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It's called destiny

von

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Read the letters...

Ich weiß, es ist unglaublich, aber nach... LAAAANGER Zeit habe ich die FF zuende geschrieben. Es überkam mich einfach. O.o Wunder geschehen also doch noch manchmal.
 

In diesem Part wieder ein bisschen Nittle Grasper Momente, aber natürlich nicht ausschließlich. XD
 

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Read the letters
 

Es war zwei Uhr morgens und das N-G Gebäude war wie ausgestorben. Fast alle Angestellten waren bereits nach Hause gegangen und nur in einigen Proberäumen übten noch Acts oder nahmen Songs auf. Die oberste Etage war jedoch vollkommen leer, bis auf ein Raum: Das Büro von Seguchi Tohma.

Der Blonde saß an seinem Schreibtisch und arbeitete ein paar Hefter durch, die sich unter anderem mit diversen Konzerten von seinen Musikern, aber auch Nittle Grasper beschäftigten. Zudem stand ein neues Album seiner Band an und es musste noch einiges wegen der Veröffentlichung und Vermarktung geklärt werden.

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn aufsehen. Wer wollte ihn denn noch zu so später Stunde sprechen? „Herein.“

Ryuichi trat ein und schloss die Tür wieder leise hinter sich. „Hallo, Tohma.“

„Ah, Ryuichi. Ich arbeite gerade an dem Tourneeplan.“

„So spät noch da? Schlechtes Gewissen Mika gegenüber?“

Überrascht sah Tohma seinen Bandkollegen an. Dann erinnerte er sich daran, dass Ryuichi und Shuichi am vorigen Morgen gemeinsam zur Arbeit erschienen waren. Ein leicht zynisches Lächeln schlich sich in sein Gesicht. „Shindou hat es dir erzählt, nicht wahr?“

Ryuichi sah ihn nur ernst an und ging dann auf den Schreibtisch zu. „Ich könnte dich jetzt fragen, warum du Eiri-san geküsst hast, aber das tue ich nicht. Viel mehr will ich wissen, ob du es Mika erzählen wirst.“

Der Blonde stand auf und trat an das Fenster. „Als ich sie geheiratet habe, habe ich ihr geschworen, immer ehrlich zu ihr zu sein.“

„Oh, super. Dass du Eiri-san nicht küssen wirst, hast du ihr natürlich nicht geschworen. Von daher geht das schon in Ordnung“, lachte er trocken.

Tohma fuhr herum und fixierte ihn scharf. „Bist du hergekommen, um mir eine Predigt zu halten? Danke, aber ich kann meine Zeit wirklich sinnvoller nutzen.“

In diesem Moment rutschte Ryuichi die Faust aus und traf den anderen am Unterkiefer.

Der Keyboarder taumelte etwas zurück und hielt sich geschockt das Gesicht. „Was sollte das?“

„Das frage ich dich. Du küsst Eiri-san, ihr werdet von Shindou erwischt und damit war es das für dich? Hast du dir auch nur einmal überlegt, was du ihnen damit antust?“

Inzwischen hatte Tohma seine Fassung wieder erlangt und sein übliches kühles Lächeln aufgesetzt. „Ich weiß, dass du und Shindou euch gut versteht, aber…“

„Ich meinte nicht Shuichi!“, unterbrach er ihn scharf. „Nicht nur. Wenn du es Mika wirklich erzählst, dann verletzt du sie. Dieser Kuss hat keine Bedeutung und das weißt du. Du und Eiri-san, ihr habt keine Affäre, nicht einmal mehr das brüderliche Verhältnis von damals. Warum willst du es dann so kompliziert machen?“

„Ryuichi, das ist meine Sache.“

„Es ist auch meine Sache, denn du bist mein bester Freund!”

Der Blonde öffnete den Mund etwas, doch seinem Verstand entglitten die Worte wie ein Fisch im Wasser. Er kannte diesen Blick von Ryuichi nur zu genau und wusste, dass es ihm todernst war.

„Willst du nicht versuchen, dich Shuichi gegenüber etwas besser zu verhalten? In der jetzigen Situation kann ein Wort von dir reichen und er verlässt Eiri-san. Aber wenn er das tut, wird der dir das nie verzeihen und das weißt du. Im Endeffekt kannst du sowohl Mika, als auch Eiri-san verlieren, wenn du so weitermachst.“

Tohma war überrascht, wie sehr sich Ryuichi auch nach Jahren noch um ihn sorgte. Bisher hatte er immer geglaubt, er würde auf Shuichis Seite stehen, doch das rückte alles in ein vollkommen anderes Licht.

Ryuichi sah betrübt aus, als er fortfuhr. „Tohma, was ist nur passiert? Ich erkenne dich kaum wieder. Du bist nur noch ein Schatten im Nebel, den ich von dem Jungen sehe, dem ich mit acht Jahren einen Ball an den Kopf geschossen habe. Seit du mit Eiri-san aus New York zurückgekommen bist, hast du dich so sehr verändert, dass es mir Angst macht. Als wäre dir alles egal.“

Langsam senkte der Angesprochene den Blick und, obwohl er nicht ausgesprochen worden war, lag eindeutig dieser eine Satz im Raum: Ich kenne mich selbst nicht mehr.

„Findest du nicht, dass es langsam Zeit ist, mit der Sache von damals abzuschließen? Eiri-san will weiter gehen, warum bleibst du dann stehen?“

„Und wenn ich das nicht kann?“, fragte Tohma leise und sah erst wieder auf, als sein Freund nun direkt vor ihm stand.

„Du bist nicht allein, Tohma.“ Ryuichi hob seine rechte Hand und streckte ihm die offene Handfläche entgegen, als würde er sie an eine unsichtbare Glassscheibe legen.

Tohma erinnerte sich an etwas, das schon sehr lange zurück lag, und musste lächeln, als er sah, dass der Sänger es nach all den Jahren nicht vergessen hatte. Schließlich hob er seine eigene linke Hand und legte sie an die des Anderen.

Nun lächelte auch Ryuichi.
 

-- 15 Jahre zuvor --
 

Das Ticken der Wanduhr bohrte sich durch das leere Schulzimmer, in dem der Musikunterricht für gewöhnlich abgehalten wurde, und wurde schließlich durch das leicht metallische Geräusch einer leeren Dose unterbrochen, die auf einer Bank abgesetzt wurde.

„Sieht so aus, als können wir nicht auf dem Schulfest auftreten“, erklärte der blonde Siebzehnjährige nüchtern und lehnte sich gegen die Schulbank.

