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Ter´nak Band 1: Wind

von

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Die große Reise

»Oh, wie ich sehe, störe ich. Ich werde später wiederkommen.« Am Rande des Traumlandes hörte ich diese Worte, konnte mir aber keinen Reim darauf machen. Bei was stören?

Noch immer müde, zog ich die Wärmequelle neben mir ein Stückchen näher an mich heran. Ich fühlte mich pudelwohl und wollte noch nicht aufwachen.

Plötzlich erklang ein helles Bellen. Ich riss die Augen auf. Auf meinem Bauch stand Lucky. Sie starrte wütend auf ein schwarzes, unförmiges Ding, das mich halb auf meiner Schulter, halb auf meiner Brust liegend, als Kissen missbrauchte.

Was ging denn hier ab? Ich blinzelte den Schlaf weg. Schlagartig erkannte ich eines von Rogues Katzenohren. Es zuckte unruhig direkt vor meiner Nase, im Schein der aufgehenden Sonne.

Der Bengel hatte sich frecherweise in der Nacht an mich gekuschelt. Damit hatte ich nicht gerechnet. Nach nur zwei Tagen in dieser neuen Welt, war sein Anblick noch immer fremdartig für mich.

Lucky hob den Blick und sah mich vorwurfsvoll an. Ich war unschuldig. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, nickte sie zu meiner rechten Hand.

Diese hatte ich um Rogue geschlungen und ihn somit an mich gedrückt. Auch dafür konnte ich nichts. War es denn ein Verbrechen, gerne zu kuscheln? Ich für meinen Teil habe das immer schon leidenschaftlich gern getan. Außerdem sollte sich Lucky in diesem Punkt bloß nicht beschweren. Sie war es doch, die sich keine fünf Sekunden nach ihrer ersten Beschwörung, an mich gekuschelt hatte.

Beleidigt sah sie mich an und plusterte sich auf. Ehe ich sie aufhalten konnte, bellte sie mehrmals laut hintereinander. Abermals beschlich mich das ungute Gefühl, Lucky könnte meine Gedanken lesen.

Rogue, geweckt von diesem Lärm, hob den Kopf und wurde sich unserer Positionen bewusst. Im nächsten Augenblick schwebte ein Dolch an meiner Kehle. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Innerlich konnte ich nur heulen. Womit hatte ich das verdient? Ich hatte doch nichts getan, ich war unschuldig!

*

Angefressen nahm ich an meinem Tisch im Schankraum Platz. Auf dem Stuhl mir gegenüber ließ Rogue betreten den Kopf hängen, während Lucky versuchte, auf meinen Schoß zu springen.

»Nein«, fuhr ich sie scharf an. »Heute bleibst du auf dem Boden. Das ist die Strafe für dein Verhalten.«

Demonstrativ hob ich den Blick. Nein, ich würde nicht einknicken. Um mich von ihrem wehleidigen Bellen abzulenken, knöpfte ich mir Rogue vor.

»Und nun zu dir.« Ich sah, wie er zusammenzuckte und seufzte auf. Im Grunde hatte er nichts falsch gemacht, dennoch sollte ich da etwas richtigstellen. Mit freundlicher Stimme redete ich weiter: »Hör mal, Rogue. Ich habe echt nichts dagegen, wenn du mit mir kuschelst, rein platonisch versteht sich.«

Er sah auf und ich hob streng einen Finger. »Allerdings habe ich keine Lust, mich jeden Morgen einem deiner Dolche gegenüberzusehen. Du warst es, der zu mir gekommen ist, nicht andersrum. Behalte diese Tatsache bitte im Hinterkopf.«

Ich sah genau, wie er rot anlief und beschämt den Blick senkte. Mit meiner kleinen Ansprache, sollten die Fronten geklärt sein.

In diesem Augenblick erschien Gisela, einige dampfende Schüsseln in den Armen tragend. »Guten Morgen, ihr drei. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen.«

Ihre Betonung, sowie das wissende Grinsen sagten alles. Damit war auch geklärt, wessen Stimme mich kurz zuvor geweckt hatte.

