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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 8

Sieben Jahre später ...
 

Kapitel 8
 

Die Sonne brannte auf ihn herab und auch das weiße Tuch, welches er zum Schutz vor Hitze und Sand über Kopf und den unteren Teil des Gesichtes trug, machte seinen langen Ritt nicht wirklich angenehmer.

Seit über drei Wochen waren sie nun schon unterwegs und nach dieser langen, aufregenden Reise endlich auf dem Weg zurück in Richtung Heimat ... oder eben zurück in den Palast. Als Heimat hatte der König dieses große, golden teure Gebäude niemals betrachtet, denn eine Heimat sollte nicht sein wie ein Käfig, aus dem er nur entlassen wurde, um bald freiwillig wieder zurückkehren zu müssen. Und obwohl dort alle Menschen waren, die ihm etwas bedeuteten ... den einen einzigen Menschen, den er um alles in der Welt dort haben wollte, den hatte er selbst schweren Herzens fortgeschickt.

Er hatte ihm eine Freiheit geschenkt, die er selbst wohl niemals erleben durfte.

Er seufzte leise. Nun hatte er ihn schon seit sieben Jahren nicht gesehen und doch dachte er noch immer jeden Tag an ihn. An seine tiefblauen Augen, an sein erdiges Haar, an seine weichen Hände. An sein verträumtes Lächeln in jener Mondnacht, als er sich unsterblich in jemanden verliebt hatte, den er nicht lieben durfte.

Warum nur konnte er das, was ihm in so kurzer Zeit ans Herz gewachsen war, nicht halten? Er zweifelte nicht daran, dass seine Entscheidung die richtige war, aber es war schwer. Es war eine von den vielen schweren Lasten, die nun noch zusätzlich auf seinem Herzen lagen und ...
 

„Mein König, ist alles in Ordnung bei Euch?“

„Was?!“ Er schreckte aus seinen Gedanken hoch und blickte zur Seite, wo die Stimme herkam.

Neben ihm ritt Fatil der Jüngere. Der älteste Sohn des alten Fatil. Sie beide waren aufgewachsen wie Brüder und der junge Fatil war ihm immer ein guter Bruder gewesen. Zwei Jahre älter zwar, aber auch er war ihm immer ein treu ergebener Freund, sein Vertrauter und sein Diener. Bei langen Reisen durch die Wüste, war es gut, wenn er dabei war. Sein alter Vater war nicht mehr fit genug, um sich noch solchen Strapazen auszusetzen, aber der junge Fatil war ein ausgezeichneter Wüstenführer und passte auf seinen König nicht nur auf wie auf einen König, sondern auch wie auf einen kleinen Bruder.

„Ich habe mit Euch gesprochen. Schon seit Minuten“ meinte der junge Fatil und löste sich das Tuch vom Kopf. Sein schwarzes Lockenhaar fiel ihm bis über die Ohren und betonten seine mandelbraunen Augen, welche so gut zu seiner tiefgebräunten Haut passten. Und sein Lächeln hatte ein so einnehmendes Strahlen, dass Atemu notgedrungen immer mit ihm lächeln musste. Selbst dann, wenn ihm gar nicht zum Lächeln zumute war.

„Dann hab ich dich gar nicht richtig gehört“ bat er mit einem entschuldigenden Ausdruck.

„Doch, gehört habt Ihr mich schon. Ihr habt nur nicht zugehört“ lachte er zurück. „Ich habe Euch gefragt, was Ihr gedenkt nun zu tun. Nachdem ihr den König von Tschad getroffen habt, wollt Ihr Euch seinen Plänen anschließen oder verfolgt Ägypten weiterhin seine eigene Linie? Ihr solltet Euch lieber zu einer Entscheidung durchringen, bevor wir den Ministern Bericht erstatten wollen.“

„Ägypten wird immer seine eigene Linie verfolgen“ antwortete Atemu fest. „Sicher hat König Sarh teilweise sehr vernünftige Ansichten, aber in vielen Punkten kann ich ihm nicht zustimmen. Ich muss mir das durch den Kopf gehen lassen.“

