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The Hellman

The new Messiah
von

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Blind Angie

Nichts los, heut Abend...

Joshua saß neben Al, der, wie immer betrunken, hektisch, aber ironisch seine Verschwörungstheorien über eine Raumstation unterhalb des Weißen Hauses erklärte und gerade beschrieb, wie die Außerirdischen sich des Körpers der Politiker bemächtigt hatten und der US-amerikanische Präsident in Wirklichkeit ein kleines, grünes Männchen namens E.T. war, das sich in eine Menschenverkleidung hüllte. Joshua wollte fast gegenargumentieren, dass E.T. nicht grün, sondern braun war und die kleinen, grünen Männchen Dämonen auf Uranbasis waren, die man als Kanonenkugeln verwendete, und dementsprechend „Werfis“ genannt wurden. Insgeheim hatte er sich schon oft gefragt, in wie weit die Politik von paranormalen Wesen unterwandert war, aber darüber würde er sich erst Gedanken machen, wenn mehr wusste, als dass es drei Sphären, verschiedene paranormale Formen und einen Vertrag gab, wobei er von letzterem auch nicht mehr als ein Prozent des Inhalts kannte. Er riss sich aber zusammen, sagte nichts.

Wenn jetzt aber nicht gleich irgendetwas geschah, würde sich Joshua kurzerhand auf die Diskussion eingehen.

Noch dazu trank er.

Zuerst hatte er nur dann Schluckte gemacht, wenn Al ihm die Wodkaflasche reichte, doch irgendwann geschah ihm das zu selten (erschreckend, dass er „alle zehn Minuten“, als zu selten ansah, doch er schob es auf sein Zeitgefühl) und riss seinem Mitbewohner alle drei Minuten die Flasche aus der Hand

Al machte sich immer lustig über seine Schlucke, die nie mehr als ein Nippen waren.

Wegen Angela hatte er immer eine Abneigung gegen Alkohol gehabt und erst, als er Rachel kennen gelernt hatte, hatte er sich dafür begeistern können. Geschmeckt hatte es ihm nie, vertragen hatte er kaum etwas. Deswegen würde er auch jetzt in der Langeweile keine großen Schlucke machen. Doch diese Nipperei reichte um ihn betrunken zu machen.

Er bekam Schluckauf, Al lachte. Ob er so überhaupt noch seine Rettungsarbeit erfüllen konnte, war fraglich.

Rachel... was aus dem Mädchen geworden war, wegen der er überhaupt Selbstmord begangen hatte... oder so...

Wenn er sich noch richtig erinnerte, war sie von einem Lehrer ermordet worden. Er erinnerte sich, dass er damals absolute Verzweiflung und Trauer verspürt hatte, doch nun ließ ihn der tragische Tod der Rachel Simmons kalt. Und wegen so einer, die er fast vergessen hatte, hatte er das Schicksal der Welt bestimmt? So wirklich konnte er sich das nicht vorstellen. Leider wusste er auch nicht, warum er sonst hätte Suizid begehen können.

Wo Rachel wohl gelandet war?

In der Hölle hatte er sie nie gesehen, aber er hatte nie dort fast keine Leute getroffen. Irgendwie war auszuschließen, dass sie nun im Himmel war, er wusste nur nicht warum.

Verdammt, wie langweilig musste ihm sein, wenn er an die Geister seiner Vergangenheit dachte. Wieso war heute nichts los? Paranormalität kannte keine Feiertage.

Joshua stand auf. Vielleicht kamen die Überfälle diesmal nicht zu ihm, sondern er musste zu den Überfällen hin.

Hoffentlich traf er nicht allzu starke Wesen, in dem Zustand würde vermutlich all seine Tollpaschtigkeit zu Tage kommen, die er sich nie hatte abgewöhnen können. Und die würde dann wohl oder übel für seine absolute Eliminierung verantwortlich sein.

Leider war er zu unvernünftig, um sich einen Tag Pause zu gönnen.

Er torkelte los. Al schrie ihm einen Spottvers nach, den er nicht verstand.

Vielleicht lag es an der Menschenmenge, dass heute es kein paranormales Wesen versuchte sein Unwesen zu treiben. Obwohl es schon zehn Uhr nachts war, wuselten hunderte Passanten durch die Straßen. Verliebte Paare, Familien mit drei Kindern, hektisch telefonierende Herren und Damen in feiner Kleidung, Prostituierte, Penner, Sektenanhänger und andere religiöse Fanatiker, Leute, die ihre letzten Einkäufe erledigten, bevor die Läden schlossen.

Es war laut, die Straße lebte. Entweder davon, oder vom Alkohol bekam er Kopfschmerzen.

Nach ein paar Schritten übernahm die Vernunft schließlich die Oberhand. In diesem Rauschzustand konnte er nur Versagen.

Joshua hielt sich den Kopf. Was fanden so viele Leute daran so lustig, sich anzusaufen?

Kurz bevor der Kiosk geschlossen wurde, kaufte Joshua eine Packung Zigaretten. Binnen drei Wochen war sein Konsum wieder auf die Menge gestiegen, die er vor seinem Tod täglich inhaliert hatte.

Die Masse erschreckte ihn – so etwas hatte er schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Massenaufläufen gab es in der Hölle nur in Arbeitslagern, doch die dortige Stimmung war mit dieser nicht zu vergleichen. Trotz Hektik und Alltags-Aggressionen hatte das Szenario eine positive Atmosphäre.

Ob es irgendeinen Grund für die Freude gab? Stand bald Weihnachten an?

Weihnachten... jedes Jahr wurde man 24. Dezember mit „Konsumterror“, „Glühbirnenverschwendung“, „Baummord“ und „aufgesetzt fröhlichen Filmchen, die man nur unter Drogeneinfluss toll findet“ bombardiert, wie es seine Mutter immer so schön ausgedrückt hatte. Familie Nazara hatte nie Weihnachten gefeiert. Chanukka auch nicht, Joseph Nazara war genau atheistisch wie Maria Nazara, und diese Verachtung gegenüber religiösen Feiertagen wurde an den Spross übergeben.

Gefeiert wurde am 24ten Dezember aber trotzdem – Joshua hatte am 24ten Dezember Geburtstag. Haha, lieber Jesus, haha, hatte er schon immer Gedacht.

Aber nein, Weihnachten konnte nicht sein, dazu fehlten die Glühbirnenverschwendung und der Baummord.

Joshua schlug sich auf die Stirn und setzte sich auf eine einsam herumstehende Bank, die wohl eine Gruppe lustiger Jugendlicher aus einem Park geklaut hatte. Er zündete sich die dritte Zigarette in zehn Minuten an.

