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Kimba Staffel 3

Vom Paradis in die Hölle
von

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(kimba, der weisse loewe; fsk 10; 3. edition - serie v1.0; by tachyoon)
 

Dies ist die Serienfolge 27 zu "Kimba, der weiße Löwe". Fragen, Kommentare, Wünsche, Anregungen etc. an Felix.Horch@tachyoon.de !
 

Eine Übersicht und wichtige Informationen stehen im Prolog.
 

Viel Spaß

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Kimba, der weiße Löwe

"Die Schande"

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Obwohl es Tag war, konnte man kaum 10 Meter weit blicken. Der gewittrige Regenguss schien in wenigen Minuten das Niederschlags-Soll eines ganzen Jahres erfüllen zu wollen. Juri wäre auch trockenen Fußes nach Hause gekommen - wenn er nicht im falschen Moment über den falschen Lehrer gelästert hätte. Der so um genau eine Schulstunde verlängerte Schultag hatte sich genau bis zum Beginn des Wolkenbruches erstreckt. Juri hatte es schon aufgegeben, sich mit der Schultasche vor dem Regen schützen zu wollen - es war einfach zu viel Regen und auch zu viel Wind. Zwei kleine Böhen hatten ausgereicht, ihn von vorne und von hinten binnen Sekunden völlig zu durchnässen. So trug er dann, ohne jeglichen Widerstand gegen den Regen zu leisten, die Schultasche wieder ganz normal auf dem Rücken.

Es war merkwürdig, durch solch einen Regen zu laufen. Es kam Juri so vor, als liefe er immer auf eine Wand aus Wasser zu, doch mit jedem Schritt, den er vorwärts tat, schien diese Wand ein wenig zurückzuweichen. Einige Stellen der Wand schienen übrig zu bleiben, doch immer, wenn er sie erreichte, teilten sie sich, verschwanden rechts und links neben ihm und liessen ihn so auf einem unsichtbaren Pfad passieren.
 

Doch auf einmal schien die Wand leicht durchsichtig zu werden und gab den Umriß einer kleineren menschlichen Gestalt wieder, die auf einer Strassenbank saß und sich nach vorne zu krümmen schien. Als Juri näher kam, erkannte er, dass es sich um ein junges Mädchen handelte, dass ihre Ellbogen auf den Knien aufstützte und den Kopf unter ihren Händen begrub. Es war leicht zu sehen, dass sie sich nicht damit vor dem Regen zu schützen versuchte, sondern ein zumindest schweres Gemüt hatte, wenn sie nicht sowieso weinte. Juri stoppte. Er konnte es zwar nicht hundertprozentig erkennen, aber das Kleid und die Schuhe kamen ihm bekannt vor. Auch von der Größe und von der Farbe und Länge der Haare her, meinte er, dass es sich um Diana handeln könnte.

Er ging also ein paar Schritte näher an das Mädchen heran und wurde immer sicherer, dass es sich dabei um Diana handelte. Inzwischen konnte er auch ihr Schluchzen hören. Es war zwar kein Riesengeheul, aber sie schien still vor sich hinzuweinen. Ihr hellgrüner Rock schien ein wenig Wasserabweisend zu sein, weshalb an einigen Stellen das Wasser wie in einer Dachrinne gesammelt und über die Knie hinweg nach unten geleitet wurde. Sie hatte ihre hellblaue Bluse an, ihre Lieblingsbluse, die aber genauso durchnässt war, wie jedes andere Kleidungsstück und daher viel von der leicht braunen Hautfarbe darunter angenommen hatte. Ihr BH war ebenfalls leicht durchsichtig geworden und Juri stellte fest, dass ihre Brüste zwar noch klein aber sehr wohlgeformt waren.

"Schwein!" schollt er sich in demselben Moment. Natürlich war sie sehr attraktiv, aber gerade als ihr Freund sollte man andere Gedanken haben, wenn es ihr doch offenbar so dreckig ging wie in dem Moment. - Der Ansicht war zumindest Juri.

Ihre dunkelblonden Haare hingen triefend über ihren Kopf und ihre Hände bis fast auf die Knie. Sie machte einen ziemlich Mitleid erregenden Eindruck.

"Diana?" sprach Juri seine Freundin vorsichtig an.

Scheu, geradezu mit Angst in den Augen, schaute Diana langsam hoch. Sie nahm die Hände vom Kopf weg, schien für einen Augenblick etwas sagen zu wollen. Doch dann sagte sie nichts, sondern stand nur hektisch auf und rannte so schnell es ging in den Regen. Weg von der Bank, weg von Juri.

Juri stand noch mit halboffenem Mund an derselben Stelle. "Aber warum nur....?" fragte er sich selbst halblaut.
 

"Warum können die einem nicht einfach sagen, was sie bedrückt? Vom Wegrennen wird es doch auch nicht besser," beklagte Juri sich bei Kimba.

"Also ich weiß nicht... so viel mehr Ahnung als du habe ich auch nicht. Aber über manche Dinge beschwert sich Rahja ziemlich schnell und ziemlich direkt. Ich mußte ihr letztens beispielsweise versprechen, dass sie künftig immer bei meinen Reisen und Abenteuern dabei sein kann. Aber andere Dinge wiederum muß ich ihr schon an der Nasenspitze ablesen."

"Frauen sind schon komische Wesen...," murmelte Juri und leerte in einem Zug die halbe Kokusnuss mit der Milch darin. "Einfach wegrennen... und dann vor dem eigenen Freund..."

Kimba spitzte die Ohren. Dann hob er den Kopf und schaute in die Richtung, aus der Juri gewöhnlich zu Daniels Restaurant kam. "Und sie kommen genau dann wieder, wenn man nicht damit rechnet... sieh mal!"

