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The Splintered Truth

von

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Die Entführung II --- Der Egoist

[Rick]
 

3 Stunden vor dem Fund des Erpresserschreibens:
 

„Ach verdammt!“ Mit weit aufgerissenen Augen und den ersten Schweißtropfen, die begannen von seiner Stirn zu perlen, starrte Rick entsetzt auf sein Smartphone. Die Ankündigung, dass in 15 Minuten sein Kampfsporttraining beginnt, hatte er völlig vergessen.

„Heute ist ja der Trainingskampf… ach… hrmm. Nicht noch eine Verspätung. Herr Chupo wird wieder Linda anrufen…. verflucht!“ Sein Blick schweifte zu Tina, die ihn mit einem leichten mitledigen Blick ansah. Es erweckte ein wenig den Anschein, dass sie durch seinen plötzlichen Stress traurig wurde. Rick bekam ein schlechtes Gewissen.

‚Na ja…, aber ich kann doch jetzt nicht einfach abhauen, oder?‘ Er kratzte sich am Kopf. Sein Arm senkte sich und seine nervöse Blicke schweiften durch den Raum.

‚Ich kann aber auch nicht einfach absagen. Chupo wird wirklich sauer werden und petzt das wieder Linda. Dieser Feigling!‘ In Rick brodelte es, auch wenn sein kurzer Zorn schnell verflog. Am liebsten hätte er den Tisch vor ihm getreten, aber seine Vernunft obsiegte.

„Ist etwas passiert?“ In Tinas Blicken mischten sich neue Eindrücke, einerseits einer größer werdenden Besorgnis, aber auch eine gewisse Neugierde war zu erkennen.

„Ich habe heute Abend eigentlich noch Training, aber… na ja, ich habe nicht offiziell abgesagt und das… kann ich jetzt auch nicht mehr.“ Er kratzte sich stärker am Kopf. Rick bewegte sich zur Treppe, aber blieb stehen. Sein Körper wollte, dass er jetzt sofort zur Trainingshalle rannte, aber sein Kopf wollte nicht. Das Gewissen plagte ihn.

‚Ich kann doch nicht einfach gehen. Linda sagte, dass ich auf sie aufpassen soll. Aber der Wettkampf…, ich hab’s Chupo versprochen dieses Mal nicht zu fehlen.‘ Er sah angestrengt zu Tina. Nervös blickte sie zur Seite. Etwas ließ sie dieses Mal leicht erröten.

„Es tut mir furchtbar leid, aber ich habe heute Abend einen wirklich wichtigen Termin, den ich nicht absagen kann. Ich habe es jemanden versprochen. Das ist nur eine Stunde oder so, also nichts Langes denke ich. Ich wäre bald zurück. Das ist doch o.k, oder?“ Tina wirkte überrascht und mit hektischen Handbewegungen war ihr die Überforderung ins Gesicht geschrieben.

„Äh… ja… ja… wegen mir kein Problem…, immerhin bin ich ja Gast hier und ihr habt ja auch zu tun. Du musst da wirklich nicht auf mich Rücksicht nehmen.“

Rick bekam durch ihre demütigen Worte Mitleid und dadurch wuchs sein schlechtes Gewissen, jedoch verstärkten ihre Worte aber auch den Wunsch jetzt loszurennen, um rechtzeitig anzukommen.

‚Ich muss gehen…, vielleicht kann ich das doch noch irgendwie hinbiegen. Linda wird schon nicht sauer sein, wenn Tina sich selbst beschäftigt.‘

„Also… es gibt im zweiten Stock eine Art Bibliothek, die nutzen wir auch zum Lernen…, der auch abschließbar ist! Dort gibt es eine Vielzahl Bücher… vielleicht hilft es dir und du kannst irgendetwas über dich herausfinden. Es tut mir wirklich leid wegen den Termin, wirklich! Das Training darf ich einfach nicht absagen.“ Ein Blick auf die Uhr stresste Rick noch mehr. Er rieb seine Finger ungeduldig aneinander. Jetzt musste er wirklich los.

„Ja.., geht schon wirklich in Ordnung. Lass dich nicht von mir aufhalten.“ Sie klang vorsichtiger und unsicher. Ihre Stimme wurde leiser.

Mit einem zögerlichen Nicken machte sich Rick auf seine Trainingstasche zu packen, um dann in einem Höchstsprint zur Trainingshalle zu eilen. Sein Herz klopfte wie wild. Wie viele Minuten hatte er noch Zeit?
 

