

Athanasia seufzte. "Er war so ein tolles Model. Er hat überhaupt keine Einwände gehabt, vor allem nicht zu solchen Winzigkeiten wie Geld." Sie schaute mich an und verdrehte genervt die Augen. "Ich weiß wirklich nicht was du hast, Gracy. Geld ist für uns wie Sand am Meer - wir haben viel zu viel obwohl wir es nicht brauchen."

"Außer für den Shoppingtest bei neuen Freunden", mischte sich Fergus ein und grinste.

Ich wollte schreien oder auf irgendetwas einschlagen!

"Ich hasse einkaufen", zischte ich leise und knurrte.

Die Jüngere der Geschwister lächelte sanft und engelsgleich. "Verzeih, das ahnte ich nicht. Aber sag doch, es war nicht ganz so schrecklich oder?"

Ihr Gesichtsausdruck erinnerte mich an etwas, auch wenn ich nicht wusste was. Ich entspannte mich und seufzte leise.

"Aber nur ein kleines bisschen, weil du es bist", gab ich mich geschlagen.

"Super!", freute sie sich jetzt, "Dann können wir in unserer neuen Heimat öfters einkaufen gehen, der Ort bietet sich nämlich dazu an!"

"Was?", keuchte ich entsetzt, "Noch mehr Einkaufen? Ich habe nicht gesagt, dass ich das noch einmal mitmache."

Fergus lachte leise. "Egal, darüber sollten wir später reden. Wir müssen los."

Er zerrte mich zum Wagen und überging meine Einwände.

Ich mochte einkaufen nicht sonderlich, es war mir ein Graus, mich ständig an- und auszuziehen. Sicher ein Vampir schaffte das in wenigen Sekunden, aber trotzdem, es ging hier ums Prinzip!

Ich hatte einkaufen früher nicht gemocht und würde auch in Zukunft kein Liebhaber davon werden, schon gar nicht, wenn man mich dazu behandelte wie eine Ankleidepuppe.

Schmollend saß ich im Wagen, der durch die Gassen von Aberdeen rollte.

Durch die geöffneten Fenster drang ein salziger Geruch herein und das Rauschen von Wellen wurde stärker.

Wir fuhren auf den Hafen zu. Das hatten sie also gemeint, als sie sagten, wir würden das Gefährt ändern - wir fuhren mit einem Schiff.

So weit so gut, ich wusste wie, aber noch immer nicht wohin.

Würden wir einfach zu einem anderen Platz der Inseln schiffen oder zum Festland?
 

Wir entfernten uns immer weiter vom Land, sodass nicht einmal unsere Sehkraft ausreichte, die Küste zu erkennen.

Ich nahm also an, dass wir Großbritannien hinter uns ließen und Kurs auf das europäische Festland machten.

"Wieder fort", seufzte ich leise; ein Mensch hätte es nicht gehört, aber Athanasia tat es.

Mit ihrer überwältigenden Eleganz schritt sie zu mir und folgte meinem Blick auf den Ozean hinaus.

"Bist du noch immer enttäuscht, dass wir dir eine Antwort auf unser Ziel vorenthalten?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, es ist nur... es ist nur so, dass ich schon wieder fort gehe. Gerade wenn ich einen Ort in mein Herz geschlossen habe, muss ich ihm auf Wiedersehen sagen."

"Du hättest nicht mit uns reisen müssen. Wir boten dir eine Entscheidung an", entgegnete sie ohne ihren Blick von den Wellen zu wenden.

"Und ich habe mich entschieden", setzte ich ein, "Athanasia, ich bereue meine Entscheidung nicht, aber Abschiede machen mich traurig. Es fällt mir schwer loszulassen."

Das stimmte, ich vergaß nichts, oder eher versuchte nichts zu verdrängen; an jede Erinnerung klammerte ich mich, selbst an die schleierhaften menschlichen Gedanken, die mir noch geblieben waren.

