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Chalk 'n Cheese

Wenn man das Unerkannte entdeckt
von

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Zusammen

Am nächsten Morgen schien die Sonne wie ein Hoffnungslicht vom sonst so trüben Herbsthimmel.

Angesichts dieser Tatsache kam Emily mit Tom allein vom Bus zur Schule. Sie hatten ein angeregtes Gespräch über ihr Mittagessen begonnen und waren gerade an mehr oder minder ekligen Kombinationen angelangt, die sich gegenseitig steigerten und worüber sie herzhaft lachen mussten.

„Na, was seid ihr denn schon am frühen Morgen so gut drauf?“, fragte Anna neugierig, als sie in die Schule traten, wo Anna auf die beiden immer wartete.

„Morgen Anna!“ Emily umarmte ihre Freundin.

„Ach, über perverses Essen, was Emi verschlingt“, feixte Tom und umarmte Anna ebenfalls herzlich.

Emily knuffte ihn in die Seite. „Aber du!“, fauchte sie gespielt beleidigt. Sie mussten wieder lachen.

Gemeinsam gingen sie zur ersten Unterrichtsstunde.

Im Physiksaal saßen die drei ganz oben in der letzten Reihe.

„Wer muss eigentlich heute das Referat vorstellen?“, kam es plötzlich von Tom, der nie gut im Reden vor einer Menschenmenge gewesen war.

„Uhm, ich glaube, die Gruppe von Rose“, betonte sie extra höhnend, um ihr Missfallen zu zeigen.

„Aber du darfst doch nicht so über sie reden, Ms Brucker!“, äffte Anna sie lachend nach.

Die Stunde begann und der Lehrer überprüfte die Anwesenheit.
 

Rose Tate saß beinahe erstarrt auf ihrem Platz und blickte nach unten, ihre langen blonden Haare hingen wie ein Trauerschleier vor ihrem Gesicht.

„Oh man, wir sind heute dran … Ich will nicht!“, flüsterte Kathrine O’hara, eine Anhängerin des R.T.-Fanclubs und verzog das Gesicht zu einer leidenden Miene.

Neben ihr saß noch ihre Freundin Donna Mitchell, die vor Aufregung keinen Ton rausbrachte, sondern nur hektisch nickte.

„Hey Rose. Sollen wir nicht sagen, dass wir das Referat nicht mithaben?“

„Ja, oder d-das wir n-noch nicht f-fertig sind“, pflichtete Donna ihr aufgeregt bei und beide sahen die unbewegte Rose ungeduldig an.

Doch sie antwortete nichts.

„Rose! Man … hast du nicht gut geschlafen? Dann können wir das ja als Ausrede benutzen! Du bist zu müde und wir können nicht vortragen, OK?“, schlug Kathrine vor und klatschte in die Hände.

„Ob wir d-damit durchkommen?“ Donna zweifelte sehr an dieser Idee.

„Keine Ahnung. Oder wir benutzen unsere weiblichen Reize!“, kicherte Katharine.

„Haha, ja“, lachte Donna unsicher.

„Hm, wo wir grad davon sprechen, irgendjemand hat heute kein Deo benutzt.“ Sie rümpfte die Nase und Donna tat es ihr gleich. „Uuh, ja, hast recht.“
 

„Rose, Kathrine, Donna?“, ertönte es von ihrem Physiklehrer über das Geschnatter der Klasse und die beiden Mädchen Kathrine und Donna sprangen aufgeregt von ihrem Platz auf und antwortetem ihm beide mit einem Ja.

Dabei stieß Kathrine Rose leicht an und die fiel reglos auf den Boden.

Sofort war es still geworden und alle starrten auf die leblos am Boden liegende Rose.

„Rose! Tut mir leid, alles in Ordnung?“ Kathrine stürzte perplex zu ihr und drehte sie um – ein gellender Aufschrei.

Kathrine wich erschrocken in die Bank zurück und zitterte am ganzen Körper. Die Mitschüler, die um sie herum saßen, waren ebenfalls aufgesprungen und drängten sich an den Rand der Klasse.
 

Rose war kreideweiß, ihre Augen weit aufgerissen, ihr Hals und Gesicht voller Blut.
 

Keiner wagte etwas zu sagen. Auf einmal war dennoch von einigen Seiten ein Würgegeräusch zu hören und alle liefen panisch aus dem Raum. Der Lehrer schloss die Tür hektisch ab und lief zum Lehrerzimmer.

