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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 20
 

>Mein liebster Seth,

bitte verzeih meinen plötzlichen Aufbruch. Der Palast ruft, das Reich befindet sich in einer schweren Zeit und ich kann es nicht verantworten, hier noch länger einen persönlichen Zwischenstop zu machen. Wir sind in der Früh aufgebrochen, um noch möglichst viel Weg heute zu schaffen.

Es tut mir leid, dass ich mich nicht persönlich von dir verabschiede. Doch das tue ich nun und was ich zu schreiben habe, fließt nicht leicht aus meiner Feder hervor.

Hiermit ziehe ich mein Angebot zurück. Ich will dich nicht als Priester an meiner Seite. Es wäre uns beiden nicht zuträglich. Unsere Schicksale sind mittlerweile zu eng miteinander verknüpft, als dass wir länger nebeneinander leben könnten.

Ich bitte dich, mein Seth, sieh das hier nicht als persönliche Ablehnung, sondern als eine Entscheidung, die ich getroffen habe. Würdest du mich begleiten, so würdest du alles verlassen müssen, was dir etwas bedeutet, was du dir aufgebaut hast. Deine Verlobte ist sicher eine wundervolle junge Frau, wenn sie es schafft, dein Herz höher schlagen zu lassen. Du solltest bei ihr, ihr und eurer Liebe treu bleiben. Und auch den Tempel sollst du nicht meinetwegen verlassen. Du hast dort Freunde gefunden, alte wie junge Menschen umgeben sich gern mit dir. Einer der sieben Hohepriester sieht in dir seinen Schwiegersohn. Einen Sohn, an den er sein heiliges Erbe weitergeben, dem er seine Tochter schenken will. Und auch ich wünsche mir, dass du einen Sohn zeugst, an welchen du deine Liebe und dein Erbe geben kannst. Du sollst für mich nicht dein Leben aufgeben. Du hast sieben lange Jahre gebraucht, um dir etwas zu schaffen - bitte reiße das nicht ab, sondern erhalte es. Denn was du geschaffen hast, ist etwas Gutes, etwas Heiliges, etwas Schönes.

Aber nicht nur deswegen will ich dir ein Lebewohl sagen, sondern auch zum Schutz für uns beide. Bitte verbrenne diese Zeilen, wenn du sie gelesen hast, denn ich will nicht, dass sie in falsche Hände geraten. Deshalb habe ich auch nur meinen treuen Faari auserkoren, sie dir zu geben, denn ich weiß, er wird sie weder lesen, noch einem anderen als dir aushändigen.

Mein Seth, hiermit will ich unser Geheimnis auf ewig begraben. Du hast dein Leben als mein Sklave selbst beendet und bist nun ein heiliger Mann. Und nichts auf der Welt macht mich so glücklich wie dein Lächeln, als du endlich die Schwelle übertreten und dich der Religion verschrieben hast. Als du deinen Wunsch, dem Vorbild deines Vaters zu folgen, wahrgemacht hast. Nichts in der Welt soll dir dies wieder nehmen.

Sollte man uns jedoch zu dicht beieinander sehen, so wird man irgendwann Fragen stellen, wenn wir uns nicht selbst verraten. Wenn uns jemand belauscht oder wir einen Moment unaufmerksam sind. Doch es ist noch etwas Weiteres, mein Seth.

Du bist nun selbst stark und bodenständig. Von der Mitgift deines Weibes wirst du dir eigenen Besitz aufbauen und dein Leben eigenständig bestreiten. Du benötigst nun nicht länger meinen Schutz oder die Geldsendungen aus dem Palast für deine Ausbildung. Ich denke, es ist der richtige Moment nun gekommen, dass sich unsere Wege voneinander trennen. Du brauchst mich nicht mehr, jetzt gibt es andere Dinge, welche für dich notwendig werden - und diese Dinge kann ich dir mit Gold und Juwelen nicht geben.

Doch will ich dir versichern, dass ich mit meinem Herzen aus der Ferne über dich wachen will. Solltest du auf deinem Lebensweg an eine Stelle kommen, wo dich zu große Steine am Weitergehen hindern, so werde ich sie für dich zerschlagen, wenn du nicht selbst Werkzeug hast, sie zu zertrümmern. Weißt du nicht weiter, bedroht dich jemand oder etwas, so sei dir gewiss, dass ich deinen Hilferuf erhören und dir Rettung schicken will.

Hiermit jedoch genug, mein Seth. Ich bitte dich, mir nicht länger zu schreiben. Tust du es doch, so werde ich deine Zeilen ungelesen vernichten. Ich werde dich nicht in meinem Palast empfangen und auch keinen Ort besuchen, an welchem du dich aufhältst. Die gestrige Nacht war eine der schönsten in meinem Leben, aber lass sie für uns ein Wiedersehen und ein Abschied zugleich sein. Es ist das Beste so für uns beide.

