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A little blood red Story

Und alles begann mit nur einem einzigen Stein
von

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Prolog

Es war eine staubige Nacht mit einer Schwärze gleich der von Asphalt hartem Samt, die sich über die gesamte Stadt legte, um ihre Nachtgänger in ihren süßen Schutz aufzunehmen. Licht suchte man hier vergebens und eine drückende Ruhe lag über dem Gelände, als sich der Nebel darauf nieder senkte wie eine schwere Decke. Bis zu den Knien würde er den Meisten wohl reichen. Und doch lag trotz der harten Stille eine süße Melodie in der Luft, zusammengesetzt aus dem schrillen Zirpen der Grillen und ein paar nächtlichen Jagdvögeln, die ihren schaurigen Schrei in die Dunkelheit entließen. Eigentlich gehörte das Gelände zum Kloster, doch schon längst war hier niemand mehr anzutreffen. Genau genommen, seit die Stadt es vor 30 Jahren aufgekauft hatte. Sie hatte es nicht für nötig befunden, es zu pflegen und hatte es lieber verkommen lassen in der Hoffnung, eines Tages einen waghalsigen Käufer dafür zu finden, der mit einer visionären Utopie versuchte, etwas Neues daraus zu schaffen. Ein modriger, eiskalter Bach floss reißend als Abgrenzung des Geländes vorbei, gesäumt von wucherndem Gestrüpp und fand sein Ende letztlich in einem von Algen grünen Teich, dessen Fauna schon längst mit dem Bauch nach oben schwamm. Der ehemals so reizvolle Glanz des Gemäuers hatte sich verabschiedet, die Steintreppen bröckelten, waren zu großen Teilen gar nicht mehr begehbar. Büsche und Bäume wucherten wild umher, zeichneten blattlos schaurige Gestalten, die es nicht gab im fahlen Gegenlicht des Mondes und wer nicht auf seinen Weg achtete, lief Gefahr über die verfallenen Grabsteine oder kärgliche Überreste längst vergessener Einzäunungen von fauligen Kräutergärten aus morschem Holz zu stolpern. Der Einsturz der Abtei war längst überfällig und nur vereinzelt wagten sich mutige Teenager noch zu fortgeschrittener Stunde hierher, um gemeinsam abzuhängen, der Illegalität des Tabak- und Alkoholkonsums in Frieden nachgehen oder einfach nur wahllos Unsinn machen zu können. Der Glockenturm war das einzige Konstrukt, welches man immer noch mit der nötigen Vorsicht besteigen konnte, denn vor etlichen Jahren schon, hatten Vandalen sich erfolgreich an den Holzbrettern, welche die Türe vernageln sollten versucht und sie zu größten Teilen abgerissen. Alles war perfekt, um die Wesen der Nacht aufzusuchen, auf sie zu warten.

Kapitel 1

Die hellgrauen Turnschuhe hämmerten in einem sanften Takt immer wieder auf den harten Boden, bedacht darauf, möglichst wenig von der ihn umgebenden Flora und Kleinfauna zu zertreten. Dank der natürlichen Geräuschkulisse blieb genügend Platz, jene seltsame Art der Entspannung, die sich bei seinen regelmäßigen, nächtlichen Joggingtouren in seinem Kopf breit machte zu genießen und die immer wirbelnden, wirren Gedanken schweifen zu lassen.

Ken Rose war, sah man von seiner etwas seltsamen Art mit der er sich zu Übernatürlichen Phänomenen hingezogen fühlte einmal ab, eigentlich ein völlig normaler Teenager. Fast zwei Jahre war es jetzt her, dass er sein Elternhaus verlassen hatte, um hier in Boston Okkultismus zu studieren und sein Hobby irgendwann zum Beruf machen zu können. Er mochte den besonderen Reiz jener seltsamen Dinge, die es seit jeher gab, für die man eine offenbare Erklärung gefunden hatte und trotzdem war niemand in der Lage, ihnen den geheimen Flair ein für allemal zu nehmen. Diese seltsame Eigenmacht der puren Erwähnung, die den Fluss der Gesellschaft so eigenartig zu manipulieren wussten und so den Anschein erweckten, vielleicht doch zu existieren. Was würde passieren, wenn man in den Karpaten nach einem Vampir fragte? Was, wenn man in den skandinavischen Raum reiste im Versuch, ein paar Waghalsige an zu heuern, die sich auf die Suche nach einem Wasco begeben sollten? Sicher würde niemand einfach so darauf eingehen, denn schon die bloße Erwähnung dieser Dinge würde genügen, um Angst in den Herzen der Beteiligten hervor zu rufen, und eben jener unbewusste Kontrollverlust war es, der Kens Leidenschaft so reizte. Auch schaurige Orte zu besuchen gehörte zu seinem Hobby und fast hatte es ihn erschreckt, als er feststellen musste, dass er in all der langen Zeit nicht einmal nachts das alte Klostergelände besucht hatte.

Natürlich hätte er jetzt auch zu Hause sitzen können und seine unzähligen Bücher zum Thema Übernatürlicher Phänomene wälzen können, denn immerhin hatte er sich nicht umsonst für seinen Studienzweig entschieden. Aber welchen großen Reiz konnte das noch auf jemanden ausüben, der schon fast alles darüber gelesen hatte? Kein Gamer würde jemals auf die Idee kommen, sich an den Computer zu setzen und das gleiche Spiel zum fünften Mal durch zu spielen, wenn er bereits jegliche Kombination, der darin vorkommenden Dialoge mitsprechen konnte. Nein, Ken Rose hatte keinen Bedarf, noch weiter nur der Theorie nach zu hängen und sich prickelnde Geschichten aus zu malen, anstatt einfach vor die Türe zu gehen und zu handeln. Er war viel lieber los gezogen, um sein Schicksal heraus zu fordern und die direkte Konfrontation mit einem dieser rätselhaften Ereignisse zu suchen. Er hatte fast zwei Stunden gebraucht, um endlich alles gepackt zu haben, denn wenn man Gefahr läuft, vielleicht vor Etwas flüchten zu müssen, dann sollte es wenigstens schon die richtige Kleidung sein. Also hatte er sich für einen schlichten, dunkelblauen Trainingsanzug entschieden und die dunkelblauen Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengefasst. Seine schwarze Tasche, die er schon aus purer Gewohnheit immer mit sich führte hatte er auf den Rücken geschwungen, eine jener Taschen, wie sie üblich für Schüler und Studenten waren, weil sie genügend Platz für Stifte, Papier und etliche andere Dinge boten. 'Spinner Rose' wurde er hier genannt, ein unschöner Name, den die kleinen Jugendbanden ihm gegeben hatten. Er war schon des Öfteren am späten Nachmittag hier gewesen, hatte sie rauchen und trinken sehen, aber so wenig, wie sie sich für seine Belange interessierten, konnte er sich für die ihren erwärmen und hatte sich schlichtweg kommentarlos damit abgefunden, dass sie ihn für einen Irren hielten, der ohnehin nur einer sinnlosen Ideologie nach rannte. Er blieb stehen, als der dunkle Umriss des Glockenturms sich schauderhaft in sein Blickfeld drängte und sich gegen den spärlich bewölkten Nachthimmel wie ein höllisches Mahnmal des Verfalls abzeichnete. So genau hatte er ihn sich bisher noch nicht angesehen, es waren vielmehr die alten Grabsteine gewesen, die ihn fasziniert hatten. Er hatte sie abgepaust und zu Hause säuberlich in einem Ordner einsortiert, um den Überblick behalten zu können. Er schüttelte kurz den Kopf, um den Drang, um zu kehren, zu bekämpfen und verfiel wieder in zügigen Schritt.
 