„Auf keinen Fall!“, protestierte sein Freund und wedelte dabei mit den Armen, woraufhin er ein schmerzerfülltes Keuchen ausstieß.

„Du solltest deinen Arm nicht so belasten, Ryuichi“, sagte Tohma und grinste leicht. „Sonst verheilt der nie.“

Der Sechzehnjährige sah ihn vorwurfsvoll und mit Schmerzenstränen in den Augenwinkeln an. „Du bist gemein, dich über meinen Schmerz lustig zu machen!“

Nun lachte der Blonde bei diesem Anblick. „Tut mir Leid, aber das hast du dir ja auch selbst eingebrockt.“

„Aber Treppenhüpfen macht riesigen Spaß!“, widersprach Ryuichi lautstark. „Wusste ja nicht, dass man sich da den Arm brechen kann.“

Manchmal fragte sich Tohma, warum ausgerechnet der aufgedrehte und laute Sakuma Ryuichi sein bester Freund war, wo er doch selbst als sehr ruhig und bedacht bezeichnet wurde. Aber vielleicht war es gerade diese Gegensätzlichkeit, die sie beide zusammenschweißte wie zwei unterschiedlich geladene Pole. Und hätte ihm Ryuichi nicht damals, als er neun gewesen war, einen Ball an den Kopf geschossen, hätten sie sich nie kennen gelernt und er wäre sicher nie so geworden, wie er nun war. Und da war noch etwas, das sie verband: Die Musik. Sie waren eine kleine Schülerband und hatten eigentlich vorgehabt, auf dem Neujahrsfest der Schule zu spielen, aber dann hatte sich Ryuichi bei einem unglücklichen Sprung von der Treppe den linken Arm gebrochen. „Wie willst du denn so singen, Ryu?“

„Oh, sind die Stimmbänder im Arm?“, fragte dieser und zeigte durch seinen ratlosen Blick, dass diese Frage ernst gemeint war.

Erneut musste Tohma lachen und schüttelte den Kopf. „Nein, da sind sie nicht. Aber ich glaube einfach, dass es dich zu sehr anstrengen würde, in einer Woche aufzutreten.“

„Quatsch, na no da!“ Er sprang von dem Stuhl, auf dem er eben noch gesessen hatte, und stand nun direkt vor seinem Freund. „Ich singe nicht mit dem Arm, sondern mit dem Mund und der ist noch gesund.“

„Bist du dir denn da sicher, dass du das tun willst?“

Energisch nickte er. „Ja, bin ich! Kein Armbruch würde mich je daran hindern, mit dir auf dem Fest zu spielen. Wir hatten uns doch geschworen, jede Gelegenheit zu nutzen.“

„Und irgendwann berühmt zu werden“, fügte Tohma hinzu. „Zusammen.“ Er hob seine linke Hand und streckte ihm die Handfläche entgegen.

„Zusammen“, wiederholte Ryuichi und drückte seine gesunde rechte Hand gegen die seines Freundes. „Als Freunde.“

„Klopf klopf.“

Beide sahen gleichzeitig zur Tür und damit auch zu dem Mädchen mit den zwei langen Zöpfen, das dort keck im Türrahmen lehnte.

„Du bist doch Noriko-san aus Klasse B, richtig?“, sagte Tohma und legte den Kopf leicht schief.

Ryuichi starrte sie nur ahnungslos an. Sie war ihm schon ein paar Mal auf dem Schulhof aufgefallen, aber nur, weil sie hemmungslos mit den älteren Schülern flirtete.

„Hi, guys! Ja, die bin ich.“ Lächelnd gab sie ihnen das Peace-Zeichen. Dann stieß sie sich vom Rahmen ab und schlenderte zu ihnen hinüber.

„Können wir dir helfen?“, erkundigte sich der Blonde.

„Vielleicht umgekehrt“, flötete sie und tätschelte Ryuichi den Kopf. „Ich hab gehört, ihr sucht noch jemanden, der Gitarre spielen kann.“

„Cool, das kannst du?“, meinte der Jüngste begeistert und sah sie mit großen Augen an.

Doch sie schüttelte nur den Kopf und ging auf das Klavier zu. „Das nicht, aber ich kann Klavier und Keyboard spielen.“

„Aber das kann Tohma doch auch!“

„Mit zwei Keyboards kriegt man ziemlich viel hin“, erklärte Noriko. „Und eine Band mit einem Sänger, einem Keyboarder und einem Gitarristen ist total abgegriffen.“

Ryuichi sah zu seinem Freund und blickte ihn fragend an. „Was sagst du, Tohma-chan?“

Er zuckte nur mit den Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das kann ich erst beurteilen, wenn ich gehört habe, wie Noriko-san spielt.“

„Kein Problem!“, erklärte sie sofort und drehte sich zum Klavier um. Zuerst spielte sie die Tonleiter, um ihre Finger zu lockern, dann begann sie zu spielen. Es war eine sehr schnelle Melodie und hätte besser zu einem Keyboard gepasst.

Dennoch begann Ryuichi schon nach kurzem begeistert zu grinsen und klatschte nach der Demonstration. „Das war superklasse!“

„Da kann ich Ryuichi nur zustimmen“, meinte auch Tohma und lächelte sie an. „Wenn du auf dem Keyboard genauso gut spielst, würde ich sagen, dass unsere Band komplett ist.“

„Ich wusste, es würde euch gefallen.“ Sie kam wieder zu ihnen. „Und wehe, wir werden nicht mal megaerfolgreich!“

„Das kannst du aber wissen, na no da!“
 

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Shuichi wachte wieder mit höllischen Kopfschmerzen auf und drückte daher sein Gesicht noch tiefer in das Kissen, welches ihm Ryuichi gegeben hatte. Ob er jetzt jeden Morgen so aufwachen würde? Er hoffte es nicht.

„Aufstehen, Shu-chan!“

Langsam drehte er den Kopf und schielte mit dem rechten Auge nach oben, um zu seinem Gastgeber aufzusehen. Dieser stand mit fröhlichem Gesicht da und Kumaguro hatte wieder die khakifarbene Haarpracht erobert.

„Guten Morgen“, nuschelte er in das Kissen und kratzte sich müde am Hinterkopf.

„Shuichi ist gerade rechtzeitig zum Mittagessen aufgewacht, na no da.“

Schnell setzte sich der pinkhaarige Sänger auf und blickte auf seine Armbanduhr. „So lange habe ich geschlafen?“

Ryuichi nickte fröhlich und zog ihn am Arm vom Sofa. „Ich habe Essen gemacht. Komm, bevor es kalt wird!“ Danach hüpfte er glücklich aus dem Wohnzimmer.

