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Close the Door

von

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Kapitel 23

Close The Door
 

Kapitel 23:
 

Erschrocken setzte ich mich kerzengerade auf und sah mich gehetzt um.

Nur langsam realisierte ich die Situation.

Okay…du befindest dich in Seto Kaibas Villa. Es ist alles in Ordnung. Dein Vater ist nicht hier. Und das brüllende Geräusch ist lediglich Corey Taylor aus der Band: Stone Sour, der dir mit dem Lied: „Hell & Consequences“ in den Ohren liegt.

Seufzend fuhr ich mir durch die Haare, schob diese aus meiner Stirn und schaltete das Radio auf dem Nachtkästchen neben meinem Bett mit einer fließenden Bewegung aus.

Sofort verstummte das Geschrei.

Kurz schloss ich die Augen, verdrängte alle negativen Gefühle und Gedanken in die hinterste Ecke meines Gedächtnisses und stand dann auf um mich im Bad für die Schule fertig zu machen.

Nach einer wohltuenden, ausgiebigen Dusche und dem Zähneputzen fühlte ich mich um Welten besser. Ich griff nach den frischen Boxershorts, schlüpfte schnell hinein und zog mir dann ein weißes T-Shirt über. Danach zwängte ich mich in die verhasste Schuluniform, versuchte verzweifelt die Krawatte zu richten und schmiss sie dann, nach einem genervten Brummen, in die hinterste Ecke meines Zimmers.

Das schlechte Gewissen Delia gegenüber meldete sich sofort. Also seufzte ich laut und hob das verhasste Ding wieder auf, legte es fein säuberlich auf mein bereits gemachtes Bett und zupfte dann vor dem Spiegel an meinem Kragen herum, bis dieser halbwegs ordentlich umgeschlagen war.

Wie gut das in der Schule nur bei Veranstaltungen Krawattenpflicht herrschte.

Ich nahm meinen Rucksack vom Boden auf, stopfte die restlichen, benötigten Schulsachen hinein und machte mich dann auf den Weg nach unten. Ein Blick auf die Uhr versicherte mir genug Zeit dafür, unten einen Kakao zu trinken und eine Kleinigkeit in meinen Magen zu befördern.

Unten saßen Mokuba und Seto bereits am Tisch, Seto wie immer mit den neuesten Nachrichten in Form von ausgeblichenem Altpapier vor der Nase. Mokuba stopfte sich gerade ein übergroßes Brötchen vollgeschmiert mit Nutella zwischen die Lippen und grinste mich freudig an, als ich den Raum betrat.

„Hallo Joey“, nuschelte er und kaute genüsslich an seinem Zuckerbrot.

Ich lächelte leicht, nickte ihm zu und setzte mich dann etwas verunsichert neben Seto, gegenüber von Mokuba auf die andere Seite des Tisches.

Ich schielte kurz zum Herrn des Hauses, der seine Zeitung einen Moment senkte und mich sanft anlächelte.

Ich erwiderte das Lächeln zögernd, und wandte mich dann dem Frühstückstisch zu.
 

„Nein. Du musst in die Firma, ich kenne diesen Blick genau, Seto. Du hast das ganze Wochenende zu Hause verbracht und gestern kaum Zeit gehabt, dich um geschäftliches zu kümmern. Und wir können Mokuba nicht eine Stunde lang warten lassen an seiner Schule“, erwiderte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

Seto tat es mir gleich und verkniff sich das Lächeln, dass sich bereits seit fünf Minuten immer wieder in seine Mundwinkel stahl.

„Das ist schon okay…“, begann er zu schlichten, doch ich unterbrach ihn sofort.

„Nein ist es nicht! Ich fahre mit der U-Bahn nach Hause!“

Er schüttelte den Kopf und setzte erneut an, etwas dagegen sagen zu wollen, doch auch diesmal ließ ich ihn nicht zu Wort kommen.

„Die Sache ist längst entschieden, Seto! Roland holt erst Mokuba und dann dich, bringt dich in die Firma und fährt Mokuba nach Hause. Und nein! Roland kann dann nicht einfach noch mal losfahren und mich holen, das ist Spritverschwendung, es reicht schon, dass er dich dann später ebenfalls holen muss!“

Diesmal hielt er das Lächeln nicht zurück.

„Also gut. Was hältst du davon dann nach der Schule einfach zu mir in die Firma zu kommen? Dann sparst du dir das U-Bahn-Geld und die Fahrt von Roland loht sich wenigstens.“

Überrascht sah ich ihn an. Langsam löste ich meine Arme und vergrub meine Hände in den Hosentaschen.

