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Schall und Rauch

Which path will you choose?
von

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Seht euch das Bild lieber erst NACH dem Lesen an, dann versteht ihr es auch! (:

Picture: http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-u-Rauch-The-mighty-5-96941262

(findet ihr solche Bilder hilfreich oder bewirken sie eher das Gegenteil?)
 

LG; Ryu & Jane
 

___________
 

K 35
 

„Londaro! Da bist du ja endlich! Wo hast du dich so lange rum getrieben?“ Ramón war sichtlich genervt, er wollte auf dem schnellsten Wege zu seiner Mutter, aber er konnte die Scheuche kaum ohne Beaufsichtigung hier lassen.

„Ich war gerade noch mit Elaine beschäftigt, als Kwen mich holen …“ Abrupt hielt er inne, als er die Vogelscheuche wahrnahm und machte eine schelle Kopfbewegung in Richtung Fiyero: „Wer ist das? … WAS ist das?“

„Ihnen auch einen schönen guten Tag!“, lächelte Fiyero eindeutig amüsiert und hob dabei kurz seinen Strohhut an.

„He, werd mal nicht frech Freundchen!“, mahnte ihn Ramón mit erhobenem Zeigefinger, während Londaro verächtlich schnaubte.

„Da kriegt man ja Kopfschmerzen!“ Gestresst fuhr der blonde Mann sich mit beiden Händen durch die nassen Haare.

„Wie geht es Ihrer Frau Mutter?“, fragte Fiyero ganz unvermittelt. Elphaba hatte ihm erzählt, dass zwei Männer auf dem Flur gekämpft hatten und automatisch nahm er an, es wären diese beiden gewesen. Einer von ihnen musste also Madame Akabers Sohn sein.

„Wieso?“, knurrte Ramón.

‚Aha!’, dachte Fiyero und fühlte sich bestätigt: ‚Es ist also doch Ramón!’ Dann sagte er: „Nun, ich habe mir sagen lassen, sie hat auch… Kopfschmerzen?“ Er wusste ganz genau, wie provozierend diese Frage wirken musste.

„Londaro!“, fauchte Ramón wütend, „Sieh zu, dass du alles aus ihm raus bekommst, was er weiß! Und woher! Noch ein Satz und ich vergeh mich an ihm! Ich werde nach Mutter sehen!“

„Ist gut!“, nickte der Angesprochene und machte Anstalten, Fiyeros Handgelenke mit festem Griff zu packen.

„Hey! Hey!“, Fiyero hob schnell beschwichtigend seine Arme in die Höhe: „Seien Sie mal lieber nett zu mir! Schließlich bin ich freiwillig hier und nach dem, was ich alles weiß, sollten Sie mich lieber mit Handkuss empfangen!“

Londaro warf Ramón, welcher nun schon im Türrahmen stand, einen fragenden Blick zu.

„Er hat Recht!“, kam es von der Tür her und Ramón war verschwunden.

„Na wundervoll!“, seufzte Londaro. Was sollte er jetzt nur mit diesem komischen Sonderling anfangen?

„He, du!“, sagte er dann an Fiyero gewandt, „Wie ist dein Name?“

„Lebt Akaber noch?“, war die Gegenfrage, denn Fiyero wollte nicht riskieren, etwas zu verraten, was nicht sein musste.

„Woher weißt du darüber Bescheid?“

„Eines nach dem Anderen!“

„Freund oder Feind?“

„Was?“ Diese simple Frage hatte Fiyero aus seinem Konzept geworfen. Sie war so naiv, aber auch direkt, dass er nicht direkt antworten konnte.

„Freund oder F…“

„Jaja! Ich habe schon verstanden. Weder noch! Egoist!“

Fragend blickte ihn Londaro an und wartete offensichtlich auf eine detaillierte Erklärung.

„Ich bin in ganz eigennützigem Anliegen hier.“

„Das da wäre?“

„Rache.“

„Oh, das ist immer gut!“

„Nicht wahr?“

„Nun… Scheuch… Pass mal auf. Das ganze läuft aber nicht so einfach ab, wie du dir das vorstellst. Du kannst nicht einfach herkommen, geheime Informationen preisgeben und dann noch erwarten, dass wir dich freundlich behandeln. Schließlich wollen wir nicht ohne Grund, dass sie geheim bleiben.“

„Gutes Argument!“, nickte Fiyero und er sah ein, dass er die ganze Sache falsch begonnen hatte.

Londaro beobachtete den Scheuch aufmerksam. Er war definitiv eine äußerst selten komische Gestalt und der Sekretär war absolut nicht in der Lage, ihn einzuschätzen.

„Wollen wir uns nicht erstmal setzen?“, fragte er entgegenkommend.

„Sehr gerne, danke!“

„Brauchen Sie ein Handtuch?“

Fiyero war der Wechsel von ‚du’ auf ‚Sie’ nicht entgangen. Anscheinend waren beide Männer mit einem Neustart einverstanden gewesen.

„Oh, lieber nicht! Dann kann es passieren, dass ich mir mein Gesicht wegwische!“

„Gütiger Oz! Wie kann das denn sein?“, Londaro war geschockt. Er führte Fiyero durch die endloslangen Gänge des Palastes. Draußen regnete es noch immer in Strömen und die Blitze erhellten die dunklen Gänge von Zeit zu Zeit.

„Nun…“, dehnte Fiyero das Wort, als sie sich schließlich in eine gemütliche Sofaecke setzten, „Mein Gesicht ist leider nur aufgemalt. Ich bin schließlich eine Vogelscheuche. Im Übrigen heiße ich Fiyero!“

Londaro nahm die dargebotene Strohhand an und schüttelte sie vorsichtig: „Freut mich sehr. Ich bin Londaro Anitropa. Haben Sie keinen Nachnamen?“

„Ich denke, mit ‚Fiyero’ wäre ich einverstanden. Doch, aber der ist nicht mehr gültig.“

„Gut, Fiyero. Für mich gilt das Gleiche. Aber wieso ist dein Nachname nicht mehr gültig?“

„Mein vollständiger Name lautete früher: Fiyero Tiggular, ehemaliger Prinz vom fernen Winkus, genau genommen Prinz der Arjikis. Aber seitdem ich diese Gestalt hier angenommen habe, verwalte ich das Amt nicht mehr.“

„Wow! Das hätte ich ja nun wirklich nicht vermutet! Wie bist du denn so …“, bei diesen Worten deutete Londaro auf Fiyeros Körper, „ …so geworden?“

„Das habe ich der böse Hexen des Westens zu verdanken!“

„Ach, daher weht der Wind!“

Dass Elphaba ihm dadurch einmal das Leben gerettet hatte, wollte er verschweigen. Er musste es sich ja nicht unnötig erschweren, also erzählte er die Wahrheit und ließ nur ein paar Details aus.