"Es ist Teil unseres Lebens, meine Liebe. Ein Kommen und Gehen, Fortgehen und Wiedersehen. Versteh, dass es notwendig ist oder wäre es dir lieber ein Leben auf ständiger Reise zu führen, wie viele andere unserer Art. Möchtest du eine Nomadin sein?"

Ich verneinte, denn eine endlose Reise ohne ein Ziel war als würde ich besinnungslos durch das dunkle Universum eilen.

"Es wird der Tag kommen, da du all das verstehst, ein Tag an dem du das dicke Tau zu deiner Vergangenheit kappen wirst und musst. Wir alle müssen lernen loszulassen", erklärte Athanasia und sah mich lächelnd an.

"Ich will nicht alleine sein, ich darf nicht alleine sein - ich bin wie ein Kind, das durch einen Albtraum aufwacht und alleine ist", sagte ich ängstlich.

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. "Du dummes Mädchen. Nie wirst du alleine sein, denn egal wo du bist, jene Freunde die du in dein Herz schließt, werden immer bei dir sein."

"Aber was ist mit Liebe? Es gibt niemanden den ich lieben kann, nicht so richtig, weißt du? Es gab zwar mal jemanden, aber der gehört nicht in meine Welt", sprach ich leise, den letzten Satz mehr zu mir selbst, als zu sonst irgendwem.

"Liebe kommt nicht auf Bitte. Liebe geht einen eigenen Weg. Sei unbesorgt Grace, irgendwann kommt die Liebe zu dir, mir und auch zu Fergus. Wir alle werden jemanden finden, der unser verlorenes Teil ist, der unsere Seele und unser Herz ausfüllt."

"Vielleicht", sagte ich, aber überzeugt war ich nicht. Konnte man mich lieben?

Athanasia lachte leise. Verwundert schaute ich sie an. Dieses Thema fand ich sogar nicht lächerlich.

"Verzeih, aber es ist nur diese Ähnlichkeit", gab sie mir eine verwirrende Erklärung für ihren Ausbruch.

"Ähnlichkeit?"

"Ja, weißt du, du bist nicht der erste Vampir der so sehr zweifelt, nicht der erste der solche Angst hatte alleine zu sein.

Carlisle ging es wie dir, obgleich er wohl auch noch nicht soviel herumgekommen war wie du.

Wir trafen ihn in Frankreich, er studierte dort seine Bücher und wir taten unsere Studien. Er war stets der nachdenkliche Typ, ähnlich deinem Wesen. Unser junger Freund machte sich ebenfalls Sorgen, ob er jemals Liebe finden könnte."

"Hat er sie gefunden?", fragte ich, neugierig nach einem Happy End.

"Das weiß ich nicht, wir trafen ihn lange nicht. Seine Suchen führten ihn fort von Europa in die neue Welt, nach Amerika. Aber auch wenn ich nichts genaues sagen kann, so weiß ich, dass es Carlisle gut geht, allein aus dem Grund, dass ich es mir für ihn wünsche."

Ich betrachte ihr Gesicht, das von einem friedlichen Lächeln geziert war; ihre Augen waren wieder in die Ferne gerichtet. Langsam kam Land ihn Sicht.

"Das wünsche ich mir auch für ihn."
 

Frankreich
 

Es hatte uns in das Land von Baguette und gutem Wein verschlagen, auch wenn wir beides nicht genießen konnten.

Wir zogen in ein großes Haus in Paris, man konnte den Eiffelturm sehen und die Türme von Notre-Dame.

Ich hatte mir angewöhnt jede Woche in diese Kathedrale zu gehen, auch wenn ich nicht gläubig und der Gedanke, dass ein dunkles Wesen wie ich diese heiligen Gemäuer betrat, völlig abwegig war.

Es war ein Ort der Ruhe und ich liebte die Stille, ich lernte das Lichtspiel im Inneren lieben, genoss die Klänge der Musik und ließ mich in den Geruch von Weihrauch und Kerzen hüllen.

An diesem himmlischen Platz auf Erden fiel es schwer sich Sorgen zu machen oder etwas Vergangenem nachzutrauern.

