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Abyss

von

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Dance

Laute Musik mit schnellem Beat, die sein Herz zum Rasen bringt, tönt ihm entgegen, als er den Club betritt. Es ist die Art von Musik, die er nicht leiden kann und normalerweise auch nicht hört. Das bisschen, das er vom Text versteht, ist vulgär, ebenso wie die getönten Scheinwerfer, die den Raum in rotes Licht tauchen. Das Leder der Sitzecken ist in einem dunklen Bordeauxton gehalten, doch er scheut sich, in einer von ihnen Platz zu nehmen. Ein paar Männer haben sich dort bereits niedergelassen und einige von ihnen tragen Anzüge wie er selbst. Männer mit Geld, schließlich ist dieser Club exklusiv. Er bleibt im Eingang stehen, während er einer dunkelhäutigen Schönheit dabei zusieht, wie sie sich in einem knappen Tanga und oben ohne auf einer der kleinen, viereckigen Bühnen an einer Stange räkelt. Ihre langen, silbrig schimmernden Haare fallen ihr über die üppigen Brüste, die bei jeder Bewegung wippen und lediglich von zwei schwarzen Stickern in Form von Herzen bedeckt werden. Es kommt ihm so falsch vor, sich ihre Show anzusehen. Ihre roten Augen wandern durch den Raum, ein Grinsen ziert ihre vollen Lippen, so als würde sie die Aufmerksamkeit genießen. Dann stößt sie sich plötzlich vom Boden ab und hängt sich kopfüber an die Stange, woraufhin einige der Männer johlen und klatschen, mit ein paar Scheinen wedeln.

Enji fragt sich, wie er hier gelandet ist. Er ist kein Mann, der sich in solchen Milieus herumtreibt. So etwas hat er nicht nötig. Er ist keiner von diesen Männern, die Frauen dafür bezahlen, sich auszuziehen. Aber er ist am Ende. Und betrunken. Und, so sehr es ihm missfällt, sich das einzugestehen…einsam.

Deswegen steht er hier. In diesem Strip-Club. Ohne, dass er weiß, was er hier eigentlich will. Mehr Alkohol, möglicherweise. Ja, das erscheint ihm vernünftig, sodass er sich an die Bar setzt und dabei konsequent den Blick auf die Sammlung etlicher Flaschen in den Regalen lenkt. Es fühlt sich falsch an, die jungen Frauen, von denen die ein oder andere seine Tochter sein könnte, in ihren knappen Outfits zu beobachten.
 

„Abend. Was darf’s sein?“, reißt ihn die dunkle Stimme des Barkeepers aus den Gedanken.

Gut. Den Typ kann er ansehen, denn er ist weder halbnackt, noch sieht er aus, als hätte er eben erst die Volljährigkeit erreicht. Die lockigen, schwarzen Haare hat er im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden, die dunklen Augen wirken müde und der Dreitagebart lässt ihn älter wirken, als er es vermutlich ist.

„Whiskey. Ohne Eis“, brummt Enji kurz angebunden und ist froh, dass er seine Zunge noch unter Kontrolle hat.

Der Mann hebt eine Braue, nickt dann aber nur und macht ihm seinen Drink fertig. Enji lässt den Blick kurz schweifen, um ihn nicht weiter anzustarren, und bereut es sofort, als er einen recht großen, jungen Mann in Lederpants und Netzshirt sieht, der sich über den Tresen lehnt. Anscheinend tanzen hier nicht bloß Frauen.

„Oi Aizawa, machst du mir ne Piña Colada?“, hört er ihn fragen.

„Schichtende, Gale Force?“, erwidert der Barkeeper namens Aizawa und stellt ihm den Whiskey hin. „Glenfiddich, 18 Years, Single Malt.“

Kein schlechter Tropfen, aber bezahlbar, sodass er nicht weiß, ob er sich beleidigt fühlen soll. Er belässt es dabei und schiebt dem Barkeeper einen Schein zu, der mehr als genug sein sollte. Aizawa mustert ihn kurz, ehe er das Geld nimmt und ihm abermals zunickt.

„Jep. Bin so gut wie weg. Mein Ersatz zieht sich gerade um.“

Der Typ grinst gut gelaunt, während er an der Bar lehnt und dabei seine furchtbare Ledermütze zurechtschiebt. Dann wendet er sich ungefragt ihm zu, wirkt dabei viel zu enthusiastisch.

„Sie sollten sich die nächste Show unbedingt ansehen! Der Kerl ist verdammt gut!“, meint er und zwinkert ihm zu.

„Kein Bedarf“, knurrt Enji abweisend, woraufhin Gale Force – was für ein bescheuerter Name – stutzt.

„Eh…“

„Dein Cocktail“, unterbricht Aizawa ihr Gespräch und stellt den süßen Drink auf den Tresen.

„Oh, cool! Danke dir!“

Er greift nach seinem Cocktail und nimmt einen großen Schluck. Kurz darauf gesellt sich ein junges Mädchen in einem knappen, lila-grünen Body zu ihm und schnappt ihm dreist den Drink aus der Hand.

"Ah~ den hab ich jetzt nötig~", seufzt sie und streicht sich mit der freien Hand ein paar pinke Strähnen ihres zotteligen Haares aus der Stirn.

„Pinky!“

„Ach komm, nur einen Schluck~“

„Hmpf. Na schön...“, gibt sich der junge Mann geschlagen und sie grinst triumphierend.

„Mach langsam. Du hast noch ein paar Shows“, kommt es von Aizawa, woraufhin das Mädchen die Wangen aufbläst.

„Jaaa...“, mault sie und saugt am Strohhalm.

Sie wirkt athletisch und...jung. Gerade mal volljährig und Enji wird plötzlich bewusst, wie alt er geworden ist. Ein alter Mann, der in einem Stripclub voller viel zu junger Menschen sitzt. Es ist falsch.
 

„Da ist er ja! Oi, da müssen Sie hinschauen! Er ist wirklich gut!“, quatscht ihn der Junge wieder von der Seite an und schlägt mit der Hand auf den Tresen.

Enji ignoriert ihn, wendet sich aber der etwas größeren Bühne in der Mitte zu, als die Musik kurz leiser wird. Auch das Licht wird gedämmt, leitet den Auftritt des Typen ein, der als schwarzer Schatten das Podest erklimmt. Er ist nicht sonderlich groß, stellt Enji fest, als er da so steht, den Kopf gesenkt haltend und eine Hand locker um die Stange gelegt. Dann beginnt die Musik. Erst leise, sodass eine gewisse Spannung erzeugt wird, die sogar auf ihn wirkt. Er nippt am Whiskey, als das Licht mit einem Mal angeht, sich grell auf den Kerl richtet, der sich in dem Moment an die Mütze greift und mit einem Fuß im Takt der Musik wippt. Enji erkennt nun, dass er eine Polizeiuniform trägt. Blaues Hemd mit Weste und Krawatte, dunkle Hosen und auf seiner Nase sitzt eine Sonnenbrille. Er hat ziemlich viel an, wenn man ihn mit den anderen Angestellten vergleicht.

Der Beat der Musik steigert sich, wird lauter und schneller, woraufhin der Kerl seine Hüften langsam bewegt. An einem der Tische hat sich mittlerweile ein Rudel Frauen in grellen pinken Röcken eingefunden und eine davon trägt ein Krönchen mit Schleier. Junggesellinnenabschied. Er bemerkt sie hauptsächlich, weil sie schrill durcheinander kreischen und jubeln. Anscheinend gefällt ihnen der Polizist, der soeben seine Mütze vom Kopf zieht und sie den Weibern zuwirft, welche erneut aufschreien. Zerzaustes, blondes Haar kommt zum Vorschein und sein Gesicht liegt nun nicht länger im Schatten.

Die Sonnenbrille rutscht tiefer auf die Nase, als er sich mehr bewegt und dabei mit einer Hand seine Weste öffnet. Er wirft auch diese den Frauen zu und der Geräuschpegel nimmt zu, als er sich an die Stange schmiegt, dabei eine Drehung an dieser macht. Mit der freien Hand reißt er die Knöpfe seines Hemds auf, woraufhin eine schlanke, aber durchtrainierte Brust zum Vorschein kommt. Der junge Mann grinst breit, wackelt mit seinen buschigen Augenbrauen, während er tanzt – was er wirklich gut kann. Dürfen Männer solch einen Hüftschwung haben? Es wirkt viel zu verrucht. Anzüglich. Das, was es eben auch sein soll.

Das Hemd landet an einem anderen Tisch und als er sich mit dem Rücken zu ihnen an der Stange reibt, kann man das riesige Tattoo nicht übersehen. Es zieht sich von den Schultern bis hin zum Bund der Hose. Tiefrote Flügel, die Federn so detailliert gestochen, dass sie wirklich wie das Gefieder eines Vogels wirken. Enji hält im Allgemeinen nichts von Tattoos, aber dennoch kann er nicht aufhören, es anzustarren. Generell kann er nicht aufhören, dem jungen Mann bei seiner Show zuzusehen.

Dieser reißt sich mit einem Ruck die Hose von den Beinen und steht nur noch in Krawatte und einem schwarzen…Tanga da. Man kann viel zu viel sehen. Seinen kompletten Hintern, mit dem er nun provokant wackelt, ehe er sich an die Stange hängt. Kopfüber und mit einer Leichtigkeit, als würde das nicht voraussetzen, dass man seinen Körper vollständig unter Kontrolle hat. Die Sonnenbrille landet auf dem Boden.

Enji schaudert unweigerlich, während er in die bernsteinfarbenen Augen sieht, die im Licht regelrecht leuchten. Er muss um die 20 Jahre alt sein oder jünger, da ist er sich nicht sicher, denn der gestutzte Bart am Kinn macht ihn etwas maskuliner. Hübsch ist er, daran besteht kein Zweifel. Und er weiß es. Enji wird heiß und kalt, als der Blick des Jungen, der ihn aus irgendeinem Grund an ein Raubtier erinnert, durch die Menge schweift – und dieser ihm zuzwinkert. Oder Gale Force der viel zu nahe bei ihm steht.

Als er sich von der Stange löst, geht er jedoch zum Tisch der Frauen hinüber und schwingt sich auf diesen, woraufhin diese kreischen und mit ihren Scheinen wedeln. Sie können nicht genug von ihm bekommen, strecken ihre Hände nach ihm aus und er lässt zu, dass sie ihm Scheine in den knappen Tanga stecken. Er kniet auf dem Tisch und liefert ihnen eine Show, lässt die baldige Braut seine Brust berühren…und irgendwie findet Enji das ekelhaft. Und billig.
 

„Noch einen“, knurrt er gegen die Lautstärke der Musik und Aizawa nickt.

Enji hat sich abgewandt, weil er diese Fleischbeschau nicht mehr erträgt. Weder von dem jungen Kerl noch von den anderen Frauen hier, die scheinbar keine Würde besitzen. Wie tief muss man sinken, um hier zu arbeiten? Nicht so tief vermutlich, wie hier zu sitzen und Geld dafür zu bezahlen. Nein. Er hat kein Recht, über irgendjemanden zu urteilen. Nicht in seiner Situation.

Im Hintergrund geht das Gekreische weiter, ebenso wie die Musik ihren Höhepunkt erreicht und dann langsam wieder abflaut. Anscheinend war es das und kaum, dass sich alles etwas beruhigt hat, stellt Pinky den nun leeren Drink ab und streckt sich etwas.

„So, jetzt zeig ich ihm mal, wie man die Menge wild macht!“, meint sie grinsend und voller Enthusiasmus.

„Bei den Damen da drüben kommst du bestimmt nicht so gut an wie er“, erwidert Gale Force schmunzelnd, woraufhin sie schnaubt.

„Hier sitzen aber mehr Männer! Also habe ich automatisch gewonnen~!“

Sie streckt ihm die Zunge heraus und verschwindet, doch Enji sieht ihr nicht nach. Auf noch so eine Show kann er verzichten. Er nimmt seinen Drink und obwohl man das nicht tut, kippt er den Whiskey einfach herunter, ehe er noch einen ordert. Aizawa denkt sich seinen Teil, sagt aber nichts, sondern füllt ihm nach. Zum Glück ist er eher der schweigsame Kerl, im Gegensatz zu Gale Force, der sich lautstark verabschiedet und den Club verlässt.

„Ich nehme dasselbe wie der Herr hier, Aizawa!“, hört er eine fremde Stimme und blickt auf.

Direkt in die funkelnden Bernsteine des blonden Strippers, der jetzt wieder seine Hose trägt. Obenherum ist er immer noch nackt, was ihn jedoch nicht zu stören scheint.

„Dachte, du stehst auf süße Drinks“, brummt Aizawa, greift aber zur Whiskeyflasche.

„Ja, stimmt schon, aber öfter mal was Neues und so“, meint der junge Mann und setzt sich neben ihn an die Bar. „Hey, ich bin Hawks. Du bist zum ersten Mal hier, oder? Die meisten Männer, die allein herkommen, sind Stammkunden.“

Enji schießt ihm einen finsteren Blick zu, denn er hat kein Interesse an einem Gespräch mit diesem Grünschnabel. Hawks ist wohl kaum sein richtiger Name, aber gut, es gibt wohl genügend Gründe, sich ein Pseudonym zuzulegen.

„Ui, hast du einen fiesen Blick drauf“, kommentiert Hawks seine Reaktion grinsend. „Dabei hast du mir vorhin so gebannt zugesehen, heh. Glaub nicht, dass mir das entgangen ist.“

Warum spricht der Junge ihn eigentlich so vertraulich an? Sie kennen sich nicht und er hat ihm nicht…na gut, doch, er hat zugesehen. Aizawa stellt Hawks den Whiskey hin und wendet sich dann einem anderen Kunden zu. Der Blonde greift nach seinem Glas und nippt daran, ehe er das Gesicht verzieht.

„Urgh…Whiskey ist wirklich nicht mein Ding. Wenn du willst, kannst du meinen haben.“

„Nein danke.“

Als ob er aus dem Glas noch trinken will, immerhin sind sie keine alten Bekannten oder so.

„Dann muss ich den guten Tropfen wohl runterschlucken. Verschwendung ist nicht sehr ehrenwert“, plappert Hawks weiter und trinkt noch einen Schluck. „So, wo waren wir? Du bist neu und dir gefiel meine Show. Wenn du Interesse hast, kann ich mal für dich allein tanzen. Wir haben hinten Kabinen, dann ist es ein bisschen privater. Kostet natürlich auch, aber ich denke, du hast genug Geld, hm?“

„Nein“, knurrt Enji zurück und sieht den jungen Mann nicht mehr an.

Dieser hebt eine Braue, mustert ihn irritiert.

„Soll ich dir dann Miruko vorstellen? Wenn du keinen Kerl willst…die Frau ist eine Wucht!“

„Ich will keinen von euch“, brummt Enji zurück und trinkt noch einen Schluck.

„Okay…“, kommt es langsam von Hawks. „Zwar ist das dann ein bisschen widersprüchlich, dass du hier bist, aber gut. Der Kunde ist König und so. Urgh…wie kannst du das nur trinken?“

Er hat gerade wieder an seinem Whiskey genippt, der anscheinend richtig scheußlich für ihn schmeckt. Banause.

„Du hast keine Ahnung“, meint er leise, woraufhin der Blonde schnaubt.

„Geschmack hat doch nichts damit zu tun.“

„Bist eben noch ein Kind.“

„Ich bin 22. Also komm mir nicht mit ‚wenn du älter bist‘ blabla…damit kommst du bei mir nicht weit, Mister…wie war noch dein Name?“

Enji hat ihm seinen Namen nicht genannt. Er hat es auch nicht vor. Er will nicht mal mit dem Kerl reden, aber der plappert einfach drauf los.

„Bist einer von der schweigsamen Sorte, hm? Der mysteriöse Kerl, auf den alle stehen…okay, du musst mir deinen Namen nicht verraten. Ich meine, ich versteh das. Dann such dir einfach einen aus. Denn, auch wenn du keinen Lapdance willst, bist du ja bestimmt nicht grundlos hier und ich hab gerade ein bisschen Zeit, also versuche ich mal etwas Licht in deine unterirdisch schlechte Laune zu bringen.“

Er wackelt dabei mit den Brauen und grinst ihn so frech an, dass es Enji die Sprache verschlägt. Die wenigsten trauen sich, in so einem Ton mit ihm zu reden. Selbst wer nicht um seinen Einfluss weiß, hat Respekt vor seiner Erscheinung. Dieser dreiste Stripper nicht.

Enji ist zu betrunken für weitere Wortgefechte, also schließt er kurz beherrscht die Augen und knurrt dann seine Antwort.

„Endeavor.“

Den Namen haben sich damals ein paar Spinner aus seiner Klasse einfallen lassen. Weil er immer so verbissen darum gekämpft hat, die Nummer 1 zu sein. Einige, so wie Toshinori, nennen ihn immer noch so.

„Endeavor-san also? Fein! Das gefällt mir! Passt irgendwie zu dir…auch wenn ich ja kaum was über dich weiß, aber wie gesagt, ich hab Zeit. Was liegt dir denn auf der Seele, Endeavor-san? Jaja, wir Stripper haben den Ruf, dass wir uns und die Brieftaschen unserer Kunden nackig machen, aber ich kann auch einfach nur zuhören!“
 

Enji fällt wieder auf, wie viel der Kerl redet. Wie ein Wasserfall. Unaufhörlich. Anscheinend ist da jemand sehr von sich überzeugt und sicherlich kommt das bei den meisten Kunden sehr gut an. Muss schmeichelhaft sein, wenn ein hübscher, junger Mann einem das Gefühl gibt, er würde sich um ihn bemühen. Enji weiß, dass es nicht so ist. Dass die Stripper einem das Gefühl geben müssen, etwas Besonderes zu sein. Das hier ist ein Job.

„Verschwinde“, knurrt er daher und nippt an seinem Glas.

Hawks fixiert ihn aus seinen eindrucksvollen Augen einen Moment still. Dann zuckt er mit den Schultern und nimmt ebenfalls einen Schluck von seinem Drink. Er muss sich wohl zusammenreißen, ihn nicht auszuspucken.

„Gott, ist das ekelhaft...“, murmelt er und zieht eine Grimasse.

Enji weiß nicht, ob er ihn damit provozieren will, aber der Kloß in seinem Hals zieht sich zu. Generell fühlt er sich hier ebenso unwohl wie zuhause. Er will nicht zurück, wird sich vermutlich irgendein Hotelzimmer nehmen. Aber auch davor graust es ihm. Deswegen ist er hergekommen. Um nicht mit sich allein zu sein. In Gesellschaft geht es ihm jedoch auch nicht besser. Schon gar nicht in solcher Gesellschaft.

„Ich mag süßen Wein. Und Sekt! Ohne Witz...oh, warte mal! Aizawa, gib mir mal die Cola!“

Enji stockt.

„Das tust du nicht...“, entkommt es ihm entrüstet.

„Wetten doch? Ich muss mich übergeben, wenn ich das Zeug noch weiter pur trinke...“

Enji funkelt den Blonden an, der herausfordernd zurücksieht.
 

Dann schraubt er doch tatsächlich die Cola auf, die Aizawa ihm kommentarlos reicht, und greift zum Glas. Er sieht ihn dabei die ganze Zeit an, auch als er das süße Zeug mit dem Whiskey mischt und einen Schluck davon trinkt.

„Hah...das ist viel besser. Übler Nachgeschmack, aber geht klar.“

Enji knirscht mit den Zähnen.

„Du bist doch nicht mehr ganz dicht...“

Vielleicht ist seine Reaktion überzogen, nur weil der Kerl den Whiskey verhunzt, aber...es regt ihn auf.

„Doch, doch, alles richtig da oben. Keine Sorge. So. Jetzt wo wir bei dem Whiskey-Problem auf keinen gemeinsamen Nenner kommen...über was diskutieren wir als nächstes?“

Er grinst ihn breit an, neigt dabei leicht den Kopf.

Enji will nicht mit ihm reden. Hat er das nicht deutlich genug gemacht? Doch der junge Mann ignoriert seinen bösen Blick und redet einfach weiter.

„Übrigens musst du kein schlechtes Gewissen haben, nur weil du dir hier ein paar schöne Stunden machst. Wir sind hier alle erwachsen. Wir tanzen. Ihr schaut zu. Nur gucken, nicht anfassen. Solange du dich daran hältst, ist alles im grünen Bereich.“

Enji sieht ihn gereizt an.

„Und warum hast du dich dann von den Frauen anfassen lassen? Tse...tu nicht so, als wäre das hier ein seriöser Job...“

„Die haben für die Show extra bezahlt. Ich war einverstanden. Kann jederzeit nein sagen, also brauchst du dir nicht unseren Kopf zerbrechen, Endeavor-san.“

Und dabei lächelt er ihn so lieblich charmant an, dass Enji erneut die Wut packt. Er ist oft wütend. Das gehört zu seinem Charakter. Dieser Kerl jedoch, der provoziert ihn auf einer ganz anderen Ebene. Er hält ihn zum Narren.
 

„Noch einen“, ranzt er den Barkeeper, der sich soeben von einem blonden Mann mit Dutt und Lederklamotten löst, an.

Enji merkt, dass seine Stimme dabei vibriert. Er hat wirklich zu viel getrunken, aber wen kümmert es schon? Aizawa blickt ihn aus seinen dunklen Augen skeptisch an, dann macht er ihm kommentarlos einen weiteren Drink. Etwas an seiner Art ist wie eine stille Warnung, es nicht zu übertreiben.

„Uff, du hast ja Mumm, so mit dem Typen zu sprechen, der dir ins Glas spucken könnte...“, meint Hawks freundlich und prostet ihm mit seinem vergewaltigten Getränk zu.

Er hat auch noch den Nerv, einen Strohhalm hinein zu stecken.

„Hast du dich nicht irgendwo auszuziehen?!“, zischt Enji ihn wütend an, woraufhin Hawks grinst.

„Wieso? Willst du jetzt doch ne Privatshow?“

„Nein, verdammt!!“

„Schade. Mir würde es Spaß machen, aber na ja...wo drückt denn der Schuh, Großer? Komm schon, ich kann schweigen wie ein Grab. Miese Ehe? Job verloren? Spielsucht?“

Vermutlich kommen hier ständig irgendwelche Versager vorbei, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen. Seit wann ist er einer von ihnen?

„Also den Ehering trägst du zumindest noch...“

Kann der Kerl nicht einfach seinen Schnabel halten? Es macht ihn wütend und gleichzeitig fühlt er sich, als würde er ertrinken. Ihm ist übel. Der Ring brennt an seinem Finger.

Er kippt den Whiskey herunter, als wäre er Wasser, und für kurze Zeit ist da nur das Brennen in seinem Hals.

„Oi...mach langsam, hm? Nicht, dass du noch überm Klo hängst. Das wäre ja echt ein mieser Ausgang.“

„Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß!“, herrscht er den jungen Mann aggressiv an und haut die Faust auf den Tisch.

Anscheinend ist er diesem dabei etwas zu nahe gekommen, hat sich zu weit vorgebeugt, denn dieser wirkt tatsächlich zum ersten Mal an diesem Abend erschrocken. Kein frecher Spruch mehr.

„Soll ich Kan rufen, Hawks?“

Aizawa ist wieder aufgetaucht und obwohl seine Stimme ruhig ist, liegt da etwas Warnendes in seinem Blick.

Hawks fasst sich bei der Frage, strafft die Schultern und winkt dann lässig ab.

„Ach was, nein. Ist ja nichts passiert. Nicht wahr, Großer? Du wirst doch nicht mein hübsches Gesicht beschädigen? Das ist mein Kapital!“

Er lacht dabei und scheint die angespannte Stimmung damit auflockern zu wollen. Enji fragt sich, warum er das tut, doch es wirkt, denn Aizawa wendet sich daraufhin wieder ab. Nicht ohne ein gebrummtes "Das war der letzte Drink".

„Dachte, dein Körper ist dein Kapital?“, überspielt Enji seinen Ausrutscher.

„Nun, egal, wo du mit deinen Pranken drauf haust, es schädigt das Geschäft“, zwitschert Hawks und grinst nun wieder.

Enji funkelt ihn an, dann blickt er in sein leeres Glas.

„...hatte ich nicht vor.“

„Dann ist ja alles paletti~!“

Enji weiß nicht, warum der Bengel nicht einfach verschwindet. Spätestens jetzt sollte dieser doch begreifen, dass er keine sonderlich angenehme Gesellschaft ist. Im Hintergrund läuft die Musik weiter und vermutlich zieht dieses Mädchen von zuvor gerade ihre Show ab. Es ist ihm egal. Irgendwie ist alles egal. Seine Gedanken, so sehr er sie auch verdrängen will, zermartern ihm den pochenden Kopf. Der Druck, der auf seiner Brust lastet, nimmt zu. Egal, wie viel er noch trinkt, es wird nichts ändern.
 

„Du siehst echt fertig aus, Großer. Hey Aizawa, gib mir mal bitte ne Flasche stilles Wasser.“

Hawks‘ Stimme klingt plötzlich weit entfernt und Enjis Sicht ist leicht verschwommen. Er fühlt sich nicht gut, was vielleicht an dem ganzen Whiskey liegt, den er heute schon getrunken hat. Viel gegessen hat er nicht und vermutlich haut das irgendwann sogar einen trinkfesten Kerl wie ihn um.

Er fährt sich mit der Hand über das Gesicht, das sich heiß anfühlt – vor allem an der Stelle, an der sich die Narbe befindet.

„Oi! Trink mal einen großen Schluck!“

Als er aufsieht, hält ihm der Blondschopf die geöffnete Wasserflasche unter die Nase. Er wirkt dabei nicht mehr so heiter wie vorher, sondern hat die Stirn in Falten gelegt. Ist er besorgt? Als ob. Immerhin kennen sie sich nicht. Vermutlich will er bloß verhindern, dass er sich über der Bar erbricht. Wird Enji nicht. So viel Selbstbeherrschung hat er noch. Dennoch nimmt er die Flasche und trinkt einen Schluck.

„Soll ich dir was zum Kühlen holen?“

Enji versteht nicht, was er meint.

„…hn?“

„Für dein Gesicht. Dachte, du hast vielleicht Schmerzen oder so“, erwidert Hawks ruhig und tippt sich an seine Wange.

Ach. Er meint die Narbe. Er hat sich an die skeptischen Blicke schon so sehr gewöhnt, dass es ihm kaum noch auffällt.

„…geht schon“, brummt er mit belegter Stimme und trinkt rasch noch einen Schluck.

„Na gut. Wenn du’s sagst. Ich rufe dir aber vielleicht doch besser ein Taxi, hm? Schlaf dich mal ordentlich aus! Meistens sieht die Welt dann schon ganz anders aus. Also…nachdem du den Kater überlebt hast, der dich morgen wahrscheinlich halb killen wird“, plappert Hawks mit seinem fragwürdigen Humor los.

Als Enji ihn nur finster ansieht, zückt er jedoch sein Handy und ordert ihm tatsächlich ein Taxi. Danach lächelt er ihn wieder so an, als könne er kein Wässerchen trüben. Als würde er nicht in einem fragwürdigen Outfit neben ihm sitzen. Halbnackt. In dem Stripclub, in dem er arbeitet. Und in dem Enji Kunde ist.

„Deswegen gebe ich mir nie so die Kante. Ich meine, hab’s ein paar Mal versucht – glaub, jeder hat schon mal seinen Kummer zu ersäufen versucht. Aber die Biester können schwimmen, Endeavor-san.“

Als ob er das nicht selbst weiß. Es lässt sich manchmal trotzdem nicht anders ertragen.

„Rede…nicht so klug daher…“, knurrt er ihn an, doch Hawks lächelt weiter.

„Wie auch immer. Das Taxi müsste gleich da sein. Sollen wir mal ein bisschen frische Luft schnappen?“, schlägt er ihm vor und springt enthusiastisch auf. „Hier drin ist es so heiß, da kann ich mich auch ein bisschen runterkühlen!“

Enji fragt sich, ob er ihn hier gerade auf freundliche Art und Weise herausschmeißt. Andererseits…will er hier überhaupt bleiben? Nein. Daher erhebt er sich, wobei er jedoch merklich wankt, sodass er gegen den Tresen kippt. Scheiße. Anscheinend hat er doch etwas übertrieben.

Bevor er sich dagegen wehren kann, ist Hawks schon an seiner Seite und legt sich seinen Arm einfach über die Schulter. Was zum…?!

„Lass das“, knirscht Enji feindselig, doch er traut sich nicht, ihn wegzustoßen.

Vermutlich fallen sie dann beide und er bricht ihm alle Knochen…

„Ach, jetzt hab dich nicht so! Komm schon, ich beiße nicht!“, wiegelt Hawks ab und stützt ihn weiterhin.

Es muss lächerlich aussehen. Definitiv. Enji ist ein Riese im Vergleich zu dem drahtigen Typen, doch dieser scheint mehr Kraft zu besitzen, als man meinen könnte. Kein Wunder. Wer sich so an eine Stange hängen kann, ohne auf dem Hintern zu landen…

„Bin gleich wieder da“, wendet sich der Blonde kurz an Aizawa, der misstrauisch wirkt.

„Kan ist draußen“, sagt er nur und Enji vermutet, dass das eher an ihn gerichtet ist.

Ist Kan der grimmige Türsteher? Er erfährt es nicht, denn Hawks zwinkert bloß, ehe er ihn hinausbegleitet. Vorbei an von grellen Lichtern beleuchteten Stangen und halbnackten Körpern sowie geifernden Kerlen und kreischenden Weibern. Enji gehört nicht hierher.
 

Tatsächlich tut ihm die kühle Nachtluft gut, auch wenn er sich an die Häuserwand lehnen muss, um sein Gleichgewicht zu behalten. Die Flasche hat er beinahe leer getrunken, doch ihm ist noch immer schwindelig. Wenigstens hat das Brennen etwas aufgehört.

Hawks steht neben ihm, die Hände in den Hosentaschen vergraben und zu einem Punkt in der Ferne blickend. Er trägt jetzt eine braune Jacke mit Pelzbesatz, die Kan ihm vorhin nach draußen gebracht hat, damit er nicht friert. Offenbar kümmern sich die Angestellten hier umeinander. Er versteht nur nicht, warum Hawks sich um ihn kümmert.

„Ich nehme an, du hast genug Geld dabei?“, hakt dieser nach. „Ich könnte dir sonst was leihen – aber irgendwie bekomme ich das Gefühl nicht los, dass dich das beleidigen würde. Nicht, dass du mich doch noch verkloppst, Großer.“

Enji fühlt sich schlecht bei den Worten. Vermutlich hat er diesen Eindruck zuvor wirklich erweckt.

„Nein“, brummt er und sieht ihn nicht mehr an.

„War nur ein Scherz. Mach dir keinen Kopf. Wir sind alle mal mies drauf, also kein Ding. Tu mir nur einen Gefallen und geh zuhause direkt schlafen. Wer weiß, wo du sonst noch landest, hm?“

„…bin alt genug“, grollt Enji, denn jetzt fühlt er sich beleidigt.

Hawks lacht leise, wohl auch, weil er eine Spur zu trotzig dabei geklungen hat.

