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Tochter der Sonne

von

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In der weißen Wüste

Kyrina zog den Fellmantel enger um sich, der kaum noch Schutz vor der Kälte bot. Wie konnte in dieser weißen Einöde nur jemand leben? Hier fror ja schon der Atem vor dem Mund! Jedes Mal wenn sie ausatmete, bildete sich feiner Nebel mit glitzernden Kristallen darin vor ihrem Gesicht.

Die Sonnentalerin schauderte und kniff die brennenden und schmerzenden Augen zusammen, als die Sonne hinter den Wolken hervor kam und die weiße Ebene vor ihr in grellem Licht erstrahlte. Geblendet wandte sie sich ab. Warum konnte das Sonnenlicht hier so viel Kraft besitzen, obwohl es kaum noch wärmte?

Kyrina seufzte. Aus welchem Grund hatte sie sich nur so weit in den Norden locken lassen, weit weg von ihren Lieben, ihrer zweiten Heimat?

Die Sonnentalerin hatte ihre Familie verlassen, ihren erkannten Gefährten aufgegeben, ihren Sohn ... nur für das Hirngespinst, jemanden unbedingt aufspüren zu müssen, der ihr viele Fragen zu be-antworten hatte.

Unwillkürlich legte sie eine Hand auf die Stelle unter der die vier gelben Steine verborgen waren: Ehe sie ihren Vater nicht gefunden hatte, würde sie keine Ruhe finden. Ihren Vater, den Wanderer, der eine deutlich sichtbare Spur gelegt hatte, der sie seit dem Verlassen des Sonnentales gefolgt war. Zuletzt hatten die Ältesten der Meer-Elfen ihr den Weg gewiesen. Dazu kaum noch, daß sie seit Tagen schon einem inneren Ruf folgte, den sie sich selber nicht erklären konnte.

Und der hatte in diese eisige Wüste geführt. Was ihr Vater wohl hier suchte ... oder ihr zeigen wollte? Zumindest gab es in der Einöde Leben. Das bewiesen die Pflanzen und die Spuren, die sie entdeckt hatte, von Tieren und anderen Wesen...

Die Sonnentalerin beschloß weiterzugehen. Vorsichtig, um nicht zu viel Kraft zu vergeuden, lin-derte sie den Schmerz ein wenig und stapfte dann weiter durch die weiße Masse, die in ihren Hän-den schmolz, und verbannte jeden unnötigen Gedanken aus ihrem Geist.

Erst in der Dunkelheit gab Kyrina auf und kauerte sich in den Schutz eines Felsens. Ihre Hände wa-ren taub, und sie konnte kaum noch die rissige Haut ihres Gesichtes spüren. Nur ein heftiger Schmerz pulste durch ihren Kopf, als sie ihre Augen berührte. Ihr war so kalt ... so kalt ... und sie fühlte sich so müde...

Die Sonnentalerin rollte sich ganz eng zusammen und barg trotz der Schmerzen das Gesicht in den Händen. Die Heilerin in ihr wußte, daß sie nur noch einen kleinen Schritt von dem tiefen Abgrund entfernt war, aus dem es keine Rückkehr gab. Ihr Körper erfror, wenn sie ausharrte und einschlief. Ein Erwachen würde es nicht mehr geben.

Zwar konnte sie durch das Heilen, den Schaden des Körpers wettmachen, aber danach würde sie zu erschöpft sein, um noch zu laufen. Gab es überhaupt ein Entrinnen aus diesem Kreis?

Kyrina ließ sich fallen. Warum das Leid verlängern?
 

Plötzlich stand sie wieder auf der Brücke der Vorsehung weit über dem Sonnental, und ein warmer Wind umschmeichelte sie warm und tröstend. Sie hatte keine Angst, blickte ganz gelassen in die Tiefe, in der ein leuchtender Stern zu funkeln begann. Ein von innen her leuchtender Palast, wie sie ihn in Savahs Erinnerungen gesehen hatte, schälte sich aus dem Nebel und schwebte zu ihr. Das edelsteinbesetzte Portal öffnete sich.

*Komm zu uns! Deine Leiden und deine Suche sollen ein Ende haben!*

Große, schlanke und schöne Gestalten in wehenden Schleiergewändern umgaben die Sonnentalerin. Waren das die Erstgeborenen und Hohen? Kyrina betrachtete sie staunend. Einen Elfen erkannte sie sogar: *Yurek?*

Der Stammvater des Sonnentales streckte die Hand aus. Seine traurigen Augen schienen sie zu ru-fen.
 