Nach vorne blicken - das wollte ich. Die Vergangenheit auch Vergangenheit sein lassen. Ich musst loslassen, nur wie?

Sobald ich die schützenden Mauern der Kathedrale verließ, überkamen mich wieder all die Ängste und all die Erinnerungen, an die ich mich verzweifelt klammerte, wie eine Ertrinkende.

"Das ist ein Punkt, der dich von Carlisle unterscheidet - er ließ los", erzählte Fergus eines Abends. Seine Stimme hatte keinen vorwurfsvollen oder gar enttäuschten Klang, aber für mich war es fast wie ein Schlag ins Gesicht, denn wieder wurde mir bewusst, dass jener berühmter Dr. Cullen ein Fels war und ich nur ein Sandkorn.

Es gab Momente, da wünschte ich, dass ich genauso stark wäre wie er und in anderen nur winzigen Augenblicken fragte ich mich, wieso.

Vielleicht wollte ich gar nicht loslassen, vielleicht sollte ich auch in meiner Vergangenheit bleiben, sie wird immer ein Teil von mir sein.

"Du träumst", holte mich Athanasia aus meinen Grübeleien zurück.

"Ich habe nur nachgedacht über... Dr. Cullen", erklärte ich zögernd.

Erwartet hatte ich Verwunderung, aber sie lächelte nur freundlich.

"Er fasziniert dich?", ihre Frage klang eher wie eine Feststellung, der ich mit einem Nicken zustimmte.

"Es ist schwer zu erklären. Ich weiß selbst nicht Recht, wieso."

"Er ist nun einmal eine faszinierende Person, nie gab es einen Vampir wie ihn zuvor."

"Ja", sagte ich leise, "das mag sein, aber vielleicht genau deswegen. Wie kann er so stark sein, dass er sogar als Arzt arbeitet, als Chirurg, wo er jeden Tag frischen Blut ausgesetzt ist?" Ich konnte es nicht verstehen, dass Brennen im Hals war tagtäglich da, ganz egal ob frischt gesättigt oder nicht. Es war schrecklich, wie hielt er das aus?

"Ich nehme an, es ist auf seinen starken Willen zurückzuführen, der wiederum auf seinem tiefen Mitgefühl aufbaut. Carlisle wuchs in einer Zeit auf, die unser Wesen kannte und jagte. Menschen verabscheuten uns, hatten Angst. Sie hassten unser ganzes Selbst und wurden darauf geschult, dass wir ausgerottet werden mussten.

In diesem Glauben wurde er groß gezogen. Ihm widerstrebte sein neues Wesen außerdem hatte er Mitleid mit den Menschen. Er wollte niemanden jagen oder gar töten. Carlisle hatte seinen tiefen christlichen Glauben und das große Herz für alles Leben auf der Welt, die seinen festen Willen aufbauen", vermutete Athanasia.

"Ich will auch niemanden verletzen", sprach ich leise, "aber ich fürchte den Moment, an dem mein Willen nicht stark genug ist."

"Wir helfen dir ihn zu schulen, dafür sind wir nach Paris gegangen.

Du wolltest studieren, richtig?", sie lächelte herzlich.

"Ja, damals als ich ein Mensch war", fiel ich ein.

"Wozu die Ewigkeit mit Nichtstun verschwenden. Grace du besuchst ab Montag die Sorbonne Universität von Paris."

"Was!?", schrie ich entsetzt. Das konnten sie nicht tun. Dort gaben es viele Menschen, junge Menschen, mit frischem wallenden Blut und alle saßen gedrängt in den Sälen.

"Beruhige sich Liebes", sagte Athanasia beschwichtigend, "Fergus wird ebenfalls an die Sorbonne gehen, als Dozent, und ein Auge auf dich haben."

"Ganz Recht", Fergus betrat das Zimmer, vermutlich hatte er schon die ganze Zeit zugehört. Er lächelte: "Denkst du, wir lassen zu, dass du gegen dein Gewissen handelst? Es ist nicht unser Begehr eine depressive Grace an unserer Seite zu wissen."

