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Ein ganz normaler Tag

... oder etwa nicht?
von

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Also, ähm *räsper* diese Geschichte an den ersten Platz beim Frühlings-Fanfic-Wettbewerb gemacht. Ein ganz großes Danke nochmal an die Jury, ähm, ehrlich gesagt, ich kanns noch gar nicht fassen ^_^ Hab zwar mit gehofft, aber nicht mit gerechnet *smile*

Nun wünsch ich euch viel Spass beim lesen ^_^
 


 

Ein ganz normaler Tag ... oder etwa nicht?
 

Ich schlug die Augen auf.

Alles war normal, wie immer, und doch, ich hatte so ein merkwürdiges Gefühl.

Nun gut, ich machte mich also fertig, duschen, anziehen, essen und los. Auf dem Weg zur Schule begegnete ich keinem Menschen, nur einer streunenden Katze, aber das tat ich damit ab, dass es noch so früh war. Erst als ich in die Nähe der Schule kam, wunderte ich mich. Kein einziger Schüler war zu sehen. Hatten wir heute Samstag? Nein, gestern war Dienstag gewesen. Das wusste ich ganz genau, denn gestern war ich bei der Fahrschule, die ist nur Dienstags und Donnerstags.

Mit einem Kribbeln im Bauch stellte ich mein Fahrrad beim Fahrradständer ab. Es war das einzige Fahrrad.

Ich ging in das Gebäude. Wenn heute Samstag wäre, würden doch die Türen geschlossen sein, aber die Türen waren offen.

Meine Schritte hallten laut in meinen Ohren wider, mir graute es. Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu!

Ich schaute auf die Uhr, kurz vor Beginn der ersten Stunde und ich war allein.

Ich setzte mich aufs Sofa im Aufenthaltsraum und dachte nach.

Meinen Vater hatte ich heute auch noch nicht gesehen, aber das war nicht ungewöhnlich.

Wo waren all die Leute hin?

Ich hörte Schritte und schreckte aus meinen Gedanken auf. Vor mir stand ein Junge. Er war etwas größer als ich, hatte silberne Haare, eine fast weiße Haut und rote Augen. Er kam mir bekannt vor, aber der Name fiel mir nicht ein. Merkwürdig angesichts seines ungewöhnlichen Äußeren, so einen Typen vergisst man nicht so leicht.

"Hallo Lea!"

Hä? Woher kannte er meinen Namen? Mal davon abgesehen, dass dies ,nur' mein selbstgewählter Name war.

"Hallo", antwortete ich zögernd.

"Wollen wir los?"

"Äh...wohin?"

"Wohin du willst."

Was sollte das denn? Was wollte der von mir?

"Warte mal, ich peil grad gar nichts mehr. Was willst du eigentlich?"

Er schaute mich an, als würde ich mich gerade in eine Kuh verwandeln.

"Hast du denn keine Nachricht bekommen?", fragte er.

"Nein, hab ich nicht. Und jetzt sag mir endlich, was hier los ist. Wo sind all die andern?"

Er nickte. "Okay, dann ganz von vorne."

Sein vielsagendes Gesicht sprach Bände, mir stand eine längere Predigt bevor.

"Mein Name ist Kaworu Nagisa und ich begleite dich heute. Heute ist nämlich dein Traumtag. Du kannst heute alles machen, was du dir jemals erträumt hast, egal was es ist, ob fliegen, ohne Flugzeug versteht sich, kämpfen, zaubern, in die Welt des eigenen Buches reisen und dort die Geschichte auf den Kopf stellen, ins All fliegen, mal wer anderes sein, soviel essen, wie man will..."

"Stop, ist ja schon gut, ich hab's geschnallt, glaub ich."

War der Typ verrückt? Und wie hatte er sich genannt? Kaworu Nagisa? Aber das war doch eine Animefigur!

"Du bist Kaworu?", fragte ich.

"Hai."

Er sprach sogar japanisch!

"Aus Neon Genesis Evangelion?"

"Hai."

"Aber du bist nicht real, Kaworu ist eine Comicfigur!"

"Das stimmt schon, aber ich, oder eher dieses Aussehen, wurde gewählt, um dir eine Freude zu machen." Er lächelte mich an.

"Soll ich mich in einen anderen verwandeln? David, Martin oder Lars?" Nacheinander standen David, Martin und Lars vor mir, dann wieder Kaworu.

Ich schaute ihn böse an, egal woher er wusste, welche Typen ich mochte, Feingefühl hatte der Kerl nicht. Es schien ihn jedoch nicht sonderlich zu beeindrucken.

"Oder vielleicht...?"

Und dann stand Dennis vor mir.

Er setzte sich neben mich, während ich ihn nur ungläubig anstarren konnte.

Er war älter, als er eigentlich war, aber er war Dennis.

Er lächelte mich an und küsste mich.

Ich hätte nicht sagen können, was ich dabei fühlte. Nur ein einziger Gedanke durchfuhr mich blitzartig: "Es ist nicht richtig, nicht so!"

Ich stieß ihn von mir weg. Er sah mich an, als hätte ich ihm das Herz herausgerissen. Vielleicht hatte ich das ja? Aber nein, das war ja nicht Dennis, der vor mir saß.

"Verwandele dich wieder zurück, bitte", sagte ich keuchend. Mein Herz raste, obwohl ich mich kaum bewegt hatte.

"Wenn du es willst."

Nun saß wieder Kaworu vor mir. Nicht, dass das normal gewesen wäre, wenn jemand sich einfach so in einen anderen verwandelte.

"Was willst du jetzt machen?", fragte er mich.

Ja, was?

"Ich kann heute alles machen, was ich will?"

"Hai."

"Cool! Okay, lass mich überlegen."

Ich war inzwischen voll von seiner Geschichte überzeugt. Und da ich genau wusste, dass ich nicht träumte - ich hatte mich vorher in den Arm gezwickt und es hatte weh getan - freute ich mich sogar auf den heutigen Tag.