Unser Geheimnis wird niemals meine Lippen verlassen und die klare Farbe deiner Augen wird auf ewig in meinem Herzen fest verschlossen ruhen. Ich danke den gütigen Göttern, dass ich einem Mann wie dir begegnen durfte. Ich danke ihnen dafür, dass ich dir helfen konnte, aus deiner Gefangenschaft zu entsteigen. Dich wie der Amun in der Abenddämmerung in mein Boot zu setzen, mit dir deinen Weg durch die Unterwelt zu tun und dich beim ersten Morgenlicht wieder zu den Menschen zu entlassen. Ich habe es gern getan und niemals war mir ein Mensch so teuer wie du. Für mich warst du niemals ein Sklave, welcher nur der Befriedigung meiner Triebe dienen sollte. Mehr als ein Spielstein im Spiel der Politik. Für mich warst du vom ersten Moment an, der Traum eines Gottes. Ein Traum, der herabgestiegen ist, um hier geträumt zu werden.

Ich habe dich geträumt, doch jeder Traum hat ein Ende. Für mich ein leicht bitteres, für dich sicher ein süßes. Und dies versüßt auch mir den Abschied.

Du hast mich beeindruckt, Seth. Du bist wunderschön, stark und intelligent. Ich bin mir sicher, dass du nun auf eigenen Beinen weitergehen kannst. Geh deinen Weg und blicke nicht zurück. Erst wenn du eine Strecke getan hast, so wende dich um und betrachte mit Freude, was du geschafft hast. Und sei dir sicher, mein Herz wird dein unsichtbarer Begleiter sein bis zu dem Tage, an welchem wir uns im Himmelreich erneut begegnen.

Doch bis es so weit ist, wünsche ich dir aus vollster Kraft ein Leben. Ein Leben sicher mit Rückschlägen, mit Schmerz und Kampf. Aber auch ein Leben mit großen Erfolgen und mit einer noch größeren Liebe.

Für dich, dein Weib und für deine ungeborenen Kinder wünsche ich das Beste und ich bin mir dabei sicher, du wirst das Beste für euch erreichen. Mein Blick wird aus der Ferne auf dich gerichtet sein und schützend auf deiner Familie ruhen. Doch sehen werden wir uns nun niemals mehr.

Du bist aus deiner namenlosen Sklavenschuld entlassen und sollst nun als ein freier Mensch weitergehen. Als ein wundervoller, neuer, heiliger Mensch.

Lebe wohl, Seth Chuanch Amun Sanacht. Lebe wohl.

In ewig treuer Liebe, Atemu.<
 

Als Seth diese Zeilen las, war er wie versteinert.

Er atmete schwer ein, ließ die Schriftrolle langsam vor sich auf den Tisch gleiten und schaute mit ungläubigen Augen auf sie herab. Die Schrift kam ihm so bekannt vor, aber die Worte waren so anders.

So schmerzlich.

Sein König war aufgebrochen, ohne einen Abschied zu tun. Er hatte nicht mal seine Entscheidung abgewartet.

Was war denn nur passiert?

Er strich mit seichten Fingerspitzen über die fast noch feuchte Farbe auf dem frischen Papyrus, als wäre es nur eine flüchtige Erscheinung.

Er sagte ihm Lebewohl? Auf ewig?

Und nun?

Keine Briefe mehr? Nicht mehr das bange Warten auf ein Wiedersehen?

War hier denn wirklich alles zuende? Endete ihr gemeinsamer Weg hier?

Wobei ... wie kam er eigentlich auf den Gedanken, dass sie überhaupt einen gemeinsamen Weg hatten? Er hatte in all den Jahren nicht verstanden, warum ausgerechnet der heilige Pharao einem schmutzigen Lustsklaven wie ihm überhaupt ein menschliches Leben ermöglichte.

Warum hatte er das getan?

Die Antwort war ganz leicht: Weil der König ein gutes Herz hatte. Er wollte helfen, auch wenn er damit seine eigenen Gesetze brach. Er hatte die Macht, das Gesetz zu biegen in so einem Einzelfall. Der Pharao hatte es gut mit ihm gemeint, weil Seth ihm leid tat. Jedoch ... auf seine Fragen, weshalb er sich für ihn so in Gefahr brachte, warum er sein eigenes Gesetz brach und damit große Aufruhen in der Religion hätte aufkeimen lassen können, hatte er niemals geantwortet. Niemals hatte er eine Klage gehört, niemals eine Drohung oder die Forderung einer Gegenleistung. Nichts dergleichen. Seine Ausbildung war vom Palast gezahlt worden und seine Briefe waren all die Jahre wie ein unregelmäßiger Schluck lebenswichtigen Wassers.

Er hatte immer geglaubt, mit den Jahren wäre der König ihm ein Freund geworden.

Seine Briefe waren immer so herzlich, so einfühlsam und voller Verständnis. Er freute sich über jeden Erfolg, den sein Sklave zu berichten hatte und er machte ihm Mut, wenn er an manchen Tagen die Kraft verlor.

Und nun war mit der Priesterweihe alles geendet?

Ihre Freundschaft? Durfte er denn als Sklave mit ihm befreundet sein und als Priester nicht?

>Dann will ich kein Priester sein.<

Er fuhr sich durchs Haar und wusste mit diesen kryptischen Zeilen nichts anzufangen. Er verstand es einfach nicht. Er sah es, las es, aber er verstand es nicht.

Gestern Nacht noch bestand der Pharao darauf, dass er mit ihm ging. Er versprach, ihm Bedenkzeit zu geben und nun so plötzlich war er fort.