Leise raschelte das Gras unter seinen schweren Stiefeln, ächtze unter dem sicheren Tritt. Er hatte sich schon im Vorfeld umgesehen, um sicher zu gehen, dass niemand hier war. Es gab nur diese eine Chance, Fehler ausgeschlossen. Sein Weg war klar und erst im Schutz des Turmschattens machte er halt. Das fahle Mondlicht sorgte dafür, dass sich selbst hier seine Statur als schwarzer Umriss abzeichnete. Der Koffer wurde abgestellt, noch einmal ein Blick in die finstere Umgebung geworfen und scharrend die wenigen, morschen Bretter beiseite geschoben, welche den Eingang noch versperrten. Er hätte umdrehen können, alles hinter sich lassen, letzte Zweifel, die von ihm abfielen, als er den ersten Schritt auf den kalten Stein gesetzt hatte. Umsichtig und doch zügig führten seine Beine ihn hinauf und das Alter machte sich stechend in seinen Muskeln bemerkbar, ließen ihn auf halbem Wege inne halten und entlockten ihm einen Blick auf die Uhr. Keine Zeit mehr, sich zu aus zu ruhen. Das Fenster war perfekt, bot den nötigen, freien Blick und gleichzeitig den Schutz, selbst gesehen zu werden. Eine Eule wurde durch das Klicken der Kofferschnallen aufgescheucht, stob in die dunkle Nacht hinaus, als wäre sie gewarnt worden. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er hier war. Ein weiteres Klicken, als das Scharfschützengewehr einrastete. Er wäre kein schweres Ziel, lediglich ein kleiner Fisch. Ein leises Scharren, als der Lauf auf dem harten, unebenen Stein zu liegen kam. Mindestens die Hälfte dieses Aufwandes würde sich hinterher nicht einmal ansatzweise gelohnt haben. Noch einmal ein Blick auf die Uhr, ein ruckender Blick, als das Gras zu rascheln begann. Weidmanns Heil, frommer Jäger.
 