Dann setzte Yero noch einen oben drauf: „Und vorher war ich mit Glinda der Guten verlobt!“

„WAS?“, entfuhr es nun schlagartig dem Sekretär.

„Ja, was glauben … was glaubst du denn, warum ich hier bin. Nicht nur unser blondes Wonneproppenhirn hat mich an der Nase herumgeführt damals, neeein, sondern auch die Hexe!“

„Und jetzt wollen… jetzt willst du dich an Glinda rächen dafür?“

„Und an El… an der bösen Hexe des Westens!“

„An der Grünen?“, fragte Londaro verwirrt.

„Ja, sicher an der Grünen. An welcher sonst?“

„Aber sie ist doch vor einem Jahr gestorben!“

„Eben da ist der Haken an der ganzen Geschichte!“

„Wie meinst du das?“ Londaro konnte der Vogelscheuche nicht mehr folgen.

„Die Grüne lebt!“

„Nein!“, rief er nun überrascht aus.

„Was meinst du denn, wer Glinda gerettet hat?“

„Ich… Also… wow….“ Verdattert stützte sich der hübsche Mann mit seine Ellbogen auf die Tischplatte und legte seine Stirn in die Hände. Dann blickte er auf: „Woher weißt du das denn alles?“

Fiyero merkte, wie das Misstrauen des Mannes ihm gegenüber wieder wuchs und lenkte schnell ein:

„Okay, gut, ich erzähle dir jetzt alles von Anfang an. Dann wirst du mich verstehen.“

„Einverstanden!“ Londaro nickte.

„Es hat damals alles in der Schule begonnen. Dort habe ich Glinda kennen gelernt und sie war immer sehr bedacht darauf, was andere Leute von ihr hielten. Sie sah mich damals als ziemlich guten Fang, da ich schließlich Prinz war und auch hoch angesehen. Diese Verlobungsfeier war von ihr damals und nicht von mir geplant, was bedeutet, dass sie mich eher dazu genötigt hat, vor halb Oz unsere Verlobung bekannt zu geben. Glinda und die Hexe kannten sich auch noch aus Schulzeiten und als die Hexe böse wurde, hielt Glinda aber insgeheim noch mit ihr Kontakt. Mir war das zu viel und ich wollte gehen, da verwandelte mich die Hexe in eine Vogelscheuche und hielt mich bei sich gefangen. Sie täuschte ihren Tod vor, um in Frieden mit Glinda leben zu können, die nun bei ihr ist. Als die Hexe hierher kam, um Glinda die Gute zu retten, gelang mir die Flucht und jetzt bin ich hier!“

Als Fiyero eine Pause machte, hoffte er inständig, seine kleine Variation der Wahrheit hatte glaubwürdig geklungen.

„Du sagst also, dass die Grüne wirklich nicht tot ist und sie die ganze Zeit mit Glinda Kontakt hatte?“, fragte Londaro ungläubig.

„Wieso sollte ich mir denn so etwas ausdenken? Und was meinst du, wer Glinda mal eben aus dem Zimmer schleusen und im gleichen Atemzug noch Accursia niederschlagen kann? Dabei war ja wohl die größte Kunst, dass ihr beiden, also du und Ramón, auf dem Flur wart und sie dennoch ungesehen davon kam.“

„Das war nicht ich. Das war Orez. Ich musste mich mit dem Rest der Bagage abmühen!“, knurrte Londaro, in Erinnerungen an den Abend versunken.

„Was für eine Bagage?“, fragte Fiyero neugierig.

„Oh, Verzeihung, darüber darf ich selbstredend nicht sprechen! Wenn Ramón meint, du müsstest es wissen, wird er dich einweihen. Aber wir wissen ja nicht, ob wir dir trauen können!“

„Hm, wo ihr Recht habt, habt ihr Recht!“, nickte Fiyero.

„Und wo halten sich die beiden Frauen zur Zeit auf? Weißt du das zufällig?“

„Natürlich weiß ich das!“, blaffte Fiyero. „Darum bin ich doch hier! Aber wenn ich meinen Trumpf nun schon aufdecke, wer kann mir dann noch versprechen, dass ich nicht auch zur Bagage gehöre und als Ofenanzünder benutzt werde?“

„Diesmal hast du ein kluges Argument vorgebracht! Wie dem auch sei, ich werde diese Nachrichten nun erstmal Ramón überbringen und wir werden sehen, was sich machen lässt. Liege ich richtig in der Annahme, dass du uns dann den Weg weisen würdest?“

„Korrekt, ja. So hatte ich mir das gedacht.“, antwortete Fiyero, als Londaro sich erhob.

„Okay, sehr gut. Das Zimmer hier ist deines. Sollte irgendetwas sein, melde dich. Ansonsten warte hier, bis dich jemand kontaktiert.“

„Verstanden!“, nickte die Vogelscheuche und erhob sich ebenfalls.

Londaro hatte sich schon zum Gehen gewandt, als er sich noch mal umdrehte: „Eins noch!“

„Ja?“, fragte Fiyero verwundert.

„Woher wusstest du das mit Akaber?“ Die Frage war neutral gestellt worden, jedoch war der skeptische Beigeschmack beinahe greifbar.

„Ich…“, Fiyero stutzte. „Ich habe gehört, wie sie darüber gesprochen hat.“

„Mit wem? Ich dachte, du wärst geflohen, als sie Glinda erst befreien kam.“

„Sie hat einen Affen.“

„Einen WAS?“

„Einen Affen. Er kann sprechen.“

„Du meinst so einen von den fliegenden Affen, welche sie damals verhext hat? Oz im Ballon!“

„Ich habe dir ja schon die ganze Zeit versucht klar zu machen, dass die Grüne lebt!“ Fiyero klang wieder viel selbstsicherer und fühlte sich auch dementsprechend. Er hatte Londaro nun endgültig überzeugt und darüber waren sich beide Männer im Klaren.

Erst dann verließ Londaro den Raum.
 

„Wer um alles in Oz sind SIE denn, meine Liebe?“

Die drei Frauen hörten, wie der noch unbekannte Mann am anderen Ende des Raumes versuchte, sich von den Fesseln zu lösen.

„Geben Sie es auf. Es ist sinnlos!“, sagte Meredith in die Dunkelheit hinein.

„Ach, wirklich?“, maulte der Mann zurück.

„Junger Herr! Sie befinden sich in totaler Dunkelheit mit fünf weiteren Personen und die einzigen drei, die wach sind, das sind anständige Damen. Hätten Sie wohl vielleicht die Güte, uns mal mitzuteilen, wer Sie sind?“ Elanora brachte diese Worte nur mit dem letzten Fitzel an Beherrschung heraus, die sie noch aufbringen konnte.