>Er weist mich von sich.<

Den Grund für das Gefühl in seinem Halse verstand er ebenso wenig. Als hätte er einen Stein voller Ecken und Kanten verschluckt, es drückte in seinen Augen und ließ seine Lippen beben. Er sah nur noch verschwommen durch seine Augen und fühlte sich schlechter, als jemals zuvor. Keine Qual als Sklave war so schlimm, wie den Pharao loszulassen, ohne noch ein letztes Mal zum Dank seine Hände zu küssen.

Seth hatte sich niemals richtig bei ihm bedankt. In seinen Briefen sicher, aber er wollte mehr für ihn tun. Der Pharao befand sich in einer schweren Lage. Die Nachbarländer drohten ihm mit Krieg und Ägypten wurde unruhig. Natürlich hatte er jetzt keine Zeit, sich um einen verschwiegenen Sklaven zu kümmern ... aber dieser Sklave war nun Priester und wollte ihm als solcher beistehen. Wollte an seiner Seite kämpfen und mit einem Lächeln selbst sein Leben für ihn lassen.

Für diesen gütigen, sanften und mutigen König.
 

Er hörte ein leises Poltern und schreckte er hoch.

Schnell sah er sich in seinem Raum um, doch nichts war zu sehen. Die Sonne glühte durch die geschlossenen, hellen Vorhänge an den großen Fenstern, der Wind wiegte sie leicht im Wind und kitzelte über die Schreibfeder auf seinem niedrigen Tisch. Sein Nachtlager hatte er bereits ordentlich hergerichtet und die dünne Decke glatt gezogen, die Kissen aufgeschüttelt. Die Schriftrollen im Regal lagen so wie sie gehörten und selbst der geflochtene Strohkranz von seiner Liebsten hing noch an der dunkelrot, zierlosen Wand.

Außer ihm war niemand hier ... er war einfach zu schreckhaft.

„Seth! Du bist ja doch hier!“

Ein junges Mädchen trat durch den hellen Vorhang, welcher als Türersatz diente. Sie trug ein langes, schlichtes Gewand in tempelüblichem Rot und ihr schwarzes Haar war wie jeden Tag zu einem geraden Zopf zusammengeflochten, hochgesteckt und betonte ihren langen, schmalen Hals. Ihre dunklen Augen leuchteten wie immer, wenn sie zu ihm kam, funkelten im Licht. Ihre dunkle Haut von der Sonne gefärbt, ihre Lippen mit etwas Öl zum Glänzen gebracht und der Lidstrich wohl der perfekteste, welchen man im ganzen Tempel zu finden wusste.

Er liebte sie. Seine Shinasa.

„Ja, warum?“ antwortete er etwas hin und her gerissen in diesem Augenblick.

Auf der einen Seite waren die Gedanken bei dem Rätsel des plötzlichen Aufbruchs. Auf der anderen Seite nahm sie ihn mit ihrem Lächeln sofort gefangen.

„Warum weiß ich auch nicht“ lächelte sie und setzte den schweren Krug auf den Boden, welchen sie gekonnt auf ihrer schmalen Schulter gestützt hereingetragen hatte. „Sie suchen dich unten. Du hast das Gebet verpasst und das an deinem ersten Tag als vollwertiger Priester.“ Sie stützte beide Hände spaßig mahnend in die Hüften und kräuselte ihr süßes Näschen, wie immer wenn sie ihn neckte. „Kaum hast du was geschafft, wirst du faul. Ich dachte, so was kommt bei euch Männern erst nach der Hochzeit.“

„Ja ... vielleicht“ murmelte er und senkte von ihm selbst unbewusst seinen Blick auf den Boden ... warum nur hatte der Pharao seine Entscheidung nicht abgewartet? Hatte er denn etwas falsch gemacht? Hatte er ihn beleidigt, etwas falsches gesagt, sich falsch verhalten? Hatte er dem König auch nur im Ansatz das Gefühl gegeben, er würde seine Arbeit als persönlicher Priester nicht gut machen? Vielleicht war er zu vertraut mit ihm umgegangen. Er hatte über ihn gelächelt, ihm Dinge zu gesäuselt ... hatte er ihn falsch behandelt? Mit zu wenig Respekt? Immerhin war er der Pharao dieses Reiches! Vielleicht war sein König auch nicht mit seiner Lebensplanung einverstanden ... er hatte so merkwürdig reagiert, als er von seiner Verlobung erzählte ... wollte er vielleicht nicht, dass er die Tochter des Hohepriesters bekam? War er nicht gut genug für dieses hochgeborene Mädchen? War es seine Sünde in des Königs Augen, wenn ein Sklave ein Mädchen mit hohem Stand ehelichte?

Wenn ja, weshalb stand es dann anders in diesem Brief?

Warum war er so plötzlich aufgebrochen?

Ohne ein persönliches Wort!

„Ist alles in Ordnung mit dir?“ Diese liebliche Stimme klang an sein Ohr und als er aufblickte, ließ sie sich eben neben ihm nieder. Sie umfasste seinen Arm mit ihren beiden viel zierlicheren und bettete ihren Kopf an seiner Schulter. „Sonst windest du dich immer so elegant aus meinem Tadel heraus, aber nun schaust du so besorgt drein. Liegt dir etwas auf der Seele, mein Lieber?“

„Entschuldige ... ich weiß auch nicht, was ...“

„Schmerzt dich deine Wunde?“ Vorsichtig befühlte sie den Rand des festen Verbandes über seiner Schulter und blickte die leichte Wölbung unter seinem Priestergewand besorgt an. „Soll ich dir noch etwas Salbe drauftun? Sicher wird es besser dadurch. Sie wird die Stelle etwas kühlen.“

„Nein, es geht schon.“ Es war nicht die Wunde, welche ihn schmerzte.