„Das ist gar keine schlechte Idee. Aber werde ich dich nicht stören?“

„Nein. Ich habe heute sowieso kaum Lust dazu, mich mit meinen verblödeten Angestellten auseinander zu setzen und es stehen einige Meetings an, heute Nachmittag. Also störst du mich nicht. Die Frage ist eher, ob du dich nicht langweilst, während du auf mich wartest.“

„Mach dir keine Sorgen deswegen. Ich werde die Zeit zum Lernen nutzen. Schließlich soll ich die Arbeit morgen in Geschichte bereits wieder mitschreiben. Dafür muss ich jedoch noch einiges tun.“

Seto nickte und wandte sich dann zu seinem Platz um, um sich wieder an seinen Laptop zu setzen.

„Dann ist es abgemacht.“

Ich nickte ebenfalls und verließ mit einem leichten Lächeln auf den Lippen das Klassenzimmer um mir unten in der Cafeteria einen Milchshake zu holen.
 


 

„Joseph Wheeler?“

Verwirrt blieb ich stehen und sah den Mann vor mir mit hochgezogenen Augenbrauen an. Automatisch wich ich einen Schritt zurück.

Kurz musterte ich die Uniform und den Wagen mit dem anmontierten Blaulicht auf dem Dach.

Beides sprach für sich.

„Sind sie Joseph Wheeler?“ fragte er Mann erneut.

Ich nickte zaghaft.

„Ja, der bin ich. Warum? Was wollen Sie?“, entgegnete ich verunsichert.

Ich hatte nichts angestellt soviel war klar.

„Mr. Wheeler es geht um die Sache mit ihrem Vater letzte Woche. Wir versuchen seit dem, Sie zu erreichen um ihre Aussage aufzunehmen. Nachdem ihr Bekannter für sie Anzeige erstattet hat, haben wir weder von ihm noch von ihnen etwas gehört…“

„Was?“

Erschrocken sah ich ihn aus weit aufgerissenen Augen an.

„Ich glaube, ich verstehe nicht…Anzeige? Wofür?“

Der Mann räusperte sich und senkte den Blick.

„Dafür das ihr Vater sie Jahrelang misshandelt hat.“
 

Betroffen starrte ich ihn an.

Langsam wich ich einen weiteren Schritt zurück.

Was…hatte das zu bedeuten? Ich hatte keine Anzeige erstellt. Ich wollte mit der Polizei nichts zu tun haben.

„Da muss ein Irrtum vorliegen…“, flüsterte ich leise und senkte den Blick zu Boden.

Was war hier los?

Was hatte Seto getan?

Und warum hatte er mir nichts gesagt?
 

„Nein Sir.“, er wandte sich kurz um und holte eine Akte aus dem Auto. Er schlug sie auf, blätterte kurz und reichte mir dann ein Dokument.

„Hier ist die Anzeige und die Aussage ihres Freundes.“

Ich nahm den Zettel entgegen, überflog kurz die Aussage und starrte dann betroffen auf die Unterschrift.
 

Seto Kaiba
 


 

Der Polizist erklärte mir die Sache so gut wie möglich. Mein Vater befand sich in Untersuchungshaft. Seto hatte gegen ihn ausgesagt. Ebenfalls Roland, der schließlich dabei gewesen war, als mein Erzeuger versuchte, mich zu erwürgen.

Seit dem hatten sie versucht mich zu erreichen. Doch da ich weder im Krankenhaus, noch in der alten Wohnung aufgetaucht war, hatten sie sich hier vor der Schule postiert um mich abzufangen.

Um meine Aussage aufzunehmen…
 

Ich musste mit aufs Revier.
 

Sie positionierten mich an einen breiten Tisch. Mir gegenüber nahmen zwei Polizisten platz.

Man fragte mich nach einem Anwalt.

Ich schüttelte nur stumm mit dem Kopf.
 

Sie stellen mir Fragen…viele Fragen…auch sehr intime Fragen.

Seit wann schlug Sie ihr Vater? Welche Blessuren trugen Sie davon? Mussten Sie deshalb schon ins Krankenhaus? Hat er je gedroht Sie umzubringen? Hat er Sie vergewaltigt? Sexuell Missbraucht?

Hatte ich je sein Geschlechtsteil anfassen sollen? Gab es Anzeichen dafür, dass er es je von mir verlangen könnte? War er auch im nüchternen Zustand auf mich losgegangen? Wie oft? Wann begann es? Weshalb hatte ich mich nie gewehrt? Warum war ich nicht zur Polizei gegangen? Hatte ich noch Kontakt zu meiner Mutter? Wo wohnte sie? Hatte ich Kontakt zu meiner Schwester? Wie alt war Sie? Hatte sie sich je gemeldet?
 

