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A little blood red Story

Und alles begann mit nur einem einzigen Stein
von

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Kapitel 1

Die hellgrauen Turnschuhe hämmerten in einem sanften Takt immer wieder auf den harten Boden, bedacht darauf, möglichst wenig von der ihn umgebenden Flora und Kleinfauna zu zertreten. Dank der natürlichen Geräuschkulisse blieb genügend Platz, jene seltsame Art der Entspannung, die sich bei seinen regelmäßigen, nächtlichen Joggingtouren in seinem Kopf breit machte zu genießen und die immer wirbelnden, wirren Gedanken schweifen zu lassen.

Ken Rose war, sah man von seiner etwas seltsamen Art mit der er sich zu Übernatürlichen Phänomenen hingezogen fühlte einmal ab, eigentlich ein völlig normaler Teenager. Fast zwei Jahre war es jetzt her, dass er sein Elternhaus verlassen hatte, um hier in Boston Okkultismus zu studieren und sein Hobby irgendwann zum Beruf machen zu können. Er mochte den besonderen Reiz jener seltsamen Dinge, die es seit jeher gab, für die man eine offenbare Erklärung gefunden hatte und trotzdem war niemand in der Lage, ihnen den geheimen Flair ein für allemal zu nehmen. Diese seltsame Eigenmacht der puren Erwähnung, die den Fluss der Gesellschaft so eigenartig zu manipulieren wussten und so den Anschein erweckten, vielleicht doch zu existieren. Was würde passieren, wenn man in den Karpaten nach einem Vampir fragte? Was, wenn man in den skandinavischen Raum reiste im Versuch, ein paar Waghalsige an zu heuern, die sich auf die Suche nach einem Wasco begeben sollten? Sicher würde niemand einfach so darauf eingehen, denn schon die bloße Erwähnung dieser Dinge würde genügen, um Angst in den Herzen der Beteiligten hervor zu rufen, und eben jener unbewusste Kontrollverlust war es, der Kens Leidenschaft so reizte. Auch schaurige Orte zu besuchen gehörte zu seinem Hobby und fast hatte es ihn erschreckt, als er feststellen musste, dass er in all der langen Zeit nicht einmal nachts das alte Klostergelände besucht hatte.

Natürlich hätte er jetzt auch zu Hause sitzen können und seine unzähligen Bücher zum Thema Übernatürlicher Phänomene wälzen können, denn immerhin hatte er sich nicht umsonst für seinen Studienzweig entschieden. Aber welchen großen Reiz konnte das noch auf jemanden ausüben, der schon fast alles darüber gelesen hatte? Kein Gamer würde jemals auf die Idee kommen, sich an den Computer zu setzen und das gleiche Spiel zum fünften Mal durch zu spielen, wenn er bereits jegliche Kombination, der darin vorkommenden Dialoge mitsprechen konnte. Nein, Ken Rose hatte keinen Bedarf, noch weiter nur der Theorie nach zu hängen und sich prickelnde Geschichten aus zu malen, anstatt einfach vor die Türe zu gehen und zu handeln. Er war viel lieber los gezogen, um sein Schicksal heraus zu fordern und die direkte Konfrontation mit einem dieser rätselhaften Ereignisse zu suchen. Er hatte fast zwei Stunden gebraucht, um endlich alles gepackt zu haben, denn wenn man Gefahr läuft, vielleicht vor Etwas flüchten zu müssen, dann sollte es wenigstens schon die richtige Kleidung sein. Also hatte er sich für einen schlichten, dunkelblauen Trainingsanzug entschieden und die dunkelblauen Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengefasst. Seine schwarze Tasche, die er schon aus purer Gewohnheit immer mit sich führte hatte er auf den Rücken geschwungen, eine jener Taschen, wie sie üblich für Schüler und Studenten waren, weil sie genügend Platz für Stifte, Papier und etliche andere Dinge boten. 'Spinner Rose' wurde er hier genannt, ein unschöner Name, den die kleinen Jugendbanden ihm gegeben hatten. Er war schon des Öfteren am späten Nachmittag hier gewesen, hatte sie rauchen und trinken sehen, aber so wenig, wie sie sich für seine Belange interessierten, konnte er sich für die ihren erwärmen und hatte sich schlichtweg kommentarlos damit abgefunden, dass sie ihn für einen Irren hielten, der ohnehin nur einer sinnlosen Ideologie nach rannte. Er blieb stehen, als der dunkle Umriss des Glockenturms sich schauderhaft in sein Blickfeld drängte und sich gegen den spärlich bewölkten Nachthimmel wie ein höllisches Mahnmal des Verfalls abzeichnete. So genau hatte er ihn sich bisher noch nicht angesehen, es waren vielmehr die alten Grabsteine gewesen, die ihn fasziniert hatten. Er hatte sie abgepaust und zu Hause säuberlich in einem Ordner einsortiert, um den Überblick behalten zu können. Er schüttelte kurz den Kopf, um den Drang, um zu kehren, zu bekämpfen und verfiel wieder in zügigen Schritt.
 