„Na wenn das nicht die Mutter der hübschen Glinda ist!“ Alle drei Damen konnten sein Lächeln beinahe hören.

„Sie machen mir Angst!“, gab Reseda nun offen zu. Sie fühlte sich sehr unwohl. Normalerweise hätte sie sich bei diesem Dunkelheitsgrad schon lange in die starken Arme ihrer Frau gekuschelt und wäre erst aufgestanden, wenn Meredith ihren Nacken massiert hätte. Das tat sie beinahe jeden Tag, wenn der Morgen anbrach.

Meredith konnte Resedas Herzklopfen innerlich spüren, was ihr wiederum das Herz zerbrach. Sie wollte ihre schöne Frau einfach nur in die Arme schließen und über das glänzend-braune Haar beruhigend streicheln.

„Ich habe mir selber schon genug Angst gemacht!“, seufzte die Männerstimme. Sie hatte eindeutig etwas von ihrer Feindseligkeit verloren.

„Es tut mir leid, die Damen. Ich entschuldige mich für mein unangemessenes Verhalten. Es ist nicht gerade amüsant, wenn man nachts zusammengeschlagen und hierher verschleppt wird!“

Er bekam keine Antwort, also sprach er weiter: „Sie fragen sich bestimmt, was ich hier mache und wer ich bin und warum ich hier bei Ihnen sitze….“

Je mehr der Mann sprach, desto mehr kam es Meredith so vor, als würde sie die Stimme kennen…

„Ich bin genauso ein Opfer wie Sie alle hier. Gestern Nacht, während des Regierungsumsturzes, haben ein paar Männer den Palast gestürmt und mitunter auch mich. Ich wurde als dritter hier abgesetzt. Direkt nach Ihnen, Frau Hochborn und Ihrem Mann.“

„Orez!“, hauchte Meredith nun fassungslos. Endlich hatte sie die Stimme einer Person zuweisen können.

„Ganz richtig, Frau Schiforsan.“

„Kann mich mal bitte jemand aufklären?“, seufzte Elanora in die Dunkelheit hinein. Sie war weder ängstlich noch panisch. Es ärgerte sie viel mehr, dass ihr schönes, weißes Ballkleid nun dahin war. Elanora versuchte schon die ganze Zeit, sich an solchen Oberflächlichkeiten festzuklammern, um nicht aus Sorge um ihre Tochter in ein tiefes Loch zu fallen.

„Mein Name ist Orez und ich bin … war der Kutscher Ihrer Tochter. Als ich sie gestern Abend nach Hause fuhr, da hat man uns schon erwartet, was wir wiederum nicht erwartet hatten…“

„Ich verstehe!“, nickte Elanora, obwohl es niemand sehen konnte. Ansonsten hätte nun auch jeder gesehen, wie sie ganz weiß im Gesicht geworden war.

Meredith dachte angestrengt nach: Sie hatte nicht mitbekommen, wie Orez mit Glinda das Fest verlassen hatte. Das letzte, an was sie sich erinnerte war der Tanz von Glinda und Ramón… Aber wenn…. „Orez?“, verlieh sie nun ihren Gedanken Ausdruck.

„Ja?“

„Ich versteh das nicht. Seid ihr denn etwa schon vor uns gefahren, obwohl Glinda noch nicht die Überraschung gesehen hatte?“

„… Wir… Nein, wir sind direkt danach gefahren. Glinda ging es nicht gut, also bat Ramón mich, die beiden nach Hause zu fahren.“

„Dieser Ramón schon wieder!“, krächzte Elanora verächtlich.

Orez hoffte einfach nur, dass er sich nicht irgendwann in seinen Lügen verstricken würde. Doch dies sollte so bald nicht passieren, denn in dem Moment fühlte Mer, dass mit ihrer Resi etwas nicht stimmte.

„Resi?“, fragte sie angsterfüllt.

„Ja?“, kam ein leises Nuscheln von der Wand ihr gegenüber.

„Geht es dir gut? Du warst so lange still!“

„Ich… Ich glaube, ich habe Fieber…“, stöhnte ihre Geliebte.

„Diese Bastarde! HALLO?“, schrie Meredith nun so laut sie konnte.

„Meredith! Das bringt nichts! Was glaubst du, was ich die erste Stunde hier alleine gemacht habe? Ich habe nur gebrüllt, weil ich dachte, Gideon stirbt!“

„Arg!“, stieß die Rothaarige wütend aus. „Das darf doch alles nicht wahr sein!... Resi, es wird alles gut. Das verspreche ich dir. Halte durch, meine Schöne.“

„Hmpf…“, machte es plötzlich neben Meredith, die erschrocken zurückgehüpft wäre, wäre sie nicht gefesselt.

„Elanor! Elanor!“, rief sie aufgeregt. „Ich glaube, dein Mann wird wach!“

Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte sie Elanoras Spitznamen verwendet, welchen Resi vorher benutzt hatte.

„Gid? Gid? Oh, Gideon, sag doch was!“ Die ersten Tränen rannten über das aschfahle Gesicht der älteren Frau.

„Ela?“, stöhnte Gideon, als er sich langsam aufsetzte.

„Oh Oz, Gideon!“, nun war es nur noch ein einziges Schluchzen, was Elanora über die Lippen brachte.

„Himmel, Hintern und Humbug!“, krächzte ohne Vorwarnung nun eine zarte Frauenstimme aus der ganz anderen Ecke des Raumes.

„Elaine!“, sagte Meredith teils überrascht und teils freudig.

„Hier bin ich… Und wer ruft mich? Und wieso macht keiner das verdammte Licht mal an?“ Elaine war bisher noch die temperamentvollste nach dem Aufwachen gewesen, was nur ein gutes Zeichen sein konnte, nahm Meredith an.

Während Orez schwieg und Elanora auf ihren Mann einredete, konzentrierte sich die Rothaarige auf die jüngste Frau von allen.

„Elaine? Ich bins, Meredith! Wie geht es dir?“

„Frau Schiforsan? Was machen Sie denn hier? Und wie es mir geht? … Scheiße!“

Hätte Elanora das gehört, wäre ein Kommentar zu dieser Ausdrucksweise unabdingbar gewesen, doch Meredith fand es im Kontrast zu dieser misslichen Lage eher amüsant.

„So geht es uns allen, Kindchen!“

„Kann mir denn mal jemand sagen, was hier gespielt wird?“ Elaine war hörbar genervt.

„Da muss ich der Dame zustimmen. Mich würde das auch mal interessieren!“, meinte Gideon, der sich gerade aus dem Redeschwall seiner Frau befreit hatte.