Erneut blieb er stehen, ließ den Blick schweifen, spürte, dass etwas anders war, als er es erwartet hatte. Ken fiel es schwer, dieses Gefühl ein zu ordnen. Im Moment war es lediglich eine Mischung persönlicher Unsicherheit und angespannter Nervosität, gleich gefolgt von einem mulmigen Schauer und dem flauen Gefühl in der Magengegend,dass er nicht alleine war. Es war mitten in der Woche, sonst hätte er sich nicht sonderlich darüber gewundert. Doch so konnten es keine verirrten Teens sein, die nur die Zeit vergessen hatten. Es war etwas Anderes, Finsteres und auch wenn sich eigentlich Freude in ihm hätte breit machen müssen, war er sich nun doch nicht mehr sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Gerade wollte er umdrehen, als ihn das feuchte Gras raschelnd herum fahren ließ. Er spürte deutlich, wie sein Herz für wenige Sekunden schmerzhaft aussetzte und ihm den Atem raubte. Ganz in der Nähe schälten zwei dunkle Gestalten sich aus dem Dickicht, beide schwarz gekleidet, nicht unbedingt groß oder breit in der Statur. Eine von ihnen trug eine dunkle Tasche mit vermutlich schwerem Inhalt bei sich. Anfangs hatte Ken es für einen Koffer gehalten, doch kaum hatte er sich, nun doch wieder neugierig, ins nahe Gebüsch geduckt, um dort Schutz zu finden, und sich etwas näher heran zu schleichen, musste er doch feststellen, dass es dafür zu unförmig war. Eine seiner Hände hatte sich bereits zu seiner eigenen Tasche vor getastet, denn letztlich konnte er vielleicht gegen Schusswaffen nichts ausrichten, aber er war immerhin nicht unbewaffnet gekommen. Er hätte nun gerne eine intensivere Wahrnehmung gehabt, schon allein, um seine Neugierde besser befriedigen zu können, vielleicht ein paar der gemurmelten Wortfetzen, die dort im Schatten des knorrigen Baumes, gewechselt wurden oder zumindest einen besseren Blick auf die verhüllten Gesichter erhaschen zu können, um etwas mehr als nur den Hauch asiatischer Abstammung in den fremden Gesichtern ausmachen zu können. Die Spannung zwang Ken dazu, die Luft an zu halten, als die Tasche gehoben wurde, eine Hand sich in die Innentasche einer Jacke schob. Doch es war etwas völlig anderes, das seine Aufmerksamkeit viel mehr erregte. Die hageren Gestalten und Ken selbst schienen nicht die einzigen zu sein, die sich auf dem Gelände auf hielten, denn ein kleiner, roter Suchpunkt zeichnete sich der Schläfe desjenigen ab, welcher die Tasche mit sich führte. Der junge Student war sich nicht sicher, ob er etwas sagen sollte, denn der Andere schien offenbar nichts zu bemerken. Ein Umstand, der seltsam genug war, bedachte man die Offensichtlichkeit des Lichtzeichens. Fast hätte er etwas gesagt, kurzzeitig hin und her gerissen zwischen dem Risiko, sich ein zu mischen oder einfach zu flüchten, doch ein hilfsbereiter Mensch riskiert viel und letztlich war es zwar nicht ganz der Nervenkitzel, den er gesucht hatte, aber zumindest war es einer. Sein Blick wanderte suchend über das gegenüberliegende Gemäuer, um die Quelle der Gefahr ausfindig zu machen, relativ sicher, dass sie sich irgendwo direkt dort befinden musste, denn das Phänomen um die Ecke zu schießen, da war er sich sicher, gab es wohl tatsächlich nur in Filmen. Missmutig musste er feststellen, dass der vermeintliche Schütze sich einen äußerst guten Standpunkt gesucht, das Gelände wohl schon lange erkundet haben musste, sonst wäre er sicher auch im schalen Licht ausfindig zu machen gewesen, doch es blieb nichts weiter als die kahle Fassade der Abtei. Ein anderer Weg musste her, denn wessen auch immer Ken verdammt war Zeuge zu werden, es sollte sicher kein Mord sein. Er war sich sicher, dass die Zeit nicht blieb, in seiner Tasche zu wühlen, um eine glimpfliche Lösung zu finden und auch, wenn ihm durchaus bewusst war, dass es eine Dummheit war, so griff er doch nach einem der Steine zu seinen Füßen, um ihn zu werfen. Insgeheim hegte er die stramme Hoffnung, dass keiner der drei anderen Anwesenden auf seine Deckung schließen könnte und tatsächlich schien er Recht zu behalten, weniger allerdings aus Glück heraus, als ob der Tatsache, dass auch die beiden Tauschhändler das dritte, nicht passende Glied in der Kette bemerkt zu haben scheinen. Sie hatten ihre Waffen gezogen, sich ruckartig vage in Richtung der roten Lichtquelle gedreht, den Handel abrupt abgebrochen. Letztlich war es aber doch wohl der Stein, welcher dem unbekannten Schützen zum Sieg verhilft, denn das Rascheln aus einer völlig anderen Richtung hatte die beiden schwarzen Gestalten erneut herum fahren lassen, verunsichert woher nun die größere Gefahr rührte. Es lag keine Minute zwischen dem Fallen des Steins und dem zu Boden Gehen desjenigen, welcher die Tasche mit sich geführt hatte. Ken konnte den spitzen Aufschrei nicht mehr unterdrücken, klatschte sich, über die eigene Unvorsicht erschrocken die Hände hastig auf den Mund und zog sich noch weiter ins Dunkel zurück, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, denn letztlich hatte es genügt, um deutlich ausmachbar zu sein. Der noch lebende Tauschpartner hatte es aus Eigenschutz heraus vor gezogen, Deckung hinter den knorrigen Überresten des nahen Baumes zu suchen und im Moment schien es zu genügen, auch wenn es unschwer war, zu übersehen, dass er die Gegend vorerst lieber nach der Quelle des Aufschreis als der des Schusses abzusuchen, schrieb er den Tod seines Kollegen doch im Moment dem Urheber des Selbigen zu als jemand anderen dafür in Betracht zu ziehen. Kaum war die anfängliche Unsicherheit gewichen, zeichnete deutliche Wut sich in den gelben, katzenhaften Augen ab, als die Waffe in Kens Richtung gehoben und mit einem leisen Klicken durchgeladen wurde. Hastig stopfte der Student sich die Tasche in die Jacke, in der Hoffnung, dass das Klimpern ungehört bleiben würde, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch die wieder eingekehrte Stille drückte ihm schmerzhaft im Kopf, jeder seiner flachen, schnellen Atemzüge brannte ihm wie Feuer in der Brust und sein hüpfendes Herz drohte fast seine Kehle zu verschließen und ihn zu ersticken. Er war unachtsam geworden, hatte nicht bemerkt, dass das Augenmerk bereits auf ihm lag und der tiefe Wunsch, von hier zu verschwinden trieb ihn panisch dazu an, auf allen Vieren weg zu kriechen, weg von diesen Fremden, weg von diesem Gelände, weg von dem Mord. Er wollte vergessen, verdrängen. Er hatte einen Mord gesehen, man würde ihn finden, ihn töten. Und alles nur, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war und den Helden spielen wollte. Er erinnerte sich daran, eine ähnliche Geschichte gelesen zu haben über eine Geisterscheinung, die seither immer noch im Gemäuer eines alten Kinos spuken sollte. Ein absurder Gedanke, der ihn unweigerlich schaudern ließ und der krachende Schuss, welcher knapp hinter ihm in den weichen Boden zog entlockte ihm wieder einen lauten Aufschrei, weit weniger unterdrückt als der erste. Er stockte, im ersten Moment war er sich nicht sicher, ob er noch lebte oder einfach nur schmerzlos gestorben war, doch das zusammen sackende Geräusch hinter ihm, zwang ihn dazu, die Finger in die Erde zu graben und sich langsam zurück auf seine Fersen zu setzen. Immer noch jagte sein Herz und das Atmen viel ihm zunehmend schwerer. Das einzige, das ihn derzeit etwas beruhigte, war die kühle Feuchte des Untergrundes. Ein kleines Insekt krabbelte über seinen Handrücken, ließ ihn mit einem erschrockenen Keuchen die Finger schüttelnd wieder aus der Erde ziehen und die Tasche fester an sich drücken, als er es endlich wagte, den Kopf langsam zu drehen, unsicher, was er dort sehen würde. Ruhelos ruckte sein Blick hin und her, immer wieder, als befürchte er, es könne noch jemand auftauchen, ehe er wieder ein Stück zurück kroch, vorsichtig prüfte, ob auch der zweite der beiden schwarzen Männer tatsächlich tot war und er wunderte sich selbst, dass der Anblick ihm kein verkrampftes Würgen verursachte. Tatsächlich, er schien wirklich allein zu sein und im Moment genügte es ihm, die unsichere, schemenhafte Bewegung im Glockenturmfenster zu ignorieren. Alles war besser, als sich noch mehr Ärger und Gefahr ein zu gestehen. Er musste nach Hause, bestimmt war er kreidebleich wie eine Leiche und würde morgen zur Universität gehen, so dass sich nicht vermeiden ließe, dass jemand erkannte, das etwas nicht stimmte. Der geistige Anblick seines eigenen Spiegelbildes jagte ihm einen Schauder über den Rücken als er sich erhob, ein paar Schritte zurücktaumelte und feststellen musste, dass sein Stehvermögen gerade nicht das beste war, als er mit einem leisen Quietschen neuerlich rückwärts zu Boden fiel, nur um neuerlich auf zu stehen und es noch einmal zu versuchen, den Blick weiterhin unsicher zu beiden Seiten wendend und im festen Glauben, dass der richtige Weg nach Hause sich schon von selbst finden würde. Noch einmal kam er etwas ins Stolpern und die Tasche rutschte ihm klimpernd aus der Jacke, die Hände zu langsam, um nachgreifen und sie auffangen zu können, doch gerade als er sich hinunter beugen und sie aufheben wollte, erstarrte er auch schon in der Bewegung. Fast hatte er sich schon einreden wollen, das leise Rauschen hinter ihm wäre nur Einbildung gewesen, doch er war rücklings gegen einen festen, großen Widerstand gestoßen, etwas von dem er sich sicher war, dass es vorher noch nicht dort gewesen und auch sicher nicht aufgestellt worden war. Es war breit und fühlte sich weich an, wie etwas Lebendiges mit dem man besser nicht scherzte und der kühle Atem, der über seinen Scheitel von oben herab hinweg strich rang ihm ein ersticktes Keuchen ab. Ken spürte, wie seine Hände langsam klamm wurden, das Herz noch einen ungesunden Sprung machte und das Schlucken wurde ihm zu einem schweren, zähen Unterfangen, als hätte er zu viel Schokolade gegessen und keinen Schluck Wasser, um die Kehle frei zu bekommen. Kein Stück gab der Widerstand nach, wurde nur unmerklich kleiner, als er sich leicht seitlich an Ken etwas vorbei beugte, um die Tasche wieder auf zu heben. Ein starker Arm legte sich über Kens Schulter nach vorne, presste ihm die Tasche gegen die Brust und fast wäre sie ihm dank der schwitzigen Hände wieder entglitten, so dass er noch einmal danach greifen musste. Bis auf die völlig schmucklose, leicht vernarbte Hand war der Arm von einem seltsamen dunkelblauen Wintermantel bedeckt, dessen Ärmelsaum von einem schwarzen Pelz bedeckt war, den man entfernt mit Schafwolle vergleichen konnte.