„Schon gut. Schau mal, da kommt das Taxi!“, ruft er dann und hebt die Hand, um dem Fahrer zu bedeuten, bei ihnen zu halten.

Enji löst sich von der Wand in seinem Rücken, während Hawks schon den Kopf durch die offene Scheibe gesteckt hat und den Fahrer vollplappert.

„…und bringen Sie ihn hoch, ja? Er hat ein bisschen viel getrunken – aber keine Sorge, er muss nicht kotzen. Falls doch, wird er die Reinigung bezahlen, ich versprech‘s! Er ist ein Ehrenmann, haha.“

Kann der blöde Kerl nicht einfach mal seinen Mund halten? Da Enji jedoch übel ist und ins Bett will, äußert er sich nicht dazu, sondern steigt kommentarlos ins Taxi.

„So, komm gut nach Hause und pass auf dich auf, Endeavor-san!“, quatscht Hawks ihn voll, ohne seinen Kopf aus dem Auto zu nehmen. „Das nächste Mal trinkst du vielleicht ein bisschen weniger und bist empfänglicher für einen Lapdance?“

Er grinst dabei breit, doch Enji verengt bloß die Augen.

„Sicher nicht.“

„Wer weiß, wer weiß…“, erwidert Hawks verschmitzt, zwinkert ihm zu und zieht endlich den Kopf aus dem Taxi. „Man sieht sich! Gute Fahrt!“

Enji nennt dem Fahrer stur seine Adresse und ignoriert das Winken des blonden Strippers. Er wirft keinen Blick zurück, als sich der Wagen in Bewegung setzt, sondern legt den Kopf in den Nacken und schließt die Augen.

Was für ein verrückter Abend.

Und was für ein seltsamer Vogel…

Sorry

Als Enji wach wird, ist ihm übel und sein Kopf pocht unangenehm. Er stöhnt rau, während er mit dem Gesicht in den Kissen liegt und so dem Sonnenlicht wenigstens teilweise entkommt. Offenbar hat er sich nicht mal ausgezogen, denn sein Körper fühlt sich durch den Anzug steif und unbeweglich an. Immerhin hat er sich nicht übergeben...und keinen Filmriss. Bloß die letzten Minuten bei seiner Ankunft sind etwas verschwommen.

Vielleicht wäre ein Filmriss diesmal sogar ein Segen. Dann würde er sich nicht daran erinnern müssen, dass er gestern in einem Stripclub gewesen ist. Es ist jetzt, als er weitgehend nüchtern ist, noch unangenehmer. Er schämt sich dafür. Auch dafür, wie er sich diesem blonden Typen gegenüber verhalten hat. Wie ist noch gleich sein Name gewesen? Hawks.

Enji stemmt seinen massigen Körper von der Matratze und setzt sich auf, ehe er den Blick benommen durch das Schlafzimmer schweifen lässt. Selbst nach einem Monat fühlt es sich noch fremd an. Das kleine Apartment, das er gemietet hat. Es ist pragmatisch eingerichtet, bloß das Nötigste. Kaum Dekoration, keine Fotos. Bisher hat er kein Verlangen danach verspürt, sich hier häuslich einzurichten. Zumal Enji beengte Räumlichkeiten wie diese hasst, denn er ist es nicht gewöhnt. Geld war nie ein Problem. Ist es auch jetzt nicht…aber er kann nicht mehr zurück in das Haus, in dem er Jahrzehnte gelebt hat. Die Erinnerung lässt den schalen Geschmack in seinem Mund wieder schlimmer werden, sodass er es wie immer macht. Er verdrängt.

Er steht auf und geht in Richtung Bad, um eine Dusche zu nehmen, die er dringend braucht. Das heiße Wasser entspannt seine Muskeln, die er viel zu deutlich fühlt. Er wird alt, wird es ihm mit Bitterkeit klar. Vermutlich sollte er mal wieder trainieren gehen, doch allein das tägliche Joggen vor der Arbeit ist eine Herausforderung. Unter Menschen zu gehen, ist nicht mehr so leicht, wie es mal war. In allen Bereichen seines Lebens.
 

Nachdem er sich abgetrocknet und die Zähne geputzt hat, setzt er sich in Jogginghose und Muskelshirt wieder auf das Bett. Eher widerwillig greift er nach seinem Handy und knurrt genervt, als er die zehn verpassten Anrufe auf dem Display erkennt. Noch penetranter geht’s wohl nicht. Er drückt die Anrufliste weg und schreibt eine kurze Nachricht, dass alles in Ordnung ist und er seine Ruhe will. Es dauert keine zwei Minuten, bis er eine Antwort bekommt. Er überfliegt den Text mit den Smileys und Daumen hoch, bevor er das Handy wieder weglegt.

Tief atmet er durch und starrt finster die weiße Wand an, die genauso leer ist, wie er sich innerlich fühlt. Wenn Shouto, Natsuo oder Fuyumi ihm mal so penetrante Nachrichten schreiben würden, doch keines seiner Kinder meldet sich bei ihm…und Enji hat nicht den Mut dazu. Er weiß nicht, ob er ihnen jemals wieder unter die Augen treten kann. Nicht seit…

Enji fährt sich über das Gesicht, das feucht ist, da seine Haare noch tropfen. Obwohl ihm übel ist, ist der Gedanke an die Flasche Whiskey, die er im Schrank stehen hat, verlockend. Er belehrt sich selbst eines Besseren und greift zur Wasserflasche neben dem Bett – die wie erwartet schon abgestanden ist. Er würgt die Flüssigkeit trotzdem herunter und atmet erneut durch, versucht, sich zu sammeln.

Heute ist Sonntag. Am nächsten Tag muss er wieder ins Büro. Er sollte ins Büro. Es ist seine Firma. Das, was er sich sein Leben lang aufgebaut hat. Früher hat er jeden Tag dort verbracht, doch mittlerweile muss er sich dazu zwingen. Er kann ihre Blicke nicht ertragen, die unausgesprochenen Fragen in ihren Gesichtern. Es erinnert ihn an all das, was er verdrängen will und nicht kann.
 

Apropos verdrängen…er muss wieder an den gestrigen Abend denken. Was zur Hölle hat er sich nur dabei gedacht, diesen Club aufzusuchen? Was hat er sich davon erhofft? Nicht allein zu sein? Die Erkenntnis ist noch niederschmetternder, als wenn er es nur auf den Alkohol schieben würde. Gut, sein Zustand ist daran nicht unschuldig gewesen, aber dennoch empfindet er es als beschämend.

Er ist kein Mann, der sich an jungen Mädchen oder Kerlen…nein, das hat er nicht nötig. Sollte er nicht nötig haben und dennoch…ist er hingegangen. Armselig.

Enji erinnert sich nicht mehr an jeden Wortlaut, aber dieser Typ…Hawks…hat ihn provoziert. Mit lächerlichem Zeug, das es nicht wert ist, laut zu werden. Genau genommen hätte Enji nicht aus der Haut fahren dürfen. Er ist älter und hätte sich entsprechend benehmen müssen. Stattdessen hat er einen Typen, der vom Alter her sein Sohn sein könnte, bedroht und angeschnauzt. Schäbiger ist es wohl kaum möglich. Vor allem, nachdem der Kerl ihm ein Taxi gerufen und ihn noch mit hinausgebracht hat. Er hätte ihn auch hinausschmeißen lassen können.

Enji stöhnt leise, als er zu dem Schluss kommt, dass er sich entschuldigen sollte. Er will nicht eins von diesen Arschlöchern sein, die er verabscheut. Nicht noch mehr, als er es schon ist. Immerhin will er sich ändern – auch wenn das kaum noch Sinn für ihn macht. Trotzdem, er will das bereinigen, auch wenn Hawks ein Fremder ist, den er so niemals wiedersehen wird. Er hat nicht vor, den Club noch mal zu betreten.

Enji wird hingehen, nach ihm fragen, sich entschuldigen und dann verschwinden. Vielleicht legt er noch ein Trinkgeld hin. Für die Gesellschaft. Auch wenn ihm das falsch vorkommt, so als würde er ihn für…Dienste bezahlen. Enji schaudert merklich und schüttelt daraufhin den Kopf. Gott, nein! Danach ist die Sache jedenfalls für ihn abgeschlossen.
 

Enji versucht es am Dienstag, weil Dienstage sowieso zu den schlimmsten Tagen der Woche zählen. Dann ist er wenigstens vorbereitet. Allerdings arbeitet Hawks dienstags nicht, wie ihm der bullige Türsteher ruppig mitteilt. Hat sich der Kerl sein Gesicht gemerkt oder ist er von Natur aus so schlecht gelaunt? Jedenfalls wird ihm mitgeteilt, dass er es am Freitag oder Samstag wieder versuchen soll. Es ist schon unangenehm genug, ein weiteres Mal den Club aufzusuchen, und nun muss er es ein drittes Mal tun. Es lässt ihn überlegen, ob er die Sache überhaupt bereinigen muss, schließlich ist der blonde Kerl ein Stripper. Der hat bestimmt schon unangenehmere Begegnungen gehabt als ihn.

Allerdings kann er sich die ganze Woche nicht wirklich mit dem Gedanken entspannen. Das Gefühl, Hawks etwas zu schulden, verschwindet einfach nicht, weswegen er am Samstagabend spät wiederkommt und sich erneut nach dem jungen Mann erkundigt.

„Geh rein und sprich mit ihm oder bleib draußen und verpiss dich!“, knurrt der bullige Kerl ihn an und macht damit deutlich, dass er ihn nicht herausholen wird.

Na gut, zugegeben, vermutlich erweckt sein Wunsch den falschen Eindruck. Als wäre er so ein kranker Perverser, der darauf aus ist, Hawks etwas anzutun. Da er sich den Stress (und eine Schlägerei) ersparen will, gibt er nach und überwindet sich, den Club zu betreten. Laute Musik und Rotlicht wie beim letzten Mal lassen die verruchte Atmosphäre auf ihn einprasseln. Schnurstracks geht er direkt auf die Bar zu, wobei er nur flüchtig zu den tanzenden Frauen und Männern sieht. Hawks kann er allerdings nicht entdecken.

Aizawas finstere Miene fühlt sich auf eine skurrile Weise fast schon vertraut an, als er sich setzt. Enji räuspert sich, woraufhin dieser ihn fixiert.

„Wo finde ich Hawks?“

„Ihnen auch einen guten Abend“, erwidert der Barkeeper monoton. „Tanzt gerade privat. Danach holt er sich vermutlich einen Drink.“

Also ist es das Beste, wenn er hier auf ihn wartet. Jedenfalls entnimmt er das der knappen Konversation.

„Whiskey ohne Eis. Bitte“, fügt er noch an, da er die gehobene Braue bemerkt.

„Wenn Sie sich diesmal besser im Griff haben“, kommentiert Aizawa seine Bestellung, greift aber dabei zur Flasche, um ihm einzugießen.

Derselbe Whiskey wie letztens. Seinetwegen.

„Keine Sorge“, gibt Enji knapp zurück, auch wenn er das irgendwie ziemlich frech findet.

Ja, er hat sich nicht gerade vorbildlich benommen, aber dennoch ist er hier Gast. Mehr oder minder. Er legt das Geld auf den Tresen, nimmt das Glas an und nippt an der goldenen Flüssigkeit. Sein erster Tropfen Alkohol heute und er macht den Tag direkt erträglicher.

Als Geschäftsführer hat er wenigstens weitgehend Privatsphäre in seinem Büro gehabt, sodass er die Dokumentenstapel immerhin in Ruhe hat abarbeiten können. Nächste Woche stehen Meetings mit neuen potenziellen Kunden an, die die Einbußen der letzten Monate vielleicht ausgleichen können. Er muss sich bis dahin besser in den Griff kriegen. Wenn er schon in allen anderen Lebenslagen versagt hat, darf er das nicht noch in seiner Firma.
 

Es dauert noch eine Weile, bis Hawks schließlich kommt. Solange muss er der Unterhaltung eines Hünen, der einen Minirock trägt, und einer Blondine in weißen Kniestrümpfen ertragen. Beide haben zu viel Glitzer im Gesicht und reden zu laut, als dass er sie überhören könnte.

„…ernsthaft, es ist wirklich nicht leicht, heutzutage einen vernünftigen Mann zu finden, Tiger“, jammert die Blondine.

Enji fragt sich, was vernünftig heißt, so wie sie da in ihrem leicht bekleideten Fummel steht und sich an die Bar lehnt. Allerdings wird er den Teufel tun und sich da einmischen.

„Ach was, mach dir keine Sorgen. Manchmal dauert es, bis der Richtige vorbeikommt“, ermutigt sie der Hüne und zupft seinen BH unter dem Netzshirt zurecht.

„Ich werde ja auch nicht jünger, weißt du“, mault sie und klemmt sich den Strohhalm ihres Drinks zwischen die Lippen.

„Oi! Du schon wieder!“, unterbricht eine vertraute Stimme die beiden anderen und Enji sieht auf. „Dachte ich’s mir doch, dass ich das breite Kreuz und die roten Haare kenne! Konntest mich wohl nicht vergessen und bist für einen Lapdance zurückgekommen, was?“

Enji starrt ihn für ein paar Sekunden nur an, weiß nicht, was er sagen soll. Dann beginnt die Ader an seiner Schläfe zu pulsieren.

„Dafür bin ich bestimmt nicht hier!!“, blafft er den Jüngeren an, welcher schief grinsend die Hände hebt.

„Ist ja gut, brauchst mich nicht gleich anzuschreien. Ich mach doch nur etwas Spaß, Großer…oder flirte mit dir, was dir besser gefällt.“

Hawks zwinkert ihm zu, wobei sein Lächeln etwas breiter wird. Eigentlich ist Enji hier, um sich zu entschuldigen, doch der Bengel macht ihm das nicht unbedingt leicht. Flirten. Er mit ihm. Das ist doch…er fasst sich – auch weil Aizawa ihn mit seinem Blick wohl zu töten versucht.

„Gar nichts davon. Setz dich.“

„Oh? Ach so einer bist du. Keiner soll wissen, dass du auf junge Kerle stehst, ja? Kein Problem, wir können gern so tun, als ob ich-“

„Nein, verdammt! Darum geht es doch gar nicht! Setz dich endlich und sei still!“

Und schon wieder hat er ihn angefahren, obwohl er es nicht möchte. Der Kerl provoziert ihn aber auch mit Absicht. Dieser lächelt immer noch, als er tut, was er ihm sagt und sich zu ihm setzt. Erwartungsvoll, aber immerhin still blickt er ihn an und Enji sieht ihn zum ersten Mal richtig an. Anscheinend ist das Polizei-Outfit sein Ding, denn er trägt es schon wieder, und das Hemd steht offen.

„Ich…wegen letztens, an dem Abend, ich…ich hätte dich nicht…wie ich mich verhalten habe, das war falsch“, zwingt er sich zu sagen und der andere hebt seine buschigen Augenbrauen.

„Oh…deswegen bist du hier? Ehrlich?“, entkommt es ihm verdutzt. „Ich meine…wow. Okay. Das…ist irgendwie nicht das, was ich erwartet habe. Ist ein feiner Zug von dir.“

„Ja, ich…wie gesagt, es war falsch. Danke, dass du mich rausgebracht und mir ein Taxi gerufen hast. Das hättest du nicht tun müssen.“

Enji blickt ihn ernst an und scheinbar hat er den Jüngeren sprachlos gemacht, denn dieser blinzelt und sucht wohl nach Worten. Sie kennen sich nicht gut, aber Enji hat das Gefühl, dass sowas selten vorkommt.
 

„Ach…keine Ursache. Wirklich nicht. Dir ging es ja offensichtlich nicht gut und ich wollte sichergehen, dass du heil nach Hause kommst. Bist du doch, oder?“

„Ja. Bin ich. Deswegen…danke. Und…ich glaube, ich schulde dir was. Für den Abend. Du hast mit mir keinen…also…keinen…“

„Umsatz gemacht?“, hilft Hawks ihm weiter, als Enji strauchelt. „Hey, schon okay. Ich mache genug Geld und ist ja auch nicht so, als sei die Unterhaltung mit dir eine Qual gewesen. Ich hab Spaß daran gehabt, dich ein bisschen zu triezen. So bin ich halt. Ich rede mehr, als gut für mich ist.“

Dabei zwinkert er ihm ein weiteres Mal zu, doch etwas in seinem Blick will nicht dazu passen. Enji verdrängt den Gedanken und holt sein Portemonnaie hervor.

„Ja, ich meine…trotzdem. Ich will mich dafür revanchieren. Also sag mir, was mich…eine Stunde deiner Zeit kostet. Von mir aus auch zwei.“

Irgendwie klingt das vollkommen falsch. Als hätte dieser ihm wirklich irgendwelche unzüchtigen Dienste angeboten. Enji sieht ihn nicht an, während auf die Antwort wartet, die nicht sofort kommt. Hawks kann sich unmöglich davon beleidigt fühlen, oder? Immerhin tanzt er für Geld. Er zieht sich für Geld aus. Hinter ihm klatschen und pfeifen ein paar Kerle, weil eine der Damen noch etwas mehr die Hüllen fallen lässt.

„Weißt du was? Ich hab ne bessere Idee“, kommt es schließlich enthusiastischer von Hawks. „Hier um die Ecke ist ein McDonalds. Lade mich doch nach meiner Schicht zu einer Portion Chicken Wings ein?“

Enji fragt sich innerlich, ob der junge Mann ihn verarschen will. Das will er? Zu McDonalds eingeladen werden?

„Ist das ein Scherz?“, brummt er missgelaunt, denn dafür ist er nicht in der Stimmung.

„Nö. Ich esse gern Chicken Wings. Noch besser sind Yakitori, aber das Restaurant ist zu weit weg. Deswegen geht Mc’es schon klar für mich“, plaudert Hawks locker weiter.

Enji stellt sich vor, wie er in seinem guten Anzug mit einem Stripper in Polizeiuniform an einem dieser Plastiktische sitzt und Fast Food in sich hineinschaufelt. Ist Hawks doch sauer auf ihn und will es ihm heimzahlen? Falls ja, hat er es wohl verdient, doch er spricht es nicht aus. In dieser Ecke der Stadt treibt sich sowieso keiner seiner Kollegen oder Kunden herum…und falls doch, sind die ihm ebenso eine Erklärung schuldig.

„Wie lange dauert deine Schicht?“, fragt er daher bloß.

„Ich habe gleich noch zwei Shows. Dann mal sehen, wer noch nen Lapdance bucht, und das war’s dann. Ein, zwei Stunden noch. Kannst du so lange auf mich warten?“

Enji könnte. Ist nicht so, dass jemand auf ihn warten würde. Die Frage ist eher, ob er so lange in diesem Club bleiben will, weswegen er zögert.

„Du kannst dir natürlich auch einen Lapdance von mir-“

„Ich warte“, unterbricht er ihn ruppig und trinkt noch einen Schluck Whiskey.

„Cool!“, freut sich Hawks und grinst ihn zufrieden an. „Also dann, ich muss wieder. Sieh mir zu und feuere mich an, ja?“

Enji kommentiert das nicht, sieht ihm auch nicht nach, sondern ordert noch einen Drink bei Aizawa. Eine Cola. Schließlich muss er noch fahren.
 

Im Laufe des Abends versucht es auch die dunkelhäutige Stripperin mit den hellen Haaren bei ihm, die heute ein Hasenkostüm mit Body und Netzstrümpfen trägt. Enji weist sie höflich ab, was sie schließlich beleidigt akzeptiert und es beim nächsten Gast versucht. Da muss sie jedenfalls nicht lange bitten, hat den jungen Kerl direkt an der Angel. Im Allgemeinen hat er sich solche Clubs noch viel niveauloser vorgestellt, aber die meisten der Frauen und Männer hier scheinen ein ganz gutes Selbstbewusstsein zu haben.

Und Hawks ist, was das angeht, der Schlimmste von ihnen, so wie er sich bewegt und dabei mit seinem bloßen Blick flirtet. Er ist jung, gut aussehend, hat einen trainierten Körper – und er weiß das. Enji fragt sich, wie er auf diesen Job gekommen ist. So schlagfertig, wie er ist, scheint er nicht auf den Mund gefallen zu sein. Sicher stünden ihm noch mehr Alternativen zur Verfügung, als sich in diesem Club für Geld auszuziehen.

Enji feuert ihn nicht an. Auch nicht beim zweiten Mal. Er sieht nur gelegentlich hin, will nicht wie einer dieser Gaffer wirken. Dann verschwindet der junge Mann für eine Weile und Enji nimmt an, dass er in den Separees ist. Es sind heute wieder zwei Junggesellenabschiede dabei, von daher wird er wohl mit der zukünftigen Braut zu tun haben. Oder mit dem dreckig grinsenden Kerl, der in Enjis Alter sein muss und der einen Narren an Hawks gefressen zu haben scheint. Beide kann er nämlich nicht mehr entdecken.

Es dauert über eine halbe Stunde, bis Hawks wieder zu ihm kommt. Seine blonden Haare wirken noch etwas feucht und er trägt sein Polizei-Outfit nicht mehr. Ist er duschen gewesen? In den lockeren, schwarzen Jeans, Sneakers und dem weiten, dunkelblauen Hoodie sieht er fast schon zu normal aus. Befremdlich jedenfalls. Er schultert seinen Rucksack, an dem Buttons von irgendwelchen Animes stecken, und lächelt ihn mit schief gelegtem Kopf an.

„Können wir?“

Bevor Enji etwas sagen kann, räuspert sich Aizawa hinter ihm vernehmlich. Der Blick des Barkeepers ist stechend, wirkt wie eine Warnung.

„Ach ja. Aizawa hat ein ziemlich gutes Gedächtnis. Und Kan hat sich dein Kennzeichen notiert. Falls ich spurlos verschwinde, werden sie dich finden und dir alle Knochen brechen. Hab ich was vergessen?“

Hawks strahlt erst ihn und danach Aizawa an, der leise schnaubt.

„Nein. Passt so.“

„…du willst mit mir weggehen“, kommt es entrüstet von Enji. „Das war nicht mein Vorschlag.“

„Hey, ich stehe ja auch dazu. Sichere mich nur ab, Großer, also bleib cool!“, zwitschert Hawks gut gelaunt und winkt ihn mit sich Richtung Ausgang. „Bis dann, Aizawa~!“

„Bis dann.“

Enji hat immer noch das Gefühl, als würde ihn der Kerl gleich von hinten erdolchen, aber er ignoriert es und folgt Hawks.
 

Tatsächlich ist der McDonalds nur etwa fünf Minuten zu Fuß entfernt und die Straßen voller Leute, sodass es, selbst wenn er es vorhätte, schwer sein würde, Hawks unbemerkt zu entführen. Eine weitere Absicherung. Der junge Mann denkt mit, was er wohl auch muss, wenn er in dem Bereich arbeitet.

Während sie nebeneinander herlaufen, sind sie recht still, aber na ja, sie sind auch Fremde. Enji begleicht seine Schuld. Mit einer Portion Chicken Wings. Das glaubt ihm doch hinterher keiner.

„Also, ich hab’s mir überlegt“, kommt es von Hawks, als sie sich in den recht vollen Imbiss quetschen und anstellen. „Ich nehme ein McMenü mit McChicken, Pommes mit Mayo und eine Cola dazu. Dann noch Nuggets und die Wings, je einmal. Ich glaub, das war’s…Nachtisch kann ich mir ja hinterher aussuchen.“

Enji blickt ihn einen Moment still an.

„…und wo willst du das hinstecken?“, fragt er dann schroff, woraufhin Hawks grinst.

„Ich schaff das schon, keine Sorge. So, ich such uns mal einen Platz. Vergiss ja nichts von dem Zeug, klar? Bis gleich!“

Und damit lässt er ihn stehen und wuselt in Richtung der Tische, wo er wie ein Raubvogel auf der Lauer wartet, dass einer der Gäste aufsteht. Der Typ hat wirklich einen Knall.

Als Enji sein volles Tablett durch die Menge bugsiert, sieht er Hawks auffällig winken – und tatsächlich hat er sich einen freien Tisch unter den Nagel gerissen. Er stellt das Fast Food vor diesem ab und setzt sich ihm gegenüber.

„Das sieht gut aus! Danke! Aber reicht dir das? Hamburger und Pommes?“

„Hab keinen großen Hunger“, erwidert Enji knapp und fragt sich immer noch, was er hier eigentlich tut.

„Oh, okay. Na dann sag ich mal guten Appetit, was?“

Enji sieht ihm dabei zu, wie er seinen Burger auswickelt und genüsslich hineinbeißt. Reicht wohl, um ihn glücklich zu machen.

„Wenn das reicht, um dich zu entschädigen, bist du billig“, meint er schließlich, woraufhin Hawks schmunzelt.

„Autsch. Vorsicht, sonst verletzt du noch meine Gefühle, Endeavor-san.“

Er schiebt sich eine Pommes in den Mund, nachdem er sie in die Mayonnaise gestippt hat.

„Ah ja…“

„Dabei wollte ich bloß nett zu dir sein.“

„…das heißt?“, knurrt Enji genervt von seinem Gerede zurück.

Hawks greift zur Cola, nimmt den Strohhalm zwischen die Lippen und einen großen, geräuschvollen Schluck, ehe er das Getränk wieder absetzt.
 

„Heißt, dass du ein sehr seltsamer Typ bist, der in einen Stripclub kommt, ohne uns Strippern wirklich zusehen zu wollen. Du trinkst einen über den Durst und kommst ernsthaft zurück, um dich zu entschuldigen, weil du mich ein bisschen angemotzt hast und ich dir trotzdem ein Taxi gerufen hab. Ich meine, komm schon. Mir haben schon Leute zwischen die Beine gefasst und mich aufs Übelste beleidigt, Männer wie Frauen. Nicht alle behandeln einen mit Respekt – und die haben sich bestimmt nicht dafür entschuldigt…oder mich entschädigt. Durch den Job lernt man ne Menge unterschiedlicher Leute kennen, aber dich kann ich in gar keine Schublade stecken.“

Enji weiß nicht, was er darauf erwidern soll. Ist ja nicht so, als hätte er herkommen müssen, aber es ist halt einfach richtig gewesen. Weil er sich schlecht deswegen gefühlt hat. Weil er nicht so sein will.

„Müsste ich raten, würde ich sagen, dass du ne ziemlich beschissene Zeit durchmachst. Und vielleicht hört dir keiner zu oder es ist dir unangenehm, darüber zu sprechen. Deswegen biete ich dir das jetzt statt dem Lapdance an…während wir leckere Burger futtern!“

Dabei lächelt er wieder und beißt erneut in seinen Burger, wenn er ihn auch auffordernd ansieht. Enji ist sprachlos. Er weiß nicht, wie er sich bei dieser Anmaßung fühlen soll. Wütend? Erniedrigt? Jedenfalls nicht erleichtert oder glücklich, so wie dieser Drecksbengel es vielleicht erwartet.

Dessen Lächeln macht ihn aggressiv und seine Hände zittern, sodass er sie zu Fäusten ballen muss. Was glaubt der Kerl eigentlich, wer er ist? Seine Gedanken rasen ebenso wie sein Puls, sein Hals wird eng und er fühlt sich, als würde er gleich ersticken. Was für ein erbärmliches Bild muss er abgeben, dass irgendein verdammter Stripper so viel Mitleid mit ihm hat, dass er sich genötigt fühlt, mit ihm gemeinsam zu essen?

„Hey…ist alles in-“

Enji weiß nicht, wie er sich beruhigen soll. Es geht nicht. Er schmettert seine Faust mit so viel Wucht auf den Tisch, dass das Tablett dadurch von diesem geschleudert wird. Nuggets und Pommes verteilen sich auf dem Boden und alle starren zu ihnen herüber.

Hawks sieht ihn erschrocken an, hat mit dem Ausbruch wohl nicht gerechnet und zwischen all der Wut und Scham…erschreckt es Enji selbst. Es ist seine Schuld. Immer ist es seine verdammte Schuld, weil er einfach nicht aus seiner Haut kann.

Die Blicke der Menschen um ihn herum und das Getuschel sind zu viel für ihn, sodass er ruckartig aufsteht. Er holt sein Portemonnaie erneut heraus und kramt einige Scheine heraus, genug Geld, um sich nicht mehr schuldig fühlen zu müssen. Zumindest dafür nicht.

Sein Herz rast und sein Puls dröhnt in seinen Ohren, als er das Geld auf den Tisch knallt. Hawks öffnet den Mund, um etwas zu sagen, doch Enji will es nicht hören. Vielleicht kann er es auch nicht hören. Das Dröhnen wird zu einem schrillen Piepen und der Schweiß bricht ihm aus.

Er muss hier heraus, bevor er erstickt.

Die Masse an Menschen, die ihn auch draußen erwartet, als er hinausstürmt, erschlägt ihn fast. Wo ist sein Auto? Wo hat er geparkt? Sein Kopf fühlt sich heiß an und er kann keinen klaren Gedanken fassen. Einatmen, ausatmen. Er muss sich beruhigen.

Taumelnd nimmt er den Weg durch die Straßen, wobei ihm so übel ist, dass er nicht sicher ist, ob er sich nicht übergeben muss. Doch er muss das schaffen. Wenigstens das muss er hinkriegen. Irgendwie nach Hause kommen. Es ist noch nie so schwer gewesen.

Reward

Die nächsten zwei Tage sind nicht einfach für Enji. Es fällt ihm schwer, sich einzugestehen, dass er wohl eine Art Panikattacke gehabt hat. Für ihn ist das ein Armutszeugnis. Ebenso wie die Tatsache, dass seine Entschuldigung nur dazu geführt hat, dass er sich noch schlimmer benommen hat. Sein Ausbruch ist ihm peinlich und er ist froh, dass er dem jungen Mann wenigstens noch Geld hinterlassen hat, so schäbig das auch wirken mag. So muss er jedenfalls nicht noch einmal dorthin, denn Enji glaubt nicht, dass er das über sich bringen kann.

Der erschrockene Blick will ihm nicht aus dem Kopf gehen. Eigentlich hat Enji das alles hinter sich lassen wollen. Besser sein wollen. Er scheitert jedes Mal und fühlt sich hinterher wie das Letzte.

Den Sonntag verbringt er im Bett. Mit Whiskey und irgendwelchen Filmen, die nicht die gewünschte Ablenkung bringen. Und mit Zigaretten. Ein altes Laster, das in extremen Stresssituationen hochkommt und dem er nachgibt, um runterzukommen. Er raucht nicht viele. Zwei noch in derselben Nacht und zwei am nächsten Tag. Den Rest schmeißt er weg, in der Hoffnung, dass es damit dann auch gut ist. Es reicht schon, dass er zurzeit zu viel trinkt, da muss er nicht wieder zu rauchen anfangen.

Irgendwann gegen Nachmittag fällt ihm auf, dass er sein Handy nicht finden kann. Es ist sein Privathandy, doch die meisten Nummern hat er ebenso in seinem Firmenhandy gespeichert, von daher ist der Verlust nicht besonders groß. Außer einer gewissen Nervensäge wird ihm sowieso niemand schreiben. Falls er es im Club hat liegen lassen, wird er einen Teufel tun und erneut dort auftauchen. Und wenn er es bei McDonalds verloren hat, wird es sowieso jemand mitgenommen haben, um es wahrscheinlich bei Ebay zu verkaufen. Nein. Das ist die Mühe nicht wert. Er wird sich einfach ein neues Handy bestellen.

