B-Vertüre (für Missi)
Happy Birthday!!
B-Vertüre
Krampfhaft versuchte er, seine unruhigen Pupillen auf die Schuhspitzen unter sich zu fixieren, auf deren hellem Leder sich die flackernden Lichter der Supportshow reflektierten. Doch er konnte den eigenen Blick nicht besonders lange halten. Nur einen Vorhang entfernt johlten, klatschten und stampften erwartungsvolle Fans. Sie begannen, sobald die Vorband von ihren Instrumenten gelassen hatte, euphorisch verschiedenste Chöre anzustimmen, die nach ihm forderten…
Nein, die nach Bela B. forderten.
Nicht nach diesem Weichei, was sich gerade hinter dem Stofffetzen mit dem glitzernden davor baumelnden Emblem „BB“ versteckte und in dessen Kopf nun einzelne Textzeilen, einige direkt aus dem Zuschauerraum entnommen, herumschwirrten und ihn schwindelig machten. Zum ersten Mal seit vielen Jahren erwischte er sich in einer derartigen Situation hinter der Bühne. Seine Hände waren heiß, dann kalt, dann ertaubten sie, schienen sich nicht recht entscheiden zu können. Seine Füße dagegen waren eindeutig festgefroren, das eisige Gefühl zog sich seine Beine hinauf (gefährlich nahe in seine Intimsphäre). Nicht einen Schritt hätte er machen können, ohne zu rutschen oder zu stolpern. Zudem musste er sich ständig abwechselnd an der Nase, hinter den Ohren und am Hals kratzen, weil an ihm alles juckte und kribbelte, als hätte er sich Flöhe eingefangen. Er fühlte sich überfüllt, überlastet, überfordert, so ohne ein Ventil, an dem er all das auslassen konnte, mit so viel Verantwortung wie er noch nie vorher im Leben allein gehabt hatte.
Wiederholt versuchte er, sich zusammenzureißen. Er würde sich jetzt sofort umdrehen und gut gelaunt im Catering nachfragen, ob alle bereit wären. Gerade, als er sich überwunden hatte und nach dieser qualvollen halben Stunde am Treppenaufgang den ersten Fuß von der Stelle heben wollte, da schreckte er zusammen. Neben seinem flimmerte nun ein zweites Paar weißer Lederslipper in der bis zu ihm reichenden gelb-blauen Bühnenbeleuchtung. Zwei Hände waren entspannt in die Taschen des leicht zerknitterten Anzuges geschoben. Aus dem Kragen des schwarzen Hemdes ragte ein langer schlanker Hals mit scharfen Konturen, um den sich am Übergang zum Kiefer ein leichter Hauch von 3-Tage-Bart gelegt hatte, der die Schatten unterm Kinn betonte. Bela kam ins träumen…
„Nervos?“
Seine Schultern sanken ein Stück herab und er musste seufzen, zum einen über seinen Tagtraum, gleichzeitig aber auch als unschlüssige Antwort. Als wüsste er nicht längst, wie Recht sein Gegenüber hatte, das er gerade für wenige Sekunden verwechselt hatte. Erneut kratze er sich über den längst gereizten Nacken, er juckte höllisch, da ergriff der Engländer sein Handgelenk und hielt Bela die eigenen Fingerspitzen vor Augen. Blut.
Von sich selbst genervt stöhnend steckte er sich die halbe Hand in den Mund, bemerkte kaum, dass er darauf herum biss. Denn das erste Mal seit einer Ewigkeit hob er den Blick. Seine Augen juckten nicht mehr, als sie von den grünen des Anderen durchleuchtet wurden. Er spürte, wie seine Schultern sanft gepackt wurden, wie eine sonderbare Ruhe von den schmalen Händen ausging. Und doch. Besonders viel half wohl auch das nicht. Noch immer war er festgefroren, jetzt fühlte er die Kälte schon in der Brust sitzen.
„Was… wurdest du jetzt mit Jan tun? Wie hilft er dir?“
Bela starrte Wayne fassungslos an, suchte in seinem Gesicht kurz den Schalk, den Witz, die Pointe. Als nichts davon im Gesicht des Engländers zu finden war, kam der Ältere fast ins grübeln. Denn diese Frage schien gar nicht so unberechtigt zu sein.
War es wirklich nur die große Verantwortung, die ihn sich so anders, so extrem aufgeregt fühlen ließ? Oder war es nicht auch einfach das Fehlen der kindlichen Vorfreude in Form des großen Blonden, den er gerade eben doch noch kurz in Wayne gesehen hatte? Anschließend blieb da aber noch die Frage… ob nicht auch die körperliche Zuneigung Farins fehlte, die ihn stets aufgebaut, in seinem Ego gestärkt hatte. Das wiederum konnte er doch von Wayne niemals verlang…!
Da war es.
Als hätte der Jüngere seine Gedanken gelesen. Als wüsste er längst ganz genau über Farin Urlaub und Bela B. und ihre Gepflogenheiten vor Konzerten bescheid. Mit aufgerissenen Augen stand er da und spürte, wie sich Waynes Körper, sein Torso, die Hüfte, die Hände und Lippen gegen den seinen presste.
Er wollte sich erst wehren.
Er fand es nicht richtig, doch…
Da floss diese Wärme in ihn, beruhigte sein Blut im Kopf, taute aber den Panzer aus Eis, der von seinem Schlüsselbein abwärts bereits über ihn geherrscht hatte. Und er umarmte den Anderen, verschlang sich mit ihm, klammerte sich an ihn, war unglaublich erleichtert.
Als sich die Lippen lösten, wieder Grün auf Grün traf, da atmete Bela entspannt ein und aus.
Zeitgleich lächelten sie.
PS: Alle Umlaute in W's direkter Rede sind mit Absicht umgangen.