Juri schaute nun auch in die Richtung. Und tatsächlich: Dort tastete sich Diana vorsichtig durch die letzten Büsche in Richtung des Restaurantes.

"Hatten ihre Eltern ihr nicht verboten, bis in den Dschungel zu gehen?" fragte Kimba vorsichtig und schaute Juri fragend an.

"Eigentlich schon. Ich weiß auch nicht, wieso sie jetzt sogar freiwillig hierher kommt. Damals hätte ich sie sogar auf Knien anflehen können, ohne damit Erfolg zu haben."
 

Diana betrachtete noch etwas mißtrauisch die Tiere, die um das Restaurant herum standen oder lagen - vor allem jene, deren Nahrung nicht natürlicherweise auf Pflanzen beschränkt war. Dann war sie bei Juri und Kimba angekommen.

"Hi Juri," sie schaute dann in Richtung Kimbas, "Und du bist Kimba, nicht wahr?"

"Ja. Willkommen hier im Dschungel."

"Du, Juri. Ich wollte mich noch entschuldigen dafür, dass ich gestern so einfach weggerannt bin. Das war doof von mir. Ich wollte halt nur gerade niemanden sehen, verstehst du das?"

"Ja... kein Problem. Du kannst mir jederzeit alles erzählen, wenn du willst. Ich werde immer für dich da sein..."

"Danke..."

"Willst du mir nicht erzählen, warum du weggerannt bist?"

Diana schaute etwas beschämt zu Boden, dann wieder zu Juri. "Naja... ich war halt überrascht, dass du so plötzlich vor mir standest. Da wußte ich nicht was ich sagen sollte und bin lieber weggegangen, um nichts falsches zu sagen."

"Ähm... ja... klar. Ich meinte jetzt eigentlich eher den Grund, warum du dort gesessen und geweint hast."

"Achso... hihihi," lachte Diana nervös, "das hab ich eben falsch verstanden."

"Und was war los?"

Sie schaute hektisch auf ihre Uhr. "Du, tut mir leid, ich muß jetzt wieder nach Hause. Meine Eltern sollen ja nicht wissen, dass ich hier war. Tschüß!"

Sie winkte und ging dann wieder schnell den Weg zurück, den sie gekommen war. Juri und Kimba schauten dem hbschen Mädchen etwas irritiert hinterher.

"Sag mal, Kimba... kam es mir nur so vor, oder wollte sie einfach nicht auf meine Frage antworten?"

"Ich weiß nicht. Den Verdacht hatte ich eben auch. Aber warum sie nicht will, weiß ich nicht. Da muß ich wohl mal einen Menschen mit viel Lebenserfahrung fragen."
 

Am Abend, als Juri nach Hause kam, sah er überraschender Weise, dass Diana bereits auf ihn wartete.

"Hi! Was machst du denn so spät noch hier?" fragte er und war froh, dass er sie so schnell wiedersehen konnte.

"Ich wollte noch ein wenig mit dir zusammen sein. - Und dann wollte ich hier auch gleich übernachten, meine Eltern haben nichts dagegen."

Juris Mutter drehte sich vom Tisch, auf dem sie das Abendmahl bereitsstellte, um und schaute Diana ungläubig an: "Ausgerechnet deine Eltern haben nichts dagegen?" Sie schaute dann zu ihrem Mann. Juris Vater hob eine Augenbraue und schien ebenfalls nicht so ganz zu glauben, was er da eben gehört hatte.

"Vielleicht sollten wir vorsichtshalber noch mal anrufen, ob da auch kein Mißverständnis vor liegt," schlug er schließlich vor und begab sich zum Telefon.
 

"Nein, ganz sicher nicht," versuchte Diana ihn vom Anrufen abzubringen, "das ist doch wirklich nicht nötig...."

Wenig später mußte sich Diana von Juri verabschieden.

"Tut mir leid, dass das nicht geklappt hat," meinte Juri beim Abschied.

"Ist schon ok. Das war auch irgendwie abzusehen. Aber wenigstens hab ich es versucht."

"Warum eigentlich?"

"Naja... weiß nicht... ich wollte halt mal bei dir sein können."

"Wir sind doch fast jeden Tag zusammen," wunderte sich Juri.

"Schon, aber halt auch nachts, dass ich nicht allein bei..." Diana stoppte. "Ich muß jetzt wohl los," lachte sie dann, winkte und ging schnell weg.

Juri schaute ihr noch eine Minute lang nach. "Irgendwie ist sie ein wenig komisch in letzter Zeit."
 

Am nächsten Morgen konnte Kimba etwas aufregendes, neues erleben: Der kühle, berechnende und oft gänzlich unnahbare Subco fiel deutlich sichtbar aus allen Wolken, als er Kimbas Bitte hörte, er möge ihm doch alles über Frauen und ihre Beziehung zu Männern erklären. Ob er wohl der Meinung war, dass ein imperialer Kriegsstratege nicht so gut geeignet sei für den allgemeinen Aufklärungsunterricht...?
 

Nach einer knappen Stunde Vorbereitungszeit holte der Subco Kimba auf sein Raumschiff - genaugenommen auf das Holodeck.

"Ok, was genau willst du also wissen, Kimba?"

"Also eigentlich alles, wenn du schon so fragst. Aber besonders interessiert mich, wieso Frauen gerade denen, die sie lieben, nicht sagen können, wenn sie Probleme haben."

Der Subco verdrehte die Augen. "Alles... wenn es weiter nichts ist... Am besten stellst du deine Fragen nacheinander weg. - Ich kann aber keine Garantie für die Richtigkeit meiner Aussagen übernehmen, denn wenn es einen Zustand im Universum gibt, der gänzlich unberechenbar ist, dann ist es der weibliche..."