*NEIN! DIESE ZUFLUCHT IST DIR NICHT BESTIMMT!*
 

Eine donnernde, befehlende Stimme vertrieb die Visionen und rissen Kyrina zurück. Mit einem kleinen Schrei schreckte die Sonnentalerin hoch und starrte in ein Gesicht mit boshaft funkelnden Augen. "Ich dachte schon der Elfendreck wäre tot!"

"Sei vorsichtig! Um das Spitzohr war ein seltsames Licht! Das hat bestimmt magische Kräfte! Hau' lieber zu, ehe der Dreck richtig munter wird! Du weißt, was der letzte mit Warze angestellt hat! Der humpelt heute immer noch!"

"Nnnnghhh!" Ehe Kyrina sich auch nur orientieren konnte, streckte sie ein heftiger Schlag nieder. Sie spürte nur noch, wie sie gepackt und mitgeschleift wurde.

Das erste, was Kyrina dann wieder wahrnahm, war ein übelkeitserregender Gestank nach Verwe-sung, heißem Metall und verbrauchter Luft. Noch während sie sich zusammenkrümmte und heftig hustete, wurde sie von groben Fäusten gepackt und hoch gezerrt. Mühsam öffnete Kyrina die Au-gen. Zuerst sah sie nichts, dann schälten sich aus dem schwachen Dämmerlicht grobschlächtige Gestalten. Leises Gemurmel erfüllte die Halle, nur von ein, zwei lauten Stimmen durchbrochen.

"König Graubart, die Gefangene ist wach!"

"Dann bring sie zu mir, Schwabbelbauch. Laß mich deinen Fang sehen!"

Die Sonnentalerin wehrte sich schwach. ,Nein nicht schon wieder!' dachte sie wütend. ,Das ist schon das zweite Mal, das ich in die Gefangenschaft von Trollen gerate!' Doch diese hier waren viel größer. kräftiger und kampfeslustiger. Und wachsamer! Vor allem der, zu dem sie jetzt gezerrt wurde.

Kyrina biß sich vor Schmerz auf die Lippen und erwiderte entschlossen den Blick des Trolls, der sich auf einem fellbedeckten Thron niedergelassen hatte. Das mußte dieser König Graubart sein. Ein kalter Schauder rann über ihren Rücken, doch weniger wegen den grimmig funkelden Augen in dem zerfurchten Gesicht, sondern mehr wegen der Krone, die sein Haupt zierte. Die Sonnentalerin schluckte. Das waren doch Fingerknochen von anderen Elfen! Und sie spürte noch immer deren innenwohnende Magie.

Der Troll beugte sich ein Stück vor. "Ja, du hast richtig gesehen",bestätigte er höhnisch ihre Ent-deckung. "Nun schaue doch nicht so böse, Elfchen. Wenn du artig bist, wird dir das nicht so erge-hen!"

Kyrina presste die Lippen aufeinander und wich so weit sie konnte zurück, als er ihr Gesicht be-rührte. "Nun,so einen dunklen Elfendreck habe ich noch nie gesehen. Und die Farbe ist wirklich echt. Woher kommst du?"

Die Sonnentalerin reagierte nicht auf seine Frage. Mit einem gelangweilten Lächeln, das eher furchterregend aussah, winkte der Troll ab. "Es ist doch immer das gleiche Spiel mit euch arrogan-tem Pack! Ihr wollt nicht mit uns reden - dabei sind wir es, die sich viel besser an diese Welt ange-paßt haben als ihr ... Ach, bringt sie zu dem anderen in die Grube. Mal sehen, wie lange es dieser kleine Dreck ohne Essen aushält!"

Die beiden Trolle zerrten Kyrina durch ein paar Gänge zu einem Loch im Boden und stießen sie dann hinein. Die Elfe schrie auf, als sie sich einmal um sich selbst drehte. Nur ihrer Gabe hatte sie es zu verdanken, daß sie nicht mit zerschmetterten Gliedern auf dem Boden landete.
 

Die Sonnentalerin brauchte einen Moment, um sich wieder zu erholen. Wenigstens fror sie jetzt nicht mehr, denn es war warm und stickig. Ein schwaches Dämmerlicht, das durch Ritzen und Spalten im Fels fiel, gab ihr genügend Licht, um sich umzusehen.