Dieser verdammte Alkohol zwang ihn über Sachen nachzudenken, die ihn seit Jahren nicht mehr durch den Kopf gegangen waren. Anekdoten, die er eigentlich vergessen wollte und Begebenheiten, die er eigentlich verdrängen wollte.

Er schwor sich, nie wieder zu trinken. Und jetzt am besten zu Al zurück zu gehen und zu schlafen. Paranormale Übergriffe würden heute hoffentlich weiterhin ausbleiben.

Irgendetwas ließ ihn aber plötzlich zusammenzucken. Nichts Paranormales jedoch.

Liam Warrick?, war Joshuas erster Gedanken. Bitte, alles außer Liam Warrick. Schon nüchtern war er dem Kerl unterlegen gewesen, wie würde ein Kampf erst enden, wenn er angeheitert war?

Doch seine Sorge war umsonst.

Sein Blick fiel auf die hagere, große Frau, deren Hund sie gerade an Joshua vorbeizerrte.

Er hätte fast ihren Namen laut herausgeschrieben. Er hätte sie fast umarmt. Doch schlussendlich war er so überrascht, weil er seine Schwester auf einmal sah, dass er nur perplex auf sie starren konnte.

Der kurze Blick hatte gereicht, um zu erkennen, dass sie sich über die fünf Jahre verändert hatte. Ins positive jedoch. Ihre Schritte waren zwar unsicher, irgendwie ziellos, doch sie schwankte nun nicht mehr. Ihre Haltung war aufrecht, stolz, auch wenn sie sich von diesem Hund dirigieren ließ. Egal. Alles deutete daraufhin, dass sie vom Alkohol losgekommen war.

Sie war mager geworden, selbst durch ihre weiten Pullover konnte man die S-Form ihrer Wirbelsäule erkennen, ihre eng anliegenden Jeans offenbarten Unterschenkel, die so dünn wie Neonröhren waren. Große Augenringe und ausgeprägte Wangenknochen zierten ihr Gesicht, ihr Haar war zerzaust, ihre Kleidung bescheiden. Sie verfluchte den Hund für seine Ungezogenheit, ihre Stimme war kratzig und ihre Sprache vulgär.

Anscheinend hatten Alkoholismus und Entzug in jeder Weise ihr gezehrt.

Aber egal, sie schien endlich trocken zu sein!

Angela war trocken!

Gerne wäre Joshua ihr nachgerannt, hätte gerne mit ihr gesprochen, hätte sie gerne umarmt. Doch er ließ es. Er war nicht betrunken genug um die Folgen der Begegnung mit einem verstorbenen nicht zu erahnen. Das letzte, was er wollte, war seine Schwester in einen Schock zu versetzen.

Nun konnte er endgültig nicht mehr kämpfen, egal, was heute noch passieren würde. Er ging zurück, setzte sich neben Al, der ihm sogleich wieder die Wodkaflasche hinhielt. Joshua stieß sie weg und machte die Augen zu.

„So ist es gut, schlaf dich mal aus.“ Al machte einen Schluck. „Ich hab oft das Gefühl, du schläfst nie.“
 

„Bitte... lass mich am...“ Das Flehen war sinnlos, Plainacher drückte dem Opfer die Nadel durch das Brustbein, ins Herz, ein tödlicher Stich, der schließlich zum Ableben dieser Kreatur führte.

Nichts da von wegen am Leben lassen, der Mensch, der es wagte sie anzusprechen, musste mit seinem Leben bezahlen. Niemals würde sie sich dazu herablassen mit einer solch niederen Kreatur ein Konversation zu führen, selbst Sklaven der Waffenschmiede, die sogar einem Sklaven des Schenkers unterstanden, waren in ihren Augen mehr wert, als ein verdammter Mensch. Am liebsten würde sie einfach durch die Straßen gehen, einem nach dem anderen den Kopf abschlagen, doch leider war so ein Verhalten verboten. Erik der Rote hatte ihr aufgetragen, immer einen Grund für einen Mord an einem Menschen nenne zu können. Zwar war schlichtes Ansprechen sicher ein solcher, den der Vertrag nicht umfasste, aber wer achtete heutzutage noch den Vertrag? Lillith jedenfalls nicht, denn nur durch ihr Eingreifen, was der Vertrag verbat, war Joshua Nazara auf die Seite der Hölle gezogen worden. Und hatte sie Ärger bekommen? Nein. Würde sich noch irgendwer beschweren? Niemals, der Messias war für alle Zeiten an die Hölle gebunden.

Zumindest dann, wenn er seine erste Prüfung bestanden hatte. Aber dafür würde sie schon Sorgen.

Plainacher zog die Nadel aus dem Körper des Menschen und sie verwandelte sich in einen der Ringe, die ihren Körper zierten. Ihre 666 Piercings... ihr Markenzeichen... ihre Waffen.

Nachdem sie auf die Leiche gespuckt, machte sie sich auf die Suche nach Joshua Nazara.

Dank seiner Narben war der werte Herr Messias sehr auffällig. Irgendein Obdachloser hatte ihr kurz vor seinem Tod verraten, wo sich das Narbengesicht aufhielt. Sie fand es widerlich, dass sich dieser Joshua damit zufrieden gab, in der Gosse zu schlafen. Es gab auch nicht-paranormale Möglichkeiten sich ein schönes Heim für die Prüfungszeit zu suchen. Anderseits – der Typ war seltsam, befand sich noch irgendwo zwischen Mensch und Dämon. Und bis zum Bestehen des Examens würde er dies auch noch weiter von sich denken.

Verdammt, sie musste dafür Sorgen, dass der Trottel endlich seiner Existenz würdig wurde. Er durfte nicht mehr länger seiner alten Lebensform nachtrauern! Er durfte kein Mitleid mehr mit den Menschen haben! Er musste die Menschen hassen! Er darf ihnen nicht mehr helfen! Sie musste diesen Gedanken aus seinem Kopf jagen.

„Hey, Süße, ist dir nicht kalt?“

Plainacher warf dem komischen Typen, der sie gerade von der Seite angesprochen hatte, einen wütenden Blick zu. Doch anstelle einfach zu gehen (gab sie ihm eben ausnahmsweise eine letzte Chance) gefielen ihm ihre Augen. Er grinste.

„Ich meine, wenn ich für mein gesamtes Geschlecht sprechen darf, finden wir es toll, dass du bei zehn Grad mit Hotpants und nur einem Poncho, ohne etwas drunter, herumrennst, aber Mensch, deine Gesundheit leider sicher darunter...“

Mensch? Hatte er sie gerade Mensch genannt? Niemand nannte sie Mensch.

„Schließt du notgeiler Bock immer so deine Bekanntschaften?“ Sie hasste die Sprache der Menschen, besonders diese.