„Euch ist aber schon klar, dass er Euch gedroht hat?“

„Fatil, ich bin doch nicht dumm. Aber wenn er glaubt, er könne Ägypten unterwerfen, so ist er einer fixen Idee aufgesessen. Das ägyptische Volk wird sich niemals einer Herrschaft wie der seinen beugen. Ich will sehen, ob sich ein Kompromiss zwischen seiner und unserer Kultur finden lässt.“

Er löste sich ebenfalls das Tuch vom Kopf und nahm mit einem dankenden Nicken die längliche Lederflasche entgegen, um sich mit Fatil das wenige, teure Wasser zu teilen.

„Ich glaube kaum, dass er sich auf einen Kompromiss einlässt“ wand er ein. „König Sarh hat schon Niger und Sudan zuzüglich ihrer Kultur unterworfen. Sein Reich wird immer größer und Ihr wisst, was er für ein guter Feldherr ist. Er schert sich nicht um unsere Götter, um unsere Bräuche und auch Eure Politik ist ihm fremd. Und fremde Dinge mag er nicht.“

„Ja, er ist wenig tolerant“ seufzte der junge König und wischte sich einen Tropfen fort, der ihm doch eigentlich ganz angenehm das Kinn herunterlief, seine brennende Haut kühlte wie ein zarter Kuss. „Aber ich habe noch die Hoffnung, dass wir in Königin Ras Lanuf eine Verbündete finden. Wenn wir Libyen für uns gewinnen können, haben wir einen starken Freund im Rücken.“

„Die gute Ras Lanuf ist aber auch mit Vorsicht zu genießen“ bat Fatil und verstaute die leere Lederflasche in seiner Satteltasche. „Sie führt seit vier Jahren Krieg gegen Algerien und das ziemlich bedingungslos. Sie ist eine herrschsüchtige, egoistische Frau, so sagt man. Mit Frauen zu verhandeln ist sehr schwer. Und ihr habt ja nicht mal Eure eigene Frau im Griff, Majestät.“

„Hey, was soll das denn heißen?“ lachte der König. „Deine Frau macht aber auch, was sie will, Fatil.“

„Welche von den dreien meint ihr denn?“ scherzte er zurück. „Meine Frauen sind spitze. Beschwert Euch nicht über sie!“

„Ja, meine Frau auch. Sie hört halt nur nicht immer auf mich. So sind sie eben, diese Weibsbilder.“

„Ja ja ja“ schüttelte Fatil den Kopf. „Aber ohne sie wären wir auch schlecht dran.“

„Von wegen schlecht dran“ schaute der König ihn fragend an. „War das nicht eben unser letztes Wasser?“

„Ja“ antwortete Fatil nur kurz. „Wir sollten aber bald an ein Dorf kommen, wenn ich mich nicht verrechnet habe. Warum? Habt Ihr noch Durst?“

„Ja schon. Und baden würde ich auch gerne mal wieder.“

„Auch noch Ansprüche stellen“ lächelte Fatil und drehte sich um. „Hey! Haben wir noch Wasser für den König?“ rief er zurück zu den zwei Männern, die hinter ihnen ritten.

Zwei kräftige Hünen waren das, die Leibwächter des Pharaos. Ursprünglich hatte der König ein Gefolge von 35 Männern auf seine Reise mitgenommen, aber von denen waren nur noch seine zwei Wachen und Fatil übrig. Mitten in der Wüste befiel die Hälfte seiner Begleiter eine schwere Lungenkrankheit und er hatte seine Leute auf halbem Wege lieber wieder in die Hauptstadt zurückgeschickt, bevor sie unter der Wüstenhitze eingingen. Und die anderen noch gesunden Männer mussten den Kranken helfen, damit sie sicher wieder Daheim ankamen. Selbst umkehren wollte er aber nicht, denn dieser Besuch in Tschad war politisch zu dringend. Es war zwar ein Risiko, wenn er so wenige Männer bei sich hatte, aber dafür waren es seine besten - und er selbst war auch kein leichter Gegner. Sie hatten den Besuch alle überlebt mussten nun nur noch zurückkehren.

