12. Ration - Taub [OS4 - Ende]
12. Ration - Taub
Es ist ein Unterschied, ob man sterben will oder einfach keine Lust mehr hat, zu leben. Keine Lust zu atmen, zu fühlen, zu sein.
Ich hör nicht zu, wenn sie reden. Das ist keine Absicht, aber auch nicht ganz unfreiwillig. Es ist zu leicht, die Stimmen auszublenden.
Ich spür es kaum, wenn sie mich berühren. Die Bedeutung dieser Dinge scheint mir abhanden gekommen zu sein.
Wenn man sterben will, will man wenigstens etwas.
Sterben, leben, sterben. Leben. Leben?
Es gibt keinen Grund, morgens aufzustehen. Es gibt auch keinen, es nicht zu tun.
Weil es egal ist, weil ich keine Lust habe. Weil alles einfach nichts ist.
Ein Ruck geht durch die Außenwand am Kopfende meines Bettes und ich höre die Tür ins Schloss fallen. Allein.
Und dann steh ich auf, weil ich anfange, mich vor mir selbst zu ekeln. Die Schranktür geht auf, die Hand greift nach irgendetwas und ich überquere den Flur. Erst vor dem Spiegel seh ich, warum mein Kopf schmerzt und mein Gesicht brennt.
Irgendwann entwickle ich einen Waschzwang.
Irgendwo habe ich gelesen, der Schatten von etwas Anwesendem sei dunkel, doch der Schatten von etwas, das abwesend ist, hell und leer.
Er tut weh.
Und so finde ich also meine Tränen wieder und spüre den Schatten, der plötzlich ein Plural ist, deutlicher als je zuvor. Das ist Unsinn. Ich habe ihn sicher schon viele Male heftiger wahrgenommen. Und doch ist es jetzt egal.
Weil es ein Unterschied ist, ob man sterben will oder einfach keine Lust mehr hat, zu leben. Weil taub sein so einfach und so brutal ist, grausam, kalt, leer, still, laut, kreischend, brennend, wunderschön wahnsinnig.
[Ende vierter OneShot]
[Mich würde interessieren, ob ihr auch ein Buch von mir lesen würdet...?