„Nein, eigentlich nicht, aber du hast einfach so ein faszinierendes Charisma.“

Plainacher zwang sich ein geschmeicheltes Lächeln aufs Gesicht. Sie spielte sich mit einem Piercing an ihrem Bauchnabel und dem perversen Typen gefiel das. Er merkte aber nicht, dass sie eines ablöste.

„Wie viele hast du denn?“

„Sechshundertsechsundsechzig.“ Die Zahl wirkte auf die meisten Menschen suspekt (Wie geht das? Ich sehe nur die im Gesicht.), doch der Kerl zeigte sich begeistert.

„Boah, ey, ich hab nur eines.“ Er grinste breit. „Im Genitalbereich. Willst du’s sehen?“

Das reichte. Sie beschloss ihr Opfer diesmal nicht in ein abgelegenes Fleckchen zu zerren. Hier und jetzt, unter den ganzen Passanten musste er sterben, zum Glück konnte man auch Morde vertuschen, doch nur mit bestimmten Techniken. Die machen zwar nur leider halb so viel Spaß, weil das Opfer kaum leidet, aber der Trottel musste so schnell wie möglich von der Bildfläche verschwinden.

Der Ring formte sich zur Nadel.

Plainacher setzte wieder ihr schleimerisches Lächeln auf, und berührte den Typen an der Wange. Sie spürte seine Erregung auf der Haut vibrieren. Diese Kreaturen besaßen wirklich gar keine Selbstbeherrschung. Und solche Wesen hatte Gott eins den Engeln vorgezogen... kein Wunder, dass Satan ihn und sie hasste.

Schnell stach sie die Nadel in das Ohr des Widerlings. Auf der anderen Seite huschte sie wieder heraus.

Der Unterkiefer des Typen klappte auf. Es würde noch zehn Minuten dauern, bis er tot war, aber bis dahin konnte sich nicht rühren.

Plainacher spuckte ihn zweimal an – einmal auf die Schuhe, einmal in den Mund. „Sei froh, dass ihr dir nicht den Schwanz abgeschnitten habe, Wichser.“ Pause. „Und, da wo du nun hinkommst, solltest du auf dein Arschloch aufpassen.“

Sie ging. Leider würde sie nicht sehen, wie der Kerl tot umkippte.

Zum Glück hatte sie auch diesmal nicht vergessen das Schreien und Sterben des Menschen zu verdecken, sonst würde der Messias kommen und versuchen zu helfen. Auch wenn es weniger zeitaufwendig gewesen wäre, den Messias mit einer „Jungfrau in Gefahr“ herzulocken, so war es taktisch ein schwerer Fehler – der selbsternannte Superheld und Retter der Schwachen würde sich eher nicht einer Person anvertrauen und sich von ihr manipulieren lassen, wenn sie einem Schwachen das Leben nehmen wollte.

Liebe Menschheit, Beenie ist zwar grausam, aber nicht dumm...
 

Mit einem lauten Stöhnen wachte Joshua aus seinem Schlaf auf.

Was zum Teufel war das denn für ein beschissener Traum gewesen? Ein rothaariges Vollweib aus Hölle mit circa hundert Piercings lief quasi Amok in dieser Sphäre? Und ein Zoom auf eine Armbanduhr hatte verraten, dass dies genau in dieser Minute geschah? Schwachsinn... er hasste Träume mit Handlung, da diese „Handlung“ nie einen Sinn ergab und ihn nur stresste. Ihm war das surrealistische Aneinanderreihen von Bildern schon immer lieber gewesen.

Ausgeschlafen war er nicht, wahrscheinlich hatte er nur eine Stunde geschlafen.

Er streckte sich, und setzte sich auf. Seine Augen waren noch verklebt und er sah verschwommen. Dann gähnt er. Solche biologischen Schwachpunkte hatte er in der Hölle nie gehabt. Schlafen hatte er zwar müssen, aber immer kürzer, er hatte keine Schmerzen wegen schlechten Liegepositionen gehabt, musste nicht gähnen... das einzige menschliche Makel, das er die meiste Zeit gehabt hatte, war seine Nikotinsucht gewesen und eben die Müdigkeit, auf die aber selbst Erik der Rote manchmal Rücksicht genommen hatte.

Je länger er auf der Erde noch verweilen würde, umso mehr würde er sich seiner noch bestehenden Menschlichkeit bewusst werden, die er fast verdrängt hatte. War das gut, oder schlecht?

Joshua zündete sich eine Zigarette an. „Al, schläfst du?“

Er drehte sich zu dem Penner. Doch der Penner war nicht da. Nur eine zersprungene Wodkaflasche. Und die Frau die er im Traum gesehen hatte.

Ihr Grinsen ging wortwörtlich von einem Ohr bis zum anderen. „Morgen“, kicherte sie.

Joshua schrie kurz auf, seine Restmüdigkeit war verschwunden. Sofort hielt er der Dämonin seine Pistole an die Stirn.

Ihr Lächeln verschwand. „Das ist aber nicht nett.“

Er erkannte sie nun. Er hatte sie einige Male zusammen mit Erik dem Roten gesehen. Doch nie hatte er ein Wort mit ihr gewechselt. Ihre Stimme zeugte jedenfalls von demselben Wahnsinn, wie ihr Äußeres.

Sie nahm den Lauf der Pistole. Joshua wollte abdrücken, doch sie verriss seinen Arm. Die Kugel ging in den Boden.

„Und das war noch weniger nett.“

Joshua rieb sich den Arm. Jetzt hatte er eine Kugel verschwendet.

Die Dämonin war um einiges stärker als er, konnte also kein weiterer Prüfling sein. Was hatte sie dann hier zu suchen? Durfte sie überhaupt hier sein?

„Wer bist du?“ Peinlich, wie sehr er jammerte.

„Leutnant Sabine Plainacher. Aber Beenie reicht.“

Leider hatte ihn Erik der Rote nie über die Hierarchie der Höllenwehr aufgeklärt. Er stufte die Dämonin kurzerhand als mächtiger und einflussreicher als Erik den Roten ein. Dabei war dies nicht der Fall.

„Hörst du jetzt endlich auf zu jammern, du Weichei. Bedenke, so was wie du soll eines Tages die Hölle in den letzten Krieg führen.“

„Bis dahin hab ich noch Zeit.“ Eris verschwand wieder im Pistolenhalter und Joshua stand auf, damit er sich überlegener fühlte. Viel half dies jedoch nicht. „Was willst du? Und wo ist Al?“

Die letzte Frage wurde schnell beantwortet. Plainacher legte einen abgetrennten Kopf vor seine Füße.

Eigentlich hatte sie in Gegenwart des Messias nett sein wollen, aber die Realität sieht immer anders aus, als ein Plan. Und wenn ein nach Kotze und Urin stinkender Penner ihr einen Schluck von seinem Wodka anbot, konnte sie nicht anders als ihm den Kopf abschlagen.