»Guten Morgen, Gisela«, erwiderte ich bemüht freundlich. Am liebsten würde ich die Situation richtig stellen, aber wie? Sie hatte mich und Rogue eng umschlungen im Bett erwischt, aus der Nummer kam ich wohl nicht mehr raus.

Während Gisela unseren Tisch belud, sagte ich schnell: »Entschuldige bitte, aber das kann ich mir nicht leisten. Ich besitze keine einzige Drachme mehr.«

»Das geht aufs Haus«, sagte sie freundlich und stellt eine Schüssel, gefüllt mit kleinen Fleischstücken, vor Lucky auf den Boden.

Sie sah mir in die Augen, ein seliges Lächeln im Gesicht. »Nach drei Monaten der Ungewissheit, konnte ich endlich Abschied von meinem Mann nehmen und die Nacht durchschlafen. Nehmt dieses Essen als meinen Dank an.«

Ehe ich etwas erwidern konnte, schritt sie leicht tänzelnd davon. Von der ehemaligen Schreckschraube war nichts mehr übrig geblieben.

Ich zuckte mit den Schultern. Wer war ich, ein Gratisessen auszuschlagen? Rasch sagte ich: »Guten Appetit«, dann machte ich mich über das Frühstück her. Zur Feier des Tages gab es Rührei mit Speck.

*

Nachdem wir uns die Bäuche vollgeschlagen hatten, statteten wir der Gilde einen Besuch ab.

»Guten Morgen, werte Abenteurer. Wie ich hörte, haben Sie Ihre erste offizielle Mission mit Bravour bestanden. Sie sind sicher gekommen, um ihren Lohn abzuholen.«

Direkt vor dem Tresen griff ich in meinen Seesack. »Guten Morgen, Fiona. Ganz recht. Wir haben acht Goblins ausgeschaltet. Hier sind die Beweise.« Mit diesen Worten stapelte ich die blutigen Köpfe unserer Gegner auf die Arbeitsplatte.

Obwohl sie mittlerweile schon knapp einen halben Tag im Nimmervollen Beutel verweilten, waren sie noch immer so frisch, als hätte Rogue sie erst vor wenigen Minuten abgetrennt. Demnach funktionierte die Verzauberung Zeitlos einwandfrei. Wieder ein erfolgreicher Test.

Während das Blut sich auf dem Tresen verteilte, machte Fiona große Augen. Mit krächzender Stimme merkte sie an: »Ich würde es vorziehen, wenn Sie das nächste Mal lediglich die Ohren mitbringen würden.«

Ich nickte ihr gut gelaunt zu und nahm unseren Lohn entgegen, satte achtzig Drachmen. Lange würden die zwar nicht reichen, aber es war ein Anfang. Fröhlich vor mich hin pfeifend, wandte ich mich dem schwarzen Anschlagbrett zu.

»Verzeihen Sie, werter Magier, heute Morgen kam ein neuer Auftrag für den Silberrang herein. Es wurde explizit nach Ihnen verlangt.«

Ich drehte mich zu Fiona um. »Um was geht es?«

»Der fahrende Händler Garret hat Sie als Eskorte angefordert. Ziel sind mehrere Dörfer im Wolfswald. Pro Tag stellt er Ihnen ein Honorar von einhundert Drachmen in Aussicht. Die voraussichtliche Reisedauer hin und zurück beträgt sechs Tage.«

Nachdenklich ließ ich mir diesen Auftrag durch den Kopf gehen. 600 Drachmen auf einen Schlag. Mit so viel Geld würden wir eine Weile über die Runden kommen. Allerdings wären wir sechs Tage unterwegs, und das auch nur dann, wenn nichts dazwischenkam.

Unser Budget betrug achtzig Drachmen. Davon würde einiges, wenn nicht sogar alles, für die Reisevorbereitung draufgehen.

Ich sah zu meinen beiden Begleitern. »Was meint ihr?«

Während Rogue mit glitzernden Augen zustimmte, sah mich Lucky niedergeschlagen an. Das von mir ausgesprochene Streichelverbot setzte ihr offenbar stark zu. Dieser verdammte Welpenblick gehörte verboten. Ich konnte nicht anders und knickte ein.

