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Drachenseele

Das Herz einer Priesterin
von

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*~Stigmögnun~*

"Vertrauen ist eine Stille im Chaos." - Andrea Gerlach
 

Kapitel 51 – Stigmögnun

-Eskalation-
 

*Warum genau gerät die Konstellation einer Situation letztendlich aus den Fugen?

Welcher Umstand zählt so viel, dass der Funken von Unordnung zu totalem Chaos abrupt überspringt?

Hängt dies tatsächlich von einer einzigen Handlung ab? Von einer bestimmten Reaktion, die einer der Beteiligten zeigt?

Oder liegt der Anlass für die Eskalation bereits in der Idee an sich, die eine Konfrontation als unausweichlich deklariert?*
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

„Eldsvoði…? Oi, Eldsvoði.“

Ungeduldig stieß der Jugendlich dem schlafenden Drachensouverän, der inzwischen halbwegs auf ihm lag, seinen Ellbogen einen Deut harscher zwischen die Rippen.

„Eldsvoði!“

Leise fluchend wälzte er sich auf den Rücken, befreite sich mit einigem Kraftaufwand von dem Fremdgewicht, das Eldsvoði ihm – wohl unterbewusst – aufgebürdet hatte.

„Bróðir? Wach auf.“

Noch schlaftrunken rollte er sich wieder zusammen, piekte seinem älteren Bruder halbherzig in die Flanke.

„Lasst ihn, leiðtogarsbróðir.“

Am Ende des Felsabsatzes hockte Logi, zerknirscht und sichtlich übernächtigt, und bedachte den Jungen mit einem wohlmeinenden Blick.

„Nenn mich Neisti. Ich mag diese hochtrabende Anrede nicht.“

Logi nickte und richtete sich auf, platzierte die Unterarme auf der Kante des Podestes.

„Neisti. Lass ihn seinen Suff ausschlafen.“

Daraufhin presste der Jungdrache die Lippen aufeinander, die kindlichen Züge von tiefgründigster Besorgnis überschattet, und der Soldat befürchtete, dass der Kleine gleich in Tränen ausbrechen würde.

„Logi… er hat so viel… so viel davon genommen…“

Er zitterte vor unterdrückten Emotionen, die schlanken Hände zu Fäusten geballt, die Knöchel blutleer.

„Ich weiß. Trotzdem ist das nicht das erste Mal, und solche wie er stecken eine Überdosis locker weg.“

Dass er aus Erfahrung wusste, dass sich mindestens ebenso viele so eigenhändig zugrunde richteten und damit den Gnadenstoß gaben, musste er dem jungen Feuerdrachen nicht unbedingt verraten.

„Aber-“

„Wenn du ihm etwas Gutes tun möchtest, sieh zu, dass er ordentlich isst sobald er zu sich kommt.“

Ihm fehlte der Sinn für aufmunternde Worte und Vertröstungen, und er fühlte sich ausnehmend unwohl in seiner derzeitigen Position, überfordert, und von sich selbst enttäuscht, da er Neistis Kummer nicht zu lindern vermochte.

Seine kläglichen Versuche, ein wenig Trost zu spenden, erzielten keinen positiven Effekt.

„Er bringt sich um…“

Logi schwieg.

Was sollte er darauf erwidern?

Es stimmte, bedauerlicherweise, Eldsvoði schaufelte sich sein eigenes Grab, als körperliches, ausgemergeltes Wrack, als nicht ernstzunehmendes Gegenüber für seine Rivalen und Feinde…

Missmutig blickte er hinüber zum Eingangsbereich der Gewölbehalle, wo sich seit geraumer Zeit die Sonnenweberdrachen sammelten, tuschelten, und sogar Bundori hatte die Anstrengung auf sich genommen, sein Quartier zu verlassen, um das ausschweifende Szenario zu beobachten.

Die sonderbare, Harmonie versprechende Ausstrahlung der menschlichen Priesterin musste sie angelockt haben.