Sie versuchte unschuldig zu lächeln – leider war das mit ihrem Mund nicht möglich. „Er wollte mich vergewaltigen“, log sie, aber vermutlich glaubte er ihr nicht.

Joshua starrte auf Als letzten Gesichtsausdruck, in dem sich Entsetzen, Angst und Verzweiflung widerspiegelten.

„Du wahnsinniges Monster!“

Plainacher verdrehte die Augen. „Nicht mal ordentlich fluchen kannst du.“ Sie stand auf. „Weißt, um auf deine erste Frage zurückzukommen, Erik, Lillith und auch all die anderen Einwohner der Hölle sehen gar nicht gerne, wie du dich entwickelst.“

Also wurde er doch beobachtet. „Ich fühl mich noch nicht bereit gegen Liam zu kämpfen. Seine Waffen sind mir suspekt.“

„Dagegen hat auch kein Pimmel etwas. Man hat dir zwei Jahre gegeben, mehr als sechshundertfünfzig Tage hast du noch Zeit, und die nimmt dir kein Arsch. Ich hab auch meine volle Frist ausgenutzt und kuck mal was aus mir geworden ist.“ Sie demonstrierte ihre Armmuskulatur. Joshua konnte aber nur darauf achten, dass sie unter dem braunen Poncho nichts mehr an hatte. „Aber weißte, dieses ganze Superheldengehabe geht uns gehörig auf die Eier...stöcke.“

Er biss sich auf die Lippen. „Was meinst du?“ Dabei wusste er genau, worauf sie anspielte.

„Na, deinen widerlichern Drang, Retter der Jungfrauen zu sein.“

Joshua schnaufte. Er wusste nicht, ob es etwas brachte zu leugnen, wahrscheinlich nicht, aber tat es trotzdem. „Ich hab nur Menschen vor Vampiren gerettet. Und Erik der Rote hat mit dezidiert gesagt, ich soll jeden töten, der mir über den Weg läuft.“

Sie verdrehte die Augen. „Tse, klar, dreimal haste derweil Vampire erlegt. Mich anzulügen bringt nichts, Fotzengesicht. Man braucht nicht sehr mächtig zu sein um dich zu durchschauen.“

Verdammt. „Hör zu, ich weiß nicht, was genau mich dazu bewogen hat. Vielleicht die Langeweile.“

„Wenn dir langweilig ist, reiß Menschen die Gedärme raus...“

Das überhörte er einfach. „Vielleicht auch der Schock. Ich meine, ich bin genau in der Gasse wieder aufgetaucht, wo ich Selbstmord begangen habe und alle Erinnerungen kamen wieder hoch, dass das alles doch ganz nett was, dass ich auch irgendwie noch ein Mensch bin... AUA!“

Plainacher trat ihm gegen das Schienbein, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Das hast du jetzt nicht gesagt! Stell dich noch einmal mit den widerlichen Menschen gleich und ich Prügel dir die Scheiße aus dem Leib, egal, ob Messias oder nicht.“

Joshua hielt sich das Schienbein, der Tritt war verdammt heftig, quälte aber aus sich heraus: „Wieso nicht? Ich war mal ein Mensch.“

„Du WARST, Arschloch, du WARST! Jetzt bist du ein Dämon, wirst irgendwann zum Teufel aufsteigen, und du bist verdammt noch Mal besser als die Scheißmenschheit. Auch besser als Magier, besser als Alben, besser als jede hier zu Paranormalität gekommene, beschissene Existenz.“

Joshua knurrte. So konnte er das nicht sehen. Zwar fand er Begründung dafür, aber er fühlte sich noch immer als Mensch, nicht als Dämon. Deswegen sagte er, auch wenn es ihm übertrieben pathetisch, und nicht ganz ehrlich vorkam: „Es tut mir leid, aber ich bin als Mensch geboren und ein Teil von mir wird immer menschlich sein. Auch wenn ich diese Sphäre vernichten sollte, das Menschliche wird nie verschwinden. Sorry, aber ich bin nun mal hier geboren und nicht in der Hölle.“

Plainacher zuckte mit den Schultern. „Ich auch.“

„Bitte?“

„Ich war auch Mal ein Mensch.“ Sie kratzte sich am Kopf. „Verdammt, es ist schon so lange her, seit ich an der deiner Stelle stand. Ich glaube, ich habe damals genau so geredet.“ Pause. „Und jetzt, na ja, sieh mich an, ich bin Faschistin.“ Das sagte sie mit Stolz. „Sorry, aber ich vergesse immer, dass Anfänger sich meistens mit ihrer alten Sphäre verbunden fühlen. Noch dazu warst du Selbstmörder und bist nicht umgebracht worden, so wie ich. Das heißt du hast keinen so innigen Hass, wie ein Ermordeter.“

Joshua wusste nicht, was er nun sagen sollte. Einerseits überraschte ihn das Geständnis, so überzeugt wie sie redete, hatte er wirklich geglaubt, sie seit ihrer Geburt Dämonin. Andererseits verwirrte ihn ihr plötzlicher Stimmungswechsel, von der Aggression zu freundlicher Selbstironie.

„Aber weißte, diese Liebäugelei mit den Menschen steht wirklich abseits jeder Anfängerverwirrung. Dieses Superheldengehabe muss dir wirklich ausgetrieben werden.“

„Wieso?“, fragte er wieder.

Sie knurrte, stand kurz davor wieder zur Aggression überzugehen, doch sie riss sich zusammen. „Weil das nicht gut für dich ist.“ Pause, ihr Grinsen war diesmal etwas dezenter. „Erik der Rote hat mich geschickt, um dir zu erklären, warum du die Menschheit hassen musst, wie geil es eigentlich ist einem dieser Wichser den Schädel zu spalten und sein Hirn mit den Zähnen herauszuholen.“

Joshua verzog angewidert das Gesicht.

„Au Backe, du verträgst echt gar nichts.“

„Doch, eigentlich schon.“ Er hatte Splatter-Filme früher geliebt. „Aber du bist einfach ekelhaft. Und würdest du eventuell deine Ausdrucksweise weniger ordinär gestalten.“

„Oh tut mir Leid, es kommen nicht alle aus so vornehmem Hause wie du, du... Schließmuskel.“ Wieder lächelte sie stolz.

Joshua wollte noch etwas sagen. Er wollte rebellieren, sich nicht von dieser Wahnsinnigen irgendetwas einreden lassen. Sagen, dass es der Hölle doch egal sein sollte, welche innere Einstellung er verfolgte. Er wollte aber auch Fragen stellen, über die Wesen mit denen er plötzlich konfrontiert war, über die Verträge, über Erik den Roten, und ob sie etwas von diesen beiden Gestalten wüsste, die ihn kürzlich ausgefragt hatten. Doch er kam nicht dazu.