Also erklärten Elanora und Meredith den beiden neu erwachten genau, was sie wussten, was nicht und was sie nur vermuten konnten.

„Donnerwetter!“, stöhnte Gideon, als Meredith geendet hatte.

„Na das kann man wohl laut sagen!“, bestätigte auch Elaine. „Was machen wir jetzt?“

„Ich….“, setzte Meredith an, als die Türe aufging und ein heller Lichtstreifen ihr die Sicht nahm.
 

„Oh Mutter…“, seufzte Ramón und strich der noch immer schlafenden Frau über die Wange. Er hoffte so sehr, dass sie bald aus dem Koma erwachen würde.

Leise zog er sich einen Stuhl an das Krankenbett und betrachtete seine Mutter eingehend. Ihr graues Haar war nicht wie sonst ein einem Dutt hoch gebunden. Es lag auf ihren Schultern und er hatte nie gewusst, dass es ihr bis zur Hüfte reichte. Die feinen weißen Strähnen darin ließen es sehr edel aussehen. Ihre Augen waren geschlossen und Ramón konnte nur das Grau ihrer Augen vermuten. Er selber war immer froh darum gewesen, nicht diesen grauen Glanz als Augenfarbe geerbt zu haben, jedoch wünschte er sich zu diesem Zeitpunkt nichts sehnlicher, als dass diese grauen Augen ihn wieder ansahen.

Ihre Lippen waren, wie immer, in einem dunklen Violett gehalten und der blonde Mann erinnerte sich an den Tag in seiner Kindheit, als er seine Mutter danach gefragt hatte…
 

„Mama?“

„Ja mein Schatz?“

„Mama, wieso malen sich die großen Leute immer so bunt an?“

„Was meinst du, Liebling?“

„Guck da! Du hast lila Lippen und die Tante Maike hat immer so viel Blau über den Augen.“

Er hörte noch das herzliche Lachen seiner Mutter, bei welchem ihr damaliges blondes Haar nur so in der Sonne gefunkelt hatte. Seitdem er denken konnte, hatte er seine Mutter immer schön gefunden.

„Aber, aber…“, hallte Accursias Stimme in seinem Kopf wider. „Tante Maike findet das eben schön, aber ich… bei mir, mein Liebling… ist das nicht gemalt. Meine Lippen sind so. Genau wie meine Augen. Manche Hexen sehen eben etwas anders aus.“
 

Dann entschwanden seine Kindheitserinnerungen und Ramón betrachtete seine Mutter erneut. Als er ein kleiner Junge war, da war sie so dürr gewesen, dass er oft bei Wind Angst um sie gehabt hatte. Doch schon nach einigen Jahren hatte sie sehr viel zugenommen und sah ab dann eher aus wie ein Fisch. Das war zu der Zeit gewesen, als sie ihren neuen Mann geheiratet hatte. Kurz darauf hatte seine Mutter Aylin geboren, aber dünner war sie dann auch nicht mehr geworden.

Er seufzte und fuhr sich mit seinen Händen übers Gesicht.

Da waren sie wieder, die Gedanken über seinen Vater. Accursia hatte ihn nie erwähnt und als er alt genug gewesen war, um zu verstehen, dass jedes Kind einen Vater und eine Mutter hatte, hatte er damit begonnen nachzufragen. Nie hatte sie mit ihm darüber sprechen wollen. Nie.

Und in diesem Moment wunderte er sich mal wieder, warum. Abermals lies er seine Gedanken wandern und befand sich kurze Zeit später wieder in seinem 14. Lebensjahr. Sein Stiefvater war damals gestorben. Er sei bei einem Sturm ums Leben gekommen und nie vorher hatte Ramón sich darüber ernsthafte Gedanken gemacht.

„Moment mal… Sturm?“, murmelte er verblüfft. Sobald seine Mutter wach und wieder bei Kräften war, musste er sie unbedingt etwas dazu fragen.

Danach war alles sehr schnell gegangen: Accursia Akaber konzentrierte sich zu jener Zeit nur auf ihre Arbeit und auch Ramón ging auf die Universität in Shiz. Sie war glücklich mit ihrer Arbeit.

‚Naja, glücklich ist relativ…’, dachte Ramón mit finsterer Miene, ‚Aber immerhin war sie voll und ganz damit ausgefüllt…Bis zu jenem Tag…’

Und schon waren seine Gedanken zu dem Tag ihrer Verhaftung gewandert, ohne dass er es gemerkt hatte. Er hatte sich die ganze Zeit in der Menge aufgehalten. Dass er mit ansehen musste, wie seine Mutter dort oben in Handschellen auf dem Podest abgeführt wurde, hatte er Glinda nie verziehen.

„Dieses Miststück!“, zischte er und grinste gleich darauf, als ihm einfiel, wie hilflos sie in seinem Arm gesabbert hatte.

„Ach Mutter…“, seufzte er wieder, als er sich erhob und zum Fenster ging. Nun stand er mit dem Rücken zu Accursia und redete leise mit ihr: „Was war das für eine große und komplizierte Aktion, dich dort wieder herauszuholen!

Du hast es uns allen wirklich nicht leicht gemacht! Und die ersten zwei Male sind wir auch noch an deiner Zelle vorbei gelaufen, weil wir es nicht für möglich hielten, dass diese schlanke Frau dort in der Zelle du sein konntest. Doch als ich beim dritten Mal deine smaragdgrünen Ohrringe funkeln sah, da war es mir klar… Weißt du eigentlich, dass das das einzige ist, was du mir je über Vater erzählt hast? Dass er dir diese Ohrringe geschenkt hat? Mehr weiß ich nicht… Warum Mutter? Warum…

Und dann…“, er lachte auf bei dieser Erinnerung…

„Dann sind wir doch tatsächlich am helllichten Tage durch die Smaragdstadt spaziert und niemand hat dich erkannt. Aber jetzt Mutter, jetzt, wo wir alles geschafft haben, wovor wir uns selber doch ein bisschen gefürchtet hatten… jetzt lässt du mich im Stich. Unser Plan war es, Glinda und Meredith zu stürzen, die Sapphos einzusperren und die Hochborns zu vernichten, damit du und ich Seite an Seite über Oz regieren können. Wir haben so viel Mühe und Arbeit darin investiert, die MA aufzubauen. So viele Edelsteine und Versprechungen sind dabei über den Tisch gegangen und es war reine Knochenarbeit, gute Mitglieder zu finden und so lange zu warten, bis wir weit über 1000 waren… Doch ich schaffe es nicht alleine und das weißt du! Aylin wäre ein viel zu großer Hitzkopf und würde jeden hinrichten lassen, der nicht bei drei im Ballon davonfliegt! Und ich…“

„Ja, das würde sie wohl..“, kam ein schwaches Kichern vom Bett her.

