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Drachenseele

Das Herz einer Priesterin
von

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*~Saikai~*

"Die größte Tat bleibt immer die Läuterung der eigenen Persönlichkeit, das Finden und Ausbauen des Heiligtums, das in uns allen ist; das werktätige Ausstrahlen dieses Heiligen in die zu erobernde Welt." – Friedrich Lienhard
 

Kapitel 2 - Saikai

-Läuterung-
 

*An welchem Punkt müssen wir uns eingestehen, die Grenzen unserer Fähigkeiten erreicht zu haben?

Dann, wenn wir die zerstörerischen Ausmaße erblicken, oder aber erst, wenn wir letztendlich wahrhaft versagen? Und welche Bedeutung muss dem zugemessen werden?

Sind wir bestimmt, zu diesem Zeitpunkt des Scheiterns auch unser Leben zu verlieren? Oder sieht so die Lehre des Daseins aus?*
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

Vage berührten meine Fingerspitzen die mattgrünen Schuppen, strichen darüber. Kalt, steif, des Lebens beraubt.

Mir entwich ein Seufzen, ehe ich von ihm abließ, den Kopf hob und wieder die nähere Umgebung betrachtete.

Die weiträumige Lichtung war eben und bloß von dörrem Gras und ausgezehrtem, toten Kraut bewachsen, an vielen Stellen sogar kahl, nackt, durch die Hitze spröde und aufgerissen.

Ein betörender, süßlicher Geruch hing in der Luft, ein fremdartiger Duft, der im Hals kratzte. Ich sollte mich wirklich nicht mit solch peniblen Begebenheit befassen, das hielt auf, raubte Zeit. Ich ermahnte mich selbst, mein Blick schweifte weiter.

In einiger Entfernung war der Boden mit Pfeilen gespickt, ein metallen glänzender Speer lag dazwischen.

Ich schaute über meine Schulter zu dem Drachen. Nein, er war nicht von Menschen getötet worden, er hatte anders seinen Tod gefunden, aber wie vermochte ich unter diesen Bedingungen nicht zu sagen.

Ich ging in die Hocke, zog einend er Pfeile aus dem Boden. An sich nichts Besonderes, aber das Symbol, das im Schaft eingraviert war, betrachtete ich näher. Ein Schild, dass das Wappen, das Symbol - einen weißen Kranich mit ausgebreiteten Schwingen auf dunklem Grund - des derzeitigen Tennô-heika zeigte, der momentan oberste Shintôpriester des gesamten Reiches. Ich kannte es mehr als gut. Auf dem Wappen prangte das Zeichen ganz bestimmter Dämonenjäger. Solche, deren Jagdinteresse auch jetzt nur an Drachen bestand, Drachentöter.

Für Menschen mit so einer Einstellung hatte ich eigentlich wenig übrig, aber der Anblick der am Boden liegenden Person nahe des wieder angrenzenden Waldes - bei der es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen von eben diesen handelte - gab mir zu denken.

Zögerlich trat ich näher, beugte mich zu ihr hinab und drehte sie auf den Rücken. Es war ein Mann, ein Drachentöter - auf seiner an Brust, Armen und Beinen verstärkten Rüstung war ein Drache abgebildet, hinter dem sich zwei Schwerter kreuzten. Er war tot; ein länglicher Schnitt zog sich schräg über seinen Hals. Seine glasigen Augen waren starr, weit aufgerissen, er war unter Angst gestorben.

Helfen konnte ich ihm nicht mehr und obwohl ich ihn nicht kannte, fühlte ich mich dazu verpflichtet, ihn wenigstens ordentlich beizusetzen. Ich hatte Mitleid mit ihm.

In einer sichelförmigen, leichten Einbuchtung, gesäumt von jungen Föhren und zahlreichen Urashimasou darunter, bedeckte ich seinen Körper mit Erde und Steinen, einen gewissen Abstand zu dem einstmaligen Schlachtfeld haltend, wo der Boden unter einer dickeren Schicht abgestorbener Blätter und Nadeln noch verhältnismäßig weich war.
 

Meine Arbeit war abgeschlossen, ich hatte getan, was ich konnte, mehr lag auch nicht in meiner Macht. Dem fügte ich noch einen kleinen, gezwungen eintönigen Strauß bei, sprach ein kurzes Gebet in seinem Andenken, segnete die Erde, in der er nun lag. Danach nahm ich meinen Marsch wieder auf. In der Nähe dieses Ortes wollte ich nicht schlafen.