Plainacher packte Joshua bei der Hand. „Weißte was, wir machen eine kleine Tour. Du bringst jetzt gleich deinen ersten Menschen um.“

„Was? Nein!“

Mehr konnte er nicht mehr sagen. Denn dann sprang Plainacher in die Höhe, riss ihn mit sich, rannte und sprang mit so einer hohen Geschwindigkeit durch die Gegend, dass es so anstrengend war, mit ihr mitzukommen, dass er sich nicht dem sprechen widmen konnte.
 

Sie blieben endlich stehen. Joshua hatte keine Ahnung, wohin ihn diese Wahnsinnige geschleppt hatte, doch er kannte die Gegend nicht. Besser gesagt, er ERkannte sie nicht. Als er noch gelebt hatte, war dies ein Künstlerviertel gewesen, wo genau solche Exzentriker herumgelaufen waren, wie er. Gerne hatte er sich dort aufgehalten, obwohl ihn die meisten wegen „mangelnder Authentizität“ ausgelacht hatten.

Jetzt war es das Snobviertel. Irgendwohin hatte es sich ja verlegen müssen, wenn das ehemalige von Obdachlosen unterwandert worden war.

Sie saßen auf dem Dach eines mehrstöckigen Hauses, das wie ein übergroßes Einfamilienhaus aussah. Joshua war außer Atem, worüber Plainacher nur den Kopf schütteln konnte.

„Was machen wir hier?“, keuchte er.

Plainacher schlug sich auf die Stirn. „Sag mal, tust du nur so bescheuert oder hat man dir wirklich ein paar Hirnzellen zu wenig gespendet. Echt, wenn ich wieder unten bin, werd’ ich ’nen Spendenaufruf machen – mehr Intelligenz für den Messias.“

Joshua schnaufte. So respektlos hatte nicht einmal Erik der Rote ihn behandelt.

Langes Schweigen herrschte.

„Scheiße, du hast die Frage erst gemeint.“ Eigentlich nicht, er wollte nur Zeit schinden. Sobald das Tageslicht anbrach, würde sie es nicht mehr wagen einen Menschen umzubringen. Sie mochte zwar überheblich sein und sich als etwas Besonderes sehen, doch in dieser Hinsicht war sie berechenbar. Stolze Dämonen handelten nur nachts auf der Erde.

Der Tag würde schon in einer halben Stunde anbrechen.

„Okay, ich erklär es dir“, lachte Plainacher. „Du tippst auf irgendeinen Menschen in der Menge, und auf den lässt du dann einen Blitz fahren.“

Joshua riss die Augen auf. „Vergiss es!“, sagte er lieber nicht. Er log: „Das kann ich nicht.“

„Noch Mal, halt mich nicht für bescheuert, Arschgesicht.“ Sie schlug ihm auf den Hinterkopf. Darauf wurde ihm schwindelig. „Soll ich es dir vormachen?“

Ehe er verneinen konnte, zeigte sie schon mit dem Finger auf eine ältere Frau, die ein weinendes Kind hinter sich herzog. (Was die um diese Uhrzeit noch auf der Straße trieben, wusste keiner.) Ehe er ihren Arm wegreißen konnte, schlug der Blitz ein und die Frau fiel tot um. Passanten, die glaubten, sie erleide gerade einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, weil sie den Blitz nicht gesehen hatten, zeigte Zivilcourage. Aber vergebens.

Plainacher warf Joshua einen wütenden Blick zu. Dann trat sie ihm mit voller Wucht in den Magen.

„Was für ein verkommenes Arschloch bist du denn!“ Sie trat ihn. „Verdammt, warum hast du mich aufhalten wollen, Wichser! Ich mach doch nur genau den Scheiß, den du eines Tages machen wirst! Du missachtest deine Existenz.“ Mit den Fuß rollte sie ihn auf den Rücken und trat auf sein Brustbein. „Und du missachtest meine Befehle. Ich bin ein verdammter Leutnant und du noch nicht mal ein verfickter Soldat! Du hast mir nicht zu widersprechen, hast mir zu gehorchen und darfst mich nicht mal berühren.“

Der Druck, den ihr Stiefel ausübte, wurde immer großer und Joshua bekam Probleme zu atmen. Sie drehte den hohen Absatz in seine Haut, und er stöhnte vor Schmerzen.

„Nichts hält der aus“, klagte sie, als sie den Fuß von seinem Brustbein nahm. Dann packte sie ihn an der Schulter und zog ihn auf die Beine. Wenn sie ihn nicht gehalten hätte, wäre er wieder umgefallen. Doch sie ergriff ihn sehr unsanft am Hals.

„Ich kann das nicht.“

Plainacher verdrehte die Augen. „Ich würde deinen Einwand ja verstehen, wenn du nicht“, sie zählte mit den Fingern nach, „hundertneun paranormale Wesen auf dem Gewissen hättest. Irdische und jene aus unserer Sphäre, mit denen du dich viel verbundener fühlen solltest, als mit dem beschissenen Menschengewürm.“ Mit einem Kopfnicken deutete sie in die Menge. „Los, bring das Kind um.“

„Vergiss es.“ Pause. „Ich hab Hemmungen Menschen zu töten, weil sie gegen unsereiner unterlegen sind.“ Er wunderte sich, dass er trotz den Würgegriffen so gut sprechen konnte.

„Falsch“, knurrte Plainacher. „Sie sind uns unterlegen, weil sie nicht alles aus sich und den Umständen herausholen, um uns zu besiegen. Denk doch einfach an Liam Warrick. Der nutzt alle Möglichkeiten, die es gibt, und killt alle möglichen Kreaturen. Wer nicht alle Ressourcen nutzt, soll sich nicht wundern, dass er unterliegt und soll deswegen bemitleidet werden.“ Pause. „Also, ermorde das Kind!“

Selbst wenn er gewollt hätte, hätte Joshua in diesem Moment nicht können, da der Würgegriff viel seiner Kraft kostete. Sabine Plainacher merkte das aber nicht. Sie warf ihn wütend zu Boden, trat ihn erneut.

„Mach schon.“

„Vergiss es. Ich töte keine Menschen. Und auf eine Psychopathin wie dich würde ich sowieso nie hören.“

Dafür stampfte sie ihm ins Gesicht. Sie hätte ihm das Gesicht zerquetschen können, doch sie brach nur seine Nase. Joshua setzte sich auf.

