Zum Inhalt der Seite

Drachenseele

Das Herz einer Priesterin
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

*~Henge~*

"Wie leicht doch bildet man sich eine falsche Meinung, geblendet von dem Glanz der äußeren Erscheinung." – Jean Baptiste Molière
 

Kapitel 6 - Henge

-Erscheinung
 

*Welche Auswirkungen haben Erinnerungen, Geschehnisse aus der Vergangenheit und Erfahrung auf die Reaktion und das Betragen des Einzelnen?

Prägen schlechte Erlebnisse wahrhaft mehr als gute? Und wo liegt der Unterschied zwischen gut und schlecht, wenn man wichtige Erkenntnisse aus diesen vergangenen Vorfällen gewinnen kann?*
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

»Der Wind legt sich, kommt sachte zur Ruhe. Leblos taumeln die Kirschblüten einfach zu Boden, bedecken die Erde mit einem sanften Rosa. Die Sonne erscheint langsam wieder hinter der dichten, weißen Wolkenfront, beleuchtet die vollkommene Veränderung der Umgebung, entlockt den liegenden Blüten ihren matten Schimmer. Der Ort gleicht einer Ruine, unwiderruflich liegt alles in Trümmern. Die dürren Bäume sind beinahe kahl, sichtlich mitgenommen, ein Großteil der empfindsamen Blättchen zerriss in der Gewalt des vergangenen Augenblicks. Im Hintergrund plätschert leise der Bach, unbeeindruckt, von den Geschehnissen nicht beeinflusst.

Die Angstschreie sind längst verklungen, der Geruch von Panik und Tod liegt noch deutlich wahrnehmbar in der Luft, betört die empfindlichen Sinne. Es ist ein Schaubild, das von roher Kraft, grenzenloser Wut und einem unzügelbaren Temperament zeugt. Kein Anzeichen von Reue.

Das Kind steht regungslos inmitten der eigens angerichteten Zerstörung, unbekümmert, unberührt. Es interessiert es nicht. Für einen Moment entglitt ihm die Kontrolle, für einen Moment verlor es die Beherrschung... in diesem kurzen Moment passierte es. Einfach so. Es war nicht seine Schuld.

In den hellen Augen zeigt sich nichts, Leere, die von höchster Jugend sprechenden Züge sind wie starr, eingefroren, das vorliegende Szenario spiegelt sich darin, mehr nicht. Es war keine Absicht. Sein Instinkt trieb es in die Enge, es wusste sich nicht anders zu helfen, die Situation war ohne Aussicht. Es wollte sich selbst schützen.

Emotionslos, mit absolut neutralem Ausdruck fixieren die Augen den von Blütenblättern bedeckten Gegenstand, die kleinen Hände greifen danach. Ein rotes Windrad. Nun steht es still, vollkommen, der Wind schweigt dazu. Das lebenswichtige Element Luft besiegelte den Untergang, stellte sich als tödlich heraus. Der Gegensatz in sich liegt in dem Kind.

"Warum hast du das getan?"

Eine sanfte Frauenstimme durchdringt in einem leisen Ton die vom Tod zeugende, vorherrschende Stille. Ihre schlanke Gestalt zeichnet sich zwischen den strikt abwärts fallenden Kirschblüten ab, stellt deren Schönheit bei weitem in den Schatten. Das matte Rosa betont die feminine Figur, die zarten Gesichtszüge. Ihre atemberaubenden, erhabenen Präsenz ehrte einst diese Siedlung.

"Ich hasse dich."

Es sieht nicht auf, dreht sich nicht um, hält das Windrad fest in Händen. Hass und Wut verzerren seine kindliche Stimme, entstellen die grundsätzlich weichen Züge, verstärken die Härte und eisige Kälte. Weiterhin verbleiben seine Augen ohne Reaktion, ohne Emotion...

Ich hasse dich...«
 

Der Morgen kam rasch, der Himmel zeigte langsam ein blasses, durchscheinendes Blau und die Luft war angenehm frisch und rein. Die Sonne blinzelte verschlafen über die hohen Baumwipfel, warf nur vereinzelte, schwache Strahlen in den Wald und auf die Lichtung, stieg gemächlich herauf; dünne Nebelschwaden waberten über dem klaren, indigofarbenen Wasser des leise plätschernden Flusses.