Es schmerzte ihn die Frage, was er falsch gemacht hatte, dass sich sein Pharao von ihm abwand. Er kündigte ihm nicht die Freundschaft und doch wollte er ihn nicht wiedersehen ... warum nur?

„Mit dem Zeichen von Hathor wäre das nicht passiert.“ Sie nahm noch mal einen zweiten Anlauf, ihn aus der Reserve zu locken. So eine kleine Stichelei war meist der Anfang eines zärtlichen Kusses. Erst ein bisschen Necken und sich dann wieder vertragen - so ging ihr verliebtes Spielchen jeden Tag seit sie sich ihre Liebe gestanden hatten.

Aber egal, wie lange sie ihn anblickte, er war mit den Gedanken ganz weit fort. Seine Augen gingen ins Leere und er starrte nur seine Hände an, als würde dort etwas liegen, was er nicht kannte.

„Schatz, was ist denn?“ Sie strich ihm das fallende Haar aus der Stirn und legte ihm ihre weiche Hand auf die Wange. Sie versuchte einen Blick zu erhaschen, aber es war, als würde er sie gar nicht hören. So tief Gedanken war er lange nicht gewesen.

Ihr Blick fiel auf die einzige Schriftrolle, welche hier auf dem Tisch lag. Es war eindeutig Papyrus aus diesem Tempel, das sah man an dem gezackten Rand, aber die Schrift darauf, war ihr fremd. So ungewöhnlich geschwungen, etwas schräg, aber doch vom Bild her so zierlich und klar - wer hatte eine so wundervolle Schrift? Und der ganze Platz war voll, also konnte es keine Gebetsschrift sein.

„Was ist das?“ Als sie nach der Rolle greifen wollte, erwachte er mit einem Ruck aus seiner Starre und riss die Schrift an sich, bevor sie überhaupt richtig danach gegriffen hatte.

„Nichts!“ Sie durfte er nicht lesen! Niemals! Sie durfte niemals erfahren, dass er eigentlich ein Sklave für sexuelle Dienste war. Dass er eigentlich niemals hätte in die Religion eintreten dürfen. Niemals durfte sie es erfahren! Es würde ihr Weltbild zerstören! Und ihn gleich mit, denn wenn sie ihn nicht mehr liebte ... ja, was wäre dann?

„Ist ja gut ...“ Sie hob verwirrt die Arme, zeigte ihre leeren Hände und schaute ihn möglichst beruhigend an. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Hab ich dich beim Meditieren gestört? Wenn ja, tut’s mir leid.“

„Ja ... so was ähnliches ...“

„Ich weiß ja, dass du etwas ungemütlich wirst, wenn man dich in der Ruhephase ertappt“ lächelte sie beschwichtigend und nahm auch langsam die Arme wieder herunter, legte ihre Hände auf sein Knie und blickte ihm verliebt in die strahlend blauen Augen. „Ich habe mir nur etwas Sorgen gemacht, als Vater mir erzählte, du seiest nicht beim Gebet gewesen. Du bist doch sonst so pflichtgetreu.“

„Ich wollte eigentlich kommen“ gab er zu und ließ seinen allzu festen Griff um die Schriftrolle ein wenig lockerer werden, als er ebendiese resignierend anblickte. „Nur als ich gerade auf dem Weg war, sprach mich der Diener des Pharao an und gab mir diese vertrauliche Nachricht. Ich hab sie gelesen und muss darüber die Zeit vergessen haben.“

„Eine vertrauliche Nachricht vom Pharao?“ fragte sie doch etwas neugierig nach und so langsam gewann dieses Schriftstück noch viel eher an Interesse. „Geht es darum, dass du sein Angebot abgelehnt hast?“

„Ja ... nein ... nicht wirklich.“ Ja, er hatte das Angebot ablehnen wollen. Er wollte hier bleiben. Bei seiner zukünftigen Frau. Bei den Priestern in diesem Tempel. Bei seinen Freunden und seinem neuen Leben. Doch nun, wo der Pharao so plötzlich fort war ... so ganz hinaus aus seinem Leben ... für immer und ewig ... da fehlte etwas.

Die Briefe des Pharaos waren ihm ebenso ein liebendes Heim, wie es diese dunkelroten Mauern waren, wie es die Arme seiner Verlobten waren, wie es die Worte des alten Hohepriesters waren.

Ohne seinen König ... war es, als würde etwas fehlen.

Er hatte sich das anders vorgestellt. Hatte gedacht, er könne noch ein wenig im Tempel bleiben, heiraten und zwischendurch die Hoheit seinen Freund nennen dürfen. Er würde ihn zur Taufe seiner Kinder bitten, ihn auf Festen zu einem Kelch Wein einladen und ihm regelmäßig schreiben, um den Kontakt nicht zu verlieren.

Er wollte diesen Kontakt nicht deswegen, weil Atemu der König dieses Landes war ...

... er wollte Kontakt und Freundschaft halten, weil er ihm das Leben rettete. Als Seth sein Leben selbst aufgegeben hatte, als es wertlos und schmutzig war, da wurde ihm eine neue Möglichkeit gezeigt. Unter dem Schutze des Amun entstieg er der Unterwelt und kam ins Licht zurück.