Der Boden der Grube war von einer merkwürdigen weichen Erde bedeckt, die bitter roch, während die Wände feucht schimmerten. In einer Nische zwischen zwei Säulen lag ein regloses Lumpen-bündel.

Doch das ließ Kyrina erst einmal außer acht. Statt dessen untersuchte sie die Ritzen und Spalten. Leises Hämmern, Klirren, Brummen und Grollen war von dort zu hören. Dann konnte sie im Fak-kelschein eine Unzahl von Trollen vorbei eilen sehen. Manche schlurften mit schweren Lasten an ihr vorbei, andere schwangen große blitzende Messer und Äxte, die die Klirrgeräusche verursach-ten. Ein paar grünhäutige Gestalten hatten sich schmatzend und rülpsend in ihrer Nähe niedergelas-sen.

Kyrina seufzte. Ihr Magen knurrte leise, aber sie wußte, daß sie nichts zu essen bekommen würde. Und an die weggeworfenen, halb abgenagten Knochen - wie sollte sie da kommen. Mit den Finger-spitzen konnte sie gerade einmal durch die Ritzen greifen. Die Spalten waren zu schmal, um sich hindurch zu winden. Das hätte nicht einmal ein Neugeborenes geschafft.

Durch ein Geräusch hinter sich aufgeschreckt wirbelte die Sonnentalerin herum.

Das Lumpenbündel in der Ecke bewegte sich. Ein abgemagerter Arm streckte sich ihr entgegen. Vorsichtig näherte sich Kyrina der Gestalt, die nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen schien. Grüne Augen blickten sie unter verfilztem Haar matt an. Die Lippen des Elfen bewegten sich.

*Nicht sprechen! Ich kann dich auch so verstehen!*

*Gut, das fällt mir auch leichter!* Die Augen schlossen sich, und die Gestalt sackte wieder in sich zusammen. *Wer bist du, und wie kommst du hierher?*

*Ich bin Kyrina ... und stamme aus der großen Wüste!* Die Sonnentalerin mochte nicht lügen, aber auch nicht alles preisgeben. Sie war mißtrauisch, denn sein starkes, kraftvolles Senden stand im Gegensatz zu seinem geschwächten Körper.

*Ja, das habe ich mir schon gedacht! Deine Haut ist von der Sonne gebräunt! - Ich bin Cyrral. Vor langer Zeit fingen mich die verdammten Trolle. Ich war wie du von der Wanderung durch das Eis erschöpft, und dieser Ruf zerrte an meinem Geist.*

*Welcher Ruf?*

*Du spürst ihn auch, junge Elfe. Lausche noch einmal in dich, und du wirst ihn wieder hören!* er-klärte der andere.

Kyrina tat, was er ihr geraten hatte. Da war dieses leise Sehnen, sich auf einen bestimmten Ort zu zu bewegen, dieser Ruf aus vielen Kehlen. Erstaunt blickte sie Cyrral an."Du hast mich zurückge-holt, als ich den Stimmen folgen wollte!"

*Ja, das habe ich. Nachdem mein Rückgrat gebrochen war, konnte nur noch mein Geist wandern. Und das habe ich in der Zeit meiner Gefangenschaft sehr oft getan! Ich habe gelernt, mich nicht vom Palast der Hohen anlocken zu lassen.*

*Der Palast der Hohen? Die Mutter der Erinnerung hat oft davon erzählt!* ließ sich Kyrina für ei-nen Moment ablenken. Dann wurden ihre Augen schmal. Einer spontanen Eingebung folgend drehte sie den Elfen auf den Rücken und ertastete dabei zwischen den Lumpen drei Steine, die so wie die ihren geformt waren.

*Was ist?*

*N-Nichts!* So gut sie konnte, verbarg Kyrina die Aufregung, die sie erfaßt hatte. Schon die ganze Zeit war ihr merkwürdig vorgekommen, daß sich ein Elf derart an sein Leben klammerte, und dann noch das ihre rettete, als sie am Erfrieren war! Er mußte Gründe haben, das alles zu ertragen! Hatte er auf sie gewartet, weil er wußte, daß sie eines Tages kommen würde? Für die Sonnentalerin be-stand kein Zweifel mehr: Cyrral war ihr Vater!