Leise raschelte das Gras unter seinen schweren Stiefeln, ächtze unter dem sicheren Tritt. Er hatte sich schon im Vorfeld umgesehen, um sicher zu gehen, dass niemand hier war. Es gab nur diese eine Chance, Fehler ausgeschlossen. Sein Weg war klar und erst im Schutz des Turmschattens machte er halt. Das fahle Mondlicht sorgte dafür, dass sich selbst hier seine Statur als schwarzer Umriss abzeichnete. Der Koffer wurde abgestellt, noch einmal ein Blick in die finstere Umgebung geworfen und scharrend die wenigen, morschen Bretter beiseite geschoben, welche den Eingang noch versperrten. Er hätte umdrehen können, alles hinter sich lassen, letzte Zweifel, die von ihm abfielen, als er den ersten Schritt auf den kalten Stein gesetzt hatte. Umsichtig und doch zügig führten seine Beine ihn hinauf und das Alter machte sich stechend in seinen Muskeln bemerkbar, ließen ihn auf halbem Wege inne halten und entlockten ihm einen Blick auf die Uhr. Keine Zeit mehr, sich zu aus zu ruhen. Das Fenster war perfekt, bot den nötigen, freien Blick und gleichzeitig den Schutz, selbst gesehen zu werden. Eine Eule wurde durch das Klicken der Kofferschnallen aufgescheucht, stob in die dunkle Nacht hinaus, als wäre sie gewarnt worden. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er hier war. Ein weiteres Klicken, als das Scharfschützengewehr einrastete. Er wäre kein schweres Ziel, lediglich ein kleiner Fisch. Ein leises Scharren, als der Lauf auf dem harten, unebenen Stein zu liegen kam. Mindestens die Hälfte dieses Aufwandes würde sich hinterher nicht einmal ansatzweise gelohnt haben. Noch einmal ein Blick auf die Uhr, ein ruckender Blick, als das Gras zu rascheln begann. Weidmanns Heil, frommer Jäger.
 