Ihm war bewusst, dass er gegen den Drachenfürsten aus dem Osten im Ernstfall nicht bestehen würde, allerdings hinderte dessen angeschlagene Verfassung ihn daran, nach dem ihm immanenten, verkappten Belieben zu agieren.

Zum Glück.

Dementsprechend belief es sich auf unterschwelligen Drohungen und feindseligen Blickduellen.
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

Midoriko…

Jemand rief nach mir.

Seine Stimme war zu leise, das Wispern unverständlich und verloren in der Schwärze, die mich umgab.

Ich kannte das Gefühl, das die kaum vernehmlichen Worte begleitete, und als ein schwacher, mir wohlbekannter Impuls meinen Geist streifte, erwachte ich blitzartig, schlug die Augen auf.

Verwirrt blinzelnd sah ich mich um; ich befand mich noch immer im Zentrum der großen Halle, auf dem Podest, und neben mir lag Eldsvoði und schlief, wie auch die Mehrheit der anderen Drachen, die mit dem harten Felsboden hatten vorlieb nehmen müssen, nicht wenige mittlerweile in ihrem Hennyou.

Langsam setzte ich mich auf, ordnete betreten meine verrutschten Kleidungsstücke, und fasste gedanklich den Schluss, dass Orgien unter Menschen nicht sonderlich von dieser abwichen.

Oder zumindest glaubte ich das.

Auf Erfahrungen aus eben dem Bereich konnte ich getrost verzichten.

Ärgerlich rieb ich über meine geröteten Wangen, schalt mich für meine Unfähigkeit, dem Sujet mit angemessener Sachlichkeit zu begegnen.

Midoriko…

Dann spürte ich es wieder, jenes eigenartige Flüstern in meinem Unterbewusstsein, das mich beim Namen nannte, mich mit seinem Ruf zu erreichen versuchte, und eine enge Vertrautheit haftete dem Gefühl an, das sich in meinem Bauch ausbreitete.

Eldsvoði regte sich nicht, und so beschloss ich kurzerhand, dem nachzugehen.

Midoriko…

Eine Seele, die um Hilfe bat, meinen Beistand erflehte…

„Keine Sorge. Ich komme…“

Eilig strich ich mein Haar zurück und schlüpfte in meine Sandalen, verließ auf leisen Sohlen die Gewölbehalle und wagte mich in die verworrene Gängelandschaft hinaus.

Ich folgte meiner Intuition, die mich zuverlässig, immer tiefer und tiefer unter die Erde leitete, bis hin zu einer dunklen, unbewachten Seitenkammer.

Nicht ein einzelner Leuchtkristall war hier angebracht worden, Finsternis, die Hitze und der Schwefelgeruch unerträglich, sowie die schale, dumpfe Höhlenluft.

Zögerlich trat ich näher, führte meine rechte Hand an der warmen Wand entlang, und hielt inne, als sie in eine Nische mündete und sich zu ihrer Rechten öffnete.

Midoriko…

Diese Stimmlage, dieses Youki…

Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitzschlag.

Tränen der Freude stiegen mir in die Augen, mein Herz zog sich schmerzhaft und erquickt zugleich zusammen, und ich erinnerte mich – wie hatte ich das verdrängen, wie hätte ich ihn nur vergessen können?

„Skuggi!“

Vorsichtig tastete ich mich durch die Düsternis, meine Schritte beflügelt von Ungeduld und wachsender Heiterkeit, doch erst, als meine Handflächen schließlich flach auf der geschuppten Flanke des Schattendrachen ruhten, begriff ich die Situation.

Deswegen hatte er sich nach meiner Anwesenheit gesehnt.

Er…

Ernüchtert senkte ich den Kopf.

Die Betrübung, die sich wie flüssiges Blei über mich ergoss, einem plötzlichen Regengschauer gleich, erstickte die Keimlinge der Glückseligkeit.

Skuggi atmete schwer, und die letzten Überbleibsel seines Youki verflüchtigten sich in unregelmäßigen Zirkulationsbahnen, konsumiert von der aggressiven Atmosphäre der Feuerenergie, die diesen Ort beherrschte.