"Ok, dann das Wichtigste zuerst: Wieso ist Diana der Frage ausgewichen, warum sie so traurig war?"

"Das kann mehrere Ursachen haben. Die einfachste wäre, dass ihr zu viele Fremde dabei waren, als dass sie sich hätte aussprechen können."

"Glaub ich nicht, da sie auch nicht mit Juri reden wollte, als sie ganz allein mit ihm war - und er ist ja nun ihr Freund."

"Dann gibt es noch zwei andere Möglichkeiten. Die erste ist, dass Juri Ursache ihres Problemes ist. Wenn es ein Problem mit einem Freund oder sogar mit _dem_ Freund gibt, versuchen viele Frauen, das Problem durch ignorieren oder davonlaufen zu lösen - selbstverständlich erfolglos. Die andere Möglichkeit ist, dass sie ein Problem hat, wegen dem sie meint sich vor Juri schämen zu müssen. In diesem Fall wird gerade er so gut wie keine Möglichkeit haben, den Grund für ihre Traurigkeit zu erfahren, da sie alles daran setzen wird, ihn von der Kenntnis dieses Problemes fern zu halten. Soweit alles klar?"

"Naja... aber glöst werden die Probleme so nicht."

"Stimmt Dennoch wird genau dieses Verhalten normalerweise beobachtet."

"Aber was ist, wenn es ein Problem ist, dass sie alleine nicht lösen kann?" fragte Kimba nach.

"Dann wird sie es entweder mit ihren sogenannten 'besten Freundinnen' lösen oder darauf sitzenbleiben."

"Und derjenige, den sie liebt und der sie auch liebt, soll ihr nicht helfen?"

"In der Regel nicht."

"Das ist komisch. Wenn ich in Schwierigkeiten stecke, dann erzähle ich Rahja davon - wenn sie es nicht sowieso schon weiß. Und ich lasse mir auch gerne von ihr helfen oder lasse mich trösten. Das finde ich ganz gut so und es hat auch bislang nicht geschadet."

"Tja... mag sein, dass das die bessere Lösung ist. Gewählt wird aber meist die andere. Außerdem muß du ein wenig vorsichtiger damit sein, dein Verhalten und das von Rahja auf Menschen zu übertragen. Ihr habt nämlich doch andere Vorraussetzungen."

"Und jetzt bitte die anderen Fragen: Was ist Liebe? Wie finden die passenden Partner zusammen? Warum klappt es bei einigen, ständig Begleitung zu haben und andere bleiben alleine und wieso..."

"Das wird ein langer Tag heute...," dachte sich der Subco und bereitete die ersten Holodeckprogramme vor, die er als Erklärung einsetzen wollte.
 

Während sich der Schwimm-Unterricht in Deutschland durchaus geteilter Beliebtheit erfreut, zählt er in den Zentralafrikanischen Ländern zu den Leckerbissen überhaupt. So wundert es auch nicht, dass Juri und alle seine Mitschüler ausgelassen im Wasser planschten und den Anweisungen der beiden Lehrkörper nur dann folge leisteten, wenn diese die allgemeine Geräuschkulisse zu durchdringen vermochten.

"Spring!" schrie irgendein Junge einem anderen zu, der sich daraufhin zu einer Wasserbombe vom Dreier aus hinreissen lies und die Zielgruppe - nämlich eine Gruppe des anderen Geschlechtes - die darunter am Turm stand, mit Wasser eindeckte. Die Gruppe beteiligter Jungs gröhlte und etliche andere Jungen und Mädchen drumherum lachten. Auch Juri, der kurz zuvor noch damit beschäftigt gewesen war, einen halben Liter Wasser aus der Lunge zu husten, nachdem er untergetaucht worden war.

Als er schon fast ausgelacht hatte, sah er Diana am Geländer zum Nichtschwimmerbecken stehen. Sie hatte auch gerade gelacht. Juri freute sich, denn ihr Lachen machte auch ihn glücklich - gerade nach den Geschehnissen der letzten Tage. Doch da verschwand sein Lächeln auch schon wieder, denn als Diana sich ein wenig drehte, konnte er eine ganze Reihe an blauen Flecken an einem ihrer Arme und an ihren Beinen entdecken. Viel mehr, als man auch unter ungünstigen Umständen hätte erwarten können.

"Man, die arme sieht ja aus, als wäre sie zusammen geschlagen worden...," dachte er sich besorgt. Weiter kam er nicht, denn Unaufmerksamkeit war immer eine Einladung an Klassenkameraden, einen mit Nachdruck ins Becken zu befördern.
 

Als der zweite halbe Liter raus war, war auch die Schulstunde beendet. Juri hatte sich mit dem Umziehen beeilt, um Diana noch auf dem Weg zum Schulgebäude abfangen zu können. Schließlich war es soweit: Diana verließ das Schwimmbad in Richtung Schule, alleine. Sie hatte einen langärmeligen Sommerpullover angezogen. Das war selten, dass sie den anzog - zumal es gerade an jenem Tage ziemlich warm war und wirklich jeder mit möglichst wenig Kleidung herumlief. Juri tippte darauf, dass sie damit die blauen Flecken verbergen wollte - ebenso wie mit dem Tragen der Jeanshose anstelle ihres Lieblingsrockes.

"Diana?" sprach Juri seine Freundin vorsichtig an. Vom Tonfall her war es fast so, als hätte er sie das erste Mal angesprochen.

"Ja, was ist los?" fragte sie freundlich und lächelte dabei. Doch Juri kam es so vor, als würde er ganz deutlich ein falsches, aufgesetztes Lächeln erkennen.

