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Lights of Eden

The Envoy
von

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Meister aus Stein

Als Jonathan Stalker aus dem Zimmer heraustrat, fand er sich selbst auf einem ringförmigen Plateau wieder, dessen Verlängerungen in der Mitte zusammenliefen. Genau dort, wo zwei gläserne Fahrstühle auf ihren Bahnen nach oben und unten rauschten.

„Ich hab gehört, du bist schon mal hier gewesen?“

Jonathan fuhr herum. Er hätte es gerne geleugnet, aber dann nickte er.

„Gut.“, sagte Jens und huschte zu den Fahrstühlen in der Mitte des Turmbaus, „Dann muss ich dir ja nichts mehr erklären. Es sei denn du weißt nicht, wie man einen Lift benutzt.“

Grinsend betrat er einen haltenden Glaskasten. Jonathan folgte ihm.

Ihr Weg führte sie nach oben, immer näher an die runde Glaskuppel, durch die man einen Panoramablick auf den strahlend blauen Himmel über New Atlanta hatte.

Doch bereits drei Etagen darunter endete die Fahrt und die Türen glitten sanft auseinander.

Jens eilte voraus und öffnete eine Tür, die hinter sich einen langen Flur barg, an dessen Ende sich eine weitere riesige Tür befand.

Erst als Jonathan in den Flur trat, bemerkte er den kleinen Schreibtisch neben dem zweiten Eingang, an dem eine langbeinige Brünette saß und gelangweilt auf dem Tastaturendisplay herumstocherte. Als Jens zu ihr trat, blickte sie auf und lächelte erfreut. Er beugte sich zu ihr herunter und begann einen kurzen Wortwechsel. So wie die junge Frau grinste, kam sie Jonathan vor, wie ein kleines verliebtes Schulmädchen, das geradezu ihrem ersten Date eingeladen wurde.

Jens beendete das Gespräch, strich ihr zum Schluss noch einmal rasch durch die Harre und kehrte dann zu seinem eigentlichen Hauptanliegen zurück.

„So, mein Guter.“, sagte er, als er wieder neben Jonathan stand, „Du wirst jetzt da rein gehen und schauen, was Sache ist. Ich komm dich dann später abholen. Ich muss nämlich noch ein paar wichtige Sachen erledigen.“ Er schielte leicht über die Schulter zur Brünetten hinüber.

Dann klopfte er Jonathan ermutigend auf die Schulter und sagte munter: „Du schaffst das schon, Mann! Und denk dran: Wenn du nervös wirst, guck dir einfach Kahn an. Der hat eine Ausstrahlung wie Jesus!“

Lachend zog sich Jens zurück und lies den verwirrten jungen Mann einfach stehen.
 

Stalker kam sich vor, als würde, wenn er diese Tür öffnete, die Welt unter ihm zusammenstürzen und er als einziger Überlebender im unendlichen Nichts verschwinden.

Reiß dich zusammen, dachte er, so schlimm kann es nicht werden.

Doch konnte es! Und er musste sich anstrengen, nicht seine Eskapaden bei Vorstellungsgesprächen in der Vergangenheit (an die er sich komischerweise gerade erinnert fühlte) zu resümieren, die zweifelsfrei mehrere Preise in diversen Pannenshows der Welt abgeräumt hätten.

Noch einmal durchatmen, noch einmal versuchen den eigenen ungestümen Herzschlag zu beruhigen. Der Versuch scheiterte. Mit immer noch stark zitternden Händen drückte er die Klinke nach unten.