„…“

Ich brachte keinen Laut über meine Lippen.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ich konnte ihm nicht mehr helfen, und die Beklemmung, die mein Gemüt beschwerte, schnürte mir die Brust zusammen; Skuggi starb.

Es ist schön, dich noch einmal wieder zu sehen, Midoriko.

Den Kummer, der mich zu überwältigen drohte, hinunter schluckend, bemühte ich mich um eine gefasste Haltung. Es war nicht gerecht, einen Sterbenden in seinen letzten Momenten mit Nichtigkeiten des Diesseits zu belasten, schon aus dem Grund heraus, kein unnötiges Bedauern in ihm zu schüren. Im schlimmsten Falle resultierte daraus eine bösartige Abart eines Rachegeistes…

„Wieso…? Was machst du hier…?“

Mein schwankender Unterton verriet meine innere Aufwühlung.

Aska hat mich durchschaut… dass ich sie all die Jahre ausspioniert habe, im Dienste der Jörðardrekar. Mir war bewusst, auf was ich mich einließ. Ich mochte sie, ehrlich… he, und trotzdem war ich zu unvorsichtig.

Aska hatte ihm das angetan?

Ein Spion?

Dennoch bereute er es nicht, und die Tragweite seiner Aussage wurde mir erst später bewusst, ich verstand zunächst nicht, was er damit zum Ausdruck bringen wollte.

Insignifikant, im Anbetracht der Umstände.

Ich bin sehr froh, dass ich noch einmal mit dir sprechen kann… Midoriko, hör mir zu: Du bist etwas Besonderes. Du magst zwar ein einfacher Mensch sein, aber du besitzt, und da bin ich mir inzwischen sicher, eine alte Seele, Drachenseele… verstehst du?

Darum stehst du uns näher als deinesgleichen, deine Seele befindet sich im vollkommenen Gleichgewicht mit der weltlichen Ordnung und den Elementen, du bist einzigartig… daher rührt deine Reinheit, die du auf andere zu übertragen vermagst.

Es ist schwierig zu erklären, wie alles miteinander verquickt ist und einen Sinn in sich ergibt…

Aber er hat es dir gezeigt, nicht wahr?

Der Luftdrache. Flúgar. Ich kann fühlen, dass du die Wahrheit kennst…
 

„Hübsch, wirklich, herzzerreißend. Ich unterbreche die geistreiche Konversation ungern, allerdings strapaziert dieses gefühlsduselige Geschwätz meine Nerven.

Ich kann es nicht mehr hören, verdammt!

Tu der Welt einen Gefallen und verreck endlich, du Bastard.

Midoriko zuckte unweigerlich zusammen, und jedweder Muskel in ihrem Körper versteifte sich; die sonore Stimme des Drachenfürsten jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken, und sie konnte einen entsetzten Aufschrei nicht zurückhalten, als eine gewaltige Welle des maliziösen Youki den verbliebenen Funken Leben in Skuggis Leib auslöschte und sie zu Boden gehen ließ.

Furchtsam rappelte sich die Priesterin wieder auf, wich vor der mächtigen Aura zurück, den unheilvollen Blick aus karmesinroten Augen meidend.

„Wieso? Wieso habt Ihr ihn…?“

Sie zitterte, ihre Stimme überschlug sich unstet.

„Er wäre doch ohnehin…“

Was bezweckte er damit?

Was wollte er von ihr…?

„Schweig, impertinentes Menschenweib!

Überschätze deinen Wert nicht. Solange niemand fragt, hältst du gefälligst den Mund.“

Das gutturale Grollen, das sich daraufhin seiner Kehle entrang, wandelte sich alsbald in ein humorloses Lachen, morbide, verstärkt durch den Hall zwischen den hohen Felswänden, und durchtränkt von solcher Bosheit, dass es ihr durch Mark und Bein drang.

Gemächlich schritt er auf sie zu, ließ provokativ seine Fingerknöchel knacken.

Letztendlich übermannte sie die Panik, sie stolperte blindlings rückwärts, bis sie mit dem Rücken an das warme Gestein stieß, in die Ecke gedrängt und ohne Aussicht auf eine Möglichkeit zur Flucht.

