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Genesung

von

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Ein Umweg

Die Reparaturarbeiten am Aoiya gingen gut voran, entschied Megumi, als sie den ersten Blick seit ihrer Ankunft in Kyoto auf das Gebäude warf. Die Mittagssonne, die strahlend durch die Gazevorhänge der Kutsche schien, ließ sie blinzeln und die Augen mit der Hand beschatten. Sie war glücklich. Nachdem sie durch ihre Arbeit kaum nach draußen gekommen war, erst in Dr. Gensais Klinik in Tokyo und seit neuestem im Shirobeko, war es eine nette Abwechslung, etwas freie Zeit zu haben und zum ersten Mal seit Monaten wirklich in der Stadt zu sein.

Der junge Polizist, der ihr gegenüber saß, öffnete die Tür der Kutsche und sprang hinaus. Dann streckte er ihr eilig die Hand entgegen um ihr herauszuhelfen. Sie belohnte ihn mit einem strahlenden Lächeln als sie aus der Kutsche stieg. Sie hatte fast vergessen, dass die meisten Männer sich überschlugen, wenn sie versuchten sie mit Kleinigkeiten zu beeindrucken. Es war schön zu wissen, dass sie es immer noch in sich hatte. Selbst wenn die Männer, die ihr am nächsten standen (pff, die Blödmänner) nie ihre natürliche Schönheit zu bemerken schienen, war es gut zu wissen, dass sie noch aufleuchten konnte, wenn sie sich nur ein bisschen Mühe gab, und dass andere Männer, normale Männer, es zumindest schätzen konnten. Aah, wieder zu träumen. Sie war albern und es war ihr egal. Es war schön, zur Abwechslung mal albern zu sein.

Sie atmete tief ein und genoss die Geräusche und Gerüche der Stadt. Als sie so auf der staubigen Straße vor dem Aoiya stand, fühlte sie sich seltsam lebendig, fast wie es in den sorgenlosen Tagen ihrer Jugend gewesen war, vor der Zerstörung ihrer Familie, bevor ihr Leben sich in Chaos aufgelöst hatte. Die dunklen Erinnerungen ließen sich an diesem sonnigen Tag leicht beiseite wischen, als sie sich umdrehte und den ersten guten Blick auf das Gebäude hatte, während sie darauf wartete, dass der junge Polizist hinter ihr den ziemlich großen und schweren Korb mit Mittagessen, den sie für ihre Freunde mitgebracht hatte, heraustrug.

„Hey, Megu-- Mensch! Was zu essen!“ rief ein enthusiastischer Yahiko, als er das Dach herunterschlitterte, den Rand mit beiden Händen fest packte und kurz hin und her schwang bevor er auf den Füßen landete. Der Junge huschte herüber und sah gespannt zu wie der Polizist den Korb auf der Veranda absetzte. „Was hast du mitgebracht?“

„Ein bisschen von Allem.“ sagte Megumi fröhlich.

„Oi! Ich habe doch gedacht, ich habe hier draußen Essen gerochen!“ sagte Sanosuke, dessen stacheliger Kopf aus einem Loch im Dach auftauchte. „Hol doch jemand das Kind da weg, bevor er alles auf isst.“

Megumi drehte sich um und schenkte dem jungen Polizisten ein weiteres Lächeln und ein freundliches „Dankeschön,“ woraufhin er errötete und sich schnell in die Kutsche zurückzog. Er winkte kurz als die Kutsche losfuhr.

„Wie kommt es, dass sie mir nie anbieten, mich mitzunehmen?“ fragte Makimachi Misao als sie herüberkam um den Inhalt des Korbes zu inspizieren.

„Das kommt daher, dass du nicht hübsch genug bist“, sagte Yahiko leichthin, den Mund bereits halb vollgestopft mit Schinkenbrot. Er brummte als Misao ihn anknurrte und nach seinem Kopf schlug, dann aß er mit unvermindertem Tempo weiter.