Erneut blieb er stehen, ließ den Blick schweifen, spürte, dass etwas anders war, als er es erwartet hatte. Ken fiel es schwer, dieses Gefühl ein zu ordnen. Im Moment war es lediglich eine Mischung persönlicher Unsicherheit und angespannter Nervosität, gleich gefolgt von einem mulmigen Schauer und dem flauen Gefühl in der Magengegend,dass er nicht alleine war. Es war mitten in der Woche, sonst hätte er sich nicht sonderlich darüber gewundert. Doch so konnten es keine verirrten Teens sein, die nur die Zeit vergessen hatten. Es war etwas Anderes, Finsteres und auch wenn sich eigentlich Freude in ihm hätte breit machen müssen, war er sich nun doch nicht mehr sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Gerade wollte er umdrehen, als ihn das feuchte Gras raschelnd herum fahren ließ. Er spürte deutlich, wie sein Herz für wenige Sekunden schmerzhaft aussetzte und ihm den Atem raubte. Ganz in der Nähe schälten zwei dunkle Gestalten sich aus dem Dickicht, beide schwarz gekleidet, nicht unbedingt groß oder breit in der Statur. Eine von ihnen trug eine dunkle Tasche mit vermutlich schwerem Inhalt bei sich. Anfangs hatte Ken es für einen Koffer gehalten, doch kaum hatte er sich, nun doch wieder neugierig, ins nahe Gebüsch geduckt, um dort Schutz zu finden, und sich etwas näher heran zu schleichen, musste er doch feststellen, dass es dafür zu unförmig war. Eine seiner Hände hatte sich bereits zu seiner eigenen Tasche vor getastet, denn letztlich konnte er vielleicht gegen Schusswaffen nichts ausrichten, aber er war immerhin nicht unbewaffnet gekommen. Er hätte nun gerne eine intensivere Wahrnehmung gehabt, schon allein, um seine Neugierde besser befriedigen zu können, vielleicht ein paar der gemurmelten Wortfetzen, die dort im Schatten des knorrigen Baumes, gewechselt wurden oder zumindest einen besseren Blick auf die verhüllten Gesichter erhaschen zu können, um etwas mehr als nur den Hauch asiatischer Abstammung in den fremden Gesichtern ausmachen zu können. Die Spannung zwang Ken dazu, die Luft an zu halten, als die Tasche gehoben wurde, eine Hand sich in die Innentasche einer Jacke schob. Doch es war etwas völlig anderes, das seine Aufmerksamkeit viel mehr erregte. Die hageren Gestalten und Ken selbst schienen nicht die einzigen zu sein, die sich auf dem Gelände auf hielten, denn ein kleiner, roter Suchpunkt zeichnete sich der Schläfe desjenigen ab, welcher die Tasche mit sich führte. Der junge Student war sich nicht sicher, ob er etwas sagen sollte, denn der Andere schien offenbar nichts zu bemerken. Ein Umstand, der seltsam genug war, bedachte man die Offensichtlichkeit des Lichtzeichens. Fast hätte er etwas gesagt, kurzzeitig hin und her gerissen zwischen dem Risiko, sich ein zu mischen oder einfach zu flüchten, doch ein hilfsbereiter Mensch riskiert viel und letztlich war es zwar nicht ganz der Nervenkitzel, den er gesucht hatte, aber zumindest war es einer. Sein Blick wanderte suchend über das gegenüberliegende Gemäuer, um die Quelle der Gefahr ausfindig zu machen, relativ sicher, dass sie sich irgendwo direkt dort befinden musste, denn das Phänomen um die Ecke zu schießen, da war er sich sicher, gab es wohl tatsächlich nur in Filmen. Missmutig musste er feststellen, dass der vermeintliche Schütze sich einen äußerst guten Standpunkt gesucht, das Gelände wohl schon lange erkundet haben musste, sonst wäre er sicher auch im schalen Licht ausfindig zu machen gewesen, doch es blieb nichts weiter als die kahle Fassade der Abtei. Ein anderer Weg musste her, denn wessen auch immer Ken verdammt war Zeuge zu werden, es sollte sicher kein Mord sein. Er war sich sicher, dass die Zeit nicht blieb, in seiner Tasche zu wühlen, um eine glimpfliche Lösung zu finden und auch, wenn ihm durchaus bewusst war, dass es eine Dummheit war, so griff er doch nach einem der Steine zu seinen Füßen, um ihn zu werfen. Insgeheim hegte er die stramme Hoffnung, dass keiner der drei anderen Anwesenden auf seine Deckung schließen könnte und tatsächlich schien er Recht zu behalten, weniger allerdings aus Glück heraus, als ob der Tatsache, dass auch die beiden Tauschhändler das dritte, nicht passende Glied in der Kette bemerkt zu haben scheinen. Sie hatten ihre Waffen gezogen, sich ruckartig vage in Richtung der roten Lichtquelle gedreht, den Handel abrupt abgebrochen. Letztlich war es aber doch wohl der Stein, welcher dem unbekannten Schützen zum Sieg verhilft, denn das Rascheln aus einer völlig anderen Richtung hatte die beiden schwarzen Gestalten erneut herum fahren lassen, verunsichert woher nun die größere Gefahr rührte. Es lag keine Minute zwischen dem Fallen des Steins und dem zu Boden Gehen desjenigen, welcher die Tasche mit sich geführt hatte. Ken konnte den spitzen Aufschrei nicht mehr unterdrücken, klatschte sich, über die eigene Unvorsicht erschrocken die Hände hastig auf den Mund und zog sich noch weiter ins Dunkel zurück, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, denn letztlich hatte es genügt, um deutlich ausmachbar zu sein. Der noch lebende Tauschpartner hatte es aus Eigenschutz heraus vor gezogen, Deckung hinter den knorrigen Überresten des nahen Baumes zu suchen und im Moment schien es zu genügen, auch wenn es unschwer