Der Raum, den Jonathan betrat, war eine Mischung aus sterilem Arztzimmer und dem modernem Konferenzraum eines Megakonzerns. Das reine Weiß hatte auch hier die Vormacht. Kein Schmuck an den Wänden, lediglich weiße Lamellenvorhänge um das Licht, dass durch die großen Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes fiel, aufzufangen. An dem langen Tisch aus milchigem Glas saßen 12 Personen. Eine von ihnen, ein ziemlich fettleibiger Mann mit stark ausgeprägten kahlen Stellen auf seinem runden Schädel hatte sich gerade über den Tisch gelehnt und war mitten in der Bewegung erstarrt. Jonathan konnte den Ausdruck wilden Zorns in seinen Augen erkennen, den er allein auf die Person projizierte, die ihm gegenüber saß. Ein kleiner hagerer Mann, die Arme verschränkt und trotzig dreinblickend. Die 10 anderen, wie Stalker bemerkte ohne Ausnahme männlich, waren bis vor kurzem ebenfalls in angeregte Konversationen vertieft gewesen. In dem ganzen Durcheinander, dass sich in dieser Szene ausbreitete, fielen besonders zwei Personen auf, die dicht nebeneinander gedrängt in der rechten Hälfte des Raumes standen und keinerlei Anteilnahme zu zeigen schienen. Der eine, stellte Jonathan fest, war Kahn-Dûke. Der weißhaarige lehnte leicht an der glatten Wand und verfolgte mit interessiertem Blick das Geschehen. Der hochgewachsene Mann neben ihm, fand sich jedoch in keiner von Jonathans wirren Erinnerungen wieder. Er hatte einen dunklen Teint, lange, schwarze Haare, die sanfte Wellen schlugen, dunkle Augen und ein markantes Gesicht, das von einigen dichten Bartstoppeln untermalt wurde. Seine gesamte raubtierharte Gestalt schien unter ständiger Anspannung zu stehen. Der Araber zeigte keinerlei Gefühlsregung, sondern wirkte neben dem lebhaften Kahn eher wie eine Statue. Jonathan konnte nur an der sich stetig heben und senkenden Brust und den funkelnden Augen, dass er auch wirklich am Leben war.

Als er nun den Fuß in das große Zimmer gesetzt hatte und alle Gespräche augenblicklich verstummt waren, traf die plötzliche Aufmerksamkeit ihn wie ein Schlag. Selbst der Araber drehte den Kopf leicht in seine Richtung.

Doch gerade als Jonathan unter der Last der Blicke zusammenzubrechen drohte, ergriff Kahn das Wort:

„Meine Herren“, begann er ohne auch nur darauf zu achten, dass bis gerade eben noch eine hitzige Diskussion am Laufen gewesen war, „Jonathan Stalker. Er ist hier wegen des BS*1, den wir an ihm durchgeführt haben. Dort liegen die Unterlagen mit den Ergebnissen, die ich Ihnen zu Anfang unserer Sitzung ausgeteilt habe.“

Ungeachtet einiger leiser Beschwerden, von Konferenzteilnehmern, die er grob zur Seite drängen musste, beugte der Weißhaarige über den Tisch und nahm einen der erwähnten Hefter in die Hand.

„Wie vorhin bereits schon erwähnt, ist der Test positiv verlaufen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass er für eine Einstellung qualifiziert wäre. Stellt sich nur noch die Frage, ob wir ihn nun zur Ausbildung zulassen oder nicht. Und wie Mr. Adams bereits schon lautstark zur Sprache gebracht hat“ Er bedachte den dicken Mann, der seine Massen bereits wieder in seinen Stuhl zurückgewalzt hatte, mit einem vielsagenden Blick. „ist das keine Sache, die wir mit Leichtigkeit entscheiden können. Selbst wenn wir ihn nur für die Grundausbildung zulassen oder zum TS*2 schicken, müssen wir gemeinsam entscheiden. Und was ich bis jetzt hier gesehen habe, ist nicht die Art von Verständnis und Interesse, die ich von Ihnen erwartet habe!“

In der Betonung des letzten Satzes spielte deutlich ein kleines Fünkchen Enttäuschung vielleicht sogar Wut mit, dennoch gelang es Kahn seine Tonlage nicht ins Anklagende oder gar zornige absinken zu lassen. Er nutzte allein nur den Stapel Papiere in seiner Hand, um seine Worte zu untermalen, indem er ihn über die Köpfe der Anderen auf den Tisch schleuderte, sodass gut die Hälfte der Blätter leise heraussegelte und sich auf den Schössen der Männer verteilte.