„Nichts hält der aus...“, knurrte sie wieder. Nachdem sie einige Male verzweifelt auf und ab gestampft war, in der Hoffung, dass die Leute, die unter dem Dach wohnten, auf sie Aufmerksam wurden, und Joshuas Nase nicht mehr so stark blutete, fauchte Plainacher: „Dann bring halt jemand anderen um, als dieses Kind! Aber verdammt noch Mal, bring jemanden um.“

Fünfzehn Minuten noch bis Tagesanbruch, Joshua wusste nicht, ob er sich dieser Tortur noch länger beugen konnte.

Irgendwie hatte diese Irre ja Recht. Aber das wollte er nicht wahrhaben. Niemals würde er einen Menschen töten. Einen Unterlegen. Einen Ahnungslosen. Seine Form der Existenz.

Doch er kam nicht darum herum, wenn er weiter bei dieser Verrücken blieb.

Er musste fliehen.

Und er wusste wie – er hielt zwar nicht viel aus und war verdammt unerfahren, doch das hieß noch lange nicht, dass er schwächer war als sie.

Joshua war stärker – stärker als Erik der Rote, das hatte ihm sein Ausbilder immer klar gemacht. Und somit würde er auch stärker sein, als diese Dämonin, namens Sabine Plainacher.

In dem Moment als sie ihn wieder am Hals packen konnte, ergriff er ihr Handgelenk. Er spürte schon den Ansatz eines Reflexes sich loszureißen, doch dann rasten Million Blitze von 1000 Volt durch ihren Körper und Plainacher konnte sich nicht mehr bewegen. Nur schreien konnte sie.

Joshua hatte diese Technik noch nie länger als eine Minute anwenden können, so sehr erschöpfte sie ihn – doch der Hass auf dieses Weib schenkte ihm dreißig Sekunden mehr.

Er ließ sie los. Ihm wurde schwindelig. Zum Glück verlor diese faschistische Irre das Bewusstsein. Stinkend nach verflüssigtem Metall und Rauch fiel sie zu Boden. Ein Wunder, dass sie nicht in Flammen aufgegangen war.

Nachdem er sich gefangen hatte, sprang Joshua in die Höhe, weg von ihr, weit weg. Doch der einzige Ort, wohin ihn seine Füße ich trugen, war die Gasse, wo er immer geschlafen hatte, wo Al ermordet worden war, wo diese Tussi ihn gefunden hatte.

Er setzte sich. Wartete. Seit einer Ewigkeit überkam ihm wieder die Lust zu schreiben.

Und tatsächlich fand er auch einen halbwegs funktionierenden Kugelschreiber und einen gewellten Block, der weggeworfen worden war, weil anscheinend Wasser darüber geschüttet worden war.
 

Nichts los, heut Abend – von wegen!

Wenn ich das Ereignis resümiere, kommt es mir noch seltsam vor...

Das liegt wahrlich nicht an der komischen Frau, solche eigenartigen Charaktere traf ich in der Hölle zuhauf.

Doch ich wundere mich darüber, was ich gesagt habe.

Ich weiß nicht, ob es auf tiefsten Herzen kam, oder ob es nur Ausreden waren.

Ich fühlte mich wie eine Marionette, deren Fadenzieher sich in einer auswegslosen Situation befand, aber irgendetwas machen musste.

Eher hätte ich mir zugetraut, sofort der Tussi einen Elektroschock zu verpassen, doch ich musste auf ihre faschistischen Reden mit pathetisch, irreal, dämlich, naiv, was weiß noch klingenden Schlagwörtern antworten, von denen ich nicht weiß, ob ich sie ernst meinte.

Aber ist ja auch egal, Worte und Taten kann nicht einmal Gott rückgängig machen, heißt es.

Das Leben ist leider kein Text, wo man das Geschriebene einfach wegstreichen kann, wenn es einem nicht gefällt – so wie dieser Text hier, wo ich jede zweite Zeile durchstreiche.

Also einfach vergessen.

An die Zukunft denken.

Denn ich will hier nicht bleiben.

Ich kann nicht an diesem Ort bleiben, wo mich diese Irre aufgefunden hat, und wo sie mich wieder erwarten würde.

Ich kann nicht an diesem Ort bleiben, wo mein „Mitbewohner“ umgebracht worden ist.

Sein Kopf liegt noch immer hier, mittlerweile von Ratten angenagt.

Wegwerfen kann ich nicht, das bringe ich nicht übers Herz.

Und ich weiß nicht, wo ich ihn beerdigen soll.

Wahrscheinlich wäre die beste Idee ihn zu verbrennen.

Doch egal, wie ich mich entscheide, ich kann in dieser Gasse nicht bleiben.

Aber wohin soll ich – mir einen neuen Gossengenossen suchen, bei ihm bleiben und warten, bis irgendein Beauftragter der Hölle kommt und ihn abmurkst.

Ich will nicht, dass noch jemand wegen mir stirbt, auch wenn es nur ein Penner ist, doch ich will auch nicht alleine hin.

Zum Alb und der Magierin? – träum weiter, Joshua, das würde die Hölle genau so wenig akzeptieren, wie meine „Superheldennummer“.

Ich muss zu jemandem, den die Hölle nicht schaden würde, nicht schaden kann, weil von dieser Person etwas abhängt – sei es aus noch so dämlichen, noch so paranoiden Gründen.

Der einzige Mensch, der mir einfällt, ist einer, zu dem ich eigentlich nicht will, der auch ohne Konfrontation mit der Hölle einen Schaden davontragen würde.

Angela...
 

Mit Kopfschmerzen wachte Beenie Plainacher auf, aus dem Schlaf gerüttelt von der Mittagssonne, die ihr direkt ins Gesicht schien..

Sie hielt sich den Kopf. Wer hätte gedacht, dass in diesem Schwächling so viel Kraft steckte. Nun ja, trotz ihrer Meinung, dass irgendetwas faul und falsch an dieser Messias-Geschichte war, musste doch ein wahrer Kern darin stecken. Wahrscheinlich war dies seine Stärke.

Noch immer befand sie sich auf dem Dach. Dumme Menschen, die sahen sie wahrscheinlich als Taube oder anderen Vogel. War aber gut, so sehr wie sie das Sonnenlicht hasste, verging ihr jegliche Lust aufs Morden und wenn man sie angesprochen hätte, hätte sie müssen.

Plainacher setzte sich auf und hielt sich den Kopf. Angestrengt versuchte sie das Geschehene zu resümieren.

Und kam zu dem Schluss... sie hatte versagt.

Volle Wäsche versagt.

Der Messias würde ihr, nachdem sie seine Ideale mit Füßen getreten hatte, niemals vertrauen, weswegen sie ihn nicht beeinflussen konnte. Da war ihr Stolz wieder größer gewesen, als ihr Vorhaben einfühlsam zu sein. Aber solche Sachen sind nun mal leichter gesagt, als getan.