„Nicht! Kommt nicht näher, ich warne dich!“

Abwehrend hob sie die Hände und schloss die Augen, ihre verbalen Verlautbarungen nunmehr ein hysterischer Schrei nach der nicht existierenden Gerechtigkeit der Welt und der fruchtlosen Androhung einer Läuterung, woraufhin der Drachensouverän verstimmt die Miene verzog und sich spontan dazu entschloss, dem ohrenbetäubenden Lärm aktiv entgegenzuwirken und ein rasches Ende zu bereiten.

Dazu kam er jedoch nicht.

Bevor er sich der Miko auch nur auf mehr als vier oder fünf Schrittlängen nähern konnte, erfasste ihn eine Woge reinster Energie, die auf seiner Haut brannte wie Höllenflamme und an seinem Bewusstsein zerrte und riss wie ein ausgehungerter Wolf an einem Kadaver. Es schien sein Innerstes hinaustreiben zu wollen, er brüllte vor Schmerz und Verwirrung, und entwand sich unter höchsten Kraftaufwendungen dem schmerzlichen Einfluss, der, wie er erbost feststellen musste, von der menschlichen Frau ausströmte.

Schnaubend hielt er sich auf Distanz, die Hände zu Fäusten geballt und fluchte lauthals auf sie, schleuderte ihr Youkiattacken entgegen, die sich allesamt in dem läuternden Bannkreis auflösten.

Der Sonnenweberdrache schäumte vor Wut, und knurrte verdrossen, den noch immer nachteilig beeinträchtigten Zustand seines Leibes für diese Blamage verantwortend. Im Besitz seiner wahrhaftigen Stärke würde eine elende Sterbliche wie sie nicht den Hauch einer Chance verzeichnen…

„Bundori…!“

Mit einem Mal ward das Gewölbe in glutroten Feuerschein getaucht, Eldsvoðis flammenumhüllte, einschüchternde Gestalt passierte den Durchgangsbogen, sein Ausdruck finster und unleserlich.

„Rühr sie nicht an!

Ich hätte dir falscher Schlange von Anfang an kein Gehör schenken dürfen. Ein intriganter, sadistischer Lügner, den nicht einmal die eigenen Untergebenen kümmern, jemand, der ausschließlich auf seinen persönlichen Machtstatus aus ist, ein Egoist sondergleichen, für den der Zweck alle Mittel heiligt…

Du widerst mich an.

Ich werde dafür sorgen, dass du kein Unheil mehr stiften können wirst. Ich schicke dich in die Hölle, wo ihr, du und dein verlogenes Pack, hingehört…“

Eldsvoði wandelte auf schmalem Grat zwischen Selbstbeherrschung und dem absoluten Verlust derselben, er bebte förmlich vor Zorn, und das Rumoren des Vulkans schwoll gefährlich an, der Höhlenkomplex erschüttert von Explosionen, die sich in den unteren Magmakammern in immer kleineren Intervallen ereigneten.

Der Feuerdrache kontrollierte den Feuerberg, schoss es Midoriko durch den Kopf, er beschleunigte den bevorstehenden Ausbruch!

„Ohne mich hätten du und deine lausige Bande von Hedonisten ebenso kläglich versagt wie deine lächerliche Schwester. Du solltest mir dankbar sein!

Wenn du dich auf der Stelle entschuldigst, könnte ich vielleicht in Erwägung ziehen, dir zu verzeihen…“

Selbstgefällig grinsend verschränkte Bundori die Arme vor der breiten Brust, sich geflissentlich weigernd, dem Oberhaupt der Eldursdrekar mehr als seinen Rücken zu präsentieren.

Eine bewusste Missachtung der Autorität des anderen, eine offene Provokation.

Die hitzige Stimmung zwischen den beiden Drachen detonierte buchstäblich, als die Aggression plötzlich aus dem Feuerdrachen heraus brach, und die heftigen Schwingungen seines Youki jegliche Sinneswahrnehmung überreizten.