Eine Weile lang schwieg der Pulk und sah des Öfteren zu Jonathan herüber, der selbst keinen Punkt fand worauf er sich konzentrieren konnte. Also starrte er seine eigenen Füße an.

Auf einmal ertönte ein amüsiertes Grunzen und der fettleibige Adams lehnte sich demonstrativ auf seinem Platz zurück, wobei die Lehne des hellgrauen Drehstuhls beängstigend quietschte.

„Ich halte es für unnötig überhaupt eine Sitzung einzuberufen, nur um eine Anstellung für den Bengel zu finden. Gut, er hat die Fähigkeiten. Mehr brauchen wir doch nicht zu wissen. Der Beweiß ist erbracht und wir können doch jede helfende Hand gebrauchen, oder etwa nicht?“

Einige der Ratsmitglieder nickten zustimmend.

„Sie sind also der Meinung“ Kahn wanderte um den Tisch herum und stützte sich mit beiden Armen auf die Lehne eines leeren Sitzplatzes, der mit größter Wahrscheinlichkeit sein eigener war. „wir sollten ihm die Ausbildung gewähren?“

Adams nickte überzeugt.

„Sehen das alle hier so?“ Er lies seinen Blick in die Runde schweifen.

Einstimmiges nicken, bis auf –

„Mr. Lanches, was--“, begann Kahn, doch der kleine hagere Mann unterbrach ihn mit einer festen Stimme, die man einem solchen Alten nicht mehr zugetraut hätte.

„Ich bin der Ansicht, dass Mr. Stalker sich zuerst in einer dreiwöchigen Probezeit bewähren sollte, bevor wir ihn in die ganze Sache einweihen. Immerhin können wir hier nicht jeden aufnehmen, den wir auf der Straße auflesen und der zufällig im BS positiv abschneidet.“

„Aber sie wissen doch von dem Vorfall in diesem illegalen Club. Er ist ganz sicher--“, äußerte sich Adams erneut mit einem Ausdruck tiefster Anspannung im Gesicht.

„Es ist doch völlig irrelevant, was dort abgelaufen ist. Wir waren weder dabei, noch haben wir irgendwelche Aufzeichnungen, die uns die Ereignisse, die sich a n g e b l i c h dort zugetragen

haben, vor Augen zu führen.“

„Aber einen Haufen Zeugen, von denen ganz nebenbei einer ein Mitarbeiter von uns ist.“

„Bitte! Meine Herren!“, schritt Kahn beschwichtigend ein, „Wenn sie heute noch diesen Raum verlassen wollen, schlage ich vor sie einigen sich auf einen der Vorschläge und zwar…“ Er blickte auf seine Armbanduhr. „ …. bevor die Mittagspause beginnt.“

Schlagartig kam ein Kompromiss zustande, der darin bestand, dass man Jonathan, der sich im hintersten Stübchen seines Hirns fragte, warum er eigentlich herbeordert wurden war, für eine dreiwöchige Probezeit festlegte.

Erleichtert verlies einer nach dem anderen den Raum. Manche sprachen gut gemeinte Worte gegenüber Stalker aus, andere bedachten ihn mit einem freundlichen Blick oder tätschelten ihn ermutigend auf die Schulter. Alles in allem erschien ihm die ganze Sache so ziemlich undurchsichtig.

Nachdem auch Adams mit ernstem Blick an ihm vorbeigerauscht war, trat Kahn-Dûke zu ihm. Neben ihm stand sein stiller Begleiter und funkelte Jonathan von oben her an.

„Bevor du dich in den Essenssaal begibst, will ich dir deinen Ausbilder Meister Saleem vorstellen.“

Auf einmal machte es K l i c k in Jonathans Gehirn. Plötzlich wusste er auch ohne, dass Kahn etwas zu der gemeinten Person erwähnte, um wenn es sich handelte.

Jibril Saleem.