Shuichi folgte ihm und roch bereits im Flur, dass es sich um eine gewöhnliche Tiefkühlpizza handeln musste, doch das machte ihm nichts. Sein Hunger hielt sich nach wie vor in Grenzen. Irgendwie fühlte sich sein gesamter Körper taub an, was ja auch nicht verwunderlich war, da er am Vortag seine gesamte Energie zusammen mit Tränen vergossen hatte.

In der Küche wurde ihm auch sogleich ein Stück Pizza vor die Nase gesetzt und er nahm einen kleinen Bissen. Ryuichi hingegen schien sein ganzes Stück mit einem Biss verschlingen zu wollen und hatte schon nach wenigen Minuten die Hälfte der Pizza verputzt.

„Du hast ja heute so gute Laune, Ryuichi“, stellte der Jüngere fest und lächelte ein wenig

„Ja, denn heute Abend ist Ryuichi zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung eingeladen!“, antwortete er und strahlte über das ganze Gesicht.

Stimmt ja, das hatte Shuichi völlig vergessen. Die Veranstaltung, die teilweise live im Fernsehen übertragen wurde und zu der er und Yuki eingeladen worden waren. Er hatte dem blonden Schriftsteller gesagt, wenn er nicht mitkommen wolle, dann würde er eben allein gehen. Und an diesem Vorhaben würde er festhalten. „Ich bin da auch eingeladen.“

„Cool!“ Ryuichi sprang von seinem Stuhl auf und legte seinen Teller in die Spüle. „Du, sag mal…“

Der Leader von Bad Luck sah ihn an und blinzelte. „Ja?“

Noch immer hatte Sakuma ihm den Rücken zugewandt und es sah auch nicht so aus, als würde er sich in den nächsten Sekunden umdrehen. „Willst du Yuki-san wirklich verlassen?“

Shuichi musste schlucken und starrte betreten auf das Stück Pizza in seiner Hand. „Ich glaube schon…“

„Warum kämpfst du nicht?“

Der Unterton in der Stimme des Anderen ließ Shuichi schaudern. Es war kein Vorwurf darin gewesen, aber es hatte so traurig geklungen…

„Ich denke, dass er dich braucht. So sehr, wie du ihn brauchst“, fuhr Ryuichi fort, sah ihn jedoch immer noch nicht an. „Weißt du, Leute wie wir haben es nicht besonders leicht, was die Liebe angeht. Freunde finden wir überall durch unsere offene und fröhliche Art, aber die Liebe…“

Nun fühlte sich Shuichi noch unbehaglicher. Ryuichi redete nicht mehr nur von ihm und Yuki, er gab auch ein Stück von sich selbst preis.

„Mein Leben lang habe ich überall Freunde gewonnen, aber wenn es darum geht, mehr als nur Hobbies oder Gedanken zu teilen, ziehen sich alle von mir zurück. Sie denken, ich wäre ein lustiger Kerl, aber wer will schon eine Beziehung mit einem Kind, das nichts ernst nimmt? Ich will mich nicht verbiegen lassen und das solltest du auch nicht, Shuichi. Und die Tatsache, dass wir berühmt sind, macht alles nur viel schwerer. Jeder sieht in einem nur den Sänger, das Idol vieler, aber nie den Menschen selbst. Ich würde alles… einfach alles dafür geben, von jemandem so geliebt zu werden, wie Yuki-san dich liebt. Ein Mensch, der einen nicht einfach nur erträgt, sondern auch die Macken liebt.“ Endlich wandte er sich wieder Shuichi zu und zu dessen Überraschung waren seine Augen nicht ernst, sondern groß und glänzend und ein sehnsüchtiges Lächeln lag auf seinen Lippen. Sehnsucht nach etwas, das er womöglich nie kennen gelernt hatte. „So jemanden darfst du nicht mehr hergeben. Sonst endest du irgendwann wie ich, der die Ausfahrt verpasst hat, als alle anderen abgebogen sind.“

Shuichis schlechtes Gewissen meldete sich. Womöglich hatte Ryuichi Recht und mit einer Trennung würde er nur vor seinen Problemen flüchten. Und wollte er Yuki wirklich so kampflos aufgeben? Nein, das sicher nicht. Aber noch konnte er sich nicht endgültig entscheiden, weswegen er beschloss, sich erst einmal um Sakuma zu kümmern. Er stand auf und ging auf seinen Freund zu. In seinen Augen lagen Mitgefühl und das Wissen, was es für den Älteren bedeutet hatte, sich jemandem mitzuteilen. „Es gibt keine richtige Ausfahrt“, sagte er leise. „Selbst ich bin eigentlich im Straßengraben gelandet. Und ich glaube fest daran, dass das Schicksal für jeden etwas Großes bereithält. Auch wenn man es nicht mehr vermutet.“

Ryuichi lächelte. „Das sind weise Worte, Shuichi. Ich werde sie mir merken und du wirst es hoffentlich auch. Komm, ich gebe dir ein frisches T-Shirt.“
 

Wieder löste sich ein wenig Asche von der Spitze der Zigarette, die er in der rechten Hand hielt, und fiel auf die weißen Badfliesen. Seine Finger hielten die Kippe nur noch, da sie zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt war.

Die Lampe tauchte den Raum in kühles Licht und inzwischen hatte die Kälte auch von seinem Körper Besitz ergriffen. Yuki wollte nicht aufstehen, mit niemandem reden. Es fühlte sich so an, als hätte man ihm ein lebenswichtiges Organ herausgerissen und nun würde er langsam und qualvoll verbluten.

Tohma war nicht schuld an seiner Situation und auch nicht die Medikamente, die er nicht mehr einnahm. Diesmal war es ganz allein seine eigene Schuld und das wusste er. Mit welchem Recht hatte er es verdient, glücklich zu sein? Viel zu spät hatte er erkannt, wie viel Shuichi ihm tatsächlich bedeutete und das hier war seine Strafe.

Wie ein Schlag in den Magen hatte es ihn getroffen, als Ryuichi ihm am Vorabend zu verstehen gegeben hatte, dass er um Shuichi kämpfen müsse, wenn er ihn wirklich zurück wollte. Doch er hatte keine Kraft mehr. Alles, was ihn zum Leben und Weitermachen animiert hatte, war mit einem Mal gegangen. Shuichi war mit gutem Grund verschwunden und Tohma hatte er auf eine mehr als ungerechte Art vertrieben.