Ich sah ihn an und mir kam eine glänzende Idee.

"Ich will EVA steuern!"

Er grinste.
 

Zwei riesige gelbe Augen, die sich in einem gewaltigen schwarzen Kopf befanden, blickten mich an.

"Gewaltig, nicht?" Genau mein Gedanke.

Ich drehte mich zu der Stimme um, die neben mir erklang. Es war Misato.

"Komm, der Kommandant erwartet dich. Er will mit dir reden."

Mit einer Geste hieß sie mir ihr zu folgen, ich tat es.

Während wir durch die Gänge des NERVs-HQ's gingen, konnte ich nur wortlos staunen. Ich war tatsächlich hier, unter Tokyo-3, bei NERV! Ich schien sogar legitim hier zu sein. Wer war ich eigentlich, das ich zu Gendo Ikari sollte? Aber doch hoffentlich ein Children, sonst könnte ich ja nicht EVA steuern.

Uns kam kein einziger Mensch entgegen. War das normal?

Wenn ich mich richtig erinnerte, war zu dieser Zeit Kaworu noch nicht da.

Mist, hätte ich von diesem absonderlichen Tag gewusst, hätte ich mir noch mal alle Folgen angesehen, damit ich nicht ganz unvorbereitet wäre.

Welcher Engel war im Moment denn dran?

Und wie waren Shinji, Asuka und Rei drauf? Hoffentlich veränderte sich nicht zuviel wegen mir. Aber konnte sich denn etwas verändern?

Vielleicht sollte ich lieber mit diesen ganzen Spekulationen aufhören, dies hier war schließlich nur ein Traum und NGE nur ein Anime, Fiktion.

"Hier sind wir."

Schon? Ich hätte mir doch lieber die Gegend anschauen sollen, statt zu grübeln, wäre interessanter und ergebnisvoller gewesen.

"Geh rein?"

War das jetzt eine Frage gewesen oder eine Aufforderung?

Misato schien nicht so selbstsicher zu sein, wie sie tat. Aber...ach, egal, ich sollte endgültig aufhören darüber zu nachzudenken und mich eher darüber freuen.

Ich grinste, als ich in das Büro von Gendo Ikari trat.

Doch zu meiner Überraschung saß nicht Gendo im Sessel hinter dem Schreibtisch, sondern Kaworu.

"Was machst du denn hier?", fragte ich.

"Ich darf dich doch nicht so einfach ohne Führung hier rumlaufen lassen. Wer erklärt dir sonst, was hier abläuft?"

"Stimmt, ich wäre gegen jede Wand gerannt, wenn du nicht hier wärst", erwiderte ich sarkastisch, aber eigentlich hatte Kaworu Recht, ohne ihn wäre ich ziemlich orientierungslos.

Er lächelte mich an.

"Und was passiert jetzt?", fragte ich weiter.

"Den EVA, den du gesehen hast, ist EVA-04. Er ist in dieser Version der Geschichte nicht zerstört worden. Du wirst gleich einen Test mit ihm machen, zusammen mit den anderen Children."

Während er das sagte, lächelte er mich ständig an. Das irritierte mich.

"Ist...ist Toji auch dabei?"

"Nein, du bist für ihn eingesprungen als Fourth-Children."

"Und welcher Engel wird angreifen?"

"Das verrat ich nicht, ein bisschen Überraschung muss ja auch dabei sein, oder?"

Ein Zischen hinter mir zeigte an, dass die Tür sich geöffnet hatte. Ich drehte mich um. Misato stand vor mir.

"Komm mit, die anderen warten schon", sagte sie.

Ich schaute noch einmal zu Kaworu, doch der saß nicht mehr in dem Sessel. Diesmal saß wirklich Gendo Ikari dort. Er schaute mich durchdringend an. Mich schauderte es. Dieser Mann war echt zum fürchten.

Ich folgte Misato. Sie sah angespannt aus. Fröhlich ging es hier wirklich nicht zu.

Kurz bevor wir im Ankleideraum ankamen, überreichte mir Misato eine ID-Card.

Asuka und Rei hatten sich schon umgezogen. Shinji war nicht zu sehen.

Asuka grinste, als sie mich sah und umarmte mich herzlich.

"Endlich jemand mit dem ich mich ordentlich unterhalten kann", meinte sie freudig. "Die anderen sind alles Langweiler. Besonders dieser Baka Shinji!"

Ich war ziemlich erstaunt über ihre Reaktion, obwohl, es handelte sich schließlich um Asuka.

Rei beachtete mich kaum.

Misato meldete sich wieder zu Wort. "Auska, Rei, geht schon mal vor und macht euch bereit. Heute..." Sie brach mitten im Satz ab. So kannte ich Misato nicht, irgendwas war hier los. Ach egal, ich konnte EVA steuern, warum sollte ich mich um andere kümmern, zumal sie nicht real waren.

Misato zeigte mir meinen Anzug - er war schwarz und rot - und ließ mich dann allein.

Es war ein komisches Gefühl, diesen Plug-Suit anzuziehen. Er fühlte sich seltsam warm auf der Haut an. Aber wahrscheinlich war das Einbildung und ich war nur sehr aufgeregt.

Mit einem Knopfdruck zog er sich zusammen. Ich setzte das Headset auf. Fertig!

Nun war ich ein richtiges Children, was für ein Gefühl!

Ich ging durch die Tür, die zuvor Asuka und Rei benutzt hatten. Dahinter lag ein riesiger Raum. Die vier EVA's standen nebeneinander vor mir. Vier gewaltige Köpfe schien auf mich hinab zu blicken, neun große Augen. Die ganze Welt blickte auf mich herunter. Und plötzlich spürte ich eine Last auf meinen Schultern, die mich niederzudrücken versuchte. Ich fühlte mich klein und unbedeutend und trotzdem durfte ich einen dieser Riesen steuern. Shinji, Asuka, und Rei mussten mehr verantworten, als ich es je gedacht hätte.