Er wollte Atemu nicht verlieren, weil er der einzige war, der wirklich alles über ihn wusste und ihn doch als Menschen ansah.

Er wollte ihn, weil er Atemu war.
 

„Was steht denn nun in der Rolle?“ hakte sie noch mal neugierig ein und schüttelte ihn spaßig an seinem kräftigen Oberarm. „Sag es mir oder ich klaue dir die Trauben vom Teller.“

„Was für ein Teller?“

„Ach, Seth! Du bist manchmal so humorlos!“ lachte sie und haute ihn spaßig auf den Oberarm. „Hey, was ist denn los mit dir? Heute Morgen warst du noch nicht so merkwürdig gestimmt.“

„Heute Morgen ist ja auch vergangen“ erwiderte er nachdenklich und schenkte ihr dann einen Blick, der ihr sofort sagte, dass ihm jetzt nicht nach Scherzen und Lachen zumute war. Für gewöhnlich verlebte er ihre gemeinsame Zeit gern ein wenig humorvoll, aber ... nicht mit diesen niedergeschriebenen Zeilen, welche wie unsichtbar in der Luft hingen.

„Was ist denn nur?“ Sie setzte sich nun ganz ruhig und gesittet auf ihr Kissen, die Füße nach hinten und ihm direkt gegenüber. Sie stützte sich auf seinen Knien ab und schaute besorgt an ihm hinauf. Er war so verändert, ihr Liebster.

„Sag mal, Shinasa, hast du eigentlich jemandem von meiner Entscheidung erzählt?“

„Natürlich nicht“ antwortete sie ihm ehrlich und doch immer besorgter. Was war nur los mit ihm, dass er sie so merkwürdig ansah? „Ich hätte es natürlich zu gerne getan. Dass du dich für uns und gegen den Pharao entscheidest ... natürlich hätte ich es am liebsten sofort jedem erzählt! Aber du wolltest doch erst mit dem König allein sprechen.“

„Ja, das hat sich ja nun erledigt“ gestand er ihr und ganz langsam wich der Ausdruck aus seinen Augen. Sie hörten auf zu strahlen, wirkten leer und kalt. Als würde ihm irgendein böser Geist das Leben aussaugen.

„Seth, ich glaube, du wirst krank.“ Und sie konnte es sich nicht erklären. Sie legte ihm behutsam ihre Hände an die Wangen und ihr Blick wurde so lieb und fürsorglich er nur konnte. „Ich weiß ja, dass du immer viel auf die Politik des Pharaos gehalten hast. Und vielleicht war es auch dein geheimer Wunsch, ihm eines Tages in den Palast zu folgen. Aber es ist doch noch nichts zu spät. Wir haben doch gesagt, dass wir auch in ein paar Jahren noch gehen können. Wenn wir verheiratet sind und einen Erben haben. Wenn du genug Erfahrungen gesammelt hast und dich reif fühlst, dann wollten wir zum Pharao gehen. Aber doch jetzt noch nicht.“

„Nein, jetzt nicht ... vielleicht niemals ... er ist fort ...“

„Natürlich ist er das. Was hält ihn denn auch hier?“ Wie sollte sie es auch verstehen? Sie wusste nicht um die innige Verbundenheit, welche ihren Verlobten mit dem König vereinte. Um sein Geheimnis. Sie wusste nicht, dass der junge Priester vor ihr, einst ein verstoßener Sklave war, bis der Amun ihn rettete.

Und bis zu diesem Moment wusste Seth selbst nicht, dass der König ihm so sehr fehlen konnte. Ohne seine Briefe ... wo war plötzlich das Ziel, für welches er arbeiten wollte? Er arbeitete nicht für sich selbst. Er arbeitete für den Pharao. Damit er stolz auf ihn war. Damit er sah, dass seine Rettung ein Akt der Menschlichkeit war und damit richtig. Damit er stark wurde und ihm eines Tages danken konnte.

Doch wie sollte er ihm danken, wenn er gemieden wurde?

„Sag mal, Shinasa“ sprach er leise, fast zu leise. „Wie eilig hast du es eigentlich mit der Hochzeit?“

Erst mal sagte sie gar nichts.

Sie rückte ein Stück zurück und betrachtete sein Gesicht mit fragender Besorgnis.

Er sah so emotionslos aus. So anders. Nicht böse, nicht ablehnend, aber doch irgendwie ... so ... unentschlossen.

„Wie eilig ich es habe?“ wiederholte sie in einer skeptischer Tonlage. „Seth, WIR hatten es eilig. Du hast doch bei Vater um meine Hand ersucht und er hat mich dir versprochen. Noch heute Morgen hast du von Kindern geträumt und nun fragst du, ob ich es eilig habe?“

„Ja, ich ...“ Wie sollte er das nur erklären, wenn er es doch selbst nicht verstand? Sein ganzes Leben stand von einem Moment auf den anderen völlig Kopf. Mit nur einem einzigen Brief, begann er, alles in Frage zu stellen.

Lag hier im Tempel wirklich das, was er wollte?

Atemu war gegangen, um Platz zu machen für Frau und Familie.

Der Pharao hatte seine Entscheidung gefällt.

