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Genesung

von

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Überlegungen & Enthüllungen

Sie hatten versprochen ihn nur einzeln zu besuchen, damit es ihm nicht zu viel würde oder er sich überanstrengte. Dieses Versprechen hielt nicht sehr lange. Kaoru war etwa zehn Minuten im Zimmer des Rurouni gewesen, als Yahiko, Misao und Sanosuke nicht mehr länger warten konnten. Sie waren trotz Megumis Schelten alle hineingestolpert und kurz darauf waren natürlich noch Okina und Hiko gefolgt. Kenshin hatte die Invasion gut aufgenommen. Seine Augen hatten angestrengt und zusammengekniffen gewirkt und er hatte nicht viel gesprochen, aber er war die ganze Zeit wachgeblieben.

Und er hatte glücklich ausgesehen. Das war durch die Erschöpfung und die Schmerzen hindurch zu sehen gewesen. Seine müden Augen hatten geglitzert als Misao und Yahiko mit viel Enthusiasmus von ihren Siegen im Kampf berichtet hatten. Und er hatte die Augen nicht von Kaoru abwenden können und mit einer Mischung aus Sorge und Stolz gelächelt als man ihm von ihrer Rolle bei dem Kampf beim Aoiya erzählt hatte. Eigentlich hatte er sie alle häufig angesehen. Nicht nur Kaoru. Es war, als könne er kaum glauben, dass sie wirklich da waren, dass sie nicht nur Erscheinungen aus seinem vorangegangenen Delirium waren. Kaoru hatte anscheinend diese Angst unterbewusst gespürt, denn sie hatte gelegentlich seinen Ärmel berührt und beruhigend auf ihn herab gesehen.

Es war eine gute Nacht gewesen, diese Nacht vor drei Tagen als der Rurouni endlich erwacht war und sie sich alle in seinen Raum gezwängt hatten. In der Zwischenzeit war es zu einem Teil der Routine geworden. Jeden Tag blieben Megumi, Hiko und Okina im Shirobeko und bewachten Ken-san und das Restaurant selbst, während die anderen mit erhöhter Geschwindigkeit das Aoiya reparierten. Sie spürten, dass die Reparaturen dringend waren. Es herrschte ein stillschweigendes Verständnis, dass es um so besser wäre, je eher das Hauptquartier der Oniwabanshu repariert wäre. Deshalb arbeiteten sie fieberhaft und waren vorsichtig, wenn sie den Weg zu Saes Restaurant zurückgingen. Tagsüber waren alle angespannt. Aber abends, wenn alle wieder sicher unter einem Dach vereint waren, legte sich die Spannung etwas und nach dem Abendessen versammelten sie sich in Kenshins Zimmer um dem Rurouni für den Rest des Abends Gesellschaft zu leisten.

Sie hatten es bemerkenswerterweise geschafft ihre verschiedenen Sorgen wegen Shishios Männern vor dem Rurouni verborgen zu halten, etwas was sie nie hätte tun können, wenn Kenshins Schwertkampfsinne in Topform gewesen wären. Doch nun war Kenshin noch schwach und es ging ihm bei weitem nicht gut genug um sich darauf zu konzentrieren die Absichten eines anderen zu spüren oder vorauszuahnen. Die Unfähigkeit des Schwertkämpfers jemanden zu erspüren war für Megumi sowohl ein Grund zur Erleichterung als auch zur Sorge, doch sie behielt ihre Befürchtungen für sich.

Ken-san war noch immer zu blass und seine Genesung ging langsamer voran als sie es bei jemandem, der zuvor in so guter Gesundheit gewesen war, erwartet hatte. Megumis Hauptsorge war nun die Stichwunde in seiner Seite. Trotz all ihrer Fürsorge weigerte sie sich hartnäckig zu heilen. Sie sah sich die Wunde gerade an, untersuchte sie mit gewisser Bestürzung und zog das Verbandsmaterial heraus. Sie hatte immer wieder frische Stoffstreifen, die sie in Kräutern eingeweicht hatte in die Wunde gedrückt, damit sich nicht wieder eine Eitertasche bildete, wie es in den ersten paar Tagen nach dem Kampf geschehen war. Jetzt waren Infektionen, so weit sie das sehen konnte, kein Problem mehr. Das Problem war, dass nach dieser ganzen Zeit noch immer Blut aus der Wunde sickerte. Zehn Tage waren seit dem Kampf vergangen. Obwohl Megumi sie letzte Woche öffnen musste, hätte die Wunde schon längst aufhören zu bluten und anfangen zu heilen sollen. Ken-san verlor zuviel Blut und diese Blutarmut hielt ihn im Bett, da er zu schwindelig und kurzatmig war, um herum zu laufen oder zu versuchen, seine Kraft wieder aufzubauen.