„Geh nach Hause, Junge.“ Die Stimme wirkte zu Kens Überraschung nicht ansatzweise so rau, wie man sie wohl erwartet hätte, im Gegenteil, wäre es eine andere, freundlichere Situation gewesen, hätte man sie sogar als melodisch empfunden. Es war eine jener Stimmen, bei deren Klang man instinktiv wusste, so schön sie auch sein mochte, sie war nicht oft zu hören. Ken konnte lediglich nicken, verspürte keinen Drang, sich umzudrehen, denn zumeist mochten solche Leute es nicht, wenn man sie ansah, bevor man die Flucht ergriff. Er entschloss sich lieber, ein paar zögerliche Schritte nach vorne zu treten, ehe ihn neuerlich Panik erfasste und er mit schnellen Schritten los lief, die Tasche an sich pressend, um endlich das alles hinter sich zu lassen.
 

Ein ärgerliches Unterfangen. Aber wie hätte er es unterbinden sollen? Letztlich war es zwar der Umsturz seines Auftrages, der ihn auf einen weiteren Mord ohne Entlohnung blicken ließ aber es störte ihn nicht. Es gab andere, die seiner stillen Hilfe bedürften, ihn zum Beispiel. Der Fremde war sich sicher, er würde es merken, nein, eigentlich sorgte er besser selbst dafür, dass es ihm nicht entgehen würde. Das erlittene Trauma würde ihn sicher zu sehr beuteln, um wache Augen auf seine Umwelt zu haben. „Ken Rose.“, murmelte die hoch aufragende Gestalt leise und schüttelte leicht den Kopf, dass die langen, braunen Haare ihm ins kantige Gesicht fielen. Die Finger schlossen sich fester um seinen Koffer, der Blick wanderte hinüber zu den beiden Leichen im feuchten Gras, als ein stummes Seufzen sich über die weichen Lippen quälte. Er würde sich darum kümmern müssen, warum also dem Jungen nicht noch etwas Zeit lassen und es jetzt tun? Den festen Entschluss gefasst, stellte er den Koffer sicher ab und machte sich an die Arbeit, so lange ihm die Dunkelheit noch Schutz bot.
 

Noch immer saß Ken die Angst im Nacken, so tief, dass es bis hinunter in die zittrigen Beine zogen, die ihn hastig die letzten Stufen zu seiner Wohnung hinauf zu trugen. Eilig riss er die Türe auf, knallte sie wieder zu ungeachtet der Tatsache, dass es die Nachbarn aus dem Schlaf reißen könnte, und warf seine Tasche achtlos auf die Kommode im Flur. Im Moment scherte er sich wenig darum, wer dieser seltsame Fremde oder die anderen beiden gewesen waren. Es war ihm viel wichtiger, wieder Sicherheit zu finden, ein wenig Ruhe einkehren zu lassen und nicht einmal seine kleine, schwarze Katze mit den weißen Söckchen konnte ihm den tiefen Drang austreiben, alles fest zu verschließen. Türen, Fenster, jedes Schloß wurde geschlossen, zweimal kontrolliert und beinahe hätte er sogar die Badezimmertür verschlossen, ließ es dann allerdings doch bleiben. Zwanzig Minuten dauerte es, bis er sich sicher sein konnte, alles ausreichend gesichert zu haben und sich erschöpft und verschwitzt aufs Sofa fallen zu lassen. Er würde schlafen, doch er hatte keinen Zweifel, dass er es nicht konnte, so müde er sich auch fühlen mochte, wollte nicht noch einmal all das in seinen Träumen erleben müssen und wenn nötig, würde er sich nie wieder hinlegen. Der Schreck hatte sich ihm bis ins Knochenmark gebohrt, der Anblick des Toten noch viel tiefer in sein Bewusstsein, es wäre keinesfalls möglich, jetzt in Ruhe ein Auge zu zu tun. Er überlegte, ob er jemanden anrufen sollte, Frank vielleicht, seinen launischen Freund, oder seinen Professor und nahezu besten Freund. Aber was hätte er ihnen erzählen sollen? Dass er Zeuge eines Doppelmordes geworden war, wahrscheinlich selbst noch daran indirekt mitgewirkt hatte? Dass der Mörder, denn da war er sich sicher, ihm gesagt hatte, er solle nach Hause gehen? Der Gedanke ließ ihn unweigerlich schaudern. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, gleich nach Hause zu gehen. Man hätte ihm sicher leicht folgen können und wieder sah er sich gehetzt um, hätte beinahe wieder auf geschrien, als die Katze neben ihm aufs Sofa sprang, um sich warm und weich in seinem Schoß zusammen zu rollen. Beruhigend kraulten seine Finger durch das samtene, glänzende Fell, der Blick mit einer inneren Unzufriedenheit auf den flimmernden Bildschirm des Fernsehgerätes, dessen Programm er nicht einmal ansatzweise etwas abgewinnen konnte, geheftet.
 