"Kim, steig ein!"

Die Stimme kam von oben. Dort stand Gendo Ikari hinter einer Glaswand.

"Ja, sofort." Diesem Mann konnte man nicht widersprechen. Zum zweiten Mal bemerkte ich diese Aura der Autorität um ihn herum

Ich suchte mir den Weg zu EVA-04.

Im Entry-Plug wartete ich auf das LCL. Lautlos und schnell stieg es auf. Erst bedeckte es meine Füße, dann meine Brust und schließlich stieg es über meinen Kopf. Ich hielt die Luft an. Wenn ich nun nicht genügend Sauerstoff bekam? Meine Überlebensinstinkte meldeten sich lautstark.

"Atme ein, es ist ungefährlich", kam Misatos Stimme irgendwo aus einem Lautsprecher.

Sollte ich es wagen zu sterben? Andererseits, dies war ein Traum - oder jedenfalls so was ähnliches - und in einem Traum starb man nicht.

Ich öffnete meinen Mund. Ein paar Luftblasen stiegen auf. Langsam merkte ich, dass ich Sauerstoff brauchte, doch ich konnte mich immer noch nicht überwinden, zu atmen. Mir wurde schwindelig.

"Lea, atme! Du bringst dich sonst noch um!"

Wie lange hielt ich jetzt schon die Luft an? Ein, zwei Minuten? Konnte man als normaler Mensch eigentlich solange die Luft anhalten? Vor mir erschien ein Bildschirm mit Misatos Gesicht.

"Verdammt noch mal. Lea, atme endlich!"

Das sagte sie so leicht!

Ich konnte nicht mehr, ich brauchte Luft, dringend!

"Atme!"

Ich atmete.

Kalt lief es in meinen Körper, füllte meine Lungen. Ich schluckte und hustete.

"Wie geht's dir?"

"Gut, ich lebe noch."

"Wir lassen dich schon nicht sterben."

Da war ich mir nicht ganz so sicher. NERV war unberechenbar.

Misato blickte mich vom Bildschirm her ernst an.

"Mach noch nichts, wir überprüfen erst das System", sagte sie. Ich konnte hinter ihr Ritsuko in ihrem weißen Kittel erkennen.

Der Entry-Plug war sehr bequem, was mich überraschte, als ich mich auf meine näher Umgebung konzentrierte. Man saß entspannt, halb liegend.

Die Wände konnte man durch die Flüssigkeit hindurch nur leicht erkennen, es schien so, als ob es sie nicht geben würde.

Und trotzdem fühlte ich mich eingeschlossen und gefangen. Eine große Verantwortung lag auf den Children.

"Wir sind so weit", meldete Misato sich wieder.

"Deine Synchronwerte sind gut. Versuch jetzt mal, einen Arm zu heben."

Ich hob meinen Arm und ärgerte mich gleichzeitig. So bewegte man EVA nicht.

Wie war das noch mal? Ich musste es denken.

~Bewegen.~

EVA bewegte sich.

Ich hörte ein Geräusch, als würde Metall zerbrechen, und gleich darauf Misatos wütende Stimme, die jemanden anschrie. Den ganzen Wortlaut verstand ich nicht, aber es ging wohl um die Halterungen.

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich japanisch verstehen konnte. Ich sprach sogar selber japanisch, einwandfrei. Meine beste Freundin würde Augen machen. Ich sprach besser japanisch als sie, dabei war ich eine Null in Fremdsprachen und sie eine absolute Sprachkünstlerin.

"Wir schicken dich jetzt nach oben."

Misatos klare Anweisung rüttelte mich fast wieder wach.

Irritierte es EVA, wenn ich an andere Dinge dachte?

Was war EVA eigentlich genau?

Mit wem war EVA mehr verwandt, den Menschen oder den Engeln?

War EVA ein Individuum?

Zahllose Fragen schwirrten mir im Kopf herum, die mir vorher nie in den Sinn gekommen wären. Auch wenn es nur ein Anime war, die Ausmaße, die es angenommen hatte, waren gewaltig.

"Bist du bereit?"

"Hai."

Ein Ruck riss mich nach oben. Ein großes Gewicht drückte mich in meinen Sitz, ließ mich dann aber frei.

Ich konnte in Gedanken sehen, wie ich nach oben an die Oberfläche katapultiert wurde.

Wie machten die das?

Oben kam ich mir vor wie ein Riese. Alles sah so klein aus, so zerbrechlich, wie eine zu groß geratene Legostadt.

Ich fühlte den Drang des Kleinkindes in mir, alles zu zerstören.

Nein, ich musste mich zusammenreißen, hier lebten Menschen, ich würde sie töten.

Ich stand am Rand der Stadt. Hinter mir waren Berge und Hügel, Wälder und Wiesen.

"Lea?"

"Hai."

"Versuch zu laufen."

"Hai."

~Lauf~

EVA-04 hob ein Bein und setzte es wieder auf die Erde, ein Stück weiter vorne.

~Lauf!~

Das andere Bein, diesmal ging's schneller.

~LAUF~

EVA rannte.

Ich fühlte den Fahrtwind und genoss es. Ich hatte es wirklich geschafft, EVA zu steuern.

EVA lief den Hügel herunter, auf die Stadt zu.

"Lauf nicht in die Stadt."

~Links~

EVA rannte nach links, in die Sonne hinein. Sie blendete ein bisschen. Ich hielt die Hand vor meine Augen, EVA tat es mir nach.

"Lauf nicht zu weit."

~Stop~

Ich stoppte.

Ich konnte EVA nicht nur steuern, sondern auch kontrollieren!

Ein Glücksgefühl stieg in mir auf. Ein Gefühl, als könnte ich die ganze Welt beherrschen...

"Komm jetzt wieder zurück."

Schade...