"Nun...," begann er und bemerkte, dass er nicht genau wußte, was er eigentlich sagen wollte - und vor allem: wie er es sagen wollte. "Tja, also mir ist heute beim Schwimm-Unterricht aufgefallen, dass du... irgendwie eine Menge blauer Flecken hast."

Das Lächeln auf Dianas Lippen versteinerte zunächst und verschwand dann binnen weniger Sekunden. Es war ihr anzusehen, dass sie in jenem Moment am liebsten auf der anderen Seite der Welt gewesen wäre. Aber ebenso war zu erkennen, dass sie nicht vor hatte, erneut auszuweichen oder gar wegzulaufen. Diesmal nicht.

"Bist du von irgendjemanden geschlagen worden?" fragte Juri schließlich. Damit hatte er den Stein endgültig ins Rollen gebracht. Diana schaute zu Boden und lautlos liefen ihr die Tränen über die Wangen. Fast unmerklich nickte sie. Juri legte seine Arme um sie und drückte sie vorsichtig an sich heran. Sie tat ihm leid und er würde alles in Bewegung setzen, damit derjenige nicht ungestraft davon käme.

"Hast du es schon deinen Eltern gesagt?" fragte er weiter. Diana selbst schien zu Stein zu erstarren. Die Zeit schien still zu stehen. Sekunde für Sekunde verging. Juri wollte schon erneut fragen, als die Sekunden zu Minuten werden zu drohten. Doch da antwortete Diana endlich. Leise und hörbar mit Kloß im Hals: "Sie wissen es."

Juri beschlich ein schrecklicher Verdacht.

Diana setzte nochmal nach: "Sie haben es als erste gewußt - schon immer."

Damit bestätigte sie, was Juri schon ahnte, ohne es aussprechen zu müssen. Juri drückte sie fester an sich und sie erwiderte diesen sanften, fürsorglichen Druck.

"Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde dir helfen. Das verspreche ich."
 

Kimba stand ratlos auf dem kleinen Baumstumpf in Daniels Restaurant, der ihm zuvor noch als Stuhl gedient hatte. Der Subco hatte ihn stundenlang mit allem Möglichen über weibliches Verhalten, menschliche Beziehungen generell und einer Menge anderem nutzlichen Kram vollgestopft. Doch all dieses Wissen, egal wie richtig oder wichtig es auch sein mochte, konnte ihm bei seinem neuen Problem nicht helfen. Er könnte ihn genauso gut erneut rufen und wieder um Rat bitten. Doch noch einmal innerhalb so kurzer Zeit wollte er ihn nicht rufen. Er würde statt dessen mit Juri das Problem alleine lösen.

"Egal wie, aber das muß aufhören!" bekräftigte Juri erneut seinen Standpunkt.

"Da gebe ich dir vollkommen recht. Ich weiß nur nicht, ob es besser ist, gleich zu Dianas Eltern zu gehen und mit ihnen direkt zu reden oder ob wir vielleicht noch den Rat deiner Eltern einholen sollten. Vielleicht haben sie ja ein oder zwei Tips für uns, was wir sagen können."

"Ok, einverstanden. Und dann müssen wir ein ernstes Wort mit Dianas Eltern reden. Entweder die hören damit auf oder man muß sie zwingen, damit aufzuhören. - Notfalls polizeilich - ich hab schon davon gehört, dass das geht."
 

Wenig später erklärten die beiden Juris Eltern, was geschehen war.

"... und daher müssen wir mit denen reden. - Oder sollen wir das gleich zur Anzeige bringen?" fragte Juri seine Eltern, die zunächst etwas überrascht und ratlos wirkten.

"Tja... also wenn das wirklich wahr ist, dann muß da was gegen getan werden," meinte Juris Mutter und schaute zu ihrem Mann.

"Ich denke es ist besser, wenn wir bei dem Gespräch dabei sind. Auf uns werden sie noch eher hören, als auf euch. Aber anzeigen sollten wir sie nicht, denn das könnte die Situation für Diana nur verschlimmern. Entweder, weil ihre Eltern dabei überreagieren oder aber, wenn das Jugendamt sie von einander trennt und Diana in ein Heim kommt."

"Gut, aber wir sollten nicht länger warten," meinte Kimba.

"Das stimmt. Vom Abwarten ist noch nichts besser geworden."
 

Die Unterhaltung mit Dianas Eltern war recht kurz für so ein schwerwiegendes Problem. Es schien Diana nicht nur peinlich zu sein, dass jetzt Juris Eltern mit ihren Eltern darüber sprachen - nein, sie schien sogar langsam Angst zu bekommen. Doch genau konnte Juri das nicht erkennen, da sie relativ schnell nach oben auf ihr Zimmer geschickt worden war. Nach einigen Leugnungen und Beschwichtigungen schienen Dianas Eltern halbwegs einzusehen, dass das nicht richtig war, was sie getan hatten und versprachen - naja, eher sagten - dass es nicht wieder vorkommen würde. Damit war das große Gespräch schon erledigt, obwohl weder Kimba noch Juri so sonderlich vom Erfolg überzeugt waren. Wenig später baten sie zusammen mit Juris Eltern die direkten Nachbarn, ein wenig aufzupassen, dass alles mit rechten Dingen zuginge. Doch das 'Ja natürlich' klang irgendwie mehr wie ein 'Auf Wiedersehen'. Kimba schaute Juri an. Juri erwiderte den Blick. In einer Sache waren sie auf jeden Fall einig: Irgendetwas schien hier nicht zu stimmen.
 

Es vergingen gerade zwei Tage. Dann fand Juri Diana wieder zusammengekauert auf einer einsamen Bank am Stadtrand sitzend.

"Diana? Was ist passiert?" fragte Juri besorgt.