war, zu übersehen, dass er die Gegend vorerst lieber nach der Quelle des Aufschreis als der des Schusses abzusuchen, schrieb er den Tod seines Kollegen doch im Moment dem Urheber des Selbigen zu als jemand anderen dafür in Betracht zu ziehen. Kaum war die anfängliche Unsicherheit gewichen, zeichnete deutliche Wut sich in den gelben, katzenhaften Augen ab, als die Waffe in Kens Richtung gehoben und mit einem leisen Klicken durchgeladen wurde. Hastig stopfte der Student sich die Tasche in die Jacke, in der Hoffnung, dass das Klimpern ungehört bleiben würde, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch die wieder eingekehrte Stille drückte ihm schmerzhaft im Kopf, jeder seiner flachen, schnellen Atemzüge brannte ihm wie Feuer in der Brust und sein hüpfendes Herz drohte fast seine Kehle zu verschließen und ihn zu ersticken. Er war unachtsam geworden, hatte nicht bemerkt, dass das Augenmerk bereits auf ihm lag und der tiefe Wunsch, von hier zu verschwinden trieb ihn panisch dazu an, auf allen Vieren weg zu kriechen, weg von diesen Fremden, weg von diesem Gelände, weg von dem Mord. Er wollte vergessen, verdrängen. Er hatte einen Mord gesehen, man würde ihn finden, ihn töten. Und alles nur, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war und den Helden spielen wollte. Er erinnerte sich daran, eine ähnliche Geschichte gelesen zu haben über eine Geisterscheinung, die seither immer noch im Gemäuer eines alten Kinos spuken sollte. Ein absurder Gedanke, der ihn unweigerlich schaudern ließ und der krachende Schuss, welcher knapp hinter ihm in den weichen Boden zog entlockte ihm wieder einen lauten Aufschrei, weit weniger unterdrückt als der erste. Er stockte, im ersten Moment war er sich nicht sicher, ob er noch lebte oder einfach nur schmerzlos gestorben war, doch das zusammen sackende Geräusch hinter ihm, zwang ihn dazu, die Finger in die Erde zu graben und sich langsam zurück auf seine Fersen zu setzen. Immer noch jagte sein Herz und das Atmen viel ihm zunehmend schwerer. Das einzige, das ihn derzeit etwas beruhigte, war die kühle Feuchte des Untergrundes. Ein kleines Insekt krabbelte über seinen Handrücken, ließ ihn mit einem erschrockenen Keuchen die Finger schüttelnd wieder aus der Erde ziehen und die Tasche fester an sich drücken, als er es endlich wagte, den Kopf langsam zu drehen, unsicher, was er dort sehen würde. Ruhelos ruckte sein Blick hin und her, immer wieder, als befürchte er, es könne noch jemand auftauchen, ehe er wieder ein Stück zurück kroch, vorsichtig prüfte, ob auch der zweite der beiden schwarzen Männer tatsächlich tot war und er wunderte sich selbst, dass der Anblick ihm kein verkrampftes Würgen verursachte. Tatsächlich, er schien wirklich allein zu sein und im Moment genügte es ihm, die unsichere, schemenhafte Bewegung im Glockenturmfenster zu ignorieren. Alles war besser, als sich noch mehr Ärger und Gefahr ein zu gestehen. Er musste nach Hause, bestimmt war er kreidebleich wie eine Leiche und würde morgen zur Universität gehen, so dass sich nicht vermeiden ließe, dass jemand erkannte, das etwas nicht stimmte. Der geistige Anblick seines eigenen Spiegelbildes jagte ihm einen Schauder über den Rücken als er sich erhob, ein paar Schritte zurücktaumelte und feststellen musste, dass sein Stehvermögen gerade nicht das beste war, als er mit einem leisen Quietschen neuerlich rückwärts zu Boden fiel, nur um neuerlich auf zu stehen und es noch einmal zu versuchen, den Blick weiterhin unsicher zu beiden Seiten wendend und im festen Glauben, dass der richtige Weg nach Hause sich schon von selbst finden würde. Noch einmal kam er etwas ins Stolpern und die Tasche rutschte ihm klimpernd aus der Jacke, die Hände zu langsam, um nachgreifen und sie auffangen zu können, doch gerade als er sich hinunter beugen und sie aufheben wollte, erstarrte er auch schon in der Bewegung. Fast hatte er sich schon einreden wollen, das leise Rauschen hinter ihm wäre nur Einbildung gewesen, doch er war rücklings gegen einen festen, großen Widerstand gestoßen, etwas von dem er sich sicher war, dass es vorher noch nicht dort gewesen und auch sicher nicht aufgestellt worden war. Es war breit und fühlte sich weich an, wie etwas Lebendiges mit dem man besser nicht scherzte und der kühle Atem, der über seinen Scheitel von oben herab hinweg strich rang ihm ein ersticktes Keuchen ab. Ken spürte, wie seine Hände langsam klamm wurden, das Herz noch einen ungesunden Sprung machte und das Schlucken wurde ihm zu einem schweren, zähen Unterfangen, als hätte er zu viel Schokolade gegessen und keinen Schluck Wasser, um die Kehle frei zu bekommen. Kein Stück gab der Widerstand nach, wurde nur unmerklich kleiner, als er sich leicht seitlich an Ken etwas vorbei beugte, um die Tasche wieder auf zu heben. Ein starker Arm legte sich über Kens Schulter nach vorne, presste ihm die Tasche gegen die Brust und fast wäre sie ihm dank der schwitzigen Hände wieder entglitten, so dass er noch einmal danach greifen musste. Bis auf die völlig schmucklose, leicht vernarbte Hand war der Arm von einem seltsamen dunkelblauen Wintermantel bedeckt, dessen Ärmelsaum von einem schwarzen Pelz bedeckt war, den man entfernt mit Schafwolle vergleichen konnte.