Das Waldstück, welches ich durchquerte, hielt sich kurz, bald lösten Felder am Wegesrand die großen Laubbäume ab. Fast zeitgleich erhob sich zu meiner Rechten ein plateauähnlicher Berg, auf dessen flacher Oberfläche ich - zu meiner großen Verwunderung - eine hoch umzäunte Siedlung ausmachte. Jetzt musste ich die Nacht wohl doch nicht draußen verbringen, nach dem Äußeren der Pseudo-Festung zu urteilen, war es ein Dorf von Dämonenjägern - vielleicht sogar das Dorf, dem der tote Drachentöter angehörte - und diese waren üblicherweise sehr gastfreundlich, hier würde ich bestimmt eine Unterkunft bekommen.

Durch diese Voraussicht beschwingt, ging ich mit raschen Schritten den Aufstieg an, der sich schon nach kurzer Zeit schwieriger als erdacht, herausstellte. Der Pfad war zwar fest, aber recht steil und die Strecke ziemlich lang.

Dem Rebellieren meiner Glieder zum Trotz kam ich endlich an das Ende des Weges, erreichte die höher liegende Ebene des Plateaus. Die aus massiven, oben spitz zulaufenden Holzpfählen gefertigte Umzäunung der Siedlung ragte vor mir steil in den Himmel auf, das Tor stand - was mich ziemlich irritierte - wahllos offen. Je näher ich mir diesen Fakt vor Augen führte, desto skeptischer wurde ich ihm gegenüber. Irgendetwas stimmte hier nicht, ein flaues Gefühl lag mir schwer in der Magengegend.

Keine Menschenseele kreuzte mein Blickfeld, einige Fackeln knisterten leise in die Dunkelheit der Nacht hinein, beleuchteten den Eingang und die Häuser nur spärlich, es war dürftig.

Auch hier war es ruhig, zu ruhig. Lautlos strich eine Brise durch die Festung, ließ orangerote Flammen aufflackern, fuhr durch meine Haare, streichelte meine Haut. Der Wind war äußerst angenehm, aber es passte nicht hierher - die Atmosphäre des wie leergefegten Dorfes machte mich zusehends nervöser- es war makaber. Beunruhigt setzte ich mich wieder in Bewegung, in den einzelnen Hütten war es stockdunkel, kein Bewohner war auszumachen.

Stille. Totenstille.

Diesmal blies der Wind fast scharf durch die Behausungen, rüttelte an dem dünnen Holz, durchdrang mühelos meine Rüstung und Kleidung. Ich schaffte es kaum Luft zu holen, versuchte tief einzuatmen, mich zu konzentrieren. Mein Körper fröstelte, eine kalte, fremde Präsenz beherrschte diesen Ort, schien dessen Aura förmlich einzufrieren. Mir war absolut nicht wohl bei dieser Vorstellung.

Eisige Kälte durchströmte meinen gesamten Leib, intensivierte sich mit jedem Windstoß, mit jedem Schritt, den ich vorwärts tat. Weiterhin sah ich mich um, rieb mir die Oberarme. Ich wollte nicht weiter, nicht nur mein Geist sträubte sich dagegen, aber es war mir fast so, als würde dieses Fremde mich anziehen, so wie das Feuer die Motten anlockte, ein Fehler, der die meisten von ihnen ins Verderben riss.

Zu meiner Linken erhob sich eine riesige, nach außen bald begrenzte Tempelanlage. Ein gigantisches, rotes Torii bildete den einzigen, frontal gelegenen Eingang, einige Asebi und ein Sakaki wuchsen unweit des Schreins, welcher an sich geräumig und kunstvoll gehalten war, aber weder meine Aufmerksamkeit noch meinen Blick festhielt; das fremdartige Gefühl wuchs, zog mein volles Interesse auf sich.

Ich passierte das prachtvolle Gebäude, ließ die lange Seite unbeachtet hinter mir. Doch auf das, was sich mir dann aber hinter dem letzten halbhohen Pfeiler der Eingrenzung, auf dem riesigen, hell mit Fackeln erleuchteten Dorfplatz darbot, war ich in keinster Weise vorbereitet. Mir stockte augenblicklich der Atem.

Dort lagen sie reglos im Staub, die Dämonenjäger, die Drachentöter, ihres Lebens auf alle Zeit ausgehaucht, nutzlose, menschliche Hüllen auf blutgetränktem Boden.

Was hatte es bloß mit diesem Massaker auf sich?