Mit einem Satz war Ramón dort und stützte die noch immer schwache Frau.
 

„MUTTER!“, stammelte er, den Tränen nahe.

„Heul jetzt nicht rum, Junge!“, blaffte sie ihn trotz der schwachen Stimme an.

„Jawohl, Ma’am!“

„Was ist passiert?“

Er sah, wie sie nach der Wunde tastete und offensichtlich große Schmerzen hatte.

„Du warst bei Glinda und wolltest dich noch von ihr… verabschieden, als jemand plötzlich auftauchte und dich niederschlug. Mit einem Pokal.“

„Was? Wer?“, fragte Accursia verwirrt und hielt sich ihren Kopf, der vor Schmerzen hämmerte.

„Das wissen wir nicht. Nachdem wir die Türe zu Glindas Zimmer aufgebrochen hatten, da waren beide schon durch das Fenster geflüchtet. Wir haben sofort Suchtrupps rausgeschickt, doch sie fanden nichts. Hast du nichts gesehen?“

„Ramón, mein Junge…“, sie suchte seine Hand, „Man hat mich niedergeschlagen mit einer solchen Wucht, dass ich immer noch denke, mir sei mein Gehirn an der anderen Seite wieder heraus gefallen. Was glaubst du? Dass ich mich jetzt sofort wieder daran erinnere, was oder wer es war? Nachdem ich so feste geschlafen habe… Ich bitte dich!“

Ihr Humor war das einzige, was Ramón nicht an ihr verstand. Er war wirklich makaber.

„Mutter…“, setzte er leise an, „Du hast nicht geschlafen! Du hast im Koma gelegen und es ist ein Wunder, dass du nun schon wieder wach bist!“

„Papperlapapp!“ Die ältere Dame wischte seine Bemerkung mit einer abwertenden Handbewegung hinfort.

„Gibt es Planänderungen?“, fragte sie barsch.

Es waren solche Momente wie dieser, die Ramón und auch Aylin davon überzeugt hatten, dass ihre Mutter kein Herz mehr besaß.

„Durchaus!“, nickte der blonde Mann und ließ seine Mutter los. Er wusste, dass sie diese Berührung eben nur zugelassen hatte, weil sie zu schwach gewesen war, sich selber aufzusetzen.

„Nachdem wir deine Blutungen gestoppt und einen Arzt haben kommen lassen, kam Londaro mit den Sapphos an. Die Hochborns hatte Kwen schon vorher empfangen und unschädlich gemacht. Als Orez jedoch sah, was wir mit Meredith und Reseda vor hatten, musste ich auch ihn isolieren. Er kam auf ziemlich dumme Ideen…

Nunja, nachdem wir auch die geplanten Städteoberhäupter und Politiker, die sehr viel auf Glindas Regierungsart hielten, ungefährlich gemacht hatten, ging alles weiter wie geplant.

Aylin hat direkt ihren Artikel zu der Zauberin am Rande der Smaragdstadt gebracht und diese stellte uns über 500 Eilaffen mit verzauberten Neuigkeitenblättern zur Verfügung. So verschmitzt, wie Aylin gelächelt hat, glaube ich zwar kaum, dass diese Frau ihr das alles freiwillig gegeben hat, aber das ist ja auch egal.

Als wir sicher waren, dass beinahe ganz Oz über den Regierungswechsel informiert war, haben wir uns bemerkbar gemacht. Wir haben in der Smaragdstadt alles abgenommen und abgehängt, was einst an Glinda erinnert hat. Dann haben wir Wachposten an jeder Straßenecke aufgestellt, um einen möglichen Sabotageversuch zu verhindern. In der Zeit standen wir im ständigen Kontakt mit Penelope, Stella, und Adlerauge. Letztere berichtet uns, dass die Quadlinger keine Aufstände gemacht hätten, während Stella uns über die Lage in Munchkinland auf dem Laufenden hielt. Anscheinend wurde auch sie mehr oder minder als neue Vorsitzende des Landes akzeptiert, doch wir hatten gut daran getan, ihr einen großen Trupp an Soldaten hinzuschicken. Bei Penelope gab es größere Komplikationen. Das Winkie Land hatte wohl aus irgendeinem uns nicht bekannten Grund eine tiefe Verbindung zu Glinda der Guten und sie haben erst einmal hart gekämpft, bevor sie sich ergeben haben. Aylin hat ein bisschen mit dem Wetter herumgespielt, aber sie ist noch lange nicht so mächtig, wie du es bist.“

„Das wird sie auch nie werden…“, murmelte Accursia gedankenabwesend dazwischen.

„Mutter? Bist du überhaupt bei der Sache?“, fragte Ramón vorsichtig.

Der verwirrte Blick aus den grauen Augen beantwortet seine Frage.

„Sicher, mein Schatz. Aber zähl mir doch noch einmal bitte auf, wen ich als Oberhäupter ausgewählt habe… Der Name ‚Stella’ sagt mir nämlich nichts. Ob mich der Pokal zu fest getroffen hat?“

„Fangen wir vorne an: Über das Winkie Land herrscht nun Penelope, während in Quadlingen Adlerauge regiert. Sie macht ihre Arbeit wirklich gut. Stella hat sich in unserem Auftrag Munchkinland unter den Nagel gerissen. Ihr voller Name lautet: Stellaione.“

„Ach, klein Stella! Jetzt fällt es mir wieder ein!“

Ramón lachte auf: „Ja, Mutter. Und du hattest Recht! Sie ist genau so eine Diva, wie du sie beschrieben hattest. Aber wie festgehalten: Diese drei arbeiten nur unter unserem Namen und nur in unserem Auftrag. Nichts funktioniert ohne Ab- oder Rücksprachen. Sollten unsere Spione Grund zu der Annahme einer erneuten Regierungswende haben, so werden die Beschuldigten sofort des Amtes enthoben. Und um nicht zu vergessen: Morgen früh wird Aylin sich auf den Weg nach Gillikin machen, um dort ihr Amt anzutreten. Dein Zellengenosse Raoul hat sich zwar wirklich wacker geschlagen, aber da du ja eine reine Frauenregierung wolltest, sollst du sie auch kriegen. Aylin freut sich schon sehr darauf. Sie will dich auch nachher noch um eine Kleinigkeit bitten.“

„Ach, um was denn?“, fragte Accursia Akaber neugierig. Ihre Kopfschmerzen ließen langsam nach.

„Sie wollte dich darum bitte, dass sie das Ehepaar Hochborn…“

Ein leises Klopfen unterbrach Ramón mitten im Satz.

„Ja?“, fragte er verwundert.

Es war Londaro, der schließlich seinen Kopf durch den Türspalt steckte.

„Ich glaube, ich habe jetzt genug aus der Vogelscheuche herausbekommen!“, flüsterte er.