Kenshin vermutete, dass etwas nicht stimmte. Er hatte nichts in dieser Richtung gesagt, aber Megumi war sich dessen sicher. Der Schwertkämpfer hatte in der Vergangenheit zu viele Erfahrungen mit Wunden gemacht. Er musste erkennen, dass etwas nicht richtig lief. Er war gerade wach und saß in einer Ecke des Zimmers gegen einen unbenutzen Futon und mehrere Kissen gelehnt. Er sah ihr mit mildem Interesse dabei zu, wie sie vorsichtig die Verbände entfernte. Er gab keinen Laut von sich, doch an seinen angespannten Muskeln und dem beherrschten Klang seines Atmens erkannte Megumi, dass er Schmerzen hatte.

„Es tut mir leid, Ken-san“, murmelte sie als sie den Rest Stoff herauszog. Zumindest fiel Ken-san nach dem Wechseln der Verbände nicht mehr in Ohnmacht, dachte sie kurz, bevor sie bei dem Anblick eines weiteren blutdurchweichten Stück Stoffs die Stirn runzelte.

„Megumi-dono, stimmt etwas nicht?“, fragte er plötzlich mit ruhiger und leiser Stimme, der Stimme, die Megumi als Ken-sans eigentlich Stimme ansah, da es weder der hohe Klang des Rurouni noch das tödliche Zischen des Battousai war.

„Ich weiß nicht, warum das nicht heilt, Ken-san“, gab sie zu während sie arbeitete. „Es will einfach nicht aufhören zu bluten. Und das ist seltsam, wo doch der Rest deiner Wunden so gut heilt.“

Nach kurzem Schweigen kam die rätselhafte Antwort: „Wenn eine Wunde von dem Schwert jemandes mit großem Hass verursacht wurde, wird diese Wunde nicht heilen, bis Rache verübt wurde.“

Megumi hielt inne und sah Ken-san besorgt an. Diese Worte hatte sie von Ken-san nicht erwartet. Er klang als wäre er in Gedanken weit weg und irgendwie traurig. In seiner Stimme lag ein Schmerz, der nichts mit seinen Worten zu tun hatte.

Dann verging der unbehagliche Moment und Ken-san schien wieder er selbst.

„Wie dem auch sei“, fuhr er nachdenklich fort. „Ich habe nicht die Wunde gemeint. Stimmt etwas anderes nicht, Megumi-dono?“

Die amethystfarbenen Augen des Rurouni waren sanft und klar, als er sie betrachtete. Sein Schwertkampfsinn kehrte möglicherweise zurück, erkannte Megumi, obwohl er körperlich noch schwach war. Also war ihm die allgemeine Unruhe doch aufgefallen. Megumi sah auf ihre Arbeit hinab und fühlte sich stark versucht, dem Rurouni alles zu enthüllen. Aber etwas ließ sie zögern.

„Ich mache mir Sorgen um dich, Ken-san. Das tun wir alle“, antwortete sie unbestimmt. Es war zumindest die halbe Wahrheit. Er würde bald genug von dem Angriff von Shishios Männern erfahren, aber dennoch war es rücksichtsvoller, ihm die Neuigkeiten noch vorzuenthalten. So verstörende Ereignisse zu verraten, während Ken-san noch zu schwach war, um eine Hilfe zu sein, würde den Schwertkämpfer nur unnötig quälen. Megumi wusste, dass er irgendwie einen Beitrag leisten wollen würde und nicht fähig wäre das zu tun.

Zu Megumis Erleichterung gab Ken-san nach und stellte keine weiteren Fragen. Er schien noch zu müde zu sein um darauf zu drängen, dass sie mehr Informationen preisgab.

„Was war das, was du über eine Wunde gesagt hast, die aus starkem Hass entsteht?“ fragte sie in dem Versuch ihn abzulenken.