Er erinnerte sich noch an den Tag, als er hier das erste Mal aufgekreuzt war und unten am Computer den Namen desjenigen mitbekommen hatte, der den Einsatz zu seiner Rettung geleitet hatte. Jibril Saleem war der Gruppenführer gewesen. Ihm hatte Jonathan sein Leben zu verdanken. Jetzt klarten seine Gedanken vollends auf. Das schwarze gelockte Haar, die dunklen Augen, die ihn durch das schützende Tuch fixiert hatten, kurz bevor er in Ohnmacht fiel. Die Stimme in seinem Traum … „…sechs Tote, ein Überlebender – keine schweren Verletzungen – wir setzten ihn in der Stadt ab – komme bald zurück…“

Konnte das möglich sein?

Nach gut einem Monat, dachte Jonathan, der für ihn wie eine halbe Ewigkeit gewesen war, stand er nun seinem Retter gegenüber.

Fassungslos sah er dem hochgewachsenen Araber in die Augen. Er zweifelte nicht mehr. Er war es tatsächlich. Er, der ihn vor einem grausamen Tot bewahrt hatte, aber 6 andere Menschen hatte sterben lassen.

Warum, dachte Jonathan erneut, Warum nur mich?

Auf einmal war alles wieder da: Die Zweifel, die Fragen, die Trauer und die unerklärliche Wut auf diesen einen Menschen, der doch selbst nur seine Pflicht getan hatte und im Grunde nichts dafür konnte, dass das Schicksal solch böse Scherze mit den Menschen trieb.

Jonathan würgte jegliche Gedanken an die Äußerung einer saftigen Anklage gegen den Araber augenblicklich ab und belies es bei einem knappen Nicken.

Immer noch blickte er in die scheinbar unendlich tiefe Schwärze dieser Augen und versuchte mit Blicken das zu vermitteln, was er mit Worten nicht sagen durfte, konnte oder wollte.
 

„Du siehst nicht gut aus, Junge!“

„W-Was?“ Stalker erwachte aus seinen Gedanken und schüttelte den letzten Rest Unaufmerksamkeit von sich ab.

Kahn strich an ihm vorbei und Jonathan hatte für einen winzigen Moment das Gefühl in einem Rosengarten zu stehen. Was für ein Aftershave benutzte dieser Kerl?

„Ich meine nur, du solltest erst einmal etwas essen.“ Der Weißhaarige sah ihn eindringlich, ja sogar ein wenig väterlich an.

Stalker, dem selbst noch ein wenig blümerant zu Mute war, machte sich keine Mühe zu antworten. Ihm war eher daran gelegen dem Araber Löcher in den Bauch zu fragen, als seinen eigenen zu füllen. Doch gerade dieser fasste Jonathans Zögern nicht sehr positiv auf. Mit einem kräftigen und nach dem Druck zu urteilen, absichtlich groben Stoß beförderte er ihn hinter dem Engelmeister nach draußen, warf ihm einen äußerst tödlichen Blick zu und wandte sich danach zur Tür um, um sie zu verschließen.

Jonathan Stalker verspürte große Erleichterung, als er Jens entdeckte, der den beiden vorbeilaufenden Autoritätspersonen eine Begrüßung entgegenhauchte, die bei Kahn um einiges freundlicher und ungezwungener klang, als bei Jibril, der ihm (wohl aus diesem Grunde) mit der Schulter so stark anrempelte, dass der jüngere Mann für einen kurzen Moment drohte das Gleichgewicht zu verlieren.

„Verdammtes Arschloch!“, fluchte Jens, als er noch völlig überrumpelt von der Attacke zu Jonathan gestolpert kam, „Is wohl heut wieder einer seiner Tage.“

Stalker wirkte leicht abwesend, wie er den beiden anderen noch mit einem Stirnrunzeln hinterher starrte. Das Verhalten dieses Menschen schien ihm keineswegs angebracht. Vielleicht war es das, was ihn derart erschreckte. Diese Kälte …

„Nun ja. Solange du ihn nicht als Mentor hast, musst du dir keine großen Sorgen machen. Er ist zum Glück fast nie im unteren Bereich.“, Bergmann seufzte, „Und das ist auch gut so!“

Jonathan hielt für einen winzigen Moment die Luft an und kniff Augen und Lippen fest zusammen.