»Na komm schon her.« Ich breite die Arme aus. Einen Augenblick später klebte Lucky an meiner Brust. Leise flüstere ich ihr zu: »Ich hoffe, das war dir eine Lektion.« Ich räusperte mich und fragte: »Also, was ist nun mit dem Auftrag?« Glücklich mit den Schweifen wedelnd, nickte sie mir zu.

Damit war es beschlossene Sache. Zusätzlich nahm ich noch die drei Sammelaufträge Rang Selenit an. Wenn wir eh schon in den Wolfswald mussten, konnten wir diese nebenbei gleich mitnehmen.

Meine streichelbedürftige Fuchsdame kraulend, sah ich zu, wie Fiona alle Aufträge bestätigte.

*

Im Kontor belud ich meinen Seesack mit allem, was wir für unserer Mission benötigen würden: zwölf Notrationen, sicher war sicher, einen Beutel mit frischem Fleisch für Lucky, zwei Schlafsäcke und ein altes, aber noch brauchbares Zelt. Abzüglich der Kosten von 62 Drachmen, blieben mir noch 18 Goldstücke als eiserne Reserve.

Vor den Augen des überraschten Händlers stopfte ich alles in meinen Seesack. Angst vor einem Diebstahl hatte ich keine mehr, wusste ich doch, was den Täter erwartete.

Kaum war das Zelt im Inneren des Nimmervollen Beutels verschwunden, wurde ich angesprochen: »Da ist er ja, mein Retter in der Not.«

Garret eilte mit einem breiten Lächeln auf den Lippen auf mich zu. Ich hatte schon geahnt, dass er sich hier im Kontor aufhalten würde. Wo denn auch sonst?

»Schön dich zu sehen, alter Geizhals«, grüßte ich ihn.

Irritiert blinzelte er mich an. »Aber, aber. Womit habe ich mir denn diese Ansprache verdient?«

Das wusste er nicht? Dann sollte ich ihn besser schleunigst aufklären. Gespielt streng hob ich einen Finger und erklärte: »Ganz einfach. Bei deiner ersten Eskort-Mission hast du mir hundert Drachmen für einen halben Tag angeboten. Jetzt sind es hundert pro Tag. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass wir zu dritt sind. Sprich, du zahlst mir lediglich ein Sechstel des ursprünglichen Preises.«

Wir starrten uns gegenseitig in die Augen, dann begann er zu lachen. »So gesehen hättest du vollkommen recht, jedoch muss ich dich leider auf einige Fehler in deiner Rechnung aufmerksam machen. Du und deine kleine, beschworene Füchsin gelten als eine Einheit. Was den Auftrag an sich betrifft, so habe ich lediglich eine bestimmte Person angefordert. Wie viele Abenteurer du zusätzlich mitnimmst, ist daher nicht meine Angelegenheit.«

Mein Ehrgeiz war geweckt, noch war ich nicht bereit, das Handtuch zu werfen. Rasch warf ich ein: »Damit sind wir immer noch beim halben Preis.«

Garret grinste mich verschlagen an und nickte. »Das stimmt. Jedoch hat mir Fiona bereits mitgeteilt, dass du den Auftrag angenommen hast. Damit hast du dich mit der Vergütung einverstanden erklärt.«

Väterlich klopfte er mir auf die Schulter. »Sieh es als eine gute Lektion für die Zukunft. Wärst du zuerst zu mir gekommen, hätten wir über eine Sonderabsprache feilschen können.«

So ein Mist aber auch. Ich zuckte mit den Schultern. Im Grunde hatte ich eh nicht daran geglaubt, einen besseren Deal aushandeln zu können. Jedoch war es gut zu wissen, dass die Möglichkeit bestand, eine Sonderabsprache mit dem Auftraggeber zu vereinbaren.

Ich musste dringend lernen, wie man richtig feilschte, bevor die Händler mich mit Haut und Haaren verschlangen.