In der Mitte der toten Menschenleiber stand eine Person - mit dem Rücken zu mir - deren Kleidung ganz und gar nicht mit der der Dorfbewohner in Einklang zu bringen war, auch ihre Haarfarbe war mehr als sonderbar.

Die Bekleidung war edel, wies aufwändige Bestickungen mit eigenartigen Ornamenten auf, die Farben hielten sich in Weiß und einem ganz tiefen Saphirblau. Der Stoff wirkte selbst aus dieser Distanz fein und seidig - aber vor allen Dingen kostspielig.

Statur und Größe verrieten ihn als Mann, denn wenn man von den langen, uneinheitlich in Blau- und Weißschattierungen gefärbten Haaren ausging, dachte man wohl eher an eine Frau. Welcher Mann scherte sich schon im höheren Maße um seine Haare?

Plötzlich schnitt seine rechte Hand durch die Luft, eine so schnell Bewegung, dass ich sie nicht einmal mit den Augen hatte verfolgen können. Ich zuckte zusammen, als ein dumpfer Aufprall folgte, das Aufschlagen eines menschlichen Körpers auf der harten Erde.

Hatte er etwa...? Aber...

Just in diesem Moment drehte er den Kopf, ich schrak auf, konnte mich keinen Millimeter mehr bewegen, jeder Muskel schien mir den Dienst zu versagen. Geschockt starrte ich ihn geradewegs an.

Sein Blick konnte einem das Blut in den Adern gefrieren lassen, kein Funken Menschlichkeit war darin zu erkennen, der pure animalische Instinkt beherrschte ihn; seine Augen hatten keine erkennbare Farbe, sie waren weiß, schwarze, senkrecht stehende Pupillen grenzten sich deutlich ab. Kürzere bläuliche Strähnen fielen ihm ins Gesicht, überdeckten aber nur grob die blutigen Striemen, die seine Wange zierten.

Sobald er mich sah, verengte er die Augen zu schmalen Schlitzen.

Ich schaffte es nicht auch nur einen Schritt zurückzuweichen, mir gelang es nicht einmal seinem auf mich fixierten Blick zu entgehen, wo bei es nicht so wirkte, als würde er mich sehen, nein, es hatte den Anschein als würde er einfach durch mich hindurch schauen.

Ein dunkler, grollender Laut erklang aus seiner Richtung, in einem seiner Mundwinkel hoben sich deutlich spitze Eckzähne hervor.

Das war kein Mensch. Die Vereisung der Aura dieses Ortes ging von ihm aus, er war diese fremde Präsenz, jene, die mich angezogen hatte.

Wie hatte ich mich nur so leichtsinnig verhalten können? Bedeutete mir meine Neugier etwa jetzt den Tod?

Ich zwang mich zur Ruhe, versuchte mich zu sammeln, zu konzentrieren.

Als ich die Augen wieder öffnete, zog er meinen Blick sofort wieder auf sich, ich konnte gar nicht anders, aber jetzt war ich fähig, ihm nicht nur in die Augen zu blicken, ich musterte ihn gründlich.

Blut trübte an vielen Stellen das Weiß seiner Kleidung, seine Hände - die zu meiner Beunruhigung lange, klauenähnliche Nägel aufwiesen - waren ebenso blutbesudelt. Die tiefroten Verfärbungen stützten meinen Verdacht: es war nicht nur Menschenblut, dass den Stoff tränkte, er war selber verletzt und so wie es von hier aussah nicht unbedingt leicht.
 

Sichtbar stieg mein Atem stoßweise vor mir auf, kondensierte in weißen Wölkchen, die Kälte kroch in meinen Körper, ich zitterte - nicht nur, weil ich fror.

Noch immer tönte das kehlige Knurren in meine Richtung, aber jetzt stand er nicht mehr still, er hatte sich umgedreht und kam nun auf mich zu.

Mit einem plötzlichen, schneidendem Windzug verlosch jede einzelne Fackel, es wurde dunkel, nur noch der Mond beschien den entweihten Dorfplatz.

Er kam näher, mit jedem Schritt. Er beeilte sich nicht, kam aber strikt auf mich zu, zermürbend.