Yahiko und Misao. Sie waren noch Kinder, dachte Megumi. Sie kehrten wieder zur Normalität zurück, wenn sie vom Shirobeko fort waren. Nun, sie konnte ihnen ihre Energie und ihren Enthusiasmus nicht übel nehmen. Nicht an einem so schönen Tag. Und sie war gewissermaßen beeindruckt wie sich bemühten, sich bestmöglich zu benehmen wenn sie in der Nähe von Kenshins Zimmer im Shirobeko waren. Sie strengten sich sehr an leise zu sprechen und sich ruhig zu bewegen, um nicht den schlafenden Rurouni zu stören. Und das obwohl es ihnen immer schwerer fiel, wie Megumi wusste. Wenn sie hier beim Aoiya waren, weg von dem Krankenzimmer und draußen in der Sonne, drängte ihre wildere Natur mit Macht zurück. Megumi rollte amüsiert mit den Augen. Sie bemühten sich wenigstens. Sie konnte ihnen nicht wirklich böse sein, dass ihnen jetzt etwas herausrutschte.

„Danke, dass du das Mittagessen hergebracht hast“, sagte Kaoru als sie aus dem Aoiya trat und die Bänder löste, die die Ärmel ihres Kimonos zurückhielten.

Megumi suchte in dem Gesicht des Mädchens nach Anzeichen für Kummer. Kaoru sah heute etwas müde aus, schien aber sonst nicht sonderlich mitgenommen. Megumi hatte Kaoru nicht gesehen, seit sie letzte Nacht davongerannt war. Das Mädchen musste noch ziemlich lange weggeblieben sein, denn Megumi war zu Bett gegangen und hatte nichts davon gehört wie sie zurückgekommen war.

Kaoru bemerkte ihren prüfenden Blick und blickte verlegen zu Boden. „Es geht mir gut, Megumi-san“, sagte sie so leise, dass nur Megumi sie hören konnte. „Ich war letzte Nacht ein Dummkopf. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.“

„Wir haben uns Sorgen gemacht“, sagte Megumi. „Wo bist du hingegangen?“

„Nicht weit. Nur runter bis zum Fluss“, erwiderte das Mädchen. Sie blickte zu Megumi auf. „Ich weiß, dass es nur eine Erinnerung war. Er hat nur die Vergangenheit wieder durchlebt...“ Sie schüttelte den Kopf. „Der Tag, an dem er Tokyo verlassen hat... Es war nicht der schlimmste Tag meines Lebens, Megumi-san. Aber beinahe. Es kam dem Schlimmsten wirklich nahe. Und ich konnte nicht in dem Zimmer bleiben. Ich wollte nicht, dass Kenshin sieht, wie ich zusammenbreche. Nicht wenn ich stark für ihn sein muss.“

Megumi zuckte mit den Schultern, da sie nichts dazu sagen konnte.

„Wie geht es ihm heute?“ fragte das Mädchen.

„Er ist immer noch verwirrt, aber es geht ihm besser, glaube ich. Deine Gesellschaft scheint ihm zu helfen“, sagte sie als kleinen Versuch, die Stimmung des Mädchens zu verbessern.

Kaorus große, blaue Augen leuchteten auf. „Dann gehe ich heute früher zurück. Ich kann dir helfen, die Verbände zu wechseln, wenn das in Ordnung ist.“

„Hey, Megumi!“ rief Yahiko und klinkte sich in ihre Unterhaltung ein. Der Junge hatte kleine Stücke Ohagi im Gesicht kleben und kaute fröhlich auf noch mehr davon herum. „Willst du, dass ich dich herumführe?“

Megumi lachte über den Enthusiasmus des Jungen und nickte. Sie ließ sich von Raum zu Raum führen, vorbei an Mitgliedern der Oniwabanshu, die mit den verschiedensten Aufgaben beschäftigt waren. Der Fortschritt war wirklich ziemlich beeindruckend, wenn sie bedachte, was man ihr über das Ausmaß des Schadens erzählt hatte. Sie wusste nicht wie es vorher ausgesehen hatte, aber Yahiko hatte beharrt, dass alles von dem Riesen, Fuji, so ziemlich dem Erdboden gleich gemacht worden war. Sie hatte Schwierigkeiten sich jemand so großes vorzustellen und war bei Yahikos Beschreibungen erst skeptisch gewesen und hatte den Jungen verdächtigt, sich gewaltiger Übertreibung schuldig zu machen. Aber als die Beschreibungen der Mitglieder der Oniwabanshu mit denen des Jungen übereinstimmten, begann sie es zu glauben.