Yuki ließ die Zigarette fallen und strich sich durch das Haar. Nun war das eingetreten, wovor er all die Jahre Angst gehabt hatte – Er hatte sich vor der Welt zurückgezogen. Weshalb ging er nicht in die Küche, nahm sich ein Messer, und schnitt sich einfach die Pulsadern auf? Aber es wäre eine recht feige Art gewesen, aus dem Leben zu treten. Und die Möglichkeiten, als was er dann wiedergeboren wurde, wollte er gar nicht erst durchgehen. Er sollte leiden, an dem Schmerz vergehen und somit für alles büßen, was er Kitazawa, Shuichi und seiner Familie angetan hatte. Nicht einmal Tränen standen ihm zur Verfügung, mit denen er seiner Trauer um das Verlorene Ausdruck verleihen konnte.

Alle hatten ihn verlassen und vielleicht war es gut und richtig so. Es gab nichts mehr, auf das er in diesem Leben noch hoffen konnte.

Plötzlich vernahm er das leise Quietschen der Badezimmertür und dann ein paar Schritte. Langsam blickte er zu der Person auf, die nun vor ihm stand.

Sein Gegenüber stemmte die Hände in die Hüften und grinste schief. „Mann, was ist denn hier los?“
 

In drei Stunden würden er und Ryuichi sich auf den Weg zu dieser Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten krebskranker Kinder machen, doch Shuichis Enthusiasmus hielt sich stark in Grenzen. Ohne Yuki würde es einfach nicht dasselbe sein, nur langweilig und vielleicht ein wenig beängstigend. Bei Live-Übertragungen im Fernsehen hatte er sich nie besonders klug angestellt, also wieso sollte es dann diesmal anders sein?

Nervös nagte er am Ende des Bleistifts und überflog noch einmal den Songtext vom Vortag, an den er eine weitere Strophe angefügt hatte. Möglicherweise versuchte er, sich durch diese Worte selbst Kraft zu geben, aber es gelang nicht. Handys luden sich ja schließlich auch nicht von allein auf, wenn man sie nicht an ein Ladegerät anschloss.

Mit einem Seufzen legte er das Blatt auf den Wohnzimmertisch und lehnte sich zurück in das rote Polster. Selbst wenn Yuki ihn mit Tohma betrogen hatte, so wusste er, dass er ihm verzeihen würde, sobald sie sich wieder gegenüberstanden. Deswegen hatte er Ryuichi auch gebeten, ihn wieder fortzuschicken. Shuichi hatte Angst, dass er so das Falsche tun und weiteren Schmerz heraufbeschwören würde.

Er hörte das Klingeln an der Wohnungstür und stand auf. Ryuichi war unter der Dusche, also blieb ihm nichts anderes übrig, als selbst zu öffnen. Die Chancen, dass es wieder Yuki war, der vor der Tür stand, waren verschwindend gering, dennoch schlug sein Herz etwas heftiger, als er in den Flur ging. Es klingelte erneut. Eine Vorahnung keimte in ihm auf, auch wenn er nicht genau bestimmen konnte, was seine Nervosität auslöste. Nur eines war plötzlich glasklar für ihn: Die Person da draußen wollte zu ihm.

Seine zittrigen Finger schlossen sich um die Türklinke und mit einem letzten Schlucken öffnete er.

„Hallo, Shuichi!“

Überrascht blinzelte er zweimal, bevor er überhaupt ein Wort herausbrachte. „Tatsuha?“

Der Junge deutete mit dem Daumen auf sich und grinste selbstsicher. „The one and only.“

Shuichi wusste wirklich nicht, was er davon halten sollte, dass Yukis Bruder hier vor ihm stand. „Was machst du denn hier?“

„Weißt du, eigentlich wollte ich mich ja eine Woche bei Onii-san einnisten, aber so richtig Laune hatte ich schon dann nicht, als ich die Wohnung betreten habe und ihn im Bad sitzen sah“, erzählte er munter und fuhr sich dabei durch das schwarze Haar. „Ich meine, der sieht aus wie eine wandelnde Leiche, ganz blass und so.“ Bei diesen Worten blickte er nicht besonders angetan drein. „Echt, der Medikamentenentzug tut ihm nicht gut.“

„Medikamentenentzug?“, wiederholte Shuichi verwundert und packte unbewusst mit der linken Hand den Türrahmen.

Tatsuha begegnete seinem Blick nicht minder erstaunt. „Was, das wusstest du nicht? Schon seit drei Tagen, soweit ich weiß. Das war auch der Grund, den ich für Eiris schlechten Zustand vermutet hatte, aber nach ewigen Gesprächsversuchen hat er mir endlich die Story erzählt. Ihr seid echt nicht das Glückspärchen unter den Sternen.“

Ohne es zu bemerken, wechselte Shuichi sein Gewicht fortwährend von einem Bein auf das andere. „Es geht ihm schlecht?“

Der junge Mönch nickte. „Glaub mir, es geht ihm wirklich schlecht. So hab ich ihn noch nie gesehen und ich hab wirklich verdammt lange gebraucht, um von ihm die Adresse hier zu kriegen. Normalerweise mische ich mich ja nicht in die Angelegenheiten anderer ein, aber immerhin ist er mein Bruder und Tatsuha rennt jetzt rum und spielt Beziehungskitter. Und das kostenlos, bin ich nicht nett?“

„Ich weiß nicht, ob ich bei ihm bleiben will“, gab Shuichi nach drei Sekunden des Schweigens zu.

„Willst du es so wie jetzt lassen? Ein Häkchen dahinter machen und das Papier mitsamt Klemmbrett im Archiv verschwinden lassen? Da kenn ich aber einen ganz anderen Shuichi. Und zwar einen, der mitten auf einem Konzert ins Mikro brüllt, dass mein Bruder ihm gehöre, und auf unserer Tempelanlage in Weiberklamotten auftaucht.“

Der junge Sänger sah ihn unsicher an und fühlte sich ein wenig hilflos. „Ich bin nicht gut genug für ihn…“

Müde sah Tatsuha auf ihn hinunter und verdrehte kurz die Augen. „Hat er dir das so gesagt? Hat er wortwörtlich gesagt: ‚Du bist nicht gut genug für mich’? Nein? Dann krieg dich wieder ein und rede mit ihm!“

„Warum tust du das, Tatsuha?“

„Weil es auf dieser Welt so etwas gibt wie Geschwisterliebe gibt und ich keinen Bock auf die nächste Familienkrise hab. Außerdem bin auch ich ein Verfechter der Liebe, auch wenn es nicht so aussieht.“ Sein Grinsen wurde breiter und er hielt ihm einen Motorradhelm entgegen, den er die ganze Zeit über unter den Arm geklemmt hatte.

Zögerlich nahm Shuichi ihn entgegen und starrte darauf. Sollte er zu Yuki gehen?