Die Abreise musste wohl noch ein wenig warten. Im Gegensatz zu mir, die die Nacht über kaum ein Auge zugetan hatte, schlief er immer noch seelenruhig. Die Kälte schien ihm nicht im Geringsten etwas anzuhaben, er zeigte keinerlei Reaktion in dieser Richtung.

Eigentlich empfand ich es nicht als Zeitverlust... zum ersten hatte ich es nicht eilig, zum zweiten gefiel mir der Anblick, den Flúgar beim Schlafen darbot... andererseits - hätte ich unter Zeitdruck gestanden - hätte ich auch warten müssen. Sein Katana steckte vor ihm im Boden, umgab ihn mit einer Art Barriere, die mich schon bei leichter Annäherung deutlich abwies. Er vertraute mir kein Stück. Gut, ich tat es ihm in dieser Beziehung gleich, es beruhte auf Gegenseitigkeit.

Jedem das Seine, ich gönnte ihm ja irgendwo seine Ruhe, insbesondere aufgrund seines Zustandes am gestrigen Abend. Die Erholung hatte er wohl bitter nötig, ansonsten hätte er sich nie dazu durchgerungen in meiner Anwesenheit zu schlafen und sich damit mir auszusetzen. Naja, mehr oder weniger, immerhin lag zwischen ihm und mir noch diese Barriere.
 

In der kühlen Morgenluft regte sich etwas, bereitete mir ein flaues Gefühl in der Magengegend. Wie feiner, durchscheinender Nebel bewegte sich etwas durch die Luft, wand den länglichen Körper so wie es eine Schlange zu tun pflegte, streifte ab und zu durch die Kleidung hindurch meine Haut, ließ mich frösteln. Die wagen Silhouetten nahmen die Farbe von weißem Dunst an, schlängelten sich an mir vorbei, wanden sich für einige Augenblicke um mich, verloren dann sofort wieder das Interesse. Aus jeder Himmelsrichtung strömten sie herbei, kamen hinter den Bäumen, aus dem Unterholz und den Büschen ringsum hervor. Ich drehte mich um; allesamt bewegten sie sich auf Flúgar zu, durchdrangen ohne erkennbare Schwierigkeiten die Barriere. Im Gegensatz zu mir wandte sich ihre Aura nicht gegen den Schutzwall aus Energie, verschmolz für einen Moment damit, erreichte so das Innere. Erklären konnte ich mir dieses Phänomen überhaupt nicht, so etwas war mir bis dato noch nicht untergekommen. War das eine besondere Art von Dämonen?

Ihre Leiber waren nicht greifbar, boten keinerlei Widerstand dar, meine Hände glitten bei dem Versuch sie zu erfassen einfach so durch sie hindurch, als wären sie nichts weiter als geformter Nebel. Eine Nebelkreatur, die durch Magie erweckt und zusammengehalten wurde?

Es war immerhin eine Möglichkeit, aber ich wusste es nicht wirklich. Fakt war, sie waren mir unheimlich, ihre Nähe unangenehm, ich vermochte sie nicht einzuschätzen. Mir war nicht einmal klar, ob sie feindliche Absichten hatten oder sich nur von Flúgar's Präsenz angezogen fühlten. An mir schienen sie jedenfalls keinen Gefallen zu finden, ich war bestimmt nicht der Grund für ihre Anwesenheit.

Durch den weißgrauen Nebelknäuel aus schlangenartigen Leibern glomm fahl ein hellblaues Licht; ich meinte das Schwert aufleuchten zu sehen. An dieser Stelle begann sich die Sicht zu lichten und alsbald erkannte ich Flúgar's aufrechtstehende Gestalt. Das Schwert verschwand in der weißen Scheide, die bizarren Wesen legten sich um den Körper des Dämons. Er schien sich nicht daran zu stören, ließ sie gewähren. Das erstaunte mich, was für Wesen konnten das sein, dass jemand wie er ihnen ernsthaft erlaubte, ihm so nahe zu kommen?

