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Kreaturen der Nacht

Kurzgeschichten
von

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Himmelskind

Blake sprang galant von Dach zu Dach, er verfolgte das Mädchen wie ein Schatten. Katzengleich drückte er sich flach an das Dach, auf dem er sich gerade befand und spähte zu seiner Beute hinab. Die junge Frau war wirklich hübsch. Sie hatte langes, schwarzes Haar und trug ein knappes Kleid. Kurz gesagt: Sie war genau das, wonach sich Blake in diesem Moment sehnte. Er konnte es sich bereits ausmalen, wie er sich an ihrem jungen Blut gütig tat.

Das Mädchen war stehen geblieben und kramte in seiner Handtasche. Dann zog es etwas kleines, viereckiges heraus, das Blake nicht zuordnen konnte und verschwand in einer Telefonzelle.

Blake mochte dieses Stadtviertel. Oft kamen Mädchen aus den Tanzbars in die verlassenen Gassen um zu telefonieren. Die düsteren Seitengassen schienen ihnen dabei nicht das geringste auszumachen.

Galant sprang Blake vom Dach des Hauses hinab und landete gekonnt im Stand. Es war wieder an der Zeit ein kleines Spielchen zu spielen. Er verschmolz fast zur Gänze mit der Dunkelheit um ihn her und nährte sich der Telefonzelle, doch ehe er seine Beute erreicht hatte, vernahm er einen leisen Gesang:

"Lass das Dunkel hinter dir, durchbrich den Verstand und folge mir. Erst dann findest du zu dir: Mit dem Kopf durch die Wand statt durch die Tür.“

Irritiert blieb Blake stehen und vergaß für einen Augenblick seine Tarnung. Als er sich nun wieder der jungen Frau in der Telefonzelle zuwandte, bemerkte er, dass sie ihn anstarrte.

,Verdammt', fluchte er in Gedanken.

Er tat das einzige, das jetzt noch Sinn ergab. Raschen Schrittes ging er auf die Telefonzelle zu: Er wollte retten, was zu retten war. Zu seinem Unglück schien das Mädchen mehr Verstand zu haben, als er es von den Menschen gewohnt war: Es schnappte sich seine Handtasche und rannte los. Natürlich hätte Blake es leicht einholen können, doch wusste er nicht, ob es ihrem Telefonat von ihm erzählt hatte. Verärgert blieb er stehen und wandte sich in die Richtung, aus der er glaubte die Melodie wahrgenommen zu haben. Wer hatte da gesungen?

"Lass das Dunkel hinter dir, durchbriche den Verstand und folge mir. Erst dann findest du zu dir: Mit dem Kopf durch die Wand statt durch die Tür.“

Da war es wieder. Blake folgte der Melodie mit langsamen Schritten, bis er die Quelle entdeckte. Ein kleines, ganz in weiß gekleidetes Mädchen mit goldenen Locken saß auf einer mit Graffiti beschmierten Mauer. Es hatte die Augen geschlossen und in seiner Unschuld wirkte es so fehl am Platz, wie es nur möglich war. Um es herum glaube Blake einen merkwürdigen Schein auszumachen. Er blieb vor der Mauer stehen und blickte hinauf. Nach einigen Sekunden schlug das Mädchen die Augen auf; es schien seine Anwesenheit gespürt zu haben.

"Ich habe lange auf dich gewartet", sprach das helle Geschöpf mit leiser und sehr leichter Stimme.

"Gewartet? Auf mich?", fragte Blake das Mädchen. Nie hatte jemand auf ihn gewartet. Oder zumindest seit Hunderten von Jahren nicht mehr.

Das kleine Mädchen nickte und sprang von der Mauer. Es schien ungewöhnlich langsam zu fallen, fast als würde es von der Luft getragen werden.

"Er sagt, du bist bereit zu sehen", lächelte das Mädchen sanft und streckte eine seiner kleinen Hände aus. Doch Blake ergriff sie nicht, er starrte sie nur ungläubig an.

Enttäuscht ließ das Mädchen die Hand sinken.

"Geh lieber nach Hause", fuhr Blake die Kleine unwirsch an.

Was dachte sich dieses Mädchen bloß dabei? Er hätte es töten können. Was, wenn er es getötet hätte?

"Er möchte nicht, dass ich ohne dich zurückkehre, Blake", erwiderte das Mädchen und scharrte mit den Füßen.

"Was?", wollte dieser verwirrt wissen. Er verstand nichts von dem, was dieses Mädchen ihm sagte. Woher kannte es überhaupt seinen Namen?

"Du bist Gottes schönster und liebster Engel. So lange haben wir dich gesucht", flüsterte das Mädchen und streckte wieder die Hand nach Blake aus, "Wenn du sehen willst, wirst du sehen."

Und Blake sah. Vor seinen Augen schienen dem Mädchen weiße Flügel aus dem Rücken zu wachsen. Dieser Schein, den er bei diesem Kind wahrgenommen hatte... das war es gewesen. Es war ein Engel.

"Lass das Dunkel hinter dir, durchbrich den Verstand und folge mir. Erst dann findest du zu dir: Mit dem Kopf durch die Wand statt durch die Tür.“

Blake ergriff die Hand des Engels und wurde von ihm fortgezogen. Entführt in eine Welt, von der Kreaturen der Nacht niemals auch nur zu träumen wagten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2009-07-22T09:45:00+00:00 22.07.2009 11:45
ich mag diesen Satz: "Mit dem Kopf durch die Wand statt durch die Tür...", allerdings muss ich sagen, es heißt "durchbrich den Verstand" und nicht durchbreche :)

diese Geschichte ist sehr kurz und lässt sich gut lesen. Ich finde es toll, dass der Vampir als hoffnungslose, verlassene Gestalt dargestellt wird, die dann doch Hoffnung hat. Vielleicht ist es beabsichtigt, ich finde, in dieser Aussage: "Er möchte nicht, dass ich ohne dich zurückkehre ... Du bist Gottes schönster und liebster Engel. So lange haben wir dich gesucht" ist ein grundlegender Gedanke des Christentums enthalten: Gott liebt dich und möchte, dass du zu ihm (zurück)kehrst. Sowas in eine Vampirgeschichte zu integrieren, ist wahrlich außergewöhnlich. Also, ich mags^^

Kommigebettel


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