Doch so ganz ohne Wasser würde das sehr schwierig werden.

„Wir haben dir eben unsere letzte Flasche gegeben“ antwortete Penu, der seinem Namen absolut nicht gerecht wurde. Penu war ein alter Ausdruck, der übersetzt eigentlich „Maus“ bedeutete, aber Penu selbst hatte überaus breite Schultern, kräftige kurze Beine, war schwer von Gewicht und der beste Schwertkämpfer des Reiches. Wer ihn eine Maus schimpfte, der tat schlecht daran.

„Warum? Hast du schon alles weggehauen?“ frotzelte Faari, der seinem Namen schon eher gerecht wurde. Faari hieß in alter Schrift „groß und schlank“ und das war er auch. Er war nicht im Ansatz so ein Bulle wie Penu, aber dafür war er ein Taktiker wie er im Buche stand. Mit seiner außerordentlich hageren Figur und den langen, schwarzen Haaren sah er manchmal aus wie eine Frau, wenn er sich zu Festen die Augen in traditioneller Weise schminkte. Jedoch wenn er Pfeil und Bogen zur Hand nahm, so sollte man ihm lieber nicht über den Weg laufen, denn er traf alles, was sein Adlerblick fixieren konnte. Außerdem war er schon seit Jahren ein enger Vertrauter des Königshauses und würde einst den Posten des Palastfeldherren von seinem Großvater übernehmen.

„Unser König hat’s weggehauen“ zeigte Fatil auf ihn. „Gebt nicht immer mir die Schuld für alles!“

„Warum? Dazu bist du doch da!“ lachte Penu.

„Sonst hättest du ja gar nicht mitkommen brauchen!“ Und auch Faari begoss sich fast vor Lachen. Eigentlich war Fatil ein nicht ganz so guter Kämpfer wie die beiden und war nur mitgekommen, um beim Pharao zu bleiben und sie sicher durch die Wüste zu bringen, denn das war als Wüstenführer seine Aufgabe. Trotzdem neckten ihn die anderen beiden gerne damit, dass er an ihre eigenen Kriegerqualitäten nicht heranreichte und lieber mit den König schnackselte.

Alles in allem waren sie eine gute Truppe von vier Mann, die ausgeglichen zusammenspielte und sich gegenseitig die heiße Zeit vertrieb.

Fatil aber fand das nicht ganz so zum Lachen, wenn er aufgezogen wurde und drehte auch beleidigt seinen Kopf weg, als selbst der Pharao anfing sich zu amüsieren.

„Komm schon, sei nicht beleidigt, Fatil“ lachte er und zog sich wieder das schützende Tuch vors Gesicht. „Du weißt doch, wie sie sind.“

„Die nächste Wüstenführung könnt Ihr ja alleine machen“ drohte Fatil und hielt arrogant seine Nase in die Höhe. „Ihr könntet mir ruhig etwas dankbarer sein, Majestät.“

„Oh, ich bin dir überaus dankbar“ zwinkerte der Pharao und schickte seinen beiden Kriegern einen belustigten Blick.

„Hey, Fatil!“ rempelte Penu ihn spaßhaft an, als er mit seinem Pferd direkt neben ihn hintrabte. „Wann kommt denn jetzt das Dorf, das du uns versprochen hast?“

„Eigentlich müssten wir es schon sehen“ überlegte er und blickte sich um. „Für gewöhnlich ist hier immer recht viel Betrieb, aber ...“

„Hast du dich etwa verirrt?“ fragte Penu mit eindeutiger Besorgnis in den kleinen, dunklen Augen.

„Ich verirre mich nie und verbitte mir solche Kommentare vor dem Pharao“ schnippte er. „Nein, jetzt mal im Ernst, Jungs, Majestät. Hier sollte wirklich für gewöhnlich ein Dorf sein. Ich bin doch schon öfter hier gewesen.“

„Ich kann aber weit und breit kein Dorf sehen“ meinte auch Faari und trabte etwas schneller bis er zur Linken des Königs reiten konnte.