„Welche Vogelscheuche?“, fragte die noch immer im Bett sitzende Accursia mit autoritärer Stimme.

„Auria!“, rief der hübsche Sekretär erschrocken aus und sprang vor Schreck ein Stück zurück.

„Du bist ja wach!“

Londaro war einer der wenigen Menschen, welchen es gestattet war, Madame Akaber beim Spitznamen zu nennen. Ihm war das auch nur erlaubt, weil er schon von Kindesbeinen an Ramóns bester Freund gewesen war.

„Na sicher! Was hast du denn gedacht? Unkraut vergeht nicht!“

Alle drei anwesenden lachten. Londaro kam auf Accursia zu und tätschelte ihr vorsichtig die Schulter: „Freut mich, altes Mädchen, dass du wieder da bist!“, sagte er frech grinsend.

„Noch einmal das ‚alt’ davor und du schläfst heute Nacht im Schneesturm!“, sagte sie böse, musste aber selber grinsen. „Was wolltest du eigentlich? Was für eine Vogelscheuche?“

„Ahm… Ramón, willst du nicht lieber?..“

„Nein, nein!“, lehnte er dankend ab, „Mach du nur!“

Ramón genoss solche humorvollen Augenblicke mit seiner Mutter und Londaro. Sie war in seiner Anwesenheit immer gleich etwas fröhlicher.

„Nun gut, also… Heute Morgen wurde Ramón von einer Vogelscheuche aufgehalten, die sagte, sie wüsste wer dich angefallen und Glinda die Gute gerettet habe.“

„So?“, fragte Accursia mit hochgezogenen Augenbrauen nach.

Ramón nickte nur und gab Londaro das Zeichen, fortzufahren.

„Ich sollte die Scheuche ausfragen, um zu prüfen, ob sie glaubwürdig ist. Es stellte sich heraus, dass sie mehr als glaubwürdig ist, denn bevor sie zu einer Scheuche verhext wurde, war sie ein ER. Ein Mann. Und zwar kein geringerer als der Ex-Verlobte von Glinda.“

„WAS?“, entwich es Ramón, während seine Mutter keinen Ton herausbrachte.

Beide Männer schauten die Frau auf dem Bett abwartend an.

Als sie endlich wieder ihre Stimme gefunden hatte, konnte sie nur zwei Wörter hauchen: „Fiyero Tiggular…“

„Wa… Auria! Du kennst ihn? WOHER?“ Londaro war außer sich.

„Was wird hier gerade gespielt?“, murmelte nun auch Ramón, der die Stirn in tiefe Falten gelegt hatte.

„Ich… Er… war mein Schüler! Was hat er noch gesagt?“

Während Londaro den beiden erzählte, was Fiyero ihm alles gesagt hatte, schüttelte der Blondschopf ungläubig seinen Kopf.

„Elphaba lebt?!“, schoss es bei dem passenden Stichwort aus Madame Akaber heraus.

„Elphaba?“, fragten die beiden Männer gleichzeitig etwas verdutzt.

„Ach, die Hexe, meine ich! Sie lebt… Ich fasse es nicht! Oh, dieses verdammte Mädchen! Ich wusste immer, dass sie nicht alle Besen im Wandschrank hatte!“

Gedankenabwesend knurrte und brummte Accursia Akaber noch ein paar Flüche vor sich hin. Offensichtlich schien ihr nicht in den Sinn gekommen zu sein, dass das ‚Mädchen’ nun schon 27 Jahre alt war.

„Mutter?“, holte Ramón seine Auria sanft wieder in die Realität zurück.

„Also nein, das fasse ich einfach nicht…“ Seine Mutter war noch immer etwas neben der Spur.

Plötzlich fing sie an, laut zu lachen und konnte beinahe nicht mehr aufhören.

Die beiden Männer sahen entsetzt zu, wie die ältere Dame sich Lachtränen aus den Augenwinkeln wischte, doch keiner traute sich, nachzufragen.

Als ihr Lachen langsam abebbte, kicherte sie: „Oh grundgütiger… Ich habe mir gerade vorgestellt, dass sie wahrscheinlich genauso geguckt hat, als sie erfuhr, dass ICH noch lebe. Nein, was ein Spaß!“

Londaro nahm an, dass es ein sehr großer und schwerer Pokal gewesen sein musste und räusperte sich kurz, bevor er neugierig fragte: „Stimmt es denn dann, was der Scheuch erzählt?“

Accursia wusste, dass Fiyero nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte, schließlich war er es gewesen, der die grüne Hexe vor ihrem ersten Tod gerettet hatte. Dennoch sagte sie: „Ja. Ja, das stimmt.“

Nach einer kurzen Pause, in welcher ihre durchaus ernste Mimik wieder aufgetaucht war, fügte sie simpel hinzu: „Ich will ihn sehen.“

„Wie bitte?“, fragte Ramón nun entsetzt, weil er keine Ahnung hatte, was seine Mutter beabsichtigte.

„Ich sagte, ich will ihn sehen.“

„Mutter, das habe ich schon verstanden, aber was…“

„Was stehst du dann hier noch herum?“

„Ich werde ihn holen!“, bot sich Londaro schnell an und war schon zur Türe heraus.

„Mutter, was wird das?“, flüsterte der blonde Mann besorgt.

„Hattest du jemals Grund, an meinen Entscheidungen zu zweifeln?“ Accursia wusste, dass das keine faire Frage war. Trotzdem war sie nicht gewillt, ihren Plan dem eigenen Sohn mitzuteilen.

„Nein, natürlich nicht.“, antwortete dieser, nun leicht beschämt.

Accursia Akaber nickte nur, nahm sich das Haargummi, welches auf ihrem Nachttisch bereit lag und band sich die Haare zu einem Dutt zusammen.

In diesem Moment trat Londaro wieder in den Raum. Ihm folgte eine Vogelscheuche.

„Madame Akaber!“, grüßte diese höflich und verbeugte sich leicht.

„Geht!“, wies die Angesprochene die anderen beiden Männer an und verlieh ihrer Forderung durch eine wilde Gestikulierung mit beiden Händen Ausdruck.

Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, sah Accursia den Scheuch kalt an.

„Fiyero Tiggular… Nein, was für eine Überraschung!“

„Unverhofft kommt oft!“, grinste dieser zurück.

„Allerdings, mein Lieber. Allerdings…“

Das hämische Grinsen, welches sich nun auf den noch recht jugendlichen Zügen der Madame Akaber breit machte, ließ das Stroh in Fiyeros Körper aufrecht stehen.
 