Das schrille Kreischen seines Weckers ließ Ken mit einem erstickten Keuchen hoch schrecken, die Stirn in Schweiß gebadet und der Blick unwirsch die Umgebung absuchend, ohne zu wissen, was er zu entdecken versuchte. Hatte er nicht beschlossen, nicht schlafen zu können? Es erstaunte Ken, dass das Fernsehprogramm tatsächlich langweilig genug gewesen war, ihn trotz des Geschehens am Vorabend ein zu schläfern. Der Anblick der Katze zwischen seinen Beinen ließ ihn erleichtert aufatmen, vielleicht war es doch nur ein Traum gewesen, das musste er unbedingt herausfinden. Er hob vorsichtig die Beine an, um das Tier nicht zu wecken und setzte sie leise auf den Boden, als ihm wieder einfiel, wie er die Finger in den Dreck gegraben hatte. Sicher würden dort Spuren zu finden sein und der Anblick seiner immer noch dreckigen Fingernägel ließ ihn kurz wieder zwischen Entsetzen und Begeisterung schwanken, ehe er sich für letzteres entschloss und mit einem missmutigen Stöhnen aufstand, nur um fest zu stellen, dass nahezu jeder Muskel sich offenbar entschlossen hatte, ihn für seine gestrigen Dummheiten zu martern. Beinahe wäre er sofort wieder zurück in die Polster gesunken, hätte er nicht im letzten Moment stützenden Halt an der Sofalehne gefunden. Erstaunlich genügsam sah er noch einmal zurück auf seinen pelzigen Mitbewohner und schlurfte hinüber ins Schlafzimmer, um den Wecker ab zu stellen, ehe er sich ins Bad schleppte und einen Blick in den Spiegel warf. Zutiefst erschrocken musste er erkennen, dass der gestrige Abend auch äußerlich starke Spuren an ihm hinterlassen hatte. Er musste sich dringend etwas einfallen lassen, damit es nicht zu sehr auffallen würde. Niemand sollte nachfragen und ihm alles nur noch weiter im Gedächtnis halten, aber vermutlich würde es reichen, wenn er leichte Übelkeit vortäuschte und erzählte, er hätte schlecht geschlafen, weil die privaten Bauarbeiten nebenan sich bis spät in die Nacht hinein gezogen hätten.

Als er fertig war, fühlte er sich schon weit frischer, kontrollierte noch einmal alle Fenster, fütterte die Katze und stockte, als er seine Tasche zur Hand nahm. Er hätte sie kontrollieren müssen. Wenn er irgend etwas bei der Abtei verloren hätte, würden sie ihn sicher ausfindig machen, doch die Zeit war ihm schon zu sehr davon gelaufen. Er versprach sich, nach den Lesungen daran zu denken, denn er konnte nicht mehr länger warten, musste los und nachdem er sich überwunden hatte, die ersten Schritte vor die eigene Türe zu tun, beeilte er sich, noch rechtzeitig zu kommen.

Tatsächlich hätte man denken können, alles wäre so wie immer, dass nichts gewesen wäre, ein ganz normaler Tag und doch lief alles in Kens Augen wie ein vager Film vor seinen Augen ab. Es gab Gott sei Dank nicht viele, die sich nach seinem Befinden erkundigten, lediglich sein Professor legte ihm nahe, doch nach Hause zu gehen, doch er lehnte ab unter dem Vorwand, die Lesung wollte er auf gar keinen Fall verpassen. Ein Akt der Gewohnheit, kannten sie sich doch schon lange genug und diese einfache Ausrede lag Kens üblichem Enthusiasmus tatsächlich nicht fern. Er hatte oft darauf bestanden zu bleiben, obwohl es ihm nicht gut gegangen war. Doch als sein Alltag sich dem Ende zuneigte, kamen wieder Zweifel in ihm hoch. Der Student hatte Andere reden hören. Ein Bericht wäre in der Zeitung aufgetaucht, man hätte zwei Mittler verschiedener, ortsansässiger Clans der Yakuza getötet und sie als Postpaket verpackt den Oberhäuptern mit der frühen Morgenpost als Eilsendung zukommen lassen. Ein Profi soll es gewesen sein und man hätte der Presse sogar verboten, die Namen der Clans ab zu drucken. Er durfte keinesfalls vergessen, seine Tasche zu kontrollieren und kaum hatte er die Wohnungstüre zweimal hinter sich abgeschlossen und die Kette vor gezogen, stürzte er auch schon ins Wohnzimmer, um sich aufs Sofa zu setzen und den Tascheninhalt auf das Sitzpolster zu leeren. Wild wühlten die unruhigen Hände das Chaos auseinander, nur um fest zu stellen, dass alles noch vorhanden war. Erst als er seine Geldbörse durchsuchte, durchzog ihn ein stechender Schmerz, der ihm die Übelkeit wieder in die Glieder trieb und ihm die Blässe ins Gesicht jagte. Hinter dem klaren Sichtfenster, dort, wo sein Personalausweis sein sollte, war nichts.

„Scheiße.“, murmelte er leise.