Sie wandte ihr Gesicht ab. Ein böses Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. ,Was du kannst, kann ich auch, Vater!' dachte sie grimmig. ,Du hast mich so oft an der Nase herumgeführt und in Rollen gedrängt, die ich nicht wollte! Das zahle ich dir heim! Na warte, ich werde dir nicht zeigen, daß ich dein Spiel durchschaut habe, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Und dann werde ich mich über dein dummes Gesicht freuen!'

Eine schwache Berührung an ihrem Arm schreckte sie aus ihren Erinnerungen auf. *Vielleicht schaffen wir es ja gemeinsam, aus dieser Grube zu entkommen. Ich spüre in dir Kräfte, die uns sehr nützlich sind.*

*Ja, ich bin Heilerin, wenn auch noch keine besonders erfahrene. Eine so schwere und alte Verlet-zung habe ich noch nicht geheilt!* erwiderte sie und streichelte sanft seine Hand. ,Und das hier ist nicht der rechte Ort, um ein ernstes Wort mit dir zu reden!' fügte Kyrina in Gedanken hinzu.

*Das werden wir ändern können!* Heiterkeit stahl sich in das Senden Cyrrals. *Ich glaube, dann werden sich diese Erdgräber sehr wundern!*
 

Der Trollkönig sollte sich täuschen, Kyrina mit Hunger zermürben zu können. Immer wieder schickte er seine Wachen zur Grube, seine Gefangenen piesacken zu lassen, um sie so um Gnade flehen zu lassen. Die Sonnentalerin achtete wie Cyrral bald schon nicht mehr auf den Spott, den Unrat und die Steine, die auf sie hinunterprasselten, auch wenn sie vor Wut zitterte.

Um überhaupt ihre Kräfte einsetzen zu können, ohne gleich vor Schwäche zu zittern, lernte sie ih-ren Ekel vor den Maden und anderem Ungeziefer zu überwinden und das metallisch schmeckende Wasser von den Wänden abzulecken. Nach einer Weile vermochte sie wieder kleinere Gegenstände schweben zu lassen, und das nutzte die Sonnentalerin dazu, um den Trollwächtern vorsichtig Essen zu stehlen. Cyrral war immer bei ihr und lehrte sie ihre Kräfte gezielt einzusetzen, denn seine Gene-sung hing davon ab, das niemand ihr Tun bemerkte. * Sonst schneiden sie uns die Gliedmaßen ab, oder schlimmeres. Sie haben mir einmal einen Sack gezeigt, in dem der ausgemergelte Torso eines Elfen lag, und mir gedroht, das gleiche anzutun. Ich weiß, das würden sie, denn auch ich bin ein Steinformer wie der arme Kerl!*

Und das war nicht die einzige Fähigkeit, die er beherrschte, nur das Schweben und Heilen schien ihm versagt zu sein. Kyrina erfüllte es innerlich mit Zorn, daß Cyrral ihr seinen Willen aufzwingen konnte, auch wenn es aus einem guten Grund geschah - sie lernte dadurch wesentlich schneller und gezielter.

"Du bist eine gute Schülerin mit einem wachen Geist. In meinem Leben habe ich noch nie einen Elfen oder Elfe erlebt, die so schnell und zielstrebig lernte, und glaub mir, mein Leben währte lang!" lobte Cyrral sie schließlich. Das war einer der seltenen Augenblicke, in denen er seine Ver-gangenheit erwähnte. Kyrina beschloß nachzuhaken. "Wie lang? Bist du wirklich ein Hoher?"

"Wie kommst du darauf!" Cyrral klang amüsiert.

"Deine Kräfte, deine Gestalt. Alles deutet darauf hin. So schmale, lange Knochen habe ich bisher nur bei meiner Stammutter gesehen."

"Ist es denn wichtig, ob ich nun ein Hoher oder Erstgeborener bin? Was zählt ist das Hier und Jetzt. Und ich spüre ganz deutlich, daß es dir hier nicht gefällt." Damit spielte Cyrral auf Kyrinas wach-sende Unruhe an. Je kräftiger sie wurde, desto mehr haßte es die Sonnentalerin dermaßen gefangen zu sein.

Der gelähmte Elf stützte sich ab und sah die Elfe mit seinen leuchtenden grünen Augen an. "Ich denke der Zeitpunkt für deine größte Prüfung ist gekommen. Wir sind beide kräftig genug, um es zu wagen: Heile mich!" forderte er.