Ich beantwortete sie alle…

Irgendwann legte ich innerlich einfach einen Schalter um. Verbannte alle Emotionen in den hintersten Winkel meines Herzens.

Eine große Leere breitete sich in mir aus.

Nur so war ich in der Lage, ihre Fragen zu beantworten. Monoton arbeitete ich ihren Fragenkatalog ab, gab so genau wie möglich die Auskünfte, die sie von mir verlangten.

Irgendwann schloss ich die Augen.

Es war leichter, sie nicht sehen zu müssen. Leichter, zurückzukehren, zu all den Situationen, von denen sie verlangten, dass ich mich an sie erinnere.
 

Ich hatte beinah den Eindruck mein Leben in Kurzform noch einmal zu durchleben.

Als ich nach zwei Stunden endlich gehen durfte, war ich unendlich müde.

Ich fühlte mich grauenvoll. Nur langsam kehrte mein Herz wieder zu mir zurück. Nur langsam war ich in der Lage, eine Emotion nach der anderen zurück in mein Herz zu holen. Um wieder etwas zu fühlen. Wieder zu existieren.

Ich setzte mich auf eine Bank, vor den Polizeipräsidium und vergrub das Gesicht zwischen den Händen.

Langsam, nur ganz langsam wurde ich mir bewusst, was ich gerade geschafft hatte.

Welchen Stein ich ins Rollen gebracht hatte.

Nun gab es kein zurück mehr.

Keine Chance mein Altes Leben weiter zu leben.

Ich würde nie wieder mit meinem Vater allein sein müssen. Nie wieder mit ihm zusammen wohnen müssen. Der Staatsanwalt hatte genug beweise.

Diverse Narben auf meinem Körper, Bilder von den Blessuren, die er mir zugefügt hatte.

Untersuchungsergebnisse aus dem Krankenhaus von damals, als er mich so brutal zusammen geschlagen hatte. Die Berichte meines ehemaligen Hausarztes. Setos Worte. Und Rolands Zeugenaussage.
 

Es war vorbei…
 

Langsam kehrte ich wieder in die Wirklichkeit zurück. Und spürte, wie sich ein Gefühl ganz besonders in meinem Inneren ausbreitete und alle anderen überdeckte.

Zorn!

Wütend stand ich auf, verließ die Gegend um das große, mächtige Polizeigebäude und wandte mich stattdessen Richtung Innenstadt.
 

Ohne auf die Dame am Empfang zu achten, die mir nachrief, ich solle gefälligst erst meine Bitte vortragen, stapfte ich in den Aufzug und drückte auf den obersten Knopf.
 

„Pling“

Endlich öffneten sich die Aufzugtüren. Ich erkannte diesen Ganz sofort wieder. Doch statt wie das letzte Mal einen leeren Platz, rechts, direkt neben dem Aufzug hinter den Bürotisch vorzufinden, saß dort eine junge, dynamische und sehr hübsche Dame, die die Vorzüge ihrer Figur über die Maßen betonte.

„Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“, fragte sie mit einem freundlichen und gleichzeitig herablassenden Lächeln.

Kurz starrte ich sie an, wandte dann meinen Blick ab und schüttelte leicht mit dem Kopf.

„Nichts!“, erwiderte ich schroff und steuerte direkt auf das Büro des Firmeninhabers zu.

„Warten Sie! Sie dürfen dort nicht so einfach rein platzen! Haben sie überhaupt einen Termin? Mister Kaiba ist im Moment sehr beschäftigt!“, rief sie schockiert und eilte mir nach um mich aufzuhalten.

Noch bevor sie mich erreichte, klopfte ich einmal laut gegen die Tür und riss diese eine Sekunde später schon auf.

Ohne auf das Gezeter der Sekretärin hinter mir zu achten, die sich schon bei Seto entschuldigte, mich nicht aufgehalten zu haben, und erklärte, sie wüsse nicht wer ich sei, würde jetzt jedoch den Sicherheitsdienst rufen, sei dies sein Wunsch, postierte ich mich direkt vor meinem Mitschüler, zeigte anklagend mit dem rechten Zeigefinger auf seine Brust und fragte voller Zorn: „Was hast du dir dabei gedacht?!“

Verwirrt erwiderte Seto meinen Blick, wandte sich dann einen Moment an seine Sekretärin, schickte sie mit einem eiskalten Blick und den Worten: „Verschwinden Sie! Es ist schon in Ordnung!“, aus dem Raum und drehte sich dann wieder zu mir um.

Fragend sah er mich an.