Ungläubig beobachtete ich die Bewegungen der eigenartigen, genau genommen körperlosen Wesen, die wie Motten um ein Lagerfeuer schwirrten, sich in der Luft um und über ihm tummelten, als würden sich ihre Energien wie gegensätzlich gepolte Auren anziehen.

"Was ist das?"

Meine Stimme war so leise, dass ich sie selbst kaum vernahm, diese Nebelerscheinungen beunruhigten mich ungemein, die Frage hatte ich einfach stellen müssen, ich brauchte Gewissheit und war ziemlich sicher, dass er ganz genau wusste, um was es sich hier wirklich handelte.

"Vindursandar... Windgeister."

Für einen flüchtigen Augenblick hatte er mich angesehen, bevor er seinen Blick wieder abrupt abwandte und mir nur noch die Seite seines Körpers preisgab; er ließ nicht zu, dass ich auch nur die Gelegenheit bekam, ihm ins Gesicht zu blicken. Mit der rechten Hand fuhr er über die schlanken, teils nur schemenhaften Körper der von ihm als ,Windgeister' bezeichneten Kreaturen, löste den Nebel, aus dem sie bestanden, in Bruchteilen eines kurzen Momentes auf. Mit dieser einen Bewegung hatte er sich einem Großteil von ihnen entledigt, aber stetig strömten neue von ihnen herbei.

Damit kam die endgültige Erkenntnis. Es waren keine Dämonen, es waren wahrhaftig Geister, rastlose Seelen, die nur hier und da einmal zu gewissen Zeiten in Erscheinung treten konnten und dann auch nur für einen sehr begrenzten, einen kurzen Zeitraum. Wo der Begriff Windgeister herkam, konnte ich mir allerdings nicht daraus erschließen. Ob ich danach fragen sollte?

Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, den er natürlich nicht erwiderte, sondern abschätzig überging und ignorierte.

"Was zeichnet einen Windgeist aus?"

Ungelogen, darauf wollte ich um jeden Preis eine Antwort. Am liebsten hätte ich ein bittendes Lächeln hinzugefügt, aber das würde bei ihm mit Sicherheit nicht helfen.

Erwartungsvoll sah ich ihn an, wartete auf eine Reaktion, auf die Antwort, die ich mir so herbeisehnte. Vorsichtig trat ich einen halben Schritt zur Seite um zumindest sein Profil vor Augen zu haben, ich führte nun mal nicht gerne eine Unterhaltung, wenn ich meinem Gegenüber nicht einmal ansatzweise ins Gesicht schauen konnte. Mir war als würde er innerlich seufzen, als er kurz die Augen schloss, den rechten Arm leicht ausstreckte und die Handfläche nach oben drehte. Kurz über seiner Hand sammelten sich kleine hellblaue, mit weiß durchzogene Energiekristalle aus seinem direkten Umfeld, verschmolzen zu einem winzigen, kaum erkennbaren Energiefeld in Form einer Kugel, unsichtbar für das Auge eines gewöhnlichen Menschen, aber ich sah es; Flúgar sammelte die Energie seiner Aura und die seines Elementes, vergleichbar mit dem, was ich getan hatte, als ich den Versuch unternahm, ihm die Seele zu entziehen. Es glich dem meinen wenig, fast gar nicht... allerdings nahm ich dass viel deutlicher wahr als das ich es erblickte. Keinen Wimpernschlag nach dem aufkeimen dieser Quelle an Energie strömten die verbliebenen Geister darauf zu, umschwärmten die kleine Bündelung an besonderer Kraft.

"Windgeister werden von Energien angezogen, die dem Element Luft unterstellt sind."

Eine klare Aussage, mit der ich nicht gerechnet hatte.

"Und wie kommt es zu dieser Prägung?"

Flúgar ließ die kleine bläuliche Kugel schlagartig verschwinden, schloss die Hand und ließ den Arm sinken, wandte sich nun deutlich von mir ab, drehte mir den Rücken zu.

"Das kommt auf ihre einstige Existenz an."