Dann stürzte er sich unverwandt auf den Sonnenweber.
 

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„Oh man… das ist mit Sicherheit der langweiligste Posten, den man sich vorstellen kann…“

Nachlässig zog der Feuerdrache sein rechtes Bein an, betrachtete ohne wirkliches Interesse das sanfte Wogenspiel des Meeres, die weißen Schaumkronen der Wellen, die sich rauschend an den steilen Felshängen der Vulkankette brachen.

„Du sagst es, Bruder, du sagst es.“

Sein Kumpan streckte gähnend alle Viere von sich und legte den Arm über die Augen.

„Hier könnte man höchstens vor Langeweile sterben.“

„Was für ein dämlicher Tod.“

Die beiden nickten synchron, einander beipflichtend und ihr regelmäßiges Ritual des Lamentierens beendend.

„Allerdings.“

Der Ältere der beiden schnippte einen Kieselstein über den Rand des länglichen Vorsprungs.

„Vielleicht wäre ich besser zur Fremdenlegion in den Westen gegangen…“

Dass der Eldursdreki mit dieser Äußerung Recht behalten sollte, würde er sehr bald erfahren.
 

„Uh oh…“

Schläfrig wälzte sich der zweite Feuerdrache auf die Seite, den schockierten Unterton, der die Lautäußerung seines Genossen prägte, geflissentlich ignorierend.

„Was…?“

„Siehst du das nicht?“

Brummend sah der müde Drache auf, rieb sich über die Augen.

„Was? Wo?“

Sein Kamerad packte ihn alsgleich an der Schulter, deutete mit der rechten Hand hinaus auf den Ozean.

„Da drüben, diese Trichterwolke…“

„Huh? Das meinst- oh, ach du…“

Ungläubig starrten die beiden Wachen in die Ferne, die dusteren Wolken, die sich am Horizont über dem Meer auftürmten, und eine riesige, funnelgleiche Luftsäule formten, die nichts Gutes verhieß; wie ein unheilvoller Strudel, ein Mahlstrom, der alles mit verheerender Gewalt an und mit sich riss, förmlich in sich aufsog und erstickte, nichts als Verwüstung hinterließ…

In atemberaubender Geschwindigkeit jagte die rabenschwarze Wolkenkonstellation auf ihren Standpunkt zu, und die aufkommenden Böen trugen die Signatur eines feindlich gesinnten Youki.

Das Herannahen einer mächtigen Aura kündigte sich hiermit an, und so rasch, wie jener Vorbote eines Tornados heraufgezogen war, konnte er nicht natürlichen Ursprungs sein.

Ein Winddämon.

Nein, falsch: ein Drache.

Loftsdreki…
 

Im nächsten Augenblick fegte ein gigantischer Sturmstoß über das Felsplateau hinweg, in deren Gewalt jedwede Materie verging, erdrückt von der massiven Druckwelle, zermalmt von den Fängen der Luft.

Fels zersplitterte, Fleisch und Blut zerschmolzen förmlich in den Youkiverwirbelungen, die den stürmischen Wind kontrollierten.

Der abschirmende Bannkreis zersplitterte wie fragiles Glas.

Danach umfing eine trügerische Totenstille den Vulkanarchipel.

Die See schäumte und brauste, aufgebracht, verkündete zürnend die nächste von Chaos und Wut erfüllte Woge, die das Bollwerk des Feuers alsgleich heimsuchen sollte.

Nachlässig grüßte das Wasser den Verbündeten aus alten Tagen, die schlanke Silhouette eines fliegenden Drachen, die sich verschwommen vom Horizont abhob.
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

Ihrer Stimme beraubt, überwältigt, und auf abnorme Art und Weise sogar von ihrer Angst verlassen, wohnte die Priesterin dem fiebrigen Schauspiel bei, das sich direkt vor ihren Augen zutrug.

Bundori und Eldsvoði schenkten sich nichts.

Ein Kampf auf Leben und Tod.