„Was ist los?“

„Wie konntest du es wagen, Seto?! Weißt du wie geschockt ich war, als diese Typen plötzlich vor mir aufgetaucht sind? Warum hast du das getan? Und warum hast du mir nichts gesagt?“

Fragte ich ihn und zitterte am ganzen Körper. Ich spürte, wie meine Knie weich wurden und musste mich zwingen nicht einfach direkt hier auf die Knie zu fallen und mein Gesicht zwischen den händen zu vergraben. Plötzlich fühlte ich mich nackt. Völlig nackt und mir wurde kalt. Eiskalt.
 

Verwirrt starrte Seto mich an. Seine Augen waren leicht geweitet. Dann stand er auf, ging langsam um den Schreibtisch herum und trat auf mich zu, doch ich trat mehrere Schritte zurück, um ihn auf Abstand zu halten.

„Von was sprichst du?“, fragte er leise nach und versuchte in meinen Augen zu lesen, was mich so unbändig wütend machte.
 

Das Zittern wurde stärker und die Kälte ergriff mein innerstes. Ich wich noch ein Stück zurück und spürte dann wie plötzlich alle Kraft auf mir wich. Meine Schultern, die ich vor lauter Anspannung hochgezogen hatte, sackten herab. Ich wandte den Blick von ihm ab und musste mich an die Wand hinter mir anlehnen um nicht einfach hier und jetzt umzukippen.
 

„Du hast meinen Vater angezeigt, ohne mir etwas davon zu sagen.“, sagte ich leise, fast tonlos. „Und nach der Schule standen plötzlich zwei Polizisten vor mir, die mich sofort mit ins Revier genommen haben um meine Aussage aufzunehmen. Und du hast nicht mal den Anstand, mir davon etwas zu sagen…“,

Ich schloss die Augen. Die Wut war verraucht und machte Platz für eine unbändige Traurigkeit, die mich vollkommen ausfüllte.
 

Seto schluckte.

Scheiße…

Langsam ging er einige Schritte auf mich zu.

Ich hob warnend die Hand.

„Komm bloß nicht näher!“

„Joseph, ich…“

„Nein! Du hast mich hintergangen. Du hast mir die Polizei aufgehetzt. Zwei Stunden lang durfte ich ihnen sämtliche Fragen beantworten, von meinem Verhältnis zu meiner Mutter, über meine Gefühle gegenüber meinem Vater, bis hin zu der Frage, ob er mich sexuell Missbraucht hat! Zwei Stunden lang bin ich durch die Hölle gegangen, ohne Vorwarnung. Und dann soll ich dir Vertrauen? Du hast mir nichts gesagt! Du hast mich einfach ins offene Messer rennen lassen. Das nennst du also Vertrauen? Willst du mich zerstören?“, schrie ich ihn an.

Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln.

Ich konnte sie kaum zurück halten.
 

Ich schloss die Augen.

Ließ mich langsam an der Wand hinter mir zu Boden gleiten. Ich zog die Knie an.
 

Schweigen breitete sich zwischen uns aus.
 

Schließlich wandte Seto sich um, ging zu seiner Telefonanlage auf dem Schreibtisch und gab der Sekretärin durch, er wolle für heute nicht mehr gestört werden.

Dann drehte er sich zu mir um.

Hilflos sah er mich an.

Er setzte sich wieder in Bewegung, trat auf mich zu und kniete sich vor mich hin.

„Joseph…“, begann er zaghaft.

Ich reagierte nicht.

Versuchte das Chaos in meinem Inneren in den Griff zu kriegen. Versuchte den Zorn zu vergessen, die Wut aus meinem Herzen zu verbannen. Die Trauer ließ mich nicht los. Stumm rannen Tränen über mein Gesicht.

Immer noch hielt ich die Augen geschlossen.

Wartete…
 

„Joseph ich wollte dich nicht verletzen. Es tut mir leid…“, erklärte Seto leise.

Langsam öffnete ich die Augen und sah ihn an. Kurz fuhr ich mir mit den Handrücken über die Augen, um die Tränen fortzuwischen.

„Das war so nicht geplant…“

Er räusperte sich.

Rutschte etwas näher zu mir und griff nach meiner linken Hand.

Ruckartig zog ich sie von ihm weg.

„Lass mich!“

Mit zusammengebissenen Zähnen starrte ich ihn an.

Ich wollte seine Nähe nicht.

Seto schloss für einen Moment die Augen, schien sich zu sammeln und sah mir dann offen ins Gesicht.

Schmerz stand in seinem Blick.

Schmerz und Trauer.

„Als ich dich fand, Joseph…wie du da lagst, voller Blut, besinnungslos, überall blaue Flecken…dann die Tür, eingeschlagen, aus den Angeln gerissen…Neben dir lag ein Messer, blutverschmiert…

Al sich deinen Vater sah, roch, erkannte, was für ein widerliches Arschloch er war. Als ich endlich realisierte, was wirklich passiert war. Als ich endlich spürte, wie ernst die Lage war…da war ich…überfordert.