Die Schüler eilten entweder hinaus an die frische Luft oder zur Toilette, vorbei an anderen Klassenlehrern und Schülern, die den Aufschrei gehört hatten und nun aus den Klassen kamen.
 

Anna und Emily stützten Tom, dem schlecht geworden war und setzten sich draußen auf eine Pausenbank.

Anna sprach als erste, nachdem alle drei der Schock getroffen hatte.

„Was ist nur mit ihr passiert?“, flüsterte sie mit aufgerissenen Augen.

Emily bekam keinen Ton heraus. Sie überkam eine fürchterliche Ahnung und sie wollte sie verdrängen, so gut es ging. Tränen standen in ihren Augen.

„Urgh … es war jedenfalls mehr als eklig“, presste Tom heraus, der den Kopf nun mit zusammengekniffenen Augen nach hinten warf und tief nach Luft schnappte.

„Wer hatte denn einen solchen Hass auf sie? Ich mein, sie war schlimm, aber doch nur oberflächlich …“, gab Anna zu und presste die Lippen aufeinander. Sie war ebenfalls den Tränen nahe.

Endlose Minuten verstrichen, in der von überall her Gespräche zu hören waren von anderen Schülern, die ebenfalls raus gekommen waren und diskutierten.

Jetzt hörte man auch Krankenwagensirenen und dazwischen verzweifelte Schluchzer.

Als die Stimmen um die Ecke bogen, sah man die beiden Freundinnen Donna und Kathrine begleitet von der Vertrauenslehrerin.

„Sie war eiskalt!“, sagte Kathrine mit erstickter Stimme und ihr fielen immer wieder neue Tränen über die Wangen. „Und all das Blut … Oh mein Gott!“, flüsterte Donna und weinte still.

„Es kam aus ihrem Hals, ganz sicher!“, fügte Kathrine mahnend hinzu. „Wie irre ist das?“

„Ihre Kehle …?“ Doch Donna musste sich die Hände vor ’s Gesicht halten um nicht zu laut los zu weinen.
 

Anna fing nun auch an zu weinen und Tom nahm sie in den Arm. „Wie grausam“, flüsterte sie.

Emily wurde panisch. Eine Halswunde? Oder tatsächlich ein Schnitt durch ihre …?

Sie sah hinauf in den Himmel und sah nur trübe Regenwolken. Wo war Christopher? Bei so einem Wetter würde er doch kommen.

Sie wollte ihn niemals verdächtigen; viel eher fiel Emilys Verdacht auf Robin, seinen Bruder. Wenn es dann überhaupt eine Bisswunde gewesen war, es hatte ja niemand explizit darüber gesprochen.
 

„Emily!“ Alle Schüler drehten sich erschrocken um und dann sahen sie Christopher, der nach jemandem zu suchen schien. Als er Emily erblickte, schien er erleichtert und kam mit einem leichten Lächeln auf sie zu.

„Chris!“ Ihre Stimme erstarb bei den letzten Buchstaben und er nahm sie stürmisch in den Arm.

„Wer ist es?“, fragte er schließlich und sah Emily, Tom und Anna an.

„R-Rose Tate“, antwortete Anna ihm.

„Diese blonde …?“

„Ja.“

Zum Glück sah man nicht, wie bleich Chris wurde und wie er es zu unterdrücken versuchte.

„Oh man. Das ist wirklich scheiße!“ Er umarmte Emily wieder fest.

Christopher kam Emily mit dem Gesicht nahe ans Ohr. „Es tut mir leid“, flüsterte er und Emily wusste sofort, dass es etwas mit den beiden Brüdern zu tun hatte. Doch Christopher war es doch nicht gewesen – oder?

Sie schüttelte nur den Kopf und ihre Tränen sogen sich sofort in seine weiche Jacke.

„Robin?“, fragte sie kaum merklich und hoffte - um Gottes Willen - dass er Ja sagen würde.

Sie spürte, dass Christopher kurz zögerte, doch dann merkte sie sein Nicken und hörte ein leises Ja.

Sie schluchzte auf und warf ihre Arme um seinen Nacken. Er war es nicht gewesen! Er hatte sie nicht getötet! Er hielt sein Versprechen weiterhin, niemand unschuldigen zu töten, während Emily immun gewesen war gegen seinen Biss.