„Wenn wir kein Dorf finden, haben wir ein echtes Problem“ stellte der Pharao ebenso besorgt fest. Ohne Wasser in der Wüste zu sein, wäre tödlich. Außerdem verirrte Fatil sich wirklich niemals und plante immer so, dass sie von einer Station zur nächsten wohlbehalten ankamen. Alles andere, wäre ihm unähnlich.

„Beunruhigt Euch nicht, mein König“ bat Fatil. „Wir werden schon etwas finden. Wir haben schon schlimme Schlachten überlebt, also wird uns das hier auch nicht umhauen. Vielleicht habe ich mich ja nur um ein paar Kilometer vertan und die Dünenwanderung falsch berechnet.“

„Du verrechnest dich aber nie, Fatil“ meinte er. „Außerdem kann die Wüste schlimmer sein als die härteste Schlacht.“

„Ihr seid doch sonst nicht so negativ“ lächelte er seinen König an. „Vertraut mir. Ich finde ein Dorf, welches uns aufnimmt.“

„Wenn du das Dorf da meinst, sind wir aber schlecht dran“ zeigte Faari nach rechts vorne und ... was sie dort sahen, machte ihnen keinen großen Mut.
 

Dort lag vom Sand halb eingegraben ein zerschlagenes Dorf. Die Häuser aus hellem Lehm zeigten sich nur noch als halb zerfallene Ruinen. Aus dem sandigen Boden lugten kaputte Scherben von Krügen empor und selbst etwas Stoff wie Kleidung war von dem heißen Sand verschlungen.

Schweigend ritten sie auf dieses zerstörte Geisterdorf zu und fanden ihre leisen Befürchtungen bestätigt.

Zwischen den verwüsteten und zerfallenen Häusern, an denen nach und nach die Rissstellen abbröckelten, lagen nicht nur kaputte Dinge des täglichen Gebrauches herum, sondern auch der Körper eines toten Menschen. Von der Hitze ganz zergabt, ohne Augen und seine Gliedmaßen halb verkohlt.

Sie ließen ihren Blick über die zerrüttete Straße gleiten und sahen weiter hinten noch eine verkohlte Leiche. An einigen Stellen nur Gliedmaßen ohne ersichtlichen Körper oder verbrannte Kleidung. Alles war kaputt gemacht worden, angesengt und es war eindeutig, dass hier ein Feuer durchgetobt war.
 

„Wie schrecklich“ flüsterte Faari. „Wer hat das getan?“

„Vielleicht Banditen“ überlegte Penu und stieg von seinem Pferd herunter, um sich das Unglück aus nächster Nähe anzusehen. Vielleicht fand man hier noch einen Überlebenden oder etwas Brauchbares?

„Oder Menschenhändler“ überlegte Fatil und blickte sich bedrückt vom Rücken seines Pferdes aus um, während Penu durch die zerfallenen Häuser strich und hinter einer Hausruine verschwand. „Die paar Toten, die hier liegen, sind zu wenige für dieses Dorf. Hier haben fast 200 Menschen gelebt ... wo sind die alle?“

„Warum gibt es nur so schlechte Menschen auf der Welt?“ fragte sich der König und schloss andächtig die Augen. Solche Anblicke hatte er zwar schon häufiger gehabt, aber sie stimmten ihn noch immer sehr traurig.

Wie konnten Menschen nur das Heim anderer zerstören?

Wie konnte man Kinder gefangen nehmen und ganze Dörfer dem Erdboden gleichmachen?

Warum nahm man anderen ihren Besitz und ihre Familien fort?

Er hatte sich einst geschworen, dass er solche Zustände unter seiner Herrschaft niemals dulden wollte, aber dagegen anzukämpfen war schwerer als er sich das vorgestellt hatte.

In Momenten wie diesen zweifelte er daran, ob er sein Volk zum Guten geleiten konnte. Er wollte nicht, dass jemand leiden musste. Er wollte keine gedemütigten Männer, keine verzweifelten Frauen, keine ängstlichen Kinder. Armut und Ungerechtigkeit waren ihm ein Dorn im Auge ... ein Dorn, den er auch mit größten Bemühungen nicht los wurde.