Und ich wusste, ich musste die Polizei informieren! Es musste ein Ende haben. Egal wie!

Also rief ich Roland an. Und die Polizei. Wir brachten dich zu mir, ruften den Arzt und sprachen danach auf dem Polizeipräsidium mit den Offizieren und dem Staatsanwalt. Und ja…ich unterschrieb die Anklage. Ich unterschrieb auch meine Aussage. Und schwor mir, dich so lange wie möglich davon fernzuhalten. Aus Angst, vor deiner Reaktion. Ich hatte Angst, du könntest mich dafür hassen, dass ich diese Sache ohne es mit dir zu besprechen einfach an mich genommen hatte.

Dass ich das Zepter in die Hand genommen hatte.

Also sagte ich nichts, gab der Polizei zu verstehen, dass ich nicht wollte, dass sie in meine Villa einfielen. Und hoffte, dass sich die Gelegenheit ergeben würde, dir zu erklären, was ich getan hatte. Und warum…“
 

Verwundert sah ich ihn an.

„Du hast versucht mich zu schützen?“

Er nickte.

„Ja…ich wollte dich nicht einfach damit konfrontieren. Ich wusste wie du reagieren würdest. Und das Risiko, einen Bruch zwischen uns heraufzubeschwören wollte ich nicht eingehen.

Es tut mir Leid, Jospeh. Es tut mir unendlich Leid dass ich dir nichts gesagt habe. Ich tat es nicht um dich zu verletzen.

Wirklich. Bitte glaube mir! Das ist das Letzte, was ich will.“
 

Irgendetwas in meinem Inneren signalisierte mir mit aller Kraft, dass ich ihm glauben sollte. Und dass ich es bedenkenlos konnte.

Und irgendetwas in mir, sagte mir, dass ich ihm verzeihen durfte.

Ohne Zweifel. Ohne Reue.
 

Ich senkte meinen Blick, starrte einen Moment lang schweigend auf meine Knie und versuchte mein Innerstes zu verstehen und den richtigen Schalter zu finden, um ihn schnellstmöglich zu drücken. Damit dieses Chaos verschwand. Diese Unsicherheit. Und die Verzweiflung, die sich in den letzten Stunden nach und nach in mir breit gemacht hatte.
 

Tief atmete ich ein. Dann sah ich auf.

Setos Blick war voller Trauer, Wärme und Angst.

Trauer über diese Situation. Angst vor Ablehnung. Wärme? Wärme wegen mir?

Ja…
 

Ich nickte.

„Ich glaube dir.“
 

Ein Stein schien von seinem Herzen zu fallen.

„Und kannst du mir auch verzeihen?“, fragte er leise.

Ich zögerte einen Moment und nickte dann erneut.

„Ja, ich denke schon. Auch wenn es wohl ein paar Stunden, oder Tage, dauern wird.“

Er verzog kurz den Mund zu einer schmerzlichen Grimasse.

„Ja das kann ich verstehen.“
 

Erneut breitete sich Schweigen zwischen uns aus.

Die Situation hatte sich zwar gebessert, doch die Stimmung war immer noch zum zerreißen gespannt. Seto schien unsicher. Wusste nicht, was er noch sagen sollte.

Und ich war müde.

Unendlich müde.
 

„Musst du noch arbeiten?“, fragte ich ihn leise.

Setos Blick schweifte kurz seinen Schreibtisch, dann sah er mir tief in die Augen.

Nach einem Intensiven Blick antwortete er: „Nein. Wenn du willst rufe ich Roland an, damit er uns abholt.“
 

Ich nickte erleichtert.

Ich wollte in mein Bett. Und in Ruhe über die Situation und das heute Erlebte nachdenken.
 


 

Als ich eine Stunde später in meinem Bett lag, konnte ich nicht schlafen. Die Begegnung mit den Polizisten und das danach folgende Gespräch zwischen mir und Seto spukten durch meinen Kopf und ließen mich trotz der Müdigkeit kaum zur Ruhe kommen. Ich wusste nicht, wie ich mich Seto gegenüber nun Verhalten sollte. Sollte ich ihm einfach so verzeihen? Ja…natürlich. Er hatte es nicht Böse gemeint. Und natürlich hatte er die Polizei gerufen…Er MUSSTE in dieser Situation so handeln. Alles andere wäre abwegig gewesen. Ich konnte schließlich nicht von ihm oder Roland verlangen, dass sie tatenlos dabei saßen, während ich mich von meinem Vater verprügeln lies. Doch wie sollte mein weiteres Leben nun verlaufen? Was würde bei der Verhandlung raus kommen? Würde ich dort erneut Aussagen müssen? Ich hoffte inständig, dass ich darum herum kommen würde…Ich wollte weder meinen Vater dort sehen, noch vor den Zeugen mein Leben ausbreiten und wieder in jedes kleinste Detail erklären müssen, was passiert war und wie es mir danach ergangen war. Diese zwei Stunden mit den Polizisten hatten mir heute schon voll und ganz gereicht. Doch konnte diese Verhandlung überhaupt ohne mich laufen? War ich nicht der wichtigste Zeuge? Ich würde sicher eine Vorladung bekommen. Und dann musste ich hin. Komme was wolle.