Ich ging zurück und stellte mich auf die Plattform, die mich wieder nach unten befördern sollte.

Ein letzter Blick auf die Stadt.

War da hinten nicht etwas? Ein schwarzer Punkt am Horizont, der sich stetig vergrößerte, flog genau auf mich zu.

Die Plattform senkte sich nach unten, langsam.

Bevor ich jedoch ganz unter der Erde verschwand, hielt sie an und fuhr wieder nach oben.

"Lea? Wir haben einen Engel gesichtet. Halte ihn auf, bis die anderen kommen!"

Ich sollte allein gegen den Engel antreten? Ich war doch gar nicht ausgebildet dafür!

Ich wusste doch gar nicht, was ich machen sollte.

Die Häuser von Tokyo-3 versanken im Erdboden, eins fuhr allerdings hoch und öffnete sich auf der Seite, die zu mir zeigte.

"Lea, worauf wartest du?"

Ich lief los, raste, flog dem Engel entgegen, der schnell näher kam.

Ich erreichte das Gelände der Stadt.

Ich sah, dass der Engel sich nun auch am Rand der versunkenen Stadt befand. Es war ein schwarzes Gebilde, näher konnte ich es nicht beschreiben.

Im Laufen griff ich mir die Waffe, die auf mich wartete, und bremste. Ich zielte und schoss.

Ein wütender Schrei kam aus den Lautsprechern: "Du musst näher ran! Du hast nur noch einen Schuss!"

Ich lief wieder los.

Meine Hände waren feucht, ich schwitzte, ich hatte Angst. Dieser Engel, so unscheinbar er auch aussah, konnte mich töten. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde.

Wir trafen uns in der Mitte der Stadt, ich drückte ab.

Das Geschoss prallte am A.T.-Feld ab, als wäre es aus Gummi.

Der Engel stand still. Er war ungefähr so groß, wie der Kopf von EVA und hatte eine etwas rundliche Form. Die Oberfläche bewegte sich ständig hin und her, wie die Wellen des Meeres. Mir wurde schwindelig.

Ich riss mich von dem Anblick los und griff mir das Progmesser. Mit all meiner Kraft stieß ich es ins A.T.-Feld des Engels. Überraschenderweise gab das Feld nach und ich stürzte auf den Engel zu.

Erschrocken konnte ich nicht mehr verhindern, dass ich stolperte. Ich landete auf meinen Knien genau vor dem Engel.

Dann hörte ich die Stimme in meinem Kopf.

~Warum tötet ihr?~

Wer war das? Wer sprach da?

"Misato, bist du das?"

~Warum tötet ihr?~

Wieder diese Stimme. Sie war in meinem Kopf, sie riss an meinen Gedanken und zerstörte sie, sie tat weh.

"Wen töten wir?", schrie ich zurück, gequält von der Stimme in meinem Kopf.

~Das Leben.~

Aber wir kämpften doch für das Leben, damit wir überleben.

~Es ist Frühling.~

Die Stimme veränderte sich, sie wurde menschlicher, vertrauter, Julie!

Das war die Stimme meiner besten Freundin! Wie konnte das sein?

~Der Frühling ist das Symbol für die Geburt des Lebens, aber ihr tötet das Leben.~

"Julie? Was meinst du damit? Wo bist du?"

Ich war verzweifelt. Die Schmerzen in meinem Kopf nahmen zu. Ich hielt das nicht länger aus, das war unerträglich.

Und plötzlich hörten die Schmerzen auf.

Ich sah auf.

Der Engel war ein ganzes Stück von mir entfernt, er hatte eine menschenähnliche Gestalt angenommen.

Ich erkannte EVA-00, EVA-01 und EVA-02, wie sie mit dem Engel kämpften.

Ein flaues Gefühl lag in meinem Bauch. Ich ahnte, dass das nicht richtig war.

Ich sah zu, wie Shinji, Asuka und Rei sich abmühten, den Angreifer zu besiegen. Was sie nicht wussten, war, dass dieser Engel kein Angreifer war, sondern ein Bote, der mit uns kommunizieren wollte. Sie töteten gerade einen Unschuldigen!

Mir wurde schwarz vor Augen...
 

"Hat dir der Traum gefallen?"

Kaworus Stimme drang in mein Bewusstsein.

"Nein."

"Nein? Warum nicht?"

"Es war schrecklich!"

"Nur du allein bist verantwortlich für deine Träume."

"Ich weiß." Und wie ich es wusste.
 

Ich lag in einem aus Kirschblüten. Sie regneten auf mich herab, gleich kleinen Tautropfen.

Ich fühlte mich wohl, fühlte mich glücklich. Ich genoss das Gefühl, eins mit der Welt zu sein.

Der Schrecken von vorher war vergessen, wollte vergessen sein.

Ich lauschte einer leisen Melodie. Sie drang kindergleich an mein Ohr, füllte mich mit sanften Tönen und schloss jegliche Wunde in meinem Herzen. Ich wurde wieder zu einem kleinen Kind.

"LEA!!!"

Wer schrie da so und weckte mich aus diesem schönen Traum?

Ganz langsam öffnete ich mein rechtes Auge, dann mein linkes.

Vor mir schwebte eine Kehrschaufel, auf der ein grüner Klops saß.

"Waaahhhhh!"

Mit einem Schrei setzte ich mich auf, stieß dabei an die Schaufel, verpasste mir damit eine Beule, und sprach noch gleichzeitig in unverständlichen Sätzen vor mich hin.

"Wie? Was? Wer? Warrgghh...?"

"Warrgghh? Was ist denn das für ein Wort? Sprich deutlich, wenn du mit mir redest!"

Ganz entsetzt starrte ich auf das grüne Etwas, das vor mir auf einem fliegenden Haushaltsgerät schwebte.

"Du...du....du....Du bist Mahorca!"

Genau, das war Mahorca aus Doremi, die Hexe, die in einen Hexenfrosch verwandelt wurde, weil Doremi sie als Hexe entlarvt hatte.