Der Pharao hatte damit einen leeren Platz in seinem Herzen zurückgelassen.

Konnte dieser Platz einfach so von etwas anderem eingenommen werden?

Gab es irgendetwas, irgendjemanden in diesem Reiche, was diesen Platz zu füllen vermochte?

Und Seth?

Was war ihm wichtiger?

Die Liebe zu seiner zukünftigen Frau?

Oder die Dankbarkeit gegenüber seinem König?

„Willst du mich jetzt etwa nicht mehr heiraten? Seth? Habe ich etwas falsch gemacht? Oder bereust du deine Entscheidung, dem König abgesagt zu haben?“

„Nein ... ich liebe dich sehr ... Shinasa“ antwortete er ihr, doch er konnte nicht umhin, selbst einen traurigen Ton in seiner Stimme zu entdecken. „Ich kann es dir nicht erklären, aber ich zweifle gerade an mir selbst. Nicht an uns, aber ... ich fühle, dass dort etwas ist, was ich so nicht akzeptieren kann.“

„Hat es etwas mit dem Pharao zu tun? Mit dem Gespräch, welches ihr letzte Nacht geführt habt?“ Ganz dumm war sie ja nun auch nicht - auch wenn sie nicht vollkommen auf der sicheren Fährte war, so hatte sie doch Lunte gerochen. Deshalb sprach Seth niemals über seine Vergangenheit. Die Gefahr, dass man ihn entlarvte, war einfach zu hoch.

„So halb und halb“ wand er sich aussagelos aus ihrer Frage heraus. „Shinasa, ich ... ich bin mir nicht sicher, was ich will. Ich liebe dich sehr und ich will dich auch heiraten, aber ...“

„Aber?“ So langsam bekam sie ein mulmiges Gefühl im Magen. Ein Aber in Bezug auf Hochzeitsplanung war immer eine böse Sache ...

„Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich auf diese Weise will“ versuchte er zu erklären. „Vielleicht habe ich einen falschen Weg eingeschlagen. Es gibt etwas, worauf ich nicht verzichten kann und ... ich wusste nicht mal, dass es das gibt. Doch nun, wo es fort ist, da merke ich, dass es mir wichtiger war als alles andere es jemals hätte sein können.“

„Du sprichst in Rätseln, Liebster“ bat sie und sah ihn verwirrt aus ihren dunklen Augen an. Sie versuchte ja, ihn zu verstehen! Sie versuchte es wirklich! Aber er drückte sich so kryptisch aus, dass sie zwar die Worte hörte, aber nicht verstand.

„Shinasa, ich ... ich will dem Pharao folgen.“

„Du willst ...?“ Hatte sie das jetzt richtig verstanden? So wankelmütig war er doch sonst niemals. „Du willst sein Angebot jetzt doch annehmen? Und was ist mit uns? Mit unserer Planung? Du weißt, dass ich von hier nicht fort möchte. Vielleicht in ein paar Jahren, aber jetzt noch nicht.“

„Aber ich muss es JETZT tun“ betonte er. „Weit kann der König noch nicht gekommen sein. Ich könnte ihn noch einholen.“

„Seth, aber ich bin doch mit meiner Ausbildung noch nicht fertig. Wir hatten doch beschlossen, dass wir erst gehen, wenn wir verheiratet sind. Du weißt, dass ich dir überall hin folge, aber jetzt noch nicht.“

„Ich sprach auch ... nur von mir alleine.“

Allein dieser Satz schoss ihr wie ein Blitz ins Mark.

Er sprach nur von sich alleine? Er wollte dem Pharao folgen ... ohne sie?

„Und was wird aus unserer Verlobung? Seth, wir lieben uns doch!“

„Bitte, Shinasa! Bitte!“ Er ließ die Schriftrolle fallen und griff nach ihren ringenden Händen. Er tat ihr gerade sehr weh, das wusste er. Aber der Schmerz in ihm zerfraß ihn ... ohne den Pharao. Er wusste, dass Shinasa ihm jetzt noch nicht folgen würde. Aber wenn er dem König jetzt nicht folgte, würde er ihn vielleicht niemals wieder sehen. Er würde seine Briefe nicht lesen und auch keine Orte besuchen, an denen er sich aufhielt. Wenn er ihn jetzt ziehen ließ, bedeutete das das Ende der tiefsten Freundschaft. Und diese Freundschaft lag viel tiefer, viel ergebener als die Liebe zu seiner Zukünftigen.

„Du willst mich verlassen?“ Sie verstand es nicht. Sie konnte es einfach nicht verstehen? Warum nur? „Aber Seth! Heute Morgen war noch alles in Ordnung! Du hast mir niemals gesagt, dass du unzufrieden bist oder ... ich kann mich ändern. Ich kann die Frau werden, die du dir wünschst.“

„Aber du wirst mir nicht folgen“ wiederholte er selbst den Tränen nahe. „Bitte, meine liebe Shinasa. Ich liebe dich. Ich liebe dich sehr. So sehr wie ich die Sterne am Himmel liebe, so sehr wie ich den Duft von Rosen liebe. Du bist mir lieb und teuer und mein Herz schlägt für dich lauter als jedes Gewitter. Du bist ein wunderbares Mädchen und dass dein Vater unserer Vermählung zugestimmt hat, macht mich unendlich glücklich. Aber ich ... ich kann es dir nicht erklären. Ich muss dem Pharao nachreiten. Sofort.“