Ein kurzer Ruck verriet, dass sie am liebsten schon wieder weggerannt wäre. Aber dann zögerte sie und schaute ihren Freund schließlich aus verweinten Augen an.

"Haben sie dich wieder geschlagen?"

Diana schüttelte den Kopf. Einen Augenblick später brach sie heulend zusammen. Juri war verzweifelt. Was war denn bloß geschehen? Auf jeden Fall konnte er zunächst nichts weiter tun als sie festzuhalten und ihr auf diese Weise ein wenig Trost spenden. Das dauerte einige Minuten. Schließlich hatte sich Diana wieder beruhigt und schien zu überlegen, was sie ihm sagen wollte. Juri wollte ihr noch vorsichtig mit der Hand die letzten Tränen aus dem Gesicht wischen, doch sie wich ziemlich plötzlich zurück.

"Bitte nicht..." hauchte sie schwach.

Juri schaute sie fragend an.

"Bitte nicht so anfassen," ergänzte sie und pausierte wieder eine Weile.

In Juris Augen standen mittlerweile zwei große Fragezeichen. Wieso durfte er sie plötzlich nicht mehr berühren? Hatte sie eben nicht noch weinend in seinen Armen gelegen?

"Verstehe das bitte nicht falsch, aber mein Vater und die anderen Männer berühren mich auch so, bevor..." sie stoppte einige Sekunden. Juri bemerkte, dass sie sich sehr zusammen reißen mußte, um nicht wieder los zu heulen.

"Bevor sie dich auch schlagen?" fragte Juri verwirrt.

"Nein... das heißt... ja, eigentlich auch das. Aber sie tun mir meistens auf andere Weise weh... und berühren mich so, als ob sie zärtlich zu mir sein wollten. Dabei wollen diese Schweine doch nur über mich herfallen."

Juri verstand. Viel genauer wollte er es auch gar nicht von ihr beschrieben haben, denn auch ihm tat es weh, obwohl er direkt nichts zu ertragen hatte.

"Dagegen muß sofort was getan werden. Das ist total ungesetzlich und scheiße von deinen Eltern. Da muß unbedingt die Polizei eingreifen!" meinte Juri.

"Nein! Nicht! Bitte keine Polizei. Ich will nicht, dass das alle wissen," sagte Diana und schaute Juri flehend an. "Und außerdem sind das gar nicht meine richtigen Eltern. Das sind nur meine Pflegeeltern und bald komme ich wieder zu meinen richtigen. Dann ist es ja vorbei. Bitte, tu nichts weiter! Hörst du?"

"Pflegeeltern?"

"Ja... also meine echten sind geschäftlich unterwegs aber die kommen bald wieder. Und dann hat das ein Ende. Aber bitte nichts mehr tun. Ich will nicht, dass es noch schlimmer wird oder dass alle anderen Leute davon erfahren."

Juri konnte kaum glauben, was er da hören mußte. "Was macht das denn für einen Unterschied, ob das nun deine echten oder deine Pflegeeltern sind? Das dürfen die dir einfach nicht antun!"

"Nein... das nicht. Aber es wird ja aufhören, sobald meine echten Eltern zurück sind. Bitte, Juri, wenn du mein Freund bist, dann erzähle niemanden davon. Ich will keine Schwierigkeiten mehr. Und ich will auch nicht, dass die Leute über mich sprechen. Versprichst du mir das? - Versprich mir, dass du nichts mehr unternehmen wirst!"

Sie sah Juri fordernd an. Juri konnte sich keinen Reim darauf machen, wieso ihr daran so viel liegen könnte. Immerhin war sie das Opfer, sie war im Recht. Egal, ob Fremde, Verwandte, Pflegeeltern oder gar ihre echten: Sowas durfte ihr niemand antun.

"Ich verspreche es," log er, denn er wußte, dass Diana ihn anderenfalls nicht gehen lassen würde. So ganz schien sie ihm das Versprechen auch nicht abzunehmen, doch entweder wollte sie selber das leidige Thema endlich beenden oder aber es war ihre geheime Hoffnung, dass diese Sache doch aufgedeckt werden würde.
 

Nur wenige Stunden später war Juri bei Kimba gewesen und hatte mit ihm beschlossen, sofort gemeinsam zur Polizei zu gehen.

'Polizeidienststelle Neu-Zentralostafrikas, Bezirk 3' stand in halbwegs großen Lettern auf dem Schild, das sich über die beiden Eingangstüren erstreckte, durch die Juri und Kimba schritten. Ein halbes Dutzend Polizisten in etwas eingestaubten, veralteten Uniformen saßen an Schreibtischen oder standen in dem großen Raum herum, der die Eingangshalle darstellte. Sie staunten nicht schlecht, dass mit dem Jungen auch ein weißer Löwe ins Revier gekommen war - obwohl inzwischen fast jeder in der Stadt von der Existens von Kimba und seinen Freunden wußte. Das war ein altes Überbleibsel aus der Zusammenarbeit von Menschen, Rekar und Tieren während des Alien-Krieges.

"Wir wollen eine Anzeige... machen," sagte Juri vorsichtig. Er hatte genauso wenig Ahnung von den polizeilichen Abläufen wie Kimba. Einer der Gesetzeshüter winkte die beiden zu seinem Schreibttisch. Kimba und Juri erklärten daraufhin, was geschehen war und sahen dann erwartungsvoll auf den älteren Herren. Dieser schüttelte aber nur den Kopf: "So leid es mir tut, aber ohne Beweise ist in der Hinsicht nichts zu machen. Es müßte zumindest deutliche Hinweise auf so ein Verbrechen geben, damit wir Nachforschungen anstellen können. Wenn diese Diana nicht selbst aussagen kann oder will, müßten zumindest Zeugenaussagen der Nachbarn vorhanden sein, die so einen Verdacht untermauern würden. Oder die Aussagen eurer Lehrer in der Schule, dass sie mit blauen Flecken übersäht war. Wenn die sich daran nicht erinnern können, können wir nichts weiter tun als abzuwarten, bis endlich Beweise auftauchen."