„Shu-chan, wer ist denn da?“, fragte Ryuichi und trat neben ihm.

Der Pinkhaarige glaubte nicht, dass er je einen Menschen gesehen hatte, der seinen Oberkörper so schnell in die Horizontale bringen und dabei einen perfekten Neunzig-Grad-Winkel zu den Oberschenkeln bilden konnte wie Tatsuha. Und rot wurde er auch noch. Ein leichtes Grinsen huschte über Shuichis Gesicht, als er sich daran erinnerte, wie sehr Yukis Bruder Sakuma Ryuichi vergötterte.

Nach einigen Sekunden richtete sich Tatsuha wieder auf und seine auffällige Gesichtsfarbe war wieder etwas verschwunden. „Guten A-Abend.“

„Ah, Tatsuha-kun, richtig?“, quiekte Ryuichi und musterte ihn aufmerksam. „Du bist ja gewachsen wie verrückt, seit der Hochzeit damals! Aber stammeln tust du noch immer, na no da.“

„Normalerweise macht er das nicht“, versicherte Shuichi ihm.

„Shuichi“, sagte Tatsuha, der sich langsam wieder von dem Schock erholte, nichts ahnend an der Tür von dem leibhaftigen Sakuma Ryuichi geklingelt zu haben. „Kommst du nun mit?“

Wieder starrte Shuichi auf den Helm in seinen Händen. Konnte er Yuki einfach kampflos aufgeben? Seit wann tat er so etwas? Nie hatte er sich unterkriegen lassen und jetzt würde er sicher nicht damit anfangen. Wenn es so etwas wie eine zweite Chance für sie gab, dann wollte er sie nutzen. Er wusste, würde er es nicht tun, dann würde er sich den Rest seines Lebens fragen, ob er wirklich aus der Pokerrunde ausgetreten war, ohne vorher einen Blick in sein Blatt zu werfen.

Shuichi drückte Tatsuha den Helm in die Hände und rannte dann einfach los.

„Hey, ich hätte dich doch gefahren!“, protestierte der Schwarzhaarige, doch der Sänger war bereits den Hausflur hinunter verschwunden.

„Shu-chan macht das schon.“ Ryuichi öffnete die Tür noch ein Stück weiter und lächelte breit. „Willst du eine Cola?“
 

Ein kalter Schauer durchlief Shuichi, als er die Wohnungstür öffnete. Alles war still und dunkel, also ging er gewohnheitsmäßig auf das Arbeitszimmer zu, blieb jedoch vor der Tür stehen, als er nicht die üblichen Geräusche hörte, die Yukis Finger auf der Tastatur verursachten. Überhaupt strahlte die Wohnung diese verlassene Atmosphäre aus und er fragte sich, ob Tatsuha ihm doch nicht alles erzählt hatte und hier schon keiner mehr wohnte. Aber das bezweifelte er.

Er ging zum Schlafzimmer, doch auch hier zeugte ein ungemachtes Bett davon, dass an diesem Ort wohl mindestens eine Nacht lang keiner geschlafen hatte. Eine Gänsehaut zog sich über seinen Rücken und leichte Panik gab ihm das Gefühl, seine Kopfhaut würde sich zusammenziehen. Was war hier geschehen, seit er aus der Wohnung gestürmt war?

Sein nächstes Ziel war das Bad, dessen Tür nur angelehnt war, weshalb er den viel zu grellen Lichtstrahl sah, der sich durch die Öffnung aus dem Raum zwängte. Wie in Zeitlupe schob er die Tür mit der rechten Hand auf und betrat das Bad.

Mit einem Mal schien die Luft im Raum dünner geworden zu sein, weshalb er ein wenig schneller atmen musste und sich der Rhythmus seines Herzens beschleunigte. Yuki stach einem regelrecht ins Auge, wie er dort neben dem Waschbecken auf dem Boden saß und die Stirn schwach an den Wannenrand lehnte.

Shuichi glaubte, den leicht sauren Geruch von Erbrochenem wahrzunehmen, doch sicher war er sich da nicht. Wie gebannt starrte er auf den Blonden, der keine Zeichen von Leben von sich gab, die Augen geschlossen hielt und extrem blass war.

„Tatsuha, hau endlich ab“, sagte der Schriftsteller schließlich, sah jedoch nicht auf. Seine Stimme war rau, dennoch war keine Gefühlsregung aus ihr heraus zu erkennen. Als wäre ihm alles egal.

Am liebsten wäre Shuichi auf dem Absatz umgedreht und hätte die Flucht ergriffen. Aber irgendetwas in ihm sagte, dass er es sowohl sich, als auch Yuki und vielleicht sogar Tatsuha und Ryuichi schuldig war, mit ihm zu reden. Sofern reden überhaupt möglich war.

Langsam ging er auf den Mann zu, den er liebte, und blieb schließlich kurz vor ihm stehen. Sein Hals fühlte sich ungewöhnlich trocken an, doch er schaffte es, seine Stimme fest klingen zu lassen. „Ich bin es.“

Einen Augenblick lang glaubte er, dass Yuki das nicht mitbekommen hatte, bis dieser langsam den Kopf hob und schwach zu ihm aufsah. Er sagte nichts.

Eiri wusste nicht, was er denken oder glauben sollte. Wieso stand da Shuichi vor ihm, obwohl er ihn so verletzt hatte? Wäre er nicht derjenige gewesen, von dem der erste Schritt kommen musste? Seine Beine waren zu schwach zum Weitergehen und doch war er an dieser Stelle angekommen. Selbst, wenn Shuichi ein T-Shirt trug, das nicht ihm gehörte, und es verdammt wehtat. „Shuichi…“

Das Herz des Jüngeren krampfte sich schmerzhaft zusammen, als er unfreiwillig in diese leeren hellgrünen Augen blickte. Der Blonde sah nur noch wie ein Geist aus, ein lebloses Wesen, das sich von der Welt nicht verabschieden und sich mit dem Himmel nicht anfreunden konnte. Gott, wie gern wollte er ihn jetzt in die Arme nehmen und ihm ein wenig von seinem eigenen Leben schenken! Stattdessen stellte er nur diese Frage. „Soll ich gehen?“ Gehen, gehen – ein endgültiges Gehen! „Liebst du mich?“

Yuki wandte den Blick ab und legte eine Hand auf die kühlen Fliesen, die den Boden bedeckten. „Ich liebe Tohma…“

Diese Worte bohrten sich tief in Shuichis Seele und gegen seinen Willen gab er einen erstickten Laut von sich.