„Jens?“, fragte er unsicher zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, „Bedeutet Mentor das Gleiche wie Meister?“

Durch seine halb geöffneten Augen konnte Jonathan nun erkennen, wie sich bei seinem Begleiter ein regelrechtes Feuerwerk der Gesichtsakrobatik abspielte. Jens Bergmann war zu einer Salzsäule erstarrt und betrachtete ihn durch weit aufgerissene Augen und hochgezogenen Augenbrauen, seinen Mund speerangelweitgeöffnet.

Mühsam und ein wenig beunruhigt versuchte Jonathan ein kleines Lächeln, aber in Wirklichkeit verspürte er einen Anflug leichter, aber tiefschwarzer Panik. Klarer als in Jens´ Gesicht konnte die Antwort gar nicht sein.

„Ist er denn wirklich i m m e r so schlimm? Ich meine - oder ist das nur so eine blöde Masche von dir, jedem Angst zu machen?“

Diesmal war Kopfschütteln die Antwort. Jens hatte es geschafft sich wieder zu bewegen. Er schien dennoch kein Wort über seine Lippen zu bekommen. Stalker schluckte. Er wollte gar nicht weiterfragen. Am Ende käme sonst noch heraus, dass Jibril Saleem in Wahrheit nicht nur ein verdammter Sklaventreiber war, sondern auch noch ein leidenschaftlicher Kannibale. Sein Nackenhaar sträubte sich bei dieser irren Vorstellung.
 

Auf dem ganzen Weg bis zum im untersten Stock des Turmes liegenden Speisesaal musste Jonathan Stalker die bemitleidenden Worte und aufopferungsvollen Gebete über sich ergehen lassen, die Bergmann, der sich wieder akklimatisiert hatte, in aller Eile formulierte. Doch irgendwie verfehlten sie ihre eigentliche Aufgabe, nämlich die, ihn zu ermutigen, völlig.

„IST JA GUT!“, verzweifelt riss Stalker die Hände in die Luft, als sie vor der riesigen Tür zum Saal standen, „Ich hab kapiert, dass mich der Satan nun als Schüler hat! NA UND?! Was soll ich deiner Meinung nach tun? Mich aus dem Fenster stürzen?“

Jens zögerte nicht um zu nicken und Jonathan stöhnte auf.

„Und warum“, er deutete auf den gläsernen Fahrstuhl der einige Meter hinter Jens wieder nach oben fuhr, „sind wir dann bis hier unten hin gefahren? Hier unten kann ich ganz schlecht Suezit begehen!“

„Weil heute Obsttag ist!“, Jens grinste wie ein Honigkuchenpferd.

Jonathans Herz machte einen Hüpfer. „Obst? Ich meine richtig frisches Obst? Kein eingeschweißtes, mutiertes Kapitalobst?“

Jens nickte wie ein Verrückter. „Glaubste nich, wah? Na dann immer reinspaziert!“

Er schob die Tür zum auf.

Der Essenssaal war um einiges größer, als sich Jonathan gedacht hatte und bis in die hinterste Ecke mit Tischen voller essender Leute gefüllt. Die bunten Farbkleckser taten in dem wieder einmal weißgestrichen Raum richtig gut. Mit einem übertrieben wollüstigen Lächeln betrachtete Stalker die lange Reihe von Tischen, die über und über mit kalten und warmen Speisen gedeckt waren. Zum größten Teil war es die normale, größtenteils aus künstlichen Aromen und Farbstoffen bestehende Massennahrung, doch im Zentrum eines wahren Menschenauflaufs standen Körbe und Platten voller Bananen, Orangen, Äpfel und Weintrauben.