„Jemand, der einmal ein Freund war, hat das gesagt“, antwortete er und machte sie nur noch neugieriger, „als es das letzte Mal passiert ist.“

Jemand, der einmal ein Freund war? Wieder war Megumi verwirrt über seine seltsame Wortwahl. Sie fragte sich ob dieser Jemand später zu einem Feind geworden war. Oder vielleicht war dieser Jemand einfach nur gestorben. Sie seufzte innerlich. Ken-san war selbst jetzt noch ein Rätsel. Nach all den Monaten, in denen sie sich gekannt hatten, konnte sie ihn manchmal noch immer nicht verstehen. Hiko-san hatte Ken-san gut unterrichtet, dachte sie. Der Rurouni war so frustrierend verschlossen wie sein Meister. Das war eines der wenigen Persönlichkeitsmerkmale, die die beiden unglücklicherweise teilten.

„Das ist schon einmal passiert?“ sagte sie.

„Ja.“ Er nickte. „Einmal. Vor langer Zeit.“

„Und Shishio war hasserfüllt als er diese Wunde machte?“ Sie runzelte die Stirn. „Aber das verstehe ich nicht. War er nicht genauso hasserfüllt, als er diese anderen Wunden verursachte? Die heilen doch gut. Warum ist es bei dieser hier anders?“

Der Rurouni senkte den Kopf und verbarg seine violetten Augen hinter einem Vorhang roter Stirnfransen. Sein Mund spannte sich so an, dass er nur noch wie eine dünne Linie aussah. Es fiel Megumi schwer nicht mit noch mehr Fragen herauszuplatzen und dem Rurouni Zeit zum Antworten zu geben. Jedenfalls wenn er überhaupt antwortete.

Ken-san hatte nicht viel über den Kampf mit Makoto Shishio gesprochen. Und als Kaoru und Megumi versucht hatten vor ein paar Tagen die Geschichte aus Sanosuke herauszubekommen, war der Straßenkämpfer überraschend schweigsam gewesen, war ihren Fragen ausgewichen und hatte sich weggeschlichen während er etwas darüber murmelte, dass er noch ein paar Spielschulden in der Stadt bezahlen musste. Sie hatten nur ein paar vage Informationen über den Kampf, aber keiner außer den drei Überlebenden des Kampfes kannte Details. Ken-san war einfach noch nicht bereit etwas zu erzählen und sowohl Shinomori als auch Sagara machten keine Anstalten etwas zu verraten, solange der Rurouni selbst nicht bereit war zu sprechen.

Megumi fing schon an zu denken, dass Ken-san sich wieder in Geheimniskrämerei vergrub und den Rest der Welt außen vor ließ, als er leise sagte: „Da war eine Frau.“

„Eine Frau?“

„Ja. Ihr Name war Yumi“, sagte er. „Sie war Makoto Shishios Geliebte.“

Aus irgendeinem Grund kam es Megumi seltsam vor, Ken-san von Frauen und Geliebten sprechen zu hören. Er sprach fast nie von Liebe. Nicht in allgemeinem Sinn und ganz sicher nicht, wenn es um spezielle Personen ging. Megumi hatte wieder und wieder bemerkt, dass Liebe ein Thema war, das der Rurouni mied wie die Pest. Oft täuschte er Unwissen und Naivität vor und machte jede nur vorstellbare Anstrengung dem Thema auszuweichen.

Kenshin zögerte einen Moment bevor er weiterredete. „Sie starb von dem selben Schlag, durch den diese Wunde endstand.“

Megumi runzelte die Stirn. „Ich fürchte, ich verstehe nicht. Wie kann so etwas denn geschehen?“

„Shishio war am Boden, beinahe besiegt und ich musste mich entscheiden ob ich ihn... ob ich ihn töten sollte oder nicht.“ Seine Worte schienen aus großer Entfernung zu kommen, als müsse er jedes einzelne schmerzhaft aus sich herauszerren. Megumi erschauderte bei dem Gedanken, dass der frühere Hitokiri vor solch einer Wahl stand, sich entscheiden musste ob er den Schwur, an den er sich unter großer Anstrengung zehn Jahre gehalten hatte, brechen würde.

„Ken-san“, flüsterte sie. „Du musst nicht mehr sagen, wenn du nicht willst. Ich wollte niemals so schmerzhafte Erinnerungen in dir wecken. Bitte entschuldige meine dumme Neugier.“

„Nein, es ist schon gut“, sagte er. Er sah aus dem Fenster auf den frühen Abendhimmel. Die Wolken waren golden gefärbt und ihre zerfransten Ränder glühten als würden sie brennen. Er runzelte leicht die Stirn und wandte sich von dem Anblick ab. „Yumi-dono rannte zwischen uns und fiel auf die Knie. Sie bettelte um Shishios Leben.“

„Und du hast das Schwert gesenkt“, schloss Megumi.