"Natürlich bin ich Mahorca, wer denn sonst? Vielleicht Malissa? Jetzt komm und lieg hier nicht so faul rum, wir wollten doch Picknicken! Die anderen warten schon, nur du fehlst noch."

"Wie? Ich... WER?"

"Jetzt stammele nicht so blöde vor dich hin und komm endlich."

Mahorca flog zu einer Gruppe von fünf Mädchen, die rund um eine große Decke saßen.

Es waren Doremi, Sophie, Emilie, Nicole und Bibi.

Ich war hier. Warum war ich hier? Ich hatte doch Kaworu nicht meinen nächsten Wunsch erzählt.

Nun gut, vielleicht war ich ja auch eine Hexenschülerin und konnte zaubern. Das hatte ich mir schon ewig gewünscht.

Ich stand auf und setzte mich neben Sophie.

"Hallo Lea! Wieder mal geträumt?"

"Äh...ja." Was sollte ich auch anderes antworten, es stimmte ja, irgendwie.

Ich sah auf die Decke. Köstlichkeiten über Köstlichkeiten standen da. Was war heute für ein Tag?

"Mmh, ich bin bestimmt das glücklichste Mädchen auf der Welt, was für ein Frühlingsfest", rief Doremi freudig.

Ah, heute fing also der Frühling an, deshalb die ganzen Kirschblüten.

Ich sah mich um. Die Sonne schien warm vom Himmel herab, ein leichter Wind wehte durch die Bäume, wirbelte die Kirschblüten auf und ließ sie tanzen.

Wie schön und ruhig es war.

Abgesehen von dem lauten Gespräch, das zwischen den fünfen lief. Jeder quatschte und aß gleichzeitig, besonders Doremi. Ich genoss es. Es war ein Gefühl, als hätte man mir ein Geschenk gemacht, das unmöglich war.

Freudig aß ich mit.

Da entdeckte ich auch die kleinen Feen von den fünfen. Hehe und Lala waren auch da und noch eine weitere kleine Fee, die ich nicht kannte.. Sie saßen zusammen in einer Ecke der Decke um einen großen Kuchen herum.

Lala schaute zu mir auf und lächelte. Sie flog zu mir auf meine Schulter.

"Hallo Lea! Für diesen Traum bin ich deine Begleitperson", flüsterte sie mir zu. "Du bist auch eine Hexenschülerin von Mahorca. Dein Spruch ist Reladu Relada Radijo Radu. Deine Fee heißt Nana, sie sitzt neben Dodo. Siehst du sie?"

Ich nickte.

"Ich wünsch dir viel Spaß!"

Sie lächelte mich an und flog wieder zu den anderen Feen.

Ich glaubte es kaum, ich sollte doch tatsächlich zaubern und eine Fee hatte ich auch. Wahnsinn!

Ich hörte den Gesprächen nur mit halbem Ohr zu. Ich musste erst mal die Neuigkeiten verarbeiten und mich auf die neue Situation einstellen. Was war das heute nur für ein Tag!

"Hey Lea, träum nicht, wir wollen los!"

Sophie stupste mich an.

"Wir müssen zu Nicoles Konzert, das weißt du doch."

Wusste ich das?

"Ja, klar."

Fröhlich lachend räumten wir das Essen und den Rest zusammen. Mit einem Schnipsen von Mahorca waren sie auch schon verschwunden. Dann gingen wir los, damit Nicole nicht zu spät kam.

Es war herrlich, wieder ein Kind zu sein, denn das war ich in diesem Traum, ein Kind.

Schwatzend und tratschend kamen wir schließlich an der Bühne an. Sie stand in einem nahegelegenen Park. Zum Frühlingsfest wurde hier ein kleines Fest gegeben, wie ich es aus den Gesprächen der Mädchen erfahren hatte. Nicole sollte als Höhepunkt ein sehr bekanntes Frühlingslied singen.

Nicole ging schon mal hinter die Bühne, um sich bereit zu machen.

Wir anderen suchten uns einen gemütlichen Platz unter einem Kirschbaum. Ich lehnte mich an den Stamm.

Nana flog zu mir und setzte sich auf meine Hand. Ihr großen Augen schauten mich lieb an.

"Na du Kleine?"

"Nana?"

"Ach ja, du kannst ja noch nicht sprechen, nicht bevor ich eine richtige Hexe bin, tut mir leid."

"Nana."

"Hab ich mich denn bis jetzt ganz ordentlich in der Zauberei angestellt?"

"Nana!" Nana nickte.

"Das freut mich. Und du? Magst du die anderen?"

"Nana! Nana!" Nana nickte wieder.

Der Moderator trat auf die Bühne. Mit lauter Stimme rief er: "Herzlich Willkommen! Hier zu unserem Fest des Frühlings. Wir dürfen ihnen heute zahlreiche Künstler vorstellen, die mit uns den Frühling begrüßen wollen."

Der Moderator nannte noch einige wichtige Namen, besonders von Sponsoren der Veranstaltung. Ich hörte nicht mehr hin, ich genoss die Sonne, einfach alles um mich herum. Es war schön, nur da zu sitzen, mit keiner Angst zu leben, wovor auch immer. Nicht an Morgen zu denken oder an die Schule, sondern sich dem Frühling hinzugeben, dem Frühling in Japan.

Ich achtete nicht auf die Anderen, noch auf das Geschehen auf der Bühne, bis ich Nicoles Stimme hörte.

Sie sang ein Frühlingslied.

"Kirschblütenzeit

Wie sehr ich mich sehne

Gibst mir den Mut

Wohin ich auch geh
 

Kirschblüte rein

So edel und weise

Fliegst durch den Raum

In unsere Seel'
 

Kirschblütenfest

Wir tanzen und lachen

Dreh'n uns im Kreis

Hör'n dein liebliches Lied
 

Kirschblüte klein

So mächtig und herrlich

Fliegst zu uns hin

Und schenkst uns dein Licht
 

Kirschblütentraum

Oh bleibe doch, bleibe

Sag Gute Nacht

Sag niemals Good Bye."