Früchte. Jonathan sog genüsslich die Luft in seine Nase und konnte tatsächlich unter all den fremden Gerüchen, den feinen Hauch von Kiwis erschnuppern, die in einer großen Silberschüssel am Ende des Banketts prangten und nur darauf warteten, dass er sie sich unter den Nagel riss.

„Na?“, Jens drängte sich an ihm vorbei auf einen freien Sitzplatz und stellte einen vollen Teller knallend auf die Tischplatte. Entweder musste er verdammt schnell gewesen sein oder Jonathan hatte schon etwas länger vor sich hingestarrt und dabei die Zeit vergessen, „Hab ich dir zu viel versprochen?“

Stalker erwiderte nichts, sondern stürzte sich energisch in das Getümmel vor ihm. Zwischen Massen zugreifender und mit Geschirr hantierender Hände, konnte auch er schließlich seinen eigenen Teller ergattern und ihn bis um Rand mit den verschiedensten Köstlichkeiten füllen. Als letztes lies er mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck zwei Kiwis neben Steak und Kartoffelpüree plumpsen und setzte sich mit einem wohltuenden Seufzer neben Jens.

Das Mittagessen war, sofern Jonathan dies beurteilen konnte, das wichtigste Ritual im Tagesablauf eines Gemeindemitglieds. Neben der Nahrungsaufnahme, wurden auch Neuigkeiten ausgetauscht, Freizeit geplant, Witze erzählt und berühmte Politiker durch den Kakao gezogen.

Auch er und Jens hatten sich nach gut 20 Minuten in ein aktuelles Thema vertieft.

„Und das Beste ist ja, dass er sich nach Hawaii verflüchtigt hat. Stell dir das mal vor! Der amerikanische Präsident sitzt jetzt auf ner´ verdammten Insel und scheißt sich die Hosen voll!“, Jens schob sich einen Löffel Zucker in den Mund.

Jonathan blickte irritiert zu ihm hinüber: „Wie--? Woher weißt du das? Das gesamte Kommunikationssystem ist doch lahmgelegt, oder?“

„Ach Quatsch! Unser Institut hat ein gesichertes Netz und das schon bereits vor dem Vorfall. Wir haben immer noch Kontakt zu einigen anderen Städten wie New York, Washington oder Moskau.“ Bergmann nippte an seinem Kaffee. „Letzte Woche haben wir die Verbindung zu Athen verloren. Aber hey! Bitte sag keinem, dass du´s von mir weißt! Normalerweise wissen darüber nur die wirklich hohen Tiere aus der Chefetage bescheid und ein paar Leute vom Technical Service. Und das hat auch seine Gründe …“

„Und woher weißt du´s?“

„Ich wusste, dass du diese Frage stellst! Ein Freund von mir arbeitet im TS. Ich wollte ihn dir sowieso noch vorstellen.“, babbelte Jens zwischen zwei Brötchenhälften hindurch.

Mit einem leicht wehleidigen Ausdruck, der sich kaum merklich in seinem Gesicht abzeichnete, begann Jonathan unbeholfen mit einer Gabel in seiner Kiwi herumzustochern.

„Was zum Teufel machst du da?“ Jens griff entsetzt nach dem misshandelten Stück Obst und fuchtelte danach dramatisch vor Stalkers Nase herum. „Das ist eine Kiwi und kein Tier, das du erst töten musst! Mann, du tust ja fast so als hättest du noch nie eine Frucht gegessen!“

Jens wusste gar nicht wie recht er damit hatte.
 

„We are living in a yellow submarine! … UND JETZT ALLE!!!”

Jonathan spitzte die Ohren. Hatte er richtig gehört oder hatte er sich mit seiner ersten Kiwi eine Lebensmittelvergiftung geholt?

Er und Jens hatten ihr Mittag beendet und waren nun auf dem Weg zur Technical Service Abteilung im Erdgeschoss, die sich, laut den Angaben von Jens am Ende des hellblau gestrichenen Flures befand, den sie gerade entlang schritten.