"Verdammt noch mal! Ich sage doch, dass es so ist!" rief Juri verärgert.

"Und das reicht eben noch nicht als Grund, Nachforschungen anzustellen," erklärte der Polizist noch mals deutlich.

"Aber wenn wir die Zeugenaussagen kriegen...?" fragte Kimba.

"Dann können wir aktiv werden," beantwortete der Polizist.

"Und was ist, wenn die ihr das nochmal antun?" fragte Juri noch etwas erbost.

"Komm," beruhigte Kimba ihn, "wir gehen jetzt gleich zu den Nachbarn. Das dauert nicht lange und in der Zeit passiert bestimmt nichts."

"Hoffentlich kriegt ihr eure Zeugen...," meinte der Polizist noch.

"Na klar, wir haben denen ja immerhin schon davor bescheid gesagt, sie mögen doch bitte die Augen offenhalten. Die wußten also schon, dass sie auf Dianas Haus ein Auge werfen sollten."

Der Polizist sagte nichts mehr, warf Kimba aber einen merkwüdigen Blick zu.
 

Tür auf. "Tut mir leid, mir ist nichts aufgefallen." Tür zu.

Tür auf. "Also ich kann da nichts richtiges sagen, ich bin ja immer auf Arbeit." Tür zu.

Tür auf. "Also nein! Alleine der Verdacht ist ja schon eine Unverschämtheit! Wir sind hier eine Nachbarschaft mit ausschließlich ehrbahren Leuten!" Tür laut zu.

Tür auf. "Häh? Kapier ich nicht... tut mir leid, kann euch nicht helfen." Tür zu.

Tür auf. "Also naja... ich hab so viel zu tun. Da habe ich keine Zeit fürs Aussagen und den ganzen Ärger. - Und außerdem hab ich ja sowieso nichts gesehen." Tür zu.

Tür auf. "Nein! Das tun die bestimmt nicht. - Achwas? -Die kleine ist bestimmt nur hingefallen oder gestürzt, deswegen habe ich auch gar nicht auf sowas geachet." Tür zu.

Tür auf. "Terrorisiert hier nicht die ganze Nachbarschaft. Hier gibt es keine Verbrechen! Lest weniger Horrorgeschichten und lernt und arbeitet lieber, Kinder!" Tür zu.
 

"Also irgendwie habe ich das Gefühl, hier stimmt etwas nicht," meinte Kimba nachdenklich zu Juri.

"Ja! Das sind alles feige Arschlöcher, die sich einen Scheißdreck darum kümmern, was mit Diana geschieht oder was hier generell so an Verbrechen begangen wird!" schimpfte der und man konnte erkennen, dass er eine Gradwanderung zwischen Wutanfall und Weinkrampf durch machte, ohne dass eines von beidem aus ihm herausbrach.

"Das vielleicht auch. Aber irgendwen hätte es bestimmt interessiert. Außerdem glaube ich nicht, dass die alle nichts gesehen haben. Aber wenn wir Beweise haben wollen, müssen wir da wohl selber mal nachforschen."

"Und wo kriegen wir den Beweis her? Du hast ja selbst gehört, dass unsere Aussagen aus irgend einem komischen Grund nichts zählen."

"Der Subco hatte mir letztens etwas von Überwachungstechnik erzählt, die so gut wie unsichtbar an einem Menschen oder Tier festgemacht werden kann. Mit Mikrophon und Video dürften wir die nötigsten Beweise zusammenkriegen."

"Willst du etwas warten, bis diese Scheißkerle wieder über sie herfallen?"

"Nein. Natürlich nicht. Wenn das passiert, greife ich augenblicklich ein. Ich hoffe einfach, dass die nach unseren Nachforschungen nervös werden und darüber sprechen. Dann können wir damit zur Polizei gehen. Das wird mindestens dafür reichen, dass die sich das mal anschauen."
 

Einige tausend Sterne schienen am Himmel zu funkeln, als Kimba durch Büsche und Gräser der Vorgärten schlich. Er überlegte während des anschleichens, ob es nicht einfacher oder sinnvoller gewesen wäre, den Subco selbst diese Überwachung unternehmen zu lassen. Doch inzwischen war es etwas zu spät dafür. Er hatte auch gerade die Terasse erreicht, auf der die Pflegeeltern von Diana saßen. Außerdem saßen da noch zwei ihrer Nachbarn. Diana hatten sie kurz zuvor zu Bett geschickt und sie war auch extrem schnell und ohne einen Funken Widerstand nach oben auf ihr Zimmer verschwunden. Kimba wartete. - Und hatte Glück: Nur wenige Augenblicke später schien die gewöhnliche nachbarschaftliche Abendstimmung zu verschwinden und eine merkwürdige Spannung breitete sich über die Terrasse aus.

"Am besten wäre es, wenn sie ihn nicht wiedersehen würde," begann Dianas Mutter.

"In der Tat: Der Junge gräbt mir zu tief im Dreck herum. Da muß augenblicklich etwas geschehen," stimmte einer der Nachbarn zu.

"Dummerweise wird sich Diana dann zickig anstellen und versuchen, das Verbot zu umgehen," überlegte Dianas Vater.