Am Montag ist er wieder im Büro. Anzug statt Jogginghose. Fassung anstelle des Selbstmitleids. Auch wenn seine Skandale für alle öffentlich einsehbar sind, will er ihnen nicht auch noch einen persönlichen Einblick geben. Die meisten seiner Angestellten haben jedoch genügend Respekt – oder Angst um ihren Job –, um das Getuschel in seiner Gegenwart zu unterlassen. Was sie hinter seinem Rücken reden, kann er nicht verhindern – auch wenn es sich seine Assistentin Kamiji zur Aufgabe gemacht hat, die Leute auseinanderzutreiben, sobald ihr etwas davon zu Ohren kommt. Nun, wenigstens ein paar seiner Leute sind loyal.

Das Meeting verläuft weitgehend zu seinen Gunsten. Die Verhandlungen ziehen sich zwar, aber im Endeffekt hat er die Oberhand. Es fühlt sich gut an, zumindest nicht auch noch beruflich zu versagen. Er muss sich an die wenigen positiven Aspekte seines Lebens klammern.

Vermutlich sollte sich Enji einen Psychologen suchen. Er weiß das. Überwinden kann er sich trotzdem nicht. Er ist kein Mensch, der über seine Gefühle redet. Er kann keinem wildfremden Menschen seine Lebensgeschichte erzählen und sich dabei gehen lassen. Etwas in ihm weigert sich, diese Option auch nur in Erwägung zu ziehen. Er hat immer alles auf eigene Faust erreicht. Das hier wird er auch packen. Er braucht nur Zeit.

Unweigerlich fragt er sich, ob eines seiner Kinder vielleicht zurückgeschrieben hat. Falls ja, wird er es nicht erfahren, weil sein Handy weg ist. Vielleicht ist es ein Fehler gewesen, es abzuschreiben, aber das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Wahrscheinlich schreibt sowieso keiner. Der Gedanke ist deprimierend sowie ernüchternd.
 

Als er ein paar Stunden später seinen Wagen vor dem Wohnblock parkt, ist es bereits dunkel. Enji ist froh darüber, dass er den Tag weitgehend mit Arbeit herumbekommen hat. Es ist ein eintöniger Ablauf, aber mittlerweile hat er sich daran gewöhnt. Manchmal erwischt er sich bei der Überlegung, ob er sich ein Haustier anschaffen soll. Etwas, das sich auch um sich selbst kümmern kann, wenn er arbeiten ist. Um der Monotonie des Alltags entgegen zu wirken…und um nicht völlig allein zu sein. Vielleicht eine Katze. Enji ist zwar eher ein Hundemensch und findet Katzen suspekt, aber im Vergleich hat man mit einer Katze weniger Arbeit. Glaubt er zumindest. Im selben Moment fragt er sich, wie er auf die Idee kommt, sich um ein Lebewesen kümmern zu wollen, wenn er nicht mal mit sich selbst klarkommt.

Erst der Stripclub, jetzt Haustiere…anscheinend geht es langsam mit ihm durch. Innerlich den Kopf über sich selbst schüttelnd, steigt er aus dem Auto und betritt das Treppenhaus. Auf dem Heimweg hat er sich eine Portion Sushi geholt, sodass für sein Abendessen immerhin gesorgt ist.

Mit einer Hand greift er in sein Jackett, um den Schlüssel herauszuholen, als er auf der letzten Stufe regelrecht erstarrt. Er blinzelt. Einmal, zweimal. Bernsteinfarbene Augen lösen sich langsam vom Handyscreen und suchen seinen Blick. Kurz ist es still…dann breitet sich ein Grinsen auf dem Gesicht seines Gegenübers aus.

„Jo. Du hast mich ja ganz schön warten lassen.“

Enji weiß nicht, was er sagen soll. Warum zur Hölle sitzt der verdammte Stripper vor seiner Haustür? Eben jener tippt ein bisschen auf seinem Handy herum, ehe er es in die Jackentasche schiebt. Er ist ähnlich leger gekleidet wie vor zwei Tagen, Jeans und Shirt. Völlig normal.

„Ich sitz hier bestimmt schon seit zwei Stunden rum. Bin zwischendurch sogar ein paar Runden um den Block spaziert – und hab ein paar Pokemon gefangen. Du hast zwei Stops direkt vor der Tür, Mann, ich bin neidisch, haha. Na, jedenfalls hab ich mich dann wieder hierhin gehockt und ein paar Level Candycrush gezockt. Nur langsam wird mein Hintern kalt.“

Bei den Worten erhebt er sich und streckt sich ein wenig, lässt den Nacken knacken. Enji ist immer noch sprachlos…und geschockt.

„Was hast du hier zu suchen?! Und…woher…?!“

„Huh? Ach ja. Stimmt. Deswegen bin ich hier.“

Hawks greift erneut in seine Jackentasche und holt etwas hervor. Enjis Handy.

„Als wir was futtern waren, hast du es auf dem Tisch liegen lassen. Ist mir erst aufgefallen, als du schon längst rausgestürmt bist. Ich hab’s erstmal eingesteckt – wusste ja nicht, wo du wohnst oder so. Aber dann hat dein Freund angerufen und ich hab ihm die Sache erklärt. Yagi oder so. Netter Typ. Hab gesagt, dass ich dich von der Arbeit kenne – ist ja nicht mal gelogen. Er hat mir dann deinen richtigen Namen und deine Adresse genannt und nun…hier bin ich.“

Das Einzige, das Enji weiß, ist, dass er Toshinori umbringen wird. Nennt einem völlig Fremden seine Kontaktdaten. So viel zur Anonymität. Idiot. Allerdings ist seine Wut nicht so präsent wie seine Scham, Hawks so plötzlich wiederzusehen. Wortlos nimmt er das Handy entgegen, wobei Hawks ihn anlächelt, als hätte es seinen peinlichen Abgang niemals gegeben.

„Danke“, brummt er trocken, weil es nicht viel anderes gibt, das er sich zu sagen traut.

„Ach, keine Ursache!“, erwidert Hawks und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. „Das machen gute Mitmenschen eben! Aber hey…wo wir gerade dabei sind, wie sieht’s denn mit Finderlohn aus? Du weißt, ich bin leicht zufriedenzustellen, haha. Also, eine Einladung zum Abendessen ist doch mindestens drin? Was hast du da in der Tüte? Sushi? Hatte ich schon länger nicht mehr.“

Enji muss sich verhört haben. Finderlohn? Einladung? Was zur Hölle stimmt mit dem Bengel nicht?! Er schnaubt leise, geht dann an ihm vorbei und schließt die Tür auf.

„Auf einmal keine Angst mehr, dass ich ein Irrer bin, der dir was antut?“, gibt er schroff zurück, woraufhin Hawks lacht.

„Oh doch! Wenn ich mich nicht zwischendurch mit einem speziellen Codewort bei einer Freundin melde, schickt sie uns die Bullen hierhin. Ist übrigens jedes Mal ein anderes. Haben wir vorher festgelegt.“

„…“

„Dann mal rein in die gute Stube!“, zwitschert Hawks weiter und schlüpft an ihm vorbei in die Wohnung.
 

Er ist wie eine Naturgewalt, die man nicht aufhalten kann. Enji ist auch viel zu verdutzt dazu. Der Kerl will ihn mit aller Macht provozieren, wie es scheint. Nur warum? Tief durchatmend folgt Enji ihm hinein und schließt die Tür hinter sich. Wenigstens hat er die Schuhe ausgezogen, so wie es sich gehört.

„Ui, schickes Appartement! Nur ein bisschen farblos…aber jedem das Seine“, hört er Hawks plappern und sieht, wie sich dieser auf die Couch wirft.

Dabei schaut er sich weiter nach Herzenslust um und kommt dabei wohl nicht mal auf den Gedanken, dass Enji ihn auch im Nacken packen und hinausschmeißen könnte. Warum eigentlich nicht? Ach ja. Er will nicht so ein Typ sein.

„Hast du auch was zum Snacken da? Chips zum Beispiel?“

Enji knirscht mit den Zähnen, ehe er seine Jacke aufhängt und die Tüte mit dem Sushi auf dem Tisch abstellt. Hawks sieht ihn mit unschuldigen Augen an, so als würde er gar nicht verstehen, warum Enji ihn so anfunkelt. Gilt das schon als Hausfriedensbruch? Er besinnt sich; Hawks hat ihm sein Handy zurückgebracht. Er hätte damit sonst was machen können, aber er ist hier. Es ist ein netter Zug.

Aus dem Grund schiebt er ihm kommentarlos das Sushi zu und geht in die Küche, um Getränke zu holen. Er hat nur Wasser und Alkohol.

Als er zurückkommt, hat Hawks bereits das Sushi ausgepackt und öffnet gerade die Sojasoße. Enji stellt die Gläser auf dem Tisch ab und füllt sie mit Wasser. Die Situation ist unwirklich und er weiß nicht, ob und was er sagen soll. Eine Entschuldigung bringt er nicht noch mal über die Lippen.

„Hör mal, wegen letztens…ich glaube, ich muss mich bei dir entschuldigen, Großer.“

Enji hält inne und blickt ihn verwirrt an.

„Ich hab einfach drauf losgequatscht, ohne darüber nachzudenken, wie das vielleicht ankommt. War nicht meine Absicht, dich zu triggern. Ich meine, ich wollte dich schon ein bisschen provozieren, aber das ging wohl unter die Gürtellinie. Also…tut mir leid.“

Es wird immer skurriler. Wofür entschuldigt sich der junge Mann überhaupt? Dafür, dass er Vermutungen über ihn ausgesprochen hat? Dabei ist es doch Enji, der sich daneben benommen hat und entschuldigen sollte. Er schraubt die Wasserflasche zu, während er überlegt, was er darauf erwidern soll.

„Entschuldigungen sind unnötig“, meint er schließlich und setzt sich ebenfalls auf die Couch, ohne ihn dabei anzusehen. „Ich hatte einfach einen schlechten Tag. Weiter nichts. Ich…es ist...“

Er bricht ab, weil er nicht weiß, was er noch sagen will. Hawks mag forsch und vorlaut sein, aber letztendlich sollte sich Enji besser im Griff haben.

„Wenn du das sagst“, kommt es von dem Jüngeren und er lächelt wieder, ehe er ihm eine Packung Stäbchen in die Hand drückt. „Dann lass uns mal reinhauen! Ich hab heute noch nicht viel gegessen und verhungere!“

Enji bezweifelt, dass das Sushi in dem Fall für sie beide reicht, doch spricht es nicht aus, sondern lässt Hawks erstmal zugreifen. Dieser schnappt sich ein Maki mit Lachs, taucht es in die Sojasoße und schiebt es sich in den Mund.
 

„Mh…das ist echt gut. Hatte ich lange nicht mehr. Bin eher so der Typ für Burger und Pizza, weißt du? Sushi ist echt teuer.“

Enji runzelt die Stirn.

„Dachte, der Job würde wenigstens gut bezahlt werden“, brummt er und nimmt sich ein Maki mit Gurke.

„Nicht überall. Manche haben feste Gagen, manche verdienen hauptsächlich am Trinkgeld. Das variiert aber ziemlich. Ich hab’s tatsächlich ganz gut getroffen, da, wo ich arbeite – und ich bin beliebt bei der Kundschaft. Heißt aber nicht, dass ich mein Geld zum Fenster rauswerfen muss. Ich lege zur Seite, was ich nicht zum Leben brauche“, erwidert Hawks und schnappt sich noch ein Stück mit Lachs.

Das kommt ein bisschen überraschend. Irgendwie hat Enji nicht mit so einer vorausschauenden Antwort gerechnet.

„Zu einem bestimmten Zweck?“, fragt er knapp und Hawks zuckt mit den Schultern.

„Hauptsächlich zur Absicherung. Ich hole gerade meinen Abschluss in der Abendschule nach. Muss mich ein bisschen ranhalten, deswegen ist der Job ganz praktisch. Ich kann mein Leben finanzieren und muss nur drei-viermal die Woche arbeiten. Abgesehen davon, dass ich echt gerne tanze – und es auch verdammt gut kann.“

Er grinst bei den letzten Worten wieder und zwinkert ihm zu. Gut, dagegen sagen kann man wohl kaum etwas. Er kann sich gut bewegen. Die Aufmerksamkeit der Leute ist ihm sicher. Dennoch versteht Enji es nicht. Der junge Mann passt nicht in das Bild, das er von Strippern hat. Er ist offensichtlich klug genug, um zu verstehen, dass er sich nicht ewig für Geld ausziehen kann. Dass er keinen Abschluss hat, scheint ihm nicht egal zu sein, wenn er so bestrebt ist, das möglichst schnell zu ändern.

Enji fragt nicht nach, warum er die Schule nicht beendet hat. Es wird Gründe dafür geben, die ihn nichts angehen. Eigentlich muss Hawks ihm gar nichts über sich erzählen. Sie sind keine Freunde, nicht mal Bekannte. Warum also sitzen sie hier gemeinsam und unterhalten sich? Und warum wird Enji plötzlich bewusst, wie lange er so etwas nicht mehr gemacht hat? Ein belangloses Gespräch mit jemandem führen.

„Wohnst du eigentlich allein hier?“, will Hawks wissen und lässt Enji innerlich seufzen.

„Ja.“

„Schon länger?“

„Drei Monate.“

„Und davor? Bist du verheiratet? Du trägst zwar keinen Ehering…“

„Ich bin noch verheiratet“, brummt Enji widerwillig. „Wir…leben aber nicht mehr zusammen.“

Hawks scheint kurz zu überlegen, ob er nachhaken soll, doch er lässt es. Vielleicht besser. Enji möchte auch nichts mehr dazu sagen.

„Also echt“, murmelt der Jüngere. „Du passt wirklich nicht in meine Schublade. Hätte beim ersten Mal darauf getippt, dass du einer von denen bist, die in einer unglücklichen Ehe gefangen sind und eine junge Ablenkung suchen. Wenn du wüsstest, für wie viele solcher Typen ich schon getanzt habe. Sie jammern dann über ihre schrecklichen Frauen, aber verlassen tun sie sie dennoch nicht. Pure Bequemlichkeit. Bin froh, dass du keiner von denen bist.“

Nein. So einer ist Enji nicht. Er ist viel schlimmer. Sobald Rei in der Verfassung dazu ist, werden sie sich scheiden lassen. Eine reine Formalität, denn ihre Ehe ist schon lange tot. Der bittere Geschmack in seinem Mund verschwindet nicht. Auch nicht, als er einen Schluck Wasser trinkt. Whiskey wäre jetzt hilfreicher.
 

„Aber dann verstehe ich nicht, warum du dich als freier Mann so zurückhältst“, nimmt Hawks das Gespräch wieder auf und schiebt sich ein Nigiri mit Thunfisch in den Mund. „Ist doch nichts dabei, wenn du ein bisschen dein Leben genießt und dir hübsche Frauen ansiehst? Oder Typen. Was auch immer deinen Vorlieben entspricht. Wie gesagt, ich würde dir auch einen Lapdance geben. Würde mir sogar Spaß machen, so attraktiv wie du bist, hehe…“

Er zwinkert ihm verschmitzt zu und Enji versteht, dass er mit ihm flirtet. Schon wieder. Seine Miene verschließt sich noch mehr und er funkelt ihn finster an.

„Ich bin doppelt so alt wie du. Du könntest mein Sohn sein“, erwidert er missgelaunt.

„Bin ich aber nicht. Ich bin nur Hawks. Ich urteile nicht und ich kann schweigen – guck nicht so, klar? Diskretion ist in meinem Job das A und O~!“

Er wackelt bei den Worten mit seinen markanten Augenbrauen, was Enji abfällig schnauben lässt.

„Sicher…“

Als ob er vorhin nicht über die verheirateten Kerle geurteilt hätte, die ihren Frauen verschweigen, bei wem sie ein offenes Ohr suchen.

„Was ich viel interessanter finde…du kommst bei deinem Korb auf mein Alter zu sprechen. Nicht darauf, dass ich ein Kerl bin. Schon mal ein homoerotisches Abenteuer erlebt?“

„Als ob ich darüber mit dir spreche“, knirscht Enji, dem das Thema langsam zu bunt wird. „Stell mir nicht solche Fragen. Das geht dich überhaupt nichts an – und lass dieses alberne Flirten!“

„Albern? Oi, jetzt wirst du aber fies, Endeavor-san. Ich muss doch wenigstens abchecken, ob mein Gay-Radar noch funktioniert! Du weißt schon, Homos finden andere Homos und so weiter…“

„Halt einfach den Mund“, brummt Enji genervt und kann es nicht fassen, was er sich hier anhören muss.

Und was der junge Mann so leichtfertig über sich preisgibt. Wäre es nicht kontraproduktiv, wenn die Frauen, die ihn so anhimmeln, davon Wind bekämen? Er hat keine Ahnung davon und will sich auch keine Gedanken darüber machen, weswegen er nichts weiter dazu sagt.

Hawks‘ guter Laune scheint das jedoch keinen Abbruch zu tun, denn er futtert ihm gut gelaunt das Sushi weg. Soll er nur. Enji hat sowieso keinen Appetit mehr. Das Verlangen nach einem Glas Whiskey wird jedoch immer stärker.

„Okay, ich höre ja schon auf“, kommt es von Hawks. „Trotzdem solltest du noch mal in den Club kommen – und die Show diesmal genießen. Wenn es dir peinlich vor anderen Leuten ist, kann auch einer von uns für dich privat tanzen. Ohne Anfassen. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Oder du trinkst einfach nur mit einem von uns und unterhältst dich ein bisschen – und jetzt werde bitte nicht wieder sauer. Da ist überhaupt nichts dabei. Einige kommen nur dafür her.“

Enji kann das nur schwer glauben, aber Hawks scheint es ernst zu meinen. Beim letzten Mal ist er nicht sicher gewesen, ob er verspottet oder bemitleidet wird. Diesmal verliert er zum Glück nicht die Beherrschung, vielleicht weil sie schon seit einer Weile reden. Dennoch ändert es nichts daran, dass es Gesellschaft für Geld wäre. Ist das nicht armselig? Aber wenn er ehrlich ist, tut ihm das hier auf eine skurrile Art und Weise gut.
 

„Du willst mich anwerben“, stellt er kühl fest und ärgert sich darüber, dass es funktioniert.

Hawks lacht auf.

„Natürlich will ich das! Du hast Geld, das sieht man, auch wenn deine Wohnung sparsam eingerichtet ist. Aber die Gegend kann sich nicht jeder leisten. Hab mich richtig schmuddelig gefühlt, als ich vor deiner Tür gehockt habe. Das nennt man dann win-win! Ich brauche Geld und du hast offensichtlich Redebedarf.“

„Du kennst meinen Namen und meine Adresse. Warum sollte ich ausgerechnet zu dir kommen, wenn ich Anonymität suche?“

Das hat gesessen, denn Hawks ist tatsächlich sprachlos, öffnet den Mund und…schließt ihn wieder. Es amüsiert Enji gewissermaßen. Seine Lippen zucken und es ist befremdlich, weil er sehr lange nicht mehr gelächelt hat. Nicht mal angedeutet.

„Oha, das war jetzt schlagfertig“, kommentiert Hawks es kurz darauf und grinst schief. „Ich kann dich nicht davon abhalten, zu jemand anderem zu gehen…aber ich vertraue darauf, dass dich mein Charme bereits bezirzt hat und du zu niemand anderem willst!“

„Ah ja…“

Enji fragt sich, worüber sie hier eigentlich reden. Er hat sich geschworen, diesen vermaledeiten Club nie wieder zu betreten, und nun scherzen sie darüber, wen er fürs Separee bucht. Was auch immer Hawks nach seinem Abschluss vorhat, er wäre ein guter Verkäufer. Denn das Verrückte an der ganzen Geschichte ist, dass der Jüngere Recht hat. Das hier tut ihm gut. Besser, als sich unüberlegt ein Haustier anzuschaffen, für das er hinterher nicht sorgen kann.

„Überleg es dir einfach“, fährt dieser fort und zuckt mit den Schultern. „Du weißt ja, wo du mich finden kannst. Freitag, Samstag und Sonntag bin ich immer da, am Mittwoch nur zwischendurch.“

Enji presst grimmig die Lippen aufeinander, während Hawks ihn unschuldig anlächelt. Mitnichten ist er das. Er ist ein Schlitzohr…und hat mehr auf dem Kasten, als man ihm ansieht. Enji kann eine gewisse Neugierde über den dreisten Kerl nicht leugnen, auch wenn er davon überzeugt ist, dass das nicht gut ausgehen kann. Zumindest nicht für sein Portemonnaie – andererseits weiß er sowieso nichts mit seinem Geld anzufangen.

„Ich denk drüber nach“, knurrt er unfreundlich, woraufhin Hawks ihn freudig angrinst.

„Mehr möchte ich ja auch gar nicht~“, flötet er und futtert ihm die letzten beiden Maki weg.

Wie kann der Kerl bitte so viel schwatzen und gleichzeitig so schnell essen? Ist doch nicht normal.

„So, ich sollte langsam mal los, hm?“, meint er dann und streckt sich einmal, ehe er aufspringt. „Ich muss noch büffeln und außerdem möchte ich nicht, dass sich meine Mitbewohnerin Sorgen macht.“

Enji runzelt die Stirn.

„Dachte, du wolltest ihr Nachrichten schreiben?“

„Hab ich auch zwischendurch. Ich bin echt flink, haha…aber trotzdem sollte ich langsam los. Wie gesagt, ich muss noch lernen. Außerdem muss ich die Bahn nehmen und da bin ich eine Weile unterwegs. Aber mach dir keine Sorgen, Großer, ich komm schon klar!“

Muss er auch. Enji hat nicht vor, ihn durch die Gegend zu kutschieren. Soweit kommt’s noch. Allerdings ist es draußen schon dunkel und das führt dazu, dass ihn das schlechte Gewissen einholt. Daher greift er in seine Tasche und holt ein paar Scheine heraus, die er dem verdutzten Hawks in die Hand drückt.

„Ruf dir dafür ein Taxi. Der Rest…ist Finderlohn. Wegen dem Handy.“

Hawks legt den Kopf schief, was ihn an einen Vogel erinnern lässt – der Name trägt vielleicht auch dazu bei. Für wenige Sekunden scheint er zu überlegen, doch dann schmunzelt er und steckt das Geld ein.

„Ha! Ich wusste, du magst mich! Wir sehen uns am Wochenende, Endeavor-san! Und danke für das Sushi! War lecker!“

Mit diesen Worten funkelt er ihn noch einmal dreist aus seinen bernsteinfarbenen Augen an und verschwindet Richtung Flur. Enji sieht ihm nach, bis er die Tür hört. Dann lässt er sich nach hinten fallen und sieht an die Decke. Er lässt den Abend Revue passieren, versucht irgendwie zu verstehen, was da heute geschehen ist. Hat er sich zu etwas verpflichtet? Eigentlich nicht. Er muss nicht wieder dorthin gehen. Er hat sein Handy zurück und schuldet Hawks nichts mehr.

Enji schließt die Augen und reibt über die Schläfen, in denen es leicht pocht. Er hat noch Zeit bis zum Wochenende. Vielleicht geht er hin, vielleicht nicht. Er hat keine Verpflichtung. Nein.

Trotzdem ahnt er, dass das keine Rolle mehr spielt…dank diesem verfluchten Stripper…

Show

Eigentlich hat Enji nicht vorgehabt, den Stripclub erneut zu besuchen. Wirklich nicht. Er hat hin und her überlegt, versucht, sich mit einem Film irgendwie davon abzulenken, oder erwogen, einfach eine Runde im Park joggen zu gehen. Dennoch ist ihm Hawks‘ nicht sehr subtile Einladung nicht aus dem Kopf gegangen, sodass er es am Ende aufgegeben hat.

Während er den Wagen parkt, denkt er darüber nach, was er vorhat. Vermutlich dasselbe wie beim letzten Mal – die Bar ansteuern, Drinks bestellen und darauf warten, dass sich der Kerl aufdrängt. Oder aber er spricht eine der Frauen an, wie er es ihm angekündigt hat. Allerdings sträubt sich schon beim bloßen Gedanken in ihm alles gegen das, was ihn hier erwartet. Nicht, weil die Damen nicht ansprechend sind. Eher weil er nicht glaubt, dass ihn die Gesellschaft einer halbnackten Frau, die sich auf seinem Schoß räkelt, irgendwie aufmuntern kann. Er will auch nicht, dass sich Hawks auf seinem Schoß räkelt, aber mit dem hat er sich wenigstens schon mal befasst. Mehr oder weniger.

Enji verdrängt seine Überlegungen und richtet dann seinen anthrazitfarbenen Anzug. Die Krawatte hat er weggelassen, trägt nur ein weißes Hemd, bei dem er den obersten Knopf aufgelassen hat. Etwas weniger förmlich.

Der Türsteher begegnet ihm mit demselben grimmigen Misstrauen wie immer und auch Aizawa lässt es sich nicht nehmen, ihn mit Blicken zu erdolchen, während er ihm denselben Drink wie die letzten Male zukommen lässt. Offensichtlich können die zwei ihn nicht leiden. Vermutlich wegen Hawks. Dabei macht dieser nicht den Eindruck, als würde er einen Beschützer brauchen. Er ist berechnend genug, um selbst für seine Sicherheit zu sorgen, und nur, weil er weder groß noch breit gebaut ist, heißt das nicht, dass er wehrlos ist. Jemand, der sich kopfüber an eine Stange hängen und dabei lasziv in die Menge grinsen kann, hat zweifellos eine überragende Körperbeherrschung – und Muskeln.

Enji nimmt einen Schluck von seinem Whiskey, während er den Blonden beobachtet, wie er seine Show abliefert. Der ältere Typ ist ebenfalls wieder da und kann die Augen nicht von dem jungen Stripper lassen. Enji fragt sich, wie viele von diesen Männern tatsächlich glauben, dass sie am Ende des Abends eine oder einen von ihnen mit nach Hause nehmen können. Wie viel Geld sie wohl für diese Hoffnung ausgeben?

Die Musik erreicht ihren Höhepunkt und Hawks legt sein Finale hin, indem er mit seinem Hintern wackelt und seinem Verehrer erlaubt, ihm ein paar Scheine in die enge Unterhose zu stecken. Niveaulos. Dem Kerl scheint es aber zu gefallen, vor allem als Hawks ihm über seine Schulter zuzwinkert. Sein Tattoo, das sich über seinen kompletten, verschwitzten Rücken zieht, leuchtet regelrecht. Dann klingt die Musik ab und das nächste Lied wird gespielt, woraufhin er von der Bühne verschwindet.
 

„Was genau erwarten Sie sich eigentlich von Ihrem Besuch bei uns?“

Enji hält inne, als ihn der dunkelhaarige Barkeeper unvermittelt anspricht. Verwirrt sieht er diesen an, denn bisher hat dieser kaum ein Wort mit ihm gewechselt.

„…bitte?“, erwidert er, weil er nicht weiß, was dieser von ihm will.

Aizawa sieht ihn nicht an, sondern trocknet in Ruhe ein paar Gläser ab.

„Sie kommen her. Sie betrinken sich. Geben vor, dass Sie alles hier anwidert. Behandeln unsere Mitarbeiter schlecht. Wenn Sie einer von diesen Typen sind, die nicht mit ihren Neigungen klarkommen, sollten Sie gehen, bevor jemand zu Schaden kommt.“

Enji verschlägt es regelrecht die Sprache; was fällt dem Kerl ein?!

„Mit meinen Neigungen ist alles in Ordnung“, knurrt er nach ein paar Sekunden und hasst es, wie defensiv er klingt.

Aizawa hebt nun doch den Blick, fixiert ihn aus seinen müden, dunklen Augen.

„Das hoffe ich. Genau, wie ich hoffe, dass Sie sich benehmen.“

Enji hasst es, wie er mit ihm redet. Als wäre er ein Kind, das es zu ermahnen gilt. Die Wut lodert in ihm hoch, doch er will nicht, dass der Typ sich auch noch bestätigt fühlt. Außerdem will er nicht mit dem Mann streiten, der ihm seine Drinks serviert.

„Hawks hat mich eingeladen“, grollt er. „So mies kann ich ihn also nicht behandelt haben.“

Aizawa blickt ihn so durchdringend an, als wolle er damit seine Absichten erkennen. Als ob er welche hätte…es ist ja nicht mal geplant gewesen, dass er überhaupt heute hier auftaucht.

„Du bist ja echt gekommen! Und mit keiner anderen mitgegangen – das freut mich, Großer!“, erklingt die vertraute Stimme, bevor Aizawa noch etwas sagen kann.

Er dreht den Kopf und sieht in Hawks‘ leuchtende Bernsteine, die ihn tatsächlich erfreut ansehen. Irgendwie ist das befremdlich, denn es freut sich selten jemand ehrlich über seine Anwesenheit. Hawks scheint sich frisch gemacht zu haben, denn er trägt andere Kleidung. Diesmal ist es eine enge, tief sitzende Jeans, braune Stiefel und ein Cowboyhut. Ansonsten ist er obenherum unbekleidet und es scheint ihn nicht zu stören.

„Machst du uns zwei Drinks, Aizawa? Du weißt ja, was er trinkt, und ich nehme etwas Fruchtiges! Danke dir~!“, zwitschert er gut gelaunt und setzt sich neben ihn.

Scheinbar hat Aizawa nicht vor, zu widersprechen, denn er fixiert Enji zwar noch einmal warnend, tut dann aber, worum Hawks ihn bittet. Dieser lächelt ihn an und neigt dabei den Kopf, was mit dem großen Hut ziemlich bescheuert aussieht.

„Kein Polizist mehr?“, brummt Enji bloß, woraufhin Hawks schmunzelt.

„Wollte halt frisch für dich sein! Gefällt’s dir nicht?“

„Ziemlich nackt.“

„Du weißt schon, wo du hier bist, oder?“

Hawks wirkt amüsiert, während Enji ihn nur genervt ansieht; natürlich weiß er das. Dennoch hat er als Polizist wenigstens ein Hemd getragen. Meistens jedenfalls. In dem Moment kommen ihre Drinks, sodass er um eine Antwort herumkommt. Hawks klemmt sich den Strohhalm zwischen die Lippen und nimmt einen Schluck von seinem Cocktail, überlegt dabei scheinbar.

„Wollen wir rübergehen, bevor Miruko auf Beutefang geht und uns das Separee klaut?“

Es ist wohl tatsächlich sein Ernst, so wie er ihn ansieht. Enji zögert, weil er weiß, welchen Eindruck er dadurch vermitteln wird. Als wäre er wie der Kerl, der dort hinten sitzt und immer wieder zu ihnen herüberstarrt. Wenn Enji sich nicht entscheidet, hat Hawks wohl gleich den nächsten Kunden…und das will er auch nicht. Es stimmt schon, er ist wegen ihm hier.