„Ich liebe ihn wie einen großen Bruder, wie einen Vater. So wie ich Mika und Tatsuha liebe.“ Wieder sah er zu dem Sänger hoch und seine Augen wurden feucht. „Sie sind meine Familie und in einer Familie kümmert man sich um einander. Und das macht jeder auf seine Weise, wobei es egal ist, wie viel man für einander tut, das verstehst du doch?“

Wie von selbst formten Shuichis Lippen das Wort „Yuki“. Noch immer stand er regungslos da und wusste nicht, was geschehen würde. Womöglich war das hier die Sackgasse, zu englisch auch Dead End genannt – Totes Ende. Ja, jetzt konnte Yuki ihn mit seinen nächsten Worten sterben lassen.

Der Blonde sprach leise weiter und es fiel ihm zusehends schwerer. „Ich liebe meine Familie, aber ich liebe sie nicht auf dieselbe Weise, wie ich dich liebe. Ich…“ Er musste abbrechen, da nun die ersten Tränen ihren Weg aus seinen Augen gefunden hatten. Wie sehr er es doch hasste, schwach zu sein. Nur jetzt ging es nicht anders und das wussten beide. Zu lange hatte sich alles aufgestaut und nun forderte es seinen Tribut.

Kraftlos richtete er seinen Oberkörper auf und nahm vor Shuichi eine leichte Demutshaltung ein. Dinge, wie Stolz und Unnahbarkeit, waren ihm in diesem Moment mehr als egal. „Ich will nicht wie Yuki werden!“, schluchzte er. „Ich will nicht den Menschen verletzen, der mich liebt! Warum kann ich nicht vergessen?“

Shuichi ertrug diesen Anblick einfach nicht mehr und so hockte er sich hin und zog seinen Geliebten ihn eine schützende Umarmung. „Weil man Verstorbene nicht vergessen darf, egal was für Menschen sie waren.“

Der Schriftsteller weinte nun heftiger und klammerte sich verzweifelt an den Jüngeren. „Bitte geh nicht! Vielleicht ist es ja mein Schicksal, ewig allein zu sein, aber…“

„Das Schicksal – Was ist das schon?“, flüsterte Shuichi und strich ihm beruhigend durch das blonde Haar. „Ich breche doch sowieso alle Regeln, wieso sollte ich da vor dem Schicksal klein beigeben?“

Mit brüchiger Stimme versicherte Eiri ihm: „Ich habe nichts mit Tohma!“

„Ich weiß“, murmelte Shuichi und er musste sich eingestehen, dass es so schon immer ganz deutlich vor ihm gelegen hatte. Er hatte es nur nicht gesehen. „Das weiß ich, wirklich.“

Es klang, als würde Yuki jedes einzelne Wort unendlich schwer fallen, und er drückte sich fester an Shuichi, wobei er die Augen zusammenkniff. „Wenn… Wenn du was mit Sakuma hattest, dann sag es mir bitte nicht… Es würde mich umbringen…“

Sofort begriff Shuichi und lächelte nur leicht, als er ihm sanft über den Nacken streichelte. „Mein eigenes T-Shirt war schmutzig, deshalb hat er mir eines geliehen. Ich kann dich doch gar nicht betrügen.“

Yuki antwortete nicht, sondern weinte nur noch. Der Damm, der seine Seele so lang umgeben hatte, war gebrochen.

Sachte strich der Sänger über seinen Rücken und hielt ihn einfach nur. Vielleicht war heute der Zeitpunkt gekommen, wo er der Starke in dieser Beziehung war - und sollte es nur für diesen einen Tag sein.
 

Es war bereits dunkel, als sie gemeinsam in Yukis Wagen zu dem Hotel fuhren, in dem die Wohltätigkeitsveranstaltung stattfand. Wie der junge Autor zugegeben hatte, hatte er sie beide bereits angemeldet, bevor Shuichi die Einladung gefunden hatte.

Hin und wieder warf Shuichi einen besorgten Blick auf den Fahrer, der eine halbe Stunde lang nur geweint und danach zwei Aspirin genommen hatte. Er hatte ihm verziehen, denn er hatte begriffen, dass sein Geliebter jemanden brauchte, der ihm bei der Überwindung aller schmerzlichen Erinnerungen und dem Beginn eines neuen Lebensabschnittes beistand. Und sie beide brauchten einander wie ein Wüstenbewohner das Wasser zum Leben.

Der Sänger lächelte leicht, als er Yukis entspannte Züge musterte. Vielleicht war ein Öffnen seines Herzens alles gewesen, was er gebraucht hatte. Zumindest sah der Blonde inzwischen um einiges gesünder aus. Er trug einen dunklen Anzug und darunter ein weinrotes Hemd und Shuichi fand wie immer, dass er unverschämt gut aussah.

Er selbst hatte sich eine schwarze Lederhose, ein weißes Hemd und ein schwarzes Jackett angezogen, welches Yuki gehörte, diesem aber nicht mehr passte. Eigentlich hatte Shuichi sich etwas anderes anziehen wollen, doch der Schriftsteller war sofort eingeschritten und hatte ihm gesagt, welche Kleidung er passend fand. Und er hatte Recht gehabt, Shuichi sah gut aus.

„Ich liebe dich, Yuki“, sagte Shuichi leise, während er den Blonden aus halboffenen Augen ansah.

Eiri lächelte ein wenig und erwiderte den Blick. „Wir sind da.“

Langsam kam der Wagen vor dem Hotel zum Stehen und ein Portier nahm den Autoschlüssel entgegen, als sie ausgestiegen waren, um das Auto zu parken. Früher hätte Yuki nie jemandem den Schlüssel für sein Auto gegeben, doch offensichtlich war ihm das heute egal.

Gemeinsam betraten sie das Hotel und wurden sofort zu den offenen Türen des Saales geführt, in dem die Veranstaltung stattfand.

Kaum hatten sie diesen betreten, ergriff Yuki die Hand des Jüngeren und sah sich um. Es waren jede Menge bekannte Personen aus allen möglichen Medienbereichen anwesend und einige Meter von ihnen entfernt trieben sich ein Kamerateam und eine Moderatorin herum, die einzelne Gäste begrüßten und sie einige Worte an die Zuschauer richten ließen.

Schon hatte die blonde Moderatorin sie erspäht und Shuichi drückte sich enger an seinen Geliebten, als sie mit sensationslüsternen Blicken auf sie zukamen. Er wollte seine Hand der Yukis entziehen, doch der andere packte sie nur fester.

Überrascht sah er zu dem Autor auf, der ihn nur leicht angrinste.

„Du wirst dich doch nicht für mich schämen?“, murmelte Eiri.