Manchmal schien er als König zu versagen ... und als Mensch nicht zu existieren. Denn wenn der König versagte, konnte es auch den Menschen Atemu nicht geben - denn niemand sah jemals mehr als einen König in ihm.
 

„Mein Pharao, seid nicht betrübt“ bat Fatil und fasste ihn vorsichtig an der Hand. „Es ist nicht Eure Schuld. Solche Überfälle könnt selbst Ihr mit Euren Gesetzen nicht verhindern.“

„Ja, vielleicht“ seufzte er. „Aber es beschwert mein Herz, wenn ich solche Untaten sehen muss.“

„Wir werden heute Abend für die Toten beten und bei den Göttern für die Überlebenden um Gnade bitten“ tröstete auch Faari den geknickten König. „Früher oder später werden wir die Zerstörer finden und Ihr werdet sie richten, mein Pharao.“

„Viel wichtiger ist es doch jetzt, dass wir Wasser finden“ meinte Penu, der nach einem kurzen Gang zu der Gruppe zurückkehrte. „Hier hat es doch sicher auch einen Brunnen gegeben. Fatil?“

„Ja, in der Dorfmitte gab es einen ergiebigen Brunnen“ antwortete er mit steigender Zuversicht. „Dort können wir Wasser schöpfen.“

„Gute Idee, Penu“ nickte der König. „Also, dann lasst uns sehen, was wir finden.“

„Was Ihr finden werdet, wird Euch nicht glücklich stimmen“ hörten sie eine fremde Stimme.

Zwischen zwei zerrütteten Häusern kam ein grauhaariger Mann hervor. In seinem Gesicht einen dicken, flauschigen Bart, helle Augen und ein weites, beiges Gewand. Er selbst schien mit den angehenden Falten nicht mehr ganz jung, aber sein Pferd war dafür nicht als sonderlich alt zu erkennen. Ein junger, gescheckter Hengst, der nervös von einem Bein aufs nächste trat und auf seiner Trense herumkaute.

„Wer bist du?“ forderte Faari sofort zu wissen, während Penu seine Hand schon am Schwert hatte, um seinen König gegen jeden zu verteidigen.

„Ich bin auch nur Gast in diesem Dorf“ antwortete er ruhig und völlig unbedrohlich, während er langsam näher ritt. „Mein Name ist Tratechp und dies ist mein Pferd Suuhnach. Ich bin Schriftenreiter und wollte in diesem Dorf Rast machen, wie Ihr auch. Dass hier jedoch kein Stein mehr auf dem anderen steht, wusste ich nicht. Sonst wäre ich in ein anderes Dorf ausgewichen.“

„Penu, bitte lass das Schwert stecken“ bat der König und rutschte von seinem Pferd herunter, um dem Alten entgegenzugehen. „Wo kommst du her, Tratechp?“

„Von überall und nirgends“ antwortete er und stieg ebenfalls vom Pferd ab. „Und du? Was machst du hier mit deinen Freunden mitten in der Wüste?“

„Eigentlich wollten auch wir hier rasten und Wasser schöpfen“ erwiderte er wohlwollend.

„Und wie heißt ihr, Männer?“ fragte er ebenso wohlwollend, um zu zeigen, dass ihm an einem Kampf nicht gelegen war. Ein bisschen kurzes Gerede und so waren sich hoffentlich beide Seiten sicher, dass sie sich nicht feindlich gesonnen waren. In der Wüste wusste man ja häufig nicht, wer Freund und wer Feind war.

„Die beiden dort sind Fatil und Faari“ zeigte er auf die zwei Reiter hinter sich, wo auch Faari sich das Kopftuch löste. „Und der Bulle dort ist Penu.“

„Penu?“ Da musste der Alte doch schmunzeln. Da wurde schon extra erwähnt, dass er ein Bulle war und dann so ein Name. Da musste man doch einfach schmunzeln. Aber einen Scherz riss er lieber nicht, denn so besonders lustig aufgelegt schien der mausige Bulle nicht zu sein. „Und wer bist du?“ fragte er dann lieber zu dem freundlichen jungen Mann, vor ihm.