"Dann müßt ihr sie halt einsperren! Bis sie es kapiert hat! Notfalls hilft auch eine saftige Abreibung!" schlug der andere Nachbar vor und schlug dabei einen Befehlston ein. Alle anderen auf der Terrasse schienen ziemlichen Respekt vor ihm zu haben.

"Spätestens in der Schule hat sie die Gelegenheit. Wir können sie nicht völlig von der Außenwelt isolieren, das wäre viel zu auffällig," meinte Dianas Mutter.

"Sie erhalten gutes Geld dafür, dass uns ihre Tochter zur Verfügung steht. Und sie haben noch mehr gutes Geld dafür erhalten, dass diese Sache mit äußerster Diskretion gehandhabt wird. Sehen sie zu, dass sie das in den Griff kriegen!" erklärte wieder der Nachbar, vor dem sich alle zu fürchten schienen.

"Wir tun unser bestes," beteuerte Dianas Vater.

"Das will ich auch hoffen. Ansonsten werden sie wohl in Kürze wieder in finanzielle Schwierigkeiten kommen. Ohne Job und ohne das Geld für die Dienstleistungen ihrer Tochter werden sie wohl kaum ihre Schulden bezahlen können."

"Drohen sie uns nicht! Sie stecken genauso tief mit drin!" platze dem Vater der Kragen.

"Nur mit dem Unterschied, dass all ihre Nachbarn so aussagen werden, dass ich nur ein ahnungsloser Freund ihrer Familie bin und sie ihre Tochter selbst mißbraucht haben. Oder glauben sie, irgendwer von denen möchte ohne Job darstehen?"

Dianas Eltern schauten bedrückt auf den Boden.

"Sehen sie... es hat durchaus Vorteile, wenn man Geld hat. Vor allem, wenn es genug ist, um eine große Fabrik in einem Gebiet voller Arbeitslosigkeit aufzubauen. Und ich biete ihnen genau das an: Geld. Eine Menge Geld. Mehr vor allem, als es jeder andere Kunde zahlen könnte." Er zeigte auf den anderen Nachbarn, der sich bis dahin zurückgehalten hatte.

Kimba war inzwischen schlecht geworden. Leise und sehr vorsichtig schlich er zurück. Er wußte, dass er sich würde übergeben müssen, wenn er diesem Gespräch noch länger zuhören würde.

"Unglaublich...," ging es durch seinen Kopf, "... was die Menschen alles fürs Geld tun. Und wie viel Macht sie dadurch übereinander haben. Und wie wenig Skrupel sie haben, diese Macht auszunutzen oder sie unrechtmäßig an sich zu reißen. Die gehören alle eingesperrt bis ans Ende ihrer Tage..."
 

Noch in derselben Nacht ließ Kimba die Aufzeichnungen über das Gespräch auf ein handelsübliches Medium überspielen. Dann weckte er Juri und seine Eltern. Wenig später legten sie gemeinsam der Polizei das Beweisstück vor. Es reichte noch nicht ganz für eine sofortige Verurteilung, aber der Fall wurde direkt aufgenommen, da 'dringender Tatverdacht' bestand. Schon am nächsten Morgen waren verdeckte Ermittler rund um das Haus von Diana und ihren Pflegeeltern unterwegs und brachten das ein oder andere Überwachungsgerät an. Zwei Tage später - Diana hatte inzwischen strikte Anweisung von ihren Eltern erhalten, dass sie Juri nicht mehr sehen durfte - kam es zu der Durchführung eines weiteren perversen Geschäftes von Dianas Pflegeeltern und einem der Nachbarn. Kurz bevor jener Nachbar sich die Gegenleistung für sein Geld abholen konnte (Diana lag schon weinend und halbnackt in ihrem Zimmer), griff die Polizei zu und verhaftete die Beteiligten und durchsuchten das Haus nach weiteren Beweisstücken.
 

Juri und Kimba standen in der Nähe, kurz vor dem Gartenzaun, als Dianas Eltern in Handschellen in einen der Polizeiwagen geführt wurden.

"Ihr habt gute Arbeit geleistet," lobte der Polizist die beiden, "ihr habt der kleinen ein langes und übles Schicksal erspart. Selbst wenn sie auch so schon übel genug dran ist: Erst der Mißbrauch durch die eigenen Eltern und nun noch ein Heimaufenthalt..."

Juri und Kimba horchten auf.

"Ein Heimaufenthalt? Mißbrauch durch die eigenen Eltern?" fragte Juri ungläubig. "Ich dachte, das wären bloß ihre Pflegeeltern - so hat sie mir das jedenfalls mal gesagt."

"Das kann gut sein," meinte der Polizist, "früher waren ihre Eltern sicherlich anders, aber sie gerieten in große wirtschaftliche Schwierigkeiten und da wurden aus ehemals liebevollen Eltern erbarmungslose Ausbeuter. Damit waren die Eltern, die sie kannte, nicht mehr da und sie hat sich eingeredet, dass dies nicht ihre echten Eltern wären, da die soetwas niemal getan hätten."

"Das muß schlimm sein, so seine Eltern zu verlieren," meinte Kimba.

"Aber warum wurden ihre Eltern so? Meine Familie hatte auch mal finanzielle Schwierigkeiten und ich kenne auch viele andere, denen es nicht gut geht. Trotzdem tun die ihren Kindern soetwas nicht an," bemerkte Juri.

"Jeder Mensch ist anders," antwortete der Polizist.

"Ja und erst unter extremen Bedingungen zeigen Menschen ihr wahres Gesicht. - Vor allem, je weniger sie eine Bestrafung fürchten müssen." fügte Kimba hinzu. "Das hat mal der Subco gesagt."

"Und warum haben die Nachbarn nichts dagegen unternommen?"