Damit war unsere Konversation - wenn man das denn so nennen konnte - vorüber. Ich hatte bekommen, was ich wollte und ehrlich gesagt war ich ihm dafür dankbar.

"Arigatou."

Jetzt konnte ich mir ein leichtes Lächeln nicht untersagen, immerhin hatte er mich nicht sofort abgewiesen und mir willig drei meiner Fragen beantwortet. Es war mir egal, dass er das kommentar- und reaktionslos so stehen ließ, ich vermutete, er nahm es auf seine eigene Art und Weise schweigsam zur Kenntnis..
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

Es war kurz nach Mittag, als der Wald sich allmählich lichtete und das verstrickte Unterholz endlich verschwand, bald leuchtete das satte Hellblau des Himmels durch das stetig dünnerwerdende Blätterdach der vereinzelten Baumkronen bis hinab auf den mit Laub bewährten, jetzt leichter passierbaren Boden. Kaum eine Wolke war am Firmament zu erspähen, die Sonne schien und der ab und zu aufkommende Wind war ausgesprochen mild.

Seit dem Vorfall mit den Windgeistern - der jetzt den zweiten Tag zurücklag - war kein Wort mehr gefallen, weder zwischen uns noch hatte jemand ungerichtet etwas geäußert. Mir selbst missfiel diese Schweigsamkeit, viel lieber hätte ich ihm noch einige Fragen gestellt, nicht nur auf den Verbleib der schlangenähnlichen Geister bezogen. Ich hielt einen Seufzer zurück, zumindest war ich im Moment nicht alleine; irgendwie beruhigte es mich zu wissen, dass Flúgar sich in unmittelbarer Nähe befand. Er mochte zwar seine Aura gut zu verbergen wissen, ich spürte trotz dessen einen - zugegeben sehr kleinen - Teil seiner Präsenz.

Mittlerweile hatte ich meine Orientierung zurückgewonnen und schlug nun zielstrebig den Weg in Richtung Norden ein. In kurzer Zeit würde der Wald gänzlich enden und auf offenes Gebiet, eine weite, kurzgrasige Ebene, sie sich aber schließlich in einer bergigen Hügellandschaft verlor, führen. Ich kannte diese Gegend gut, nicht allzu fern von hier war ich aufgewachsen und bald schon würden wir Kakougen No Kyou erreichen, ein Dorf, in dem ich eine Weile lang gelebt hatte. Egal wie es auch gekommen wäre, ich hätte in jedem Fall dorthin zurückkehren müssen, und das nicht aufgrund von Heimweh oder Sehnsucht nach Menschen, die ich kannte und in gewisser Weise auch zu schätzen und zu mögen gelernt hatte. Nein, für meine kurzzeitige Rückkehr gab es einen völlig anderen Anlass.

Erleichtert atmete ich auf als ich die letzten Bäume passierte und auf den Pfad am Waldrand hinaustrat, mit Freude die weite Ebene überschaute. Es fühlte sich gut an hier zu sein, kaum einmal war es mir wirklich zumute das, was ich gerade empfand, ganz offen zu zeigen. Dies war einer dieser eher seltenen Augenblicke. Ich warf einen Blick über meine Schulter, sah Flúgar an, dessen Miene genauso kalt und unantastbar erschien, wie jedes andere Mal, als ich ihm ins Gesicht geschaut hatte. Er wirkte auf mich abwesend, konzentriert auf etwas, das ich nicht wahrnahm. Seine neutralen Züge entspannten sich sichtlich, als eine leichte Brise die stille Landschaft streichelte, sich behutsam an jeden aufkommenden Widerstand schmiegte. Für einen Moment schloss Flúgar die Augen, er genoss die sanfte Böe, die flüchtig an seiner Haut entlang strich. Nach dem Ereignis mit den Windgeistern zu urteilen, war sein Element ebenfalls die Luft, aus der präsenten Situation und seinem Verhalten schloss ich eine tiefliegende, enge Verbundenheit. Bis heute war mir so etwas noch nicht untergekommen; die Dämonen, mit denen ich bis zu jenem Zeitpunkt zu tun gehabt hatte, waren mit ihren Kräften nicht an ein Element gebunden gewesen oder hatten die Fähigkeit besessen, eines der Elemente zur Hilfe für ihre Zwecke zu nutzen.