„Geh nach Hause, Junge.“ Die Stimme wirkte zu Kens Überraschung nicht ansatzweise so rau, wie man sie wohl erwartet hätte, im Gegenteil, wäre es eine andere, freundlichere Situation gewesen, hätte man sie sogar als melodisch empfunden. Es war eine jener Stimmen, bei deren Klang man instinktiv wusste, so schön sie auch sein mochte, sie war nicht oft zu hören. Ken konnte lediglich nicken, verspürte keinen Drang, sich umzudrehen, denn zumeist mochten solche Leute es nicht, wenn man sie ansah, bevor man die Flucht ergriff. Er entschloss sich lieber, ein paar zögerliche Schritte nach vorne zu treten, ehe ihn neuerlich Panik erfasste und er mit schnellen Schritten los lief, die Tasche an sich pressend, um endlich das alles hinter sich zu lassen.
 

Ein ärgerliches Unterfangen. Aber wie hätte er es unterbinden sollen? Letztlich war es zwar der Umsturz seines Auftrages, der ihn auf einen weiteren Mord ohne Entlohnung blicken ließ aber es störte ihn nicht. Es gab andere, die seiner stillen Hilfe bedürften, ihn zum Beispiel. Der Fremde war sich sicher, er würde es merken, nein, eigentlich sorgte er besser selbst dafür, dass es ihm nicht entgehen würde. Das erlittene Trauma würde ihn sicher zu sehr beuteln, um wache Augen auf seine Umwelt zu haben. „Ken Rose.“, murmelte die hoch aufragende Gestalt leise und schüttelte leicht den Kopf, dass die langen, braunen Haare ihm ins kantige Gesicht fielen. Die Finger schlossen sich fester um seinen Koffer, der Blick wanderte hinüber zu den beiden Leichen im feuchten Gras, als ein stummes Seufzen sich über die weichen Lippen quälte. Er würde sich darum kümmern müssen, warum also dem Jungen nicht noch etwas Zeit lassen und es jetzt tun? Den festen Entschluss gefasst, stellte er den Koffer sicher ab und machte sich an die Arbeit, so lange ihm die Dunkelheit noch Schutz bot.
 