Entwaffnet hob ich die Arme: »Gut, ich gebe mich geschlagen.« Dann legte ich ihm meinerseits eine Hand auf die Schulter. »Während unserer Reise könntest du mir alles beibringen, was ich zum Thema Handeln und Feilschen wissen muss. Bestimmt wirst du deinem Lebensretter diesen kleinen Wunsch erfüllen. Einverstanden?«

»So langsam verstehst du, wie der Hase läuft.« Abermals lachte Garret laut auf, dann schlug er ein. »Einverstanden.«

Nachdem diese Angelegenheit geklärt war, wurde ich wieder ernst. »Ich nehme an, dieser Auftrag hat etwas mit deiner verfrühten Rückkehr zu tun?«

Bestätigend nickte Garret. »Da liegst du goldrichtig. Unerklärlicherweise sind die Wölfe auf einmal sehr viel aggressiver als sie sein sollten. Ohne Geleitschutz habe ich es nicht einmal zu der Stelle geschafft, an der wir uns getroffen haben. Gerade noch so, konnte ich den Wölfen mit heiler Haut entkommen.«

Stolz reckte ich die Brust. »Mit uns an deiner Seite brauchst du dir um die Wölfe keine Sorgen mehr zu machen.«

»So, so.« Garrets Blick fiel auf Rogue, der mit gesenkem Kopf rechts neben mir stand.

Rasch warf ich ein: »Das ist Rogue. Er -«

Energisch unterbrach mich Garret, indem er eine Hand hob. »Sonja hat mir alles erzählt.« Garret fixierte den Jungen mit den Augen.

Ich stieß Rogue an und zischte ihm aus den Mundwinkeln zu: »Entschuldige dich bei ihm.«

Trotzig schüttelte der Bengel den Kopf. Unter meinem strengen Blick gab er dann aber doch nach.

Mit einer leichten Verbeugung murmelte Rogue: »Ich entschuldige mich dafür, dich bestohlen zu haben.« Er fuhr zu mir herum. »Bist du nun zufrieden?«

Bevor ich etwas sagen konnte, klatsche Garret in die Hände. »Das wollte ich hören. Entschuldigung angenommen. Von mir aus können wir aufbrechen.«

Was war denn jetzt los? Tonlos fragte ich: »Einfach so?«

Zum dritten Mal lachte Garret laut auf. »Solange der Kleine seine diebischen Finger bei sich behält, habe ich keine Probleme mit ihm. Leben und leben lassen, das ist mein Motto. Er hat gestohlen und wurde angemessen bestraft. Ich hege keinen weiteren Groll gegen ihn.«

Bei dieser Aussage fiel mir ein schwerer Stein vom Herzen. Ich hatte angenommen, dass es wesentlich schwerer werden würde, Garret zu besänftigen. Vor allem nach seiner Schimpftirade auf Rogue.

Nachdem die Fronten geklärt waren, begann unsere Reise in den Wolfswald.

*

Die erste Etappe der Reise verlief friedlich. Während ich neben Garret auf dem Bock saß, hörte ich ihm aufmerksam zu. Er hielt tatsächlich Wort und führte mich in die hohe Kunst seiner Zunft ein.

Auf halbem Weg zum Wald dröhnte mir bereits der Kopf. Egal, wie oft Garret es mir erklärte, ich bekam das Feilschen nicht in meinen Schädel.

Ich sprang vom fahrenden Wagen und sah mich nach Rogue um. Als ich in fand, winkte ich ihn zu mir. »Du bist dran mit Sitzen.« Mit dem Daumen deutete ich auf den leeren Platz neben Garret.

Verständnislos starrte er mich an. »Echt jetzt? Ich muss nicht den ganzen Weg laufen?«

Ich schüttelte den Kopf und wuschelte ihm über die Haare. »Hoch mit dir, bevor ich es mir anders überlege. Und schön brav sein, verstanden?«

»Ich bin immer brav.« Frech streckte er mir seine Zunge raus, dann sprang er auf den fahrenden Wagen.

Kopfschüttelnd sah ich ihm hinterher. Mit diesem Frechdachs würde ich noch meine liebe Not haben. Aber eines war sicher. Solange er an meiner Seite war, würde mir nie langweilig werden.

Während Rogue meinen Platz auf dem Bock einnahm, setzte ich mit Garret das Gespräch fort. Irgendwie würde ich es schon noch schaffen, hinter das Geheimnis des Handelns zu kommen.