Die beiden hatten gut reden, die machten das bestimmt schon seit mehreren Jahrzehnten.

"Können wir nicht kleiner anfangen? Muss es gleich eine Universität sein?", fragte ich, mit der verdampfenden Hoffnung sie würden sich umstimmen lassen.

"Du hast klein angefangen. In Schottland warst du auch jeden Tag unter den Menschen", wand Athanasia lächelnd ein.

"Ja schon", begann ich und überlegte fieberhaft, wie ich ihr Urteil ändern konnte.

"Ich habe überhaupt keinen Highschool-Abschluss", verkündete ich triumphierend. Man ließ niemanden zum Studium zu, der keinen Abschluss hatte.

"Kein Problem, wir haben dir einen besorgt", sagte Fergus und zwinkerte.

Okay, vielleicht konnte man doch auch ohne die Highschool beendet zu haben; wenn das Geld stimmte.

"Wieviel habt ihr gezahlt?", fragte ich misstrauisch.

"Nichts", antwortete die Jüngere lächelnd, "wirklich, nicht einen Penny. Der Händler ist ein alter Freund."

Das ist jawohl dasselbe, dachte ich mir.

Es half kein Bitten und kein Flehen, nicht mal die Drohung, ich würde gehen, brachte sie davon ab mich auf die Universität zu schicken.
 

Angstvoll saß ich am Montagmorgen mit Fergus im Wagen. Immer wieder strich ich mir die Haare hinters Ohr, fummelte an den Knöpfen meiner Jacke herum oder spielte mit meinem Armband.

Der Ältere der McBeth Geschwister hielt meine Hände fest, während er ruhig durch die Straßen Paris fuhr.

"Grace, hör auf dich zu sorgen. Alles wird gut, du bist unter meiner Wacht. Schenkst du mir so wenig Vertrauen?"

"Ich... es liegt nicht daran, dass ich dir nicht vertraue. Ich vertraue mir nicht", antwortete ich.

Er lachte leise. "Wenn du dir nicht vertraust, vertraust du niemanden. Du musst noch soviel verstehen lernen, kleine Grace."

"Nenn mich nicht klein, ich bin kein Kind mehr", meinte ich bockig und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Aber du führst dich wie eines auf. Leg dieses Verhalten ab, man soll dich für 19 halten, nicht für fünf." Sein Ton verriet, dass unser Gespräch fürs erste zu den Akten gelegt worden war. Fergus blieb immer ruhig und dennoch schaffte er es seiner Stimme eine mächtige Autorität zu geben, die Widerstand zwecklos machte.

Schweren Herzens stieg ich aus dem Auto aus. Der Wind wehte den Geruch von menschlichem Blut mit sich.

Ich hielt die Luft an, in der Hoffnung, der köstliche Duft würde nicht mehr in meiner Nase kitzeln. Es half nicht viel.

Fergus lächelte aufmunternd und schob mich vorwärts. Wir gingen auf die Menschengruppen zu, die sich vor dem Hauptgebäude gesammelt hatten.

Eben hatten sie alle noch munter über das Wochenende und andere Belanglosigkeiten geredet, jetzt wurde es still. Sie starrten uns an, blinzelten, einige drehten abrupt den Kopf weg, als wären sie geblendet.

"Sie sind wunderschön." "Sie sieht aus wie ein Engel." "Meint ihr sie gehören zusammen?" "Wer sind sie?" Das Getuschel wurde immer mehr und mir ging es immer schlechter.

"Ich möchte zurück. Lass mich nicht hier", flehte ich leise, so dass es Menschen nicht wahrnehmen konnten.

"Nein, Grace, du musst es lernen. Jetzt sei ein gutes Mädchen und gehe zu deinen Philosophie Kursen. Ich habe noch etwas zutun, dann komme ich nach."

Damit lies er mich stehen. Mitten auf dem Korridor, irgendwo in der Universität. Einfach stehen gelassen, keine Ahnung in welchen Raum ich musste - der perfekte Start.