„Ich bin Atemu“ lächelte er und befreite sich ebenso höflichkeitshalber seines Kopftuches, auch wenn er es lieber aufbehalten hätte.

Denn die Reaktion des alten Reiters war ihm durchaus nicht unbekannt - ebenso wenig unbekannt, wie dem Alten das Gesicht des Herrschers war.

„Bei den Göttern! Ihr seid der Pharao!“ stellte er geschockt fest und sank sofort vor ihm auf die Knie. Er drückte die Stirn in den heißen Sand und neigte sich bis vor seine Fußspitzen. „Bitte verzeiht meine Unhöflichkeit, Pharao. Ich habe Euch unter dem Tuch nicht sofort erkannt.“

„Ist nicht schlimm. Bitte, steh auf“ bat er und berührte freundlich seine Schulter, um den Alten wieder auf die Beine zu bekommen.

Deswegen hätte er das Tuch lieber aufbehalten. Bis eben hatte er noch mit ihm gesprochen wie mit einem ganz normalen Mann - einem Menschen. Jetzt war er kein normaler Mann, kein Mensch mehr, sondern nur noch der König. Jetzt verbeugte man sich vor ihm und würde seinen heiligen Namen nicht in den Mund nehmen.

Wie gerne würde er noch ein Mal seinen Namen aus dem Munde eines anderen Menschen hören? Nicht immer nur die Titel König oder Majestät.

Atemu.

So wollte er heißen, doch außer ihm sprach es niemand aus.

Nur einer.

Nur dieser eine einzige hatte jemals seinen Namen von den Lippen gelassen ...

... und den hatte er weggeschickt.

Er hatte den einzigen Menschen fortgeschickt, der vielleicht irgendwann nicht nur den König gesehen hätte, sondern auch den Menschen.

Nicht die Majestät,

sondern Atemu.

„Pharao, was tut Ihr hier mitten in der Wüste?“ fragte der graue Tratechp nun voller Ehrerbietung und neigte seinen Kopf demütig beim Sprechen.

„Wir sind auf der Reise zurück in die Hauptstadt“ antwortete Fatil für ihn und hielt mit seinem Pferd direkt neben seinem König. „Weißt du etwas darüber, wie dieses Dorf so verwüstet wurde?“

„Nein, ich bedauere“ entschuldigte er und verneigte sich noch mal tief. „Ich bin nur auf der Durchreise und habe nichts bemerkt. Ich wollte auch sofort weiterreiten, bevor die kalte Nacht hereinbricht.“

„Du sagtest, was wir beim Brunnen finden, wird uns nicht glücklich stimmen“ hakte der Pharao noch mal freundlich ein. „Wie hast du das gemeint, Tratechp?“

„Der Brunnen ist verseucht, mein König“ gestand er traurig. „Ich war dort und wollte Wasser schöpfen, aber als ich hinunterblickte, sah ich aufgequollene Leichen. Das Wasser stinkt und es scharen sich schon Insekten darum. Dieses Wasser solltet Ihr nicht trinken, wenn Euch Euer Leben lieb ist.“

„Dann waren das keine normalen Räuber“ meinte Fatil. „Schlichte Banditen sind nicht schlau genug, um den Brunnen zu vergiften. Hier wollte jemand richtig Schaden anrichten.“

„Hast du denn noch genug Wasser für deine Reise?“ wollte der König besorgt wissen. „Wenn nicht, kannst du dich uns gerne anschließen. Wir haben zwar auch nichts, aber so musst du nicht alleine weiterziehen.“

„Mein Wasser reicht noch bis ins nächste Dorf“ dankte er mit einem Kopfnicken. „Und Ihr habt nichts? Ich biete Euch meines an, wenn ich darf.“

„Dann hast du ja nicht mehr genug. Nein, dein Wasser behalte ruhig, Tratechp“ lächelte der Pharao. „Wir kommen schon irgendwie durch. Aber vielleicht kannst du uns sagen, wo wir die nächste Wasserquelle finden? Du scheinst dich hier ja gut auszukennen.“

„Ja, ich reite diese Strecke sehr häufig. Immer den gleichen Weg von Dumiat über Tanta und Giseh bis nach El Minia.“

„Dann reitest du immer am Nil entlang, Tratechp. Wie kommt es, dass du nun hier bist?“ fiel dem König auf, der die Geographie seines Landes naturgemäß recht genau kannte. Und hier waren sie recht weit ab vom Nil, weit ab von seiner geschilderten Strecke.