*

Direkt am Waldrand wurden wir von vier Wölfen angegriffen. Mit meinem ersten Zauber tötete ich einen Feind, während Rogue vom Bock sprang und gleich zwei Wölfe mit nur einer gedrehten Schraube erledigte.

Zur Überraschung aller, war es Lucky, die dem Vierten den Garaus machte. Dabei verwendete sie wie ich den Windschnitt. Zwar war ihre Magie deutlich schwächer als meine, aber um einem Wolf die weiche Kehle aufzuschneiden, reichte ihre Kraft aus.

Spielend einfach hatten wir die erste Hürde gemeistert, dennoch blieb ich wachsam. Mit diesem Wald stimmte etwas nicht, dass konnte ich spüren.

Nachdem wir uns vom Kampf erholt und ich Lucky für ihre Leistung ordentlich gelobt hatte, setzten wir unsere Reise fort. Rogue und ich wechselten uns erneut auf dem Bock ab und augenblicklich sprang mir Lucky auf den Schoß. Eine Weile ließ sie sich kraulen, dann schlief sie ein.

*

Langsam rollte der Karren den schmalen Feldweg entlang. Seit einiger Zeit hatte keiner mehr etwas gesagt. Eine drückende Stimmung herrschte um uns her. Dieser Wald hatte eindeutig etwas Gruseliges. Ich erwartete hinter jedem Baum einen Axtmörder oder ähnliches vorzufinden.

Seufzend schüttelte ich den Kopf. So langsam ging meine Fantasie mit mir durch. Um etwas zu tun zu haben, hob ich den Blick. Angestrengt versuchte ich zu ermitteln, wie spät es war, indem ich zwischen den Blättern der Baumkronen hindurch nach der Sonne suchte. Ein erfolgloses Unterfangen.

Plötzlich zuckte Lucky auf meinem Schoß zusammen. Schnell sah ich zu ihr. »Alles ok bei dir? Hattest du einen schlechten Traum?«

Sie schüttelte den Kopf und bellte mich mehrmals laut an. Ich hob eine Augenbraue. Was war nur los mit ihr? Ging es meinem kleinen Liebling nicht gut? Sollte ich Garret um eine Pause bitten?

Im nächsten Moment rappelte Lucky sich auf. Während sie sich ruckartig umsah, begann sie böse zu knurren. Als ich ihr gesträubtes Fell sah, wurde mir klar, was sie die ganze Zeit versucht hatte, mir zu sagen. Etwas stimmte nicht.

»Rogue, Achtung. Lucky wittert eine Gefahr.«

Gerade noch rechtzeitig hob ich den Kopf und sah mich um. Da bemerkte ich eine Bewegung im Augenwinkel. Ein Wolf sprang von rechts aus einem dichten Busch heraus, genau auf mich zu.

Reflexartig hob ich meine rechte Hand und schrie: »Windstoß.«

Mitten im Sprung wurde der Wolf von meiner Magie erfasst. Mit einem lauten Jaulen krachte er gegen einen Baum. Neben dem dumpfen Aufschlag, hörte ich, wie seine Knochen brachen.

Nebenbei riss Garret an den Zügeln und brachte den Karren zum Stehen. Den Händler vollkommen ausblendend, konzentrierte ich mich auf den Kampf.

Einer war erledigt. Rasch sah ich mich weiter um. Einige Meter vor uns auf dem Weg schoss ein zweiter Wolf von links hinter einem Baum hervor.

Bevor ich in der Lage war, meine Hand zu heben, flog etwas Silbernes durch die Luft, auf den Wolf zu. Mitten in der Bewegung brach das Tier zusammen und schlitterte über den Weg. Zwischen seinen Augen ragte der Griff eines Dolches hervor.

»Meiner«, rief Rogue, hörbar erfreut. »Drei zu zwei, du lahme Schnecke.«

Was glaubte dieser Bengel, was er da trieb? Einfach so seine Waffe werfen. Dann noch seine Worte. Das hier war doch kein Spiel! Allerdings hatte ich gerade andere Sorgen, als mit ihm zu schimpfen.

Mittlerweile hatte Lucky aufgehört zu knurren. Ruhig saß sie auf meinem Schoß und suchte meinen Blick. Ihrem Gebaren nach zu urteilen, waren wir in Sicherheit.