Nördlich in Orange, nahe der nördlichen Küsten, im Schul- und Trainingszentrum der Insel, ca. 30 Minuten Fußweg vom Hauptquartier entfernt:

Schwer atmend stützte er sich am Holzzaun ab, der den Weg von Wiesen abgrenzte. Er spürte den Druck in seinen Lungen, er spürte wie sein Körper sich gegen die plötzliche Anstrengung wehrte. So einen schnellen Sprint würde sich spätestens übermorgen rächen. Seine Arme und Beine zitterten schon. Rick hatte aber Glück im Unglück. Er kam zwar zu spät, aber weil sein Lehrmeister ebenfalls zu spät kam, würde es niemanden interessieren. Nur den hämischen Spott seiner Trainingskollegen musste er sich anhören.

„Da kommt der endlich! Heute wohl auch verschlafen?“ Der Kommentar einer seiner Kollegen ließ Rick aufschauen. In der Ferne des Weges, aus dem er hergerannt kam, lief eine dürre große Gestalt. Eingekleidet in einer dünnen Wolljacke und dunkelgrünen Trainingsklamotten aus hochwertigen Stoff. Sein Schuhwerk waren einfache weiße Turnschuhe. Für Rick ein unverkennbarer Klamottenstil.

Jedoch sah Rick heute etwas, was er nie geglaubt hätte zu sehen. Sein Lehrmeister tauchte mit einer leichten Kopfwunde auf und einem dunkelblauen linken Auge. Zielsicher wie immer schritt er zum Eingang und öffnete die Türen zur Halle, sodass alle hineintreten konnten. Keiner wagte es im ersten Moment nur ein Wort über das Auge zu verlieren, bevor Chupo nicht außer Reichweite war. Er verhielt sich so, als wäre nichts. Seine ermahnenden Worte, dass keine Zeit verlieren zu war, klangen wie immer. Seine Verletzung sah aus nächster Nähe sehr schmerzhaft aus.

‚Ist die von heute? Woher kommt die Verletzung? Hat er sich geprügelt? Kann ich mir aber nicht bei Herr Chupo vorstellen? Vielleicht ein Unfall? Autounfall oder sowas? Wobei so selten wie hier ein Fahrzeug herumfährt? Irgendwo dagegen gelaufen? Manchmal ist er so geistesabwesend?‘ Seine Trainingskollegen spekulierten in der Umkleide und brachten ihre Thesen in einer unvorsichtigen Lautstärke hervor:

„Round-House-Kick gegen so einen Hünen vom Hafen. Die prügeln sich doch so gerne.“ Ein anderer erwiderter mit lauter Stimme sofort:

„Also ob…, Lehrer machen so was nicht. Das war ein Überfall oder sowas.“

„Lehrer machen so was nicht. Äh äh äh…, halte einfach die Fresse. Du hast doch keine Ahnung von sowas!“ Nach jedem weiteren Kommentar verzog er weiter seine Mundwinkel. In seinen Augen war das sehr respektlos gegen über Chupo.

„Haltet doch einfach den Rand!“ Rick schaute dabei den Jungen im Mittelpunkt an. Ein dicklicher Junge, der keine hohe Motivation besaß. Er beschäftigte sich im Training mehr damit über andere herzuziehen, als wirklich selber sich zu beteiligen.

„Äh… haltet doch einfach den Rand! Was mischst du dich jetzt hier ein!“ Im Inneren kam der Wunsch auf seine Faust schnurgerade in das Gesicht seines Gegenübers zu rammen, aber noch hielt ihm die andere Stimme im Kopf im Griff.

‚Er ist es nicht wert, dieser Saftsack. Der kapiert doch eh nichts.‘

„Äh was ist? Ist jetzt was, hä?!“ Rick ignorierte den Jungen und trat in die Halle.
 

Als alle achtzehn Teilnehmer anwesend waren, erfolgte zuerst die Begrüßung, daraufhin 15 Minuten Aufwärmtraining. Im Anschluss 15 Minuten Synchronübungen der ganzen Truppe. In den letzten 60 Minuten wurde die Gruppe aufgeteilt. Die Neulinge übten mit vereinzelten Älteren, während die restlichen Älteren untereinander Trainingskämpfe durchführten. Bei Rick war das heute sogar ein besonderer Trainingskampf. Mit seiner Siegesserie von 13 Siegen und nur 4 Niederlagen in einem Jahr, führte er die Spitze der Junggruppe des Kampfsportvereins von Orange an. Heute musste er nochmal einmal ran, bevor er zu den Qualifikationskämpfen in Festa - übernächsten Monat - hinfahren durfte.

