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Drachenseele

Das Herz einer Priesterin
von

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*~Andstæða~*

"Denken und sein werden vom Widerspruch bestimmt." – Aristoteles
 

Kapitel 37 – Andstæða

-Widerspruch-
 

*Wie stehen sich Licht und Schatten, Feuer und Wasser, Mensch und Dämon gegenüber?

Ist es richtig, sie aus der Neigung des Allgemeinen heraus als Gegensätze zu bezeichnen, die einander aufheben, gar vernichten?

Oder ist es nicht viel mehr so, dass sie gemeinsam ein neues Ganzes, etwas Vollkommenes schaffen, wie die zwei entgegen gesetzten Seiten ein und derselben Medaille?

Und was ist, wenn man seinen eigenen Part verkennt, sodass eine Perfektion nie erreicht werden kann?*
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

Ich sah mich um, und musste zu meinem Leidwesen feststellen, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wo ich mich befand. In welchem Teil der riesigen Anlage war ich hier nur? Und was viel bedeutender war, wie sollte ich zurückkommen?

Fakt war, ich hatte mich verlaufen, daran war nicht zu rütteln, und selbst, wenn ich umkehrte, gab es keine Garantie dafür, dass die Richtung, die ich wählte, die richtige war. Es war aussichtslos, aber Nichtstun würde meine Lage nicht im Geringsten verbessern. Was blieb mir denn anderes übrig? An Ort und Stelle ausharren und auf Hilfe warten?

Da es mir nicht danach verlangte mich zu blamieren, sicher nicht.

Ich verspürte eher die Lust, mich selbst für meine Unbedachtheit zu verfluchen, doch ich hütete mich davor, das Wahren meiner Fassung zu einer Nebensächlichkeit zu degradieren, denn immerhin galt es noch den Rückweg zu bestreiten.

Kopfschüttelnd durchquerte ich den schmalen Gang, schritt gemächlich auf einen kleinen Hof hinaus. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass weit und breit niemand zu entdecken war… die kläglichen Versuche, meine Schrittlänge insoweit zu verkürzen damit ich mich auf den Beinen halten konnte, machten zweifellos keinen sehr eleganten Eindruck. Dieser Kimono belastete meine Nerven gewaltig…

Natürlich kam es, wie es kommen musste.

Ich stolperte, vermutlich war ich wieder einmal auf den Saum des enervierenden Kleidungsstücks getreten, und fürchtete bereits, völlig haltlos nähere Bekanntschaft mit dem Granitpflaster zu schließen, als ich plötzlich einen Widerstand an meinem linken Ärmel spürte.

Ein sanfter Windhauch umschmeichelte meinen Körper, als mich irgendetwas nach hinten zog und mich am Fallen hinderte.

Mein Herz pochte wie wild in meiner Brust, dass es mich beinahe schmerzte, und ein leichter Schauer kroch meine Wirbelsäule hinab, entfachte in mir ein kurzweiliges Wohlgefühl, das mich in seinem Nachdruck verwirrt erröten ließ. Ich war außerstande mich zu bewegen, paralysiert, vergaß für einige Momente das Atmen.

„Was willst du?“

Bang unterdrückte ich einen Aufschrei, drehte mich zögerlich, das Beben meines Leibes erstickend, um. Nur bedächtig kehrte mein Geist in die Realität zurück und mein umnebelter Verstand klärte sich.

„Flúgar…“

Ich erwachte aus meiner Betäubung, meine Laune wandelte sich sprunghaft und die Verärgerung ergriff mich. Meine Güte, der blöde Kerl hatte mich fast zu Tode erschreckt. Was dachte er sich dabei?

Nichts, ich schüttelte den Kopf. Vielleicht erwartete ich zu viel…

Das Grummeln, das auf einmal aus Flúgars Richtung drang, schwoll geradewegs zu einem kehligen Knurren an. Was passte ihm nun wieder nicht?

„Warum lässt du dich von deinesgleichen derart reduzieren?“

Jählings wurde mir ganz anders, ein flaues Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Zweifel und Unsicherheit begannen sich meiner zu bemächtigen. Seine Worte, gleich einem direkt treffenden Faustschlag, holten mich auf den Boden der gegenwärtigen Tatsachen zurück.