Obwohl das Lied sich nicht sonderlich reimte, war es doch in sich sehr harmonisch.

Das Lied verklang und die Leute klatschten.

"Man ist das ein herrlich ruhiger Tag", rief Doremi fröhlich. "Kein Anzeichen von schwarzen Objekten, keine nervige Schule oder Hausaufgaben. Ach, ich bin das glücklichste Mädchen auf der Welt!"

Sie hatte Recht. Es war wirklich ein herrlich ruhiger Tag, ja, fast schon langweilig.

Nun war ich eine Hexenschülerin und konnte zaubern, und hatte doch keine Gelegenheit dazu.

Es war schön, aber langweilig.

"Was ist mit dir Lea? Du siehst so gelangweilt aus", meinte Emilie.

"Ach nichts, ich würde nur gerade gerne auf dem Besen fliegen oder zaubern."

Vielleicht konnte ich so meine Fähigkeiten irgendwie einsetzen.

"Aber das kannst du doch jeden Tag machen, warum denn ausgerechnet jetzt?"

"Weißt du, ich ... ich würd's halt gerne jetzt machen, nur so."

"Man zaubert nicht einfach nur so", mischte sich Mahorca ein. "Was ist, wenn du von jemanden gesehen wirst, dann habe ich noch so eine Göre am Hals und ihr vier seid schon genug."

Ich resignierte, nun gut, dann würde ich noch eine Weile warten...
 

"Hat dir der Traum gefallen?"

Lala sprach zu mir.

"Na ja, ja."

"Warum so zögerlich?"

"Am Anfang war es schön, aber es dauerte nur kurz."

"Das Schöne ist nie von Dauer."

"Und warum konnte ich nicht zaubern oder auf dem Besen fliegen?"

"Du konntest es, aber du hast es nicht."

"Das stimmt."
 

Ich starrte die Decke an. Wie leer und kalt dieses Zimmer doch war. Wie hatte ich nur all die Jahre hier leben können?

Ich spürte noch einen Hauch von seiner Wärme auf mir. Er war einfach so gegangen und hatte mein Herz mitgenommen.

Ich stand auf und zog mir meine Klamotten an. Sie kratzten rau über meine Haut. Nichts im Vergleich zu der Zärtlichkeit von ihm.

Ich ging zu seinem Zimmer, die Tür stand einen Spalt weit auf. Ich lugte hinein.

Ich wusste, was mich erwarten würden, trotzdem tat es weh.

Er lag mit ihr in einem Bett. Besser gesagt, er saß und sie lag. Er blickte mich an und ich sah Lust in seinen Augen glitzern. Er wollte meinen Körper, nicht mich. Ein weiterer Stich in mein Herz, das er schon längst zerstört hatte.

Beinahe war ich versucht, zu ihm zu gehen. Er würde mich nicht wegschicken, im Gegenteil.

Ich fühlte wieder seine sanften, doch energischen Hände auf mir. Ich schauderte. Was machte er da mit mir? Er hatte mir mein Herz gebrochen und er hatte keine Skrupel, es noch mal zu tun.

Nein, ich konnte mich ihm nicht noch einmal hingeben. Er würde mir mein Leben nehmen.

Ich lief davon.

Ich war durcheinander. Mein Herz sehnte sich nach ihm, mein Körper sehnte sich nach ihm, doch ich konnte das Risiko nicht eingehen.

Ich rannte durchs Schloss und wusste doch nicht, wohin. Kay Han kam mir entgegen. Ich beachtete sie nicht, denn auch sie war auf ihn hereingefallen.

Ich lief weiter, bis ich auf die Brüstung kam.

Kalter Wind schlug mir entgegen, ich zog meine Kleidung enger um mich. Ich fröstelte.

Der Mond schien von oben herab und lachte mich aus.

Sollte er mir nicht Vertrauen schenken und mich beruhigen? War es nicht so, dass der Mond jeden beruhigte, der in seinem Licht nach Geborgenheit suchte? Warum tat er es dann nicht? Warum stellte er mich in seinem Licht bloß?

Ich fühlte mich beobachtet, ich war nicht alleine hier oben. Wer war sonst noch da? Ich spähte die dunklen Schatten ab.

"Wer immer du bist, komm raus!", rief ich. Meine Stimme war fest. Ich zitterte.

,Leana, du bist dumm', sagte ich gedanklich zu mir. ,Du bist eine Samurai, du hast gelernt, dich zu wehren. Und wer sollte dir schaden wollen?'

Mein Verstand hatte Recht, es war unsinnig zu glauben, jemand könnte mir hier auflauern.

"Was machst du hier draußen in der Nacht?", rief eine Stimme zurück.

Ich zuckte zusammen. Also hatte ich mich doch nicht geirrt.

"Wer bist du?", fragte ich in die Dunkelheit. Der Mond war hinter den Wolken verschwunden.

Razu trat aus dem Schatten eines Turmes heraus. Er schritt auf mich zu.

"Es ist ruhig heute Nacht", meinte er beim Herankommen.

Ich sah ihn nicht an, was hätte ich auch erwidern können. Nichts. Er war erst seit kurzem bei den Samurai, er war der Kronprinz von Metallicana und wahrscheinlich würde er nicht lange hier bleiben. Sein Land und sein Volk brauchten ihn. Er hatte anderes im Kopf, als sich über meine Sorgen auch noch Gedanken zu machen.

Ich hatte einmal seine Schwester kennen gelernt, Sheela. Sie war ein naives Mädchen. Ich musste lächeln, als ich an sie dachte. Sie war genauso verknallt in den großen Dark Schneider, wie ich.