Es war außergewöhnlich, er war außergewöhnlich - selbst für einen Dämon. Seltsamerweise beruhigte mich dieser Gedanke ungemein.... irgendwie hatten wir etwas gemeinsam; wir waren beide nicht gewöhnlich. Allerdings wusste ich nicht, wie seine Artgenossen zu seinen Fertigkeiten standen. Ob er aufgrund dessen alleine unterwegs war? Hatte seine vermeintliche Gabe ihn - genau wie mich - zum Einzelgänger gemacht?

Es war wohl ein eher schlechter Einfall ihn danach zu fragen, schließlich wäre mir eine Frage in diesem Zusammenhang auch überaus unangenehm gewesen. Dieses Thema anzusprechen brächte höchstwahrscheinlich Nachteile für mich. Ich beließ es dabei, so, wie es war, es war sicherlich besser.

Ich blinzelte, als ich unbeabsichtigt in die Sonne schaute, senkte meinen Kopf wieder auf die ursprüngliche Höhe und beobachtete den Wandel in Flúgars Zügen. Als er die Augen öffnete, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck drastisch, er fing meinen Blick mit seinem ab. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken, als ich den Hass und die Verachtung, die Abscheu, die er empfand, für einige Sekunden in seinen Augen ausmachen konnte. Seine kalte Aura flackerte kurz gefährlich auf, ein Zittern durchlief meinen Körper, kroch an meiner Wirbelsäule hinab, schlagartig wurde mir furchtbar kalt.

Was veranlasste ich zu solch einer heftigen Reaktion? War mir unbewusst einer meiner Gedanken entfleucht?

So rasch wie es über ihn gekommen war, verschwand es auch wieder; seine Züge erlangten ihre gewohnte Emotionslosigkeit zurück und er wandte sich von mir ab, kehrte mir den Rücken zu und zeigte mir überdeutlich, wie sehr ihm die Umstände nicht in den Sinn passten. Sein launenhaftes Betragen war mir ein Rätsel; ob er... nein, wir waren noch zu weit entfernt, als dass er die Menschen hätte wittern können, oder nicht? Aber warum hätte er sonst so reagieren sollen?

Ich war ehrlich betrachtet absolut überfragt, rätselte weiter herum, während ich mich wieder in Bewegung setzte und dem breiteren Pfad folgte.
 

Die Begegnung mit den Windgeistern bereitete mir noch immer ein stetes Unbehagen in der Magengegend; ich hätte es lieber vermieden. Es hatte einige Gedanken in mir hochgebracht, die ich schon lange Zeit verdrängt und in die Tiefen meiner Erinnerungen verbannt hatte. Jetzt kreisten sie wieder an der Oberfläche meines Verstandes, materten ihn mit Fragen, auf die ich keine Antworten wusste, und unwiderruflichen Erkenntnissen, die ich längst gewonnen und zur selbigen Zeit auch schon verflucht hatte. Mir gelang es nicht, meine Gedankengänge auf etwas Anderes zu konzentrieren oder gar umzulenken, in meinem Kopf lief alles gegen meinen Willen, ich kam nicht davon weg, so sehr ich es auch anstrebte.

Erst, als mir mit einem Mal der Wind eine äußerst unerfreuliche Kunde brachte, drängte mein Hirn das Aufeinandertreffen mit den rastlosen Geistern in den Hintergrund. Die Witterung war zugegebenermaßen schwach, aber dennoch eindeutig... Menschen.

Mein Körper spannte sich ohne mein Zutun an, etwas in mir sträubte sich immens dagegen auch nur noch einen einzigen Schritt in Richtung Norden zu tätigen; dieses Weib strebte zweifellos eine Siedlung an und hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich sie auf eine solche Entfernung ausmachen konnte.