Das Hennyou des Sonnenweberdrachen füllte die unterirdische Kammer nahezu vollständig aus, beschränkte seine Bewegungsfreiheit und schützte somit den wesentlich kleineren Eldursdreki vor der verhängnisvollen Gewalt des eisenharten Lindwurmkörpers. Mit Zähnen und Klauen vermochte er nichts gegen diesen auszurichten.

Drohend baute er sich vor ihm auf, spreizte die Schwingen.

Die Temperaturen innerhalb des Gewölbes stiegen drastisch, und der japanische Fürst stieß einen ohrenzerreißenden Schrei aus, schlug mit dem Schweif nach dem flinken Feuerdrachen, vergebens, erwischte lediglich die Höhlenwand.

Staub rieselte infolgedessen von der Decke hinab und faustgroße Gesteinsbrocken lösten sich, feine Risse durchzogen mittlerweile den Felsboden, ein orange glühendes Netzwerk verzehrender Hitze.

Im nächsten Moment ruckte Eldsvodðis Leib herum, er vollführte eine Kehrtwende und attackierte Bundori, in der Hoffnung, dessen Kehle, einen vermeintlichen Schwachpunkt, zwischen die tödlichen Kiefer zu bekommen.

Doch sein Kontrahent wich beiseite, so gut es bei seinem Körpervolumen ging, unbeirrt, und die Wucht des Sprunges riss die beiden Drachen mit sich. Das Gestein gab unter der schieren Masse dröhnend nach, verlagerte das Gefecht in ein angrenzendes Gewölbe und der Raum versank wieder im Zwielicht.

Das obszöne Fluchen des Drachensouveräns aus dem Osten hallte durch die Gänge.

Und dann spürte Midoriko es.

Dieses Youki…

Aus ihrer Erstarrung erwacht, fuhr sie alarmiert zusammen.

„Flúgar…“

Er war es, kein Zweifel.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus, schien ihr, ehe ihr Verstand reagierte und sie mit beherzten Sätzen die Klüfte in der Felsplatte unter ihren Füßen überwand.

„Ich lasse dich nicht hier, Skuggi.“

Kurzerhand sammelte sie die marmorierte Sphäre auf, umschloss sie fest mit der rechten Hand und lief los.
 

Atemlos hastete die junge Miko durch die langen Korridore, die steilen Stollenpfade hinauf, ungeachtet ihrer schmerzenden Muskeln und brennenden Lungen – die Luft war zwischenzeitlich derart stickig, dass sie kaum atmen konnte, die omnipräsente Wärme unerträglich.

Giftige Gase drangen aus den Spalten im Fels, verursacht durch die immer stärker werdenden Erschütterungen, und das erste, zähflüssige Magma quoll aus den klaffenden Rissen.

Ihre Entschlossenheit hielt sie trotz allem auf den Beinen, trieb sie an, die Gewissheit, dass Flúgar ihr einen Weg zur Flucht bahnte, dass er sich für sie erneut in Gefahr brachte…

Die Gelegenheit galt es zu nutzen.

Ich werde dich nicht enttäuschen!
 

Die verdutzten Blicke und Gesichter der Feuerdrachen, die sie in ihrer Eile bedenkenlos hinter sich ließ, ignorierte sie, zu eingenommen von ihrem Vorhaben.

Midoriko fühlte die Agitation der Drachen, das Aufwallen der Feuerenergien, die sich hier vereinten, und auch, dass etwas in ihrem Inneren dadurch in Bewegung geriet.

„Eine alte Seele, Drachenseele…“

Etwa eine Feuerseele…?

Freilich, ihre Stärke wuchs, jedoch waren ihre läuternden Fähigkeiten bei Drachen nicht von Nutzen, und wie mochte sich diese Macht auf Flúgar auswirken…?

Verbissen mahnte sie sich zur Eile, denn wenn sich jene gebündelten Aggressionen gegen den Loftsdreki entluden, war seine Niederlage, sein Scheitern, mit Sicherheit besiegelt, gleichgültig, wie geschickt er dem begegnete.

Die gereizten Rufe der Eldursdrekar verbanden sich in einem missklingenden Kanon miteinander, und die Priesterin wusste, dass ihr die Zeit davon rannte.