"Jetzt auf einmal?" fragte Kyrina zurück. "Warum diese Eile? Und was tun wir danach?"

"Ich spüre, daß bei den Trollen etwas im Gange ist. Jemand hält sich bei ihnen auf, der sie gegen unser Volk aufbringt, und das könnte sich auch auf uns auswirken ..." Cyrral holte tief Luft. *Ich denke, ich kann einen der Risse so erweitern, daß wir hindurchschlüpfen können. Gemeinsam dürfte es uns dann irgendwie gelingen, aus den Gängen hier zu entkommen und diesen verdammten Erd-gräbern zu entwischen*, fügte er sendend hinzu.

Kyrina nickte. Sie war inzwischen daran gewöhnt, daß Cyrral ihre Fragen niemals gänzlich beant-wortete oder wie sie es erwartete.

Der Elf ließ sich wieder zurücksinken. Mit Kyrinas Hilfe drehte er sich auf den Rücken, dann legte die Heilerin die Hände auf die Stelle, an dem sein Rückgrat gebrochen war. Sie schloß die Augen und versetzte sich in Trance. Kaum hatte sie sich ihrer Heilkraft ergeben, mit der sie den Bruch und die zerstörten Nerven förmlich vor sich sehen konnte, spürte sie, wie jemand sie unterstützte und ihr zusätzliche Stärkung gab. Es war nicht einfach, das Fleisch und Knochen wieder so zu verbinden wie es sein sollte, und die Nerven zum Leben zu erwecken. Cyrral wand sich vor Schmerzen unter ihren Händen. Ob er schrie oder stöhnte nahm sie nicht wahr. Die Sonnentalerin hörte erst auf, als jede Faser wieder miteinander verbunden war.

Erschöpft ließ sie sich zurücksinken, bemerkte aber, daß sich Cyrrals Beine bewegten. Es war also gelungen!
 

*Erst einmal müssen wir genügend Abstand zwischen uns und mögliche Verfolger bringen!* meinte Cyrral, während er vorsichtig auf und ab ging. Er war noch immer ein wenig unsicher auf den Beinen, aber er brauchte sich nun nicht mehr festzuhalten. Kyrina blickte zu dem mehr als ei-nen Kopf größeren Elf, der nun versuchte, auf einem Bein zu stehen und das Gleichgewicht zu hal-ten. *Ich denke, du wirst mich auch das ein oder andere Stück tragen können, nachdem wir so lange geübt haben.*

*Und was geschieht, wenn wir erst einmal in einem sicheren Versteck sind?*

Cyrral seufzte. *Kind, es nutzt nichts, so viel vorauszuplanen. Wenn wir erst einmal dort sind, wer-de ich einen Weg nach draußen suchen!* erklärte er ein wenig herablassend

Kyrinas stemmte die Hände in die Hüften und funkelte den Elfen böse an. *Nenn mich nicht noch einmal Kind! Manchmal frage ich mich ....* Sie verstummte abrupt. In ihrem Zorn über seine Arro-ganz hätte sie sich fast verraten. Schnaubend wandte sie sich wieder ab.

Cyrral trat von hinten an Kyrina heran.

*Was fragst du dich? Warum ich nicht alles voraus plane? Nun, so bin ich besser auf das Unvorher-gesehene vorbereitet. Das hat mir manches Mal das Leben gerettet.* Als sie keine Antwort gab, zog er sich wieder zurück und zuckte die Schultern. *Ich kann dich ja verstehen. Die Anspannung zerrt auch an meinen Nerven!* Dann trat er an den größten der Spalte heran und lauschte. *Darum laß uns jetzt handeln, und nicht weiter darüber grübeln.*

Ehe sich Kyrina versah, hatte Cyrral seine Hände auf das Gestein gelegt. Sie konnte die Kraft förm-lich sehen, die aus seinen Fingern strömte und das Gestein wie Wachs schmelzen ließ. Dann sam-melte er die Lumpen und Felle ein und schlüpfte in den schmalen Durchgang. *Komm Kyrina!*

Die Sonnentalerin klappte den Mund zu. *Aber ....* Verärgert rollte sie den Fellmantel zusammen und folgte ihm durch den Spalt.

Dann verrauchte ihr Zorn so schnell wie er gekommen war. Von ihrem Standpunkt aus konnten sie die Höhle überblicken, von der sie bisher nur Teile erspäht hatten. Mehrere Gänge führten von ihr fort, und aus einigen drang noch immer beißender Geruch.