Nun war die Blonde bei ihnen angekommen und lächelte breit in die Kamera. „Soeben sind der berühmte Liebesromanautor Yuki Eiri und sein Lebensgefährte Shindou Shuichi, der Bandleader der Gruppe Bad Luck, eingetroffen.“ Sie drehte sich zu den Beiden und hielt Yuki sofort das Mikro unter die Nase. „Es ist das erste Mal, dass Sie seit Ihrem gemeinsamen Outing zusammen in der Öffentlichkeit auftreten.“

„Die Einladung wurde an uns beide geschickt, also liegt es natürlich nahe, dass wir auch gemeinsam auftauchen“, antwortete Eiri wahrheitsgetreu und schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. „Und wie ich bereits sagte, ist unsere Beziehung nichts, wofür wir uns schämen müssten.“

Sie nickte und schwenkte das Mikro vor Shuichis Gesicht. „Möchten Sie noch etwas hinzufügen, Shindou-san?“

Der junge Sänger grinste. „Ist doch viel besser, mal in der Öffentlichkeit aufzutauchen, ohne dass man selbst dafür bezahlt wird, sondern dass das Geld mal in was Sinnvolles fließt.“

Erneut nickte sie, dann zog sie mit ihrem Team wieder los, um die nächsten Gäste zu quälen.

„Sag, hab ich mich arg blöd angestellt?“, fragte Shuichi seinen Lebensgefährten unsicher.

„Es gab schon Situationen, wo du dümmeres Zeug geredet hast.“

Sie gingen weiter durch den Saal und Shuichi registrierte, wie sein Geliebter immer wieder den Blick hierhin und dorthin wendete, als kannte er diesen Ort bereits. Und womöglich war das auch der Fall. Gerade wollte er ihn darauf ansprechen, als eine andere Stimme das Wort ergriff.

„Hallo, Eiri.“

Überrascht sah der Sänger den blonden Chef von N-G an, der gerade zusammen mit seiner Frau vor sie getreten war.

„Guten Abend, Shindou“, begrüßte Tohma auch ihn und lächelte freundlich. So, als wäre nie etwas geschehen. Er hatte den Arm um die Hüfte von Mika gelegt, die ein schwarzes, dezentes Abendkleid trug. „Wie geht es euch? Ich hatte schon befürchtet, ihr würdet nicht kommen.“

Eiri erwiderte ein zynisches Lächeln. „Ist doch eine praktische Abwechslung zu der ständigen Arbeit daheim.“

„Da seid ihr ja!“, rief plötzlich jemand und kam auf sie zugeflitzt. Es war Ryuichi, der mit seiner Garderobe etwas aus dem Rahmen fiel. Er hatte auf einen Anzug verzichtet und sich schwarze Jeans und ein blaues Shirt übergezogen. Auf seinem Haupt ruhte eine Sonnenbrille, die um diese Tageszeit völlig unangemessen war.

Shuichi lächelte kurz. Offenbar konnte man sich so etwas erlauben, wenn man dermaßen bekannt war.

„Das weckt Erinnerungen!“, meinte der andere Sänger euphorisch und ließ seinen Blick schweifen. „Nur damals war es deine Hochzeit, Tohma-chan.“

Der Zweiunddreißigjährige lächelte und legte den Kopf leicht schief. „Ist aber auch schon ein paar Jahre her.“

Ryuichi stemmte einen Arm in die Seite und sah seinen Freund grinsend an. Von einer Sekunde auf die andere hatte er sein Auftreten von dem eines Kindes in das eines erwachsenen, selbstischeren Mannes verwandelt. „Können wir kurz unter vier Augen reden? Ich habe eine Bitte an dich.“

Der Produzent entschuldigte sich bei den anderen und die beiden verschwanden aus ihrer Sicht.

Mit einem leisen Seufzen verschränkte Mika die Arme und sah ihren Bruder an. „Dass du wirklich aufgetaucht bist, ist ja wie ein Wunder.“

„Komm schon, Mika“, meinte der Autor und bedachte sie mit einem amüsierten Blick. „Bin ich denn so unmenschlich, dass ich nichts Wohltätiges tun will? Und es wurde auch mal Zeit, dass ich mich mit Shuichi in der Öffentlichkeit blicken lasse.“

Mika schienen im ersten Moment die Worte zu fehlen. Sie hatte immer geglaubt, dass ihr Bruder den Medienrummel so verachtete, dass er es nie zulassen würde, sie beide je wieder im Fernsehen zeigen zu lassen. Gerade, wo doch Stress Yukis absolutes Gift war, das bei zu hoher Dosierung einen sechzehnjährigen Jungen hervorzauberte. „Wenn du das meinst…“

Vorne auf der Bühne, wo die Jazzband spielte, ging ein Tumult los, von dem jeder auf der Veranstaltung unweigerlich Notiz nehmen musste.

Die Musiker bauten schnell ihre Instrumente ab, verschwanden von der Fläche und es wurden ein Klavier darauf geschoben und ein Mikro aufgestellt. Alle fragten sich, was geschehen sollte, aber Mika, Shuichi und Eiri hatten da schon eine Vermutung, in der sie sich bald bestätigt fühlen sollten.

Ryuichis Sprung auf die kleine Bühne wurde durch einen dumpfen Knall seiner Schuhe auf dem Holzparkett begleitet und spätestens da hatten ihn alle bemerkt. Auch das Kamerateam wandte sich ihm zu und die Reporterin sagte eilig in ihr Handy, man möge doch wieder auf Live-Übertragung schalten.

„Guten Abend!“, sagte Ryuichi mit heller stimme ins Mikro und sofort kehrte Ruhe ein. Selbst dieses Publikum, das nicht aus Fans bestand, war sofort in seinen Bann gezogen. Eine Eigenschaft an Ryuichi, die Shuichi sehr bewunderte.

„Nittle Grasper wollen sich natürlich auch an dem ganzen Spendending beteiligen und daher möchten wir heute einen Song vorstellen“, begann der Sänger zu erzählen. „Er wird gemeinsam von Bad Luck und Nittle Grasper produziert werden und zwei Drittel der Gesamteinnahmen gehen in die Spendenbüchse.“

Applaus folgte, der an einer Stelle besonders heftige Anflüge annahmen.

Dann setzte sich Tohma an das Klavier und platzierte ein paar Notenblätter in seinem Blickfeld.

„Der Songtext ist von Shindou Shuichi“, erklärte Ryuichi noch, bevor er die Augen schloss und sich von den Klängen des Klaviers, das das Intro spielte, einhüllen ließ.