Ich seufzte leise.

Das war alles eindeutig zu viel.
 

Seit Roland uns von der Firma abgeholt hatte, hatte ich mit Seto kein Wort mehr gesprochen. Und das belastete mich. Ich wollte mit ihm sprechen. Ihn fragen, wie es nun weiter ging. Ihn bitten, mich aus dieser Sache herauszuhalten. Ihn bitten, das alles rückgängig zu machen. Ihn bitten bei mir zu sein. Mich in den Arm zu nehmen. Mich ganz fest zu halten. Und die Gedanken zu verdrängen.
 

Ich wollte bei ihm sein. So sehr, sehnte ich mich nach seiner Nähe.

Ich wollte nicht allein sein. Hier nicht liegen und mich meinen Gedanken hingeben.
 

Mit einem Ruck setzte ich mich auf. Kurz wurde mir schwarz vor Augen. Das war etwas zu schnell…, dachte ich und schüttelte kurz den Kopf. Als der Schleier vor meinen Augen verschwand, schwang ich die Beine aus dem Bett und stand auf. Ich zog mir die Jogginghose, die ich achtlos neben das Bett geworfen hatte, an und ging zur Tür um mein Zimmer zu verlassen. Ich schloss die Tür sachte hinter mir und ging leise nach unten um mir etwas zu trinken zu holen. In der Küche brannte Licht. Verwundert stieß ich die Tür auf und sah Roland, der an der Theke gelehnt mit einem Glas Wasser in der Hand gedankenverloren nach draußen in die Dunkelheit starrte.

Als er die Tür hörte, sah er auf. Lächelte mich sanft an und trank einen Schluck von seinem Wasser.

„Hey.“, begrüßte er mich leise.

„Hey.“, antwortete ich ebenso leise und holte mir ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit Leitungswasser.

„Kannst du nicht schlafen?“, fragte er und sah mich besorgt an.

Ich schüttelte leicht mit dem Kopf.

Er seufzte.

„Naja, da bist du wohl nicht der Einzige. Ich kann auch kein Auge zudrücken, und der Herr des Hauses ist vor fünf Minuten ebenfalls hier aufgetaucht und hat sich ein Glas Wasser genehmigt“

Verwundert sah ich ihn an. Seto war auch hier gewesen? Er konnte auch nicht schlafen.

„Es ist beunruhigend.“, überlegte Roland und sah wieder nach draußen.

Fragend legte ich den Kopf zur Seite.

„Was meinst du?“

„Diese Unruhe. Keiner kann schlafen, alle wandern sie ziellos durchs Haus. Selbst Mokuba war vorhin noch wach, als ich nach ihm sah. Und das jetzt, um halb zwölf Uhr nachts.“

Ich nickte.

Er hatte recht.

Und irgendwie hatte ich das Gefühl es war meine Schuld.

„Tut mir leid…“, erwiderte ich daher leise.

Verwirrt sah er auf.

„Was tut dir leid?“

„Das ist sicher meine Schuld. Ich bringe ziemlich viel Unruhe in euer Haus.“

Lachend schüttelte Roland den Kopf.

„Hör auf so zu denken, Joey. Wir sind alle froh darüber, dass du hier bist. Und die einzige, die Unruhe ins Haus gebracht hat, ist Maya. Man spürt ihre Nachwirkungen. Zumindest bei Mokuba. Und dass du und Seto heute kaum ein Auge zu drücken könnt, das liegt mit Sicherheit daran, dass mal wieder tausend unausgesprochene Worte zwischen euch liegen. Ich spüre förmlich, dass etwas im Busch ist. Und er hat erzählt was heute Nachmittag passiert ist.“

Überrascht weiteten sich meine Augen.

„Er hat es dir erzählt?“

Roland nickte lächelnd.

„Er hat sich ziemliche Sorgen gemacht, wegen dieser Sache. Verständlicher weise. Ich habe ihm gleich gesagt, er solle mit dir reden, doch wie es scheint ist unser Seto Kaiba nicht immer so mutig wie ich eigentlich von ihm dachte. Zumindest nicht wenn es um dich geht.“

„Wenn es um mich geht?“, zweifelnd zog ich eine Augenbraue hoch und brachte Roland damit zum Lachen.