Sie setzte sich nach dem Rundgang hin und aß selbst etwas zu Mittag. Saes Kochkünste waren wirklich phänomenal, was keine Überraschung war, wenn man das Talent ihrer Zwillingsschwester in Tokyo bedachte. Nach ihrer Mahlzeit ruhte sich Megumi zufrieden aus, genoss das warme Gefühl von Freunden umgeben zu sein, das befriedigende Gefühl an einem warmen Sommertag einen vollen Bauch von gutem Essen zu haben.

Schließlich musste sie jedoch aufstehen. So sehr sie für immer bleiben wollte, sie hatte zu tun. Sie entschied sich zum Shirobeko zurück zu laufen, anstatt auf die Rückkehr des Polizisten zu warten. Es war ein zu schöner Tag um in einer geschlossenen Kutsche zu sitzen. Sie wollte das Gefühl von Sonne in den Haaren.

„Ich komme mit dir“, bot Sanosuke an als sie ankündigte nun zurück gehen zu wollen. Yahiko machte ein paar abfällige Kommentare darüber, dass sich der Hahnenkopf vor seinen Verpflichtungen drücken wolle, aber Sanosuke ignorierte den Spott des Jungen und sagte, dass Megumi ihm befohlen habe, sich auszuruhen. Das musste er wenn sich seine Hand jemals erholen sollte.

Megumi grinste. Ja, sie hatte etwas in der Richtung gesagt, das musste sie zugeben, aber sie vermutete, dass Yahiko Recht hatte. Der große Idiot wollte wahrscheinlich nur eine Pause von der Arbeit.

Sie erlaubte ihm in dieser unbekannten Stadt voranzugehen, in dem Vertrauen – in der Hoffnung – dass er wusste wie sie zurück zu Sae fanden. Sie gingen eine ganze Weile schweigend, Sanosuke mit den Händen in den Taschen und Megumi damit beschäftigt, die Leute zu beobachten. So gingen sie immer, eine Gewohnheit, die sich in den Tagen entwickelt hatte, als Sanosuke Megumi und Dr. Gensais Enkelinnen vom Dojo nach Hause begleitet hatte. Es war ein Schweigen bei dem sie sich wohl fühlten, da beide die Gesellschaft des anderen auf diesen Spaziergängen weit mehr genossen, wenn sie nicht sprechen mussten und einander nicht auf die Nerven gingen oder beleidigten, indem sie das Falsche sagten.

„Hier gibt es eine Abkürzung“, sagte Sanosuke plötzlich und bog in eine Gasse, die verdächtig verlassen für so eine geschäftige Tageszeit aussah.

„Bist du sicher?“ fragte sie ungläubig. „Du schaffst es noch, dass wir uns wieder verlaufen.“

„Vertrau mir.“ Sein Grinsen war beinahe wild, was Megumi sehr nervös machte. Er legte ihr den gesunden Arm um die Schultern und Megumi wollte gerade über die zudringliche Geste protestieren, als er ihr ins Ohr flüsterte: „Jemand folgt uns. Auf den Dächern.“

Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Sie kämpfte gegen den Drang nach oben zu sehen an und spielte statt dessen Sanosukes Spielchen mit.

„Ohohoho“, kicherte sie laut und spielte die Flirtende. „Wirklich? Bist du sicher?“

„Völlig!“ sagte er mit falscher Heiterkeit. Megumis Blut kühlte bei dem Gedanken ab.