„Von mir aus.“

Hawks blinzelt, hat wohl trotz seiner Forschheit nicht damit gerechnet, dass er ja sagt. Dann aber grinst er zufrieden und erhebt sich, wendet sich aber noch mal kurz Aizawa zu.

„Wir sind drüben. Sag Miruko, dass ich schneller war! Oh, und können wir die Flasche mitnehmen?“

Der Barkeeper verdreht bloß die Augen, erwidert jedoch nichts auf den frechen Spruch, sondern reicht ihm die Whiskeyflasche. Hawks zwinkert Enji zu und winkt ihn dann mit sich, wobei er auch seinen Drink mitnimmt. Der Stripperin im Hasenkostüm, die soeben einen Kunden bezirzt, streckt er dreist die Zunge heraus, wobei ihre roten Augen schmal werden und ein eher gruseliges Grinsen ihre Lippen überfliegt. Er muss das nicht verstehen…oder?
 

Das Separee ist ein recht kleiner Raum, in dem eine schwarze Ledercouch mit bordeauxroten Kissen steht. In der Mitte ist eine Stange mit einem kleinen Podest zum Tanzen angebracht, welche durch das rote Licht noch verruchter wirkt, als es sowieso schon der Fall ist. Das ganze Zimmer drückt Erotik aus und Enji fragt sich zum ersten Mal, was hier drin eigentlich passiert. Er fühlt sich wie in einem Porno und das ist unangenehm.

„Setz dich!“, fordert Hawks ihn auf und stellt die Flasche auf dem Tisch ab.

„Ich weiß nicht, ob…“, beginnt Enji und bricht direkt wieder ab.

Vielleicht ist das hier ein Fehler. Er sollte gar nicht hier sein, das ist…nicht richtig. Hawks mustert ihn einen Moment lang, ehe er leise seufzt.

„Hör mal, ich hab dir doch gesagt, ich muss nicht tanzen. Wir können hier einfach nur sitzen und uns unterhalten.“

Um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, setzt er sich auf die Couch und klopft neben sich. Enji zögert immer noch, doch dann nimmt er in höflichem Abstand zu ihm Platz. Hawks nimmt den Whiskey und füllt ihm ungefragt nach, während im Hintergrund leise Musik gespielt wird.

„Ich erklär dir mal, wie das hier generell läuft. Ich glaube nämlich, dass du hiervon eine falsche Vorstellung hast“, meint er ruhig und schraubt die Flasche wieder zu. „Der Kunde, also du, sitzt einfach nur da. Kein Fummeln, kein Schwanz rausholen und keine Nötigung. Einfach nur sitzen und der Show zugucken. Ich bin Tänzer und keine Hure. Sex gegen Geld gibt’s nicht – und wenn du mir noch so viel bietest. Wenn ich auf deinem Schoß sitze und tanze, sagst du mir rechtzeitig Bescheid, wenn’s eng wird. Ist echt nicht schön, wenn jemand kommt, während man drauf sitzt – und ja, das ist mir schon mal passiert.“

Enji schluckt hart, denn obwohl Hawks ja generell sehr offen ist, hat er nicht mit solch einer detaillierten Erklärung gerechnet. Andererseits beruhigt es ihn aber auch, denn er will kein solches Bild vermitteln.

„Das hatte ich auch nicht vor“, murmelt er, woraufhin Hawks wieder lächelt.

„Habe ich mir gedacht. Also, dass du nicht so einer bist.“

„Ah ja“, kommt es skeptisch von Enji. „Dachte, du hast mich eingeladen, weil ich Geld habe.“

„Ist ja auch so“, kommt es heiter zurück und der Hut landet auf der Couchlehne.

Enji schnaubt leise; wenigstens ist er ehrlich.

„Und weil ich dich mag. Du bist interessant…und angenehmer als der Kerl da draußen, der mir seit Wochen am Hintern klebt.“

„Du hast dir von ihm Scheine zustecken lassen und ihm zugezwinkert“, argumentiert Enji trocken, woraufhin Hawks ihn verwundert ansieht.

„Natürlich! Er ist ein gut zahlender Kunde…aber eben auch gruselig. Ich halte ihn bei Laune, tanze manchmal privat für ihn, aber wenn er noch mal zudringlich wird, war’s das.“

„…noch mal?“

„Ach, nichts Wildes. Hat mir in den Hintern gekniffen und Anspielungen gemacht.“

Hawks zuckt mit den Schultern, als wäre das nicht der Rede wert. Für ihn ist es das vermutlich auch nicht, schließlich kommen bestimmt öfter Männer und Frauen vorbei, die die Grenzen überschreiten. Für Enji ist es nach wie vor unverständlich, dass er hier arbeiten kann.

„Aber keine Sorge, Kan und die anderen passen schon auf uns auf, wenn’s mal brenzlig wird. Also, nicht, dass ich nicht auf mich selbst aufpassen kann, aber jemanden im Rücken zu haben, ist ja auch nicht verkehrt.“

„Vermutlich nicht“, brummt Enji nur und trinkt einen Schluck.

Er ahnt, dass ihn der Abend viel kosten wird, doch wenn er eines noch hat, dann ist es Geld. Ein paar Sekunden schweigt er, ehe er beschließt, dass er wenigstens das Beste daraus machen kann.
 

„Dein Tattoo“, spricht er daher etwas an, das ihn bis jetzt beschäftigt hat. „Hat das eine Bedeutung?“

Hawks hält inne und für einen Moment scheint er tatsächlich mit sich zu hadern. Es überrascht Enji, denn er hat bisher nicht das Gefühl gehabt, dass der Jüngere mit Informationen hinter dem Berg hält.

„Das ist aber eine private Frage“, meint er, lächelt aber dabei.

„…du hast mir eben erzählt, dass jemand gekommen ist, während du…“

„Ja, aber das ist beruflich. Mein Tattoo nicht. Das habe ich mir übrigens vor drei Jahren stechen lassen. Symbolisiert meine Freiheit – oder die Freiheit, die ich gerne hätte“, erklärt er es ein bisschen mehr. „Ich meine, wäre das nicht toll? Wenn man Flügel hätte, mit denen man einfach davonfliegen könnte? Egal wohin?“

Enji versteht, was er meint. Zumindest auf seine eigene Situation bezogen. Er weiß nicht, wann er sich das letzte Mal frei gefühlt hat. Allem entkommen zu können, auf welche Weise auch immer, das klingt auch für ihn verlockend. Es ist der Grund dafür, warum er so viel trinkt, nur leider hat es meistens den gegenteiligen Effekt.

Er nickt knapp und trinkt den letzten Schluck seines Whiskeys. Wahrscheinlich wird er sowieso die ganze Flasche bezahlen müssen, was soll es also?

„Du machst nicht den Eindruck, als seist du nicht frei“, erwidert er, woraufhin Hawks‘ Lächeln etwas schiefer wird.

„Sagen wir, ich bin auf dem Weg dahin. Es gibt noch ein paar Fesseln, die mich am Boden halten – und nein, damit meine ich nicht den Club. Ich bin gern hier. Mir gefällt die Aufmerksamkeit und das Tanzen. Außerdem habe ich echt tolle Kollegen.“

Dass er das immer wieder klarstellen muss, würde Enji eigentlich als gegenteilig auslegen, aber wer ist er, dass er urteilen kann? Zumal er nicht das Gefühl hat, dass Hawks hier gefangen gehalten wird.

„Jetzt bist du dran, erzähl mir was!“, fordert ihn dieser plötzlich auf und lehnt sich zurück. „Von deiner Arbeit, von mir aus.“

Enji überlegt, ob er darüber reden will, entscheidet sich aber dagegen. Wenn Hawks auch noch weiß, dass ihm eine Firma gehört, wird er ihn vielleicht zu erpressen versuchen. Ausschließen kann er es nicht, immerhin kennen sie sich nicht richtig. Andererseits hat Hawks bestimmt schon seinen Namen gegoogelt…und bisher ist kein Wort darüber gefallen, also kann er ihm vielleicht doch ein Stück weit vertrauen. Tut er ja gewissermaßen schon, indem er wieder hier ist.

„Du weißt schon genug über mich“, gibt er dennoch entschieden zurück. „Frag etwas anderes.“

Hawks brummt beleidigt, kann aber anscheinend auch kein Gegenargument aufbringen.

„Na gut…“, lenkt er jedoch ein und funkelt ihn an. „Sei ehrlich, du bist Männern nicht abgeneigt, oder? Ehe hin oder her.“

Enji kippt beinahe den Whiskey daneben, als er sich einschenkt. Vielleicht hätte er lieber die Arbeitsfrage beantworten sollen. Er atmet durch, während er die Stange im Raum fixiert und sich wiederholt fragt, warum er eigentlich hier ist.

„Hey. Was im Separee passiert oder besprochen wird, bleibt im Separee. Ich kann es mir nicht leisten, dich zu verlieren, hm? Du bist leichtes, gutes Geld. Nicht wie der Typ da draußen. Ich kann aber auch den Schnabel halten und dir lieber ein paar Tricks an der Stange zeigen, wenn du-“

„Ja.“

Hawks verstummt und blickt ihn verwirrt an, wobei er scheinbar nicht weiß, worauf sich das Wort bezieht.

„Eh…ja, ich soll tanzen?“, hakt er nach.

„Nein. Das andere.“

Enji leert sein Glas halb, fühlt das Brennen in seinem Hals und merkt, dass der Alkohol langsam wirkt. Sonst würde er das Gespräch doch unterbinden, nicht wahr?
 

„Oh“, kommt es überrascht von Hawks und er sieht ihn mit großen Augen an. „Und…wie? Ich meine, du bist noch mit einer Frau verheiratet, oder?“

Enji fixiert die goldene Flüssigkeit in seinem Glas, während er nickt.

„Das war vor meiner Frau“, sagt er leise, denn er hat noch nie jemandem davon erzählt. „Als Teenager…es ist lange her und nicht von Bedeutung.“

„Aber auch keine Phase, nicht wahr?“

Das kann Enji nicht abstreiten, weswegen er einfach still bleibt und trinkt. Er schämt sich nicht mal dafür, sondern redet einfach nicht gern darüber. Es gehört zu seiner Vergangenheit, die heute nicht mehr wichtig ist. Mit 20 Jahren hat er Rei kennengelernt und von da an hat es nur noch sie gegeben. Nun, heute wünscht sie sich wahrscheinlich, sie hätten sich nie kennengelernt. Bitter.

„Versteh schon“, kommt es von Hawks. „Auch wenn deine Zurückhaltung jetzt noch weniger Sinn für mich ergibt – und sag mir nicht, dass du mich nicht heiß findest. Du siehst mir zu. Dir gefällt es.“

Enji blickt ihn grimmig an, einerseits, weil er Recht hat, und andererseits, weil ihn dieses überzogene Selbstbewusstsein wütend macht.

„Du bist mir zu jung“, knurrt er daher zurück, woraufhin Hawks lacht.

„Ich hole dir gern Tiger, wenn der eher dein Ding ist? Ein reifer Mann mit Haaren auf der Brust, na? Wie wär’s?“

Er wackelt dabei mit seinen buschigen Augenbrauen, was Enjis Zorn noch mehr triggert. Der verdammte Kerl provoziert ihn doch absichtlich.

„Nein. Lass das jetzt. Du hast gesagt, Reden ist in Ordnung“, zischt er zurück.

„Ja. Das meinte ich auch so. Aber ich merke, dass du nicht entspannt bist. Du kannst dich nicht fallen lassen…und deswegen hast du gleich die halbe Flasche weggezogen. Dann wirst du wieder wütend und irgendwann eskaliert es. Deswegen solltest du mal Druck abbauen. Dringend. Ich helfe dir dabei, nur wie gesagt…kein Anfassen.“

Enji sieht ihn finster an, vor allem weil er merkt, dass der Jüngere Recht hat. Er ist angespannt und wütend – und kurz davor, aus der Haut zu fahren. Die Schlinge um seinen Hals ist immer da, drückt ihm die Luft ab. Er weiß nur nicht, wie Hawks ihm helfen will.

„Das ist falsch“, gibt er schroff zurück, doch der Blonde seufzt bloß.

„Ich biete es dir an. Du bezahlst sowieso schon für den Raum, was also ist dabei? Komm schon. Wir versuchen es? Wenn es dir nicht gefällt, höre ich auf.“

Enji ringt innerlich mit sich, denn eigentlich ist das hier bis jetzt keine Option gewesen. Es sollte auch keine sein. Ja, Hawks ist erwachsen, aber dennoch 20 Jahre jünger als er. In Ermangelung einer Entscheidung zuckt er bloß hilflos mit den breiten Schultern, woraufhin der andere lächelt und nach seinem Hut greift. Na toll…
 

Enji sieht Hawks zu, wie dieser die Musik über einen Regler an der Wand etwas lauter dreht. Danach schlendert er zur Stange, langsam, ehe er sich dort positioniert, den Hut tief ins Gesicht gezogen, und ein paar Sekunden wartend, bis das nächste Lied einsetzt. Er ist sofort im Takt, als es losgeht, und bewegt seinen Körper auf eine Weise, die Enji einen Schauer über den Rücken jagt. Er weiß, was er tut und wie er es machen muss. Den Hut zieht er sich während der Show vom Kopf und wirft ihn in seine Richtung, wo er neben ihm auf der Couch landet. Dann grinst er, entledigt sich seiner Stiefel und bezieht die Stange mehr mit ein, schwingt sich an dieser hinauf und hält sich mal nur mit den Beinen, mal nur mit den Armen daran fest. Es muss unglaublich viel Zeit und Kraft gekostet haben, solch eine Beherrschung zu erlangen, das erkennt Enji an. Auf eine gewisse Art und Weise hat das hier etwas von Kunst. Kunst und Erotik. Zweifellos.

Wann immer Hawks ihn mit seinem Blick streift, ihm tief in die Augen sieht, durchfährt es ihn wie ein Blitz. Er ist gut in seinem Job. Mehr als das. Plötzlich lässt er sich von der Stange gleiten und kommt auf ihn zu, woraufhin Enjis Hals trocken wird. Trotzdem er noch seine Jeans trägt und nur obenherum und an den Füßen nackt ist, ist das ausreichend, um ihn nervös zu machen.

Hawks hat scheinbar keine Hemmungen, denn er kniet sich in seiner Jeans einfach über ihn und kommt ihm dabei viel zu nahe. Nur ihre Beine berühren sich, während er Bewegungen imitiert, die nichts anderes zulassen, als dass er an Sex denken muss. Er lehnt sich zurück, wenn auch eher, um Hawks‘ Brust nicht direkt vor seinem Gesicht zu haben, und gräbt die Finger ins Leder. Seine Atmung beschleunigt sich unweigerlich, als er in die raubtierhaften Augen sieht, die ihn auf eine Weise anfunkeln, die ihm schwindelig werden lässt. Enji ist überfordert. Und erregt.

Weil ein halbnackter, junger Mann auf seinem Schoß sitzt und ihn damit heiß macht. Plötzlich kommt die Scham hinzu und nimmt ihm die Luft zum Atmen. Er ächzt leise, spürt, wie das Rauschen in seinen Ohren zurückkehrt und er die Kontrolle zu verlieren droht. Das hier ist falsch. Falsch. Er verdient nichts davon. Erinnerungen flackern auf und das ist das Ende. Er muss hier raus. Weg. Luft. Schwarze Punkte tanzen vor seinen Augen und er hört nicht mehr, dass Hawks irgendetwas sagt. Es ist so weit entfernt. Sein Puls rast. Ihm wird eiskalt und gleichzeitig heiß. Er kann nicht…

Enji bemerkt nicht sofort, dass er zittert und seine Lippen beben. Erst, als Hawks die Arme um ihn legt und ihn fest an sich zieht, fällt ihm auf, dass er keine Kontrolle mehr hat. Er will ihn von sich stoßen, weil ihm die enge Umarmung das Gefühl gibt, dass er nicht entkommen kann, doch es geht nicht. Nicht mal Sprechen ist möglich, das Adrenalin schießt ihm durch den ganzen Körper.

Hawks hält ihn weiter fest. Irgendwann verlässt Enji die Kraft und er kippt gegen ihn, sein Kopf sackt gegen die Schulter des Jüngeren und er atmet gepresst.

„Scht…ruhig…einatmen, ausatmen…alles wird gut, Großer“, hört er ihn murmeln, während die Übelkeit seinen Magen krampfen lässt.

Enji nimmt einen tiefen Atemzug, lauscht seiner Stimme und senkt dabei die Lider. Es ist ihm nicht möglich, sich allein zu beruhigen, also muss er sich auf Hawks verlassen. Es dauert. Sein Kopf ist wie leergefegt, als sich sein Herzschlag endlich wieder der Normalität nähert.

Allerdings wird ihm damit auch bewusst, was hier soeben geschehen ist.
 

Hawks hält ihn immer noch, streichelt ihm mittlerweile sanft über den Rücken, während er auf ihm sitzt. Die Nähe wird ihm schlagartig bewusst – und auch, dass das mit dem Verbot des Anfassens wohl nicht aufgegangen ist. Doch Enji kann sich nicht lösen. Auf eine skurrile und beängstigende Weise tut es ihm gut, dass er bei dieser Panikattacke nicht allein ist.

Hawks‘ Parfüm ist nicht besonders stark, sodass die persönliche Note in seinem Geruch überwiegt. Es ist angenehm, obwohl er geschwitzt hat. Er ist viel kleiner als er, aber wie erwartet drahtig, sodass er ihn einigermaßen halten kann. Unangenehm. Er muss sich von ihm lösen und…

„Ist okay. Bleib noch etwas so“, unterbricht Hawks seine Gedanken.

Enji atmet abermals tief durch, blickt matt vor sich hin.

„Dachte, kein Anfassen“, brummt er nach einer Weile erschöpft.

„Genau genommen fasse ich dich ja an. Also alles regelkonform“, erwidert Hawks amüsiert. „Außerdem kann ich eine Panikattacke von Grabschen unterscheiden. So…kannst du dich hinlegen? Ich komme gleich wieder, hole dir eben Wasser.“

Enji nickt nur und lässt sich nach hinten auf die Couch sinken, die zum Glück groß genug ist. Ihm entgeht Hawks‘ prüfender Blick nicht, als sich dieser seine Stiefel anzieht. Dann geht er und Enji schließt die Augen, reibt sich über diese. Ihm dreht sich alles und er weiß nicht, ob das am Alkohol liegt oder von der Panik kommt. Er hasst sich dafür. Nicht mal in einem Stripclub ist irgendetwas normal für ihn. Erbärmlich.
 

Hawks kommt relativ schnell wieder und hat eine große Wasserflasche dabei, die er ihm gibt, als er sich aufrichtet.

„Geht’s wieder oder brauchst du noch ein bisschen?“, will er ernst wissen.

Ehrlich gesagt ist Enji überrascht, dass er ihn nicht verspottet. Er glaubt nicht, dass andere Kunden so auf einen Lapdance reagieren. Anstelle einer Antwort trinkt er ein paar Schlucke Wasser und versucht, sich zu fassen.

„Ich glaube, Weitertanzen ist keine gute Idee gerade, hm?“, meint der Jüngere scherzhaft, woraufhin Enji schnaubt.

Was soll er schon dazu sagen? Er hat sich hier auf ganzer Linie blamiert. Dabei ist er ein erwachsener Mann. Er sollte sich nicht von einem Stripper, den er bezahlt, beruhigen lassen wie ein Kind. Leider hat er nicht mal die Kraft, richtig wütend zu sein. Weder auf sich noch auf Hawks.

„Komm mal her.“

Irritiert sieht er Hawks an, als dieser auf seine Oberschenkel klopft. Was soll das jetzt werden? Sein Blick sagt wohl genug darüber aus, was er darüber denkt.

„Nein, ernsthaft, leg dich hier hin. Ich hab dir doch gesagt, ich will dich entspannt kriegen. Das hilft“, beharrt der Blonde und Enji merkt, wie sein Widerstand bricht.

Also legt er sich mit dem Kopf in Hawks‘ Schoß und versucht, zu verdrängen, wie lächerlich das aussehen muss. Er schließt die Augen erneut, zuckt leicht zusammen, als ihm durch die roten Haare gestreichelt wird. Die Finger ziehen kleine Kreise auf seiner Kopfhaut, wandern hinunter zum Nacken und wieder hoch. Es ist befremdlich…aber auch unheimlich angenehm. Das heute sind die ersten menschlichen Berührungen seit Monaten und es sendet eine Erleichterung durch seinen Körper, die tatsächlich wohltuend ist. Hawks redet nicht…und zwischendurch muss er wohl die Musik leiser gedreht haben.

Enji spürt, wie er nachgibt und loslässt. Zumindest für den Moment kann er sich gehen lassen. Wenn auch vor einem praktisch Fremden. Aber vielleicht funktioniert es gerade deswegen. Er weiß es nicht, aber es ist gerade auch egal. Das hier ist schön. Er will es nur noch ein bisschen länger genießen.

Bis ihn die Realität einholt.

Daddy

Ein leises Summen liegt auf seinen Lippen, während ihn die gelben Kopfhörer, die seine Ohren bedecken, von den Geräuschen der Außenwelt abschirmen. Den Blick hat er auf die Gleichungen gerichtet, die in dem Buch stehen, welches er auf dem Bett ausgebreitet hat. Er nimmt den Bleistift aus dem Mund und notiert sich Rechenwege und Ergebnisse in dem karierten Heft, wobei sein Körper leicht im Takt der Musik wippt. Melodien ohne Text. Alles andere würde ihn zu sehr vom Lernen ablenken.

Hawks seufzt leise, als er merkt, dass er heute nicht so bei der Sache ist, wie er es sein sollte. Und daran ist diesmal nicht Mina Schuld, die im Wohnzimmer anscheinend mal wieder ihre Moves übt und den Boden dabei zum Beben bringt. Der Nachteil, wenn man sich eine billige, kleine Wohnung in einem alten Haus sucht – man hört und spürt jede Kleinigkeit. Nun, verglichen mit dem Ort, an dem er seine Kindheit verbracht hat, ist das hier ein Königreich.

Hawks lässt den Nacken knacken und wirft einen Blick auf sein Handy, das ihm anzeigt, dass es schon Nachmittag ist. Wird Zeit, dass sie Lieferando durchforsten, um ihr Abendessen auszusuchen. Mina hat genauso wenig Spaß am Kochen wie er selbst, was der Grund dafür ist, dass die Fast Food Läden mit ihnen sprechen, als seien sie alte Freunde. Na ja, gibt Schlimmeres – außerdem trainieren sie ihr Essen täglich ab. Müssen sie auch, denn fette Stripper will keiner sehen. Das ist eine Tatsache.

Hawks rollt sich auf die Seite, lässt dabei den Stift fallen und sieht an die schlecht verputzte Decke. Nach ein paar Sekunden nimmt er die Kopfhörer ab, richtet sich auf und streckt sich einmal. Sein Zimmer ist in warmen Farben gehalten, beigefarbene Wände, braune Holzmöbel, die allesamt aus Ikeas guter Stube stammen. Er legt das Heft auf den Schreibtisch, auf dem sein Laptop liegt – für den er wirklich viel Geld ausgegeben hat. Hawks hat nicht gelogen, als er gemeint hat, dass er sparsam ist. Investitionen müssen sich lohnen. Das Bestellen von Fast Food ist eine andere Geschichte, das gönnt er sich – ebenso wie die 1-2 Actionfiguren und Plüschis, die im Angebot gewesen sind.

In stilvoller Jogginghose und einem übergroßen Schlabbershirt, auf dem der Hulk abgebildet ist, geht er ins andere Zimmer und die Musik schallt ihm entgegen. Das ist noch eine Daseinsberechtigung für die Kopfhörer.

Er bleibt im Türrahmen stehen und sieht seiner Mitbewohnerin zu, wie sie einen Breakdance hinlegt, bei dem ihm schwindelig wird. Ja, er selbst ist verdammt gut, was das Tanzen angeht, aber Mina ist ein Ausnahmetalent. Genau wie er selbst wird sie nicht ewig strippen, sondern sieht den Job als eine Übergangslösung. Sie will auf eine Tanzhochschule gehen und spart dafür Geld an.

Ihre enge, pinke Leggins hat sie ebenso durchgeschwitzt wie das gleichfarbige Top mit dem giftgrünen Bustier darunter. Hawks beobachtet sie dabei, wie sie einen Handstand macht und danach mit Schwung wieder auf die Beine kommt. Ihre kurzen, rosa Haare kleben ihr an der Stirn, als die Musik mit dem heftigen Beat aussetzt. Das war wohl das Finale.

Hawks dreht den Regler ihrer Anlage herunter, woraufhin sich seine Mitbewohnerin nach hinten auf den Boden fallen lässt und tief durchatmet.
 

„Bock auf Chicken Wings?“, fragt er beiläufig und sieht zu ihr herunter, woraufhin sie ihm grinsend den erhobenen Daumen zeigt.

„Klingt gut. Bin am Verhungern…“, keucht sie und schließt kurz ihre Augen, die ebenso bernsteinfarben sind wie seine eigenen.

Hawks mustert sie einen Moment, ehe er die App in seinem Handy öffnet. Wenn er nicht schwul wäre, wären sie schon in der Kiste gelandet, so viel ist sicher. Ihm gefällt Minas Leidenschaft und Euphorie. Auch er selbst hat so eine Seite, was wohl der Grund dafür ist, dass sie sich so gut verstehen. Mit Minas Energie umzugehen, ist nicht für jeden leicht. Sie ist eben eine Granate und nicht die süße Kleine von nebenan. Dann könnte sie ihren Job auch nicht so gut machen.

Hawks lässt sich auf die Couch fallen, die mit ihrem schwarzen Farbton das Einzige ist, was einem hier nicht ins Auge springt. Mina liebt grelle Farben, was der Grund für die apfelgrüne Wand und die pinke und violette Deko ist. Skurrile Poparts, Skulpturen und Schallplatten unter anderem, doch für ihn ist das in Ordnung. Ehrlich gesagt sind Hawks‘ Ansprüche bei der Einrichtung so gering gewesen, dass er Mina hat walten lassen.

„Sag mal, hast du eigentlich einen neuen Stammkunden?“

Hawks hebt eine Braue und sieht von der Couch aus zu ihr herunter, während sein Daumen über dem Touchscreen schwebt.

„Hm?“

„Na, diesen rothaarigen Daddy von gestern. Du warst echt lange mit ihm im Separee.“

Sie greift zur Seite und ertastet ihre Wasserflasche, welche sie sich an die Wange hält.

„Er zahlt halt gut“, erwidert Hawks und zuckt mit den Schultern. „Und abgesehen davon, dass er leicht reizbar ist, verhält er sich mir gegenüber respektvoll. Außerdem ist er heiß. Warum soll ich mir keinen gutaussehenden Kerl gönnen?“

Mina setzt sich auf, die Stirn gerunzelt, während sie die Flasche aufschraubt.

„Schon wieder so ein alter Sack? Du hast echt einen Typ…“

Hawks lächelt sie breit an, denn er weiß, dass sie Recht hat. Was soll er machen? Männer im gleichen Alter…das hat er versucht und es ist nicht dasselbe. Warum also soll er sich mit etwas zufrieden geben, das ihm nicht reicht, nur weil es von außen besser aussieht? Er zieht sich für Geld aus, also bitte. Als würde ihn die Meinung anderer kümmern.
 

„Kann halt nicht jeder einen Kirishima haben, hm?“

Mina verschluckt sich an ihrem Wasser und hustet ein paar Mal, ehe sich ihre Lippen zu einem Schmollmund verziehen. Lustige Geschichte mit den beiden. Sie kennen sich aus der Schulzeit und haben sich bei einem Junggesellenabschied im Club wiedergesehen. Seitdem lässt der Rotschopf, der vorhat, später mal Profiringer zu werden, einfach nicht locker bei ihr – und das auf eine so liebenswürdige Weise, dass es sogar funktioniert. Hawks kennt Mina seit zwei Jahren und er hat sie noch nie so erlebt wie mit Kirishima. Der Typ akzeptiert sogar ihren Job, anstatt einen auf besitzergreifend zu machen. Hawks ist trotzdem sicher, dass es ihm nicht schmeckt, aber verbergen kann der Rothaarige es wirklich gut.

„Lass Eijirou da raus…“, mault sie und bringt ihn zum Grinsen.

„Dann lass du mich meine Vaterkomplexe ausleben“, erwidert er scherzhaft.

„Du bist manchmal echt furchtbar, Hawks…“

„Tja, kann halt nicht aus meiner Haut – und jetzt sag mir, was du essen willst. Ich bekomme Hunger.“

Er reicht ihr sein Handy, während er sich fragt, was das mit Endeavor noch werden wird. Auf ältere Männer zu stehen, ist eine Sache. Auf verheiratete Kerle mit Ballast zu stehen, noch mal eine ganz andere. Dafür hat Hawks ein Händchen und sich vorgenommen, dass er sowas nicht mehr tut.

Allerdings ist der vorige Abend nicht so verlaufen, wie er sich das vorgestellt hat. Nicht, dass er ernste Absichten gehabt hätte, aber er hat nicht erwartet, dass Endeavor am Ende in seinem Schoß liegt und sich trösten lässt. Endeavor, der eigentlich Todoroki Enji heißt. Er nennt ihn absichtlich nicht so, denn erstens hat er das mit der Anonymität ernst gemeint und zweitens will er selbst nicht bei seinem richtigen Namen gerufen werden.

Jedenfalls hat das etwas in Hawks ausgelöst. Klar, er kann es auf die großzügige Kohle schieben, die Endeavor lockergemacht hat, aber er weiß, dass es nicht nur das ist. Hawks kann sein Helfersyndrom nur schwer abschalten und auch, wenn ihn das schon oft in Schwierigkeiten gebracht hat, ist der Drang immer da. Zumal er wirklich glaubt, dass Endeavor Probleme hat, die über eine kaputte Ehe hinausgehen. Eigentlich sollte ihn das nicht kümmern, aber dafür ist es schon zu spät.

„Ihr hattet aber nicht…?“, erkundigt sich Mina und lässt ihn stutzen.

„Quatsch“, entkommt es ihm. „Ich bin auch gar nicht darauf aus…“

„Echt nicht?“, murmelt sie, während sie durch die App scrollt. „Er ist dein Typ, er hat Geld…ist er noch verheiratet?“

„Nur auf dem Papier, meinte er.“

„Ja…das sagen sie alle, hm?“

„Musst du mir nicht sagen“, gibt Hawks seufzend zurück. „Aber bei ihm ist das irgendwie anders. Er – verdreh nicht die Augen, Mina! Er ist wirklich anders. Die meisten Typen hätten schon längst nach meiner Nummer gefragt oder ob sie mich wiedersehen können. Ehrlich, ich hab mich noch nie um einen Kunden so bemühen müssen, damit er mich bucht. Jedenfalls bei keinem, der homo ist. Wirkt auch nicht so, als wäre das eine Masche.“

„Okay…und was habt ihr dann gemacht?“

Hawks überlegt, ob er es ihr erzählen soll. Er weiß, dass Mina nichts verraten wird, so wie er niemandem aus dem Club erzählt hat, was das mit Kirishima ist, als es noch frisch gewesen ist. Dennoch fühlt es sich nicht richtig an, die Panikattacke zu erwähnen, weswegen er mit den Schultern zuckt.