Sein heutiger Gegner war Worran Meckley, der Sohn von Gerron Meckley, ein alter Polizist im Ruhestand. Worran war sozusagen die Nummer Zwei des Vereins und für Rick die nervigste Person in ganz Orange, noch nerviger als der Saftsack. Nicht einmal seine Freundin konnte an ihren schlechten Tagen so nervig sein wie dieser Typ, aber Worran tat aber auch alles um seinen Ruf zu verteidigen. Es fing damit schon an, dass er seine Hand weit in die Hüfte presste und mit einem herablassenden Blick auf die Jüngeren der Gruppe schaute. Mit einer leicht erhobenen Stimme verwies er dann auf deren Fehler. Leider hatte er in den meisten Fällen sogar Recht.

‚Arroganter Trottel.‘ Fiel Rick immer wieder dazu ein.

‚Aber wenigstens ernst zunehmen im Kampf.‘

Chupo bat beide Teilnehmer zur Wettkampfmatte zu kommen. Sie befand sich ein wenig abseits in der Halle, weit weg von den anderen. Während der Lehrmeister mit den beiden zur Matte trat, beobachtete Ricks unabsichtlich die Verletzung. Ihm wurde das schon sehr unangenehm wie oft seine Augen dazu gezwungen waren das blaue Auge zu begutachten. Mit Sicherheit hatte das Chupo mitbekommen und das steigerte Ricks schlechtes Gewissen um ein Vielfaches.

‚Ach verdammt! Ich muss mich auf die heutige Sache konzentrieren!‘ Er war kurz davor mit beiden Händen auf die Backen zu schlagen, aber ihm wurde danach immer kurz schwindelig, deshalb ließ er es bleiben.

„Rick! Konzentriere dich! Lass dich nicht von unwichtigen Dingen ablenken!“ Die Worte seines Lehrmeisters bestätigten Ricks Befürchtung. Zusätzlich bestraften ihn die vorwurfsvollen Blicke. Das arrogante Lächeln von Worran, was dabei größer wurde, ließ Ricks Hände schlagartig zu Fäusten werden.

„Schieb dir dein Lächeln sonst wo hin!“

„RICK! Ich sag’s dir heute nur noch einmal! Noch einmal so ein Ausfall und ich verbanne dich zum Mattenschrubben!“ Nicht so voluminös und erschaudernd wie die zornige Stimme von Linda, aber ermahnend genug, dass Rick wieder zu Sinnen kam. Seine spontanen Wutausbrüche waren jetzt wirklich nicht zu gebrauchen.

„Hach.“ Schallte es von der Seite. Rick konnte es nicht unterdrücken und warf seinen Kontrahenten einen bösen Blick zu. Seine Hände ballten sich erneut zu Fäusten, aber genau das durfte jetzt nicht passieren. Unbedachte Aggressivität führten ihn sonst nur in schwerwiegende Probleme, wie es sonst immer so war.

„Rick! Hast du mir zugehört?“ Rick schaute selbstbewusst zu Chupo und nickte zustimmend.

„Gut.“ Chupo verwies auf die Wettkampfmatte.

„Ihr kennt die Regeln. Keine Angriffe auf kritische Zonen, keine übermäßige Gewalt, keine Beleidigungen, keine Drohungen!“ Das letzte Wort betonte er stark. Etwas müde setzte sich Chupo vor die Lehrmatte in Schneidersitzposition und wandte seinen Blick kurz vom Geschehen ab. Von oben herab sah seine Verletzung im Gesicht und das blaue Auge noch unangenehmer aus.

‚Was ist bloß passiert?‘

„Hey!“ Hörte er von der Seite rufen. Worran war inzwischen auf die Matte getreten und nahm seine typische Starthaltung ein. Rechter Fuß nach hinten. Linke Körperhälfte leicht nach vorn.

‚Depp. Jeder nach ein paar Trainingsstunden kann das.‘ Unbeeindruckt blickte er seinen Kontrahenten an.

„Kommst du heute noch? Wir sollen doch anfangen!“ Die leicht erhöhte Stimme verschlimmerte die unterschwellige Verachtung zwischen den Worten.

‚Der nervt mich jetzt aber wirklich. Zeit ihn zu Boden zu bringen.‘ Rick trat ebenfalls auf die Matte und nahm seine leicht abgewandelte Grundposition ein. Rechter Fuß leicht nach vorn, linker Fuß schräg nach hinten. Beine nicht angespannt. Rechter Arm angewinkelt nach vorn, linker Arm die Schulter leicht verdeckend. Die rechte Körperhälfte war leicht nach vorn gerichtet.

„Also Achtung! Bereit? Dann beginnt!“

Die Umgebung ausblendend, starrte Rick auf jede Zuckung, die sein Gegenüber machte.