"Ich glaube aus Angst, weil einer der Leute, die sich an ihr vergangen haben, der Eigentümer der großen neuen Chemiefabrik am Stadtrand ist. Und die Leute hatten Angst, ihren Job zu verlieren," erklärte der Polizist.

"Das ist leider nicht der einzige Grund," meinte ein junger Mann, der plötzlich neben Kimba und Juri stand. Kimba erkannte den Subco, obwohl er diesmal normale Kleidung trug. "Hört mal, was euch die Nachbarn sagen, die da gerade ankommen und eigentlich nichts mit der Sache zu tun hatten."

Tatsächlich kamen gerade zwei der Nachbarn, die Kimba und Juri schon früher vergeblich um eine Aussage gebeten hatten geradewegs auf sie zu.

"Sehr gut gemacht!" fauchte eine Frau mittleren Alters die beiden an. "Dies war einmal eine hochgeachtete Gegend, in der nur ehrenwerte Leute wohnten. Und nun habt ihr Schande über uns alle gebracht. Mußtet ihr euch da einmischen?"

Kimba und Juri stand der Mund offen.

"Außerdem hätte sich die Kleine ja nicht so aufreizend anziehen müssen," meinte der andere Mann, der mit der Frau zu ihnen gekommen war," immer im kurzen Rock herumgelaufen - und dann manchmal auch noch in einem fast bauchfreien T-Shirt. Dadurch sind die anderen ja erst aufmerksam geworden, das könnt ihr mir aber glauben."

"Da ist sie," sagte die Frau und zeigte auf die still weinende Diana, die von einem Polizisten aus dem Haus begleitet wurde. "Die hat Schande über uns alle gebracht."

Kimba und Juri waren inzwischen knallrot geworden.

"So eine Unverschämtheit!" brüllte Juri die beiden an. "Was seid ihr nur für Riesenarschlöcher?"

"Keine Beleidigungen bitte!" empörte sich die Frau. "Das werden wir nicht dulden. Vor allem nicht, nachdem ihr die ganze Gegend in Verruf gebracht habt. So etwas kann ganz schnell zur Anzeige führen. Du bist doch schon teilweise strafmündig mit deinen 14? - Aha, da würde ich also ganz schön aufpassen, Junge."

"Außerdem haben wir das Recht auf freie Meinungsäußerung!" bekräftigte der Mann.

Kimbas Krallen fuhren bis tief in den Boden. Er wollte gerade abspringen, doch die überraschend starke Hand des Subco hielt ihn zurück.

"Laß sie," meinte dieser. "Das hilft niemanden und bringt dir nur eine Menge Ärger ein. Es gibt andere und bessere Alternativen - vertrau mir, ich weiß, wovon ich rede. Laßt uns gehen."

"Und Diana?" frage Juri besorgt.

"Die wird jetzt erstmal ein paar Stunden für sich alleine brauchen. Bis dahin seid ihr beide dann wieder voll aufnahmefähig."

Als die Gruppe an den Häusern vorbei ging, bemerkten sie die verärgerten Blicke etlicher Nachbarn. Gardinen wurden schnell zugezogen und Haustüren halblaut geschlossen. Ab und an war etwas wie 'so eine Schande' und 'die Stecken doch mit dem Mädchen unter einer Decke' zu hören. Kimba und Juri mußten ihren Zorn herunterschlucken und konnten sich nur mit Mühe beherrschen. An dem Subco schien das alles jedoch wirkungslos vorbei zu streichen.

"Warum?" fragte Kimba schließlich. "Warum tun die das? Sind die wirklich so blöde, dass sie die Realität nicht erkennen? Oder sind die wirklich alle so schlecht, dass sie kein Mitgefühl für Diana haben?"

"Es ist eine Mischung aus schlechtem Gewissen, dass sie nichts dagegen getan haben, und der daraus resultierenden Wut auf sich selber aber auch die Angst vor den Tätern und vor allem vor der übrigen Gesellschaft."

"Vor der übrigen Gesellschaft?"

"Es ist teilweise in den Traditionen der hier ansässigen Völkern verwurzelt, dass Frauen allgemein sehr wenige Rechte haben. Und wenn es Probleme zwischenmenschlicher Art gibt, wird die Schuld zuerst bei den Frauen gesucht. Und wenn jetzt einer der Nachbarn von Diana angefangen hätte, etwas dagegen zu unternehmen, hätte er mit Druck rechnen müssen - zumindest hat das jeder hier gedacht. Die Leute wollen keine Schwierigkeiten und gehen daher den einfachen, leichten und falschen Weg."

"Dagegen muß etwas getan werden!" beschloß Kimba.

"Nun, die Leute müssen umerzogen werden. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem der Welt nach dem Großen Krieg: Die Leute haben kaum noch Vorbilder und Ideale. Wenn du zu ihnen gehst und ihnen sagst, dass sie sich ändern sollen, wird es nichts bringen: Sie werden nicht auf dich hören. - Vielleicht noch eher auf dich, als auf Juri. Aber insgesamt bist du für sie eben kein besonderes Wesen, niemand, zu dem man aufschaut und versucht, ihm nach zu eifern. Wenn sich Vorbilder finden würden - also du beispielsweise zu einem Volkshelden werden würdest - dann hättest du gute Chancen, die Leute davon zu überzeugen und zu motivieren, ihre Verhalten zu ändern. In diesem Fall eben, Zivilcourage zu zeigen und für die Gerechtigkeit auch Schwierigkeiten in kauf zu nehmen."

Kimba schaute bis auf den Horizont. In diesem Moment hatte er sich fest vorgenommen, die durch Kriege verrohte Gesellschaft wieder auf den richtigen Pfad zu bringen.
 

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Nächster Teil: Kimba 29 - "Freunde des Geistes"



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