„Ich habe ein bisschen getanzt, aber er wollte lieber reden und trinken. Glaube, ihm bedeutet die Gesellschaft mehr, als dass ich ihn auf Touren bringe…und ehrlich? Ich finde das eigentlich ganz schön.“

„Solange du dich nicht in ihn verknallst und es hinterher wieder schiefgeht“, nuschelt sie und gibt ihm sein Handy zurück, damit er die Bestellung abschließen kann.

„Habe ich nicht vor.“

Was nicht heißt, dass es nicht schon mal passiert ist. Er hat kein Glück mit seiner Partnerwahl, aber da es meistens sowieso nur um das Eine geht, ist das nicht weiter tragisch. Er hat einen Plan und an dem hält er fest. Komplizierte Liebschaften machen es bloß schwieriger, worauf er verzichten kann. Aber wer weiß, vielleicht wird Endeavor ein Freund. Kann ja nicht schaden, bei einem Mann mit Geld und vermutlich Einfluss einen Stein im Brett zu haben.

Hawks schickt die Bestellung ab und wirft dann einen Blick zu Mina, die aufsteht und sich streckt.

„Ich werde mal duschen gehen. Such schon mal einen Film raus, ja?“

„Aye, aye!“, erwidert er grinsend, woraufhin sie ihm die Zunge herausstreckt.

Hawks lehnt sich zurück und streckt die Beine auf der Couch aus, während er daran denkt, dass er später noch eine Schicht im Club hat. Nun, auf Endeavor muss er wohl heute verzichten, so betrunken, wie der Mann am Ende ins Taxi gestiegen ist. Mal wieder.

Für Hawks ist das eigentlich ein Punkt, der ihn abstößt. Übermäßiger Alkoholkonsum oder Sucht…bis hin zu gewalttätigem Verhalten. Das sind Dinge, die er nicht toleriert. Jedoch ist er es von solchen Menschen nicht gewöhnt, dass sie sich entschuldigen. Vor allem nicht bei jemandem wie ihm, der sein Geld mit Strippen verdient. Viele Typen und auch einige Weiber sehen das als Anlass, ihn wie Dreck zu behandeln. Ausraster hin oder her, er glaubt Endeavor, dass er es ernst gemeint hat. Er ist kein schlechter Mensch, das spürt Hawks…und mit schlechten Menschen kennt er sich aus.
 

Etwa fünf Minuten später klingelt es plötzlich, was Hawks irritiert, denn das Essen kann es nicht sein. Von Kirishima hat Mina nichts gesagt, aber wer weiß, ob er nicht spontan vorbeikommt. Hawks zieht sich seinen kuscheligen, roten Hoodie über und geht zur Tür. Er drückt auf die Lautsprechertaste.

„Ja?“

„Komm runter.“

Die krächzende Stimme erwischt ihn unerwartet, beschleunigt seinen Herzschlag. Eine unangenehme Gänsehaut überkommt ihn, die Luft scheint dünner zu werden, sodass er einen Moment braucht, um sich zu fassen. Eine Wahl hat er nicht, das weiß er, weswegen er wortlos in seine Sneaker schlüpft und durch das Treppenhaus hinausgeht. Alles in ihm sträubt sich dagegen, die Tür zu öffnen, aber er tut es trotzdem, wobei sich seine Miene verschließt. Keine Emotionen zeigen.

„Da bist du ja endlich!“, wird er direkt angezischt, als er herauskommt. „Lass mich nicht immer so lange warten, verdammt!“

Hawks‘ monotone Mimik verändert sich nicht, auch wenn innerlich die Wut in ihm brodelt. Lange warten. Als ob. Er schiebt die Hände in die Bauchtasche seines Hoodies, um ruhig zu wirken – was er nicht ist. Dabei bleibt er auf genügend Abstand, doch die Fahne riecht er trotzdem. Es ekelt ihn.

„Schau mich nicht so an!“, knurrt sein Gegenüber gereizt.

Hawks ist froh, dass man ihnen nicht ansieht, dass sie miteinander verwandt sind. Jedes Mal, wenn sie sich sehen, worauf er verzichten könnte, sieht dieser Mann kaputter aus. Das verhärmte, faltige Gesicht, die geröteten Augen und seine Kleidung, auf der irgendwelche Flecken zu sehen sind. Hawks entgeht nicht, dass seine Hände zittern, was bei Alkoholikern kein ungewöhnliches Anzeichen ist.

„Wie geht’s Mom?“, fragt er beiläufig, obwohl es ihm egal ist.

Er hat mit seiner Familie abgeschlossen und bedauert, dass diese sich wie eine Zecke an ihm festgesaugt hat.

„Wie soll’s ihr gehen?!“, wird er von seinem Vater angeblafft. „Stell nicht so dumme Fragen und gib mir das Geld!“

Hawks wünscht sich, er würde leiser sprechen, denn er hat keine Lust, dass das hier jemand mitbekommt. In einem Anflug von Trotz schnaubt er leise und weicht vorsichtshalber einen Schritt zurück, sodass er die Tür im Rücken hat.

„Ich habe dir bei deinem letzten Besuch gesagt, dass das das letzte Mal gewesen ist. Das war mein Ernst“, erwidert er so gelassen, wie es ihm in dieser Situation möglich ist.

Er ist nicht überrascht, als sein Vater ihren Abstand überwindet und ihn am Kragen seines Hoodies packt, um ihn gegen die Tür zu schubsen. Hawks sieht ihn unbeeindruckt an, wehrt sich nicht dagegen, auch wenn er hofft, dass er ihm nicht ins Gesicht schlägt. Er wird mit einem Veilchen nicht auftreten können. Er will sich aber ebenso wenig auf eine Prügelei einlassen, die im Nachhinein bei der Polizei gemeldet wird. Das kann er sich nicht leisten.
 

„Du erbärmlicher, kleiner Wicht!“, faucht sein Vater und spuckt bei jedem Wort, sodass Hawks seinen Ekel nur schwer verbergen kann. „Du denkst wohl, du bist was Besseres, huh?! Meinst, du kannst hier herumstolzieren und arrogant sein?! Du bist ein Nichts, Keigo! Und wenn du dein Geld schon wie eine Hure verdienst, dann trete gefälligst deinen Beitrag an uns ab!“

„Ich schaffe nicht an, sondern tanze. Das ist ein Unterschied“, korrigiert Hawks ihn ruhig, dabei die erhobene Faust im Blick.

Er könnte ihn fertig machen. Den Schlag abwehren, sich aus dem Griff befreien und selbst zulangen. Der alte Mistkerl würde nicht mehr aufstehen – so wie etwaige Typen, die ebenfalls nicht verstehen wollen, dass er sich nicht prostituiert.

Hawks tut es nicht. Er wartet.

„Das willst du?! Frech werden?! Ich sollte dir Manieren einbläuen, du nutzloses Stück!!“

„Tu das und ich verdiene gar nichts mehr. Dann war’s das mit eurer günstigen Einnahmequelle“, gibt er zurück und sieht, wie es in dem versoffenen Verstand arbeitet.

Er hasst es, dass er einknicken wird. Dass er ihnen das verdammte Geld, das ihnen überhaupt nicht zusteht, geben wird. Es ist jedoch einfacher so, als einen Aufruhr zu riskieren. Er schämt sich für diese Personen und dafür, ihr Sohn zu sein.

Irgendwann wird er auch dieses letzte Band kappen, aber jetzt kann er das nicht. Er hat einen Plan und in diesem sind keine Skandale vorgesehen. Er möchte nicht auffällig werden und sein Vater wird dafür sorgen, dass genau das passiert, wenn er sich weigert.

„Ich warne dich ein letztes Mal“, knurrt sein Vater und Hawks atmet durch.

Sein Blick wird eine Spur kühler, wenn das Gefühl der Hilflosigkeit auch schwer in seinem Magen liegt. Er will sich davon befreien, doch diese Fesseln werden ihn wohl noch länger am Boden halten. Freiheit. Tse…

„Lass mich los, dann gebe ich es dir und du verschwindest“, erwidert er tonlos.

Sein Vater funkelt ihn finster an, nimmt aber seine Hand weg, sodass Hawks ein wenig die Schultern straffen kann. Er will wenigstens so tun, als sei ihm das hier scheißegal. Als würde er nicht auf das Äußerste gedemütigt werden, weil ihn seine eigenen Eltern erpressen. Als würde es ihn nicht verletzen.

Er holt das Bündel Scheine aus der Bauchtasche und reicht es ihm, woraufhin die Gier in den Augen seines Vaters aufblitzt. Er reißt es ihm praktisch aus der Hand und zählt ungeduldig nach. Das ist alles, was ihn interessiert. Hawks hat gelernt, sich vor dem Schmerz zu verschließen. Ihn zu verdrängen. Er kann trotzdem nicht verhindern, dass es wehtut.

„Es geht doch!“, kommt es zufrieden von seinem Vater und er versucht, seine Wange zu tätscheln.

Hawks schlägt die Hand automatisch weg, verengt die Augen zu schmalen Schlitzen. Es widert ihn an, was hier gerade passiert. Verwirrt wird er angesehen, so als sei Hawks derjenige, der sich unmöglich verhält. Dann kehrt der Zorn zurück.

„Schön!“, blafft er ihn an. „Wie du willst! Sieh zu, dass die Knete auch das nächste Mal da ist! Deinetwegen ist unser Leben so ruiniert, Keigo! Du schuldest uns das!“

Er wedelt aggressiv mit dem Geld vor seinem Gesicht herum und Hawks will nur noch, dass er verschwindet. Ein paar Wochen wird er erstmal Ruhe vor ihm haben. Vielleicht schickt er nächstes Mal seine Mutter vor und das ist noch schlimmer, denn diese heult und fleht ihn an, anstatt ihm zu drohen. Er hat es so satt.

Grob wird er noch mal gegen die Tür gestoßen, ehe sein Vater das Geld einsteckt und endlich geht. Hawks spürt das Pochen in seiner Schulter und das taube Gefühl, das sich jedes Mal um sein Herz legt, wenn seine Eltern vorbeikommen, um ihn auszunehmen. Es ist nicht so, dass er nichts mehr übrig hat. Er gibt ihnen nur so viel, wie er abtreten kann. Es geht nicht um die Summe an sich, sondern darum, dass er ihnen am Arsch vorbeigeht.
 

Hawks stößt die Luft aus, die er unweigerlich angehalten hat, und sieht in den Himmel, der sich langsam rötlich färbt. Himmel. Fliegen. Freiheit. Irgendwann wird er so weit sein. Bis dahin muss er einfach nur durchhalten. Er wird jetzt hochgehen und diesen Besuch verdrängen. Er wird Mina anlächeln und ihr sagen, dass er heute etwas Humorvolles schauen will, sich aber nicht entscheiden konnte. Sie werden später leckere Chicken Wings essen und dann wird er duschen, sich fertig machen und sich die ganze Scheiße von der Seele strippen.

Manche Menschen, so wie Endeavor, verstehen nicht, dass dieser Job für ihn mehr ist als nur eine gute Einnahmequelle. Wenn er auf der Bühne steht und sich umschaut, dann sehen die Leute ihn. Sicher, sie gaffen seinen Körper an, bewundern ihn an der Stange…oder stellen sich vor, wie es wohl wäre, ihn zu ficken oder sich ficken zu lassen.

Hawks weiß das, aber für ihn ist es dennoch eine Form von Anerkennung. Es steigert seinen Selbstwert. Er ist dort von Leuten umgeben, die seine Arbeit zu würdigen wissen – auch wenn manche zudringlich werden. Aber im Club kann er sich dagegen wehren. Er ist nicht allein dort. Man passt aufeinander auf, kümmert sich umeinander. Für ihn ist das mehr Familie, als er es in seinem ganzen Leben gefühlt hat.

Hawks wendet sich ab und geht zurück ins Treppenhaus, wobei er sich bereits zum Lächeln zwingt…und es ist ein bitteres Lächeln.

Friends

Wenn Enji ehrlich ist, hat er nicht geglaubt, sich gerade mal eine Woche später erneut im Club wiederzufinden. Er ist ein Mann mit Stolz...und den hat er am letzten Samstag offensichtlich verloren. Es macht ihn wütend, wenn er daran zurückdenkt, dass Hawks ihn wie ein Kind getröstet hat. Enji weiß nicht, wie lange er im Schoß des jüngeren Mannes gelegen und dessen Streicheleinheiten genossen hat. Er weiß nur, dass das nicht wieder passieren darf. Und dass es ihn durcheinander bringt, weil er, obwohl er das doch weiß, diese Berührungen als unglaublich angenehm empfunden hat. Er kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so gut geschlafen hat wie in jener Nacht.

Sicher wird seine Erschöpfung nach der Panikattacke dazu beigetragen haben, doch er kann nicht leugnen, dass er sich wohl gefühlt hat. Es ist, als wäre der Ballast wenigstens für den Moment von ihm abgefallen. Er kann atmen, ohne dass sich die Schlinge zuzieht. Jedenfalls für ein paar Tage, denn danach geht das Ganze wieder von vorn los. Er fühlt sich müde und antriebslos. Albträume rauben ihm die Nächte, sorgen dafür, dass sich dunkle Ringe unter seinen Augen bilden…und er beginnt wieder zu trinken.

Was neu ist, ist die Tatsache, dass er zwischendurch an Hawks denkt. An seine Berührungen. Die sanfte Stimme. Die Geborgenheit, die er ihm gegeben hat. Enji weiß, dass er nicht dorthin zurück kann. Nicht dorthin zurück sollte. Es würde nur beweisen, wie verzweifelt er ist. Das kann sein Stolz nicht ertragen. Deswegen nimmt er sich vor, dass er diesen Abend vergisst. Jedenfalls so lange, bis der Samstag da ist. Der Gedanke, den Abend allein in seiner Wohnung mit Whiskey und Fernsehen zu verbringen, sorgt dafür, dass sich die Schlinge wieder zuzieht. Ebenso wie die Nachricht seiner Tochter, dass sie alle noch etwas Zeit für sich brauchen. Sie müssen sich fangen.

Enji fragt sich, ob er sich jemals fangen kann und wie es überhaupt weitergehen soll. Die Vorstellung, für immer allein zu sein, so wie er es zurzeit oft ist, lässt seinen Puls rasen. Vorher hat ihm das nichts ausgemacht, doch mittlerweile ist nichts mehr wie vorher. Am Ende geht er duschen, stutzt seinen Bart, damit er vernünftig aussieht, legt sein Aftershave auf und holt einen dunkelblauen Anzug aus dem Schrank. Keine Krawatte.
 

Enji will gar nicht wissen, was die Mitarbeiter des Clubs über ihn denken müssen. Vermutlich halten sie ihn für so einen alten Spinner, der sich in Hawks verguckt hat und sich mehr erhofft. Er kann den Blondschopf nirgends sehen, als er seinen gewohnten Platz an der Bar einnimmt. Aizawa ist so freundlich wie immer. Er stellt ihm wortlos den gewohnten Drink hin und wendet sich direkt danach ab. Noch deutlicher kann er seine Abneigung wohl nicht zeigen. Kurz beobachtet Enji ihn, wie er mit einem Typen spricht, der seine langen blonden Haare zu einem Dutt hochgebunden hat. Der Kerl trägt Lederklamotten und eine Sonnenbrille…und Enji vermutet, dass er hier arbeitet. Seine Stimme ist unangenehm laut, selbst durch die Musik des Clubs, und er gestikuliert übertrieben. Er hört nicht, was Aizawa sagt, doch seinem genervten Ausdruck nach zu urteilen ist der Mann nicht nur zu ihm unhöflich.

Enji lässt den Blick weiter schweifen, als neben ihm ein schweres Seufzen ertönt. Er runzelt die Stirn, als er neben sich einen jungen Kerl sitzen sieht, der sich an die Bar gelehnt hat und frustriert zur Bühne sieht. Dort tanzt gerade die Kleine mit den rosa Haaren, an die er sich noch von seinem ersten Besuch erinnert. Sie trägt nur noch einen knappen, pinken String und ein gleichfarbiges Bustier, während sie ihren Hintern an der Stange reibt und sich gleich darauf an dieser emporschwingt. Enji wendet sich ab, bevor er noch mehr von ihr sieht. Schon wieder fühlt er sich wie ein Perverser.

Der Typ neben ihm ist rothaarig wie er selbst, trägt einen gleichfarbigen Kapuzenpulli über seiner weiten Jeans und ist vermutlich noch nicht lange volljährig. So zusammengesunken, wie er dort hockt, scheint er nicht wirklich Spaß an der Show zu haben. Da sind sie ja schon zwei.

„Jo, Kirishima-kun!“, wird der junge Mann mit den breiten Schultern plötzlich angesprochen.

Enji erkennt die Dame mit den silbernen Haaren wieder, die ihn schon ein paar Mal zu bezirzen versucht hat. Miruko oder wie sie heißt. Diese hat einen muskulösen Unterarm auf dem Tresen abgestützt und grinst ihn breit an. Heute trägt sie einen Body aus Netzstoff, der nicht viel Fantasie übrig lässt, und darunter schwarze Unterwäsche. Die Hasenohren sind natürlich wieder dabei.

„Eh, guten Abend, Miruko-san“, erwidert der junge Mann die Begrüßung ein wenig verlegen.

„Wartest du auf Pinky?“, hakt sie grinsend nach und wackelt mit den Brauen. „Keine Sorge, die nächste große Männerrunde hat mich gebucht. Denke nicht, dass sie heute allzu lange macht.“

„Ach, schon in Ordnung“, wiegelt Kirishima ab. „Ich warte so lange, wie es eben dauert. Sie hat gemeint, dass ich sie nicht abholen muss, aber na ja, es ist nicht gerade männlich, seine Freundin allein nach Hause gehen zu lassen.“

Miruko schmunzelt.

„Du bist süß“, kommentiert sie seine Worte. „Auch wenn du hoffentlich weißt, dass sie Schläge und Tritte drauf hat, die die meisten Kerle ins Koma schicken können?“

„Keine Sorge, das ist mir bewusst“, gibt der junge Mann freundlich zurück. „Es geht eher ums Prinzip. Ich möchte einfach, dass sie weiß, dass ich da bin.“

„Aww, du bist wirklich ein Süßer!“, entfährt es ihr verzückt und sie wuschelt ihm durch die roten Haare, was er schief lächelnd über sich ergehen lässt. „Pinky hat Glück mit dir! So wie ein gewisser Jemand Glück mit mir haben könnte, aber heute bin ich leider ausgebucht, Endeavor-san.“

Enji verschluckt sich beinahe an seinem Whiskey, wirft dem dreisten Weibsstück einen bösen Blick zu, den sie mit funkelnden, roten Augen erwidert. Anscheinend hat sie noch nicht aufgegeben.

„Ein Jammer“, brummt er trocken und sie lacht auf.

„Ja, das glaube ich dir sofort. Falls du unser Vögelchen suchst, der ist gerade im Separee. Sein anderer Verehrer hat ihn gebucht – aber sorge dich nicht, der hat nicht so viel Moos. Wird also keine lange Sache werden.“

Sie zwinkert ihm zu, ehe sie ihre langen, silbernen Haare über die Schulter wirft, Kirishima noch mal auf die Schulter klopft und sich dann vermutlich frisch machen geht. Anstrengende Frau. Zu allem Überfluss starrt ihn dieser junge Kerl neben ihm jetzt auch noch an. Großartig.
 

Für Enjis Geschmack dauert es zu lange, denn während Pinky nach ihrem Auftritt von der Bühne springt und Kirishima überschwänglich begrüßt, ist von Hawks nichts zu sehen. Sein anderer Verehrer, hat Miruko gesagt. Muss er sich Sorgen machen? Nein. Geht ihn ja auch nichts an. Hawks gehört ihm nicht und er will keinen falschen Eindruck erwecken, indem er die Leute hier nervt. Er wird schon noch kommen. Hofft Enji jedenfalls, denn ansonsten weiß er nicht, weswegen er hier ist.

Mit jemand anderem ins Separee zu gehen, ist für ihn keine Option. Eher wird er wieder verschwinden und diesen Abend als Fehler abstempeln. Wo ist eigentlich Aizawa, wenn man einen Drink braucht? Dieser scheint seinen Gedanken erraten zu haben, denn im selben Moment füllt er ihm still nach, woraufhin Enji ein knappes „Danke“ brummt.

Aizawa mustert ihn ein paar Sekunden aus seinen dunklen Augen und Enji wird das Gefühl nicht los, das er etwas sagen will. Dass er es nicht tut, liegt vielleicht an den neuen Kunden, die soeben nicht gerade leise den Club betreten. Es sind allesamt Männer in Anzügen und mindestens in seinem Alter. Die Art und Weise, wie sie sich geben, lässt vermuten, dass sie Geld haben.

Anscheinend ist das die sogenannte Männerrunde, die Miruko erwähnt hat, denn diese geht auf die Neuankömmlinge zu und geleitet sie mit einem verführerischen Lächeln zu einer der Sitzecken. Bereits jetzt führen sie sich wie Idioten auf, indem sie dämlich grinsen und sie angaffen wie ein Stück Fleisch. Na ja, sie wird schon damit fertig werden, so schlagfertig, wie sie ist.

In der Sekunde, als er sich abwenden will, fällt ihm ein blonder, zerzauster Schopf auf. Hellblaue Augen erwidern seinen Blick, weiten sich…und auch Enji fühlt sich, als würde ihn jemand mit kaltem Wasser übergießen. Scheiße. Das ist jetzt nicht wahr. Er weiß, dass er nicht einfach hinausstürmen kann. Das würde der andere nicht zulassen…und auf eine peinliche Szene kann Enji verzichten. Er hatte in letzter Zeit genügend davon.

Der Blondschopf gibt seinen Was-auch-immer-sie-sind ein Zeichen, dass er sich einen Drink holen wird. Dann kommt er geradewegs auf die Bar…und damit auch auf Enji zu. Mist. Er kann diesmal nicht ausweichen.
 

„Enji?“

Finster blickt der Angesprochene ihn an, auch weil er einfach seinen Namen nennt. Hoffentlich hat ihn niemand gehört.

„Toshinori.“

Sein Freund und Rivale aus Jugendzeiten lächelt ihn schief an, wobei die Falten in seinem Gesicht mehr hervortreten. Er sieht trotz seiner Beschwerden immer noch gut aus, hochgewachsen und er hat bloß ein wenig an Masse verloren. Seine goldenen Zeiten gehören allerdings der Vergangenheit an.

„Ich habe versucht, dich zu erreichen…dass ich dich an so einem Ort treffe, habe ich zwar nicht erwartet, aber es ist schön, dich zu sehen“, gibt Toshinori ehrlich zurück und setzt sich ungefragt zu ihm.

Kirishima und seine Freundin sind mittlerweile verschwunden.

„Gleichfalls“, brummt Enji schroff zurück. „Seit wann treibst du dich in solchen Etablissements herum?“

Es sollte ihm vermutlich unangenehmer sein, als es das ist, aber er sagt sich, dass sie beide im selben Boot sitzen. Angriff ist die beste Verteidigung.

„Oh, na ja, das…also, es war nicht geplant. Ich habe erst soeben erfahren, wo wir unser…eh…Meeting abhalten. Die Herren sind Kollegen von mir“, erklärt sich Toshinori und reibt sich dabei den breiten Nacken.

„Ah ja…“

Enji glaubt es ihm, obwohl er absichtlich Skepsis in seinen Tonfall legt. Wenn er eins über den anderen weiß, dann dass er absolut ehrlich ist. Diese Gutmenschentour hat ihn schon damals immer zur Weißglut getrieben. Anhand der tiefen, dunklen Augenringe und der verhärmten Züge erkennt Enji, dass er wahrscheinlich immer noch so ein Workaholic wie er selbst ist. Sie sind wie Tag und Nacht und dennoch ähneln sie sich in einigen Dingen fast schon zu sehr.
 

„Sieh an, noch so ein aufgepumpter Typ. Hoffe, du benimmst dich besser als dein Freund...oder die Kerle dahinten, die dich im Schlepptau hatten. Was darf ich ausschenken?“

Die Worte kommen dem Barkeeper zwar monoton über die Lippen, eine Frechheit ist es aber trotzdem. Kann man den Kerl irgendwo anschwärzen? Schließlich sind sie beide immer noch Gäste, die er respektvoll zu behandeln hat. Auch wenn Toshinoris Kollegen wirklich anstrengend zu sein scheinen.

„Aufge…oh nein, da täuschen Sie sich“, erwidert Toshinori mit einem sanften Lächeln. „Wissen Sie, früher war das vielleicht so, aber nun, das Alter macht vor keinem Halt. Wenn Sie wüssten, wie viele Gebrechen ich verbergen muss, hätten Sie wohl eher Mitleid mit mir. Oh, und ich hätte gern ein stilles Wasser. Danke.“

Nicht nur Enji blickt den Blonden perplex an, auch Aizawa ist scheinbar zu verdutzt, um etwas zu erwidern. Gewissermaßen erfreut es Enji, trotzdem er diese falsche Bescheidenheit zum Kotzen findet. Das hat er schon immer.

„Wasser?“, wiederholt der Dunkelhaarige schließlich ungläubig. „Das ist ein Club. Mit einer Bar.“

„Das ist mir bewusst, allerdings muss ich einige Medikamente zu mir nehmen, die sich nicht gut mit Alkohol vertragen. Unter uns gesagt, bin ich auch nicht sehr trinkfest, von daher würde ich meinen Mitmenschen am Ende bloß zur Last fallen und das möchte ich vermeiden, wie Sie sicher verstehen.“

Toshinoris Ton ist freundlich wie eh und je, doch Enji kann sich vorstellen, dass sich Aizawa gerade wie ein Stück Scheiße fühlen muss.

„Verstehe“, kommt es knapp von ihm, ehe er ein Glas mit Wasser füllt.

„Keine Sorge, es ist nichts Ernstes. Die üblichen Leiden eines Leistungssportlers. Schmerzende Knochen, alte Verletzungen und dergleichen“, wiegelt der Blonde ab und nimmt das Glas entgegen. „Vielen Dank.“

„…hm.“

Aizawa weicht seinem Blick nun aus, scheint es vermeiden zu wollen, das Gespräch fortzuführen. Nun, dass Toshinoris bescheuerte Freundlichkeit einem den letzten Nerv rauben kann, weiß er selbst aus eigener Erfahrung.

Danach wendet sich Toshinori wieder ihm zu – worauf Enji eigentlich ganz gut verzichten kann. Er will sich nicht mit dem anderen Mann unterhalten, denn er weiß, was dieser ansprechen wird.

„Wie geht es dir?“, fragt er tatsächlich und senkt dabei die Stimme.

So als wäre er ein rohes Ei. Enji hasst es.

„Gut“, knurrt er gereizt und nimmt einen Schluck von seinem Drink.

Toshinori nickt verstehend, obwohl er rein gar nichts versteht. Er steckt nicht in seiner Haut…und Enji will sein Mitleid nicht. Auch weil er es nicht verdient.

„Hör zu, ich will mich nicht aufdrängen, aber ich hoffe, du weißt, dass du auf mich zählen kannst. Nach dem, was passiert ist, ist es keine Schande, Hilfe anzunehmen.“

Enjis Kiefer malmt, doch er reißt sich zusammen, will nicht wieder aus der Haut fahren. Es ist nett gemeint, das ist ihm bewusst. Nur sind es die falschen Worte. Von der falschen Person.

„Wie ich sagte, es geht mir gut. Ich brauche deine Hilfe nicht“, erwidert er steif, ehe er das Thema wechselt. „Und übrigens…was fällt dir ein, einem Fremden meine Adresse weiterzugeben?!“

Toshinori stutzt, aber wenigstens verlässt das Mitleid seinen Blick.

„Oh…nun, Hawks-kun hat mir erklärt, dass ihr euch in einer Bar kennengelernt habt. Er wollte dich wiedersehen, aber da du dein Handy verloren hast…ich dachte, ich tue dir einen Gefallen. Es muss dir nicht unangenehm sein, Enji. Es ist in Ordnung, wenn du ein bisschen…Ablenkung suchst. Das ist nur menschlich. Ich weiß, dass das mit Rei hart ist und das mit-“

„Einen Scheiß weißt du“, knirscht Enji aggressiv und umklammert fest sein Glas.

Toshinori verstummt sofort, erkennt wohl, dass er eine Grenze überschritten hat. Er sieht das Zucken in seiner Hand und ist froh, dass er es bleiben lässt. Ihn nicht anfasst.

„Gibt es ein Problem?“

Aizawa ist wieder da. Irgendwie scheint der Typ Ärger zu riechen, denn er taucht bei jeder Kleinigkeit auf. Toshinori lächelt ihn an, scheint von dem vorigen Verhalten des Barkeepers nicht beleidigt zu sein.

„Es ist alles gut. Nur könnte mein Freund hier vielleicht noch einmal nachgefüllt bekommen? Ich zahle. Und…wie war noch mal Ihr Name?“

Aizawa sieht ihn skeptisch an, während er blind nach der richtigen Flasche greift und Enji nachfüllt. Na seinetwegen. Er hat genügend Geld, aber wenn es Toshinori ein Bedürfnis ist…

„Aizawa.“

„Yagi Toshinori. Freut mich.“

„…die meisten Kunden bevorzugen Anonymität. Sie offensichtlich nicht“, kommt es trocken von Aizawa. „Keine Sorge um Ihren Ruf? So als Leistungssportler?“

Toshinori lächelt ihn immer noch an, lässt sich kein bisschen provozieren.

„Nun, da meine Tage als Quarterback gezählt sind und ich beim Football inzwischen nur noch als Manager agiere, halten sich meine Sorgen in Grenzen. Aber danke, dass Sie sich um mich solche Gedanken machen.“

Toshinori spielt vielleicht nicht mehr, aber er ist nach wie vor ein Gewinner. Aizawa ist abermals sprachlos, starrt ihn einfach nur an und vermutlich ärgert er sich über sich selbst.

„Abgesehen davon habe ich nicht vor, unangenehm aufzufallen. Die Tänzer und Tänzerinnen haben meinen Respekt für Ihre Leistung. Es muss ein hartes Training nötig sein, um seinen Körper so gut unter Kontrolle zu haben. Das ist beeindruckend.“

Aizawa sieht ihn immer noch an, als hätte er nicht alle Tassen im Schrank. Es lenkt Enji ein wenig davon ab, dass Hawks weiterhin verschwunden bleibt. Wobei er nicht weiß, ob er ihn gerade jetzt sehen will, wo Toshinori neben ihm sitzt.

„Ist das so?“, kommt es abschätzend von Aizawa.