Ich mied seinen analysierenden, und zugleich kritischen Blick, fixierte die musterlosen, grauen Pflastersteine, mit denen der Hof ausgelegt war. Ich wusste, auf was er ansprach…

Hatte er Recht…? Gestattete ich, schier willenlos, dass man mich hier erniedrigte?

Aber… ich verstand ihn einfach nicht. Was meinte er genau? Mein Verhalten vor dem Tennô während der Besprechung mit seinem Vater und Inu No Taishou? Meine Wortlosigkeit währenddessen und dem Gastmahl danach? Oder bezog er sich auf etwas Anderes…?

Unweigerlich berührte ich mit der rechten Hand mein Gesicht… war es das?

„Du siehst aus wie eine Puppe.“

Starr, leblos und ohne Willen, ein täuschendes, hübsches Äußeres, das die Leere im Inneren kaschiert; eine leblose Gestalt, die bloß so agiert, wie der, der Gewalt über sie auszuüben vermag, es befiehlt… eine Puppe also…

Seine Finger stahlen sich unter mein Kinn, er nötigte mich zum Aufschauen, fing meinen unsicheren Blick mit dem seinen ab. Das Unwohlsein überkam mich, ich zitterte, erlag der in mir aufkeimenden Nervosität. Der sonderbare Ausdruck in seinen Augen verriet nicht dasselbe wie seine finsteren Gesichtszüge… was bedeutete das? Wollte er damit etwas Bestimmtes bezwecken? Oder spielte mir meine Wahrnehmung aufgrund meiner Übermüdung einen Streich?

„Ich benehme mich, wie es sich zu Hofe gehört. Zudem bist du in dieser Hinsicht nicht wesentlich anders.“

Der Loftsdreki schnaubte unwirsch, packte mich grob an den Schultern.

Damit stand er direkt vor mir, füllte mein gesamtes Sichtfeld aus, und trotz seiner aufgezwungenen Nähe, seiner herrischen Art, wich ich nicht vor ihm zurück, verwarf jeden aufkeimenden Gedanken an Flucht oder irgendeine Art von Ausbrechen. Einerseits konnte ich nicht von mir behaupten, dass ich mochte oder dem beipflichtete, was er gerade tat, doch andererseits… wozu sollte ich das unterbinden, ihm entgegenarbeiten?

Mit dem blütenweißen Ärmel seines Haori fuhr er mir über die rechte Wange, rieb mir mit umsichtigem Druck die Schminke von der Haut.

„Als ob das an dir Gebrauch finden würde.“

Ich war baff, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch es gelang mir nicht, auch nur einen richtigen Laut zu formen und verständlich zu äußern. Sollte das heißen, dass ich ihm ohne diese Maske aus falscher Schönheit besser gefiel…?

Mir wurde heiß und kalt zugleich, als seine Finger zärtlich meine Wange kosten; an und für sich war das ja nicht seine Art… was sollte das werden? Wollte er etwa…?

„Mononoke! Nimm sofort deine dreckigen Pranken von ihr, oder du wirst es bereuen!“

Es war wie das abrupte Hochschrecken aus einem fürchterlichen Alptraum, eine bitterkalte Windböe im Sommer, ein infernalischer Schrei, der die Totenstille brutal zerfetzte…

Flúgar zuckte sichtlich zusammen, ich ebenso, doch während ich mich kein Stückchen rühren konnte, reagierte er sofort. Er schob mich beiseite, baute sich kampfbereit, sämtliche Muskeln zum Zerreißen angespannt und mit der rechten Hand bereits an Skýdis Tsuka, vor mir auf.

Akaihoshi…

Flúgars Antwort auf seine harsche Unterbrechung war eine lautstarke Drohung, ein tiefes Grollen, das wie entfernter Donner klang, und von einer Aggressivität geprägt, die weder menschlichen noch tierischen Ursprungs war. Die dämonische Seite des Loftsdreki flößte mir Angst ein, unwillkürlich stellten sich die Härchen in meinem Nacken auf.

Akaihoshi riskierte leichtfertig ein Spiel mit dem Feuer, und wenn er den Drachen herausforderte, würde er dessen Macht und die Antipathie ihm gegenüber am eigenen Leib zu spüren bekommen, und das waren gewiss keine rosigen Aussichten für ihn. Ob ihm bewusste war, was er gerade im begriff war zu tun? Provozierte er ihn absichtlich oder war er lebensmüde?