„Ja.“ Er sah sie unsicher an. „Und dann schlug Shishio zu. Durch ihren Rücken...“ Er schluckte und seine Stimme versagte.

Megumi blinzelte betäubt und ungläubig. „Er hat durch euch beide gestochen? Er hat sie getötet um dich zu erwischen? Was für ein Monster!“

„Das habe ich auch gedacht. Zuerst. Aber jetzt erscheint es mir nicht mehr so klar.“

„Was ist daran so unklar?“

„Ich kann mir vorstellen, wie sehr es Shishio geschmerzt hat als er...“

„Ken-san! Wage es nicht mir zu sagen, dass dir dieser teuflische Unmensch leid tut!“ Megumi konnte nicht anders als die Stimme zu heben. Kenshin war zu gutherzig. Manchmal machte es einen ganz wild. „Der Mann hat seine Geliebte getötet um sein eigenes wertloses Leben zu schützen! Wie kannst du nur Mitleid mit ihm haben? Wie um alles in der Welt, könntest du dir auch nur vorstellen wie er sich gefühlt hat? Nur ein Monster könnte die töten, dir er liebt...“

Sie verstummte plötzlich. Kenshin starrte sie an, seine violetten Augen waren weit aufgerissen und sein Atem ging nur stoßweise. Etwas, das sie gesagt hatte, hatte bei ihm Entsetzen verursacht, das erkannte sie nun. Es hatte ihn so tief getroffen, dass er ihr nicht einmal mehr antworten konnte.

„Ken-san?“ fragte sie erschrocken über ihren Patzer und fragte sich, was sie gesagt hatte, das den Rurouni so erschüttert hatte. „Ken-san? Was habe ich gesagt?“

Er blinzelte und erholte sich langsam. „Nichts“, flüsterte er, aber er schien ihr dabei nicht in die Augen sehen zu können.

Sie blieb für einen langen Moment stumm, zutiefst unglücklich, dass sie ihm noch mehr Schmerz bereitet hatte. Sie wollte ihn so gern fragen, was sie getan hatte, das ihn so verletzt hatte, aber er sah so elend aus und schien die Unterhaltung, die gerade stattgefunden hatte, einfach nur vergessen zu wollen.

„Entschuldigung“, sagte sie schließlich. Sie wusste nicht was sie sonst sagen sollte. „Ich habe dir sehr weh getan.“

Seine Antwort kam automatisch: „Nein, Megumi-dono. Ich bin derjenige der um Entschuldigung bitten muss.“

Megum musste lachen, wenn auch ein bisschen aus Verzweiflung. Sie konnte nicht anders. Es war das einzige Ventil für die Anspannung, die sie aufgebaut hatte. Ken-sans aufrichtige Sorge um das Wohlergehen anderer war die eine Konstante in seiner Persönlichkeit, die nie zum Schweigen gebracht oder verdrängt werden konnte. Es war teilweise der Grund, warum sie ihn so sehr liebte und gleichzeitig fand sie es einfach amüsant. Selbst jetzt, da er offensichtlich so verstört war und sie der Idiot war, der Schuld daran hatte...

„Ken-san, du bist zu nett, ist dir das klar?“ Sie lächelte. „Du bist viel zu nett.“

Er war verblüfft, dass sie so plötzlich wieder vergnügt aussah, aber er schien darüber erleichtert zu sein. Seine Miene hellte sich auf und seine Augen wanderten von ihrem Gesicht zu etwas hinter ihr bei der Tür.

„Meister“, sagte er lächelnd und seine Düsternis löste sich in Gegenwart seiner Meisters weiter auf.

„Dummer Schüler“, erwiderte eine all zu vertraute tiefe Stimme.

Megumi fuhr zusammen, da sie wieder einmal das leise Eintreten des Schwertkämpfers nicht bemerkt hatte. Noch etwas nervtötendes, das die beiden gemeinsam hatten. Beide waren leise wie Katzen.

„Klopfen Sie eigentlich nie an?“ fragte sie mit gespieltem Ärger. Während der letzten Woche hatte sie zu Hiko-san eine seltsame Freundschaft aufgebaut und fühlte sich im Gegensatz zu den anderen von der rauen Art des Kriegers überhaupt nicht eingeschüchtert. Megumi war sich nicht ganz sicher, warum Hiko Seijuro sie anders behandelte als den Rest von Kenshins Freunden. Vielleicht respektierte er sie wegen ihrer Fähigkeiten als Ärztin. Oder vielleicht hatte es etwas mit der Tatsache zu tun, dass außer Hiko selbst Megumi die einzige war, die nicht von Ehrfurcht vor Ken-san erfüllt war, die den Rurouni als einen bloßen Menschen und nicht als lebende Legende ansah. Hiko ignorierte ihre Frage und setzte sich mit seiner Sakeflasche (seinem ständigen Begleiter) neben sie.