Er setzte sich ohne einen weiteren Kommentar zu meinen Füßen auf den Boden. Seine Augen hatte er geschlossen.

Was sollte das?

Ich regte mich nicht. Ich wusste nicht, was ich jetzt machen sollte. Gehen? Sich neben ihn setzen? Ich blieb stehen.

Der Wind flachte ab. Ich klammerte mich nicht mehr an meine Kleidung, die mich eh nur halb gewärmt hatte.

Vielleicht sollte ich doch wieder rein gehen, es hatte doch keinen Sinn hier draußen zu stehen und dem nachzutrauern, was sein könnte, aber nicht ist.

Doch anstatt zu gehen, setzte ich mich neben Razu auf die Steine.

"Was machst du hier draußen? Mitten in der Nacht?", fragte ich ihn, nur um etwas zu sagen. Diese Stille bedrückte mich.

"Wahrscheinlich das gleiche wie du", antwortete er.

Das konnte ich mir kaum vorstellen.

"Darf ich dich was fragen, Leana?"

"Nur zu."

"Hast du nicht auch manchmal das Gefühl, dass du nutzlos bist. Dass es jemanden gibt, der dich einfach so ersetzen könnte?"

Ich schaute ihn überrascht an, doch er blickte nach vorne.

"Wie kommst du darauf?"

Er zuckte mit den Schultern. "Einfach so."

"Wenn ich ehrlich bin, ja", sagte ich. "Im Moment gerade fühle ich mich ziemlich nutzlos."

"Wirklich?"

"Ja."

Ich nickte.

Ich musste wieder daran denken, wie ER mich eben noch angesehen hatte, wie einen Gegenstand oder doch ... nein, er hatte Yoko, er hatte Ashes, warum hätte er mich um meiner selbst Willen gewollt?

In dieser Nacht führten wir unser Gespräch nicht mehr weiter, falls es überhaupt ein richtiges Gespräch war, doch wir trafen uns danach jede Nacht am gleichen Platz.

Erst war es wahrscheinlich Zufall, dass wir beide wieder zur gleichen Zeit auf der Brüstung standen, dann aber freute ich mich nach und nach immer mehr auf unsere Treffen.

Es war etwas geheimes, was nur wir beide hatten.

Wir redeten kaum über andere, nur über uns.

Die Gegenwart von Razu verscheuchte beinahe meine Gedanken an Dark Schneider.

Am Tage versuchte ich, Dark Schneider aus dem Weg zu gehen. Nicht immer gelang es mir, dann ging ich schnell an ihm vorbei oder versuchte, ihn nicht zu beachten. Es war schwer, denn noch immer sehnte sich ein Teil meines Herzens nach ihm. Abends saß ich dann oft an meinem Fenster und weinte.

Das waren die Abende, an denen ich mich am liebsten aus dem Fenster gestürzt hätte. Und die alte Nutzlosigkeit stieg wieder in mir auf.

Zum Glück munterte mich Razu wieder auf.

Wenn Razu nicht da gewesen wäre, hätte ich nicht gewusst, was ich in solchen Situationen getan hätte.

Es klopfte an meine Tür. Die Sonne begann bereits ihre Strahlen über das Land zu senken. Ich blieb still. Ich wollte keinen Besucher.

Die Tür öffnete sich.

Warum störte man mich?

Ich drehte mich um und blickte in seine blaue Augen. Er war wegen mir gekommen.

Die Sehnsucht übermannte mich. Ich ging einige Schritte auf ihn zu.

Sein Blick zog mich an. Diesem Mann konnte man nicht entgehen, er war nicht normal.

Keine Sekunde später hatte er mich gefasst und an sich gedrückt. Mein Herz schlug heftig. Seine Arme umspannten mich fest.

Er strich eine Haarsträhne aus meinem Gesicht.

"Warum bist du mir aus dem Weg gegangen, meine Kleine? Hat es dir nicht gefallen?", fragte er sanft.

Seine Stimme erzeugte eine Gänsehaut bei mir.

"Warum bist du hier? Will Ashes nicht?", konterte ich, es war mein einziger Trumpf.

Er antwortete nicht. Statt dessen bedeckte er meinen Hals, mein Ohrläppchen, meine Schläfe, meine Stirn, meine Augen, meinen Mund mit zarten Küssen. Er drückte mich noch fester an ihn, so dass ich seine Erregtheit spüren konnte.

Ich wehrte mich nicht mehr, lies es geschehen, wie das Mal davor. Ich war nicht stark genug, diesem Mann zu widerstehen. Ich liebte ihn.

Ich wusste, dass er mich nicht liebte, nicht wie Yoko oder Ashes. Es tat weh, daran zu denken, doch ich scheuchte die beiden aus meinem Kopf. Sie gehörten nicht dahin. Ich liebte diesen Mann. Und auch wenn er selber nicht so fühlte wie ich, so konnte ich doch wenigstens meine Sehnsucht nach ihm stillen.

Diesmal war er sanfter, fast schon zurückhaltend.

Ich hielt mich an ihm fest, wie ein in Seenot Geratener an einem Stück Holz. Er war da, das allein zählte.

Er lag noch eine Weile bei mir, verschwand nicht sofort wieder.

Diese Nacht traf ich mich nicht mit Razu.

Am nächsten Morgen schmerzte mein Herz noch arger als zuvor. Die Leere war wiedergekommen und füllte mich aus, saugte mich in sich ein, zerriss mein Innerstes.

Ich starrte auf mein Bett. Es war zerwühlt.

Ich musste hier weg, ich konnte hier nicht länger bleiben. Ich musste ihn endgültig vergessen, sonst würde ich daran zerbrechen.

Ich packte meine wenigen Sachen zusammen. Ich würde nicht viel brauchen.

Ich wusste noch nicht genau, wohin. Meine Füße würden mich lenken, beschloss ich. Ich ging noch einmal zur Brüstung um mich von dort vom Schloss zu verabschieden, alleine.