Glinda wurde als erstes wach. Verwirrt stützte sie sich auf ihre Unterarme und blinzelte durch die Höhle. Erst langsam kamen die Erinnerungen wieder in ihr hoch. Dann schaute sie rechts neben sich und sah Elphaba dort liegen. Sie hatte sich auf die Seite gerollt und lag mit dem Rücken zu ihr, die Beine angewinkelt. Ihre Haut schimmerte mehr blau als grün. Erst da bemerkte Glinda wieder den Wasserfall, der leise vor sich hinplätscherte. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte die blonde Schönheit die aufgehende Sonne durch die andere Seite eines Wasserfalls gesehen und genoss dieses Gefühl. Es sah wunderschön aus. Überall tanzten kleine blaue Funken und im schnellen Wechsel flackerte das Sonnenlicht mal hier, mal dorthin.

Als sie ihr hübsches Gesicht gen Sonne streckte, durchfuhr sie ein zuckender Schmerz. Er kam von der Wange her. „Autsch!“, zischte Glinda und fuhr vorsichtig mit ihren Fingern über die Wunde.

In dem Moment, als ihr Finger die Kratzer berührte, fiel ihr das blaue Wunderfläschchen wieder ein und sie hielt Ausschau danach. An der Stelle, an welcher Elphaba gelegen hatte, lag auch das Fläschchen. Vorsichtig stand Glinda auf. Das Feuer war längst erloschen und in der Höhle war es nun ohnehin warm genug. Als sie sich bückte, um die blaue Flasche aufzuheben, konnte sie durch das fallende Wasser nach draußen spähen. Der Himmel war grenzenlos blau und der Wald sah nach dem Regen noch grüner aus als gewöhnlich.

Die blauen Augen schlossen sich für den Bruchteil einer Sekunde, um das Geräusch des plätschernden Wassers zu genießen.

„Glinda?“, kam eine schwache Stimme vom hinteren Teil der Höhle.

Blitzartig drehte sich die blonde Frau um und erblickte eine auf der Decke sitzende Elphaba.

Schnell schnappte sie sich das Fläschchen und eilte zu ihrer Freundin. Als sie sich neben diese setzte, lächelte sie: „Du bist ja schon wach!“

„Ja!“, nickte Elphaba, „… und ich habe keine Ahnung, wie lange wir geschlafen haben. Bist du schon lange auf?“

„Nein!“, die blonden Locken wackelten mit dem Kopfschütteln. „Ich bin auch gerade eben erst wach geworden!“

„Was hast du da?“ Der grüne Zeigefinger deutete auf das blaue Etwas in Glindas linker Hand.

„Wie? … Ach, das! Ich weiß auch nicht so genau, was das hier eigentlich ist!“ Sie zuckte mit den Schultern und hielt Elphie die Flasche vor die Nase.

„Das ist ja genau so eine Flasche, wie ich eine habe! Nur diese hier ist blau…“

„… und nicht grün!“, ergänzte Glinda.

Als sie den verwirrten Blick aus den dunklen Augen sah, erzählte sie Elphaba, was sich gestern Nacht in dieser Höhle abgespielt hatte.

„Ich habe nicht mehr geatmet?“, fragte die grüne Hexe fassungslos, als Glinda geendet hatte.

Diese schüttelte nur den Kopf und sagte dann: „Und deshalb glaube ich, dass dieses Ding hier ein Wunderelixier der guten Art ist!“

„Du meinst, anstatt mich nun blau zu machen?“, grinste Elphaba frech.

„Warte mal ab! Deine Haut schimmert mehr blau als grün“, lachte Glinda nun.

„Deine Haut leuchtet genauso blau! Das kommt vom Wasser her!“, sagte die Hexe trocken.

„Nein wirklich, Fräulein Schlaumeier?“ Diese Konversation erinnerte Glinda sehr an ihre gemeinsame Studienzeit. Sie hatte es geliebt, Elphie so zu ärgern.

Elphaba hatte genau denselben Gedanken gehabt und konterte nun in alter Tradition: „Böses Blondchen!“

Das ‚Blondchen’ ging auf diesen Kommentar nicht ein, sondern sagte stattdessen: „Ich würde es mal gerne für meine Wange ausprobieren. Sie schmerzt nämlich noch immer ungemein. Was meinst du?“

„Naja…“, begann Elphie, „So, wie du mir das eben geschildert hast, sollte es funktionieren…“

„Ich hoffe es!“

„Aber willst du dafür nicht lieber wieder deine Kette hier anziehen? Mir fällt gerade auf, dass ich sie ja noch immer trage!“

„Nein, nein!“, wehrte Glinda schnell ab, „Lass du sie mal lieber an, bis wir hier raus sind. Sicher ist sicher.“

„Wie du meinst. Soll ich das mit dem Fläschchen machen?“, bot die grüne Hexe an.

„Das wäre lieb!“

„Gut. Dann dreh mal deine Wange zu mir, gib mir die Flasche und halte still.“

Glinda tat wie ihr befohlen und als die blaue Flüssigkeit langsam auf ihre verletzte Wange tropfte, merkte sie sofort dessen Wirkung.

„Und?“, kam es neugierig von Elphaba her, als sie die Flasche schon wieder zugedreht hatte.

„Es fühlt sich schon etwas besser an. Aber sehen kann ich es natürlich nicht. Siehst du schon etwas?“

„Nein, dafür ist es hier entschieden zu dunkel. Ich meine, immerhin heller als gestern Nacht, aber wirklich was Erkennen kann ich bei dem Licht auch nicht!“

„Dann lass uns doch nach draußen gehen… fliegen… und uns an das Seeufer setzen? Es ist nun so schönes Wetter und wir müssen noch viel klären…“

Bei dem Gedanken an dieses Gespräch musste Elphaba seufzen: „Klingt gut. Aber näher als fünf Meter gehe ich nicht an das Wasser!“

„Das war mir auch klar, du kleine Nixe!“, lachte Glinda nun.

„Mir scheint, als würden wir wieder in alte Verhaltensmuster fallen, was Glin?“ Das war Glindas Spitzname immer dann gewesen, wenn Elphaba sie hatte ärgern wollen, denn sie wusste, dass ‚Glin’ keine passable Abkürzung für Glinda war.

‚Schließlich war es ja auch immer Galinda, mit GAAA…’, dachte sie schmunzelnd.

„Kann schon sein, Elph!“, konterte die Blonde und machte Anstalten aufzustehen.

„Nehmen wir die Decke mit?“, fragte sie dann.

„Ja, sehr gerne sogar. Aber sag mal… Hast du meinen Besen gesehen?“

Beide Frauen hielten verwirrt nach dem buschigen Etwas Ausschau. Glinda entdeckte ihn zuerst: „Ah! Ich hab iiiihn!“

Also war es an Elphaba, die Decke aufzurollen. Auch das blaue Fläschchen steckte sie in ihre Kleidtasche, bevor sie sich zu der schon wartenden Frau umdrehte.