‚Vermutlich eine Gerade zur Täuschung, um mir dann mit einem Tritt gegen das Schienbein das Gleichgewicht zu nehmen oder er versucht es mit einer Finte und einem Bodycheck.‘

Im linken Augenwinkel sah er es, die erste Bewegung seines Gegners. Worran ließ seinen rechten Arm von unten hochschnellen, während er sich leicht nach vorne neigte. Rick stand nur 1,5 Meter von ihm entfernt und die Matte endete einen Meter hinter ihm. Worran streckte bei der Vorwärtsbewegung seine Hand aus, aber Rick bemerkte, dass die Gewichtung auf seine Beine zu seinem Angriff nicht stimmte, sofern Worran versuchte mit seinem Angriff Rick von der Stelle zu stoßen.

‚Das ist sicherlich die Finte, dann wird er vermutlich gleich abspringen, um mich umzustoßen.‘

Worran verlagerte sein Gewicht nach vorn und stieß sich vom Boden ab. Da Rick damit rechnete, ignorierte er den Stoß mit der Handfläche auf seiner Brust, der sofort verpuffte, weil die Kraft dahinter fehlte und packte sein Gegenüber am Oberkörper, als sich dieser zu ihm bewegte. Rick packte Worran entsprechend so, sodass er ihn mit Leichtigkeit zurückdrängen könnte. Weil sein Gegenüber sich nach vorn gelehnt war, konnte Rick durch seine Abstützung mit dem linken Fuß nach hinten, so viel Kraft aufbauen, dass er Worran weit genug zurückstoßen konnte, sodass dieser außerhalb der Kampfmatte landet.

„Ein Punkt für Rick. Sauberer Konter. Worran…, gute Finte, aber du bist noch lesbar wie ein Buch. Du musst versuchen mit deinen ersten Bewegungen deine Folgebewegungen zu verschleiern.“

„Haarrr…, nur der Anfang.“ Worran drückte sich problemlos vom Boden wieder in die Hocke. Seine Laune war sichtlich dahin und er mit boshaften Blicken bestrafte er Rick, der für einen kurzen Moment ein schadenfreudiges Grinsen unterdrücken musste.

„Ich weiß, dass das viel Energie kostet, aber der erste Angriff ist immer entscheidend beim Kampf. Diese endlosen Kämpfe aus den Kampffilmen gibt es so nicht. Meistens reicht ein unerwarteter Schlag aus, um den Kampf sofort zu entscheiden. Berücksichtigt das immer!“ Er klatschte in die Hände und verwies mit seiner rechten Hand auf die Matte:

„Aufstellen und bereit machen für Runde 2! Es endet erst wenn elf Runden gekämpft wurde.“
 

Ca. 40 Minuten später:
 

Die Kraft fehlte inzwischen in seinen Oberarmen, sodass Rick Worran nur schwach zurückdrückte. Zähnefletschend brummte ihn sein Gegenüber an. Die Schweißperlen tropften ihm von der Stirn.

‚Ich muss mich mehr anstrengend, so komme ich bei den Qualifikationen nicht weit.‘

Rick registrierte eine Bewegung und sein Körper zitterte aus Reflex, aber Worran war nur kurz nach hinten gewichen. Langsam spielte Ricks Verstand ihm Streiche.

‚Sein rechtes Bein zuckt, dann geht ihm wohl die Kraft aus.‘ Rick verlagerte sein Gewicht auf die rechte Seite, sodass er Worran bei einem Angriff schnell packen konnte und ihn mit einem Wurf zur Seite an ihm vorbei zu Boden warf. Worran verlagerte sein Gewicht wieder nach vorn und stieß nach vorn, aber sein Stoß war schwach. Rick packte den Jungen und warf ihn zu Boden. Ein zorniges Grollen war die Antwort Ein Klatschen folgte. Chupo war inzwischen aufgestanden und schaute zuerst zu Rick:

„Gut! Damit ist das hier für heute zu Ende. Es steht neun zu zwei für Rick. Ich muss dich heute loben, du hast deine Fehler vom letzten Mal nicht wiederholt. Ich spürte jedoch ein wenig Zorn in deinen Handgriffen. Pass auf, dass du nicht dadurch deine Bewegungen verrätst. Ich bin mir sicher die Qualifikationsrunden werden gut. Und Worran… zu dir.“ Sein Blick schweifte zu Ricks Konkurrenten:

„Du hast die Bewegungen von Rick nicht gelesen. Du hast dich zwar gebessert, was deine Bewegungen angeht, sodass du in Runde 2 und 3 Rick das Leben schwergemacht hast, aber gegen Ende verlierst du die Geduld.“

Worran schaute während der Belehrung von Chupo angestrengt an ihm vorbei. Ein paar flüchtige Blicke verrieten jedoch, dass er sehr sauer auf Rick war.