Dennoch konnte ich nicht anders, als nachzufragen: »Lucky, bist du dir sicher, dass wir alle Wölfe erwischt haben?«

Überschwänglich nickte sie mir zu. Dann sah sie mich mit ihren großen, blauen Augen erwartungsvoll an. Offenbar hoffte sie auf eine Belohnung.

Während ich sie hinter den Ohren kraulte, sah ich mir ihren Charakterbogen an. Sie hatte einen neuen Extra Skill vorzuweisen: Spürsinn.

Mit dieser Fähigkeit war sie in der Lage, feindliche Absichten in der näheren Umgebung zu erahnen. Selbst Lügen oder Betrügereien konnte sie damit durchschauen.

Mein rechter Mundwinkel zuckte leicht. Lucky war zu so etwas wie einem Gegner-Radar mutiert. In Zukunft würde uns dieser Skill sicherlich sehr nützlich sein.

»Wir müssen den Wolf von der Straße holen oder wir kommen nicht durch«, seufzte Garret neben mir und machte Anstalten, aufzustehen.

»Bleib sitzen, das ist unsere Arbeit«, sagte ich zu ihm. Froh, dem harten Holz eine Weile zu entkommen, sprang ich, Lucky mir voran, vom Wagen.

Kurz streckte ich mich, dann eilte ich auf Rogue zu, der damit beschäftigt war, seinen Dolch aus dem Schädel des Wolfes zu ziehen.

Während wir zu zweit den Kadaver von der Straße zogen, hörte ich, wie sich Garret leise beschwerte: »Eine Schande ist das.«

Nebenbei fragte ich: »Was meinst du?«

»Ich rede von den Wolfsfellen. Die bringen gutes Geld, aber wir haben weder die Zeit, sie zu häuten noch können wir sie so mitnehmen. Der Karren ist bereits voll beladen.«

Rogue und ich sahen uns an.

»Denkst du, was ich denke?«, fragte ich ihn.

»Goblin-Köpfe sind das eine, aber so ein Wolf wiegt locker sechzig Kilo. Du wirst den Seesack nicht mehr heben können.«

Verschmitzt grinste ich ihn an und sagte: »Das Gewicht ist kein Problem. Ich frage mich nur, ob wir sie in den Beutel bekommen.«

Meine Bedenken erwiesen sich als unbegründet. Es war zwar ein wenig Arbeit, aber wir schafften es, beide Wölfe durch die sehr dehnbare Öffnung in meinen Seesack zu stopfen.

Schade nur, dass Garret das nicht schon früher gesagt hatte. Am Waldrand lagen noch vier potenzielle Goldesel - langsam verwesend am Wegesrand.

Ungläubig starrte der Händler mich an, als ich mich neben ihn setzte. »Wie, was?«, stammelte er und gestikulierte zu meinem Seesack.

Mit strenger Miene starrte ich ihn nieder. »Ich bin ein Magier!«

Geplant war diese Aussage zwar als Scherz, aber sie funktionierte so gut, dass ich es damit auf sich bewenden ließ.

Garret sah augenblicklich wieder nach vorne und trieb hastig den Ochsen an. Wahrscheinlich war es besser, die Leute im Unklaren zu lassen. Einen Magier zu bestehlen, bedeutet zwar den Tod, jedoch war mein Seesack derart besonders, dass es der eine oder andere dennoch versuchen würde, sollten sie erfahren, wie mächtig der Nimmervolle Beutel war.

*

Bis zum Abend mussten wir uns noch weitere zweimal gegen Wölfen behaupten. Da Lucky uns ihm voraus warnte, waren beide Kämpfe keine große Sache. Mittlerweile achteten wir sogar darauf, das Fell der Viecher möglichst heil zu lassen. Am Ende hatte ich satte neun Wölfe in meinem Seesack eingelagert. Ein netter kleiner Bonus, wie ich fand.