Jemand folgte ihnen. Wer? Anhänger von Shishio, schoss es ihr sofort durch den Sinn. Aber konnten sie sicher sein? Vielleicht war es nur ein gewöhnlicher Dieb oder Verbrecher. Oder vielleicht war es ein Mitglied der Oniwabanshu, das über sie wachte. Megumi hatte erhebliche Zweifel, dass es das letztere war. Wer auch immer es war, Sanosuke schien sich bedroht zu fühlen und so idiotisch er auch bei anderen Angelegenheiten sein konnte, so vertraute Megumi seinen Instinkten als Kämpfer bedingungslos.

Sie sah vorsichtig nach oben und unterdrückte ein lautes Einatmen als sie eine schwarz gekleidete Gestalt sah, die leiste über die Dächer wanderte. Er behielt seinen Kopf unten und war kaum zu sehen. Megumi bezweifelte, dass sie je etwas gemerkt hätte, wenn Sanosuke nichts gesagt hätte.

„Ohoho, und was machen wir jetzt?“ sagte sie und fuhr ihm durch die Haare.

Er täuschte einen Kuss auf ihre Wange vor und flüsterte: „Kommst du zurecht, wenn ich ihm folge? Ich bin mir ziemlich sicher, dass er allein ist.“

Sie nickte und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. „Sanosuke, ich kann mein Armband nicht finden!“ schmollte sie laut. „Ich muss es irgendwo fallen lassen haben. Können wir zurückgehen und es suchen?“

„Du machst wohl Witze“, sagte er mit beeindruckender Gereiztheit. „Meinst du das im Ernst? Ach verdammt, warte hier.“

Sanosuke drückte etwas in Megumis Hand und wandte sich um, als suche er nach dem verlorenen Schmuckstück. Er duckte sich unter das Vordach eines Ladens in der Nähe, was ihn für wen auch immer dort oben unsichtbar machte. Er bewegte sich auf einen Stapel Strohkörbe zu und dann war er auf dem Weg nach oben, indem er mit einer Hand an dem Stapel zum Dach kletterte und die Verfolgung aufnahm so schnell er es mit einem verletzten Arm konnte.

Megumi sah auf ihre Hand herab und schnappte nach Luft als sie sah, dass das Objekt, das er ihr zugesteckt hatte, eine kleine Klinge war. Seit wann trug Sanosuke Sagara versteckte Waffen mit sich herum? Es war nicht die Art dieses Mannes so weit sie wusste.

Sie sah zu den Dächern hoch, hörte das Geräusch von Schritten, konnte aber nicht sagen woher sie kamen. Sie fühlte sich schrecklich ungeschützt und konnte nichts sehen. Sie hörte einen verblüfften Schrei, dann etwas, das wie ein Handgemenge klang. Sanosuke musste den Mann eingeholt haben. Sie hoffte, dass er einhändig gut genug kämpfen konnte.

Dann fielen die zwei Männer plötzlich ohne Vorwarnung in einem Durcheinander von Körpern von dem Sims hinter ihr herunter. Megumi schrie gegen ihren Willen auf und sprang zur Seite um nicht zerquetscht zu werden. Sie landeten mit einem dumpfen Knall. Sanosuke schnappte nach Luft und drückte seine rechte Hand an sich. Der andere Mann, dem die Schwäche seines Feindes klar wurde, grinste plötzlich und trat dem jüngeren Mann gegen die verletzte Hand. Sanosuke schrie auf und brach zusammen.

Der Mann in schwarz bewegte sich schnell, viel zu schnell. Megumi hatte kaum Zeit sich klar zu werden was geschah, als sie sich plötzlich als Geisel des Mannes wiederfand. Sein Arm lag um ihren Hals und eine Messerspitze drückte gegen ihre Kehle.

„Bleib zurück“, zischte er und Sanosuke, der wieder auf die Füße gekommen war, blieb abrupt stehen. Der Mann wich vor dem Straßenkämpfer zurück und zerrte Megumi mit sich. Sanosuke sah schweigend zu und seine Augen brannten vor Zorn über seine Unfähigkeit etwas zu tun, wenn er nicht wollte, dass der Mann ihr etwas antat.