Ich konnte ihn doch nicht... nein, das würde und könnte ich nicht tun, ich tötete keine Menschen, niemals...aber... er war kein Mensch! Nein, ganz bestimmt nicht, also brauchte ich keine Rücksicht auf ihn zu nehmen. Zudem hatte er das gesamte Dorf ausgelöscht, für diese Tat verlangte es eine Sanktion - niemand hatte das Recht über das Leben eines anderen zu richten oder zu entscheiden, niemand... richtig, deshalb würde ich ihn auch nicht töten... den bewussten Tod durch jemand anderen hatte niemand verdient, selbst er nicht, zumal man einen Dämon viel härter strafte, indem man seine Seele läuterte und ihm damit seine übernatürlichen Fähigkeiten raubte.

Ich hatte mich entschieden, ich würde es tun.

Langsam führte ich meine kalten Hände vor meinem Körper zusammen, verhakte die Finger ineinander, bis auf die Zeigefinger, schloss die Augen, begann mich auf das äußerste Maß zu konzentrieren, mein Umfeld für einen Moment zu vergessen. In tiefen Wogen strömte die Luft in meine Lungen, die Energie, die ich heraufbeschwor, wallte spürbar auf. Lautlos formten meine Lippen die Worte des Rufes, den ich stumm aussandte, eine nicht wahrnehmbare Barriere zog sich um mich auf, vertrieb die störenden Eindrücke der Realität. Derer benötigte ich jetzt am Wenigsten. Ihr Einwirken hätte fatale Auswirkungen auf das Gelingen des Spruches, was aber genau daran sich verändern würde, war nicht vorauszusehen. Magie war eine gefährliche Sache, für die, die nicht mit ihr umzugehen verstanden - und das taten die Meisten nicht. Nützlich in jedem Falle, daher lief sie auch auf schmalem Pfade, wenn es um ihren Missbrauch ging. Auch das fand sich oft. Damit hatte sich der Name schwarze Magie geprägt, ein Begriff über den man als der Magie mächtiger nur schmunzelte. Pfusch, Falschgelingen, unvorhersehbares Eintreten nicht-gewollter Ereignisse schloss sich aus dem Tun dieser Pseudo-Magier.

Ich sprach weiter, rief mich damit zur vollkommenen psychischen und physischen Konzentration, meine Stimme war jetzt fast ein Wispern, mein Gebet wurde erhört, ich spürte es unumgänglich in mir, jetzt konnte ich sprechen.

Nun, deutlich und klar, hörte ich meine eigene Stimme, die laut in die Nacht hallte, die Silben aussprach, die mir unverkennbarer als jemals zuvor vorlagen, ihre Reinheit beschirmte mich, wies schon in diesem Moment die Aura der anderen Präsenz stark ab. Die beiden gegensätzlichen Energien stießen sich merklich voneinander, bildeten knisternde Felder in denen sich die überdrüssige Spannung nur noch mehr aufstachelte. Es war ein Spiel mit dem Feuer.

Ein letztes Mal wiederholte ich den Satz meiner Bitte, öffnete meine Augen, fasste mein Ziel.

Jetzt war der richtige Augenblick.
 

Als die junge Priesterin die Augen öffnete, ihn mit ihren dunkelbraunen Augen direkt ansah, war ihm, als würde sein Herz für einen Schlag aussetzen, nur um sich dann mit jedem neuen, immer rascher folgenden Schlag schmerzhafter in seiner Brust zusammenzuziehen.

Wellen von Schmerzen wogen durch seinen Leib, brannten ihm wie flüssiges Metall durch die Nervenbahnen, es war ihm, als wollte man sein Inneres mit brachialer Gewalt nach Außen zerren. Ein Schmerz von solch zehrender Intensität war ihm noch nicht untergekommen, er kannte keine vergleichbare Situation, also keine Antwort oder Reaktion darauf. Im Grunde war er hilflos, ausgeliefert. Ein Gefühl, dass ihm weniger behagte als die Witterung eines Menschen zu erfahren. Sein Zustand verwehrte ihm das klare Denken, die süße Schwere des Giftes begann sich kriechend in ihm auszubreiten, ihn wieder zu berauschen - diesmal gegen seinen Willen. Selbst Gedanken, die sich stur geradeaus richteten, simple Vorstellungskomplexe, bereiteten ihm unlösbare Probleme, er fand darauf nichts Brauchbares.

Bis jetzt hatte er nichts gespürt, sein Blutrausch hatte ihm jede Empfindung in Form von Schmerz verwährt, der jetzt umso gnadenloser durch jede Muskelfaser jagte. Er atmete gepresst, grub die klauenartigen Hände tief ins eigene Fleisch, es war mehr als eine Qual, eine Tortur, die er nicht zu benennen vermochte. Diesen unsäglichen Druck würde dieser Körper nicht mehr lange standhalten, das wusste er. Aber was er tun sollte, wusste er nicht. Er war ratlos, er war verloren...