Dann ertönte ein Knacken aus den Lautsprechern, die über das Schulgelände verteilt waren.

„Achtung, eine Durchsage. Der Unterricht ist für heute in allen Stufen beendet. Der Physikkurs der Stufe 11 möchte bitte zu seinem Raum zurückkehren.“

Man hörte schrille Stimmen, die jubelten. Sie kamen aber von jüngeren Schülern, die garantiert nicht mitbekommen hatten, was passiert war.
 

„Na denn.“ Tom stand seufzend auf und half Anna hoch. „Wir können bestimmt unsere Sachen holen.“

„Oder sie verhören uns“, entgegnete Christopher ruhig und ließ von Emily ab, nahm dafür aber ihre Hand. Anna nickte beklommen an Toms Schulter und sie gingen Richtung Eingang, der schon verstopft war von Schülern, die unbedingt nach Hause wollten.

Doch als ein paar Schüler Christopher sahen, wichen sie ihm mit ängstlichem Blick aus.

Emily entging das natürlich nicht und sie zerrte ihn schnell hinter sich her zum Klassenraum, um so schnell wie möglich aus der Schule flüchten zu können.
 

„Bitte paarweise aufstellen!“, hörten sie eine fremde Stimme rufen und sahen, dass die Polizei einige Männer in der Schule postiert hatte. Im Klassenraum waren zwei Beamte, die akribisch darauf achteten, wer hinein ging und dass ja nichts angefasst wurde, außer den eigenen Jacken und Taschen und beäugten sie, als sie hinausgingen.

„Ob sie … noch da liegt?“, fragte Anna panisch in die Runde und alle Schüler um sie herum zuckten mit den Achseln, aber wurden auch leicht nervös. Eine Leiche sah man nicht alle Tage.
 

Christopher blieb relativ ruhig und hatte die Augen geschlossen. Emily schluckte und sah, dass sie dem Klasseneingang immer näher kamen. Und ehe sie sich versahen, waren sie vorletzter.

„Bitte geht sofort zu eurem Platz, fast nichts an, schmeißt nichts herunter und seid vorsichtig. Die Spurensicherung ist schon auf dem Weg.“ Der Beamte, der ihnen ruhig erklärt hatte, was zu tun war, schielte unter seiner blauen Kappe zu Christopher und musterte ihn.

Emily wurde ungeduldig. Wieso sahen ihn alle so seltsam an? Hatte sie etwas verpasst?? Stand auf seiner Stirn heute groß und deutlich Vampir?

„So, bitte die nächsten“, ertönte es von einem Polizeibeamten drinnen.

Christopher schob Emily sanft voran und ging mit geschlossenen Augen und ihr an der Hand zu den Plätzen in der hintersten Reihe.

„Sie liegt noch da“, flüsterte Emily zitternd und starrte förmlich auf den Leichnam in der Mitte des Raumes, der mit einer weißen Plastikhaube umhüllt war. Jedoch lugten ihre Haare hervor, deren Spitzen leicht rötlich waren.

„Ja, man riecht es“, knurrte Christopher beinahe und Emily dachte, sie hätte seine Augen kurz rot auflodern sehen, doch im nächsten Moment war es wieder verschwunden und er lächelte sie leicht an. „Komm, lass uns gehen.“ Er schien es eiliger als sie zu haben, doch sie willigte ein und nahm sich ihre Jacke und ihren Rucksack und sie gingen schnellen Schrittes aus dem Raum. Christopher rannte beinahe aus der Schule und Emily kam kaum hinterher.

„W-warte doch!“, rief sie ihm hinterher, doch er war schon draußen und sog mehr frische, kalte Luft ein als seine Lunge beinhalten konnte.

Emily kam nun ebenfalls raus, nachdem sie sich noch ihre Jacke übergezogen hatte und sah ihn besorgt an. Christopher atmete weiter tief ein und aus und sah wieder ruhiger aus.

„Alles ok?“

Endlich sah er sie an und lächelte wehleidig. „Ja, alles ok. Bei dir auch?“

Sie nickte, aber sah dann zu Boden. Er sagte ihr nicht die Wahrheit. Er wollte sicher trinken. Oder hoffte sie, dass er es wollte? Sie fühlte sich immer mehr zu ihm hingezogen, doch es passierte nicht allzu viel und so kamen sie sich schließlich sehr nahe, wenn er sie zärtlich berührte und sie seinen heißen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Bei dem Gedanken wurden ihre Wangen rosig und ihr wurde klar, was sie da überhaupt gedacht hatte.