Megumis Herz raste wie wild als sie langsam die Klinge zog, die Sanosuke ihr gegeben hatte. Sanosukes Augen weiteten sich etwas, aber er ließ sich ansonsten nichts anmerken. Er hielt seine Augen auf den Mann gerichtet, um sicher zu sein, dass der Angreifer nicht nach unten sehen und entdecken würde, was Megumi vorhatte. Sie hob den Arm, machte sich bereit zu zu stoßen...

Und erstarrte in bitterer Verzweiflung, unfähig die Waffe zu benutzen.

Takani Megumi war eine Heilerin, keine Kämpferin. Sie würde – sie konnte – keine Klinge benutzen um einem anderen zu schaden. Nur einmal in ihrem Leben hatte sie je eine Waffe erhoben um anzugreifen und dieses eine Mal war unter extremen Bedingungen gewesen zu einer Zeit, als sie nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte. Aber man war ihr damals zuvorgekommen bevor sie handeln konnte und als sie später die Situation in ihren Gedanken wieder und wieder durchspielte, wusste sie nicht ob sie ihr Opfer wirklich getötet hätte, wenn nicht Hannya von der Oniwabanshu dort gewesen und sie aufgehalten hätte.

„Megumi!“ sagte Sanosuke drängend. Sie wusste, dass er sie bat es zu benutzen, den Mann abzulenken und ihm hoffentlich die Möglichkeit zum Angriff zu geben. Aber sie konnte es nicht tun. Sie konnte um nichts in der Welt den Arm bewegen.

Etwas verschwommen Grünes, das sie nur aus dem Augenwinkel gesehen hatte, flog plötzlich in ihr Sichtfeld.

„Was zum--“ Der Mann, der sie festhielt, würde den Satz nie beenden.

Megumi kniff die Augen fest zu, duckte sich instinktiv als etwas hinter ihr zerschmettert wurde und spürte wie sich der Griff ihres Angreifers lockerte. Die Welt schien fast zum Stillstand zu kommen während sie fühlte wie das Messer schrecklich langsam an ihrem Hals herunterglitt und der Mann hinter ihr zusammensank und zu Boden fiel.

Sie spürte wie sie auf die Knie fiel und wankte. Der Boden schien auf sie zu zu kommen, als ein starker Arm sie aufrecht zog und ihr half zu stehen, während sie sanft von dem Angreifer fortgeführt wurde. Sie sah zurück und erkannte die Überreste einer zerbrochenen Vase, die dem Mann anscheinend ins Gesicht geschlagen war. Er lag reglos da und Blut strömte aus einer großen Platzwunde an seiner Stirn. Seine Augen waren offen. Der Aufprall musste beeindruckend gewesen sein, dachte sie abwesend, dass er an so einer scheinbar unbedeutenden Wunde gestorben war.

„Megumi. Megumi!“ Die Stimme schien aus großer Entfernung zu ihr durchzudringen. Sie spürte wie sie jemand schüttelte, aber die Bewegung war träge, als befände sie sich unter Wasser. Sie blinzelte und schaffte es endlich ihre Augen von dem entsetzlichen Anblick des toten Mannes zu ihren Füßen loszureißen. Sie blickte auf in ein Paar eindringliche braune Augen voller Sorge. Wegen ihr, erkannte sie. Sie machten sich wegen ihr Sorgen.

„Megumi! Sieh mich an!“

„Ich bin in Ordnung“, schaffte sie schließlich zu sagen, als sich die Welt wieder mit der gewohnten Geschwindigkeit bewegte und das seltsame Gefühl des Schwebens verblasste zu einem dumpfen Schmerz. „Lass mich los, Sanosuke, du tust mir weh.“

Der eiserne Griff löste sich sofort und der Straßenkämpfer wich mit einer hastig gemurmelten Entschuldigung zurück. Megumi tastete mit der Hand über ihren Hals und war erleichtert, dass die Wunde nur oberflächlich war. Es blutete mehr als ihr recht war, aber wer war sie sich darüber zu beklagen? Sie war aus der Situation in einem Stück und relativ unversehrt hervorgegangen.