„Wenn das so ist“ versuchte sie es weiter, „dann tu, was du tun musst. Ich habe gelernt, man soll Männer nicht aufhalten. Ich werde aber hier auf deine Rückkehr warten. Ich würde dir gerne folgen, aber ich kann mein Zuhause jetzt noch nicht verlassen. Wenn ich mich entscheiden muss zwischen dir und meinem Zuhause, so kann ich dir nicht folgen. Und da auch du dich wohl zwischen mir und etwas anderem entscheiden musst, so weiß ich, kannst du nicht bei mir bleiben. Ich weiß, du wirst eines Tages zurückkehren und dein Verlobungsversprechen einhalten.“

„Nein, Shinansa ... ich ...“

„Nein?“ Sie erlitt hier einen Schock nach dem nächsten. „Heißt das, du willst nicht zurückkommen? Seth, ich biete dir hier einen Kompromiss an, lasse dich ziehen und will auf dich warten und du sagst nein?“

„Ich habe gelernt, nein zu sagen“ antwortete er ihr zittrig. „Mir fällt das hier nicht leicht, Liebes. Ganz und gar nicht leicht. Aber ich weiß ... ich kann danach nicht zurückkehren. Ich verstehe es ja selbst kaum.“ Er fuhr sich abermals verzweifelt durch sein seidig festes Haar und suchte nach Antworten. Nach Antworten, deren Frage er nicht zu formulieren wusste. „Ich glaube, wenn ich jetzt gehe, kann ich nicht zurückkehren. Ich kann keine Kompromisse eingehen ... ich kann nur das eine oder das andere. Und wenn ich das eine nicht bekommen kann, so will ich das andere auch nicht. Ich kann nicht dem Pharao und einer Frau gleichzeitig dienen.“

„Was redest du denn da?“ Sie griff an seine breiten Schultern, krallte sich an ihnen fest und schüttelte ihn verzweifelt. Die Tränen rannen aus ihren Augen. Sie spürte, dass hier etwas nicht stimmte. „Wenn du mich liebst, warum kannst du dann nicht hier bleiben? Warum das alles plötzlich? Heute Morgen haben wir noch gemeinsam an unseren Plänen geträumt und nun willst du das alles zerschlagen? Wofür das?“

„Liebste, es ist so schwer und einfach zugleich“ versuchte er zu erklären, griff nach ihren zitternden Händen und blickte sie aus feuchten Augen an. Hielt sie ganz zart fest und suchte selbst nach denselben Antworten wie sie. „Ich glaube, ich habe den Pharao vor den Kopf gestoßen und diese Schuld liegt schwerer als alle Liebe zu dir. Ich muss ihm einfach folgen, denn ohne ihn ... bin ich nichts. Wenn er mich annimmt, so kann ich mich nicht um dich kümmern.“

„Aber ich warte doch auf dich! Seth, ich bleibe hier und warte auf deine Rückkehr!“

„Und so viele Jahre verschwenden? Wenn du mir jetzt nicht folgst, so muss ich dir ein Lebewohl sagen.“ Genau das Gleiche, was der Brief des Pharaos ihm nun unbewusst auch sagte. Folge mir oder lebe wohl. Er liebte Shinasa und sich von ihr zu trennen, brach ihm das Herz. Jedoch ... die Freundschaft zum Pharao war ihm wichtiger. Er konnte ihr nicht erklären, weshalb dies so war. „Shinasa, ich weiß, dass du mich liebst. Und ich liebe dich auch. Aber ich muss etwas anderes über unsere Liebe stellen. Ich will dir nicht zumuten, auf mich zu warten. Denn nimmt der Pharao mich nun an, werde ich mit ihm gehen müssen und ihn dir vorziehen - er ist der König. Weist er mich ab, so kann ich hier auch nicht mein Glück finden. Ich kann einfach nicht hier bleiben. Ich kann nur einen Herren haben. Ich kann keine Frau glücklich machen und dafür den Pharao zurückstellen. Ich kann nur voll und ganz für einen von euch da sein.“

„Aber du kannst immer zu mir zurückkehren, Seth. Egal wie viele Jahre vergehen mögen. Ich liebe dich bis in alle Ewigkeit! Ich kann dir folgen, wenn ich meine Ausbildung beendet habe. Ich werde dich sicher nicht von deiner Arbeit abhalten!“

„Liebste, ich verstehe es selbst kaum.“ Und das war wahr. Er verstand nicht, warum er das hier tat. Aber wenn er vor seinem inneren Auge den Pharao sah und dann vor ihm so real seine Verlobte ... er wusste nicht, warum sie so blass und unwichtig wurde. „Ich zweifle an meinem gesamten Lebensweg. Und bevor ich das nicht für mich geklärt habe, kann ich dich nicht heiraten. Ich liebe dich, bitte glaube mir das. Aber ich bin in diesem Augenblick so verwirrt und ... ich weiß selbst nicht, was ich will. Ich weiß nur, dass ich dem Pharao folgen muss. Als würde eine innere Stimme es mir befehlen. Ich weiß nicht, was sein wird, wenn ich ihn erreiche. Ich weiß gar nichts mehr. Ich weiß nur, dass ich zu ihm muss. Ohne ihn kann ich mein Glück nicht finden. Auch nicht in dir.“

„Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich mich niemals auf dich eingelassen!“ Ihre Besorgnis und Verwirrtheit schlug um in Zorn. Sie stieß seine Hände von sich und erhob sich in einen breiten, festen Stand. Aus wütenden Augen funkelte sie ihn an, diesen Mann der dort so liebesheuchelnd vor ihr saß. „Du setzt also deine Laufbahn als Priester vor unsere Ehe? Ich habe dich immer unterstützt und das ist nun der Dank? Kaum bist du Priester und siehst eine Chance gekommen, in den Palast zu gehen, da verlässt du mich? Bedeute ich dir so wenig, dass du meinst, du kannst mich in ein paar Jahren nicht nachholen?“

„Nein, so ist es nicht!“ bat er traurig. „Ich liebe dich sehr, aber ich weiß nicht, was kommen wird. Mein Leben war schon immer kompliziert und ... ich will dich nicht mit mir reißen, wenn ich untergehe.“

„Was heißt das, dein Leben ist kompliziert?“ schrie sie ihn gebrochen an. „Ich weiß ja nicht mal, wo du herkommst. Du willst nie darüber reden, was vor dem Tempel war und ich habe das immer akzeptiert. Du sagst, du hast schmerzliche Erinnerungen und ich wollte das nie in dir aufrühren. Ich war immer verständnisvoll und habe dich geliebt. Und jetzt hast du mich nur ausgenutzt?“

„Nein, Shinasa! Bitte glaube das nicht! Ich liebe dich, aber ...“

„Du hast es doch selbst gesagt! Entweder der Pharao oder ich!“

„NEIN!“ schrie er verzweifelt zurück. „Ich liebe dich, aber wenn du mir jetzt nicht folgst, dann gehe ich trotzdem.“

„Ich kann dir jetzt nicht folgen. Das weißt du genau. Ich habe Verpflichtungen hier und eine Ausbildung, die ich abschließen will. Ich habe es meiner toten Mutter versprochen, dass ich meine Ausbildung zur Heilerin mache und das weißt du genau! Es ist gemein von dir, wenn ich mich zwischen dir und meiner Mutter entscheiden muss!“

„Und es ist gemein von dir, wenn du verlangst, ich soll mich zwischen dir und dem Pharao entscheiden!“

„Der Pharao ist aber auch nicht deine Mutter!“

„Du hast ja gar keine Ahnung ...“ flüsterte und wand den Blick gen Boden, musste sich zusammenreißen, um nicht zu weinen. Er hatte kaum Erinnerungen an seine Mutter, aber er erinnerte sich an den Pharao. Der Pharao hatte ihm ein neues Leben geschenkt ... das kam der Liebe einer Mutter sehr nahe. „Bitte Shinasa, mach es mir doch nicht so schwer. Ich kann es dir nicht erklären, aber ich muss einfach gehen. Entweder folgst du mir als meine Verlobte und wirst ewig unglücklich zurückstehen oder es endet hier.“

„So einfach ist das also für dich, ja?“ warf sie ihm bittertraurig vor die Füße. „Das Versprechen zu meiner Mutter interessiert dich einen Dreck, solange du nur deine eigene Chance gekommen siehst.“

„Das ist nicht wahr ... ich kann es dir nicht erklären, warum ...“

„Dann lebe wohl, Seth“ beschloss sie und ließ die Tränen frei über ihre Wangen laufen. „Ich bin sehr enttäuscht von dir. Ich dachte, ich würde dir etwas bedeuten.“

„Du bedeutest mir auch sehr viel, Liebste ... aber der Pharao bedeutet mir mehr.“

„Dann heirate doch den.“ Damit drehte sie sich um und war mit schnellen Schritten davon gestampft.

Und ließ ihn einsam zurück. Er saß noch immer am Tisch, die Rolle neben ihm und er verstand selbst nicht, wie es dazu kommen konnte.

Noch heute Morgen war er der festen Überzeugung, seine Zukunft läge hier im Tempel. Bei Shinasa und ihrer gemeinsamem Familienplanung.

Doch nun, wo der Pharao drohte, ihn auf ewig zu verlassen ... da erst spürte er, dass die Dankbarkeit gegenüber Atemu viel stärker war als die Liebe zu seiner Verlobten.

Er konnte ihr nicht erklären, weshalb ... er wusste es selbst kaum.

Aber er musste mit dem Pharao gehen, an seiner Seite bleiben in dieser schweren Zeit. Und er musste ergründen, weshalb er ihm ein Lebewohl schickte, was er falsch gemacht hatte.

Shinasa würde ihn nicht verstehen. Sie musste ihm jetzt folgen oder niemals. In ein paar Jahren war es zu spät. Und Seth könnte es sich niemals verzeihen, seine Treue zum König zu brechen.
 

Seine Dankbarkeit war stärker als seine Liebe.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Fynnian
2008-08-07T20:08:04+00:00 07.08.2008 22:08
Das Kapitel ist einfach....wow.
Als ich den Brief gelesen habe, hätte ich fast geheult.
Der ist echt schön geschrieben.
Aber ich muss auch zugeben, dass es mich unheimlich freut, dass er Shinasa so vor den Kopf stößt...Und sich natürlich für Atemu entscheidet.
Das Kapitel ist einfach toll!
Die ganze Fanfic ist toll!


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