Doch ich war nicht alleine, Razu stand dort und erwartete mich.

"Willst du etwa gehen?", fragte er überrascht.

Ich musste schlucken. Ich würde auch Razu verlassen müssen. Er war in der Zwischenzeit ein sehr enger Freund geworden, ich würde ihn vermissen. Ein weiterer Stoß peinigte mein zerrissenes Herz.

Ich konnte ihm nicht in die Augen schauen, es tat zu sehr weh.

Er trat auf mich zu und umarmte mich, sonst nichts. Er sagte nicht, dass ich doch bleiben sollte oder wie sehr es ihm leid tat oder etwas ähnliches. Er umarmte mich nur.

Eine Träne kullerte an meiner Wange herunter, ich hatte nicht bemerkt, wie sie entstanden war. Dieser einen Träne folgten weitere. Ich schluchzte.

Razu hielt mich nur fest und sagte nichts.

Ich weinte mich an seiner Schulter aus. Er war so schön weich und gemütlich, hier fühlte ich mich wohl.

Ich wollte nicht gehen, aber ich musste doch.

Warum war es denn nur so schwer eine Entscheidung zu treffen, wo ich doch keine Alternative hatte. Wenn ich hier bleiben würde, würde ich an meinem einsamen Herzen früher oder später sterben, doch wenn ich ging, verlor ich Razu.

Ich löste mich aus seinen Armen. Er sagte immer noch nichts.

Ich sah ihn nicht an.

Ich hatte das Gefühl, dass ich ihm eine Erklärung schuldete, doch ich bekam keinen Ton heraus.

Mit einer Hand wischte er die Tränen aus meinem Gesicht.

Hatte vor nicht mal einem Tag eine andere Hand eine ähnliche Berührung hinterlassen?

"Razu ... ich...", fing ich an, konnte aber nicht weitersprechen.

"Wenn du gehen musst, dann musst du gehen, ich werde dich nicht aufhalten", sagte er.

"Ich will aber nicht gehen", stieß ich heftig hervor.

Nein, ich wollte nicht gehen. Dies hier, so wurde mir klar, war schließlich mein Zuhause. Hier war ich aufgewachsen, hier hatte ich alles gelernt, was ich wusste, hier war ich daheim.

Ich trat an die Brüstung und blickte über das Land, dass die Samurai beschützten.

"Ich stehe in der Blüte meines Lebens, aber ich fühle mich, als würde ich jeden Moment sterben", murmelte ich. Ich wusste nicht, ob Razu es verstanden hatte.

"Darf ich dich was fragen, Razu?"

"Nur zu."

"Hast du jemals jemanden geliebt, der diese Liebe nicht erwidert hat?"

Ich schaute weiter übers Land, ich fürchtete mich vor seiner Antwort.

"Ja", antwortete er.

Es war nur ein einziges Wort, ein klitzekleines Wort.

"Wen?"

Ich spürte einen Lufthauch, er war näher an mich herangetreten, doch ohne mich zu berühren. Ich drehte mich halb zu ihm um.

Seine Augen streichelten mich sanft.

Ich wußte seine Antwort und es machte mich traurig. Er hatte es nicht verdient, nicht er.

"Bleib hier", sagte er,

"Ich kann nicht."

Er wurde traurig und ich war der Grund. Ich wollte ihn irgendwie aufmuntern, aber ich konnte es nicht. Egal, was ich gesagt hätte, es hätte nichts genützt, es hätte nichts geheilt.

Worte waren überflüssig in diesem Moment.

Ich hätte ihm so gern das gesagt, was er hören wollte, doch ich konnte doch nicht einfach meine Gefühle umschalten! Es ging nicht, auch wie ich mich noch so sehr anstrengte, immer war das Gefühl der Sehnsucht nach IHM da. Es blieb hartnäckig an seinem Platz und verschwand nicht, verspottete mich sogar.

"Ich werde gehen", sagte ich schließlich.

Razu nickte.

Mein Herz tat weh...
 

"Hat dir der Traum gefallen?"

Das war ein Traum gewesen? Wo war ich? Wer sprach da zu mir?

Ich erinnerte mich, ich war nicht Leana, sondern Lea. Es war wirklich nur ein Traum.

"Ich weiß nicht", antwortete ich auf die mir gestellte Frage.

"Du weißt es nicht?"

"Ich ... es war so traurig."

"Der letzte Traum zeigt immer das Innerste des Herzens."

Die Wahrheit tat weh.
 

Ich schlug die Augen auf.

Alles war schwarz um mich rum. Stille hämmerte in meinem Kopf.

"Warum das alles? Warum diese Träume?"

"Um dir die Menschheit zu zeigen, um dir die Schönheit zu zeigen, um dir dein Innerstes zu zeigen."

"Warum ich?"

"Nicht du. Alle Menschen."

"Aber es war ein Haken dabei."

"Wir sind nicht schuldig daran."

Ich schloss meine Augen.
 

Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Nostradamus_MB
2003-12-03T12:45:26+00:00 03.12.2003 13:45
gut gelungen ist sie, das steht außer frage, jedoch fand ich den letzten "traum" doch etwas ungewöhnlich (nagut den konnte ich nicht beurteilen, das ich die serie nicht kenne).
zeigt sie uns nicht, wie wenig man doch braucht um glücklich zu sein?

nos / michel
Von: abgemeldet
2003-03-05T17:04:52+00:00 05.03.2003 18:04
wie ich darauf gekommen bin? also, äh, gemeinhin nennt man das Inspiration, glaub ich ^_^
inspiriert von meinem Leben sozusagen *g* ^_^
Von: abgemeldet
2003-03-04T15:30:00+00:00 04.03.2003 16:30
die story ist dir wirklich gelungen!! Bin sehr beeindruckt.
wie bist du nur auf das gekommen? Manche Situationen komen mir nun doch sehr.... bekannt vor, aus meinem Leben.
Gruß
safira


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