„Bastard! Verdammter Mistkerl!“ schrie Sanosuke.

Ihre betäubten Gedanken brauchten einen Moment um zu erkennen, dass die Worte nicht an sie gerichtet waren. Sie folgte seinem Blick und wandte sich um als Hiko Seijuro gemächlich auf sie zugeschlendert kam, als mache er gerade einen Spaziergang an einem schönen Sonntag morgen.

Hiko betrachtete Sanosuke für einen langen Moment, bevor er sich entschied, dass der junge Mann den Ärger nicht wert war. „Gern geschehen“, sagte er ironisch und ging an ihnen vorbei zu dem toten Mann.

„Du hättest sie umbringen können!“ Sanosukes gesunde Hand war zu einer Faust geballt. In ihm brodelte ein Zorn, der jeden Moment überkochen konnte.

„Ich habe meinen Wurf genau berechnet um sicherzugehen, dass er in die richtige Richtung fallen würde. Megumi-sensei hätte höchstens einen leichten Schnitt davongetragen. Sie war nie in irgendeiner Gefahr. Das hätte ich nicht erlaubt.“

Sanosuke schäumte beinahe über die Arroganz des Mannes.

Hiko kniete sich nieder und hob die Scherben der kaputten Vase auf. „Eine Schande“, sagte er nur. „Ich habe Stunden an diesem Ding gearbeitet.“

„Oh du--“

Hiko sah Sanosuke an und runzelte die Stirn.

„Vergesst es, ihr zwei. Es ist erledigt“, schaltete sich Megumi ein, bevor die Dinge hässlich werden konnten. „Hiko-san, vielen Dank, dass Sie mein Leben gerettet haben. Sanosuke, bitte, es geht mir gut.“

Sanosuke sah den hochgewachsenen Schwertkämpfer mit zusammengekniffenen Augen an, schwieg aber.

„Was macht ihr zwei in diesem Teil der Stadt?“ fragte Hiko mit einem Hauch Neugier.

„Was meinen Sie damit? Wir sind auf dem Weg ins Shirobeko“, sagte Megumi.

Hiko lächelte selbstzufrieden. „Mit dem Weg könnt ihr auch ganz von vorn anfangen. Ihr seid nicht einmal in der Nähe.“

„Hä?“ fragte Sanosuke misstrauisch.

„Ihr habt es nicht sehr weit geschafft. Ihr seid noch in der Nähe des Aoiya. Es ist gleich diese Straße hinunter“, sagte Hiko.

Megumi warf Sanosuke einen vernichtenden Blick zu. Sie hatte gehört, dass er einen schlechten Orientierungssinn hatte, aber wirklich...

„Ich war auf dem Weg dorthin, um ein Geschenk abzugeben“, fuhr Hiko fort. Er blickte auf die Scherbe in seiner Hand. „Das hat sich wohl erledigt.“ Er stupste die Leiche mit einem Zeh an. „Also. Wer ist das?“

„Ein Anhänger von Makoto Shishio, würde ich vermuten“, sagte Megumi. „Ich schätze Ihre Hilfe wirklich sehr, Hiko-san, aber ich wünschte Sie hätten ihn nicht getötet. Es wäre gut gewesen ihn ausfragen zu können.“ Megumis Denken war nun ganz analytisch, ein Abwehrmechanismus gegen die nagende Hysterie, die sie zu überwältigen drohte. Sie wäre beinahe umgekommen. Sie hatte ein Messer an der Kehle gehabt...

Bei diesen Worten hoben sich Hikos Augenbrauen. „Wenn uns Shishios Anhänger nachspionieren, dann wissen sie vielleicht jetzt schon vom Shirobeko.“

Ken-san, dachte Megumi mit plötzlicher Angst.