Noch immer saß Ken die Angst im Nacken, so tief, dass es bis hinunter in die zittrigen Beine zogen, die ihn hastig die letzten Stufen zu seiner Wohnung hinauf zu trugen. Eilig riss er die Türe auf, knallte sie wieder zu ungeachtet der Tatsache, dass es die Nachbarn aus dem Schlaf reißen könnte, und warf seine Tasche achtlos auf die Kommode im Flur. Im Moment scherte er sich wenig darum, wer dieser seltsame Fremde oder die anderen beiden gewesen waren. Es war ihm viel wichtiger, wieder Sicherheit zu finden, ein wenig Ruhe einkehren zu lassen und nicht einmal seine kleine, schwarze Katze mit den weißen Söckchen konnte ihm den tiefen Drang austreiben, alles fest zu verschließen. Türen, Fenster, jedes Schloß wurde geschlossen, zweimal kontrolliert und beinahe hätte er sogar die Badezimmertür verschlossen, ließ es dann allerdings doch bleiben. Zwanzig Minuten dauerte es, bis er sich sicher sein konnte, alles ausreichend gesichert zu haben und sich erschöpft und verschwitzt aufs Sofa fallen zu lassen. Er würde schlafen, doch er hatte keinen Zweifel, dass er es nicht konnte, so müde er sich auch fühlen mochte, wollte nicht noch einmal all das in seinen Träumen erleben müssen und wenn nötig, würde er sich nie wieder hinlegen. Der Schreck hatte sich ihm bis ins Knochenmark gebohrt, der Anblick des Toten noch viel tiefer in sein Bewusstsein, es wäre keinesfalls möglich, jetzt in Ruhe ein Auge zu zu tun. Er überlegte, ob er jemanden anrufen sollte, Frank vielleicht, seinen launischen Freund, oder seinen Professor und nahezu besten Freund. Aber was hätte er ihnen erzählen sollen? Dass er Zeuge eines Doppelmordes geworden war, wahrscheinlich selbst noch daran indirekt mitgewirkt hatte? Dass der Mörder, denn da war er sich sicher, ihm gesagt hatte, er solle nach Hause gehen? Der Gedanke ließ ihn unweigerlich schaudern. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, gleich nach Hause zu gehen. Man hätte ihm sicher leicht folgen können und wieder sah er sich gehetzt um, hätte beinahe wieder auf geschrien, als die Katze neben ihm aufs Sofa sprang, um sich warm und weich in seinem Schoß zusammen zu rollen. Beruhigend kraulten seine Finger durch das samtene, glänzende Fell, der Blick mit einer inneren Unzufriedenheit auf den flimmernden Bildschirm des Fernsehgerätes, dessen Programm er nicht einmal ansatzweise etwas abgewinnen konnte, geheftet.
 

Das schrille Kreischen seines Weckers ließ Ken mit einem erstickten Keuchen hoch schrecken, die Stirn in Schweiß gebadet und der Blick unwirsch die Umgebung absuchend, ohne zu wissen, was er zu entdecken versuchte. Hatte er nicht beschlossen, nicht schlafen zu können? Es erstaunte Ken, dass das Fernsehprogramm tatsächlich langweilig genug gewesen war, ihn trotz des Geschehens am Vorabend ein zu schläfern. Der Anblick der Katze zwischen seinen Beinen ließ ihn erleichtert aufatmen, vielleicht war es doch nur ein Traum gewesen, das musste er unbedingt herausfinden. Er hob vorsichtig die Beine an, um das Tier nicht zu wecken und setzte sie leise auf den Boden, als ihm wieder einfiel, wie er die Finger in den Dreck gegraben hatte. Sicher würden dort Spuren zu finden sein und der Anblick seiner immer noch dreckigen Fingernägel ließ ihn kurz wieder zwischen Entsetzen und Begeisterung schwanken, ehe er sich für letzteres entschloss und mit einem missmutigen Stöhnen aufstand, nur um fest zu stellen, dass nahezu jeder Muskel sich offenbar entschlossen hatte, ihn für seine gestrigen Dummheiten zu martern. Beinahe wäre er sofort wieder zurück in die Polster gesunken, hätte er nicht im letzten Moment stützenden Halt an der Sofalehne gefunden. Erstaunlich genügsam sah er noch einmal zurück auf seinen pelzigen Mitbewohner und schlurfte hinüber ins Schlafzimmer, um den Wecker ab zu stellen, ehe er sich ins Bad schleppte und einen Blick in den Spiegel warf. Zutiefst erschrocken musste er erkennen, dass der gestrige Abend auch äußerlich starke Spuren an ihm hinterlassen hatte. Er musste sich dringend etwas einfallen lassen, damit es nicht zu sehr auffallen würde. Niemand sollte nachfragen und ihm alles nur noch weiter im Gedächtnis halten, aber vermutlich würde es reichen, wenn er leichte Übelkeit vortäuschte und erzählte, er hätte schlecht geschlafen, weil die privaten Bauarbeiten nebenan sich bis spät in die Nacht hinein gezogen hätten.