Er schüttete einen Becher voll und hielt ihn dem Rurouni hin. „Das wird etwas Farbe in dein kränkliches Gesicht bringen.“

„Hiko-san!“, sagte Megumi hitzig.

„Meister“, lachte Kenshin verlegen. Er hob die Hände und lehnte das Getränk ab, das ihm sein Meister angeboten hatte.

„Pff.“ Hiko-san grinste selbstgefällig. „Dann nimm du es“, sagte er und drückte den Becher Megumi in die Hände. „Mein dummer Schüler konnte noch nie was vertragen.“ Dann fügte er ernster hinzu: „Deine Freunde sind nach Haus gekommen. Kannst du sie spüren?“

Kenshins Lächeln verblasste. „Nein.“

Hiko sah seinen früheren Schüler einen Moment an, dann zuckte er die Schultern. Wenn er besorgt oder enttäuscht war, so zeigte er es nicht.

„Es spielt keine Rolle“, sagte er. „Es wird mit der Zeit zurückkommen. Ich warne dich nur, dass sie kommen. Deine verrückten Freunde neigen immer dazu ein Spektakel zu machen, wenn sie ankommen. Der Lärm geht mir auf die Nerven. Ich habe darüber nachgedacht nach Hause zu gehen. Zur Abwechslung zurück zu etwas Frieden und Ruhe.“

„Aber Hiko-san“, sagte Megumi mit mehr Unruhe in der Stimme als sie vorgehabt hatte. Sie konnte vor Ken-san nichts über Shishios Männer sagen, also sah sie Hiko-san bedeutungsvoll an und hoffte er würde ihre stummen Sorgen verstehen. „Müssen Sie denn so bald gehen?“

„Meister, könnt Ihr nicht noch etwas länger bleiben?“, fragte der Rurouni.

Hiko sah erst Kenshin und dann Megumi an. „Ich habe Hunger“, war alles, was er sagte, als er sich erhob und bereit machte nach unten zum Abendessen zu gehen. „Es ist Essenszeit.“

Megumi war entschlossen, Hiko-san nach unten zu folgen, bis sie eine zufriedenstellendere Antwort erhielt. „Ruh dich aus, Ken-san. Ich komme bald mit Abendessen für dich zurück“, sagte sie als sie Hiko zur Tür hinaus folgte.

In diesem Moment hörten sie die Geräusche der anderen, die nach Hause zurückkamen: das leichte Stampfen Yahikos und Misaos schnelle Füße, Kaoru, die ihren Schüler ausschimpfte, Sanosukes rollendes Lachen.

„Ah, sie sind zurück“, sagte Ken-san leise mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.

Hiko runzelte die Stirn. „Krach“, sagte er nur während er auf dem Weg nach draußen Kenshins Tür zu zog.

„Nein, bitte. Lasst sie offen“, sagte der Rurouni. „Ich höre sie alle gern. Die Geräusche... sind beruhigend.“

Hiko hob eine Augenbraue und machte damit deutlich, dass er seinen dummen Schüler für verrückt hielt, dann ließ er die Tür offen und ging die Treppe hinunter.

„Warum wollen Sie ausgerechnet jetzt gehen?“ flüsterte Megumi drängend als sie außer Hörweite von Kenshins Zimmer waren.

Der Krieger zuckte die Schultern. „Das habe ich doch gesagt. Es ist hier viel zu laut. Es hat seinen Grund, dass ich ein Einsiedler bin.“

Megumi schnaubte wütend. Gerade als sie gedacht hatte, dass sie mit dem Mann zurechtkam, schaffte er es einen neuen Weg zu finden, sie rasend zu machen. „Das soll wohl ein Witz sein“, knurrte sie. „Sie wollen uns verlassen, wo doch Shishios Männer jeden Tag angreifen können?“

„Das sind nur Fußsoldaten, Megumi-sensei. Nichts im Vergleich mit der Juppongatana. Nichts womit du und deine Freunde nicht allein fertig werden würden“, sagte er als sie das untere Stockwerk erreicht hatten und sich im Durcheinander ihrer Freunde widerfanden, die gerade angekommen waren und auf dem Weg zum Abendessen waren. Megumi begrüßte alle kurz, dann führte sie ihren Streit mit Hiko-san fort. Sie starrte ihn wütend an und sprach lauter als sie vielleicht sollte. „Aber Hiko-san, Sie können doch nicht...“

„Können was nicht?“, fragte Sanosuke, der Megumis gereizten Tonfall und Hikos finstere Miene bemerkt hatte.