„Ich mache immer einen kleinen Abstecher bis nach Lamate“ erklärte er. „Wie schon erwähnt, bin ich Schriftenreiter und ich hole die Post auch aus den kleinen Wüstendörfern hier. Natürlich nicht ganz so häufig, aber auch hier gibt es ein paar Menschen, die lesen und schreiben können. Und in regelmäßigen Abständen bin ich eben auch hier.“

„Das ist ein sehr ehrenvoller Beruf“ musste der König anerkennen. „So eine Tätigkeit ist nicht ganz ungefährlich und dass du selbst bis hier in die Ödnis reitest, nur um Nachrichten zu transportieren, imponiert mich sehr. Wie lange tust du das jetzt schon?“

„Schon mein ganzes Leben, Herr“ antwortete er mit glänzenden Augen und stolzem Blick. „Schon mein Vater hat dies getan und vor ihm mein Großvater. Sie sagten mir, die Kommunikation halte das Land zusammen und Nachrichten, auch über so weiter Strecken hinweg, seien wichtig. Deshalb tue ich das gerne und es freut mich immer, wenn ich jemandem einen lang erwarteten Brief überreichen kann.“

„Aber du bist allein unterwegs“ stellte er weiter fest. „Hast du keinen Sohn, der deine Tätigkeit nach dir weiterführen kann?“

„Ich habe keine Familie mehr“ erzählte er. Vielleicht war er ein bisschen traurig, aber er schien sich damit abgefunden zu haben. In seinem Gesicht spiegelte sich neben einsamer Trauer auch ein gewisser Stolz. Stolz, dass er seinem König von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand. Und Stolz auf seine langjährig passionierte Arbeit inmitten lebensfeindlichster Umstände. „Ich hatte einst eine Frau und eine bildschöne Tochter. Sie sind jedoch einer Epidemie zum Opfer gefallen, welche unsere Stadt heimgesucht hat. Ich konnte nach meiner ersten Frau keine andere mehr heiraten. Natürlich würde ich meinen Beruf gerne an jemanden weitergeben, aber wer will so was heutzutage noch tun? Man bekommt nicht viel mehr als die Leute einem an Kost und Logis geben und die Strapazen sind groß. Wenn man die Wüste nicht liebt, so kann man nicht mit ihr Leben.“

„Aber du liebst, was du tust. Du bist ein beeindruckender Mann, Tratechp“ nickte der König voller Anerkennung vor dieser großen Leistung und dieser einschränkenden Bescheidenheit.

„Euer Lob ehrt mich sehr“ lächelte er und verneigte sich erneut vor seinem Herrscher. „Mein König, darf ich Euch eine Frage stellen?“

„Natürlich“ bat er. „Frage mich.“

„Habt Ihr die Briefe bekommen, welche ich Euch brachte?“

„Ich bekomme täglich viele Briefe“ antwortete er nachdenklich. „Welche von den vielen Botschaften hast du mir denn gebracht?“

„Nun ja, ich gab sie immer beim Postmeister im Palast ab. Deshalb habe ich Euch niemals persönlich getroffen“ erklärte er, drehte sich um und wuselte etwas in seiner Satteltasche, was seinen jungen Hengst sogleich wieder ziemlich nervös machte. Der war wohl noch nicht lange zugeritten und brauchte noch viel Erziehung. Nur gut, dass Tratechp ihn so kräftig festhielt und ihn nicht wegziehen ließ.