Sie wusste, dass Sanosuke das selbe dachte, denn der junge Mann verlor plötzlich alle Anzeichen von Feindseligkeit gegenüber Hiko. Zu besorgt war er, als dass er sich mit kleinlichen Streitereien aufhalten wollte.“Aber wenn sie es jetzt noch nicht wissen, werden sie es bald herausfinden. Alles was sie tun müssten, wäre einem von uns vom Aoiya zurück zu folgen“, sagte er. „Wir müssen die anderen warnen!“

„Bring Megumi-sensei zurück zum Shirobeko“, sagte Hiko ruhig. „Und ich werden eure Freunde warnen gehen.“

„Nein. Nein, ich kann nicht gut genug kämpfen“, sagte Sanosuke und sah düster auf seine ruinierte Hand herab. „Ich wäre keine große Hilfe, wenn wir noch einmal angegriffen werden würden. Du bringst Megumi zurück und ich gehe und warne die anderen.“

Megumi sah, dass es ihn schmerzte seine Schwäche zuzugeben, aber entgegen allem Anschein war Sanosuke kein Narr. Und verblüffender Weise konnte er zur Abwechslung seinen Stolz herunterschlucken, da es um die Sicherheit seiner Freunde ging. Megumi konnte die Veränderung in ihm kaum glauben. Der Sanosuke, den sie kannte, hätte es nie geschafft eine Schwäche zuzugeben und zuzustimmen, dass Hiko sie zurückbrachte. Etwas war während seiner Zeit hier in Kyoto mit ihm geschehen. Megumi versprach sich selbst, dass sie herausfinden würde, was die Veränderung hervorgerufen hatte, wenn es die Zeit erlaubte.

Sie lächelte ihm aufmunternd zu. „Dann geh, Sanosuke, beeil dich. Von jetzt an werden wir alle einen Umweg machen müssen, wenn wir vom Aoiya zurückgehen.“

Er sah sie unsicher an.

„Es geht mir gut, Blödmann“, versicherte sie ihm. „Jetzt geh.“

Mit einem fast entschuldigenden Nicken wandte er sich zum Gehen und lief schnell los.

„Und sei vorsichtig!“ rief sie ihm nach.

Er winkte kurz, sah aber nicht zurück.

Megumi holte tief Luft. „Nun“, sagte sie zu Hiko. „Ich nehme an, wir sollten besser gehen.“

Er nickte düster, dann nahm er sie bei der Hand und führte sie durch einen Irrgarten unbekannter Straßen. Ihr Weg war für Megumi nur verschwommen, da ihre Gedanken durcheinander wirbelten, wenn sie versuchte darüber nachzudenken, wozu das was gerade passiert war, führen mochte. Sie ließ sich führen, ohne allzu sehr auf ihre Umgebung zu achten. Sie konzentrierte sich nur darauf so schnell sie konnte einen Fuß vor den anderen zu setzen, um Hiko nicht zu sehr zu behindern. Bevor sie sich dessen bewusst wurde, nahm die Umgebung vertraute Gestalt an und sie sah auf und erkannte die Stände und Fronten des Marktplatzes in der Nähe des Shirobeko. Sie hatten den Weg zum Restaurant ohne Schwierigkeiten hinter sich gebracht.

Im Shirobeko schien alles gut zu sein, bemerkte Megumi erleichtert. Sie hatte halb erwartet bei ihrer Ankunft das Gebäude in Ruinen, brennend oder auf grausige Weise zerstört zu sehen.

„Wo ist Okina-san?“ fragte Megumi Sae als die zierliche Eigentümerin ihnen die Tür öffnete und ihr Lächeln zu Besorgnis wurde, als sie Megumis und Hikos Gesichter sah. „Wir müssen sofort mit ihm sprechen.“

Der alte Agent der Oniwabanshu tauchte einen Augenblick später auf und die Falten seines Gesichts vertieften sich vor Sorge als Megumi erzählte was an diesem Tag geschehen war. Die drei diskutierten kurz über die Angelegenheit, bevor Okina mehrere von Saes Angestellten mit geheimen Aufgaben losschickte, über die Megumi nur rätseln konnte. Die Oniwabanshu hatte Kontakte in der ganzen Stadt. Ihr Informationsnetzwerk war groß und Megumi war sich sicher, dass wenn jemand Antworten finden konnte, es Okinas Leute wären und sie es schnell und effizient schaffen würden. Okina hatte auch einige Boten zur Polizeistation geschickt. Hoffentlich konnten sie einige Polizisten entbehren, um am Shirobeko Wache zu stehen.