Stalker lauschte noch einmal. Er fühlte sich geradezu schmerzhaft an seine Schulzeit und den damit verbundenen Musikunterricht erinnert. Beatles, Rolling Stones, ABBA, Elvis Presley, einige wenige die ihm auf Anhieb noch einfielen und ihn gleichzeitig auch wieder in die verhassten Klassenräume zurücktrieb.

Rein textmässig hatte er beim Gesangsunterricht nie Probleme gehabt, doch mangelte es ihm an Rhythmusgefühl und Notenkenntnis, sowie der Fähigkeit zum Tonhalten.

Herr Drake, ein kleiner, beleibter Lehrer, der zum Leidwesen aller Schüler auch noch glaubte er könne singen, hatte anfänglich noch große Stücke auf Jonathan gesetzt, die sich aber im Laufe der Schulzeit in eine Art permanenter Abneigung wandelten und sogar so weit ausarteten, dass er jedes Mal, wenn Jonathan mit dem Vorsingen an der Reihe war, schmerzhaft zusammenzuckte, da er wohl befürchtete der Junge würde die Töne so sehr verunstalten, dass er sich der Musik gegenüber selbst schuldig machen würde. Man muss verstehen, dass Herr Drake keinerlei Toleranz oder gar Verständnis für Fehler oder Schwächen anderer Menschen zu haben pflegte, sondern einzig und allein die Musik abgöttisch anbetete. Immerhin kam der junge Jonathan im Endjahr auf 4, die sich nahezu perfekt in den Rest seines Zeugnisses einfügte.

Stalker schluckte einen Kloß hinunter, der sich in seiner Kehle gebildet hatte und folgte Jens weiter den Gang entlang.

Als die beiden den Warteraum des TS betraten, war der Gesang noch lauter geworden.

Die ältere Sekretärin, die Jonathan ohne einen ersichtlichen Grund irgendwie an die Kiwi erinnerte, die er zuvor verspeist hatte, sah Jens an und schüttelte missbilligend den Kopf über die überschwänglichen Hymnen aus dem Nebenraum.

„Skipper hat wieder seinen Rekord gebrochen, oder?“ Jens grinste breit.

„Zum elften Mal in dieser Woche schon. Langsam ziehe ich einen Postenwechsel in Betracht.“ Die Sekretärin stand auf, um die große Tür, die zum Raum nebenan führte, zu öffnen.

„Clairice, du weißt genauso gut wie ich, dass du nichts andres finden wirst.“

„Allerdings.“ Sie schob die Tür auf. „Und das deprimiert mich ja so …“

Die Fülle des Raumes war unglaublich. Ungefähr 50 Menschen und mindestens doppelt so viele Computer konnte man auf Anhieb ausmachen. Schwere Metalltische waren in Reihen angeordnet und die Wände waren mit allerlei Plasmavorrichtungen gespickt. Bildschirme, nebeneinander gestellt, bildeten eine Art Mauer und unzählige, bunte Kabel hingen in wirren Streben von der Decke. Zudem entdeckte Jonathan viele unbekannte Gerätschaften, denen er keine Funktion zuordnen konnte.

Der Chor war verstummt, als er und Jens den Raum betraten. Die Stille war auf einmal viel bedrückender als das laute Gegröle. Die Masse starrte die beiden Besucher an, manche begaben sich hastig wieder zurück an ihren Arbeitsplatz, andere (meist weibliche Individuen) winkten Jens freundlich zu.

„Freut mich zu sehen, dass du mal wieder genug Zeit gefunden hast deiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, Skipper. Wo du doch eigentlich soviel zu tun hast, seitdem wir Athen verloren haben.“

„Hey, klingt ja fast wie ein Vorwurf, mein Freund. Mach du erstmal meinen Job und dann werden wir sehen, wie lange du Bildschirme anstarren kannst, bis du irrewirst!“

Die Stimme klang jung und sehr entfremdend in dieser Umgebung. Sie gehörte einem Mann, eher noch einem Jungen, der ihnen gegenüber in einem Drehstuhl saß. Seine leicht gewellten Haare waren feuerrot und sein blasses Gesicht war mit Sommersprossen übersäht. Er lächelte.