Kurz vor Einbruch der Nacht erreichten wir einen großen Findling, der direkt neben dem Weg stand. Garret steuerte den Karren neben den Stein. »Gerade noch so geschafft.«

Irritiert sah ich mich um. »Warum halten wir? Und was haben wir geschafft?«

Mit freundlicher Stimme erklärte er mir: »Hier werden wir die Nacht verbringen. Dieser Stein markiert den Rastplatz. Keine Sorge, hier sind wir absolut sicher. Kein Wolf oder sonst irgendwas Gefährliches kann sich dem Stein nähern. Er ist magisch, musst du wissen.«

Magisch, sagte er. Das würde ich überprüfen. Mit Analyse betrachtete ich den Findling. Der Fels selbst hatte keine besonderen Eigenschaften, wohl aber ein kleiner Kristall der an der Spitze angebracht war. Dieser war mit einer Verzauberung versehen worden: Angstaura.

Laut Infofenster war der Effekt folgender: Alle Feinde, die in den Wirkungsradius eindrangen, wurden in Angst und Schrecken versetzt, wodurch sie kopflos die Flucht ergriffen.

Das klang echt sehr praktisch. Jedoch warf es einige Fragen auf. Während wir vom Bock abstiegen, wandte ich mich an Garret: »Sag mal, warum platziert ihr nicht mehr von diesen Steinen auf dem Weg?«

Der Händler schüttelte betreten den Kopf. »Das ist eine Frage der Kosten. Die benötigten magischen Kristalle sind derart selten, dass es schlicht und ergreifend zu teuer wäre, auch nur einen weiteren dieser Steine im Wald zu platzieren.«

Garret hob den Blick und sah zu dem Findling. »Dieser Stein wurde von Felix dem Weisen gespendet, einem sehr mächtigen Magier. Wenn du Glück hast, könntest du den Weisen sogar treffen. Seine Residenz ist eines unserer Ziele.«

Ich machte große Augen. »Wirklich? Ich könnte mit einem echten Magier reden?«

Gutmütig grinste Garret mich an. »Ich dachte, du bist ein echter Magier.«

Schnell korrigierte ich mich: »Ja, aber ich bin erst Novize. Kannst du mich ihm vorstellen?«

Ein Weiser. Erstaunlich. Ich wusste zwar nicht, was das genau bedeutete, aber ich war mir sicher, dass dieser Mann sehr viel auf dem Kasten hatte. Bestimmt könnte er mir neue Zauber beibringen und mir so manche Dinge erklären.

»Tut mir leid, das kann ich nicht machen. Weder ich noch sonst wer, den ich kenne, hat den Weisen je zu Gesicht bekommen. Er ist sehr menschenscheu. Gerüchten zufolge, hat er seine Residenz seit Jahren nicht verlassen.«

Diese Worte verpassten mir einen Dämpfer. Ich seufzte schwer vor mich hin. Es wäre so schön gewesen, einen anderen Magier zu treffen. Da würde ich wohl warten müssen, bis ich genügend Geld für die Reise zur Hauptstadt angespart hatte, oder ich müsste auf mein Glück vertrauen.

Während Garret den Ochsen am Findling festband, damit dieser grasen konnte, holte ich mein Zelt hervor. Gemeinsam mit Rogue baute ich das klapprige Ding auf. Gerade so passten die beiden Schlafsäcke ins Innere.

Ohne Zeit mit dem Ausziehen zu verschwenden, krabbelte ich auf mein Lager für diese Nacht und legte mich auf den Rücken. Natürlich saß keine Sekunde später Lucky auf meiner Brust. Die anbrechende Nacht war angenehm kühl. Genau so, wie ich es bevorzugte.

Aber, da fehlte doch einer. Rasch warf ich einen Blick durch die offene Zeltplane. Rogue stand unsicher vor dem Eingang.

Ich verdrehte die Augen und sprach ihn an: »Komm rein, oder bleib draußen. Es ist deine Entscheidung.«

Mehr hatte ich nicht zu sagen. Das Spielchen der letzten Nacht würde ich kein zweites Mal mitmachen. Also machte ich es mir bequem und schloss die Augen.

Herzhaft gähnte ich auf. Anschließend sagte ich träge: »Gute Nacht, Lucky. Gute Nacht, Rogue. Gute Nacht, Garret.«

Ich hörte noch, wie mein Liebling mir mit einem hellen Bellen antwortet, dann schlief ich auch schon ein.



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