„Verstehen Sie mich nicht falsch. Die jungen Frauen und Männer sind sehr attraktiv. Ich lege darauf nur nicht so viel Wert wie meine geschätzten Kollegen.“

Enji fragt sich, ob Aizawa schon gemerkt hat, dass Miruko für jemanden wie Toshinori keinen Reiz hat. Der Blonde hat es in den letzten Jahren geschafft, sein Privatleben weitgehend vor der Öffentlichkeit zu verbergen. So wie seinen langjährigen Partner, David Shield. Enji weiß nichts Genaues über die Trennung der beiden, es ist ihm aber auch ziemlich egal. Über die Sache ist inzwischen Gras gewachsen, die beiden verstehen sich immer noch gut. Als Freunde. Enji fragt sich unweigerlich, ob Rei und er das ebenfalls irgendwie schaffen können. Wenn sie sich gefasst hat und ihm verzeihen kann. Falls sie das jemals tut.

„Aha.“

Aizawa jedenfalls fühlt sich unter dem intensiven Blick des anderen Mannes anscheinend unwohl, denn er wendet sich mit diesem knappen Wort ab und widmet sich dem nächsten Kunden. Die steile Falte, die sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet hat, lässt darauf schließen, dass er sich insgeheim ärgert. Toshinori dagegen schmunzelt in sich hinein, ehe er noch einen Schluck Wasser zu sich nimmt.
 

„Bin da~!“, wird er von der Seite angezwitschert und schon schlingt sich ein Arm um seine Schultern.

Toshinori, der wohl soeben noch etwas sagen wollte, blinzelt irritiert, während Enji spürt, wie ihm die Scham heiß werden lässt.

„Tut mir wirklich leid, dass ich dich hab warten lassen, Endeavor-san, aber das hat dann doch länger gedauert, als ich dachte. Sonst ist das eher ‘ne schnelle Nummer, aber na ja…zu trinken hast du schon? Sehr gut! Oh, hi, ich bin übrigens Hawks, freut mich!“

Damit strahlt Hawks Toshinori an, welcher etwas überfahren von dem Redeschwall wirkt. Hinter seiner Stirn muss es rattern, so wie er den Jüngeren mustert und dann Enji ansieht. Es ist unangenehm, denn er hat wieder das Gefühl, als würde er sich rechtfertigen müssen.

Schließlich legt sich aber ein freundliches Lächeln auf Toshinoris Lippen.

„Yagi Toshinori. Wir haben telefoniert“, klärt er ihn auf und Hawks‘ Augen weiten sich.

„Oh! Du bist das! Krass, ich hab irgendwie ein ganz anderes Bild von dir gehabt. Bist du zufällig hier oder wegen ihm?“

Noch immer hat Hawks den Arm um ihn geschlungen, will wohl auch nicht so bald loslassen.

„Meine Kollegen haben hier ein Meeting angesetzt – zu dem ich auch bald zurück sollte. Also nein, es war Zufall. Enji und ich kennen uns von früher zu Schulzeiten.“

„Also seid ihr Freunde?“, hakt Hawks nach und Toshinori zögert, wirft ihm einen Blick zu.

Freunde. Sind sie das noch? Enji schweigt, denn irgendwie erscheint ihm jede Antwort falsch. Er nimmt seinen Drink und trinkt einen Schluck, um dem Gespräch zu entgehen.

„Nun, wie gesagt, ich sollte zurück“, gibt Toshinori ausweichend zur Antwort und lächelt erneut. „Hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Hawks-kun. Und Enji? Ruf mich gern an, wenn du Zeit für eine Tasse Kaffee hast.“

Dabei ist sein Blick so eindringlich, dass selbst Hawks nicht entgehen kann, dass sich der blonde Hüne um ihn sorgt. Enji nickt knapp, auch wenn er weiß, dass er nicht anrufen wird. Er erkennt den guten Willen hinter dem Angebot und dass Toshinori ihm bloß helfen will, seine Last zu schultern. Die Sache ist, dass Enji nicht das Bedürfnis verspürt, mit irgendjemandem darüber zu reden. Dass Toshinori seine Frau und Kinder kennt, macht es nicht einfacher. Enji bezweifelt ohnehin, dass er die ganze Geschichte kennt. Vielleicht würde er dann von sich aus den Kontakt komplett abbrechen.
 

„Ist er das?“

Hawks löst den Arm von seinen Schultern und nimmt neben ihm auf dem Barhocker Platz, stützt dabei den Unterarm auf dem Tresen ab. Er trägt wieder seine Polizei-Uniform, abgesehen von der Mütze. Seine bernsteinfarbenen Augen ruhen auf ihm, während Enji seine Stimme wiederzufinden versucht.

„Ist er was?“, brummt er und kippt den letzten Schluck Whiskey herunter.

„Der Kerl, der dich darauf gebracht hat, dass du nicht so hetero bist, wie du gedacht hast.“

Wenigstens spricht Hawks leise, sodass es nicht gleich jeder im Umkreis mitbekommt. Enji presst kurz die Lippen zusammen, weil er eigentlich nicht darüber reden will. Andererseits ist das besser, als über seine Familie zu sprechen. Also nickt er.

„Lange her“, erwidert er, ohne Hawks anzusehen. „Wir…es war, bevor ich meine Frau kennengelernt habe. Wie gesagt, zu Schulzeiten und…es hielt nur eine Weile. Wir hatten unterschiedliche Ziele und Ambitionen. Er wollte ins Ausland, ich konnte hier nicht weg. Das war miteinander nicht vereinbar.“

Er zuckt mit den Schultern, weil es nun einmal der Lauf der Dinge ist, erwachsen zu werden und sich auseinanderzuleben. Das ist es nicht, was er bedauert. Nicht mehr jedenfalls.

„Und du?“, fragt er beiläufig, weil er nicht länger über sich reden will.

Hawks hält inne, neigt den Kopf ein wenig.

„Und ich?“

„Wie hast es gemerkt?“

Anscheinend ist das ein Punkt auf Hawks‘ Liste, den er nicht so gern anspricht. Es ist wie bei dem Tattoo, da hat er ihn auch aus der Bahn geworfen.

„Wenn man’s weiß, weiß man’s halt“, meint er schließlich. „Ich hab schon Mädchen geküsst, aber es ging nie darüber hinaus. Muss ebenfalls im Teenie-Alter gewesen sein, als ich den Ersten hatte. Ich hatte mit meiner Sexualität an sich nie Probleme oder Hemmungen.“

Es scheint für einen Moment so, als würde Hawks noch mehr sagen wollen, doch er schließt den Mund wieder. Mit was auch immer er stattdessen Probleme gehabt hat, will er ihm nicht offenbaren. Irgendwie beruhigt es Enji, dass nicht alles in Hawks‘ Leben einfach zu sein scheint. Auch wenn es mies ist, es gibt ihm ein besseres Gefühl.

„Verstehe“, brummt er und Hawks lächelt ihn an.

Vielleicht, weil er erleichtert ist, dass Enji nicht nachbohrt. Na ja, sie müssen beide nur so viel preisgeben, wie sie wollen, nicht wahr? Und Enji ist sich sicher, dass er mehr Leichen im Keller hat als der jüngere Mann. Bei der Metapher wird ihm übel und er sieht sich nach Aizawa um, um sich nachschenken zu lassen.
 

„Hey Endeavor-san.“

Enji sieht zu Hawks, welcher ihn nach einigen Sekunden erneut anspricht.

„Hm?“

„Nächste Woche läuft ein Film an, den ich unbedingt sehen möchte. Meine Mitbewohnerin ist schon verplant und ich will nicht das fünfte Rad am Wagen sein. Also…hast du Lust mit mir ins Kino zu gehen? Nächsten Mittwoch wäre cool. Da hab ich weder Schule noch Schicht.“

Enji starrt ihn verwirrt an, nicht sicher, ob der andere das soeben wirklich gefragt oder er sich verhört hat.

„Was?“, entkommt es ihm perplex.

„Na, Kino. Du. Ich. Popcorn und Nachos.“

„Ich weiß, was Kino heißt, nur ich…warum?“

„Sage ich doch. Ich möchte den Film sehen und ich habe nicht so viele Freunde, die sich Venom 2 reinziehen wollen.“

„…ich kenne nicht mal den ersten Film“, erwidert Enji trocken, woraufhin Hawks schmunzelt.

„Gibt’s auf Netflix und er wird dir gefallen. Guck ihn vorher, ja?“

Enji versteht nicht, wie er jetzt darauf kommt, mit ihm ausgehen zu wollen. Oder was er sich davon verspricht. Das ist kein Date, oder? Er kann nicht mit Hawks ausgehen. Aus mehreren Gründen. Als hätte der Blondschopf seine Gedanken erraten, lächelt er beschwichtigend.

„Gleiche Regeln wie zuvor. Wir schauen bloß einen Film. Nichts weiter. Als Bekannte, hm? Ich glaube nämlich, dass das nicht nur mir guttun wird.“

Und damit hat er Recht, denn Enji verbringt seine Abende in einer Monotonie, die ihm nicht selten aufs Gemüt schlägt. Warum sonst sitzt er schon wieder im Stripclub und trinkt einen Drink nach dem anderen? Im Kino ist er ewig nicht gewesen und die ungezwungene Zeit mit Hawks ist gerade das einzig Positive in seinem Leben.

Tief atmet er durch, sieht den Jüngeren dann argwöhnisch an.

„Nur ein Film, den wir als…Bekannte sehen“, wiederholt er, woraufhin Hawks nickt.

„Wir treffen uns da, gehen zusammen rein und genießen etwas Freizeit. Mehr nicht.“

Enji kommt der Gedanke, dass alles andere auch zu vermessen ist. Warum sollte ein gutaussehender, junger Mann wie Hawks, Stripper oder nicht, mehr von ihm wollen? Wahrscheinlich geht es auch hier darum, ihn als Kunden enger an sich zu binden. Wie gut kennt er Hawks schon? Vielleicht ist das eine neue Masche. Aber selbst wenn…ändert das etwas? Nein. Nicht für Enji. Er hat keine Erwartungen.

„Von mir aus“, erwidert er knapp und Hawks freut sich sichtlich darüber.

„Super! Ich schau gleich mal, wann er läuft und…oh, Aizawa! Hey! Können wir noch was zu trinken haben? Wie immer!“

Der grimmige Barkeeper löst widerwillig seinen Blick von der Ecke, in welcher Toshinori mit seinen Kollegen sitzt. Kommentarlos und scheinbar in Gedanken versunken, beginnt er, Hawks seinen Cocktail zu mixen. Scheinbar hat da jemand mehr Eindruck als gedacht hinterlassen. Auch wenn Enji nicht sicher ist, ob dieser Eindruck nicht negativ behaftet ist – und Aizawa Toshinori ins nächste Wasser spucken wird.

Er verdrängt den Gedanken und sieht wieder zu Hawks, der aufgeregt auf seinem Handy herumtippt und über die noch freien Plätze plaudert. Enji fragt sich erneut, was das noch werden soll. Obwohl er so einen ungezwungenen Abend gebrauchen kann, kann er das Misstrauen darüber nicht wegwischen.

Hoffentlich stellt sich seine Zusage nicht als Fehler heraus.

Date

Der Mittwoch kommt schneller, als Enji lieb ist, denn noch immer weiß er nicht, ob das eine gute Idee ist. Seit dem letzten Besuch im Club haben sie ihre Handynummern ausgetauscht, um einander kontaktieren zu können, falls einer von ihnen verhindert ist. Nun, Hawks hat dies anscheinend dazu genutzt, um ihm aus Langeweile zu texten. Nicht oft oder regelmäßig, aber zwischendurch schickt er ihm Nachrichten darüber, was er gerade macht und wie es so bei ihm läuft. Manchmal schickt er ihm auch Fotos von seinem Essen oder wie er mit Kopfhörern über einem Mathebuch hängt. In seinem Status postet er dagegen nichts, was ungewöhnlich für einen so extrovertierten Kerl wie ihn ist.

Enji fasst sich beim Schreiben kurz, während Hawks sich nicht zurückhält und jede Menge Smileys benutzt. Es passt zu ihm.

Für den Abend ist er zunächst unschlüssig, was er anziehen soll , entscheidet dann aber, dass ein Anzug im Kino übertrieben ist. Vor allem da sie kein Date haben. Daher wählt er einen schwarzen Rollkragenpullover und Jeans sowie seine beigefarbene Jacke aus. Er macht sich frühzeitig mit dem Auto auf den Weg, damit er nicht zu spät kommt, und parkt direkt im Parkhaus des Kinos. Danach stellt er sich draußen etwas abseits vom Eingang hin und wartet auf Hawks.

Es ist wirklich lange her, dass er im Kino gewesen ist. Sicherlich einige Jahre. Früher hat er mit Toshinori keinen Superheldenfilm verpasst. Mit Rei ist er seltener im Kino gewesen, nachdem die Kinder da gewesen sind immer weniger. Vielleicht ist das der erste Fehler gewesen. Dass sie sich als Paar aus den Augen verloren haben. Seine Firma spielt da bestimmt auch eine Rolle, schließlich hat er darüber hinaus inklusive seiner Familie alles vernachlässigt. Es ist bitter, daran zurückzudenken, und es gibt ihm das Gefühl, dass er einen sorglosen Abend im Kino nicht verdient hat.

Enji wirft einen Blick auf sein Handy, doch er hat keine neuen Nachrichten. Da Hawks immer noch nicht da ist, scrollt er durch Whatsapp, wobei er die Kontakte seiner Kinder ins Auge fasst. Shouto und Natsuo haben ihn auch weiterhin gesperrt, nur Fuyumis Bild kann er sehen. Es sind immer noch die brennenden Kerzen im schwarzen Hintergrund. Der Anblick lässt sein Herz schwer werden und seinen Daumen, der auf ihrem Bild ruht, zittern. Sie ist die Einzige, die ihm überhaupt noch schreibt, wenn auch sehr selten. Enji hat jedes Mal das Gefühl, er würde ihr damit noch mehr Leid zufügen.
 

„Oi, Endeavor-san!“

Die vertraute Stimme reißt ihn aus seinen trübseligen Gedanken, sodass er aufsieht und reflexartig das Handy in die Tasche steckt. Als müsste er es verstecken. Hawks kommt vor ihm zum Stehen und nimmt einen tiefen Atemzug, der darauf schließen lässt, dass er sich wirklich beeilt hat. Seine Haare sind zerzaust wie immer und er trägt eine schwarze Jeans sowie Jacke mit weißem Shirt darunter. Ein paar silberne Armbänder, die zur Kette mit Feder-Anhänger passen, klimpern, als er gestikuliert.

„Sorry für die Verspätung, hab die erste Bahn verpasst, aber die Werbung dauert ja sowieso mindestens eine halbe Stunde. Sollte also hinhauen. Oh, und übrigens – gut siehst du aus! Dachte nicht, dass ich einen Rollkragenpulli jemals sexy finden könnte, haha…“

Enji blinzelt ihn an, ist von dem Redeschwall kurz erschlagen, doch dann fasst er sich und schnaubt leise.

„Lass den Mist“, brummt er ausweichend.

„Ist mein Ernst. Komplimente sind doch nicht verboten? So, und jetzt lass uns reingehen, damit ich an meine Nachos komme, ja? Was willst du? Oder sollen wir teilen?“

„…bekomme ich etwas ab, wenn wir teilen?“, kommentiert Enji den Vorschlag sarkastisch.

Immerhin weiß er mittlerweile, wie gefräßig der Jüngere, der bei seinen Worten verschmitzt grinst, ist. Scheinbar hat Enji mit seiner Annahme nicht Unrecht.

„Wenn wir eine große Portion Nachos und einen Eimer Popcorn nehmen, dann ja“, erwidert der Blonde lieblich lächelnd.

„Von mir aus“, gibt sich Enji geschlagen und geht dann mit ihm hinein, um die Karten abzuholen, die Hawks reserviert hat.

Er bezahlt diese, hat nicht vor, Geld von dem anderen Mann zu nehmen, welcher ihn von der Seite her mustert, aber nichts sagt. Als sie in der oberen Etage, in der der Film abgespielt wird, sind und Enji bestellt, räuspert sich Hawks.

„Du musst hier nicht alles bezahlen“, kommt es überraschend von ihm.

„Sonst zahle ich auch“, antwortet Enji knapp, weil er von Anfang an davon ausgegangen ist, dass er den Blondschopf einlädt.

„Ja. Sonst bist du auch mein Kunde. Heute bist du ein Freund, der mit mir weggeht. Das ist ein Unterschied“, klärt Hawks ihn auf, was Enji irritiert.

Er hat nicht mit Unterschieden gerechnet, beziehungsweise findet er die Bezeichnung „Freund“ seltsam. Nun, das Paar hinter ihnen findet wohl eher das Wort „Kunde“ seltsam – oder auch abstoßend, wenn man nach ihren Blicken geht. Enji wird unwohl in seiner Haut, denn er kann sich denken, was die beiden sich vorstellen.

„Ich dachte, wir sind Bekannte“, knurrt er ihm zu.

„Ach Schnickschnack! Ich mag dich, du magst mich, wir verbringen Zeit zusammen – jetzt sind wir halt Freunde. Klingt doch schöner? Und jetzt lass mich dir was zurückzahlen, damit ich mich nicht fühle, als würde ich dich ausnutzen.“

Enji mustert ihn einen Moment lang, wobei er das tuschelnde Paar möglichst ignoriert. Hoffentlich gibt das nicht den nächsten Skandal.

„Du kannst nachher mein Parkticket zahlen.“

„Endeavor-san…“

„Spar dir das Geld. Das ist das Einzige, um das ich mir keine Sorgen machen muss“, brummt Enji und drückt ihm den rot gestreiften Eimer mit Popcorn in die Arme.

Hawks blickt ihn mit einem undefinierbaren Blick an, der deutlich macht, dass er nicht weiß, was er dazu sagen soll. Grenzt ja fast an ein Wunder. Wann ist der Kerl schon mal sprachlos? Solange er ihn kennt, kommt das nicht oft vor. Ohne noch etwas zu sagen, gibt er Hawks seine Cola, ehe er die Nachos und sein Bier entgegennimmt.

„Okay. Dann danke“, hört er ihn sagen und ignoriert, dass dessen Blick etwas zu lange auf der Flasche ruht.
 

„Hast du den ersten Film jetzt eigentlich noch gesehen?“, fragt Hawks, als sie auf ihren Plätzen sitzen.

Enji stellt die Nachos auf die Fläche zwischen ihnen und nickt dann. Bis auf die Parallele zu seinem eigenen verpatzten Leben hat ihm Venom gefallen. Es ist die Art von Film, die er früher mit Toshinori geschaut hat.

„Und? Wie fandest du ihn?“

„Gut.“

„Also scheiße“, schlussfolgert Hawks seufzend, woraufhin Enji stutzt.

„Ich sagte doch, dass er gut war.“

„Wirklich? Ich war skeptisch, ob er dir gefällt. Ich meine, ich finde ihn klasse, aber ist halt nicht jedermanns Ding, so Superhelden- und Schurken-Zeug.“

„Ich kannte früher alle Filme dieser Art“, erwidert Enji und blickt ihn an. „Generell mag ich Actionfilme. Ich hatte nur lange keine Zeit mehr dafür.“

„Ach so? Ja, dann ist es doch umso besser, dass wir jetzt hier sitzen.“

Hawks neigt den Kopf und lächelt ihn an. Es wirkt ehrlich, auch wenn Enji nicht versteht, warum er ausgerechnet ihn gefragt hat. Hat wirklich niemand sonst Zeit? Im Endeffekt spielt es wohl keine Rolle und er sollte einfach froh sein, dass jemand mit ihm ins Kino gehen will.

Das hier wird ein schöner Abend und er wird ihn einfach genießen.
 

Wie es eigentlich immer der Fall ist, kann der zweite Film nicht gegen den ersten ankommen. Dennoch ist er definitiv nicht schlecht. Es gibt viel Action und humorvolle Szenen, bei denen sogar Enji schmunzeln muss, während Hawks sein Lachen nicht zurückhält, ebenso wie ein Teil der anderen Kinogäste. Es fühlt sich so normal an, hier mit dem jüngeren Mann zu sitzen, dass er sich ausnahmsweise einmal vollkommen entspannen kann. Es ist anders als allein zuhause zu sitzen, obwohl sie kaum reden.

Ab und zu flüstert Hawks ihm etwas zu, wobei seine Augen jedes Mal funkeln. Er beugt sich dabei zu ihm herüber und berührt seinen Unterarm mit seinem. Die Nähe ist eigentlich nicht der Rede wert, schließlich hat Hawks schon halbnackt auf ihm getanzt. Trotzdem ist das hier irgendwie anders und auf eine Weise, die er nicht benennen kann, deutlich intimer. Enji ist kein Idiot. Daher weiß er, dass er nicht zu viel hineininterpretieren und sich auf den Film konzentrieren sollte.

Als der Film endet, ist er nicht mehr so entspannt wie noch zuvor, was möglicherweise an Hawks‘ gelegentlichen Blicken liegt. Während die ersten Leute ihre Plätze verlassen, bleiben sie beide noch sitzen. Der Blonde streckt sich einmal, ehe er sich ihm zuwendet. Der Eimer mit Popcorn ist natürlich inzwischen leer.

„Und? Dein Fazit?“, fragt er ihn neugierig.

„Der Erste war eindeutig besser“, brummt Enji. „Aber der Zweite hatte viele gute Momente und einen interessanten Gegner. Vielschichtig. In mehr als nur einer Hinsicht.“

Hawks lacht erneut auf.

„Das kann man wohl sagen“, stimmt er ihm zu und neigt den Kopf. „Wollen wir los?“

Enji nickt und erhebt sich, ehe er nach seiner Jacke greift. Der Abend ist damit offensichtlich zu Ende, auch wenn das bedauernswert ist. Er hat sich gut unterhalten. Er mag Hawks. Dieser hat Recht gehabt.

Gemeinsam gehen sie hinaus, wobei Enji überlegt, ob er ihm anbieten soll, ihn nach Hause zu fahren. Es ist spät und dieser wird wohl wieder auf Bus und Bahn zurückgreifen müssen.

„Kann ich noch mit zu dir?“

Irritiert sieht Enji den Jüngeren an, als dieser die Hände in die Jackentaschen schiebt und zu ihm aufschaut.

„Was?“, entkommt es ihm und Hawks zuckt mit den Schultern.

„Na, ob ich noch mitkommen kann. Meine Mitbewohnerin hat heute ihren Freund da und…kannst du dir ja denken, was da abgeht. Dachte, wir könnten noch einen Film auf deiner Couch gucken. Du meintest ja, dass du früher alle Filme kanntest, und na ja…da gibt’s noch ein paar Sehenswerte. Also?“

Enji zögert merklich. Nicht, weil er nicht will, sondern eher weil er sich fragt, ob das eine gute Idee ist. Andererseits, was soll schon dagegen sprechen? Er hat nicht viel getrunken und er hat sich unter Kontrolle. Hawks weiß ohnehin, wo er wohnt, er kennt seinen Namen. Nein, er muss aufhören, Probleme auch da zu sehen, wo keine sind.

„Okay.“

Hawks hebt eine Braue, so als hätte er mit einer Abfuhr gerechnet, doch dann lächelt er ihn an.

„Super! Ich schreibe Mina unterwegs, dass ich nicht nach Hause komme.“

„…wer hat etwas davon gesagt?“

„Ach, jetzt hab dich nicht so! Ich bin ja kein Riese wie du, also reicht mir die Couch vollkommen aus, falls du kein Gästezimmer hast.“

Enji atmet durch, während er mit ihm in Richtung Parkhaus geht. Nun, Diebstahl befürchtet er bei Hawks nicht, immerhin hat dieser ihn schon auf legale Weise gut ausgenommen . Es wäre kontraproduktiv, wenn er etwas tut, das Enji dazu bringt, den Kontakt abzubrechen. Daher sagt er nichts mehr dazu und entscheidet, es einfach darauf ankommen zu lassen.

Dass ihn die ständige Einsamkeit bereits mürbe gemacht hat, ist ziemlich bitter.
 

„Also, was ziehen wir uns rein?“

Hawks lässt sich bei den Worten rücklings auf seine Couch fallen und zieht sogleich zwei Kissen zu sich heran. Wenigstens hat er vorher Schuhe und Jacke ausgezogen. Enji setzt sich in einigem Abstand dazu, schaltet Netflix ein.

„Du wolltest mir etwas empfehlen“, meint er und drückt ihm die Fernbedienung in die Hand. „Such was aus. Ich hole was zu trinken.“

Dabei sieht er ihn fragend an, woraufhin Hawks überlegt.

„Bevor ich Whiskey pur trinken muss, bleibe ich lieber bei Wasser“, erwidert er dann.

Enji zuckt mit den Schultern, denn er hat auch weiterhin nichts anderes da. Schließlich ist er nicht auf Besuch vorbereitet, da Hawks sich – mal wieder – selbst eingeladen hat.

„Ich habe noch Bier da.“

„Nein, ist okay. Wasser ist gut.“

Wenn er das sagt. Enji wird sich jedenfalls einen Drink machen. Vielleicht sorgt das dafür, dass sich seine Gedanken zerstreuen. Er wird nicht übertreiben, denn er will nicht schon wieder Schuldgefühle haben müssen, weil er sich daneben benommen hat.

Als er mit Wasser und Whiskey sowie zwei Gläsern wiederkommt, hat sich Hawks in seiner grauen Decke eingerollt und die Kissen um sich herum platziert.

„Ich hab mal Iron Man rausgesucht. Glaube, der gefällt dir ganz gut. Komm, setz dich! Willst du auch was von der Decke?“, quatscht er sofort wieder los, was Enji schnauben lässt.

„Geht schon.“

Irgendwie ist das Ganze immer noch ziemlich skurril, wenn man bedenkt, woher sie sich kennen. Enji nimmt sein Glas und trinkt einen Schluck, wobei ihn das Brennen in seiner Kehle etwas ruhiger werden lässt. Hawks‘ Blick folgt ihm dabei und obwohl er nichts sagt, ahnt Enji, was er denkt.

„Spar’s dir“, brummt er, woraufhin der Blonde keine Miene verzieht.

„Ich habe nichts gesagt, Endeavor-san.“

„Hn.“

„Außerdem wäre es kontraproduktiv, wenn ich einen Kunden dazu überrede, weniger zu trinken. Auch wenn dieser Kunde mit mir befreundet ist. Wir machen den meisten Umsatz mit Alkohol, weißt du? Aizawa würde mich verprügeln, haha…“

Obwohl er heiter klingt, ist da immer noch etwas in seinen Augen, das Enji nicht loslässt. Vermutlich sollte er es dabei belassen. Es ist seine Sache, wie viel er wann trinkt, solange er niemanden damit verletzt – was er nicht vorhat. Diesmal nicht.

„Es ist nur ein Glas“, murmelt er und setzt sich neben ihn, nachdem er das Licht gedimmt hat.

„Ich urteile nicht. Alles gut.“

„Na dann“, kommt es knapp von ihm zurück.

Hawks lächelt ihn schief an.

„Jetzt sei nicht so. Ich will halt nur nicht, dass du nachher zu viel hast und nichts vom Film mitbekommst. Stell dir vor, ich muss dir die Haare halten !“

„…spinn nicht rum“, erwidert Enji genervt, jedoch versöhnlicher.

Hawks zwinkert ihm zu, ehe er zurück in den Kissenberg sinkt und den Film einschaltet. Enji trinkt noch einen Schluck Whiskey, stellt ihn dann aber auf dem niedrigen Glastisch ab. Er tut es Hawks gleich und lehnt sich zurück, während das Marvel Intro abgespielt wird.
 

Der Film ist genau sein Ding, das steht außer Frage. Enji wäre vielleicht noch gebannter, wenn Hawks nicht so nahe bei ihm liegen würde. Zwischendurch hat er sich auf der Couch viel breiter gemacht, als es für jemanden mit seiner Größe möglich sein sollte. Er benutzt den Berg aus Kissen mittlerweile für seinen Kopf und wenn Enji zur Seite greifen würde, könnte er seine Haare berühren. Was er natürlich nicht vorhat, aber viel Raum ist nicht mehr zwischen ihnen.

Enji fragt sich gerade, ob das Absicht sein kann, als Hawks den Kopf dreht und zu ihm aufsieht. Kaum begegnen sich ihre Blicke, schaut Enji wieder zum Fernseher. Vielleicht zu schnell. Scheiße. Spätestens jetzt wird es unangenehm und Enji verflucht sich. Möglicherweise kann es nicht bei einem Glas Whiskey bleiben, wenn er den Abend überstehen will.

Er will sich gerade zum Tisch vorbeugen, als sich Hawks neben ihm regt.

„Hey.“

Etwas in seinem Ton ist anders, lässt ihn unweigerlich schaudern. Als er ihn wieder ansieht, hat Hawks sich aufgesetzt und etwas zu ihm herübergelehnt. Definitiv zu nah. Enji kann die Sprenkel in seinen Augen sehen, ebenso die dunklen Wimpernkränze, die seine Bernsteine noch mehr betonen. Es wird ihm nicht zum ersten Mal bewusst, wie hübsch der verdammte Bengel ist. Enji muss unweigerlich schlucken, fühlt sein Herz rasen, weil er nicht vor und zurück kann. Wie auch immer das passiert ist, er fühlt sich in der Situation gefangen. Und von Hawks‘ Blick, der irgendwie lauernd wirkt.

Enji räuspert sich, um seine Stimme wiederzufinden.

„Ich sollte-“

Hawks lässt ihn nicht ausreden, sondern packt ihn an seinem Rollkragen und zieht ihn mit mehr Kraft, als er ihm zugetraut hätte, zu sich heran. Enji ächzt innerlich, als ihm bewusst wird, dass sie nur ein paar Zentimeter trennen. Was zur Hölle…?

„Ich glaube, ich sollte dich jetzt flachlegen, Endeavor-san.“

Es dauert zwei Sekunden, bis Enji das Gesagte versteht. Hawks gibt die Worte so endgültig wieder, als wäre das die einzig plausible Möglichkeit, den Abend fortzuführen. Er wird…Moment. Was?! Enji schnappt nach Luft, weil er kurz den Atem angehalten hat, und versucht, zu verarbeiten, was hier soeben passiert.

„Oder wir schauen weiter den Film und tun so, als gäbe es keine sexuellen Spannungen zwischen uns.“

Dabei neigt er den Kopf zur Seite und lächelt ihn beinahe schon unschuldig an, was angesichts der Worte blanker Hohn ist.

„Hawks…“, entweicht es ihm zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Das…ist nicht…“

„Ja?“

„Nein.“

Aus mehreren Gründen. Das Alter, er ist nicht mal geschieden und er sollte nicht…nein. Nein, das hier geht einfach nicht. Darauf ist er nie aus gewesen. Oder? Nein.

„Warum nicht?“, fragt Hawks beinahe schon sachlich nach und ist ihm dabei immer noch so nahe.

„Hawks, ich…nein. Das geht nicht.“

„Ein einfaches Nein reicht mir aber nicht“, erwidert Hawks behutsam und streichelt mit den Fingerspitzen über seine verkrampfte Hand. „Nicht, wenn du mich so ansiehst wie eben. Wenn du dir Sorgen wegen der Kundengeschichte machst…das musst du nicht. Ich will’s. Ich will dich. Es ist in Ordnung.“

Die Berührung sendet ein Kribbeln durch seinen ganzen Körper. Es erinnert ihn daran, wie lange er keinen Sex mehr gehabt hat…und dass es ihm fehlt. Intimität. Nähe. Es scheint so einfach zu sein, dem Drang nachzugeben, doch etwas hindert ihn immer noch. Vor allem das Gefühl, nichts davon verdient zu haben.