‚Der Junge kann nicht verlieren.‘

Chupos Belehrungen nahmen mehrere Minuten ein. Rick wandte sich irgendwann gelangweilt ab. Er ging zu seinen anderen Kameraden, die entweder trainierten oder auf den Matten faullenzen. Viel Zeit verblieb nicht, denn das Training fand bald ein Ende. Chupo bat Rick jedoch noch einmal zu sich, nachdem die anderen die Halle verlassen hatten.

‚Die Abfahrt und das ganze Zeug nach Festa wird sicherlich anstrengend. Bestimmt muss ich wieder zum Amt.‘ Eine gewisse Vorfreude machte sich in ihm breit, die jedoch schlagartig verschwand und einem Unbehagen wich, als er den ernsten und vorwurfsvollen Blick von Chupo bemerkte. Verwirrt schwieg Rick ihn an, als Chupo mit verschränkten Armen vor ihm stand. Seine Haltung wurde angespannter und Rick spürte ein Kribbeln seinen Nacken hinunterkriechen.

„Steckst du in irgendwelchen Schwierigkeiten?“ Noch verwirrter starrte Rick Chupo an. Seine Anspannung in den Händen löste sich und mit ausgestreckten Händen hob Rick sie gestikulierend vor sich.

„Schwierigkeiten?“

„Steckst du in Schwierigkeiten?! Hast du irgendwie Ärger mit irgendwem?“

„Nein…, also nicht das ich wüsste.“ Angestrengt versuchte Rick sich zu erinnern, bis ihm die Sache mit dem Krater einfiel. Dort hatte er die Polizei umgangen bzw. belogen. Ricks Arme senkten sich und leicht nervös ließ er die Finger seiner rechten Hand aneinander reiben. Chupo schwieg und schaute ihn weiterhin an. Eine ungewisse schwere Last lag plötzlich auf seine Schultern. Der Krater ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

„Hast du dich mit irgendwelchen dubiösen Typen angelegt, hast du Geld geliehen von den Typen am Hafen oder nimmst dieses abscheuliche Zeug?“ Wieder schaute Rick völlig überrascht in das Gesicht seines Lehrmeisters.

„Abscheuliches Zeug?“

„JA DROGEN! Du scheinst mir etwas zu verheimlichen, Rick!“ Die Worte von Chupo klangen immer mehr nach einer Anschuldigung. Im Blick seines Lehrmeisters konnte er einen geringen Groll wahrnehmen. Etwas, was Rick bisher noch nie bei Chupo gesehen hatte.

„Nein…“ kam es erst schwach über die Lippen von Rick.

„Nein!“ Wurde er lauter. Es erzürnte ihn. Seit Monaten achtete er darauf sich gesund zu ernähren und Sport zu treiben, wieso sollte Chupo – der das vor allem wusste – auf solch eine Frage kommen? Drogen sind schädlich und extrem schädigend für Sportler. Linda war bei dieser Thematik sehr überzeugend gewesen. Es wäre Selbstmord, wenn Linda davon erfahren würde.

„Hast du sonst etwas angestellt, dass du deswegen von sehr dubiosen Typen verfolgt wirst? Die Typen lauern dir übrigens auf.“ Plötzlich fühlte es sich für Rick so an, als hätte ihn jemand zu Boden gezogen. Ein eiskalter Schauer lief es ihm den Rücken runter. Schweißperlen bildeten sich langsam auf seiner Stirn.

‚Verfolgt werden? Ich werde verfolgt? Von wem? Dubiosen Männern? Etwa… etwa wegen dem Krater und Tina?‘ Rick bekam den Wunsch sich umzusehen, aber wer sollte ihn hier in der Halle beobachten.

Chupo wandte sich zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs ab und fuhr über seinen rechten Arm, bevor er diese wieder verschränkte. Eine sehr untypische Haltung für Chupo. Schnell lösten sich die Arme wieder und er blickte erneut zu Rick:

„Dich hat in der Stadt ein großer muskulöser südländischer Typ beobachtet. Er hat das ziemlich professionell gemacht. Dieser Typ ist gefährlich und verdammt aggressiv!“

‚Klingt so, als kennt er ihn?‘ Rick brauchte einen Moment um ein paar Worte zu finden und wieder selbstsicher zu werden:

„Dann… dann rufen wir die Polizei und buchten den Deppen ein oder wir holen Linda und vermöbeln ihn, was auch immer der Penner von mir will. Ich habe keinen Stress mit irgendwelchen gefährlichen Typen. Ich nehme keine Drogen, und ich habe auch kein Geld geliehen. Keine Ahnung was der Typ will. Ich weiß es nicht verdammt!“

„Dann glaube ich dir, aber nicht destotrotz ist das eine ernste Sache. Wer weiß was die machen wollen und… ob sie eigentlich nur dich beschatten.“ Chupo wirkte abgelenkt. Sein Gesichtsausdruck wurde nervöser und er fasste sich an den Kopf.