„Megumi-san, Hiko-san, ist alles in Ordnung?“ fragte Kaoru.

Erst dann bemerkte Megumi, dass der Rest der Gruppe leise geworden war und sie und Hiko-san besorgt ansah. Ein halbes Dutzend Augenpaare war auf sie gerichtet. In einigen stand Sorge, in anderen eher Verblüffung. Megumi spürte wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Sie zögerte und war sich nicht sicher, was sie sagen sollte.

Plötzlich hörten sie einen dumpfen Aufschlag von oben, gefolgt von einem gedämpften: „Hilf mir mal jemand!“ von Shirojou, der an diesem Abend Wache hielt.

„Kenshin!“, rief Yahiko, der als erster die Stille brach.

Und dann rannten sie alle zusammen die Stufen nach oben, eilten mit klopfendem Herzen zu dem Zimmer des Rurouni und jeder von ihnen fürchtete sich davor die Ängste laut auszusprechen, die sie in den Tagen ergriffen hatten seit Megumi und Sanosuke zuerst auf den schwarz gekleideten Spion getroffen waren. Megumi hielt die Luft an als Sanosuke die Tür zu dem Zimmer des Rurouni aufriss. Sie erwarteten einen Angriff. Sie erwarteten ein Verhängnis.

Den Göttern sei Dank, dass sie falsch lagen.

Der Rurouni war über dem Fenstersims zusammen gesunken und ein bestürzter Shirojou hockte draußen auf dem Dach und hielt ihn an den Schultern fest. Der große Mann sah sie entschuldigend an. „Es tut mir leid“, sagte er schnell. „Ich habe nur gesehen, wie er sich aus dem Fenster gelehnt und beinahe gefallen wäre. Ich weiß nicht woher er wusste, dass ich hier oben bin. Ich schwöre, dass ich kein Geräusch gemacht habe!“

Der Rurouni, dessen Gesicht unter einem Durcheinander roter Haare verborgen war, murmelte: „Ich habe eine Präsenz draußen vor dem Fenster gespürt und gedacht...“

„Das war nur ich, Himura-san“, sagte Shirojou. „Sonst ist niemand hier draußen.“

„Ich habe dir doch gesagt, dass dein Schwertkampfgeist zurückkommen würde“, sagte Hiko lässig. Megumi kämpfte gegen das ungehörige Bild in ihren Gedanken an, wie sie dem Krieger eins mit seinem Sakekrug auf den Kopf gab.

„Kenshin, du Dummkopf“, sagte Kaoru sanft, als sie sich zu dem Rurouni kniete und ihre Hand leicht auf seinem Arm ruhen ließ. „Tu uns das nicht wieder an. Du hast uns alle erschreckt.“

„Entschuldigung, Kaoru-dono“, antwortete er als ihn Sanosuke und Hiko wieder zu seinem Futon zurücktrugen. Ken-sans Stimme war so sanft wie immer, aber die violetten Augen, die alle im Raum betrachteten waren erfüllt von sturer Entschlossenheit als er fragte: „Aber ich frage mich: Warum muss Shirojou-san vor dem Fenster Wache halten?“

Megumi biss sich auf die Lippe und sah stumm zu den anderen. Es war sehr still im Zimmer geworden.

„Bitte“, fuhr Kenshin leise fort. „Jemand soll mir bitte sagen, was hier vor sich geht.“

Daraufhin sahen alle zu Kaoru. Aus irgendeinem Grund erwarteten sie von dem Mädchen die letztliche Entscheidung zu treffen.

Kaoru seufzte und ihre großen blauen Augen blickten in die violetten Augen des Rurouni. „Jetzt ist es zu spät“, sagte sie schließlich. „Wir können ihm auch genausogut die Wahrheit erzählen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2009-11-12T22:59:45+00:00 12.11.2009 23:59
Ich bin wirlklich froh dass es weiter geht, diese geschichte ist wunderschön und unglaublich intensiv.

Es muss unglaublich viel arbeit sein sie zu übersetzten, danke dass du auch uns deutschsprachigen Lesern zugang zu der ff gibst ^^




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