Dann sah sie Christophers Hand vor sich. „Kommst du?“ Sie nickte und nahm seine Hand. „Wir können doch zu Fuß gehen, oder? Wir haben ja Zeit.“

Sie nickte erneut und lächelte ihn zufrieden an, doch dann kamen ihr blitzartig die Vorwürfe ihrer Eltern in den Sinn, die sie von Christopher fernhalten sollten.

Ruckartig blieb sie stehen und klammerte sich mit beiden Händen an seine Hand. Er drehte sich zu ihr herum. „Was ist-“ „Lass uns … nicht nach Hause gehen. Ich will nicht.“ Sie stockte, doch es war ihr egal. Sollte er ruhig merken, dass sie nervös war und trotzdem mit ihm allein sein wollte.

Er grinste sie wissend an. „Aha … du möchtest mit mir zusammen bleiben. Und wenn du nach Hause gingst, würden deine Eltern dich nicht mehr raus lassen, allein wegen dem Mord, stimmt’s?“

Sie nickte beklommen.

„Gut. Was sollen wir denn machen? Schlag was vor.“

Emily sah perplex auf. „Ich weiß nicht … Mir ist eigentlich alles recht.“

„Na, zu mir willst du sicher nicht. Robin muss erst …“ Er hielt sich die Hand beiläufig vor den Mund und hustete leise. „Naja, er hat zu tun.“

Emily sah ihn schockiert an. „Robin … wieso hat er sie getötet? Was hat Rose ihm getan?“, sprudelte es nun aus ihr heraus und ihr schossen sofort Tränen in die Augen.

Christopher sah sie traurig an.

„Ich habe dir gesagt, wir seien Monster und … machen vor niemandem Halt, wenn es uns dürstet.“ Er wich ihrem Blick aus.

„Aber … nicht du! Verallgemeinere das nicht“, lenkte sie ein.

„Aber ich habe schon Unschuldige getötet, Emily. Bis ich auf den Trichter kam, es anders zu probieren sind Jahre vergangen, in denen ich den Vampirinstinkt ausgelebt habe. Und dann kamst du …“ Er sah sie wieder an, jedoch ausdruckslos. „Ich sage nicht, dass ich es bereue, dich getroffen zu haben, aber … ich hätte dich nicht benutzen dürfen. Niemals. Es tut mir so-“ Doch dann legte Emily ihm einen Finger auf den Mund.

„Sag sowas nicht. Es ist völlig ok für mich, glaub mir. Hätte ich Angst vor dir oder Panik, zu sterben, wenn du mich beißen würdest, würdest du das merken.“

Seine Augen wurden größer. „Du willst sterben?“

„Häh?“ Jetzt machte sie ebenfalls große Augen und ihr Mund klappte auf.

„Du meinst, es wäre dir egal, wenn du durch mich sterben könntest“, beharrte er und seine Miene verdunkelte sich.

Sie lachte auf. „Wenn du es so siehst, ja“, grinste sie ihn an.

Doch sein wütendes Gesicht machte ihr nichts aus. Erst, als er sie gepackt hatte und ihr zu nahe war, verschwand es.

„Wie kannst du so etwas sagen!? Ich würde das niemals zulassen! Du hast gefälligst zu leben.“

Sie schürzte ihre Lippen und sah zu Boden, wurde leicht rot.

„Aber …“

„Nichts aber“, widersprach Christopher ihr und rüttelte sie schwach, in der Hoffnung, sie würde zu Vernunft kommen.

Das wurde ihr zu viel. Sie konnte sich nicht richtig konzentrieren, wenn er sich so benahm und versuchte sich zu befreien, doch er ließ nicht mal ansatzweise locker.

„Lass mich los, Chris, bitte!“, flehte sie energisch doch er schüttelte tonlos den Kopf und sah sie weiter geladen an.

Sie seufzte. „Hör zu … ich habe einen eigenen Willen, ein eigenes Leben und weiß selbst, was ich soll und was nicht.“

Er nickte und ließ sie endlich los. „So und nicht anders, Ms Brucker.“ Er sah sie an, als wären sie Fremde. Er kam ihr auf einmal distanzierter vor als jemals und Emily wurde starr vor Schreck doch sie wusste nicht genau, warum.