Letzteres konnte ich ausschließen; sein selbstsicheres Auftreten, seine Körpersprache und die Festigkeit seiner Stimme widerlegten meine These.

Er kalkulierte Flúgars Unberechenbarkeit mit ein.

Ich hatte ihn unterschätzt, und die Vorstellung einer Eskalation erschien mir mit einem Mal unvermeidbar. Gegen Flúgar würde er nicht bestehen können, gleichgültig, wie gut er als Kämpfer auch sein mochte, denn schließlich war er ein Mensch...

Unversehens frischte der Wind auf und es wurde schlagartig kälter, ich fröstelte, rieb mir die Oberarme. War das… Flúgars Youki?

Es begann zu nieseln, am Himmel türmten sich in nicht allzu weiter Ferne graue Wolkenmassen zu wallenden Bergen auf, die das Licht der Sonne und den Horizont gierig verschlangen. Dieser viel zu rasche Wetterumschwung war nicht auf eine natürliche Ursache zu berufen… war der Luftdrache in der Lage, durch seine Kontrolle über die Luft auch das Wetter zu beeinflussen?

Aber natürlich, wenn der Wind seine Richtung änderte…

„Warum verbündet Ihr euch mit dem Feind, Miko-sama?“

Feind…?

Ich bedachte Flúgar mit einem kurzen Seitenblick, ehe ich mich dem Schwertkämpfer zuwandte, seinen unversöhnlichen, hasserfüllten Blick auffing und verständnislos erwiderte.

„Nur weil ein Dämon ein Dämon ist, muss er nicht zwangsläufig ein Kontrahent sein – genauso wenig könnt Ihr behaupten, jeder Mensch sei Euer Freund, nur weil er ein Mensch ist. Ihr macht es Euch mit diesem törichten Glauben einfach, denn wäre es tatsächlich so, gäbe es weitaus weniger Konflikte in dieser Welt.“

Sein Ausdruck verhärtete sich auffallend, Unbarmherzigkeit zeichnete sich auf den schlichten Linien ab.

„Kann man Euch so leicht täuschen, Miko-sama? Erliegt ihr bereits dem Bann dieser verabscheuungswürdigen Kreatur? Mir scheint, Eure Fähigkeiten als Priesterin werden überbewertet.

Doch fürchtet Euch nicht, Miko-sama, ich werde meinen Pflichten nachkommen, und Euch von diesem Fluch erlösen.“

Allmählich wurde es mir zuviel, seine Intoleranz und Sturheit zerrten an meinen Nerven. Was wollte er mit seinem unqualifizierten Gerede erreichen?

„Ihr irrt Euch gehörig, wenn Ihr das denkt. Ich handle aus meinem freien Willen heraus, und nicht, weil ich unter irgendwessen Einfluss stehe.“

Nein, ich war keine Puppe, keine Marionette, die man nach Belieben an ihren Fäden ausrichten konnte.

Der Angesprochene schüttelte den Kopf.

„Ich verstehe Euch nicht, Miko-sama. Wie kann eine reine Jungfrau wie Ihr die Seite einer verdorbenen Bestie wählen? Zwischen Mensch und Dämon besteht keinerlei Bindung, es sind nicht einmal mehr Unterschiede, die dort vorherrschen, sondern Widersprüche, die sich gegenseitig vollkommen ausschließen.“

Ich schloss die Augen.

Was für ein verblendeter, unlogischer Mensch er war, ohne Einsicht, ohne die geringste Andeutung von Verständnis. Er sah die Angelegenheiten nur von einer, und zwar der Sichtweise aus, die ihm behagte…

„Euer Standpunkt ist nicht annähernd neutral, und Ihr nehmt Euch trotz dessen heraus, Flúgar zu verurteilen, weil er ein Dämon ist?

Ihr redet von Dingen, die sich offensichtlich über Eurem Fassungsvermögen bewegen. Gegensätze heben sich nicht auf, sie ergänzen sich und bilden zusammen eine Einheit – ohne einander können sie nicht existieren. Was wäre der Tag ohne die Nacht, oder umgekehrt? Was wäre Schwarz ohne Weiß?

Und dennoch gehören sie zusammen, formen ein Ganzes…“

Akaihoshi hörte nicht zu.