„Vielleicht geht es auch nicht direkt um dich.“

„Etwa…, dass es etwas ist, mit dem ich zu tun habe?“

„Oder es geht um jemand anderes. Wir müssen sofort mit Linda sprechen. Weißt du wo sie ist? Ich erreiche sie nicht!“

Rick fiel in diesem Moment seine Freundin ein.

‚Alina! Warte…, was ist, wenn sie auch verfolgt wird? Ich bezweifle, dass sie von irgendjemand eingeschüchtert wird, aber…. Vermutlich hätte ich davon schon mitbekommen…, wobei ich schon eine Weile nichts mehr von ihr gehört habe. Ich muss sie anrufen!‘

„Rick!“ Die ermahnende Stimme seines Lehrmeisters ließ den Jungen wieder auf das Gespräch konzentrieren.

„Ich habe den Mann angesprochen und er hat gezielt nach dir und nach der Gilde gefragt. Die Situation ist zu ungewiss und zu gefährlich, sodass ich ihn nicht direkt bei der Polizei gemeldet habe. Ich weiß nicht wer dahintersteckt und was mit euch passiert. Ich muss wissen was der Grund dafür ist?“

Rick schüttelte zornig seinen Kopf. Es ärgerte ihn ein wenig, dass sein Lehrmeister sich so feige verhielt, auch wenn ihn die Tatsache beunruhigte, dass ein Lehrmeister sich so fürchtete.

„Ich werde Linda auch anrufen! Wir müssen das Linda sofort sagen. Sie weiß mit Sicherheit weiter.“

‚Und ich muss Alina dringend anrufen.‘ Rick wollte zur Umkleide, zu seinem Rucksack.

„Ich begleite dich zum Hauptquartier, dann reden wir mit Linda und dann mit der Polizei. Ich bin auch kurz in meiner Umkleide. Pass auf, ja?“ Die energische Betonung zum Schluss verunsicherte Rick. Wusste Chupo mehr als er zugab?
 

Ein paar Minuten später:
 

Die ersten Male blieb er noch ruhig, aber als nach den dritten Versuch Alina nicht erreichte, wurde er sehr nervös. Im Anschluss versuchte er Linda zu erreichen, aber bei ihr konnte er nur auf den Anrufbeantworter sprechen. In großer Eile stürmte Rick aus den Trainingshallen. Sein Lehrmeister wartete an der Tür. Ricks Blick fiel sofort auf die verschiedenen Wege, die zur Trainingshalle führten, aber niemand war zu sehen. Im Anschluss stürmte der Junge ohne Rücksicht auf Verluste geradeaus.

‚Die Typen müssen mich erst einmal einholen kommen. Wehe die haben Alina was angetan.‘ Chupo stresste es sehr, dass er dem Junge hinterhereilen musste. Die ermahnenden Worte nahm Rick nicht einmal wahr. Sein Ziel war das Hauptquartier. Sein Blick schweifte zwar immer wieder nach rechts oder nach links, wenn er um eine Ecke ging oder an einer Gasse vorbeitrat. Das Gefühl beobachtete zu werden in jeder neun Straße, die er betrat, stresste ihn.

‚Die haben Chupo das Auge verpasst und jetzt hat er Schiss…, wer sind die bloß?‘ Rick sah mehrere Leute in der Stadt und bei jedem zweiten bekam er das Gefühl, wenn er den Anforderungen eines Kämpfers entsprach, dass dieser ihn womöglich heimlich beobachtete. Ricks‘ innere Stimme, die immer wieder ermahnte, dass die vermeintlichen Beobachter nicht dem entsprachen, was Chupo zuvor erklärte, brachten den Jungen nicht davon ab unruhig durch die Stadt zu hetzen. Beinahe wäre er mit einem Fahrradfahrer zusammengestoßen, der sich darüber lautstark beschwerte.

‚Verdammt! Ich bin total abgelenkt! Aber auch so ein Schwachsinn, irgendwelche Typen die mich beschatten. Warum sollten sie.‘ Ihn machte es wütend, dass es ihn doch so sehr beeinflusst. Ricks Augen weiteten sich jedoch, als er in die Straße einbog, die am Hauptquartier endete. In der Ferne konnte er ein bekanntes Leuchten erkennen. Ein wiederkehrender schimmernder Blauton. Es wurde still und kalt, als er den Trupp Polizisten sah, die angestrengt und nach etwas suchend vor dem Hauptquartier streunten. In seinem Kopf zogen Vorstellungen von grausigen Taten durch den Kopf.