Er brach auf die Knie, immer deutlicher spürte er, wie ihn seine Kraft verließ, kniff die Augen zusammen; er biss die Zähne aufeinander, vermied jegliche Lautäußerung, diese Blöße gab er sich nicht - seinen Stolz gab er nicht auf, selbst wenn ihm das den Tod bescherte, das kam nicht in Frage, keinesfalls.

Nur am Rande bekam er mit, dass sich vor ihm ein verworrenes Knäuel aus Licht bildete, immer mehr anwuchs, sich immer komplexer in sich selbst verschlang.
 

Die Miko setzte ihr Ritual fort, diese Seele war schwerer zu separieren als sie gedacht hatte, sie passte auch nicht zu diesem Körper, dafür war sie zu groß, zu kompliziert, zu eigen. So etwas hatte sie noch nie erlebt, diese Seele war anders als alles andere, was sie bis jetzt gefühlt hatte. Sie entzog sich ihrem Fassungsvermögen, es war ihr nicht möglich, sie weder mit der eigenen Energie einzugrenzen oder zu umschließen noch sie zu erfassen. Der dunkle, vollkommen unmenschliche Schatten, der sie überlagerte, machte eine Erkennung der Persönlichkeit oder sonstigem dort Enthaltenen, unmöglich. Dazu fügte sich noch hinzu, dass er sich vehement gegen diese Prozedur auflehnte, ein gewöhnlicher Dämon war in diesem Punkt schwach, da sich Seele und Körper nicht in Einklang miteinander befanden und mit der wachsenden Lebensspanne immer weiter auseinander drifteten.

Seine übernatürliche Aura verlosch nicht, auch wenn er zusehends schwächer wurde, er gab nicht nach. Er musste Höllenqualen leiden, gab sich aber nicht preis, es zögerte sich zu lange heraus. Normalerweise war dieser Vorgang schmerzfrei und wickelte sich problemlos über einige Sekunden ab. Warum funktionierte das nicht bei ihm?

Sie stand vor einem Rätsel, ihr wurde klar, auch ihre Kräfte waren begrenzt und gingen über ein gewisses Pensum nicht hinaus. Sie hatte nicht vor jemanden zu quälen, das war nicht Ziel und auch nicht Zweck der Sache, es war ungerecht. Er war zu schwach, um sich wirklich dagegen verteidigen zu können. Seinen Tod würde sie nicht verantworten können.

Die herbeigerufenen und auch ihre persönlichen Energien versagten deutlicher, sie hatte nicht genug Macht, um es fertig zu bringen, es zu beenden. Sie brach ab.

Nebenbei war sie sicher, dass eine Vollendung ihn das Leben gekostet hätte, was sowieso schwer auf der Kippe stand.

Mit ihrem Abbruch sank sie auf die Knie.

Er war von seinem Schmerz erlöst, die begleitende Verspannung seiner Muskeln wich sofort, er entspannte sich, unbewusst, kippte zur Seite. Er brach zusammen, fiel reaktionslos in den Staub, verblieb ohne Regung. In seinen schwachen Atemzügen zeichnete sich kein Rhythmus ab, willkürlich trieb sein Unterbewusstsein die lebenswichtige Luft in seine Lungen; ob ihm das zu Gute kam, blieb letzten Endes fraglich.

Sie blickte auf, zu ihm herüber. Er lebte, aber möglicherweise nicht mehr auf lange Voraussicht. War es ihre Schuld?

Der Versuch eines Seelenentzuges hatte ihm seine letzte Kraft genommen, die er womöglich für die Regeneration seines Körpers aufgespart hatte um sie später zu nutzen. Diese Reserven bestanden jetzt nicht mehr, waren restlos aufgebraucht. Selbst wenn er es schaffen würde sein Bewusstsein vergleichsweise schnell zurückzuerlangen, würde er wohl oder übel seinen zahlreichen Wunden und dem Fieber erliegen, auch an Wasser kam er nicht schnell genug heran - er war ausgelaugt, zu schwach. Wie es schien war er ein Einzelgänger, auf sich gestellt, jeder andere Dämon würde wohl in einen Hochgenuss kommen ihn vor sich dahinsiechen zu sehen; er machte den Anschein, zu den mächtigeren Repräsentanten seiner Rasse zu gehören. Vielleicht gab sich das auch nur so.

Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie war nicht wie dieses Pack von Dämonen, die den Tod eines - wenn auch entfernten - Artgenossen mit Wohlbefinden herbeisehnten oder es genossen, eben diese zu beobachten, wie sie sich langsam und elendig zu Tode quälten. Er mochte so verkommen sein wie er wollte - das Töten von Menschen erledigte er schnell und schmerzlos, Freude empfand er dabei mit Sicherheit nicht, sonst hätte sich das Szenario vorhin anders ereignet.

Sie empfand tiefstes Mitleid für ihn, zumindest trug sie einen Teil der Schuld an seinem Zustand und mit dem Wissen ihn hier alleine Sterben zu lassen, wenn sie fortging, konnte sie weder schlafen noch weiterleben ohne schreckliche Gewissensbisse davonzutragen. Das würde sie nicht tun, das wiedersprach ihrer Moral und den Grundprinzipien, nach denen sie lebte. Man musste sich auch im Falle eines Dämons nicht zu hoch aufspielen, Übertreibung fand man überall. Hier mochte sie ab und zu angebracht sein, aber nicht jetzt. Mit Leben - egal welcher Art - spielte man nicht. Sie war ein Mensch; Grausamkeit, Sadismus und Herzlosigkeit lagen ihr fern.

Vielleicht würde sie ihre Tat bereuen; aber nur vielleicht...
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

***>>> Kapitel 3:

>"Das Leben des Dämons hängt an einem seidenen Faden, und tiefe Schuldgefühle wandeln sich in Mitleid und stete Sorge. Der süße Duft des Todes schwebt verhängnisvoll in der Luft, entfaltet aber derweil anderorts erst seine wahrhaft fatalen Folgen..."

Vorkunn



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Lizard
2005-09-10T06:06:07+00:00 10.09.2005 08:06
Dein Schreibstil ist weiterhin fantastisch, er fasziniert mich und gefällt mir sehr.
Besonders schön beschrieben fand ich in diesem Kapitel den Prozess der Läuterung bzw. wie der Dämon sich dagegen aufbäumt. Und auch den Anfang, als Midoriko den toten Drachen und Drachentöter entdeckt. Das war sehr plastisch.
Jetzt bin ich aber neugierig, was wirklich in dem Dorf vorgefallen ist, offensichtlich sind die Dämonenjäger auf den Dämon genauso los gegangen wie er auf sie (hat er sich nur verteidigt?!)...
Von:  Tigerin
2005-08-31T14:20:59+00:00 31.08.2005 16:20
Es ist einfach geil wie du hinbekommen hast alles so genau zu beschreiben. Wie schaffst du das so mit den Wörtern zu spielen?! Jedenfalls fand ich das Kapi toll!
Schreib bitte schnell weiter und schick mir bitte ne ENS wenn's weiter geht, ok?

Bye Tigerin
Von: abgemeldet
2005-08-31T13:15:30+00:00 31.08.2005 15:15
Echt mal ne frage, wie schafft man es so toll mit worten umgehen zu können, also wie man schon hört war echt toll das Kp.
Die beschreibung der Umgebung und von eigentlich allem war wirklich gut, man konnte sich alles richtig vorstellen^^
mach weiter so!

gruß
engelchendiemaus
Von:  Mondvogel
2005-08-30T15:42:51+00:00 30.08.2005 17:42
Das hast du wieder einmal gut hinbekommen! Durch diese schönen Beschreibungen kannman sich alles bildhaft vorstellen. Auch die Gedanken hast du sehr gut dargestellt. Kompliment!
Mach weiter so. ^.^
Von: abgemeldet
2005-08-30T10:21:57+00:00 30.08.2005 12:21
Das war eunfach genail von dir, bitte hinterlass mir ne Ens wenns weitergeth.^^

24
Von:  Hotepneith
2005-08-29T19:50:38+00:00 29.08.2005 21:50
Deine Beschreibungen sind einfach toll...die Eigenschaftswörter udn Vergleiche.


Falls animexx mich lässt, feue ich mich auf das nächste Kapitel. Das könnte mehr als spannend werden.Denn das dürfte das mit dem schiefgehen sein..?

bye


hotep
Von:  InaBau
2005-08-29T17:52:44+00:00 29.08.2005 19:52
Das ist ein tolles Kapitel! Bitte schreib ganz schnell weiter! Ich bin gespannt, was andererorts geschieht. Mal sehen, was im nächsten Kapitel passiert. Ich freue mich schon darauf.


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