Seine grünen Augen blitzten unheilvoll auf, ehe er seinen Stand stabilisierend verbreiterte und sein Schwert zog. Eine klare Provokation, eine Kampfansage, die ihre Wirkung nicht verfehlte, denn Flúgars Reaktion erfolgte unverzüglich.

Binnen weniger Augenblicke, die knapp einem einzelnen Atemzug entsprachen, hatten sich Flúgar und Akaihoshi in den Eifer des Gefechts, förmlich aufeinander gestürzt, sich in einen heftigen Kampf verstrickt, der mit unglaublicher Geschwindigkeit und Energie von Statten ging, dass ich ihn mit den Augen nur bruchstückhaft verfolgen konnte. Aber das, was ich beobachten konnte, erinnerte mich weniger an eine faire Kontroverse als eher an eine Auseinandersetzung zwischen zwei fremden Hunderüden, die sich um Reviergrenzen stritten.

Die beiden jedoch waren nicht darauf aus, den Gegner zu vertreiben oder in die Aufgabe zu zwingen, nein, das Ziel war einzig und allein der Tod des jeweils anderen, und Gnade kannte dabei keiner von ihnen. Die Entscheidung des Duells würde das Urteil über Leben und Sterben fällen…

Das Geräusch schwingenden Stahls schallte über den Hof.

Mein Wissen über die Kunst des Schwertkampfes war begrenzt, jedoch zur Beurteilung dessen, was sich in diesen Momenten geradewegs vor mir ereignete, reichte es vollkommen aus. Und eben das beunruhigte mich.

Auf rein technischer Ebene war Flúgar Akaihoshi nicht gewachsen, nur selten gelang es ihm, die Verteidigung seines Gegenspielers zu brechen, während dieser den Loftsdreki mit schier müheloser Leichtigkeit zusehends weiter zurück, dem Aus entgegen, drängte.

Die physische Überlegenheit des Drachen verschaffte ihm selbst keinen Vorteil, und oftmals musste er den präzisen Schlägen ausweichen – zu viele der flink und exzellent ausgeführten Hiebe vermochte er bereits nicht mehr zu parieren.

Mahnende Worte, um an ihre - offenbar nicht vorhandene - Vernunft zu appellieren, waren hierbei ebenso unangebracht und fehl am Platz wie ein beherzteres Einschreiten mit roher Gewalt, das mir Flúgar mit einem unsanften Stoß aus der potenziellen Gefahrenzone quittierte. Kurzum, für mich war es unmöglich, die beiden auseinander zu bringen.

Was hatte ich mir auch dabei gedacht?

Schlimmer als ein sturer Esel waren zwei von der Sorte…

Durch meinen momentanen Ärger abgelenkt, schrak ich fürchterlich zusammen, als sich der Wechsel in Akaihoshis Fokus von Flúgar auf mich verlagerte, und er wie aus dem Nichts heraus, ohne ersichtliche Begründung, nun mit erhobener Klinge auf sein neues Ziel, auf mich, zustürmte.

Ich war starr und unbeweglich vor Schreck, der Lauf der Zeit schien sich vor meinen Augen zu verlangsamen, bloß noch zähflüssig zu rinnen, als ich tatenlos dabei zusah, wie der Schwertkämpfer beständig näher kam, bedrohlich und unaufhaltsam, seine Waffe in einem tödlichen Angriffswinkel geneigt und auf mich gerichtet.

Was sollte das? Hatte er wirklich vor, mich zu töten?

Die blanke Panik strömte durch meinen gesamten Körper, jeder noch so kleine Muskel verweigerte sich meiner Befehle, schnürte mir die Kehle zu und presste mir mit aller Macht die Brust zusammen, sodass ich kaum noch atmen konnte.

War es womöglich doch besser, mit allem abzuschließen und es einfach geschehen zu lassen, als sich erfolglos dagegen aufzulehnen?

Meine Wahrnehmung verschwamm und in meinem Kopf herrschte eine gespenstische Leere; ich war an einem Endpunkt angelangt, von dem aus es keinen Rückweg mehr gab. Dem stetigen Kämpfen überdrüssig, beugte mich jener Übermacht, die sich vor mir unüberwindbar auftat.

Doch es kam anders, als ich gedacht hatte.