„Chris, ich meine nur, dass … ich will …“ Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und begann zu zittern. Was war jetzt los? In ihrem Kopf schwirrten endlose Gedanken, die sie nicht zuordnen konnte.

Sie zwang sich zu reden, aber es wollte nichts aus ihr heraus.

Die Angst überrannte sie. Eine Angst, die stärker war als jede andere Angst, die in ihrem Leben gespürt hatte.

Er wollte sie verlassen. Ganz bestimmt.

Sie streckte ihre Hand zitternd nach ihm aus und er ergriff sie sofort.

„Was ist los, Emily? Geht ’s dir nicht gut?“ Er beugte sich besorgt zu ihr hinunter.

Doch sie konnte ihre Gedanken nicht aussprechen. Es wäre zu endgültig, wenn er es tatsächlich vorhatte.

Wenn er einfach sagen würde ‚Richtig geraten, schönes Leben noch‘. Doch konnte sie ihn überhaupt aufhalten? Es war mehr als töricht, ihn so sehr lieben gelernt zu haben in der kurzen Zeit, die sie sich nun kannten. Und er empfand niemals so wie sie, bestimmt nicht. Ihm machte es nichts aus wegzugehen.

Er suchte sich andere Opfer, die er aussaugen konnte und an denen er sich anderweitig vergehen konnte, wenn er wollte und niemals würde es jemand erfahren.

Jetzt rannen ihr unbewusst Tränen über die Wangen. Christopher hockte sich vor sie und nahm ihr Gesicht in seine Hände.

„Emily! Bitte, sag etwas!“ Er wurde unruhig. „Was ist denn los? Ist es wegen mir??“

Sie nickte langsam und kam wieder zur Besinnung.

„Bleib bei mir“, flüsterte sie heiser, doch er verstand es und stand sofort wieder aufrecht und drückte sie an sich.

„Das muss dir doch keine Sorgen bereiten.“ Er drückte sie fest an sich und hörte sie aufschluchzen.

„Ich will doch nicht weg von hier.“ Hatte er hier oder dir gesagt? Emily hatte in dem Moment tief eingeatmet und wurde wieder unsicher. Das war schon ein Unterschied. Doch im Augenblick zählte nur dieser Moment. Ein vielleicht entscheidender Moment.

„Aber du siehst keine Zukunft …“, versuchte sie so ruhig wie möglich zu sagen und ließ etwas von ihm ab.

Er sah sie durchdringend an.

„Schwierig …“, gab er seufzend zu. „Oder kompliziert. Aber es kommt drauf an, was du mit Zukunft meinst. Ewig hier bleiben kann ich nicht. Jetzt, da ich in die Öffentlichkeit getreten bin, kann ich nicht mehr lange hier wohnen bleiben. Höchstens noch 5 Jahre.“

Emily wurde etwas beruhigter. Das war genug Zeit, um Klarheit zu gewinnen, was wichtig war.

„Und …“

„Ich?“, ergänzte sie und wurde augenblicklich wieder rot.

„Du? Willst du umziehen?“, fragte er perplex und bekam einen strafenden Blick als Antwort.

„Nein! Das meinte ich nicht … was ist mit uns?“ Sie sah ihm nun direkt in die Augen und seine Arme zuckten um sie herum.

„Mit uns? Na, du wirst bestimmt nicht ewig von mir ausgesaugt werden wollen. Spätestens, wenn du einen Freund hast, will der sicher nicht, dass du dauernd mit einer Wunde am Hals rumläufst.“

Sie biss sich auf die Zunge. Er schloss also eine gemeinsame Zukunft aus.

„Doch, das würde er wollen.“

„Und dein Bräutigam auch? Das würde aber zur baldigen Scheidung führen“, lachte er amüsiert, während Emily immer trauriger wurde.

„Er auch, sicher.“

Jetzt wurde Christopher misstrauisch. Er schien sie wirklich nicht zu verstehen.

„Sag mal … reden wir über dieselbe Person?“, fragte er sarkastisch und zog eine Augenbraue hoch.

Sie befreite sich schließlich aus seiner Umarmung.