Blævar.

Erschrocken hielt sie inne, keuchend, und sah sich hektisch um, suchte nach einem Anhaltspunkt, um sich zu orientieren.

Wie hatte ihr das bloß entfallen können!

Um ein Haar hätte sie ihn zurückgelassen, wie gedankenlos von ihr, und sie schämte sich für ihr überstürztes, ihr egoistisches Handeln.

Midoriko presste die Lippen aufeinander und kehrte postwendend um, ohne einen weiteren kostbaren Moment zu verschwenden, versuchte vehement sich zu konzentrieren, eine Spur von Blævars Youki zwischen den lodernden Feuerschwingungen zu erhaschen.

In ihrer vorfreudigen Aufregung hatte sie sich verirrt, hoffnungslos, stellte sie frustriert fest.

„Verdammt!“
 

Kurz darauf hörte sie leichte Schritte, und diese näherten sich ihr beständig.

Die mäßig verborgene Hektik bemerkte sie nicht.

Ihr Atem stockte und erschrocken presste sie sich mit dem Rücken flach an die Wand, drängte die Vorzeichen ihrer Panik entschieden zurück. Sie konnte es sich nicht leisten, jetzt den Kopf zu verlieren, sie konnte es nicht verantworten.

Schweißperlen rannen ihr von der Stirn über die Schläfen, das Brustbein, ihre Seiten hinab, und eine heimtückische Nervosität vergiftete ihr Verstand und Körper.

Ob ihr rasendes Herz ihren Standort preisgeben würde?

Die Anspannung zerrüttete ihre Fassung, sie zitterte, und in jenem Augenblick trat eine schattenhafte Silhouette um die Ecke auf den Gang.

Totenstille.

Reflexartig griff die Priesterin an ihre Hüfte, nach dem Schwert, aber ihre Finger fassten ins Leere. Nun offenbarte sich ihr Leichtsinn, und sie schwor sich, sollte sie überleben, würde sie ihr Quartier fortan nicht mehr unbewaffnet zu verlassen.

Nie wieder.

Und entgegen ihrer schlimmsten Befürchtungen geschah nichts.

Die Gestalt verharrte regungslos, wartete.

Auf was?

Hatte sie sie entdeckt? Wie?

Bereitete sie einen Angriff vor?

Ein glimmender Feuerschein umhüllte den unbekannten Feind, die Form schrumpfte in sich zusammen, und Midoriko stutzte.

Irgendwie kam ihr dieses Wesen, etwa so groß wie eine Katze, diese Energie, das es abstrahlte, und das sachte Miauen, das diesen Prozess begleitete, sehr bekannt vor…

„Kaneko…-chan…“
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

***>>>Kapitel 52:

>“Noch ist die Schlacht nicht gewonnen, und die Wut des Windes prallt ungehindert auf den Furor des Feuers. In seiner Raserei kennt er weder Freund noch Feind, und jegliche Absichten bezüglich eines Rettungsversuchs sind vergessen. Wer dem zum Opfer fällt und wer der Gewalt des Wahnsinns besteht, ist reiner Zufall…“