Ein heller Schemen fuhr wie ein Blitz durch meine schwindenden Sinne, rüttelte mich prompt aus meiner Apathie, meiner Todesstarre, die mir höchstwahrscheinlich zum Verhängnis geworden wäre, wenn er nur wenige Augenblicke später gehandelt hätte.

Mit einem weiten Satz hatte sich Flúgar vor mich gebracht, gerade noch rechtzeitig, um Akaihoshi daran zu hindern, mir in irgendeiner Weise Schaden zuzufügen, mich in ihre Auseinandersetzung mit einzubeziehen.

Der Loftsdreki blockte mit sichtlicher Mühe, während sich ein triumphales Lächeln auf die Lippen seines Kontrahenten schlich. In diesem Duell gebührte ihm der Sieg - dem Drachen mochte es geglückt sein, den Hieb zu kontern, doch seine Abwehrhaltung war schwach, und diese Lücke nutzte der Schwarzhaarige gnadenlos aus.

Er stieß zu, problemlos bohrte sich das Schwert durch Stoff, Haut und Gewebe, bis schwarzrotes Blut sich seinen Weg über die Klinge bahnte. Trotz dessen regte sich Flúgar nicht, kein Laut löste sich von seinen Lippen.

Meine Augen weiteten sich bei jenem Anblick, und bevor ich mir die Hand über den Mund halten konnte, keuchte ich entsetzt auf.

Somit jedoch besiegelte sich die Niederlage des einen, der Sieg des anderen, eindeutig, wem das eine und wem das andere gebührte.

Akaihoshi lachte auf.

„Eine erbärmliche Kreatur wie du ist mir bis jetzt nur selten untergekommen. Du beschützt eine menschliche Frau? Aus welchem Grund? Ist sie dir mehr wert als ein Triumph?

Nein, ein Dämon würde so etwas niemals für einen Menschen tun, es ist wohl eher der Fall, dass du auf dein vermeintliches Eigentum Acht gibst. Bist du für die Weibchen deiner Sorte nicht gut genug?

Sicher, warum sonst würdest du dich mit einer Menschenfrau begnügen?

Obwohl sie für deine niederen Triebhaftigkeiten freilich ausreicht…“

Die spöttische Rede des Gewinners wurde jählings unterbrochen und beendet, als Flúgar ihm den Ellbogen seines Schwertarms ins Gesicht rammte - ungeachtete dem Faktum, dass er sich so die gegnerische Klinge noch tiefer ins eigene Fleisch trieb - und das mit solch einer Wucht verbunden, dass es den Menschen von den Beinen riss und er erst in einigen Metern Entfernung wieder auf dem harten Untergrund aufschlug.

Er wandelte auf schmalem Grat, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren, seine Wut kühlte die Luft rings umher spürbar ab.

Scheppernd traf das mit Blut benetzte Schwert auf die Pflastersteine, achtlos zur Seite geworfen, als der verwundete Luftdrache sich in Bewegung setzte, langsam auf den noch immer am Boden liegenden Schwertkämpfer zuschritt.

Ohne darüber nachzudenken, eilte ich ihm nach, packte ihn am Arm. Hier würde kein Blut mehr vergossen werden, nicht einmal das eines Idioten wie ihm.

„Flúgar, bitte.“

Das rötliche Glühen in seinen Augen erlosch, und er ließ Skýdis sinken, bis ihre Spitze gen Erde zeigte, als er inne hielt. Seine Atemzüge waren regelmäßig, aber kurz, teilweise stockend.

Nachdem sein Katana wieder sicher verwahrt an seiner Hüfte ruhte, wanderte seine rechte Hand prüfend an seine linke Flanke.

„Hast du große Schmerzen?“

Er dämpfte das Grummeln, das sich unwillentlich seiner Kehle entrang, als er die Wunde vorsichtig mit den Fingern inspizierte.

„Ich werd' nicht dran krepieren.“

Seine Stimme klang gepresst, schwankte in der Tonlage.

Die Antwort auf meine Frage ergab sich daraus, ich erkannte die unterschwellige Botschaft, obschon seine Feststellung in dieser Hinsicht unbrauchbar war. Ich hätte es mir ohnehin sparen können; als ob Flúgar zugeben würde, dass er sich nicht besonders gut fühlte.