Kapitel 2

Fahrig fuhr die Hand über seine feuchte Stirn, als es an der Haustüre klingelte, erst einmal, kurz darauf dreimal kurz hintereinander. Der junge Student fuhr erschrocken zusammen und fühlte schmerzhaft, wie leicht ein so einfaches Geräusch in der Lage war, jemanden die Kehle zu zu schnüren. Er hatte niemanden eingeladen, konnte lediglich vage Spekulationen darüber anstellen, wer draußen auf ihn wartete, um ihn zu holen. War es die Polizei, die ihn des zweifachen Mordes verdächtigte, ihn vielleicht sogar schon ob der zurück gelassenen ID als einzige Spuren am Tatort als Mörder fest gemacht hatte? Oder waren es doch die Häscher der beiden gescheuten Yakuza, die nur darauf warteten, einen angemessenen Blutzoll für den erlittenen Verlust in die Finger zu bekommen? Mit flinken Fingern wurde der ausgeleerte Inhalt zurück in die Tasche gestopft, ehe selbige Schutz unter dem nächsten Sofakissen fand. Lediglich das Messer steckte Ken in die Gesäßtasche seiner Jeans, wollte er doch im Fall der Fälle nicht vollständig wehrlos seinen Henkern gegenüber treten. Erst dann erhob er sich, schwankte kurz unsicher, ehe er zur Tür ging und verfluchte einmal mehr den Umstand des fehlenden Türspions und um einen möglichst normalen Eindruck bemüht öffnete er die Türe, immer noch weiß wie eine Kalksteinwand, das zittrige 'Ja' für sein folgliches Gegenüber schon auf den Lippen, insgeheim darauf hoffend, dass es doch nur ein dummer Jungenstreich gewesen sein mag. Umso erstaunter war er im ersten Moment, als er tatsächlich in den scheinbar leeren Flur hinaus späht, doch schon im nächsten Moment durchzog ihn wieder ein Stechen, als hätte der Blitz eingeschlagen, würde verzweifelt nach einer Erdung suchen und zu seinen Füßen letztlich wieder hinaustreten. Da war es wieder, dieses seltsame Gefühl. Er spürte wieder dieses Atmen, die selbe Stelle an seinem Scheitel, die selbe Entfernung und Kühle, wie der Fremde es tief in seinem Herzen in jener Nacht hinterlassen hatte, alles schien ganz genauso zu sein wie am gestrigen Abend. Der scharfe Schmerz kroch ihm in alle Glieder, rief die Erinnerungen wieder wach, jede einzelne, wieder summte leise diese Stimme durch seinen Kopf, die selben Worte und fast schien es Ken, als würde er noch einmal in dieser Szene stehen. Nur einen Herzschlag lang, wie ein kurzes Donnern, das die ganze Erde beben ließ, dann war es wieder verschwunden. Er fühlte, wie es ihn fröstelte, fühlte, wie seine Hände erneut klamm wurden, als er sich die Hand gegen den Bauch presste, wie bereits am Abend zuvor, das rückwirkende Gefühl, seine Tasche an sich drücken zu wollen und der Anweisung noch einmal zu folgen. Er hatte das leise Klopfen gegen die Türe, im ersten Moment unfähig zu denken, beinahe überhört und nahm es erst wahr, als er die Türe wieder geschlossen hatte. Doch die Vermutung, dass es Schritte sein könnten, entlockte ihm wieder einen leisen, erschrockenen Aufschrei, vielleicht gerade laut genug, um die Nachbarn darauf aufmerksam zu machen, ehe ihm bewusst wurde, dass es keine Schritte sein konnten. Wären es welche gewesen, hätte er den Urheber eben im Flur sehen müssen, hätte ihn vermutlich sogar gerochen, nervlich gereizt wie er im Moment war. Nochmals öffnete er die Türe, erst einen Spalt breit, um sicher zu gehen, dass niemand auf ihn wartete, und erst als er den Urheber des Klopfens erblickte, fasste er neuerlichen Mut. Jemand hatte einen kleinen, blauen Plastikroboter an seine Türklinke gehangen, der leise beim hin und her schwingen gegen das Holz der Tür klackerte. Es war ein einfacher Schlüsselanhänger mit roten Augen und die Farbe war an der linken Seite etwas abgesplittert. Das vermeidliche Geschenk verwunderte ihn sehr, aber im Moment blieb ihm nichts anderes übrig, als es anzunehmen. Langsam, zögerlich griffen die zitternden, feuchten Hände danach. Kaum dass seine Finger den Anhänger berührten, verkündete dieser mit einer leisen, mechanischen Stimme ein aufmunterndes „Glaub an dich!“ und die rutschigen Finger ließen ihn fallen, so dass er zwei, drei Hüpfer auf den Dielen des Flures machte. Fast schon erleichtert stellte Ken fest, dass es tatsächlich nur der Anhänger gewesen war, der ihn angesprochen hatte und beinahe hätte er sich sogar zu einem leisen Lachen durchringen können, hob das Geschenk wieder auf, um wieder nach drinnen zu treten, die Türe zu schließen und der Abend hätte wirklich schön werden können, es hätte alles vorbei sein können.

Diese Blumen, der kleine Strauß bunter, frischer Frühlingsblumen war sicher nicht von ihm auf den Sofatisch gestellt worden, er war sich auch sicher, dass sie vorhin noch nicht dort gestanden hatten oder dass er sie in den letzten Tagen von jemandem geschickt bekommen hatte. Doch er musste nach sehen, musste wissen, von wem sie kamen, wie sie hierher gekommen waren. Wieder war ihm der Atem gestockt und erst jetzt fiel es ihm auf, so dass er eilig nach Luft schnappte. Unendlich lang erschienen ihm die eigentlich wenigen Schritte bis in sein Wohnzimmer, wo er seinen neuen, blauen Freund behutsam auf den Tisch legte, sich aufs Sofa fallen ließ und umsichtig die Karte aus dem Strauß pflückte. Zweimal musste er sie drehen, bis er sicher war, dass nur eine Seite beschriftet war. Viel stand nicht darauf geschrieben, aber die wenigen Worte genügten, um Ken noch nervöser zu machen. „Danke für deine Hilfe, Ken.“, unterschrieben hatte ein gewisser R. T. Sullivan und der Umstand, dass Ken niemanden kannte, der auch nur Sullivan hieß, ließ ihn relativ schnell darauf schließen, dass es sich bei seinem unbekannten Schenker um den fremden Schützen von gestern handeln musste, der wohl auch im Besitz seines Ausweises war, sonst hätte er kaum seinen Namen gekannt. Wieder fröstelte es Ken, als er daran dachte, wie der Strauß denn nun tatsächlich hier her gekommen war. Die Karte fand ihren Platz neben dem Strauß und den Anhänger, schlang die Arme um den Oberkörper, um die Gänsehaut mit leichtem Reiben los zu werden. Er brauchte Entspannung und zwar dringend, ein warmes Bad würde den Zweck sicher erfüllen und mit wackeligen Beinen erhob er sich wieder, um ins Badezimmer zu treten. Ein weiterer Blick in den Spiegel ließ ihn vermuten, dass sein morgiges Erscheinungsbild nicht merklich besser wäre als sein heutiges, was ihn dazu bringt, sich ab zu wenden und das Wasser in die Wanne