‚Das kann doch nicht deren Ernst sein?‘ Blitzschnell stürmte er vor. Er musste sichergehen, dass nichts was er befürchtete wahr ist. Als er näherkam, hielt ihn einer der Polizisten auf:

„Hey! Ja…, wer bist du und was willst du hier? Hier ist eine polizeiliche Untersuchung.“ Ein hochnäsiger Blick und heruntergezogene Mundwinkel starrten den Jungen an. Ein plötzlich aufkochender Zorn in Rick entfachte sich und veranlassten den Jungen zu an dem Polizisten vorbeizustürmen ins Hauptquartier, ohne ihm zu antworten.

„HEY!“ Brüllte der Polizist hinterher und eilte ihm nach, er wurde jedoch von Chupo aufgehalten, der ihn direkt mit lauter Stimme ansprach. Rick eilte in die Halle und dort sah er Linda mit einem muskulösen jungen Mann in Uniform reden. Ein paar weitere Polizisten standen vereinzelt in der Halle. Lindas Blick war eine Mischung aus Entsetzung und Nervosität, manchmal mischte sich das mit einem aufkeimenden Zorn, wenn sie ermahnenden ihren Finger heben will, es aber dann doch lässt. Ihr Gegenüber schien dies zu bemerken, aber nicht darauf zu reagieren. Weiter mit verschränkten Armen redete er in einer eigenartigen gelassenen Stimme auf Linda ein.

Als Rick zu den beiden trat wechselte die Gildenmeisterin sofort das Wort an ihn und erklärte ihm in einer ernsten teilweise traurig klingenden Tonlage, dass unbekannte Entführer Alina vermutlich in den Fingern haben. In dem Schreiben wird ihr Name nicht erwähnt, aber Tina befindet sich im Moment in ihrem Zimmer und weitere weibliche Gildenmitglieder gab es im Moment nicht. Als Linda erwähnte, dass Tina eventuell nach der Situation befragt werden könnte - denn möglicherweise wüsste sie etwas - stürmte Rick sofort die Stufen hoch. Beim Hochstürmen hörte er sich zwei Polizisten sich unterhalten, einer meinte, dass dies womöglich mit den Entführungen der Touristen zu tun haben könnte.

‚Nein…, sie darf nicht das nächste Opfer sein. Ich muss wissen wer es war. Tina muss was gesehen haben. Sie muss jemanden gesehen haben!‘ Zuerst öffnet er ohne zu klopfen die Tür und erschrak, als er Tina schlafend im Bett vorfand. Leicht errötet zog er sich zurück und schloss die Tür. Energetisch klopfte er anschließend an der Tür.
 

Tinas Worte, dass sie nichts wusste, machten den Jungen wütend, aber er wollte nicht seine schlechte Laune an ihr auslassen. Ein Teil von ihm wollte ihr vorwerfen, wieso sie nichts mitbekommen hatte, aber seine innere Stimme brachte ihn wieder zu Vernunft.

‚Was ist bloß mit mir los?‘

„Die Entführung ist eine ernste Sache. In fünf von zehn Fällen finden wir die Opfer nicht wieder. In diesem Fall ist aber ein Erpresserbrief dabei, vermutlich handelt es sich nicht um dieselben Täter.“ Der Polizeichef verwies mit seiner linken Hand auf den Brief, der sein Kollege in der Hand trug.

„Ach lassen sie die verdammte Farce. Wir wissen doch genau wer dahintersteckt.“ Ermahnte Linda mit lauter Stimme. Ihre boshaften Blicke zeigten jedoch keine sichtbare Wirkung beim Polizeichef.

„Nicht dieses Mal.“

‚Ja! Das muss jemand anderes sein!“ Mit verzweifelten Blicken starrte Rick zu Boden, während er seine Hände zu Fäusten ballte. Als der Polizist mit dem Erpresserbrief an ihm vorbeitrat, riss Rick ihm das Dokument aus den Händen und las sich ihn schnell durch. Der Polizist echauffierte sich erst lautstark darüber, bevor er nach dem Brief griff. Die Zeit reichte jedoch aus, sodass Rick die Worte sich verinnerlichen konnte. Etwas kam ihm bei der Wortwahl vertraut vor. Der genannte Ort hatte der Junge schon einmal gehört, aber er wusste im Moment nicht woher.

‚VERFLUCHT!‘ Innerlich schreite er. Die Lösung fühlte sich greifbar an.