Sie sah mich an, auf ihren Lippen spielte ein leichtes, ehrliches Lächeln, aber ihre Freude teilte ich keineswegs; für einen Augenblick übermannten mich die Aggressionen, die sich schlagartig in mir aufstauten, wenn ich daran dachte, was sie sich als Zielpunkt gesteckt hatte. Was plante dieser Mensch wirklich?

Es hielt nicht lange an, und ich war froh darüber. Meine auflodernde Wut brachte mich oft an die Grenzen meiner Selbstbeherrschung, es fiel mir schwer, es unter Kontrolle zu halten; natürlich gestand ich mir diese Tatsache nicht gerne ein, offen gar nicht, aber das war die Wahrheit. Mein kaum zu zügelndes Temperament würde mir vielleicht sogar einmal zum Verhängnis werden... Schwierigkeiten hatten sich dadurch schon sehr früh ergeben, als Kind war ich machtlos dagegen gewesen. Mein Instinkt war stärker als mein Verstand, als mein Wille, aber wie hätte es jemals anders sein können?

Ich war mehr Tier als alles andere, mein Instinkt sicherte mir das Überleben, im Notfall war mein Instinkt der Ausweg.

Einst hatte ich es wirklich geglaubt, doch mit der Zeit kam meine Einsicht; außer mir schien kein anderes Mitglied des Clans ein derartiges Problem zu haben. Ich war alleine damit, mir konnte niemand helfen. Der leise Spott blieb mir nicht lange verborgen, ich machte meinem Vater Schande und ich schämte mich dafür. Der Sohn des leuchtenden Morgensterns, der zukünftige Erbe des mächtigsten Oberhaupts, den der Clan der Loftsdrekar im Osten jemals vorzuweisen hatte, war nicht in der Lage, seine eigenes Temperament zu zügeln, so diszipliniert zu sein, wie es sich für eine hohe Persönlichkeit von edlem Blute wie ihn gehörte.

Mit meinem Erbantritt befürchtete man den entgültigen Untergang der gesamten Dynastie, niemand setzte ernsthaft Hoffnung in mich.

Aber irgendwann änderten sich die Meinungen, ich war den anderen in Bezug auf Stärke und elementabhängiger Befähigungen weit überlegen, schon vor meiner vorläufigen Volljährigkeit hatte ich mir den mir gebührenden Rang erkämpft. Bald forderte mich niemand der bei Sinnen war mehr heraus, niemand verlor mehr ein höhnisches Wort über mich. Es kümmerte mich nicht im Geringsten, ob sie mir gegenüber nun Respekt oder Angst erwiesen, es war mir egal...

Bis dahin war ich wenig daran interessiert, auf welche Art mein Vater herrschte, ich wusste darüber genaugenommen nichts. Aber mit meinem aufkeimenden Interesse an seinen Methoden, wurden meine Zweifel an ihrer Effizienz immer größer; ich verstand bei bestem Willen nicht, warum er eine Allianz mit den Menschen anstrebte. Der eine Teil von ihnen verabscheute ihn, bezeichnete ihn als einen blutrünstigen, feindlichgesinnten Dämon, dem es nur nach mehr Macht und der Vernichtung der Menschheit gierte; der andere Teil verehrte ihn wie einen Gott, betete ihn an, brachte Opfergaben dar und fiel vor ihm unterwürfig auf die Knie, wann immer er in Erscheinung trat. Ich verstand weder ihn und seine Taten, noch die Menschen, die ihn mit dem Wort Kami betitelten.

Seine Prinzipien entsprachen in keinster Weise den meinen, immer öfter eskalierten unsere Gespräche zu aggressiven Diskussionen. Er war ein Ignorant, ich schien ihm egal zu sein und meine Meinung nichtig; ich hasste ihn.

"Komm schon!"

Die Stimme der Priesterin riss mich abrupt aus meinen Reflexionen; ich hatte tatsächlich nicht bemerkt, dass sie längst weitergegangen und ich immer noch regungslos an der selben Stelle verblieben war.