Er zuckt zusammen, als die andere Hand Platz an seiner Wange findet, und die Wärme ist so verlockend, dass er sich nicht lösen kann. Hawks streicht mit dem Daumen über den Ansatz seiner Narbe, doch es ist nicht unangenehm. Das hier ist sein Ernst. Er will ihn. Warum auch immer.

Enji weiß nicht, wohin mit sich…und Hawks scheint es zu merken.

„Entspann dich“, hört er ihn murmeln. „Ich helfe dir schon dabei, damit wir uns beide gut fühlen.“

Enji versteht immer noch nicht, warum er das überhaupt will. Als Hawks ihn küsst, tut er dies vorsichtig. Eine sanfte Berührung ihrer Lippen. So als würde der Jüngere befürchten, dass er erneut eine Panikattacke in ihm auslöst. Diesmal nicht. Obwohl Enji überfordert ist und Probleme damit hat, die Situation zu realisieren, will ein Teil von ihm einfach nur nachgeben. Sich gut fühlen. Dieser egoistische Teil überwiegt schließlich.

Trotzdem Enji weiß, dass das hier keine gute Idee sein kann, schlingt er einen Arm um Hawks‘ Taille, um ihn näher an sich heranzuziehen. Der nächste Kuss ist nicht mehr vorsichtig. Er ist voller Verlangen. Und dieses Verlangen geht von ihnen beiden aus.

Enji weiß, dass er verloren ist.

Eggs

Enji wird am nächsten Morgen unsanft durch das penetrante Geräusch seines klingenden Weckers aus dem Schlaf gerissen. Blind, weil es erstens noch dunkel ist und er sich zweitens weigert, seine Augen zu öffnen, tastet er nach dem Teufelsgerät und bringt es mit einer Handbewegung zum Verstummen. Er will die digitale Anzeige gar nicht sehen, stöhnt genervt, während er auf der Seite liegt und den Arm vom Bett baumeln lässt. Ihm ist übel. Was nichts Neues ist, seitdem er mehr trinkt, als gut für ihn ist. Andererseits ist es auch nicht gut, wenn er nichts trinkt.

Allerdings ist es an diesem Morgen nicht nur die Übelkeit, die ihn noch etwas länger im Bett hält. Da ist ein Ziehen in seinem unteren Rücken, das sonst nicht da ist. Fühlt sich an wie Muskelkater, stellt er für sich im Halbschlaf fest. Außerdem…ist er vollkommen nackt. Sonst schläft er wenigstens in Shorts. Es riecht irgendwie auch anders, die Luft ist stickiger als sonst und…

„…wie früh musst du bitte raus aus den Federn? Ist ja ekelhaft…“

Die genuschelten Worte unmittelbar neben ihm jagen Enji eine Gänsehaut über den Rücken und lassen ihn abrupt wach werden. Erinnerungen von der letzten Nacht tauchen vor ihm auf und er fühlt sich wie gelähmt, kann keinen Muskel rühren. Für ein paar Sekunden starrt er benommen in die Dunkelheit, muss sich sammeln, um zu realisieren, dass diese Nacht anscheinend kein Traum gewesen ist. Scheiße.
 

„Schlafzimmer“, japst er gegen Hawks‘ Lippen, während dieser auf ihm sitzt und seine Körpermitte auf ihm kreisen lässt.

Er kann deutlich fühlen, dass der Jüngere nicht weniger erregt ist als er selbst. Enji weiß, dass er das nicht tun sollte. Es ist falsch. Trotzdem kann er nicht aufhören. Hawks‘ Lippen pressen sich gegen seinen Hals, was Enji aufstöhnen lässt.

„Dann…trag mich rüber“, raunt er und drückt seinen Hintern gegen die Beule in seiner Hose.

Enji hat monatelang keinen Sex gehabt. Seine Beherrschung ist nicht die Beste, doch er reißt sich zusammen. Vielleicht sind seine Schuldgefühle hier endlich mal zu etwas nütze, wenn sie verhindern, dass er in seiner Hose kommt, bevor sie richtig angefangen haben.

Fluchend packt er Hawks und steht mit diesem auf, wobei der andere die Beine und Arme um ihn schlingt, damit er mehr Halt hat. Dabei schnappt er wieder nach seinen Lippen, was dafür sorgt, dass Enji gegen den Glastisch prallt und sich das Knie stößt.

„Scheiße!“

„Ups~“
 

„Schläfst du?“

Die Stimme klingt weit entfernt, was wohl an dem Rauschen in seinen Ohren liegt. Die Nacht ist plötzlich präsent und er fragt sich, was ihn geritten hat, es zuzulassen. Der Kerl, der neben ihm liegt, ist halb so alt wie er.

„Endeavor-san.“

Enji reagiert nicht, während er da liegt und in die Finsternis starrt, die ihn zu verschlucken droht. Da sind tausend negative Gedanken in seinem Kopf. Sekunden vergehen, in denen Enji keinen Ton von sich geben kann. Seine Kehle ist wie zugeschnürt.

Er zuckt zusammen, als sich Hawks an seinen Rücken schmiegt und einen Arm um ihn legt. Seine Haut ist warm und irgendwie beruhigt ihn das etwas. Einatmen, ausatmen. Er nimmt wahr, wie Hawks seine Wange gegen sein Schulterblatt drückt.

Eine Weile ist es ganz still, man hört nur sie beide leise atmen.

„Kannst du bei der Arbeit anrufen und dich abmelden?“, murmelt Hawks nach einer Weile und streichelt sanft über seine Brust.

Das ist das geringste Problem. Für heute sind keine wichtigen Meetings angesetzt und Enji kann durchaus von Zuhause mit dem Laptop arbeiten. Kamiji wird sich zudem um alles kümmern, wenn er nicht am Platz ist – er kann sich auf sie verlassen.

„Ja“, brummt er schließlich. „Kann ich.“

Hawks nuschelt eine zufriedene Erwiderung und scheint weiterschlafen zu wollen. Vielleicht sollte er das auch tun. Es ist passiert und nicht zu ändern. Enji weiß nicht, ob er es bereuen muss oder nicht. Er weiß nicht, was das hier überhaupt bedeutet. Ob es etwas bedeutet.

Tief atmet er durch und schließt dann die Augen; er will nicht darüber nachdenken.
 

„Okay…also kompensieren musst du schon mal nichts.“

Den Kommentar hätte er sich auch sparen können. Enji hat ohnehin schon Bedenken, wie das funktionieren soll. Er befürchtet, dass er ihm Schmerzen zufügen wird. Dass er sich nicht unter Kontrolle hat.

Hawks scheint davor keine Angst zu haben, denn er fährt fort, ihn in der Hand zu pumpen, während er nackt auf seinen Oberschenkeln sitzt. Hemmungen hat er wohl auch keine. Wäre auch seltsam, schließlich zieht er sich vor Fremden aus und verdient damit Geld.

„Alles okay?“

Die Frage wirft ihn aus der Bahn, doch dann merkt er selbst, dass die Erregung allmählich abflaut. Scheiße. Nicht jetzt. Andererseits sollte er vielleicht dankbar dafür sein. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass sie aufhören sollten.

„Endeavor-san.“

Er blickt Hawks verwirrt an, versteht nicht sofort, dass er schon wieder abwesend ist. Sein Atem geht stockend und der Blonde sieht ihn prüfend an. Vermutlich bereut er schon, dass er mit ihm mitgegangen ist.

„Gut. Auf Anfang. Sag mir, was du willst.“

„Was…?“, entkommt es Enji irritiert.

„Du bist so angespannt, da kann das ja nichts werden…und ich gehe nicht davon aus, dass du mich plötzlich nicht mehr scharf findest.“

Während er die Worte raunt, rutscht er näher zu ihm heran und reibt sich wieder an ihm, wobei seine Finger seinen Nacken streicheln. Er küsst sich an seinem Hals entlang, bis zum Kinn, die Narbe hoch und Enji spürt, wie er wieder hart wird. Gott…er kann nicht mehr tun, als seine Pranken an Hawks’ Hüften zu platzieren und es zu genießen.

„Ich finde dich jedenfalls verdammt heiß…und ich will mit dir schlafen. Sag mir, wie ich das kann. Möchtest du mich von hinten, von vorne…soll ich mich auf dich setzen?“

Er spricht es einfach aus und Enji bleibt kurz die Luft weg.

„Sag mir, was dir gefallen würde…oder was dich zurückhält, hm?“

Hawks flüstert es gegen seine Lippen, ehe er ihn küsst. Erst sanft und schließlich verlangender. Enji spürt, wie er reagiert, wie es ihm Laute entlockt, die er lange nicht von sich gehört hat. Dennoch…die Bedenken sind da. Verschwinden nicht.

„…das wird nicht…ich kann nicht…“, entkommt es ihm und Hawks hält inne.

Scheinbar braucht er einen Moment, doch dann blitzt die Erkenntnis in seinen bernsteinfarbenen Augen auf.

„Du willst nicht toppen?“

Enji wird flau im Magen, doch genauso ist es. Nicht, weil er ihn nicht will. Sondern weil er sich selbst nicht trauen kann. Weil er nicht noch mehr Schuldgefühle ertragen kann.

„Na gut, dann haben wir jetzt zwei Optionen. Entweder wir bleiben bei Hand und Mund oder du lässt mich bei dir rein? Ist schon echt lange her, aber glaub mir, ich mach’s dir richtig gut!“

Und bei diesen Worten grinst er so dermaßen selbstbewusst, dass Enji es ihm glaubt. Nicht, dass das eine Rolle spielen würde. Seltsamerweise ist der Gedanke, dass Hawks sich an ihm ausprobiert, wesentlich leichter zu akzeptieren als andersherum.

„Kondome und Gleitgel habe ich dabei…also? Was darf’s sein?“
 

Enji schläft schlecht, seitdem gewisse Dinge in seinem Leben passiert sind. Umso irritierter ist er, als er durch das Sonnenlicht erneut geweckt wird. Er blinzelt ein paar Mal, bis sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt haben, und dreht sich dann auf den Rücken. Hawks liegt nicht mehr neben ihm.

Das Scheppern und die Schritte von nebenan sagen ihm jedoch, dass er noch nicht gegangen ist.

Enji greift nach seinen Shorts, die neben dem Bett liegen, und erhebt sich dann, um sich diese überzuziehen. Während er das tut, versucht er, einen klaren Kopf zu kriegen.

Er hat sich von einem viel jüngeren Stripper flachlegen lassen…und er hat es genossen. Das sind die Tatsachen. Irgendwie ist er froh, dass Hawks den aktiven Part übernommen hat, denn wenn er daran denkt, dass er sich jetzt auch noch damit auseinandersetzen müsste…nein. Er hat schon genügend Ballast, den er mit sich herumschleppt.

Kurz hält er inne, denn ihm fällt ein, dass er Kamiji noch nicht Bescheid gesagt hat, dass er heute zuhause bleibt. Oder später kommt. Er weiß es noch nicht recht. Er nimmt sein Handy und schreibt ihr eine Nachricht, ehe er sich in Richtung Küche begibt, von wo die Geräusche herkommen.
 

Abermals stellt Enji fest, dass Hawks hemmungslos ist. Nachdem Enji vorher noch mal im Bad gewesen ist, kniet der Blonde nun zwischen seinen Beinen, während er ihn immer wieder tief in den Mund nimmt. Da er über dem Durchschnitt liegt, ist das nicht gerade einfach, doch Hawks scheint es nicht zu stören. Inzwischen hat er zwei Finger in ihn geschoben, dehnt ihn mit diesen vor…und Enji wird bewusst, wie lange er keinen Sex mehr auf diese Weise gehabt hat. Er stützt sich nach hinten ab, sieht Hawks dabei zu, wie dieser sich Mühe gibt, es ihm gut zu machen…und der Anblick bringt sein Blut in Wallung.

Enji hätte nicht gedacht, dass er das noch mal tun würde. Vielleicht ist es gut, dass er nicht ganz nüchtern ist, sonst hätte er sich möglicherweise nicht überwunden. Gerade ist in seinem Kopf wenig Platz für ausufernde Gedanken und ihm wird wieder bewusst, wie lange es her ist, dass er sich gut gefühlt hat. Gewollt. Begehrt. Denn so wie Hawks ihn ansieht, während er ihn so hingebungsvoll fingert und bläst, tut er das.

Seine Oberschenkel zucken, als Hawks einen Punkt in ihm trifft, der ihn aufkeuchen lässt. Er spürt das Grinsen gegen sein Glied, ehe der andere die Finger erneut krümmt und in ihn stößt. Wie ein Stromschlag durchfährt es ihn und er krallt die großen Hände ins Laken. Oh Gott…

Er sieht schwer atmend zu Hawks hinunter, sieht den Ansatz seines Tattoos, die roten Federn, die seinen kompletten Rücken zieren. Eigentlich mag er keine Tattoos. Alberne Jugendsünden. Bei Hawks findet er es seltsamerweise attraktiv.

Lange kann er sich nicht mehr beherrschen – und Hawks scheint das zu wissen, denn er lässt ihn mit einem obszönen Schmatzen aus dem Mund gleiten.

„Ich glaube, du bist bereit, mh?“, fragt er mit diesem frechen Grinsen.

„…mach“, knurrt Enji ausweichend, denn er spürt, wie ihm die Hitze in die Wangen schießt.

„Wie du willst~“, säuselt Hawks und setzt sich auf.

Er drückt ihm einen Kuss auf die Lippen, bevor er nach dem Kondompäckchen greift…und es mit den Zähnen öffnet.
 

„Guten Morgen, Sonnenschein!“, zwitschert ihm ein gut gelaunter Hawks mit noch feuchten Haaren entgegen.

Er trägt Shorts und Shirt, während er in seiner Küche herumwuselt und im Radio ein ihm unbekannter Pop-Song läuft.

„Ich versuche gerade mit dem, was dein Kühlschrank so hergibt, ein Omelett zu zaubern! Also setz dich schon mal und lass mich machen! Kaffee habe ich schon gekocht, nimm dir eine Tasse!“

Enji sieht ihn verdutzt an, nicht sicher, was er darauf erwidern soll. Er macht ihnen Frühstück? Okay. Eigentlich laufen One Night Stands anders ab. Mit einem schnellen Abschied. Ohne viele Worte. Frühstück fällt definitiv nicht darunter.

Schweigend nimmt er eine Tasse aus dem Schrank und füllt sich Kaffee hinein, den er mit Milch verdünnt. Er nimmt einen Schluck, stellt fest, dass er genießbar ist, und setzt sich dann an den kleinen Tisch. Für eine Weile sieht er dem Jüngeren dabei zu, wie dieser summend die Eier in die Pfanne gibt.

„Mina und ich kochen nicht oft, aber sowas kriege ich gerade noch auf die Reihe. Halte deine Erwartungen trotzdem besser niedrig, ja?“

„…“

„Ich war übrigens so frei und bin schon duschen gegangen. Wollte erst auf dich warten, aber bei deiner Größe wird das vielleicht problematisch…nicht, dass sich einer von uns noch das Genick bricht.“

„Ah ja…“, brummt er lediglich zurück.

Gleichzeitig fragt er sich, ob das ein Angebot ist. Will er es noch mal tun? Heute? Als hätte er seine Gedanken gelesen, wirft ihm Hawks einen Blick über die Schulter zu.

„Eigentlich müsste deine Laune bombastisch sein, Großer. Es sei denn, wir haben eine unterschiedliche Auffassung von der letzten Nacht. Wir hatten beide Spaß, oder?“

Enji antwortet nicht sofort, trinkt noch einen Schluck Kaffee, woraufhin sich Hawks zu ihm umdreht und die Stirn runzelt.

„Ja. Hatten wir.“

„Cool. Warum dann die finstere Stimmung?“

„…“

„Wenn du nicht mit mir redest, wird das problematisch.“

Hawks dreht kurz das Omelett, ehe er sich ihm wieder zuwendet. Tief atmet der Ältere durch, während er überlegt, was er sagen soll. Oder wie, besser gesagt.

„Was war das gestern?“

Ihre Blicke treffen sich und er sieht, wie Hawks zögert.

„Was meinst du?“

„Ich meine, warum wir überhaupt…“

„…guten Sex gehabt haben?“, hilft Hawks nach und Enji schnaubt leise.

„Ja.“
 

Es ist ewig her, dass er der passive Part gewesen ist. Er hat vergessen, wie gut es sich anfühlen kann, sich fallen zu lassen. Aber genau das passiert gerade, während er auf dem Rücken liegt und Hawks sich in stetigem Rhythmus in ihn schiebt. Genau im richtigen Tempo, im richtigen Winkel…es fühlt sich verdammt gut an. Selbst das leichte Ziehen jedes Mal, wenn er sich in ihm versenkt. Das Gesicht des Blonden ist gerötet, Schweiß perlt ihm von der Stirn…und bei jeder Bewegung keucht er rau auf. Anscheinend ist da noch jemand gelöst und der Anblick lässt Enji abermals feststellen, wie attraktiv der junge Mann ist. Alles an ihm scheint makellos zu sein. Begehrenswert. Er kann verstehen, warum er im Club so beliebt ist.

Enji genießt es, wie sich Hawks an seinen Beinen festhält, während er immer wieder in ihn stößt…und ihn damit nahe der Klippe bringt. Dass er bis jetzt seine Beherrschung behalten hat, grenzt an ein Wunder.

„Fuck…“, hört er Hawks zischen, was ihm deutlich macht, dass auch dieser bald so weit ist.

Enji verbeißt sich ein Stöhnen, als er sich tief in ihn schiebt, diesen Punkt in ihm trifft. Er kann es nicht lange zurückhalten – und so hemmungslos, wie Hawks japst und keucht, ist das wohl auch nicht nötig.

„Hawks…“, entkommt es ihm gepresst und der andere sieht ihn an.

Mit diesen bernsteinfarbenen Augen, die selbst in dem spärlichen Licht strahlen. Es ist der Moment, in dem es Enji überkommt und er nicht länger an sich halten kann.
 

Der Blondschopf zuckt mit den Schultern, lehnt sich an die Küchenzeile, während hinter ihm das Omelett brät.

„Warum nicht? Also, was mich angeht, du bist mein Typ. Groß, muskulös…und deine Augen sind wie Gletscher, damit hattest du mich. Du bist nett zu mir, ich unterhalte mich gern mit dir und du hast es genauso nötig gehabt wie ich. Was spricht dagegen, wenn wir uns gegenseitig etwas Gutes tun?“

Bei ihm klingt das so einfach, dass Enji sich fragt, ob er hier alles verkompliziert. Im Endeffekt hat Hawks Recht. Sie sind beide erwachsen und wenn das hier für sie beide richtig ist…warum nicht?

„Und falls du dich fragst, ob ich das oft mit Kunden mache – nein. Ich arbeite schon ein paar Jahre im Club und habe mich abgesehen von dir erst zweimal auf was eingelassen. Es ist okay für mich, wenn das hier eine rein körperliche Sache bleibt. Also sowas wie Freundschaft plus. Ich erwarte keinen Heiratsantrag und hoffe, du auch nicht von mir.“

Bei den letzten Worten zwinkert er ihm zu, doch etwas in seiner Mimik macht Enji misstrauisch. Er kann es nicht mal benennen. Etwas verschweigt er ihm dabei doch, oder? Da Enji selbst genügend Geheimnisse hat, hinterfragt er es nicht. Das steht ihm nicht zu.

„Und ganz ehrlich? Du hast doch aus denselben Gründen mit mir geschlafen, oder nicht? Manchmal möchte man einfach alles vergessen…und Sex ist da eben am einfachsten. Auch wenn ich immer noch überrascht bin. Die meisten Männer deines Kalibers gehen direkt davon aus, dass ich einstecke. Ich meine, nicht, dass das was Schlechtes ist. Ich lasse mich gerne mal richtig durchnehmen – wenn du also eine zweite Runde willst, bin ich offen für alles. Aber gewundert hat’s mich schon.“

Hawks ist wirklich niemand, der mit solchen Themen hinter dem Berg hält. Daran muss man sich gewöhnen, denn es trifft Enji immer noch unvorbereitet. Er ist da anders, spricht nicht alles aus, was ihm durch den Kopf geht.

„…ich war schon in beiden Positionen“, erwidert er nach einer Weile des Schweigens und sieht dabei in seinen Kaffee. „Mit meiner Größe ist das oft nicht so leicht…und es ist lange her. Ich wollte es nicht ruinieren...oder mich hinterher fühlen, als…hätte ich dich benutzt.“

Es verlangt ihm alles ab, auszusprechen, was ihn bei dieser Sache zwischen ihnen belastet. Hawks hat anscheinend mit einer anderen Ursache gerechnet, denn er sieht ihn für ein paar Sekunden nur perplex an. Unweigerlich fragt sich Enji, was er eigentlich für Typen gewöhnt ist. Männer von seinem Kaliber. Es stimmt ihn nachdenklich.

„Oh…okay. Du machst dir ja echt Gedanken“, murmelt der Jüngere und pustet sich eine Haarsträhne aus der Stirn. „Hab gedacht, dass das einfach eher dein Ding ist. Unten liegen. Ich meine…okay, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Du passt echt in keine Schublade, Endeavor-san.“

Ja. Das hat er schon mal gesagt. Dabei ist er nicht so viel anders, als Hawks glaubt. Er bemüht sich bloß, ein besserer Mensch zu sein, als er es bisher gewesen ist.
 

Hawks braucht nicht viel länger, nachdem Enji gekommen ist. Im Schlafzimmer ist es inzwischen heiß und stickig. Zwischen ihren Körpern klebt es, doch scheinbar stört es den Jüngeren nicht, welcher sich auf ihm platziert und die Nase gegen seinen Hals gedrückt hat. Irgendwie hat Enji den Eindruck, dass das hier wichtig für ihn ist. So wie er sich an ihn schmiegt und seine Nähe sucht.

Dabei ist er ausnahmsweise vollkommen still, lässt zu, dass Enji die Decke über sie beide zieht. Vielleicht ist er auch nur erledigt und hält deswegen den Mund. Eigentlich ist es auch nicht wichtig, den Grund zu wissen. Er ist angenehm warm und Hawks‘ Herzschlag, den er an seiner Brust spürt, beruhigt ihn. Er weiß nicht, wann er das letzte Mal so entspannt gewesen ist. In seinem Kopf ist ausnahmsweise kein Platz für deprimierende Gedanken, die ihn quälen. Da ist nur Hawks. Das Pochen in seinem Unterleib…und die Erschöpfung. Enji schließt die Augen und merkt kaum, wie er recht schnell einschläft.
 

„Du willst weitermachen?“, fragt er knapp und ist unschlüssig, ob das eine Option ist.

„Von meiner Seite aus spricht nichts dagegen.“

Hawks dreht sich um, da das Omelett inzwischen fertig ist, und knallt es mit dem Pfannenwender auf den Teller. Er zerteilt es mit einem Messer und schiebt eine Hälfte auf den zweiten, ehe er sich zu Enji setzt und ihm seinen herüberschiebt. Es sieht anders aus als das, was er kennt. Tamagoyaki ist das nicht, doch er stellt keine Fragen; es wird schon schmecken. Nachdenklich sieht er Hawks an, wobei er sich wiederholt fragt, ob das hier wirklich kein Problem ist.

„Abgesehen von deinem kleinen Panikschub heute Morgen bist du doch ausgeglichener als vorher, oder?“

Das kann Enji nicht leugnen.

„Es muss sich nichts zwischen uns ändern. Du besuchst mich hin und wieder als Kunde im Club, wir gehen ab und zu als Freunde aus…und wenn wir uns schlecht fühlen, dann treiben wir ein bisschen Matratzensport, was uns definitiv aufheitern wird.“

Er zwinkert ihm frech zu, ehe er sich ein Stück Omelett in den Mund schiebt. So weit klingt der Vorschlag fast schon zu verlockend. Etwas lässt Enji jedoch stutzen.

„…jemand wie du fühlt sich schlecht?“, hakt er schroff nach und trinkt noch einen Schluck Kaffee.

Hawks wirkt nicht wie jemand, der Sorgen hat. Wenn er das jetzt sagt, um mit ihm gleichzuziehen, ist das beleidigend. Anscheinend ist das jedoch nicht der Grund, denn Hawks schluckt seinen Bissen herunter, wobei ganz kurz ein Schatten über seine Züge huscht. Gleich darauf lächelt er aber wieder wie gewohnt.

„Du würdest dich wundern, Endeavor-san“, gibt er zurück. „Aber lassen wir das und kommen wieder zum Wesentlichen. Was hältst du von meinem Vorschlag? Und bitte…sag nicht nein. Nicht jetzt, wo du hier so halbnackt vor mir sitzt und mich ganz schwach mit deinen Muskeln machst~“

„Du bist ein Idiot“, knurrt Enji, gefangen zwischen Verärgerung und Verlegenheit.

„Mag sein, aber ein heißer Idiot. Stimmt’s?“

Hawks wackelt mit den buschigen Augenbrauen und grinst ihn dabei unverblümt an. Der Kerl macht ihn fertig. Aber er ist die einzige Gesellschaft, die er ertragen kann…und die ihn vergessen lässt, wie beschissen sein Leben ist. Die Treffen mit Hawks sind das Einzige, das ihn aus seinem Trott reißt. Auch wenn er das nicht verdient hat, er will es ebenfalls. Weitermachen. Es einfach darauf ankommen lassen.

Hawks ist erwachsen und er will ihn. Warum auch immer. Tief atmet Enji durch, sieht ihn ernst an.

„Das bleibt unter uns.“

„Klar.“

„Wehe, dieser Türsteher oder Aizawa stehen demnächst vor meiner Haustür, weil sie denken, ich tue dir etwas an.“

„Darauf gebe ich dir mein Wort.“

„Und du bist ehrlich zu mir. Wenn ich…wenn du…“

„Keine Sorge. Wie du weißt, bin ich nicht auf den Mund gefallen. Wenn mir etwas zu weit geht, melde ich mich schon. Das Gleiche gilt aber auch für dich, verstanden?“

Enji bekommt so eine Ahnung, dass Hawks diesbezüglich viel weniger Zurückhaltung kennt als er selbst. Genau genommen hält er sich in allem weniger zurück.

„Ist gut“, brummt er nur und macht sich dann daran, eine Ecke von seinem Omelett zu probieren.

„Cool!“, ruft Hawks zufrieden aus und funkelt ihn an. „Dann iss schön auf und danach hüpfen wir unter die Dusche!“

Enji verschluckt sich beinahe, muss schnell einen Schluck Kaffee hinterherschütten. Er hustet zweimal, räuspert sich.

„Du warst schon duschen und ich dachte, du willst nicht, dass wir uns das Genick brechen?“

„Jep, so meinte ich das auch. Aber ein bisschen fummeln ist doch drin?“

„Wir sind keine Teenager“, brummt er, woraufhin Hawks lacht.

„Spaßbremse“, meint er zwinkernd und macht sich wieder über das Omelett her.

Enji sieht ihm dabei zu und irgendwie beschleicht ihn die vage Vorahnung, dass Hawks nicht vorhat, allzu bald zu gehen. Andererseits…will er, dass Hawks geht? Auch, wenn er das vielleicht nach außen hin signalisiert, ist er innerlich eigentlich ganz froh, dass der Jüngere bleiben will. Es ist lange her, dass jemand seine Gesellschaft als angenehm empfunden hat.

Vielleicht sollte er es einfach genießen, solange es anhält. Aus Erfahrung weiß Enji schließlich, dass das bei ihm nie lange der Fall ist.

Men

„Ich dachte, du bist gar nicht darauf aus, mit unserem rothaarigen Daddy in die Kiste zu steigen?“

Hawks ächzt innerlich, verzieht aber keine Miene, während er vor dem Spiegel im Bad steht und seinen Bart in Form bringt. Mina lehnt in der Tür und funkelt ihn so wissend an, dass es wohl keinen Sinn macht, sie anzulügen. Erzählt hat er ihr bis jetzt nämlich nichts, einfach weil er selbst nicht weiß, was das mit Endeavor und ihm ist. Direkt am Wochenende nach seiner Schicht ist er wieder bei ihm gelandet…und den halben Sonntag danach geblieben. Diesmal hat Hawks darauf bestanden, den passiven Part zu übernehmen – nicht, dass er jemals lange passiv ist. Er ist eben kein Bilderbuch-Twink und überraschenderweise scheint genau das Endeavor zu gefallen.

Am Dienstag ist er spontan nach der Abendschule zu ihm gefahren und früh morgens wieder nach Hause gekommen. Heute ist Donnerstag und er hat vor, das von Dienstag zu wiederholen. Geschrieben hat er ihm bereits und auch, wenn er noch keine Antwort hat, ist er guter Dinge, dass er die Nacht nicht allein verbringen muss.

„Weiß nicht, was du meinst“, gibt er trotz allem zurück und hält die Rasierklinge unter das Wasser.

„Ist klar“, spottet sie und neigt den Kopf. „Dann habt ihr am Samstag also Karten gespielt und brav die Hände über der Bettdecke behalten, ja?“

„Wäre das denn so unglaubwürdig?“, erwidert er ruhig.

Hauptsächlich, weil er weiß, dass sie seine Reaktion reizt. Mina ist ein Plappermaul, das Klatsch und Tratsch liebt. Ebenso weiß er aber auch, dass sie den Mund halten kann, wenn er sie ernsthaft darum bittet.

„Hawks…“, mault sie und er zuckt mit den Schultern.

„Hat sich halt einfach so ergeben.“

„Ja. Genau. Einfach so. Nach eurem Date“, murmelt Mina und schüttelt den Kopf. „Du hast’s doch drauf angelegt.“

Ja. Hat er. Aber nachgeben will er ihr auch nicht so leicht. Er fährt fort, seinen Bart zu begradigen, während er hinter sich ihr ungeduldiges Seufzen vernimmt.

„Wie du gesagt hast…er ist mein Typ, er hat Geld und er lebt allein, wie ich feststellen durfte. Außerdem war er richtig schnell spitz, da kauf ich ihm ab, dass er lange keinen Sex gehabt hat. Scheint die Wahrheit zu sein, dass das mit seiner Frau vorbei ist.“

„…und wenn das wieder nur etwas auf Zeit ist?“

„Dann haben wir eine verdammt gute Zeit. Mach dir keinen Kopf, Mina, ich erwarte mir nicht mehr davon“, versucht er sie zu beschwichtigen.

Und sich selbst. Fakt ist, dass er Endeavor mehr als nur körperlich interessant findet. Der Sex ist so gut, eben weil es nicht nur eine schnelle Nummer ist. Weil ihn der Ältere mit seinem Verhalten immer wieder überrascht und Hawks‘ Neugierde anfacht, mehr über ihn zu erfahren. Es fühlt sich schön an, dem Hünen Sicherheit zu geben, sodass sich dieser fallen lassen kann – weil Hawks sich dadurch gebraucht fühlt.