„Also du bist… im Moment zu Gast hier bei Linda Westallya. Ferien oder so etwas und du warst heute hier allein?“

„Ja.“ Antwortete Tina mit einem zögerlichen Nicken. Sie wirkte stark von ihrem Gegenüber eingeschüchtert. Immer wieder lauschte Rick die Worte von Tina, wenn er nicht mit seinen Gedanken bei dem Erpresserbrief war.

„Du musst doch was gesehen haben, du warst doch hier.“

„Ich… also… ja… da… ein Junge! Ein Fahrrad! Jemand auf einem Fahrrad fuhr plötzlich davon. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber er machte einen unfreundlichen Eindruck auf mich. Kurz darauf fand ich die Zeitung“ Tina zitterte. Alle um sie herum schienen sie jedoch nur anzustarren. Rick bekam für ein Moment Mitleid.

„Du meinst ein Unbekannter auf dem Fahrrad, der plötzlich davonfuhr, als er dich sah. Dieser Junge… war er womöglich hier in dieser Halle? Hat er zu dir was gesagt? Und was machte ihn so unsympathisch… ähm unfreundlich?“ Bei den Worten „Fahrrad“, „schnell“, „unsympathisch“ und „Junge“ fiel Rick eine ganz bestimmte Person ein, die öfters in Orange herumlungerte und wie ein Gestörter durch die Stadt heizte. Im Moment darauf fiel bei Rick der Groschen.

‚Diese BASTARDE!‘ Rick fühlte sich bei dem Gedanken bekräftigt. Sein Herz klopfte wie wild, dass er auf die Lösung kam.

‚Ja genau! Die sind zu allem fähig! Und nur die würden von so einem Ort reden. Dieser Ort… es muss es sein!‘ Sein Blick schweifte zur Eingangstüre.

‚Ich muss sie einholen!‘ Am liebsten wäre er auf der Stelle davongestürmt. In den Moment, als er Linda den Rücken zuwandte und sich zum Sprint in Richtung Eingangstür ansetzte, spürte er eine vertraute, dennoch angsterfüllende Schwere auf seiner rechten Schulter. Eine zärtlich aussehende Hand hatte sich kurz auf seiner Schulter abgelegt, bevor eine markante weibliche Stimme in sein Ohr hallte:

„RICK!“ Der Anfang machte deutlich, dass es eindeutig an ihn adressiert war:

„Ich sehe schon, dass du nach ihr suchen willst, aber das kann ich nicht erlauben! Wir können jetzt nicht unvorsichtig handeln. Hast du Alina schon angerufen?“ Die Worte machten ihn sehr zornig. Seine Hände verkrampften sich und ihm widerstrebte es hierzubleiben. Wieso würde Linda sich auf diese unfähigen Polizisten verlassen sollen?

„Ja habe ich! Und sie kennt nicht ran! Wir müssen sie sofort suchen gehen und nicht hier planlos herumstehen!“

‚Verdammt! Ich weiß wo sie sind! Sie sind im verlassenden Hauptquartier im Wald, dort muss ich jetzt suchen!‘ Hätte er gern als Ergänzung hinzugefügt, aber sein noch klarer Verstand ließ ihn diese Dummheit nicht sagen. Eine Überschreitung der Grenze wurden mit Strafen belegt und nach Ricks Meinung waren die Polizisten nicht mehr als die Kampfhunde dieses schleimigen Bürgermeisters, die das Gesetz liebten.

„Du bleibst hier! Ich werde das mit der Polizei regeln, du musst dich um Tina kümmern. Du kannst sie nicht wieder allein zurücklassen, sie ist unser Gast!“ Linda deutete mit einer leichten Kopfbewegung zu Tina und betonte ihr letztes Wort besonders.

‚Warum?!‘ Die Hände von sich schlagend drehte er sich nun zu Linda um und blickte die Gildenmeisterin zornig an:

„Was soll das?! Ich bin doch nicht ihr Kindermädchen! Sie ist doch bestimmt fähig auf sich selbst aufzupassen! Wie alt ist sie denn, drei?“ Im nächsten Moment fühlte er eine weitere Schwere, nur dieses Mal in seinem Herzen und das etwas in ihm eine Art Trockenheit verursachte, die ihm fast den Atem nahm. Der leichte Schweiß auf seinem Körper perlte von der Hand.

‚Oh, das war jetzt dumm.‘ Im Gegensatz zu seiner Freundin fürchtete er die Folgen, wenn er so in der Gegenwart von Linda sprach. Schnell plagte ihn das Gewissen. Schon wieder war er zu egoistisch gewesen.



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