„Jetzt siehst du aus wie er!“, kopfschüttelnd stieß er sich von der Theke ab, trank den letzten Schluck seines Wassers aus und stellte sein Glas in die Spüle.

„Ja wenn es um dich geht ist er oft ein ziemlicher Hasenfuß. In anderen Lebenslagen kann man ihn wirklich nicht als Feigling bezeichnen. Also scheint es etwas an dir zu geben, was ihn immer wieder verunsichert.“

Roland lächelte mich warm an.

„Ich werde nun ins Bett gehen. Mal sehen ob ich nach den Glas Wasser jetzt besser schlafen kann. Gute Nacht, Kleiner.“

Er strubbelte mir liebevoll durchs Haar und verließ dann die Küche.

Verwirrt sah ich ihm nach. Seine Worte hatten noch mehr Chaos in meinem inneren verbreitet als eh schon herrschte.

Kurz schüttelte ich mit dem Kopf, brachte dann meine Haare wieder halbwegs in Ordnung und trank ebenfalls mein Glas leer.
 

Ohne einen wirklichen Gedanken zu fassen, stieg ich hinauf in die erste Etage und trat vor Setos Schlafzimmertür.

Ich klopfte leise an und wartete einen Moment.

Etwas knarrte leise, dann hörte ich nackte Füße über den Holzfußboden laufen. Schließlich ging die Türklinke nach unten und die Tür öffnete sich langsam.
 

Seto trug ein weißes Shirt und eine graue Jogginghose.

Verwundert sah er mich an und trat dann einen Schritt zur Seite.

„Willst du rein kommen?“

Ich nickte und trat etwas unsicher an ihm vorbei, tappste zum Bett und setzte mich auf dessen Kante.

Seto schloss die Tür wieder, drehte sich langsam zu mir um und musterte mich mit einem intensiven Blick.

„Alles okay?“ fragte er leise und trat auf mich zu, setzte sich im Schneidersitz vor sein Bett und sah zu mir auf.

Ich schüttelte leicht mit dem Kopf.

Fragend hob er eine Augenbraue.

„Was ist los?“

„Ich mache mir Gedanken über die Verhandlung. Ich stelle mir die ganze Zeit vor, wie es wäre dort in diesem Gerichtssaal zu sitzen und meinem Vater gegenüber gestellt zu sein. Ich versuche mir vorzustellen, den Geschworenen all die Fragen des Staatsanwaltes zu beantwortet und komme einfach nicht darüber hinweg, festzustellen, dass ich das glaube ich nicht schaffe!“

Erklärte ich ihm mit leiser Stimme. Betreten senkte ich den Blick auf meine ineinander verschränkten Hände.

Seto hob die Hand und legte sie sanft auf meinen linken Arm.

Kurz strich er mit dem Daumen über die Haut meines Handrückens, dann lächelte er mich zuversichtlich an.

„Wir bekommen das hin, Joseph. Du bekommst das hin! Wenn es zu schwer wird für dich, dann werde ich mich darum kümmern, dass die Verhandlung ohne deine Anwesenheit läuft. Die Polizei hat deine Aussage. Du musst nicht zwingend dort hin. Auch wenn es sicher gut wäre für dich, auch um mit der Sache abschließen zu können. Und um deinem Vater für immer Lebewohl zu sagen.“

Betreten wandte ich meinen Kopf ab.

„Ihm Lebewohl sagen? Ich wünsche mir viel lieber ihn nie wieder sehen zu müssen.“

Seto nickte verstehend.

„Ja, ich kann mir vorstellen, dass diese Vorstellung dir zuwider ist.“

Ich atmete tief durch und schwieg.

Seto strich mir erneut liebevoll über den Arm und ich löste meine ineinander verknoteten Finger und meine Linke mit seiner rechten Hand zu verschränken.

Er erwiderte den leichten Druck meiner Finger und wartete darauf, dass ich meine nächste Frage formulierte.

„Und dann, Seto? Was passiert dann?“

Verwirrt runzelte er die Stirn.

„Was meinst du?“

Ich schwieg kurz. Dann erklärte ich, leise und mit leicht verzweifeltem Unterton: „Wenn mein Vater weg ist, habe ich keinen Platz mehr, wo ich hin kann. Meine Mutter will mich nicht, was aus tiefsten Herzen auf Gegenseitigkeit beruht und andere Verwandte habe ich nicht. Außer einer Tante…doch die hat keinen Platz und kein Geld um mich aufzunehmen. Ich bin noch nicht volljährig, ich darf also nicht allein leben. Soll ich dann ins Heim? Ich will nicht ins Heim! Lieber ziehe ich meine Aussage zurück und hole ihn aus dem Gefängnis!“

Langsam hob Seto die linke Hand und strich mir sanft die einzelne Träne, die sich aus meinem rechten Augenwinkel gelöst hatte, aus dem Gesicht.