Hiko ging ebenfalls und sagte nur, dass er eigene Fragen habe, auf die er eine Antwort suche. Megumi hatte gehofft, dass der Krieger für eine Weile im Shirobeko bleiben würde. Seine Gegenwart ließ sie sich sicher fühlen. Aber er hatte ihr versichert, dass er in der Gegend bleiben würde und dass er kommen würde, wenn es Ärger gäbe.

Und so, als sie zurückgelassen wurde, während die anderen alle ihren Aufgaben nachgingen, entschied sich Megumi, dass sie am besten helfen konnte, wenn sie sich frisch machte und sich um Ken-san kümmerte. Sie nahm ein dringend nötiges Bad und zog einen sauberen Kimono an, einen der wundervoll frei von Blut und Schmutz war. Dann trabte sie leise in das Krankenzimmer, wo der Rurouni ruhig schlief, ohne sich der Spannung und des kontrollierten Chaos um ihn herum bewusst zu sein. Leute waren unterwegs, jagten nach Informationen, bereiteten sich auf einen möglichen Angriff auf das Shirobeko vor... und Kenshin schlief friedlich weiter, ohne es zu merken.

Es war ihr einziger Trost, dachte Megumi, als sie sich zu dem kleinen Schwertkämpfer setzte. Ken-san brauchte von all dem nichts zu wissen. Er hatte schon zu viel von sich gegeben. Es war nur gerecht, dass ihm jede Sorge erspart blieb, dass die anderen zur Abwechslung ihm halfen.

Sie bemerkte mit distanziertem Interesse, dass ihre Hände angefangen hatten zu zittern. Wie seltsam, wenn man bedachte, dass es ihr völlig gut ging. Die Gefahr war lange vorbei, die Bedrohung für ihr Leben vorüber. Sie hatte heute dem Tod ins Angesicht gesehen und war mit nur einem kleinen Kratzer entkommen. Das war nichts, wirklich, im Vergleich mit dem, dem ihre tapferen Freunde wieder und wieder gegenüberstanden.

Sie war sicher und gesund. Und sie hatte genug zu tun. Sie sollte Ken-sans Bandagen wechseln. Und ihm einen frischen Tee kochen. Und ein paar neue Bandagen zurechtschneiden. Und verdammt, aber ihre feigen Hände wollten nicht aufhören zu zittern.

Sie hatte hundert kleine Aufgaben, mit denen sie sich beschäftigen sollte. Statt dessen fing sie an zu weinen. Nicht jetzt, schimpfte ihr Verstand. Bitte, nicht jetzt! Aber ihr Körper weigerte sich ihr zu gehorchen und die Tränen begannen unkontrolliert zu fließen.

Takani Megumi rollte sich neben Ken-san auf dem Fußboden zusammen und ihr Körper wurde von lautlosen Schluchzern geschüttelt, als sie das Gesicht in den Händen vergrub und sich leise in den Schlaf weinte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  MajinMina
2008-07-12T21:12:15+00:00 12.07.2008 23:12
uii, ein lebenszeichen und update ^^ da freu ich mich , endlich mal wieder was neues zu lesen! ich hab nämlich extra wegen deiner Übersetzung die Geeschichte nicht in englisch gelesen *g*
sehr schön auch dieses Mal wieder geschrieben. vor allem der Schluss mit Megumis Zitternden Händen im Gegensatz zu dem Anfang des Kapitels hat mir gefallen. Wie schnell doch alle Sicherheit wieder zusammen brechen kann...
ich hoffe auf ein baldige update ^^


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