„Gnädiges Fräulein?“, grinste die Hexe nun, „Möchten Sie vielleicht zur Feier des Tages wieder vorne sitzen?“

Glinda ging auf das altbekannte Spiel ein: „Nichts lieber als das, meine Holde. Es wäre mir ein Vergnügen!“

Beide lachten laut, als sie die ernsten Gesichtsausdrücke nicht mehr halten konnten. Es tat gut, nachdem, was jede von ihnen erlebt hatte, auch noch mal unbeschwert lachen zu können. Vor allem Glinda genoss es sehr, ihre Elphie wieder zu haben und sie ärgern zu können. Ohne, dass sie sich darüber Gedanken machte, gestand sie sich ein, dass sie dieses unscheinbare kleine Detail mit am Meisten vermisst hatte.

„Sepa Rare Te!“, befahl Elphaba, als Glinda vor ihr auf den Besen gestiegen war. Als der Wasserfall sich wie in der Nacht zuvor spaltete, strahlte die Sonne die blonden Locken direkt an. Wieder schlossen sich die strahlend blauen Augen und Glinda fühlte, wie der Besen sich langsam durch die Luft bewegte. Und erst als sie wieder den Boden unter den Füßen spürte, öffnete sie die Augen.

Mit einem Sprung hüpfte sie vom Besen und breitet die Arme aus, ihr Gesicht noch immer zur Sonne gewand.

„Wie herrlich…“, flüsterte sie. In der Zwischenzeit war auch Elphaba vom Besen abgestiegen, der Wasserfall plätscherte wieder in normalem Zustand vor sich hin und die grüne Hexe betrachtete die schöne Frau aufmerksam.

„Glinda, auf deiner Wange ist ja fast nichts mehr zu sehen!“, sagte sie erstaunt.

Die hübsche Zauberin ließ ihre Arme sinken und strich mit einer Hand vorsichtig über die verletzte Wange. Als sie kaum noch etwas von der Verletzung spürte, drehte sie sich freudestrahlend zu Elphaba um, welche sie anlächelte.

„Siehst du, Elpha….“ Plötzlich hielt sie inne. Ihre Augen weiteten sich und ihre Kinnlade fiel vor Schreck hinunter. „ELPHABA“, stöhnte sie fassungslos.

Reflexartig drehte Elphaba sich um ihre eigene Achse, um zu sehen, was Glinda so erschrocken hatte. Doch hinter ihr war nichts Ungewöhnliches passiert.

Als die grüne Hexe sich wieder zu ihrer Freundin umdrehte, hatte diese ihren rechten Arm ausgestreckt und der Zeigefinger deutete auf Elphaba. Die linke Hand hielt sie sich erschrocken vor den offen stehenden Mund.

„Glinda?“ Die grüne Stirn legte sich in Falten.

„Ich… Gütiger Oz im Ballon…“ Es war nur ein einziges Stammeln, was die blonde Schönheit noch herausbrachte.

„Glinda, sprich mit mir!“ Elphaba war nun offensichtlich genervt.

„Ich… komm mit!“

Mit festem Griff packten die graziösen Hände die Arme der Hexe und zogen sie in Richtung des Sees.

„Ich gehe keinen Schritt weiter. Erstens, weil in vier Schritten das Wasser anfängt und zweitens, weil du mir nicht sagst, was los ist!“ Jetzt war sie nicht nur genervt, sondern auch wütend. Elphaba hasste es, wenn sie etwas nicht begreifen konnte, obwohl es so offensichtlich schien.

„Elphaba, vertrau mir bitte. Ich will dir nur etwas zeigen. Ich.. Ich kann es nicht artikulieren. Bitte…“

„Na schön!“, seufzte Elphie sich ergebend.

„Knie dich hin!“, wies Glinda sie an, als sie nur noch einen Fuß vom Ufer entfernt waren.

„Was soll ich?“, fragte die Hexe fassungslos. Sie stand schon so nah am Wasser, dass sie sehen konnte, wie ihr schwarzes Haar sich darin spiegelte.

„Mach schon!“, drängte Glinda nun etwas schroffer und Elphaba tat wie ihr geheißen.

„Und nun?“ Die dunklen Augen blickten erwartungsvoll und verwirrt in das Paar blauer Augen.

„Sieh hin!“, hauchte Glinda nur. Tränen formten sich in ihren Augen, während sie mit ihrem Zeigefinger auf die Wasseroberfläche deutete. Auch sie hatte sich hingekniet und saß nun neben Elphaba.

Diesmal wusste die Hexe es besser und fragte erst gar nicht. Vorsichtig stützte sie sich mit ihren Handinnenflächen auf die grüne Kante, unterhalb welcher das Wasser begann.

Winzig kleine Wellen schwappten hin und her. Sie kamen vom Wasserfall her und es dauerte einige Sekunden, bis Elphaba sich deutlich im Wasser spiegeln konnte.

„Was um alles in Oz…“, raunte sie geschockt und fassungslos.

Erschrocken wich sie zurück, wartete ein paar Sekunden und blickte abermals ins Wasser.

Und dieses warf noch immer die gleiche Reflexion zurück.

„Glinda!“, hektisch drehte Elphaba den Kopf und sah Glinda an, welcher Tränen über die Wangen liefen.

„Glinda, das kann doch nicht sein. Was ist passiert?“

„Ich.. weiß es nicht…“, schluchzte die blonde Frau.

Abermals beugte sich Elphie ein Stück weiter nach vorne. Zweifelsohne, ihr Spiegelbild blieb dasselbe.

Mit einem Ruck warf die Hexe sich ein Stück zurück, sodass sie auf dem Hintern landete. Dann zog sie ihr Kleid etwas höher und hielt erschrocken ihre Arme neben die nackten Waden.

Atemlos griff sie dann nach Glindas Unterarm und hielt ihren Unterarm direkt daneben.

„Das kann nicht wahr sein… Das…“

Elphaba zitterte am ganzen Körper, als sie die beiden Arme verglich und keinen farblichen Unterschied mehr ausmachen konnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  EmiLy_RoHan
2008-10-05T18:19:09+00:00 05.10.2008 20:19
wuh XD ich habs mir fast gedacht, als glinda so rumgeschrieen hat :D das war ganz sicher das tolle zauberwasser :) deswegen sah elphies haut auch so blau aus statt grün ! jah, ich hab alles durchschaut :D oh mein gott, jetzt spitzt sich die sache aber auch zu. und die akabar kennt den fiyero ?? is ja klar, weil der ja schüler war >,< und der kerl hat noch die nerven sich so aufzuführen und so unverschämt zu grinsen ! ich fasse es nicht !


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