„Joey…niemals werde ich zulassen, dass das geschieht. Ich werde nicht zulassen, dass du zu deiner Mutter ziehst, oder dass du ins Heim musst.“, erwiderte er voller Wärme.

„Aber…“

Er schüttelte nachdrücklich mit dem Kopf.

„Nein. Du bleibst bei uns. Bei mir. Wenn du es willst. Und so lange du willst.“

Verwundert sah ich ihm in die Augen. In seinem Blick lag so viel Echtheit. Und so viel Geborgenheit.

Seine Hand, die immer noch auf meiner Wange lag, schob mir sanft das Haar hinter mein rechtes Ohr und vergrub sich in meinen Nacken.

Ganz langsam zog er mich zu sich auf den Boden und schloss mich in seine Warmen Arme.

„Ist das dein Ernst?“, fragte ich ihn leise und schloss die Augen.

Mein Herzschlag beruhigte sich. Tief atmete ich seinen angenehmen Geruch ein und legte meinen Kopf an seinen Hals.

Sanft strich er mir über den Nacken und verstärkte die Umarmung, sobald er spürte, dass ich nichts dagegen hatte.

„Ja das ist mein ernst.“, erwiderte er geduldig.
 

Ich löste mich leicht aus seiner Umarmung, um ihm in die Augen sehen zu können.

„Aber warum?“, fragte ich ihn voller Hoffnung.

Er lächelte leicht, löste die Hand, die immer noch auf meinem Rücken lag und griff nach meiner Hand, um seine Finger erneut mit meinen zu verschränken.

Dann sah er mir tief in die Augen. Unsicher erwiderte ich seinen Blick.

Seine Augen waren voller Wärme, voller Zuversicht.

Dann beugte er sich vor und legte seine warmen Lippen langsam auf meine und verschloss sie zu einem sanften Kuss.

Meine Augen schlossen sich wie von selbst und ich erwiderte seinen Kuss vorsichtig.

Meine Hand löste sich von seiner und ich griff nach seinem T-Shirt, zog ihn noch näher zu mir und ließ mich von ihm in eine warme Umarmung ziehen.

Seine Zunge wagte sich vor, strich mir vorsichtig über die Lippen. Ich öffnete den Mund einen spalt breit und unsere Zungen verschmolzen zu einer.

Seine Hand, die wieder auf meinem Rücken lag, zog mich noch ein Stück näher zu sich. Die andere lag in meinem Nacken und streichelte mir leicht über die nackte Haut.

Ein angenehmer Schauer rann über meinen Rücken.

Noch nie hatte ich mich so geborgen gefühlt wie in diesem Moment.
 

Nach einer Weile, ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, löste er den Kuss und sah mich lange an. Seine Augen waren voller Wärme und das leichte Lächeln auf seinen Lippen ließ mein Herz noch höher schlagen. Liebevoll fuhr er mir mit der rechten Hand sanft über die leicht gerötete Narbe auf meiner Stirn.

Dann beugte er sich leicht zu mir vor und schloss für einen Moment die Augen.

„Weil ich dich liebe“, antwortete er leise auf meine Frage.

Erleichtert erwiderte ich das Lächeln.

Langsam hob ich die Hand und strich ihm mit den Fingerspitzen über die Wange.

Dann zog ich ihn am Nacken zu mir zurück und wir küssten uns erneut.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So das wars, meine Lieben :)

Vielen Dank für eure Treue und dass ihr bis zum Schluss durchgehalten habt. Bitte bedenkt, dass diese Story über mehrere Jahre geschrieben wurde.

Das Ende habe ich bewusst zu dem Zeitpunkt gewählt, weil ich wusste, würde ich weiter schreiben fände die Geschichte kein Ende. ;)

Nochmals vielen lieben Dank für alle Kommentare und für all eure Ermutigungen.

LG
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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
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Von:  Lunata79
2015-03-08T01:07:15+00:00 08.03.2015 02:07
Oawh, der Schluss ist einfach nur wundervoll.
Nach diesem stetigen Auf und Ab hat sich Joey dieses Happy End aber auch schwer verdient.
Antwort von:  -Ray-
08.03.2015 20:24
Ich freu mich dass es dir gefallen hat Close the Door zu lesen :) danke für deinen Kommentar <3
Von:  LittleHope
2014-12-25T15:16:25+00:00 25.12.2014 16:16
Ich muss sagen deine ff ist super geworden
Ich mag das Pärchen Seto x joey



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