„Nein, sicherlich nicht.“

„Aber wer würde denn-“

„DU!“, schrie sie verzweifelt und war auf einmal wie außer Atem. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schwer. Erneut liefen ihr ungehindert Tränen über die Wangen. „Ob du es glaubst oder nicht.“

Sie lief in Windeseile an ihm vorbei so schnell sie konnte. Christopher konnte sie einholen, wenn er wollte, doch der blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf den Fleck, an dem Emily eben noch gestanden hatte. Er vergaß sogar, zu atmen …
 

Emily lief den nebligen Feldweg entlang, doch blieb nicht lange in der Richtung, die sie nach Hause führte, sondern bog einfach links ins Feld ein auf den kleinen Forst zu, der sich in dem Nebel zu verstecken versuchte; wie sie.

Außer Atem hielt sie schließlich an einem Baum relativ am Anfang des Waldes inne und versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen. Sie war doch sonst nie so außer Atem, doch heute hatte sie sich nicht aufs Laufen konzentriert, sondern war mit ihren Gedanken ganz woanders.

Ob er ihr nachlief? Oder nahm er das als Bestätigung, sofort aus ihrem Leben zu verschwinden, um bloß nicht wieder von ihr zu trinken oder sie gar zu töten?

Erst jetzt merkte sie wieder etwas von ihrer Umgebung. Es war neblig, sie sah nicht sehr weit und die kalte Luft stach ihr schmerzlich in der Lunge beim Einatmen.

Nebel? Wo kam der her? Es war doch heute Morgen noch sonnig gewesen und dann hatte es sich nur zugezogen. Und wieso war es auf einmal so eisig kalt? Emily konnte wetten, dass es heute Morgen nicht so eisig gewesen war. Besonders, da sie jetzt erhitzt war, müsste ihr eigentlich warm sein, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Sie sah sich zähneklappernd um, doch erkannte nichts vor sich. Wie kam sie hier nur wieder heraus ohne sich zu verlaufen?

Der Forst war immer nur ein Forst gewesen, den sie am Rande des Feldes wahrgenommen hatte, aber den sie niemals zuvor durchquert hatte.

Als sie gerade nachdachte, aus welcher Richtung sie gekommen war, hörte sie ein leises Knacken ein paar Meter vor sich und erstarrte.

War es etwa Christopher?

Doch dann nahm sie ein leises, dunkles Lachen wahr und wich sofort an den Baum zurück. Das war eindeutig nicht Christopher. Irgendjemand anders hatte sie vielleicht entdeckt und nichts Gutes im Sinn.

Sie schwieg und sah angestrengt in den Nebel, um vielleicht doch etwas auszumachen, was die Person verraten würde. Doch dann war es wieder totenstill.

War der Mann stehen geblieben? Hatte er sie gehört? Ihr stockte der Atem und sie dachte, ihr pochendes Herz würde sie jeden Moment verraten.

Ihr wurde schwindelig von dem weißen Nichts vor sich und sie wollte gerade die Augen zusammenkneifen, als ein eisiger Hauch sie am Hals streifte und als sie sich umwandte, grinste sie ein fahles Gesicht böswillig an.

Sie stolperte nach hinten und fiel polternd auf den feuchten Waldboden.

„Hab doch keine Angst, meine süße Emily.“

Seine Stimme war sehr dunkel und ein wenig rau; woher kannte er ihren Namen? Sie war sich 100%ig sicher, diese Stimme nicht zu kennen. Doch jemand fremdes kannte sie.

„Ich tue dir nicht weh.“ Sie sah ihn auf sich zukommen und erkannte, dass er schulterlange schwarze Haare hatte, einen altertümlichen Anzug wie aus dem 18. Jahrhundert trug und seine Zähne … nicht die eines Menschen waren.

Emilys verschrecktes Gesicht wandelte sich in eine ruhigere Miene. ‚Er kann mich doch eh nicht töten‘, dachte sie schnippisch und stand auf, ihren Blick nicht von ihm ablassend.

„Was wollen Sie?“

Er kam noch einen Schritt näher und war noch einen halben Meter von ihr entfernt.

„Weißt du, dein kleiner Freund hat mir was Interessantes verraten …“ Er grinste wissend und hob seine Hand, doch Emily wich ihr aus.

„Welcher Freund?“, fragte sie wütend.

„Na, sagen dir die Stone ’s was?“ Er ging nun ein paar Schritte um sie herum. „Mir kam zu Ohren, du seist wohl öfters bei Ihnen gewesen, aber immer noch am Leben.“

„Und?“ Emily schluckte hart. Das konnte nur Robin verraten haben.