Nach einer halben Stunde hatte ich endlich den passenden Hörsaal gefunden und setzte mich weitab von den anderen in die hinterste Reihe.

Integration ja, aber bitte auf Distanz!

Die Menschen waren fasziniert von ihrer neuen Mitstudentin, gleichzeitig mieden sie mich. Wenigstens hatten sie einen ausgeprägten Selbsterhaltungsinstinkt.

Ich kam, gegen meine Ängste, sehr gut durch den Tag, zumindest fast.

In der Mittagspause hatte ich mich auf eine Bank niedergelassen und schaute in den dicht bewölkten Himmel, als sich plötzliche Schritte immer mehr auf mich zu bewegten.

"Hallo. Du bist Grace, nicht wahr?", fragte ein blondes Mädchen und lächelte mich freundlich an. Ihre grünen Augen glänzten und dennoch war ein Schimmer Angst darin zu erkennen.

"Ja, bin ich", antwortete ich knapp und hoffte sie würde schnell wieder gehen.

"Mein Name ist Dominique Roselle. Freut mich dich kennen zu lernen."

Mit einem Lächeln hielt sie mir die Hand hin.

Zögernd nahm ich sie. Das Mädchen zuckte zurück, als sie die Kälte meiner Finger spürte.

Ich ließ sofort los und stand auf. "Entschuldige bitte, ich habe keine Zeit für Smalltalk", antwortete ich kalt uns stolzierte regelrecht davon.

Himmel, was war nur los mit mir? In Schottland war es so einfach gewesen mich unter Menschen aufzuhalten, warum war das hier nicht so?

Am Nachmittag suchte ich wieder Notre-Dame auf; diesmal um zu verstehen, nicht zu vergessen.

Ich ging nach vorne wo die Kerzen leuchteten, nahm ebenfalls eine und zündete sie an.

"Für Mum und Dad, Alex und Hannah, für Granny und Grandpa, für jeden meines alten Lebens hoffe und wünsche ich das Beste. Mögen sie in Frieden leben oder schon ruhen", flüsterte ich leise vor mich hin. Es war mein persönliches Gebet, aber ich faltete nie die Hände, sondern starrte nur auf die Flamme.

"So jung und spricht vom alten Leben? Welch traurige Seele wohnt in diesem zarten Wesen", ertönte eine Stimme hinter mir, doch als ich mich umdrehte war niemand da.

"So schön und rein und trauert schon Vergangenem nach?"

Erneut drehte ich mich in die Richtung, aber wieder war keiner da, außer den wenigen Menschen, von denen niemand etwas gesagt haben konnte. Es musste die Stimme eines Vampirs sein, denn es war zu leise und schnell für menschliche Münder.

"Wer bist du? Zeige dich", bat ich.

"Pardon, Mademoiselle. Nicht heute, nicht hier, aber sei gewiss, dass wir uns treffen werden."

Ohne dass, ich ihn sah oder seine Schritte hörte, wusste ich, dass er gegangen war.

Egal wer mich angesprochen hatte, er war fort.

Ich schüttelte de Kopf. Das war doch alles verrückt! Wurde ich jetzt paranoid?

Enttäuscht verließ ich das Gotteshaus. Es hatte mir nicht die erhoffte Antwort gegeben, im Gegenteil, ich hatte nur mehr Fragen bekommen.

Den McBeths erzählte ich nichts von der Stimme, aber ich sprach mit ihnen über das Leben unter Menschen, warum es mir in Paris so schwer fiel.

"Es könnte an deiner Angst liegen, die deine Wahrnehmung täuscht. In CulNaCraig waren nur wenige Menschen um dich herum, hier jedoch sind es allein im Hörsaal um die hundert und mehr.

Die Angst, den Willen zu verlieren und jemanden anzugreifen, war schon immer da, nur zeigt sie sich jetzt so stark, weil du denkst, dass starker Wille im Zusammenhang mit der Menge der Reize steht.

Das ist aber nicht der Fall, Grace. Entweder man hat Wille oder nicht", erklärte Fergus und seine Schwester stimmte ihm zu.