einlaufen zu lassen. Kens erstickter Schrei hallte im ganzen Badezimmer wieder. Er hätte schwören können, dass kein Wasser aus seiner Leitung gekommen war, sondern zähflüssiges Blut, das an die weißen Wände seiner Wanne spritzte, nicht für länger als ein einziges Blinzeln hatte der Eindruck der Wirklichkeit Stand gehalten, doch es hatte genügt, um ihn rückwärts stolpern und mit dem Kopf auf den harten Fliesenboden knallen zu lassen. Helle Blitze zuckten vor seinen Augen und sein Kopf ergab sich dem pochenden Schmerz, doch ihm blieb keine Zeit sich Gedanken darum zu machen. Irgendwo in der Wohnung bewegte sich quietschend und quälend langsam eine knarzende Türe in ihren Angeln, zwang ihn dazu, sich eilig auf die Seite zu drehen und in das Halbdunkel der geöffneten Badezimmertüre in den lichtleeren Flur zu starren, den Atem für ein paar Sekunden anhalten. Es blieb gerade genügend Zeit, ein paar erschrockene Atemzüge zu tun, ehe neuerlich ein Geräusch die Stille durchbrach. Es klang ein wenig, als würde etwas sehr leichtes über Holz schaben und Ken musste schwer schlucken, ehe er den Mut fand, auf zu stehen. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und ließ einige unbeachtete Haarsträhnen unangenehm in seinem Gesicht kleben. Innerlich hoffte er, es wäre nur der kleine Roboter gewesen, der das Laufen gelernt hatte, als er den ersten Schritt aus dem Bad heraus trat, zögerlich gefolgt von einem weiteren auf die Kommode zu, auf welcher auch das Telefon stand. Wieder war er sich unschlüssig, ob er jemanden anrufen, oder besser gleich versuchen sollte, die Wohnung zu verlassen. Die Polizei könnte er auf keinen Fall verständigen, sie hatte vermutlich schon längst seine Spur aufgenommen und suchte ihn ohnehin. In all der Aufregung hatte er sogar vergessen, das Wasser wieder ab zu drehen, doch im Moment war es ihm egal, wenn seine Wohnung geflutet werden würde. Auch das Licht im Flur hatte er nicht angestellt, um nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Wieder quietschte es irgendwo leise in der Wohnung und ein kalter Wind fegte dem Teenager aus dem Wohnzimmer entgegen, ließ die Notizen an der Pinwand über der Kommode beunruhigend flattern. Er hatte darauf gehofft, doch nun wünschte er sich, niemals auf den Gedanken, es hätte der Roboter sein können, gekommen zu sein. Ein nervöser Blick auf den entfernten Tisch ließ sein Herz erneut für einen Moment zum Stehen kommen. Das Fehlen des kleinen Plastikfreundes war nicht das einzige, das ihn beunruhigte, denn er war sich vollkommen sicher, dass er selbst das Fenster im Wohnzimmer nicht hatte sperrangel weit offen stehen lassen. Schnell versuchte er sich umzudrehen, etwas zu schnell, denn die unüberlegte Bewegung ließ ihn hart mit dem Knie gegen die Kommode stoßen und mit einem fiesen Zischen knickte er im ersten Moment ein. Sein Puls hatte zu rasen begonnen, vermittelte ihm das Gefühl, dass sein Kreislauf jede Minute wegen Überanstrengung aussetzen würde. Mit einer Hand tastete er vorsichtig rückwärts nach der Klinke der Wohnungstüre, um sie schließlich langsam nach unten den drücken, die Augen immer noch starr auf das offene Fenster und den spärrlich beleuchteten Flur zu öffnen. Ungehindert gab sie nach außen hin nach, ließ ihn nach hinten ins Treppenhaus taumeln und ein weiterer, schmerzhafter Krampf erfasste sein Herz, als er gegen einen unverhofften Widerstand prallte. Vermutlich hatte er sich niemals zuvor sehnlicher gewünscht, dass es einfach nur sein wütender Freund ist, der gekommen war, um ihn an den Haaren aus der Wohnung zu zerren und an zu schreien, warum er sich so lange nicht gemeldet hatte. Seine Kehle wurde trocken, zog sich zusammen, ließ ihm kaum die Möglichkeit, jenen undefinierbaren Laut, der sich darin formt aus sich heraus zu pressen. Beinahe wäre er an seinem eigenen Gurgeln erstickt, als sich jene vernarbte, große Hand sich von hinten schon fast umsichtig auf seinen Mund legt, um ihm die Aussage zu verwehren und seine Augen sich erschrocken weiten. Ein seltsames Gefühl ließ ihn auch dieses Mal schaudern, als die Gestalt im blauen Mantel hinter ihm mit einem leisen, beruhigenden und erstaunlich sanften „Sssssch...“ um Ruhe gebot, nur ein sanftes Hauchen dieser verqueren Stimme, die ihm ins Ohr drang und sich in seinen Kopf bohrte. Ken konnte keinen Widerstand leisten, als er langsam wieder zurück in seine Wohnung buchsiert wurde. Leicht stolpernden Schrittes folgte er der Bitte, atmete schnell und unkontrolliert und er hätte wetten können, dass man sein rasendes Herz noch hören konnte, wenn man neben ihm stand. Die drückende Stille in der Wohnung bekam schier unerträgliche Ausmaße, hätte Ken den Verstand geraubt, wäre sie nicht wenigstens vom Rauschen der Gardinen und dem immer noch leise plätschernden Wasser durchzogen gewesen. Vermutlich schloss der Fremde die Türe hinter sich mit dem Fuß, denn er konnte deutlich das langwierige Klicken hören, als sie hörbar einrastete.

„Ich werde dich jetzt los lassen und du wirst nicht schreien. Du wirst das Wasser abstellen, das Fenster schließen und mir meinen Anhänger geben. Verstanden?“

Die Worte des Fremden ließen Ken schwer schaudern, hatte er doch nicht damit gerechnet, dass der Andere noch etwas sagen würde, ehe er ihn in die ewigen Jagdgründe schicken würde, und es schien ihm äußerst bizarr, dass dieser seltsame Kerl tatsächlich nur gekommen war, um seinen Anhänger zu holen. Trotzdem zwang er sich zu einem Nicken, entschloss sich, dass es besser wäre, den Anweisungen ohne Umschweife zu folgen und kurz wurden ihm die Knie weich, so dass er ein zu knicken drohte. Er riss sich zusammen, so gut es ihm möglich war, begann wieder kontrollierter zu atmen, als sich die Hand vor seinem Mund löste und sanft über seine Schulter streift. Die Fingerspitzen der zweiten, fremden Hand legten sich im Gegenzug zwischen seine Schulterblätter, bedeutetem ihm mit etwas Druck, dass er sich in Bewegung setzen sollte und Ken stolperte etwas nach vorne, um sich an der Ecke der Kommode abzufangen. Nun fiel ihm auch das Schlucken wieder ein wenig leichter und er war sich sicher, dass auch der Herzschlag irgendwann selbstständig der einkehrenden Ruhe folgen würde, wenn nicht noch eine böse Überraschung auf ihn wartete. Für einen flüchtigen Moment hatte er die Intention, sich umzudrehen, seinem mysteriösen Verfolger ins Gesicht zu sehen, ihm wenigstens stillschweigend die ängstliche Stirn zu bieten, doch letztlich entschloss er sich, es bleiben zu lassen, fasste gerade genügend Mut, um zügig ins Badezimmer zurück zu gehen, wo er hastig die Türe schließt, ungeachtet des eventuellen Grolls seitens des Eindringlings den Schlüssel greift, um ihn so leise wie möglich im Schloss zu drehen, einmal, zweimal; es würde genügen. Mehrmals atmete er gegen die geschlossene Türe aus, sich mit einer Hand dagegen stützend aus Angst, sie könne trotz des Abschließens geöffnet werden, ehe er sich umdrehte und zur Wanne ging, um das Wasser ab zu stellen, das fast schon über zu laufen drohte. Leise Schritte führten an Kens Versteck vorbei, ließen ihn lediglich erahnen, wohin die Gestalt aus dem Glockenturm ging. Er kniete sich vor die Wanne, blickte ins Wasser hinein und schauderte. Noch immer pumpte sein Herz viel zu schnell, wollte sich nicht recht beruhigen. Der kalte Schweiß auf seiner Stirn hielt noch immer die wenigen Haarsträhnen gefangen, die er sich nun aus dem Gesicht wischte, langsam, dann etwas schneller, als könne er dadurch alles ungeschehen machen.