Ihrer Tonlage und dem freudigen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie ihre gute Laune beibehalten und lief jetzt flott voraus. Es sollte mir egal sein, ich schüttelte den Kopf; einzig der Fakt, dass sie direkt auf ein Menschendorf zusteuerte, behagte mir weniger als alles andere, in gewisser Weise beunruhigte es mich.
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

[Anm.]

Vindursandar - Windgeister

Kakougen - Kraterebene

Kyou - Dorf, Heimatdorf
 

***>>> Kapitel 7:

>"Menschen verhalten sich berechenbar - im Gegensatz zu Dämonen, und wenn beide Rassen aufeinandertreffen, kann es zu keiner klaren Situation kommen. Gefährlich wird es allerdings auch, wenn die Absichten von Anfang an festgelegt sind..."

Áreynsla



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (5)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Mondvogel
2005-10-01T14:16:30+00:00 01.10.2005 16:16
Dass Flúgar nicht in ein Menschendorf gehen will kann ich wirklich verstehen. Immerhin ist er ein Dämon und verabscheut die Nähe von Menschen.
Und diese Geister... die erinnern mich auch an Kikyos Seelenfängern.
Am besten hat mir der Anfang gefallen. Mit den Kirschblüten und dem Windrad. *schwärm*
Für diese tolle Schreibweise kann man dich nur beneiden!
Schön, Midoriko und der Dämon kommen sich auch immer näher... Mal sehen, was das nächste Kapitel bringt.

Ach noch etwas: Ich kann dir nur am Wochenende Kommis schreiben. Wenn du wissen willst wieso, dann wirf einen Blick in meinem Weblog. ^^
Von:  Tigerin
2005-10-01T10:56:51+00:00 01.10.2005 12:56
Sehr schön geschrieben!
Du hast die Gefühle und Gedanken wieder sehr schön geschildert.
Ich hab nicht s gefunden was ich bemängeln könnte...
Schreib schnell weiter und schick mir ne ENS!^^

Bye Tigerin
Von: abgemeldet
2005-10-01T05:51:34+00:00 01.10.2005 07:51
Du schreibst wikrlich schon.^^

Der Anfang wird mir wirklich sehr gut gefallen, besonderes die Krischblüten.^^ *Freu*

Ich hoffe es geht schnell weiter und du hinterlass mir auch wieder ne Ens wenn eins von deinen Kaps hochgeladen ist.^^

24
Von:  Lizard
2005-09-29T19:15:15+00:00 29.09.2005 21:15
Begeistert habe ich wieder as neue Kapitel gelesen.
Die beiden Charaktere entwickeln sich so langsam und alles wird immer tiefergehender und spannender... wirklich gut aufgebaut.

Besonders gut fand ich das mit dem Traum. Der trat ja schon früher einmal auf und in ganz anderem Zusammenhang. Und mit ganz unterschiedlichem Inhalt... eine sehr eindringliche, wunderbare Beschreibung. Gut gemacht. Ich hoffe, es kommt noch mehr davon^^.

Diese Windgeister erinnerten mich irgendwie an diese Seelenräuber, mit denen Kikyo sich immer umgibt. Ist das Zufall oder eventuell auch vielleicht Absicht?

Die Beschreibungen und Wortspielerein waren auf jeden Fall wieder atemberaubend.
Dein Text klingt fast wie ein Lied. Ich fühle mich beim Lesen jedes Mal fast wie in einen Steinkreis versetzt, in dem ein Druide singend alte Legenden erzählt und die Vergangenheit heraufbeschwört.
Das ist echt toll.
Von:  Hotepneith
2005-09-28T14:18:41+00:00 28.09.2005 16:18
Windgeister....Gibt es sie in einer Saga tatsächlich?

Die beiden unterschiedlichen Gesichts- oder besser Standpunkte hast du wieder sehr gut dargestelllt. Auch Midorikos Rätseln, wer oder was er da eigentlich treibt. Aber ob es so eine gute Idee von ihr ist, in ein Menschendorf zu gehen? Mit jemandem, dessen Absichten sie nicht so ganz durchschaut? Aber trennen können sie sich auch nicht.

Mal sehen, wie das weitergeht.

Deine Schuilderungen sind wieder sehr gut gewesen.

bye

hotep


Zurück