Teiryuu



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Lizard
2008-08-08T12:52:10+00:00 08.08.2008 14:52
Hoppla, was geht denn hier jetzt ab...?!?
Von einer Orgie ab in die Raserei... das ist ja fast wie bei einem Dionysos-Fest...
Aber wieso werden die Sonnenebendrachen denn auf einmal so aggressiv? Okay, Bundori hat vielleicht einen Sprung in der Schüssel, aber welchen Grund hat er, dass er ausgerechnet jetzt mit den Feuerdrachen bricht. Ist über Skuggi was aufgeflogen, das zeigte, dass der Drachenfürst aus dem japanischen Osten ein falsches Spiel spielt?
Apropos Skuggi, das habe ich nicht so richtig verstanden. Er hat ja offenkundig als Spion gearbeitet, wurde enttarnt und letztendlich umgebracht hat ihn Bundori. Aber wie und warum genau der Schattendrache jetzt in alles involviert war, da bin ich irgendwie nicht durchgestiegen. Und es macht mich traurig, dass er jetzt tot ist. Er war ein sehr geheimnisvoller und dadurch unheimlich interessanter Charakter.
Abgesehen von all den verwirrenden Geschehnissen, ist es ein extrem spannendes, weil sehr explosives Kapitel. Im wahrsten Sinne des Wortes. Schließlich stehen sich nun nicht nur die einstigen Verbündeten feindlich gegenüber, sondern mischt auch die Luft das Feuer auf (unterstützt vom Wasser, wie es scheint?).
Flugar ist endlich gekommen...
Und eine menschliche Priestrin steht mal wieder zwischen allen Fronten... Es war sehr beeindruckend, wie sie sich gegen Bundori wehrt und Skuggis Seele rettet sowie sich um Blaevar sorgt.
Die Idee, dass Midoriko eine Drachenseele hat, erinnert mich übrigens an den vierteiligen Roman 'Erdsee', darin gibt es die Vorstellung, dass Menschen und Drachen ursprünglich eins waren... ('Erdsee' lohnt sich zu lesen, falls du's nicht kennst. Sind ein paar schöne Dinge bzw. Gedanken drin. Studio Gibli hat das auch als Verfilmungsvorlage genutzt und einen gleichnamige Animefilm produziert, der hat aber -soweit ich weiß- nur sehr, sehr wenig mit dem Buch zu tun)
Von:  Carcajou
2008-06-29T20:26:34+00:00 29.06.2008 22:26
Juhuuuuu!
*rumhüpft*
es geht weiter- und wie!
Eldsvoai gegen Bundori, ein vor Wut außer sich geratener Flugar im Anflug, ein toter Skuggi (SEHR Schade- ich mochte ihn. aber das tut nichts zur Sache, eigentlich mag ich alle deine Charaktere- und überleben können sie ja schließlich nicht alle <_<°)
Da haben sich eventuell flugar wie der feuerdrachenfürst in der Wahl ihrer gegner etwas überschätzt..?
das kann nicht gut ausgehen.
Und Midoriko muss noch Blaevar irgendwie in Sicherheit bringen (und erstmal finden), bevor ihnen wortwörtlich alles um die Ohren fliegt.Kaneko hat da wohl ein gespür für Timing. Kami sei Dank für das gespür von Katzen!

und Midoriko hat also eine Drachenseele? kein Wunder, das sich alle möglichen drachen so zu ihr hingezogen fühlen.
aber zersplittern die Seelen toter Drachen nicht in Windgeister?
wie..?
im Moment begreife ich leider noch gar nichts- und Verdiopern kenne ich auch nicht. Nur vermute ich, das es weiter tragisch und düster bleibt.
da schlummert wohl etwas in der Priesterin, das noch für einige Überraschungen sorgen wird?

das Flugar dazu neigt, im Kampf ein klein wenig die Kontrolle zu verlieren, hattest du ja bereist angedeutet- und die vorschau aufs nächste Kapitel lässt so gar nichts Gutes ahnen. sich rasend vor Wut und Rachsucht in einen Kampf mit zahlenmäßig überlegenden Drachen zu stürzen dürfte dem nicht förderlich sein.
Ich frage mich, ob sich Midoriko so ganz ungezwungen über ihre Begegnung wird freuen können- sein Auftritt mit den gelangweilten Wachen war großartig beschrieben. der Sturm zieht auf- und entlädt sich in ungezügelter Wut.
schöööön...^^

LG,
der Marder
Von:  Hotepneith
2008-06-29T19:36:47+00:00 29.06.2008 21:36
Auwei..da geht es ja mehr als rund...
Ich fürchte nur, der Feuerdrache wird den Kampf gegen Bundori nicht gewinnen...^^
Und Flugar gegen alle Feuerdrachen dürfte auch nicht gut gehen...
Das wird Tote geben..fürchte ich.

Und eine menschliche Priesterin als Drachenseele?
Langsam begreife ich deine Planung...denke ich....

und ich fürchte das Ende einer Verdioper.


bye

hotep




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