„Oho … du weißt also nicht, was dir erspart geblieben ist bis jetzt?“ Er grinste und blieb hinter ihr stehen, doch sie wagte es nicht, ihn ebenfalls anzusehen.

„Bist du denn gar nicht neugierig, was deine Freunde …“, er streckte eine Hand aus und strich durch ihre Haare, „ … wirklich sind?“

Jetzt zitterte sie doch ungewollt und schrie in Gedanken nach Christopher.

Doch sie drehte sich mutig um und wich ihm aus. „Ich muss nicht wissen, was er für ein Wesen ist, um ihn zu mögen.“

Das schien dem Vampir zu gefallen. „Du akzeptierst uns also? Das höre ich doch gern. Hast du nicht den Wunsch, auch eine von uns zu werden?“

Diese Frage machte Emily sofort sprachlos. Mit so einem Angebot hatte sie nicht gerechnet. Ihr Gesicht musste sie verraten haben, denn als nächstes lächelte der Vampir freundlicher als zuvor.

„Du musst wissen, Emily, ich bin aus einer alten Familie, die schon etliche von uns in die Welt gesetzt haben. Es ist ein langes Leben, voller Leidenschaft und Abenteuer.“

Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Das wäre doch eigentlich … „Das wäre doch die Lösung deines eigentlichen Problems, oder?“ Er streckte zum 3. Mal die Hand nach ihr aus und sie ließ es zu.

Zu verlockend war dieses Angebot. Würde sie auch zu einem Vampir werden, könnte sie vielleicht ewig mit Christopher zusammenbleiben und er müsste sich keine Vorwürfe mehr machen, sie töten zu können.

„Na? Wie sieht es aus?“, fragte er erneut und kam ihr noch näher.

„Ich …“

Der Vampir kam ihrem Hals gefährlich nahe und sofort packte Emily wieder die Panik. Sie war nicht gut genug darauf vorbereitet. Das war zu plötzlich. Konnte er sie wirklich verwandeln? Und was würde Chris dazu sagen? Was, wenn sie doch sterben würde? Oder scherzte der Vampir und wollte einfach nur ihr Blut, das eigentlich für Christopher reserviert war?

Dann ließ er augenblicklich von ihr ab und sah unbestimmt in den Nebel.

„Ach, schade …“, seufzte er und im nächsten Moment kam Christopher fauchend an seine Stelle gesprungen, während der Vampir ihm sogleich auswich.

Er holte gerade Luft, um ihn anzubrüllen, doch der Vampir verschwand darauf hin im Nichts.

Emily war wie versteinert, zitterte jedoch am ganzen Körper. Christopher drehte sich um und besah sie, besonders am Hals. Er sagte kein Wort, sondern nahm sie in seine Arme und flog mit ihr aus dem Wald raus.

Sie bekam nicht wirklich mit, wohin er lief. Ihre Gedanken kreisten nur darum, was sie wirklich wollte und wenn, ob es richtig war. Sie krallte sich an Christopher fest, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.

Als er schließlich zum Stehen kam, waren sie an einem See angelangt, umgeben von Wiesen und Wäldern.

Es war zur Abwechslung auch nicht totenstill, sondern man hörte Frösche quaken und Enten, die sich irgendwo in den hohen Gräsern am Ufer stritten.

Er ließ sie sanft zu Boden gleiten.

„Wo sind wir?“, fragte sie und sah sich um.

„Weit weg von Zuhause. So 15 km, schätze ich. Ich war früher oft hier angeln mit meinem Vater und habe den Platz immer geliebt.“ Sie sah, dass er in Erinnerungen schwelgte und umfasste seinen Arm.

„Es ist wirklich wunderschön hier! Sehr … romantisch“, endete sie leicht stotternd und wurde rot.

„Ja, allerdings.“ Er lächelte sie zustimmend an. „Ich war zwar ewig nicht mehr hier, habe es aber dafür gut gefunden! Hah.“ Er tätschelte anerkennend seine linke Schulter und grinste triumphierend.