„Ihr habt einen Song zusammen produziert?“, fragte Mika verwundert, da sie davon absolut nichts wusste. Für gewöhnlich erzählte ihr Mann von etwas außergewöhnlicheren Projekten.

Shuichi hingegen fühlte sich wie von einem Tanklaster überfahren. Wann hatte er denn bitte einen Song geschrieben, der von Ryuichi als singenswert betrachtet wurde? Und von was für einer Single und von welcher Kooperation hatte er gesprochen? Das alles lag außerhalb seiner Begriffsfähigkeit.

Ryuichi beugte sich vor zum Mikro und begann zu singen:
 

The words remain in pain unspoken

Everything left – a silent cry

Tears fall on the black ground. Broken

Darken the streets, will never dry.

Hear the sound of falling tears
 

I’m looking for better days to come

But I am blinded by those tears

No place where light might come from

There’s no hope, just hate and fears

Can you feel it weakens our heart?
 

The rain is black

Pouring down on the streets

Of my vulnerable soul

It washes my life away

The letters on it - unreadable

That tell you who are me and you
 

Dark clouds still cover the sun

Wishes unfulfilled at night

No place to hide, no place to run

Stop this silence! It ain’t right!

Where is your voice that is so free?
 

The rain is black

Pouring down on the streets

Of my vulnerable soul

It washes my life away

The letters on it unreadable

That tell you who are me and you
 

Ryuchi hatte offenbar ein längeres Zwischenspiel für Piano eingefügt, das er dazu nutzte, Shuichi zuzuwinken und ihm so zu bedeuten, dass er nach vorn kommen und den Rest seines Songs performen sollte. Zuerst zögerte der Jüngere, doch als er einen leichten Schubs in den Rücken von seiner Begleitung erhielt, überwand er sich und hechtete nach vorn, bevor das Pianosolo verklungen war. Kaum hatte ihm Ryuichi das Mikro gegeben, war seine Stimme auch schon gefragt.
 

The sky is cracking open wide

Rays of sun wipe away all pain

We spread our wings and feel the light

Dry our tears from fading rain

Hear the voice coming right from your heart!
 

The rain has been black

No more pouring down

On my soul that gained strength

My saved life will start today
 

Read the letters that tell you

I have the power to go on!
 

Die letzten Töne wurden gespielt und danach setzte eine Stille ein, in der keiner ein Wort zu sagen wagte. Dann hob ein anerkannter Schauspieler dir Hände und begann zu applaudieren. Schnell setzten auch die restlichen Besucher der Feierlichkeit ein und der Saal war von dem Geräusch des Beifalls erfüllt.

Shuichi wurde rot und zog den Kopf etwas ein, doch sein dunkelhaariger Freund klopfte ihm lachend auf die Schulter und meinte: „Ich liebe besonders die letzten Strophen.“

Zögerlich nickte er. „Ich auch…“
 

„Es ist so dunkel hier.“

„Stört dich das?“ Eine hellgraue Dunstwolke stieg in den Nachthimmel auf.

„Nein, es ist sehr schön.“ Shuichi kicherte, als das kühle Meerwasser um seine Füße spülte. „Ich liebe es, wenn der Mond sich im Meer spiegelt.“

Eiri zog wieder an seiner Zigarette und blickte nun auch auf die Spiegelung. Kühle Nachtluft strich um sein Gesicht und dabei fiel eine Haarsträhne in sein Gesicht. Doch das störte ihn nicht. „Ich wusste, dass du diesen Ort hier mögen würdest. Du bist ein unverbesserlicher Romantik-Freak.“

„…sagt der Liebesromanschreiber“, kam es mit amüsiertem Unterton zurück. „Und dass wir hier raus gefahren sind, zeigt doch nur, dass du auch einen Sinn dafür hast.“

Obwohl die Zigarette nur zur Hälfte aufgeraucht war, warf Yuki sie in den Sand und schob mit dem Schuh ein wenig mehr Sand darüber. „Irgendwie haben diese Todessalzstangen auch mal besser geschmeckt.“

„Wer weiß, vielleicht hörst du ja demnächst mit dem Rauchen auf?“

„Erst Medikamentenentzug und dann auch noch mir Rauchen aufhören? Herrje, eine Sucht brauche ich doch.“ Er legte die Hand auf den Rücken seines Partners und genoss einfach den Kontakt. Manchmal brauchte er keine großen Gesten, um seine Zuneigung zu zeigen. Und er war sich sicher, dass Shuichi das auch genau so zu deuten wusste. „Dieser Song, den du und Sakuma gesungen habt…“

Shuichi drehte sich zu ihm um verzog etwas das Gesicht. „Das war wirklich nicht geplant. Diesen Song habe ich… naja, gekritzelt. Ich weiß, dass er grottenschlecht ist.“

„Okay, es ist wohl an der Zeit, dass ich dir jetzt die Weisheit eines Schriftstellers anvertraue.“

„Will ich die hören?“

Nun musste Yuki grinsen und legte den Arm um ihn. „Ein Text kann noch so ausgefeilt und wortgewandt sein, wie er will. Wenn er keine Gefühle vermitteln kann, ist er schlecht. Aber der Song heute… Ich glaube, jeder auf dieser Veranstaltung hat etwas gespürt.“

Langsam lehnte sich Shuichi an ihn und schloss die Augen. Die Wärme, die von dem anderen Körper ausging, ließ ihn eine bisher kaum gekannte Geborgenheit fühlen. „Normalerweise stößt du mich an dieser Stelle weg.“

„Es ist dunkel, da lass ich das mal durchgehen.“

„Yuki?“

„Hm?“

Vorsichtig, sodass er sich nicht aus der Umarmung lösen musste, drehte sich Shuichi zu ihm um und sah ihm in die Augen. „Wird es jetzt anders werden?“

Yuki schloss nun die Augen und lehnte seine Stirn an die seines Freundes. „Weißt du, ich bin jahrelang zum Arzt gegangen und hab Medikamente geschluckt. Und nie hat sich etwas verändert. Vielleicht sollte ich mich einfach auf eine Shindou-Therapie einlassen.“

Sanft lächelte der Jüngere und kraulte seinen Nacken. „Das wird ein steiniger Weg.“

„Was könnte schlimmer sein als das, was ich dir in den letzten Tagen angetan habe?“

Zu seiner Überraschung kicherte Shuichi nur. „Ich sage ja: Du wirst leiden.“
 

Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2009-04-29T20:21:16+00:00 29.04.2009 22:21
wow!!!!!!!! die geschichte ist richtig gut! wahnsinns schreib stil.
schreib noch mehr!!! BITTE!!!!!!!!!


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