*Wohin jetzt?*

*Dort!* signalisierte Cyrral. *Der Gang scheint mir am vielversprechensten!*

Kyrina fragte sich zwar, warum er das glaubte, doch die gehorchte. Geduckt huschten die Elfen auf einen der Gänge zu und preßten sich eng an die bearbeitete Wand, als sie Schritte hörten. Kyrina spannte sich an, wurde aber von Cyrral zurückgedrückt. Der Elf hatte eine Hand leicht erhoben, ließ sie aber wieder sinken, als die beiden Trollwächtern an ihnen vorübergingen, ohne die Flüchtlinge zu bemerken.

Erleichtert setzten die Elfen die Flucht fort. Die Sonnentalerin folgte Cyrral, der sich hier besser auszukennen schien, oder sich zu orientieren wußte. Noch mehrere Male mußten sie Trollen aus-weichen, ehe sie in weniger bewohnte Bereiche vorstießen.
 

Kyrina schüttelte den Fellmantel aus, ehe sie ihn wieder überstreifte. Sie war froh, daß sie in der Dunkelheit so gut wie nichts von dem sehen konnte, was da aus dem Pelz fiel. Selbst Cyrral war nur eine schwache Silhouette.

Kyrina holte tief Luft. Glücklicherweise hatte sie keine Angst vor der Dunkelheit. Sie zitterte zwar, aber das lag an einem anderen Grund: In den Gängen, die weiter von den Trollhöhlen wegführten, war es empfindlich kalt geworden. Cyrral grinste sie an. "Siehst du, es war doch gut, alles mitge-nommen zu haben." Sein Fellüberwurf war in mehrere Teile zerfallen und schützte kaum mehr, aber dem älteren Elfen schien die Kälte auch nicht viel auszumachen.

Die Sonnentalerin trat an ihn heran. "Und was geschieht jetzt, oh mein Hoher? Wir scheinen nun in Sicherheit zu sein!" stellte sie spitz fest. "Oder sollen wir noch weiter durch die Dunkelheit irren?"

Cyrral wollte etwas erwidern, doch in diesem Moment hatte ein durch Mark und Bein gehender Ton durch das Höhlensystem. "Oh nein, mein Junges, wir sind noch nicht in Sicherheit!"

Kyrina blickte sich gehetzt um. Tatsächlich vermeinte sie stampfende Schritte und Metallklirren zu hören. Und es kam immer näher.

*Komm Kind wir sind fast am Ziel! Ich spüre schon einen Luftzug der von der Oberfläche stammt und nach Schnee riecht!* Cyrral packte Kyrina am Arm und zerrte sie mit sich. Doch die lange Ge-fangenschaft zehrte an ihrer Kraft. Schon nach einer Weile blieben sie nach Atem ringend stehen. Die Schritte waren noch immer hinter ihnen.

*So hat das keinen Sinn!* Cyrral stützte sich an der Wand ab. *Wir müssen uns ihnen stellen.*

*Wie sollen wir das tun. Wir haben keine Waffen außer unserer Magie!*

*Genau die werden wir einsetzen!* erwiderte der ältere Elf kalt.

Als vor ihnen Fackelschein aufblitzte, hörte Kyrina über sich in der Decke ein Knacken und Knir-schen. Cyrral lehnte immer noch gegen die Wand, aber von seiner Hand, die den Fels umklammerte ging ein schwaches Leuchten aus.

Die Trollsoldaten kamen in Sichtweite. Einer von ihnen deutete auf Cyrral und schrie etwas - ganz offensichtlich schien ihnen vertraut, was der Hohe da tat! Die Sonnentalerin blickte gehetzt von einem zum anderen. Verzweifelt schleuderte sie mit ihren Kräften einen Stein gegen den vordersten der Trolle, doch das machte die nur noch wütender. Mit lautem, ohrenbetäubenden Brüllen gingen sie auf die Elfen los.

Dann ging alles sehr schnell. Staub und Erde rieselten von der Decke, Steine polterten auf den Bo-den. Mit einem Krachen löste sich eine ganze Felsenplatte. Kyrina sah eine Metalllanze auf Cyrral zurasen und setzte all ihre Magie dafür ein, den Angreifer zur Seite zu reißen. Schweiß trat ihr auf die Stirn, als der Troll dicht neben ihr gegen die Wand krachte. Dann hüllte sie eine Wolke aus Staub ein. Kyrina spürte nur noch einen schneidenden Schmerz, so als bohre sich etwas tief in ihren Leib, gefolgt von einem Schlag auf den Nacken.
 