Egal, nach dem ersten Versuch war noch nicht alles verloren. Irgendwie würde sie ihn schon beeinflussen können. Nett werden... Verständnis haben... sich zusammenreißen

Irgendein Kind schmiss einen Stein nach ihr. Plainacher tötete trotz Sonnenlicht und Lustlosigkeit dieses Balg mit einer Piercingnadel, indem sie sie in die Halsschlagader schoss.

Nett, werden... Verständnis haben... sich zusammenreißen... wird schwer werden.
 

Er schlug mit der ganzen Handfläche gegen die Tür. Eigentlich wollte er klopfen, doch auch wenn sein Geist willig war, sein Körper hatte noch immer Angst. Wenn er so anklopfte, würde sie es vielleicht nicht hören, dann konnte er dank dieser Ausrede guten Gewissens gehen.

Doch direkt danach rief sie: „Ja? Wer ist da?“ Kurz danach bellte ein Hund.

„Anthony!“ Wie kam er auf den? Anthony war einer seiner beiden Cousins, die er aus tiefsten Herzen gehasst hatte und noch immer hassen würde, wenn er ihn wieder sehen würde.

Die Entscheidung diesen falschen Namen anzugeben war die dümmliche Hoffnung, dass sie ihn nicht erkennen würde. Er konnte nicht glauben, dass er sie für so dumm hielt. Joshua und Anthony hatten ähnliche Stimmen und man konnte sie optisch auch nicht unterscheiden... aber eine Schwester erkannte ihren Bruder. Außerdem, wie hätte ein ganz normaler Mensch wie Anthony solche Narben abbekommen können?

Sie öffnete die Tür. Noch bevor die Tür ganz offen war, knurrte der Hund Joshua an.

„Still, Clover!“, fauchte Angela und hielt den Hund mit dem Bein auf. Dass Vieh war zwar zickig, aber wenigstens gut erzogen, er blieb hinter ihrem Bein stehen.

Angela sah zu ihm hoch, doch sie sah ihn nicht an. Ihr Blick ging ins Leere.

„Anthony, welch eine Überraschung!“, freute sie sich. „Was machst du denn hier? Ich dachte du studierst in London?“

Joshua zerbrach fast das Herz. Sie erkannte ihn nicht. Weil sie blind war.

Er holte tief Luft und mit leicht verstellter Stimme sagte er: „Nicht mehr. Mir gefiel es dort nicht. Ich geh jetzt hier aufs College.“

„Warum bist du nicht zurück nach Harvard?“

Der Anblick seiner Schwester untersagte ihm das Lügen.

Sie war nüchtern. Wann hatte er sie je so erlebt, nicht aggressiv wegen Alkoholentzug, nicht vollkommen dicht, nicht verkatert?

Und sie war blind.

Angela brauchte keine Antwort: „Weißt du was, komm rein. Es ist zwar nicht aufgeräumt, aber ich hab gerade gekocht.“ Dass ein blinder Mensch die Wohnung nicht rein hält, verzeiht man. Aber wie hatte sie es geschafft zu kochen?

Das Essen stellte sich als Tiefkühlware heraus.

Angela redete ohne Unterbrechung, erzählte aber nichts von sich, nur welch eine Freude es war, seit langem wieder einen Verwandten zu treffen und wie ungehorsam und zickig der Labrador namens Clover sein konnte.

Als Joshua langsam die Tiefkühlpizza aß, welche er früher gehasst hatte, aber die ihm nun unglaublich gut schmeckte, schließlich hatte er seit zwanzig Stunden nichts mehr gegessen. Angela saß bei Tisch ihm gegenüber, aß aber nichts. Fraß er ihr gerade etwas weg?

Irgendwann fasste er sich ein Herz und unterbrach seine ältere Schwester: „Hast du meinen Brief erhalten?“

Oh Gott, wie dumm war das denn? Wie konnte man eine Blinde so etwas fragen?

Angela schüttelte den Kopf. „Ab meine Nachbarin erledigt meine Post, vielleicht hat sie ihn verschlampt. Stand etwas Wichtiges drinnen?“

Jedes erlogene Wort tat ihm im Magen weh: „Meine Entscheidung, wieder hier her zu kommen, lief sehr spontan. Und ich habe noch keine Wohnung gefunden. Ich wollte deswegen fragen, ob ich vielleicht einige Zeit bei dir bleiben könne.“ Dämlich, dämlich, aber sie glaubte ihm.

Angela seufzte: „Och Anthony, warum hast du mich nicht einfach angerufen?“

Fast hätte er „Tante“ gesagt: „Meine Mutter kannte nur deine Adresse, nicht deine Telefonnummer.“ Zum Glück war das Familienverhältnis so schlecht, dass so etwas möglich war. Manche Katholiken verzeihen es der nächsten Verwandten nicht, wenn sie einen Juden heiraten.

Seine Schwester verzog das Gesicht. Ihre Augen wanderten ziellos im Zimmer umher. „Woher weiß Tante Anna überhaupt, wo ich wohne?“

Er zuckte mit den Achseln. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn würde sich in den letzt fünf Jahren schon nicht sonderlich verbessert haben.

„Maria vielleicht.“ Maria? Seit wann nannte Angela ihre Mutter beim Vornamen? Wo war das auch betrunken liebevoll ausgesprochene „Mum“ hin?

Joshua trug den Teller in die Spüle und fing einfach an abzuwaschen. Der Köter knurrte wieder und Angela streichelte ihn. „Das musst du nicht machen.“

„Will ich aber“, antwortete Joshua. Er holte tief Luft: „Darf ich nun eine zeitlang hier bleiben?“

Der Hund bellte. Angela gab ihm einen Klaps, schwieg aber, dachte nach.

„Ich hab genug Geld, mir heute ein Hotel zu leisten. Wenn du einen Tag brauchst zu überlegen, werde ich...“

„Ach, Schwachsinn!“, kicherte sie. „Ich hab überlegt, wo du schlafen könntest.“

Joshua grinste plötzlich so breit, dass es dämonisch wirkte. Zum Glück sah sie es nicht. Sie war blind...

„Danke. Ich brauch nicht viel Platz. Ich kann auf dem Sofa schlafen.“ Hatte sie überhaupt eines? Sicher. Früher hatten sie eine gehabt und da die große Wohnung noch genau so eingerichtet war, wie früher, würde es schon nicht verschwunden sein.

„Da ist aber eine Maus drauf gestorben.“ Pause. „Außerdem, das ist dieselbe Wohnung, in der du schon hunderte Male zu Gast warst. Nur nicht blank poliert. Nimm einfach Joshuas Zimmer, das steht seit, wie lang noch mal... fünf Jahren leer.“

Ihm wurde schlecht. Er hatte sein altes Zimmer vollkommen vergessen. Und es schockierte ihn, wie emotionslos sie seinen Namen ausgesprochen hatte. Als ob sie ihren kleinen Bruder, der sich immer um sie gekümmert hatte, wenn es ihr beschissen ging, nicht vermisse.