Als er fertig war, fühlte er sich schon weit frischer, kontrollierte noch einmal alle Fenster, fütterte die Katze und stockte, als er seine Tasche zur Hand nahm. Er hätte sie kontrollieren müssen. Wenn er irgend etwas bei der Abtei verloren hätte, würden sie ihn sicher ausfindig machen, doch die Zeit war ihm schon zu sehr davon gelaufen. Er versprach sich, nach den Lesungen daran zu denken, denn er konnte nicht mehr länger warten, musste los und nachdem er sich überwunden hatte, die ersten Schritte vor die eigene Türe zu tun, beeilte er sich, noch rechtzeitig zu kommen.

Tatsächlich hätte man denken können, alles wäre so wie immer, dass nichts gewesen wäre, ein ganz normaler Tag und doch lief alles in Kens Augen wie ein vager Film vor seinen Augen ab. Es gab Gott sei Dank nicht viele, die sich nach seinem Befinden erkundigten, lediglich sein Professor legte ihm nahe, doch nach Hause zu gehen, doch er lehnte ab unter dem Vorwand, die Lesung wollte er auf gar keinen Fall verpassen. Ein Akt der Gewohnheit, kannten sie sich doch schon lange genug und diese einfache Ausrede lag Kens üblichem Enthusiasmus tatsächlich nicht fern. Er hatte oft darauf bestanden zu bleiben, obwohl es ihm nicht gut gegangen war. Doch als sein Alltag sich dem Ende zuneigte, kamen wieder Zweifel in ihm hoch. Der Student hatte Andere reden hören. Ein Bericht wäre in der Zeitung aufgetaucht, man hätte zwei Mittler verschiedener, ortsansässiger Clans der Yakuza getötet und sie als Postpaket verpackt den Oberhäuptern mit der frühen Morgenpost als Eilsendung zukommen lassen. Ein Profi soll es gewesen sein und man hätte der Presse sogar verboten, die Namen der Clans ab zu drucken. Er durfte keinesfalls vergessen, seine Tasche zu kontrollieren und kaum hatte er die Wohnungstüre zweimal hinter sich abgeschlossen und die Kette vor gezogen, stürzte er auch schon ins Wohnzimmer, um sich aufs Sofa zu setzen und den Tascheninhalt auf das Sitzpolster zu leeren. Wild wühlten die unruhigen Hände das Chaos auseinander, nur um fest zu stellen, dass alles noch vorhanden war. Erst als er seine Geldbörse durchsuchte, durchzog ihn ein stechender Schmerz, der ihm die Übelkeit wieder in die Glieder trieb und ihm die Blässe ins Gesicht jagte. Hinter dem klaren Sichtfenster, dort, wo sein Personalausweis sein sollte, war nichts.

„Scheiße.“, murmelte er leise.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2007-11-16T12:37:30+00:00 16.11.2007 13:37
also... wow... dein schrebstil ist wirklich was einzigartiges!!....
wirklich dumm dass ausgerechtnet sein personalausweis verloren gegangen sein soll.. ;P

ich freu mich schon aufs nächste kappi!!
sagst du mir bescheid??
lg Jey-chan


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