„Ich hoffe, sie gefallen dir, Ken.“ Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und er schnellte nach oben. Die Vase war etwas auf dem Tisch bewegt worden, also musste er im Wohnzimmer sein. Oder war er doch wieder auf den Flur zurück gekommen und Ken hatte es nur nicht mehr gehört? Ken war zu verwirrt und eingeschüchtert, blieb dem Unbekannten die Antwort schuldig und tastete zur Sicherheit noch einmal an seine Tasche nur um fest zu stellen, dass das Messer sich glücklicherweise noch immer dort befand. Die Idee, der Besucher könne tatsächlich nur aus noblen Motiven hier sein, tatsächlich nur seinen Anhänger zurück haben wollen, keimte in seinem nach wie vor schmerzenden Hinterkopf auf. Doch mit ihr, musste Ken feststellen, kam auch noch eine völlig andere Besorgnis. Er wollte den Anhänger wieder zurück haben, also würde er ihn nicht selbst an die Türe gehängt haben. Und was sich als noch viel schlimmer heraus stellte war, dass Ken den Anhänger nicht mehr hatte, ebenso wenig aber auch der fremde und das bedeutete, dass noch ein Dritter in seiner Wohnung gewesen sein musste, vermutlich durch das offene Fenster geflüchtet war. Er musste schwer schlucken und fasste endgültig einen Entschluss. Die Katze würde er später holen können, vorerst musste er weg, einfach nur hier raus. Er erhob sich, griff nach dem Schlüssel, wäre beinahe mit den feuchten Händen daran abgerutscht, ehe er ihn vorsichtig und langsam im Schloss drehte. Ein Schritt hinaus auf den Flur, ein Blick ins Wohnzimmer hinein, um die Möglichkeit ab zu schätzen, vielleicht ungesehen aus der Wohnung hinaus ins Treppenhaus zu flüchten, und der erste Blick auf den Fremden, der Ken kurzzeitig wieder den Atem raubte. Dieser Mann ragte fast bis zur Zimmerdecke auf, der dunkelblaue Mantel mit den Saumbesätzen ließ ihn wohl noch breiter wirken, als er ohnehin schon war und auch die langen, braunen Haare konnten seiner Statur keinen femininen Touch abringen. Das Gesicht zu erkennen war Ken unmöglich, der Fremde stand mit dem Rücken zu ihm, blickte aus dem Fenster hinaus, doch das bedeutete auch, dass er ihn im Gegenzug zumindest nicht sehen konnte. Das war seine Chance und mit stolpernden Schritten hechtete er zur Wohnungstüre, um sie hastig zu öffnen. Unsanft ließ ihn der Schwung an die Türe der gegenüberliegenden Wohnung prallen und es dauerte einen Moment, ehe er wieder zur Besinnung kam. Hinter sich konnte er den Fremden rufen hören, der sich bemühte, ihn auch mit Worten auf zu halten, doch er würde den Teufel tun und der Anweisung folgen. Das Glück schien sich ausnahmsweise auf seine Seite geschlagen zu haben, wenn auch wohl nur auf unbestimmte Zeit. Gerade als Ken begann, die ersten Stufen des Treppenhauses hinunter zu stolpern, versuchte der Mann mit einem Sprung über das Sofa hinweg nach zu setzen, kam dabei leicht ins Staucheln und Ken konnte hören, dass er kurz an der Wohnungstüre inne hielt, ehe er wieder die schweren Schritte hinter sich hörte, welche ihm folgten. Es war nicht mehr weit, bald hätte er es geschafft. Er konnte die Fronttüre sehen, nahm die letzten Stufen im waghalsigen Sprung, nur um auch dort an der Türe ab zu prallen und versuchte, sie krampfhaft auf zu reißen. Verzweifelt musste er feststellen, dass die vorsichtigen Nachbarn sie fest verschlossen hatten und der zugehörige Schlüssel lag oben in seiner Wohnung. Es wäre sinnlos, dem Fremden wieder in die Arme zu laufen und ein anderer Weg musste her. Umso erleichterter war Ken, als ihm einfiel, dass der Schlüssel zur Kellertüre sich immer hier unten befand. Doch gerade als er den Schlüssel beim dritten Versuch sicher gegriffen bekam, drehte er sich um und prallte erneut hart gegen die Brust des Fremden. Es schien Ken fast unmöglich, dass er ihm so schnell gefolgt war, er musste ein ganzes Stockwerk mit einem Sprung überwunden haben, um jetzt schon hier zu sein und ein ersticktes Keuchen ließ ihn in die haltenden Arme des Anderen fallen, im Moment zu verwundert, um sich über die Reaktion Gedanken zu machen. Leise und wie aus weiter Ferne hörte er das Klirren des zu Boden fallenden Schlüssel, ergab sich in ein ihm seltsam fremdes Delirium, konnte sehen, wie die Lippen des Fremden sich bewegten, als er ihn etwas fester in die Arme schloss, doch die Worte erreichten seine Ohren nicht. Es erschien ihm absurd, wie sie hier so standen, die Hand, die der Unbekannte hob, wie er ihm sanft damit über die Augen fuhr und letztlich war Ken froh darüber, sich der Ohnmacht endlich ergeben zu können.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von: abgemeldet
2007-11-16T17:58:25+00:00 16.11.2007 18:58
oh... verdammt das ist spannend....
ich hab die ganze zeit über den atem anhalten müssen *sich wieder zum atmen zwing*

aber?? ist der Roboter das einzige was der bemäntelte will?? das kann es aber nicht sein??

freu mich schon aufs nächste kappi!!
lg Jey-chan
Von: abgemeldet
2007-11-16T16:48:40+00:00 16.11.2007 17:48
Oh! Das mit den absätzen is mir garnicht aufgefallen.
*reibt sich verlegen den Kopf* ich glaub das liegt daran das es gestern so spät war und ich das garnicht mehr gemerkt habe *hüstel*
Von: abgemeldet
2007-11-16T12:37:30+00:00 16.11.2007 13:37
also... wow... dein schrebstil ist wirklich was einzigartiges!!....
wirklich dumm dass ausgerechtnet sein personalausweis verloren gegangen sein soll.. ;P

ich freu mich schon aufs nächste kappi!!
sagst du mir bescheid??
lg Jey-chan
Von: abgemeldet
2007-11-16T12:19:50+00:00 16.11.2007 13:19
wow... deine beschreibung ist echt toll!!
sie liest sich als hättest du dir sehr viel mühe gemacht.. nur...
warum machst du keine absätze??
am bildschirm ist das sehr schwer zu lesen wenn alles so zusammengefuzelt ist...
ich hau mich jetzt zum zweitem kappi!!


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