Fast hätte er gesagt, wer er war, doch er riss sich zusammen.

„Danke. Ich werde dir auch Miete zahlen.“

„Nicht nötig, ich bin Eigentümerin. Mach dich nur im Haushalt nützlich. Nur grob, ich seh’s ja eh nicht, aber es soll halt nichts verschimmeln und Ungeziefer will ich auch nicht haben.“

Ungeziefer und Schimmel? Da die Wohnung immer auf Hochglanz geputzt gewesen war, konnte er sich so etwas gar nicht vorstellen. Überhaupt, das Apartment im dreckigen Zustand erkannte er gar nicht als sein altes Zuhause wieder. Es sah so anders aus.

„Außerdem, es ist einsam in dieser großen Wohnung nur mit einem sturen Labrador zu leben. Wenn ich mich mit ihm rede, fühle ich mich eine hundertjährige Pensionistin, die Alzheimer hat. Es wäre toll ein menschliches Wesen zum Reden zu haben.“

Joshua lächelte. Menschlich... mehr oder weniger. Was sie nur sagen würde, wenn sie ihn sähe. Wahrscheinlich hätte sie panisch die Polizei gerufen und geschrieen, dass Frankenstein sie töten wolle.

Als er mit Abwaschen fertig war, setzte er sich wieder gegenüber Angela. Seiner Schwester so nah zu sein, machte die nächste Frage verdammt schwer: „Wo ist Tante Maria?“

Angela zuckte mit den Achseln. „Weg.“

„Was soll das heißen?“

„Nach Joshuas Tod ist sie verschwunden. Hat mir die Wohnung geschenkt und ward nie wieder gesehen oder gehört.“

Joshua wusste nicht, was er sagen sollte. Das war die Reaktion auf seinen Tod gewesen? Aus Trauer oder Veränderungsgründen einfach verschwinden. Er hatte sich irgendwie vorgestellt, dass es seiner Mutter egal war, dass er gestorben war, in Anbetracht, wie wenig sich für ihn interessiert hatte.

Er fand es einerseits toll, dass Maria so drastisch mit seinem Tod umgegangen war, aber verabscheute es andererseits, dass sie ihre alkoholkranke Tochter allein gelassen hatte.

„Manchmal schickt sie mir Schecks. Immer aus einem anderen Bundesstaat. Sogar anderen Nationen. Einmal kam einer aus Indien.“

Joshua nickte nur. „Und was hast du gemacht?“

Angela grinste breit. „Nie wieder einen Tropfen Alkohol angerührt.“ Pause. „Ich musste erwachsen werden, ich war auf mich alleine gestellt.“ Noch eine Pause. „Manchmal habe ich aber das Gefühl, dass Joshuas Selbstmord der Grund für meine absolute Abstinenz ist. Als ob ich wegen ihm getrunken hätte.“

Er schnaufte. Wie bitte?

Angela kicherte: „Das war doch nicht ernst gemeint. Man redet nicht schlecht über die Toten. Vor allem über den verstorbenen, jüngeren Bruder nicht. Du verstehst echt keinen Spaß.“

Wenn sie wüsste, wer vor ihr saß...

„Und was machst du jetzt?“

Angela verzog das Gesicht. „Ich war bis vor einem Jahr auf dem Collage. Nicht in Yale, das Angebot ist verfallen und ehemalige Alkis nehmen die nicht auf, auch wenn wahrscheinlich die Hälfte der Dozenten zu tief ins Glas schaut. Das lokale. Hauptfach Psychologie. Ist nicht schlecht, coole Leute, wird dir gefallen.“

Er wusste, was er jetzt ansprechen würde, doch zu Anthonys Art passte es in Wunden zu bohren und er musste seinen Cousin so authentisch wiedergeben, wie möglich. „Und dann?“

Sie seufzte. „Dann kam irgendein Irrer auf die Idee, während einer Motorradfahrt mit einem Baseballschläger Menschen niederzuschlagen. Ich war die einzige, die’s überlebt hat.“ Sie tupfte auf die Stelle zwischen ihren Augen. „War wohl die Strafe für meinen Alkoholismus.“

Joshua holte wieder tief Luft – jede Frage war eine Tortur: „Und wie kommst du zurecht?“

„Gut.“ Sie lächelte dabei. Es klang verdammt überzeugend.

Er hatte vermutet, dass seine Schwester etwas Melancholisches an sich haben würde, frustriert, weil sie ihren kleinen Bruder verloren hatte, weil ihre Mutter sie im Stich gelassen hatte, weil der Entzug sie geschafft hatte.

„Am Anfang war es hart. Ich kann mir ja keinen Betreuer leisten. Aber jetzt klappt das Leben sehr gut. Und Clover ist eine gute Unterstützung.“ Sie kraulte den Labrador am Nacken. Inzwischen hatte er aufgehört zu bellen und zu knurren, doch er musterte Joshua skeptisch. Wahrscheinlich sah er etwas, was Joshua verriet. Tiere erkannten meistens paranormale Wesen. Zum Glück konnten sie dies nicht mitteilen.

Sie fing an von den Schwierigkeiten einer Erblindung zu erzählen. Er konnte kaum zuhören. Jedes Wort tat ihm weh. Doch er entwickelte Bewunderung dafür, dass sie es dennoch schaffte ihr Leben allein zu meistern.

Ganz allein.

Im Prinzip musste sie im letzten Jahr einsamer gewesen sein, als er sein ganzes Leben lang.

„Darf ich dich drücken?“, platzte er plötzlich heraus.

Sie verzog das Gesicht. „Gott, Anthony, seit wann bist du sentimental?“

„Ich hab in London einiges erlebt.“ Toll, jetzt durfte er Lügen, bis die Balken bogen, wenn sie nachfragte, tat sie aber nicht.

Angela breitete die Arme aus. „Och, komm her.“ Und sie fiel ihm um den Hals. Ob sie etwas spürte? Seine Narben durch den Pulli hindurch? Roch er noch wie früher? Fühlt er sich noch an wie früher?

Sie erkannte ihn nicht.

Hoffentlich drückte er seine Schwester nicht zu fest, das war verdächtig. Am liebsten hätte er sie nie los gelassen. Am liebsten hätte er geflennt. Stundenlang, weil er so froh war sie wieder zu sehen. Ein Mensch, den die Hölle nie schaden würde, weil Angela ihm zu viel bedeutete. Ein Mensch, von dem er wusste, dass er ihn nie schaden würde. Ein Mensch den er trotz seiner Liebe anlügen musste...

Seine Schwester.

Seine blinde Schwester.



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