Emily lachte auf. „Du bist generell ziemlich flott! Warum fährst du eigentlich immer mit dem Bus zur Schule? Den Feldweg könntest du doch so langflitzen und früh morgens achtet da eh keiner drauf.“

Er sah sie belustigt an. „Nein, es wäre wirklich zu auffällig. Die Nachbarn sind immer ganz misstrauisch, und so ist es wenigstens etwas normaler.“

„Hm … mir ist es egal, wie unnormal du bist.“ Sie schmiegte sich an seinen weichen Arm und betrachtete den Halbmond, der das Wasser glitzern ließ. Er antwortete nur mit einem leichten Seufzen.
 

„Ah! Guck mal!“ Emily ging ein Stück Richtung Wasser und winkte Christopher zu. „Schwäne!! Ganz viele“, sagte sie aufgeregt und sah, wie sich 3 elegante, im Mondlicht leuchtende Schwäne langsam im Wasser bewegten, nachdem sie aus dem Schilf aufgetaucht waren.

„Der dritte ist kleiner, wahrscheinlich ein Babyschwan“, sagte Christopher, der neben Emily stand und ebenfalls neugierig die Vögel betrachtete.

„Ooh, wie süß. Eine kleine Familie.“ Sie seufzte zufrieden und kniete sich hin, um ihren Finger im anschwappenden Wasser kreisen zu lassen.

Christopher sagte dazu nichts. Seine Familie wurde zerstört. Er sehnte sich zwar nach einer neuen, aber Ängste, dass sie erneut zerbrechen konnte, weil Vampire eben unberechenbar waren, ließen ihn diesen Gedanken mehr begraben als aufleben.

Emily sah zu ihm hinauf. „Was planst du für deine Zukunft, Chris? Ich mein, wenn du ewig lebst und ewig so jung … was plant man da?“ Nun stand sie wieder auf und sah ihn interessiert an.

„Hm … bisher habe ich nur Zuhause gelebt. Aber Pläne …? Erst mal mit meinem Dasein zurechtkommen und dann … ich weiß es wirklich nicht. Schlag was vor.“ Er sah sie grinsend an.

Sie zögerte, doch: „Ich will die Zukunft mit dir verbringen. Solang es geht. Für immer und ewig. Aber nur, wenn du magst.“

Er schien verblüfft. „Wie soll das gehen? Im Ernst, Emily … du wirst alt und stirbst. Solange bleibe ich sehr gerne bei dir. Aber allein der Gedanke, dass ich dann verliere, ist jetzt schon grausam.“

Sie wurde wieder rot. Ihm lag also etwas an ihr!?

„Ich bleibe! Für immer …“ Ihr Blick durchdrang ihn und er verstand mit einem Mal, was sie meinte. Der Vampir vorhin war es also doch gewesen … Gerade er hatte ihr solch ein verlockendes Angebot gemacht.

„Vergiss es. Das willst du nie und nimmer“, wehrte er ab und sah aufs Wasser.

„Doch. Ich will, bitte“, beharrte sie.

„Du weißt nicht, was du da sagst, Emily, echt. Du hast null Ahnung, wie es wirklich ist. Angenommen, du wärest auch ein … ein Vampir. Könntest du es übers Herz bringen, Menschen zu töten, die du vielleicht sogar kennst? Und ihnen dann das Blut herauszusaugen, nur, damit du allein weiterexistieren kannst? Willst du so ein Monster werden wie Robin? Dein Leben ist sowas von eingeschränkt, du bist nur auf die Nahrungsbeschaffung erpicht und kannst nie richtige Beziehungen aufbauen. Es ist alles nur eine Frage der Zeit, bis sämtliches, was du dir aufgebaut hast, zerstört wird. So ein Leben willst du nicht führen. Es gibt keinen Ausweg und du lebst ewig. Du vergisst nie und verzeihst nie. Du wirst eiskalt und unberechenbar.“ Er presste die letzten Worte geradezu aus seinem Mund. Es war ihm schwergefallen, dies alles zu erzählen, das spürte Emily. Sie nahm sanft seine Hände und legte sie an ihr Gesicht.

Dann sah sie ihn gutmütig an.

„Aber du könntest dir nicht vorstellen, aus all dem hier auszubrechen und neu anzufangen?“

Er sah sie traurig an und nickte. „Aber nicht allein“, entgegnete er und seine Stimme klang sehr zerbrechlich. Sie hatte seinen Nerv getroffen, sein tiefstes Innerstes aufgewühlt. Einen Kern, den vorher niemand getroffen zu haben schien.



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