Jens lächelte ebenfalls. „Ich könnte das nie so gut wie du. Außerdem wäre es wahrscheinlich nicht sehr angenehm, wenn alle Außenteams plötzlich meine Stimme im Ohr hätten.“

„Zumindest hätten sie dann mehr zu Lachen.“

Bergmann tat so, als hätte er die letzte Anspielung seines jungen Freundes nicht gehört. „Ich habe den Neuen mitgebracht. Jonathan Stalker. Das ist Joshua McKenzie, besser bekannt als „Skipper“.“

Skipper hob die Hand zur Begrüßung und kaute dabei weiter auf einem Zahnstocher herum.

„Er ist der Captain. Er ist mit jedem verbunden, der hier arbeitet, hält Kontakte mit den anderen Städten aufrecht und er ist ein wahres Genie wenn es um Technik geht und darum wie man sie möglichst erfolgreich anwendet. Wenn mal eine Außenmission ansteht, ist er Derjenige, der dich führt und mit dir in Kontakt bleibt. Die gesamte Abteilung hier steht unter seiner Aufsicht.“

Jonathan nickte verstehend, obwohl er dem jungen Mann vor ihm niemals eine solch führende Position zugeordnet hätte. Skipper drehte während Jens ihn vorstellte unablässig Runden in seinem Bürostuhl und kam erst zum Stehen als Bergmann geendet hatte.

„Soso. Jonathan … Stalker? Hat deine Ausbildung schon begonnen?“

„Nein, ich bin erst seit gestern hier und--“

Im hinteren Teil des Raumes fiel etwas Großes scheppernd zu Boden. Einer der Mitarbeiter, die vor den Überwachungsmonitoren saßen, hatte beim Versuch sein Headset aus einem Wust von Kabeln zu befreien, ein Tablett voller Kaffeetassen vom Tisch gestoßen und machte sich nun peinlich berührt daran, den Großteil der verschütteten braunen Flüssigkeit vom Boden und den darauf verteilten Dokumenten zu wischen.

Seufzend drehte sich Joshua wieder den beiden anderen zu.

„Ich habe Kahn schon mehrmals gesagt, dass dieser Raum niemals für 47 Leute reicht. Zudem ist die Hitze die durch die Computer ausgestrahlt wird selbst im Winter kaum zu ertragen, aber die Chefetage hat ja nichts Besseres zu tun, als sich um diesen verdammten wichtigen Organisationskram zu kümmern! Ich frage mich wirklich, was man denn überhaupt noch zu organisieren hat. Immerhin leiten wir doch die ganzen Einsätze und die drehen Däumchen.“

Er schüttelte seine rote Mähne.

„Wie auch immer. Jonathan, ich habe etwas für dich!“ Er begann in einer der zahlreichen Schubladen seines Schreibtisches rumzuwühlen, bis er fündig wurde. „Das hier wird ab jetzt bei allen kommenden Einsätzen dein ständiger Begleite sein. Ein kleines Mikrokommunikationsgerät für dein Ohr. Damit bist du mit uns verbunden. Also wenn du Probleme hast, sag´s einfach nur und wir holen dich da raus.“

Skipper zwinkerte ihm zu und gab ihm den kleinen mattschwarzen Apparat.

„Na dann werd ich jetzt auch mal Pause machen.“ Er streckte sich auf seinem Stuhl und fügte noch hinzu, während er auf sein rechtes Ohr tippte: „Wir hören uns, Jo.“
 

Ein wenig später hatten Jens und Jonathan den stickigen Raum bereits verlassen und wanderten wieder die Gänge des Gebäudes entlang.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2006-09-11T16:52:37+00:00 11.09.2006 18:52
huh, erste
das kapitel ist noch nicht abgeschlossen? *glubsch*
nunja, ich finds jetzt schon gut (du weißt wieso, oder? xD)
ich mag deine at zu schreiben, beeil dich mit dem rest...bitte
brauchst du de noch?
*auf jibril zeig*


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