Kyrina erwachte durch einen fordernden Ruf in ihrem Geist. *KEA! Komm wieder zu dir mein Kind!* Diese Stimme war ganz anders als die lockenden Gesänge, sie die schon die ganze Zeit einlullten. *Du darfst nicht sterben! Wie ich dir schon einmal sagte, jetzt ist nicht die Zeit dafür!*

Die Sonnentalerin stöhnte. Ihr Körper fühlte sich taub und kalt an, und jede Bewegung verursachte ihr Schmerzen, die kaum zu ertragen waren. Dennoch öffnete sie die Augen und schloß sie gleich wieder, als gleißende Helle sie blendete. Erst als das Licht erträglich schien, sah sie den anderen Elfen, der sie in den Armen hielt, wieder an.

Cyrral bot ein Bild des Jammers. Über und über mit Schmutz bedeckt wirkte er eher wie eine Mu-mie, als wie ein lebendiger Elf. Nur seine Augen glühten von innen heraus. Bemerkte sie da Sorge in seinem Blick?

*Du brauchst dich nicht länger zu verstellen, Wanderer, Hoher - Vater. Ich weiß wer du bist, und ich habe dein Spiel durchschaut! Ich glaube, du hast zuviel gewagt!* sendete sie matt. *Jetzt siehst du, was du davon hast... Nur deine Gründe kenne ich nicht! Ist Cyrral wenigstens dein richtiger Name?*

Der Elf antwortete nicht. Statt dessen setzte er sich auf einen Felsblock, stützte ihren Kopf und er-griff ihre Hand. *Es ist noch zu früh danach zu fragen! Jetzt mußt du an andere Dinge denken, und diesmal werde ich dir dabei helfen!* erwiderte er.

Kyrina wehrte sich schwach. *Ich will endlich Antworten von dir!* Sie wollte die Augen schließen, doch Cyrral war schneller. Er zwang ihr seinen Willen auf. Wie von selbst legte sich ihre Hand auf die noch immer blutende Wunde an ihrer Seite, und die Heilkraft entströmte Kyrinas Fingern. Die Heilerin rang nach Luft, als ihr Herz die Anstrengung nicht mehr ertrug. Der Druck auf der Brust wurde stärker und sie hatte das Gefühl in einen dunklen Nebel herabzusinken.
 

Starke Arme fingen sie auf und setzten sie inmitten eines Sternenfeldes ab. Im Licht eines Feuer-balls erstrahlte der Palast über ihnen in allen sichtbaren Farben. Kyrina hatte jedoch nur Augen für den Hohen, der ihr nun gegenüber stand.

Langes sandfarbenes Haar, wie von unzähligen Quarzkristallen durchsetzt flatterte hinter ihm, glit-zernd wie sein helles Gewand. Nur an den leuchtenden Augen und der Kette mit den sieben gelben Steinen um den Hals erkannte sie ihn wieder. "Da bist du also, Vater!"

"Ich werde nicht länger leugnen, daß ich dein Vater bin, stolzestes und klügstes meiner vielen Kin-der! Ja, ich habe dich auf diese Suche gelockt, damit du an ihr wächst und eines Tages meinen Platz einnehmen kannst!"

"Welchen Platz?" Kyrina fühlte Zorn in sich aufsteigen und umklammerte die Handgelenke Cyrrals (oder wie ihr Vater auch immer wirklich hieß). "Ich will nicht länger von dir herumgeschubst wer-den, als sei ich ein Ball in den Händen von Kindern! Du bist verrückt!"

"Du wirst es verstehen, wenn du das Ziel deiner Reise erreicht hast, liebste meiner Töchter! Viel-leicht bin ich verrückt, aber jeder von uns, der hier überleben wollte, mußte es werden. Gefangen zu sein in einer zerbrechlichen Hülle, jeder Macht bar ... das hat viele zerbrochen, die nicht schon vorher von den Fünffingern getötet worden waren! Glaube mir, nicht mehr kraft seines Geistes durch die Sterne reisen zu können sondern an einen Ort gebunden zu sein, das ist nicht leicht zu verkraften." Cyrral entzog sich ihrem Griff, und streifte sich die Kette über den Kopf, um sie ihr umzulegen. "Hüte diese Steine wohl! Sie sind das Verbindungsglied zu mir. An der wird man dich erkennen und dir den richtigen Weg weisen! Und nun bringe ich dich zu jungen Freunden, die dir gefallen werden, auch wenn du in einigen Dingen sicher nicht mit ihnen übereinstimmst!"