Penu trat dafür lieber ganz dicht neben seinen König und gab Acht. Man wusste ja niemals, was selbst so freundlich aussehende Herren aus ihren Taschen holten. Der Pharao war immer und ständig in Gefahr, in ein Attentat zu geraten und wenn er Schaden nahm, würden sich seine Leibwächter das niemals verzeihen. Mal abgesehen davon, dass sie selbst des Todes waren, sollte ihrem Herrscher ein Leid geschehen.
 

Doch was der graue Tratechp aus seiner dicken Satteltasche zog, war alles andere als gefährlich. Jedenfalls körperlich ungefährlich ...

Er reichte dem Pharao eine mit Wachs und Bändern versiegelte Schriftrolle und neigte den Kopf dienerhaft gen Boden.

„Briefe wie diese brachte ich Euch, mein König“ drückte er demütig aus und hob den Kopf erst wieder als sein Herrscher ihm die Rolle aus dem Händen nahm. „Seit sieben Jahren nun transportiere ich diese Schriften vom Wüstentempel Heromat bis in die Hauptstadt. Ich habe niemals reingesehen, aber erlaubt mir bitte die Frage: Dieses sind keine politischen Schriften, oder?“

„Du bringst mir diese Briefe?“ wiederholte er in einem äußerst gerührten Ton. Er kannte diese Briefe, er wusste, von wem sie waren und woher sie kamen. Aber dem Boten hatte er niemals danken können, dass sie ihren Weg unbeschadet bis in seine Hände fanden.

Diese Briefe waren ein wichtiger Teil seines Lebens geworden ...

„Ja, das tue ich gerne“ antwortete er leise. „Und ich bringe Eure Briefe bis nach Heromat, wo ich sie dem jungen Priesterschüler gebe, an den Ihr sie adressiert. Seiner Freude über diese Briefe nach zu urteilen, schreibt Ihr ihm darin keine schlechten Dinge, mein König, denn er nimmt sie mir mit einem Lächeln aus den Händen. Danach gewährt er mir eine Nacht im Tempel, bevor ich am nächsten Tage dann seine Antwort mitnehmen kann.“

„Ich danke dir dafür, Tratechp“ antwortete der König mit einer ruhigen und doch leicht aufgewühlten Stimme, die ihn hoffentlich nicht zu sehr verriet. „Wenn du wieder in der Hauptstadt bist, dann möchte ich dir die Briefe gern selbst abnehmen und dich dafür entlohnen.“

„Oh nein, bitte nicht, mein Pharao!“ hob er abwehrend die Hände. „Es ist mir eine Ehre, dass ich überhaupt Botschaften eines Herren wie Euch überbringen darf. Ich möchte dafür keinen Dank.“

„Und doch hast du niemals reingesehen und die Siegel niemals gebrochen, obwohl dich sicher die Neugierde treibt. Du bist ein ehrenhafter Mann und ich möchte mich für deine Treue gegenüber der Krone und gegenüber deiner selbstgewählten Pflichterfüllung gern erkenntlich zeigen. Sag, wann bist du wieder am Palast?“

„Nun ja, nun auf länger nicht mehr, denn ich habe Euch diesen Brief nun überbracht und spare mir eine Route“ entgegnete er jetzt doch selbst so nervös wie sein junges Pferd. Dass sein König ihm dafür so dankbar war, dass er ihn belohnen wollte, überraschte ihn doch sehr. Natürlich freuten sich die Leute, wenn er mit Botschaften zu ihnen kam, aber dass diese Briefe unter so vielen dem Pharao so viel zu bedeuten schienen, erfüllte ihn mit unbändigem Stolz.

„Ich werde mich am Hofe umhören, ob ich einen Schüler für dich finden kann, damit du dein Werk weitergeben kannst“ beschloss der König. „Und bis zu meiner Antwort darfst auch du eine Nacht im Palast verbringen. Bitte, sei mein Gast.“

„Aber ... mein König ... Ihr habt doch ...“

„Ich habe gesprochen“ lächelte er mit glänzenden Augen. „Ich danke dir, dass du mir jeden Brief unbeschadet überbracht hast.“



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