„Komm, lass uns gehen.“
 

Die Wunde war wesentlich tiefer und blutete stärker, als er vermutet hatte. Dieser verdammte Bastard von einem Menschen…

Jede Bewegung sandte eine Welle unsagbarer Pein durch seine Nervenbahnen, und es kostete ihn Einiges an Beherrschung, dies nicht lautstark kundzutun. Fluchen wäre ihm eine willkommene Alternative gewesen, doch er gebot sich selbst zu schweigen, biss anstatt dessen die Zähne fest zusammen.

Augenscheinlich hatte der Schwertkämpfer eine gute Ahnung davon, wo und wie er einen Treffer setzen musste, um den größtmöglichen Effekt zu erzielen, der schließlich dazu beitrug, seinen Gegner systematisch mit Geduld ins Matt zu zwingen. Eine clevere Taktik…

Flúgar spürte, wie ihn der Schwindel ergriff, bunte Flecken begannen vor seinen Augen zu tanzen, die Formen der Umgebung flossen förmlich ineinander; konkrete Anzeichen, die ihn näher über seinen Zustand informierten. Die Verletzung würde ihn nicht umbringen, harmlos war sie aber ebenfalls nicht.

Obwohl Midoriko ihn, insoweit es ihre Statur erlaubte, stützte, schleppte er sich mehr voran als dass er ging. Allmählich fürchtete er um sein Bewusstsein, und sollte er zusammenbrechen, würde er in massive Schwierigkeiten geraten. Und sie sicher auch, seinetwegen…

Es nahm eine ziemliche Weile, die nicht nur Flúgar ewig erschien, in Anspruch, bis die beiden endlich das Zimmer erreichten, das man der Priesterin bei ihrer Ankunft zugeteilt hatte. Es war kein leichtes Unterfangen gewesen, den angeschlagenen Luftdrachen umzustimmen und davon zu überzeugen, dass es vorteilhafter war, ihn vorab dorthin zu bringen.

Die Strecke war kürzer, sie würde sich in Ruhe um seine Verletzung kümmern können, und es war weitaus weniger auffällig, als zu versuchen, sich mit ihm heimlich durch die Räume der Dämonenfürsten zu schleichen, wo auch er irgendwo sein Lager haben musste – doch gegen logische Argumentation war Flúgar augenscheinlich resistent, denn anfangs hatte er sich ernsthaft gesträubt, diesen Vorschlag nur zu überdenken.

Seine grenzenlose Sturheit war ein Hindernis, das nicht allzu reibungslos zu bewältigen war; seine eigensinnige Natur ließ nicht zu, dass man ihn zu etwas nötigte, und sein Gegenwille wurde strikter, eher verbissen, wenn man dies nicht beachtete. Ihr penetrantes Bitten hatte bessere Erfolge verzeichnet, daraufhin - nach langwieriger, ermüdender Überredungsarbeit - hatte er wortlos eingewilligt und sich ihr mehr oder minder gefügt.

Zu ihrem Glück waren sie ungesehen über das weitläufige Gelände, durch das Gebäude und anschließend zu ihrem Quartier gelangt. Keiner von beiden wollte sich ausmalen, was sie ansonsten erwartet hätte…

Als Midoriko den Shouji öffnete, empfing Kaneko sie umgehend mit einem freudigen Miauen und rieb sich an den Beinen ihrer Besitzerin. Deren vages Lächeln schmälerte sich bald wieder, das Gewicht auf ihrer Schulter mahnte sie, sich nicht ausführlicher Ablenkungen zu widmen und zu beeilen.

„Warte kurz.“

Von der Last, die nur einem Bruchteil seiner baren Masse entsprach, befreit, fasste sie das zusammengelegte Bündel an der angrenzenden Querwand und breitete mit einigen geschickten Handgriffen ihren kaum gebrauchten Futon auf den Tatami aus.

Flúgar hingegen lehnte sich Halt suchend an die Wand und schloss die Augen. Sein Gleichgewichtssinn war vollends durcheinander, ohne Unterstützung konnte er nicht einmal mehr aufrecht stehen, von laufen nicht zu reden – Entfernungen einzuschätzen war ihm unmöglich und sämtliche Objekte in seinem Sichtfeld drehten sich in abstruser Weise um sich selbst, wirbelten in Spiralen um ihn herum.