"Nein, so einfach entziehst du dich mir nicht wieder, Vater! So einfach mache ich es dir nicht!" Kyrina setzte Cyrral nach, doch der Hohe entfernte sich plötzlich rasend schnell von ihr. Die Son-nentalerin stolperte, stürzte ins Leere...
 

... und erwachte auf einem Fell inmitten von Stimmengewirr. Es roch nach verbranntem Fleisch, gegerbtem Leder und anderem, das sie nicht deuten konnte. Kyrina setzte sich abrupt auf und sah sich einer stämmigen, Elfe mit dunkelbraunem Haar gegenüber. Vier kleine Zöpfe schwangen hef-tig, als die andere ganz durch den Vorhang trat. "Ah Braunhaut, ich hatte dich für tot gehalten! Aber du schreist ja bald so laut wie ein sterbender Troll. Nun gut, da hat der alte Wirrkopf recht behalten, du bist doch zäh, auch wenn es zuerst nicht so aussah!"

Die Sonnentalerin sprang auf die Beine, schwankte ein wenig und fing sich an einer Holzstrebe ab. "Wo ist er? Der, der mich gebracht hat!" fragte sie hastig.

"Wer? Zyrrel? Der ist schon wieder weiter, nachdem er sich bei uns ein wenig erholt hat", meinte die andere. "Der ist ein noch schlimmerer Zugvogel als wir!"

"Verdammt!" Kyrina stampfte mit dem Fuß auf und schlug mit der Faust gegen das Holz. Ein Regal schwankte bedrohlich. "Schon wieder entzieht er sich mir! Ich hasse ihn! Das nächste Mal drehe ich ihm den Hals um!"

Die andere Elfe lachte auf. "Huh, das Feuer hat dich nicht nur verbrannt, es steckt auch in dir!" stellte sie amüsiert fest. "Mit so einem heißen Blut mußt du eine wunderbare Kämpferin abgeben! Willst du nicht bei uns bleiben? Zwei starke, geschickte Hände können wir immer brauchen!"

"Ich denke gar nicht dran!" Kyrina war so in Rage, daß sie der anderen die Faust unter die Nase hielt. "Ich bin Heilerin, und keine Kriegerin, und schon gar nicht lasse ich mich von ihm wieder zu etwas bringen, was er will!"

Die andere fing die Faust ab und rümpfte die Nase. "Schade!" meinte sie nur. "Aber du scheinst mir genauso verrückt wie der alte Zugvogel zu sein. Wenn du meinst, dann halten wir dich nicht auf." Dann ließ sie Kyrina los und wandte sich zum Gehen. "Ah ja!" meinte sie dann noch mit einem drohenden Blick über die Schulter. "Tu das nie wieder! Ich lasse mir Drohungen auch nur einmal gefallen!" Mit einem Grinsen fügte sie hinzu. "Ich bin übrigens Kahvi, die Anführerin der Schnee-Elfen, Braunhaut."

Kyrina schnaubte und ließ sich dann wieder auf das Lager sinken. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und versuchte sich erst einmal wieder zu beruhigen. Der Zorn auf ihren Vater aber schwand nicht. Von jetzt an würde sie bestimmt nicht mehr das tun, was er wollte - schon gar nicht nach ihm suchen oder bei diesen Elfen hier bleiben. Statt dessen würde sie ins Sonnental zurückkehren. Oder zu ihrer Familie. Vielleicht auch noch ...

Ach was, warum machte sie sich denn soviel vor? Nun, wo sie ihren Vater sogar kennengelernt hatte, würde sie erst recht keine Ruhe mehr finden. Sie mußte ihn aufspüren, und wenn es nur aus dem Grund war, um ihm seine Kette vor die Füße zu werfen und ihm zu sagen, wie wenig sie von ihm hielt.

Schließlich tastete sie verstohlen nach den Steinen an ihrer Kette und schluckte. Ein Teil ihrer Visi-on war kein reiner Traum gewesen, denn nun zählte sie statt vier sieben.



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