Ich für meinen Teil, war genauso schlau wie vorher.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von: abgemeldet
2009-09-26T10:43:00+00:00 26.09.2009 12:43
Erst mal, Tut mir total Leid, dass ich erst jetzt dazu gekommen bin, diese Kapi zu lesen!!! *dir einen Marmorkuchen vor die Nase halt*
Und zweitens, Wow, das Kapitel war wirklich einfach total unglaublich!!!
hahaha, der Geduldstest ist wirklich klasse!! Carlisle hat das wirklich 16 Stunden mitgemacht? wow, Hut ab! Aber dass Grace 5 Stunden ohne ein Wörtchen zu sagen, obwohl sie Shoppen nicht ganz so mag, mitgemacht hat, ist wirklich auch eine zu lobende Zeit. :)
Oh, sie sind nach Frankreich? Und Grace muss in die Uni.. oh Backe. OO Aber Fergus und Athanasia werden schon wissen, was das richtige ist. Grace packt das.. sie muss wirklich nur mehr Vertrauen in sich haben.
Oh Himmel... wer war das in der Kathedrale? Die Stimme? Das war wirklich gruselig!
Etwas Gutes hat mein Verzögern.. ich muss nicht auf das nächste Kapi warten, weil es schon da ist! ;)
Ich werds sofort lesen und bin wirklich gespannt, was mich dort erwartet...=)
Diese Kapi, war wirklich spitzenklasse.. ich liebe deinen Schreibstil, ist wirklich total schön!
Ganz liebe Grüße! =)
Von: abgemeldet
2009-09-03T08:55:30+00:00 03.09.2009 10:55
Ein echt gelungenes Kapitel! Athanasia hat ja sichtlich genauso viel Spaß am Shoppen wie Alice^^ die arme Grace, Carlisle der perfekte Shopping Partner^^ würde sich wahrscheinlich nie beschweren^^ Wenn Athanasia und Alice aufeinander treffen, gibt es sicher ein Tagelanges Shoppingdesaster^^ Die ganzen Zweifel an ihrer Stärke hast du toll beschrieben. Da muss sie durch, da kann ihr keiner Helfen, außer, es nicht zuzulassen sich mit ihren Gedanken zurück zuziehen. Die geheimnisvolle Stimme in der Kathedrale?! bin total neugierig^^ wie immer eine tolle Arbeit von dir xD lg
Von: abgemeldet
2009-08-31T08:49:08+00:00 31.08.2009 10:49
Himmel...
Deine Fanfic ist genial. Ich bin eigentlich nur aus Versehen darauf gestoßen, da ich etwas anderes suchte. .und jetzt das.
Du hast wirklich großes Talent und ich freu mich tierisch deine Arbeit entdeckt zu haben.
Weiter so! :DDD


LG
Von: abgemeldet
2009-08-30T15:38:45+00:00 30.08.2009 17:38
Ah, Frankreich!
Eine tolle Destination- die McBeths hätten sich wirklich kein schöneres Ziel aussuchen können ;). Die kleine Gracy (ich verstehe, warum sie diesen Kosenamen so überhaupt nicht ausstehen kann- sie ist immerhin ein gefährlicher Vampir und NICHT klein, hofft sie wohl jedenfalls :D) wird sehr stark von ihren Erinnerungen und Ängsten geplagt, nicht wahr?
Das lässt du in diesem Kapitel sehr gut anklingen- es ist ein Genuss, es durchzulesen. Nicht einmal viele Rechtschreibfehler konnte ich finden- Lob, Lob!
Und ob es des Guten nicht schon genug wäre, erwähnst du auch immer wieder Carlisle Cullen, meine absolute Lieblingsfigur.Ich hoffe doch sehr, dass er bald in natura in deiner Geschichte aufscheinen wird?
lg Theo
Von: abgemeldet
2009-08-30T14:22:52+00:00 30.08.2009 16:22
Wirklich gutes Kapitel,freue mich schon auf mehr ^^

LG


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