Hierfür würde ihm jemand büßen, und das nicht zu knapp. Sollte er diesen jämmerlichen Sterblichen noch einmal erwischen, würde er ihn mindestens in Stücke reißen, so viel war sicher…

Die schwarzhaarige Miko schaute auf, legte die Hand hinweisend auf die weiche Matratze neben ihr.

„Setz dich.“

Er zögerte.

Seine Instinkte rieten ihm dringend davon ab, ihren Worten Folge zu leisten; irgendetwas störte ihn gewaltig, ihre Stimmlage war anders als gewöhnlich und außerdem kannte er ihre Fähigkeiten und Methoden in der Beziehung Wundversorgung nur zu gut. Eigentlich war ihm im Moment nicht danach, sich freiwillig foltern zu lassen…

Hatte er eine Wahl?

Nein. Ihm blieb nichts anderes übrig, als dem nachzukommen.

Stumm ergab er sich seinem Schicksal, kniete sich auf die angenehm nachgiebige Bettstatt, die schwarzhaarige Miko stetig im Augenwinkel behaltend.

Ihr Blick wurde fordernd.

„Ausziehen.“
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

***>>>Kapitel 38:

>“Ereignisse, die einen näher zusammenführen, gibt es allerlei - viele jedoch sind weniger erfreulich und stellen das Verhältnis zweier Individuen auf die Probe. Einer verfahrenen Situation dann noch etwas Gutes abzugewinnen, ist wahrlich eine Kunst, die kaum einer beherrscht…“

Kunsoku



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Lizard
2007-05-04T12:23:28+00:00 04.05.2007 14:23
Irgendwie muss ich bei den Textstellen, bei denen du aus Midorikos Sicht schreibst oft grinsen. D.h. bei den witzigen Stellen. Da läuft dein Schreibstil immer so schön konträr zu den lustigen Dingen, die der Miko so ab und zu widerfahren. So z.B. am Anfang dieses Kapitels, das war wirklich wunderschön amüsant geschrieben.
Umso überraschender die Wende, als aus einer amüsanten Szene plötzlich blutiger Ernst wird. Gut gemacht, auch wenn solch tragisch verlaufende Entwicklungen nicht unbedingt erfreulich für romantisch angehauchte Leser sind.

Akaihoshi erinnert mich ein bisschen an Takemaru aus dem dritten Inuyasha-Film. Mit seiner Intoleranz bildet er einen starken Gegenpol zur aufgeschlossenen, niemals verurteilenden Midoriko. Er scheint sehr fanatisch zu sein, seine Provokation sprach ja Bände. Ich fürchte, das wird kein gutes Ende nehmen.

Mir gefiel Flugars Beschützerinstinkt. Da hat er was gemein mit gewissen Hunden.^^

Aber es war ja mal wieder klar, dass es dann wieder an einer der spannendsten Stellen aufhören muss... na ja, umso mehr freut man sich auf's nächste chap!
Von:  Carcajou
2007-04-29T20:45:51+00:00 29.04.2007 22:45
So blind vor Hass, das er sogar auf Midoriko losgeht?

Ich kann mich Hotepneith nur anschließen.
Langsam riecht das alles nach gezielter Manipulation, um eine Eskalation zu provozieren.
Und das dieser menschliche Schwertkämpfer sogar Flugar so verletzten kann... ein einfacher Mensch....?

Ja, bin ebenfalls SEHR gespannt auf die Fortsetzung
G. Carcajou
Von: abgemeldet
2007-04-29T16:47:38+00:00 29.04.2007 18:47
Boah! Du weißt wie man sowas richtig schreibt! ^-^

Die Disskussion und dann auch der Kampf von Flúgar und dem Typen, (keine Ahnung wie man den schreibt ^^°) fand ich richtig klasse, wie er Midoriki beschützt hat. ^-^


Bin gespannt auf dein nächstet Kapitel. ^______^


24
Von:  Hotepneith
2007-04-29T09:12:20+00:00 29.04.2007 11:12
Da sitzen Vorurteile aber gewaltig tief. Und die Folgen dieses "Treffens" dürften unabsehbar sein, falls das rauskommt.
Irgendwie wird diese Besprechung beim tenno zu etwas anderem, als man zuerst annehmen sollte. Fragt sich, wer wo welche Fäden zieht und wer gezogen werden soll bzw. wird.

Schreib nur schön weiter.


bye

hotep


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