Die meisten Leute denken, dass sein Selbstwertgefühl gigantisch sein muss, weil er eine große Klappe hat und sich nicht für seinen Körper schämt. Die Wahrheit ist, dass dieses Selbstwertgefühl auf der Anerkennung anderer Leute basiert. Er tanzt und zieht sich gern im Club aus, weil es ihm Bestätigung bringt.

Hawks ist sich dessen bewusst, ebenso wie er sich bewusst ist, dass er manchmal selbst Halt braucht. Ein Grund ist zweifellos, weil er in seiner Kindheit keine elterliche Zuwendung bekommen hat, aber damit hat er sich abgefunden…und angefangen, sie sich auf andere Weise zu holen. Deswegen genießt er es, nach dem Sex liegen zu bleiben. Die Nähe auszukosten. Er muss wirklich aufpassen, sich nicht wieder zu verrennen.

Mina scheint dasselbe zu denken, denn er sieht ihren skeptischen Blick durch den Spiegel.

„Na gut. Pass aber trotzdem auf dich auf, ja?“, hakt sie noch einmal nach, woraufhin er sie anlächelt.

„Ja klar.“

Daraufhin lächelt auch sie und geht in ihr Zimmer, wo sie vermutlich gleich die Musik einschalten wird. Es ist nie lange still in ihrer Wohnung. Hawks sieht wieder in den Spiegel, mustert sein Gesicht für ein paar Sekunden…dann wendet er sich ab. Er muss bald los.

Nur wenig später bekommt er die erwartete Nachricht von Endeavor.
 

„Du schaffst mich…“

Hawks murmelt die Worte gegen den Hals des Älteren, der unter ihm liegt und ebenso schnell atmet wie er selbst. Diesmal haben sie direkt auf den Film verzichtet und sind ins Schlafzimmer verschwunden. Anscheinend fallen die Hemmungen langsam auch von Endeavor ab, was Hawks durchaus als positiv erachtet. Einen Arm hat der Hüne um seine Taille geschlungen, der andere ruht auf dem Bett. Sie haben nur schnell das Kondom entsorgt und sich sauber gewischt, für mehr hat Hawks auch gerade weder Kraft noch Lust.

„Sagt der Richtige…“, hört er Endeavor brummen und muss schmunzeln.

Faul bleibt er auf ihm liegen, lauscht dem ruhiger werdenden Atem, während er sich zu sammeln versucht. Man kann auf jeden Fall behaupten, dass der Ältere einen bleibenden Eindruck hinterlässt, denn Hawks spürt es deutlich in seinem Hintern ziehen. Na ja, wird schon gehen, auch wenn er am nächsten Abend arbeiten muss. Vielleicht sollte er das mit dem Wechseln besser an seine Schichten anpassen. Er nimmt wahr, wie die kräftigen Finger langsam über seinen Rücken wandern und die Federn nachziehen. Scheint ihn ja zu faszinieren. Nun, Hawks ist stolz auf sein Tattoo, daher genießt er die Berührung umso mehr.

„…bist du…in Ordnung?“

Das hat er das letzte Mal schon gefragt und irgendwie findet Hawks es schmeichelhaft, wenn auch nicht unbedingt nötig.

„Nach der Nummer? Mehr als in Ordnung. Ich sag dir schon, wenn was nicht geht.“

„…gut.“

„Wenn dir dabei nicht wohl ist, können wir das nächste Mal wieder tauschen?“, schlägt Hawks vor und bettet sein Kinn auf die breite Brust. „Auch wenn ich wirklich gern auf dir reite.“

Er sieht ihm die Verlegenheit an, die er mühsam zu unterdrücken versucht, und es gefällt ihm.

„Mal sehen“, weicht er aus und Hawks lächelt.

Einen Moment schweigt er, ehe er einfach weiterredet.

„Ich mag beides. Bin öfter passiv gewesen, aber das liegt eher daran, dass die Typen, mit denen ich sonst schlafe, lieber selbst die Stecher sind. Ich genieße es, aber zwischendurch will ich eben auch mal toppen. Find’s cool, dass bei dir beides geht.“

Anscheinend weiß Endeavor nicht, was er darauf erwidern soll. Ist ihm vermutlich unangenehm, dass er beim Thema Sex so offen ist, doch daran sollte er sich lieber gewöhnen. Hawks nimmt dabei nie ein Blatt vor den Mund; bei persönlichen Themen schon eher.

„Aha…“

„Du kannst mir ruhig ein bisschen was von dir erzählen. Muss ja nicht immer nur ich reden. Warst du oft passiv? Bei Männern? Also vor deiner Frau?“

Endeavor schnaubt bei den Fragen.

„Warum willst du das wissen?“

„Neugierde? Weiß nicht. Dachte, wir tauschen uns mal ein bisschen aus.“

Begeisterung kann man den Blick, der ihm aus den türkisfarbenen Augen zugeworfen wird, nicht nennen. Hawks ist jedoch gut darin, dies zu ignorieren und zu warten, bis er bekommt, was er will.
 

Schließlich seufzt Endeavor tief.

„Nur bei meinem damaligen Partner“, brummt er widerwillig.

„Du meinst Toshi?“

Wahrscheinlich verflucht Endeavor gerade, dass sie einander kennengelernt haben. Nun, zumindest Hawks macht es nichts aus, darüber zu reden.

„…ja. Wir waren Rivalen. Einander ebenbürtig…es wäre komisch gewesen, wenn es einseitig gewesen wäre.“

„Warum ist das mit euch eigentlich auseinander gegangen?“, hakt Hawks nach und hofft, dass er damit keine Grenze überschreitet. „Er scheint nett zu sein…und er sieht gut aus.“

„Er hat ein Sportstipendium in den USA angenommen. Mit der Distanz hätte das ohnehin nicht funktioniert, also haben wir es beendet. War besser so.“

„Okay…und du hast danach keine anderen Männer gehabt?“

„…“

Anscheinend ist das wieder ein Tabu, so wie der andere zögert.

„Also wenn du nicht darüber reden möchtest, kein Problem, ich-“

„…doch“, kommt es plötzlich von Endeavor. „…direkt nach ihm. Aber es war nicht dasselbe. Es hat für eine Weile abgelenkt und dann habe ich Rei…meine Frau kennengelernt.“

Hawks wird das Gefühl nicht los, dass da die Leichen begraben liegen. Jedenfalls scheint da etwas im Argen zu sein, das Endeavor quält – und er weiß nicht, ob er nachfragen soll. Vielleicht wird ihm nicht gefallen, was der Rothaarige erzählt. Der übermäßige Alkoholkonsum und die fehlende Beherrschung sind nicht gerade gute Omen…und Hawks hat ein Talent dafür, sich die schlechten Menschen als Affären herauszupicken.

„Hast du eigentlich Kinder?“, fragt er stattdessen, da Endeavor ihm sowieso nicht seine komplette Lebensgeschichte erzählen wird.

Kurz wird es still und die Miene des Älteren verschließt, sodass Hawks schon damit rechnet, eine Abfuhr erteilt zu bekommen. Zu seiner Überraschung folgt dann aber doch noch eine Antwort.

„Vier.“

„Was? Du hast vier…okay. Ihr habt wohl keine Zeit verloren, hm?“, meint er scherzhaft, doch Endeavor scheint das kein bisschen witzig zu finden.

Hawks japst auf, als er ohne Vorwarnung von dem breiten Körper geschubst wird und auf der anderen Betthälfte landet. Das hat er nicht bezwecken wollen. Verdutzt sieht er zu, wie der andere aufsteht, ihn dabei nicht mehr ansieht. Hat er es verbockt? Das ist eigentlich nicht der Plan gewesen.

„Ich geh duschen. Bestell dir was zu essen.“

Hawks blinzelt, versteht aber, dass das hier wohl kein Rausschmiss ist. Zum Glück, denn er hat wenig Lust, um die Zeit noch nach Hause kommen zu müssen. Es ist schon fast 21 Uhr. Hunger hat er jedenfalls wirklich, da kennt der Ältere ihn gut.

„Willst du auch was?“

„Ich habe keinen Appetit.“

Mit den Worten geht Endeavor einfach – und er schließt die Schlafzimmertür hinter sich. Okay. Anscheinend soll er ihm nicht unter die Dusche folgen. Hawks versteht, dass auch die Kinder des Älteren ein Tabu-Thema sind. Frustriert seufzt er, ehe er die Finger nach seinem Handy auf dem Nachttisch ausstreckt, um den Lieferdienst in der Umgebung abzuchecken. Dabei fragt er sich, ob er sich einen Vorwurf machen muss, entscheidet letztendlich aber, dass dieser Eiertanz nicht ewig funktionieren kann, wenn er wissen will, ob da mehr sein könnte. Er will Endeavor kennenlernen…und dafür muss er unangenehme Fragen stellen.
 

Als sie schließlich mit Pizza auf der Couch sitzen, hat sich der Ältere scheinbar beruhigt. Auch wenn es Hawks stört, dass das nicht nur der Dusche, sondern wohl auch dem Glas Whisky auf dem Tisch zu verdanken ist. Er spricht es nicht an, weil er keine Lust darauf hat, dass die Situation wieder unangenehm wird. Schließlich ist er hier, um sich gut zu fühlen. Die Pizza mit doppeltem Käse trägt zumindest ihren Teil dazu bei.

Diesmal hat er sich Klamotten mitgenommen, sodass er nun, nachdem auch er geduscht hat, eine dunkelrote Jogginghose und ein zu großes, graues Shirt mit Iron Man-Symbol trägt, während er an einem Stück Pizza knabbert. Im Fernsehen läuft irgendein Undercover-Film, doch keiner von ihnen hört richtig zu. So heiß Endeavor in seiner schwarzen Jogginghose und dem weißen Muskelshirt auch aussieht – wie eine Mischung aus Bodybuilder und Bauarbeiter –, kann Hawks den Ausgang ihres Gesprächs nicht vergessen. Vier Kinder. Er hat nicht ein Foto in der Wohnung gesehen. Machen Eltern das nicht? Fotos von ihren Kindern rahmen und aufhängen, weil sie ach so stolz auf sie sind? Seine eigenen Eltern einmal ausgenommen, die würden eher Bierflaschen ausstellen.

Vielleicht macht ihm die Parallele Angst und er will deswegen nachhaken. Auch bei Freundschaft plus sollte man wissen, worauf man sich einlässt, nicht wahr?

„Meine Kinder reden nicht mehr mit mir.“

Hawks hält inne, als Endeavor plötzlich von selbst zu sprechen beginnt. Er sieht ihn dabei nicht an, sondern hat den Blick fest auf den Fernseher gerichtet, während er am Whisky nippt.

„Mein ältester Sohn…ist…er…ist umgekommen. Er war in…Schwierigkeiten und…hat sich mit den falschen Leuten eingelassen. Es…ich war nicht immer für ihn da. Meine Kinder geben mir die Schuld daran…und wahrscheinlich stimmt das sogar.“

Die bitter gesprochenen Worte sitzen. Hawks ist im ersten Moment zu geschockt, um etwas darauf zu erwidern. Endeavor kippt das halbleere Glas in einem Zug herunter und gießt sich direkt nach. Wenn Hawks ehrlich ist, hat er das Gefühl, dass er gleich selbst einen gebrauchen könnte.

„Tut mir leid“, murmelt er beklommen, weil man dazu nichts anderes sagen kann.

Hätte er das geahnt, hätte er nicht mit seinen Kindern angefangen. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass eines seiner Kinder tot ist, scheint es weder eine Krankheit noch ein Unfall gewesen zu sein. Endeavor jetzt darüber genauer auszufragen, empfindet er als falsch, weswegen er zunächst still bleibt. Die Pizza schmeckt plötzlich wie Pappe, sodass er sie erstmal weglegt.

„Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht darüber nachdenke, was ich alles falsch gemacht habe, dass es dazu gekommen ist“, brummt Endeavor und blickt dabei starr vor sich hin. „Ich kann das weder rückgängig machen, noch…um Vergebung bitten. Ich kann dafür bloß sühnen…und das habe ich getan. Jedenfalls bis du aufgetaucht bist.“

Er sagt es, als sei es etwas Negatives. Vielleicht ist es das ja sogar. Zumindest aus seiner Sicht. Hawks schluckt unweigerlich, doch Endeavor fährt fort.

„Ich bin ausgezogen. Ich habe ihnen Zeit gegeben und mich zurückgezogen. Ich habe akzeptiert, dass sie mich nicht bei ihrer Trauer miteinbeziehen wollen. Das Alleinsein ist meine Strafe, Hawks, und wenn ich mich nicht regelmäßig mit Alkohol betäube, weiß ich wirklich nicht, wie ich das weiter aushalten soll.“

Hawks wird bewusst, dass Endeavor genau wie er selbst ist. Bei diesem Teil jedenfalls. Er weiß, dass es ein Fehler ist, und er tut es trotzdem. Weil er es braucht. So wie Hawks Anerkennung und den Sex braucht, um sich gut zu fühlen, so braucht er den Whisky, um nicht durchzudrehen. Okay ist es nicht, aber die einzige Möglichkeit, um mit gewissen Dingen fertig zu werden.
 

„Du denkst, dass du nicht glücklich sein darfst“, stellt er leise fest und Endeavor schnaubt verächtlich.

„Du hast mir eben zugehört, oder nicht? Ich bin daran schuld, dass eines meiner Kind tot ist.“

„Ich weiß ja nicht, was genau passiert ist, aber du leidest offenbar ziemlich darunter, dass es dazu gekommen ist. Also war und ist dir dein Sohn nicht egal. Du versuchst, damit fertig zu werden, indem du dich bestrafst. Ich meine…das ist zwar echt nobel von dir, aber…das ändert nichts an der Sache.“

Hoffentlich versteht Endeavor ihn nicht falsch, denn seine Mimik wirkt plötzlich recht entgleist.

„Hey, ich wollte damit nicht sagen, dass du…also…ich meine damit, dass es keinem hilft, wenn du dich zugrunde richtest. Was auch immer geschehen ist, du willst dich ja offenbar ändern, nur sind deine Kinder noch nicht bereit dafür. Wäre es nicht…sinnvoller, dass du ebenfalls anfängst, damit fertig zu werden? Wenn sie so weit sind und zu dir kommen…willst du dann wirklich an der Flasche hängen? Ich kann mir vorstellen, dass es schwer sein muss, mit dem Verlust klar zu kommen…aber wenn du mich lässt, helfe ich dir dabei.“

Hawks begreift noch in der Sekunde, als er es ausspricht, dass er es wieder getan hat. Sich an einen Mann mit Problemen hängen und sie zu seinen eigenen machen, weil er der Vorstellung nachhängt, irgendwann dafür geliebt zu werden . Dabei weiß er nicht mal, was passiert ist. Seine Intuition sagt ihm jedoch, dass Endeavor kein schlechter Mensch ist. Er besitzt ein Gewissen, sonst gäbe es keine Panikattacken und Selbstgeißelung. Er ist nicht wie sein Vater.

Endeavor sieht ihn auf eine Weise an, die deutlich macht, dass er ihn für verrückt hält.

„Warum willst du das überhaupt?“, entkommt es ihm harsch. „Den Sex kannst du dir auch woanders holen – du hast ja wohl kaum zu wenig Auswahl. Was stimmt mit dir nicht, dass du dich mit mir einlässt?! Du weißt nicht, was ich…wie ich…war. Ich verdiene weder Mitleid noch Hilfe. Ich bin doppelt so alt wie du, Hawks! Wie du festgestellt hast, habe ich einen Haufen Probleme. Das…du kannst nicht wirklich glauben, dass das auf irgendeine Weise…eine Zukunft hat.“

Obwohl er sich in Rage redet, ist einiges nicht von der Hand zu weisen. Mit ihm stimmt so einiges nicht. Hawks lächelt freudlos, ehe er sich kurzerhand auf Endeavors Schoß schwingt. Er legt die Arme um den breiten Nacken und blickt ihn ruhig an, während er in der Mimik des anderen erkennt, dass dieser schon wieder kaum Luft bekommt.

„Wie du sagst…mit mir stimmt was nicht“, gibt er zu. „Ich habe meinen eigenen Ballast, aber ich komme damit klar. Wenn ich mir den Sex woanders holen würde, wäre es wieder ein Kerl wie du – weil das mein Ding ist. Manche stehen auf blond, blauäugig oder was weiß ich. Ich stehe auf schwierige, ältere Männer. Ist nun mal so. Ich habe das akzeptiert. So bin ich eben.“

Seine Daumen ziehen Kreise auf seiner Haut, um ihn ein bisschen zu beruhigen.

„Und was das Mitleid und die Hilfe angeht – ja, ich weiß nicht alles über dich. Es wäre einfacher, wenn du mir mehr erzählen würdest, aber was ich von dir weiß, ist, dass du kein kaltherziges Schwein bist. Wie du sagst, du hast Probleme. Du hast Fehler gemacht. Es wird aber nichts besser werden, wenn du dich weiter damit herumquälst. Ich kann dir nicht sagen, ob das hier eine Zukunft hat, aber schlimmer kann es nicht werden, oder?“

Wenigstens scheint der Körperkontakt zu helfen – vielleicht sogar mehr als das, was er sagt. Er streichelt weiter seinen Nacken, hält dem flackernden Blick des anderen stand. Obwohl die Situation so verfahren ist, hat Hawks das Gefühl, dass er das Richtige tut.

Mina würde ihm hierfür vermutlich eine Ohrfeige verpassen. Oder zwei. Links und rechts.
 

„Lass uns einfach so weitermachen wie bisher“, schlägt er vor. „Wir treffen uns, haben eine gute Zeit…und reden uns was von der Seele, wenn uns danach ist.“

Endeavor schnaubt leise, doch seine Anspannung scheint etwas nachzulassen. Immerhin zittert er nicht unkontrolliert, wie es schon mal der Fall gewesen ist. Bei seiner Panikattacke, die Hawks nicht unbedingt wiederholen möchte.

„…mit dir kann etwas nicht stimmen“, brummt Endeavor, woraufhin Hawks schief lächelt.

„Verkorkste Leute suchen und finden einander, was?“

„Scheint so.“

„Dann wäre das ja geklärt. Willst du jetzt was von meiner Pizza und wir gucken einen Film, auf den wir beide Bock haben?“, wechselt Hawks das Thema und rutscht von seinem Schoß.

Er greift nach dem angeknabberten Pizzastück, zieht mit der anderen Hand die Decke zu sich und lehnt sich wieder an den Hünen, der den Arm um ihn legt. Bevor Hawks hineinbeißen kann, legt sich eine Hand unter sein Kinn und drückt es leicht hoch. Hawks hat nicht mit einem Kuss gerechnet. Eher mit Distanz, weil das eben heftig für den Älteren sein muss. Er hat ihn getriggert, ohne dass er es gewollt hat.

Der Kuss ist schwer einzuordnen. Sanft. Aber nicht keusch. Hawks schließt automatisch die Augen, weil er es genießen will, auf diese Weise geküsst zu werden, die ihm warm werden lässt. Nein, er kann das hier unmöglich bereuen, wenn es sich so gut anfühlt.

Womit er noch weniger gerechnet hat, ist, dass sich Endeavor, kaum dass sie sich voneinander gelöst haben, einfach seine Pizza schnappt und hineinbeißt.

„Oi!“, protestiert Hawks halbherzig, doch der Ältere drückt ihm bloß die Fernbedienung in die Hand.

„Du wolltest was abgeben. Such den Film aus.“

„Dachte nicht, dass du wirklich was willst…“, mosert Hawks, obwohl noch mehr als ein Stück übrig ist.

„Falsch gedacht.“

Und damit verschwindet auch der Rest des Pizzastücks in Endeavors Mund. Wenn es um Essen geht, ist Hawks gierig. Na ja, nicht nur, wenn es um Essen geht. Er weiß nicht, ob er empört oder belustigt sein soll, doch er muss unweigerlich grinsen. So ist ihm der Ältere eindeutig lieber. So gelöst. Auch wenn das mit der Pizza frech ist. Gut, Endeavor hat sie bezahlt , aber dennoch…es gibt Grenzen.

Davon aber mal abgesehen…vielleicht bekommen sie das Chaos in Endeavors Leben ja zusammen in den Griff. Und vielleicht hilft das auch Hawks, besser mit seinem eigenen klarzukommen. Vorausgesetzt, Endeavor lässt die Finger von den anderen Pizzastücken und…

„Oi!“

Wohl eher nicht.

Risk

Eigentlich gibt es keinen Grund mehr für Enji, in den Club zu gehen. Nicht mehr, seitdem Hawks und er sich privat treffen. Und das tun sie oft. Enji ist sich immer noch nicht sicher, ob es richtig ist, dem nachzugeben. Es fühlt sich gut an, keine Frage. Hawks ist überraschend unkompliziert – in jeglicher Hinsicht. Ob sie nun miteinander schlafen oder einfach nur Zeit auf der Couch verbringen – Enji ist entspannter. Mit jedem Mal ein bisschen mehr. Vielleicht ist es das, was ihm Angst macht. Es ist, wie er gesagt hat, er hat es nicht verdient, glücklich zu sein. Trotzdem kann er nicht aufhören und den Kontakt abbrechen.

Stattdessen kommt er am Freitagabend wieder in den Club, um Hawks nach seiner Schicht mitzunehmen. Als er Pinkys rosa Haarschopf auf der Bühne erkennt, wird ihm bewusst, dass er sich nicht mehr so sehr von ihrem Freund unterscheidet. Auch, wenn er das zwischen Hawks und ihm nicht benennen kann. Sei es drum, er will bloß einen Whiskey trinken und warten, bis sie gehen können.

Da er Hawks nicht entdecken kann, geht er direkt zur Bar – und stutzt, als er dort einen bekannten Blondschopf sitzen sieht. Das ist doch jetzt nicht wahr. Für einen Moment überlegt Enji wirklich, ob er sich umdrehen und gehen soll. Andererseits muss er Hawks dann entweder absagen oder im Auto warten. Beides ist für ihn keine angenehme Option, weswegen er durchatmet und sich schließlich überwindet, sich ebenfalls an die Bar zu setzen.

„Ich dachte, das wäre nicht dein Ding“, knurrt er anstelle einer Begrüßung, da Angriff die beste Verteidigung ist.

Toshinori zuckt zusammen und blickt ihn verdutzt an. Gut, immerhin ist er nicht gekommen, um ihn hier abzupassen, das macht die Sache direkt weniger unangenehm für ihn.

„Oh, Enji, ich…also, das stimmt schon“, stammelt dieser etwas überfordert los. „Ich…bin nicht wegen der Show hier…“

Enji hebt eine Braue, weil ihm kein Grund einfällt, wegen dem der andere sonst hier sein könnte. Diesmal hat er schließlich nicht seine Kollegen im Schlepptau, sondern scheint allein hier zu sein. Seine Ausreden kann er sich also schenken.

„Und weswegen dann? Wohl kaum, weil das Wasser hier so gut schmeckt “, meint er mit gewissem Spott in der Stimme.

Toshinori räuspert sich, weiß wohl nicht, was er sagen soll. Die unangenehme Stille dehnt sich aus. Jedenfalls bis Aizawa auftaucht und Enji ohne Aufforderung und mit gewohnt finsterer Miene seinen Whiskey auf den Tresen knallt.

„Er ist wegen mir hier.“

Nun braucht Enji ein paar Sekunden, um sich zu fangen. Er wirft Toshinori einen langen Blick zu, dem dieser verlegen ausweicht und dabei an seinem Glas Wasser nippt. Das ist ein schlechter Scherz. Er sieht von einem zum anderen, nicht sicher, was er dazu sagen soll. Ob er etwas dazu sagen soll. Sein Ex und dieser grimmig dreinblickende Barkeeper? Irgendwie kann er sich das absolut nicht vorstellen. Kein bisschen. Hat Aizawa ihn das letzte Mal nicht beleidigt?

Eben jener funkelt ihn beinahe schon herausfordernd an, doch da Enji weiterhin schweigt, wendet er sich ab, um die nächsten Kunden zu bedienen. Erst danach sieht er wieder Toshinori an, der immer noch verlegen wirkt, aber dabei nun dümmlich grinst.
 

„…du hast was mit dem Kerl?“, brummt er, als er sicher sein kann, dass Aizawa nicht mithört.

Er möchte nämlich wirklich nicht, dass dieser ihm doch noch ins Glas spuckt. Zuzutrauen wäre es ihm.

„Hat letztens nicht den Eindruck gemacht, als könnte er dich leiden“, fügt er noch an, woraufhin Toshinori schmunzelt.

„Nun, wir sind an dem Abend noch mal ins Gespräch gekommen und ich denke, da hat er festgestellt, dass ich gar nicht so scheiße bin.“

„…hat er das so gesagt?“

„Mir gefällt seine Ehrlichkeit.“

Und damit ist die Frage wohl beantwortet, auch wenn Enji findet, dass Aizawa seine Ehrlichkeit nicht jedem direkt ins Gesicht knurren muss. Aber gut, wenn Toshinori meint, dass er das braucht, soll er halt machen. Es ist nicht sein Problem.

„Ich bin jahrelang von Menschen umgeben gewesen, die lieber hinter meinem Rücken geredet haben“, fährt der Blonde fort. „Es ist erfrischend, Menschen zu begegnen, die mir ihre Meinung direkt sagen können.“

„Hat dich keiner gezwungen, wegzugehen, um erfolgreich zu werden“, erwidert Enji vielleicht etwas zu schnippisch.

Vielleicht ist da doch noch ein Teil von ihm, der das persönlich nimmt und es Toshinori missgönnt. Er weiß, dass es unsinnig und unfair ist, aber er ist ebenfalls niemand, der Leuten Honig ums Maul schmiert.

Anscheinend hat er ihn damit getroffen, denn seinem Gegenüber entgleisen kurzzeitig die Gesichtszüge. Er öffnet den Mund, um etwas zu erwidern, zögert dann aber. Vielleicht, weil er befürchtet, dass er etwas Falsches sagt – oder die Wahrheit, die Enji vermutlich ebenso wenig gefallen wird.

„Du weißt hoffentlich, dass mir das nicht leicht gefallen ist“, erwidert er schließlich bemerkenswert ruhig. „Ich hatte ein Ziel…einen Traum, den ich mir erfüllen wollte…und…nun, du wärst nicht mitgekommen. Nicht wahr?“

Enji sieht bei der Frage stur in sein Glas; nein, Amerika ist nie eine Option gewesen. Das ist Toshinoris Traum gewesen, nicht seiner. Ohnehin wäre das mit ihnen beiden wohl nicht ewig gut gegangen, dazu sind sie einfach zu verschieden. Wobei ihm der Gedanke kommt, dass das bei Hawks nicht anders ist. Der Whiskey hat plötzlich einen miesen Beigeschmack.

„Nein“, antwortet er nach ein paar Sekunden. „Wäre ich nicht.“

Toshinori nickt nur, wie er aus den Augenwinkeln erkennen kann. Scheinbar findet auch er, dass es keinen Sinn macht, weiter darüber zu diskutieren. Es ist Vergangenheit.
 

„Bist du wieder wegen Hawks-kun hier? Ihr wirktet beim letzten Mal sehr vertraut.“

Enji weiß nicht, wie er darauf reagieren soll; es zu leugnen macht wohl keinen Sinn mehr. Vor allem, da es noch beschämender wäre, nur wegen der Shows hier zu sein. Eigentlich will er gar nicht darüber reden.

„Und wenn?“, knurrt er zurück. „Willst du mir dann ins Gewissen reden?“

Toshinori schüttelt langsam den Kopf.

„Ich denke, dass du deine Gründe haben wirst“, meint er schließlich. „Nach allem, was passiert ist…es muss sehr hart für Rei und dich gewesen sein. Geht es ihr…inzwischen besser?“

Enji packt sein Glas fester, während er nicht weiß, was er bei der Frage fühlen soll…oder generell was er darauf antworten soll. Ja, es ist hart gewesen. Ja, Enji hat viel dazu beigetragen, dass die Situation heute so festgefahren ist. Er fühlt sich schuldig und daher ist es schwer, sachlich auf diese Frage zu antworten. Er bemüht sich.

„Nicht wirklich.“

Nicht, dass er sie in letzter Zeit besucht hat, doch er informiert sich regelmäßig über ihren Zustand. Es ist nicht so, wie es für Toshinori aussehen muss. Dass er seine Frau abgeschoben hat und sich mit einem jüngeren Kerl vergnügt, um alles hinter sich zu lassen. Als würde er kein Gewissen besitzen. Das tut er und es wiegt schwer, was sich auch nicht ändern wird.

„Das tut mir sehr leid“, erwidert der Blonde ernst. „Du denkst also nicht, dass das mit euch wieder wird? Ich meine, manchmal wird einem durch eine Auszeit bewusst, was man aneinander hat…“

„Soweit ich weiß, hat dir deine Auszeit zur Trennung verholfen“, knurrt er zurück, da bei dem Thema sein Blut hochkocht.

Toshinori verstummt kurz, sich wohl bewusst, dass Enji von David redet.

„Sozusagen“, gibt er zu. „Fernbeziehungen gehen nie lange gut, wie du weißt – da waren Dave und ich uns ebenfalls einig. Wir haben uns einvernehmlich und im Guten getrennt. Was wir in den Medien erzählt haben, ist die Wahrheit. Wir sind immer noch befreundet und halten Kontakt.“

Die unausgesprochene Frage steht zwischen ihnen, doch Enji kann nichts dazu sagen. Weil er es nicht weiß. Rei ist gerade nicht dazu in der Lage, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln. Sie muss sich gerade um ihre mentale Verfassung kümmern und dieser würde er nur schaden. Was danach sein wird, weiß er nicht. Es ist zu viel passiert und selbst, wenn sie daran arbeiten…sie werden nicht mehr zueinander finden. Gegenseitige Akzeptanz ist alles, was er sich erhoffen kann.

„Schon gut. Vergiss, dass ich davon angefangen habe. Es ist deine Sache, wie du damit umgehst“, lenkt Toshinori ein. „Wenn du aber darüber reden willst, bin ich für dich da. Ich hoffe, das weißt du.“

Enji kann und will dem eindringlichen Blick nicht standhalten. Auch, wenn es ihm widerstrebt, dem zuzustimmen, weiß er, dass Toshinori niemand ist, der einem ins Gesicht lügt. Er ist eine ehrliche Haut und einst hat er das an ihm geschätzt.

„Ich komme klar“, meint er knapp und Toshinori nickt.
 

Ihr Gespräch wird unterbrochen, als auffallend laute Stimmen ertönen, sodass er sich umdreht. Gegen die Musik anzukommen, ist eigentlich so gut wie unmöglich, von daher wundert er sich schon. Jedoch versteht er recht schnell, dass da wohl jemand gegen die Clubregeln verstoßen hat, denn er entdeckt Kans bullige Gestalt, die jemanden zum Ausgang schleift. Der Mann tobt und wehrt sich in dem groben Griff des Hünen, der ihm den Arm auf dem Rücken verdreht hat.

Enji spannt sich unweigerlich an, als er den Typen als denjenigen erkennt, der Hawks seit Wochen für das Separee bucht. Das siedend heiße Gefühl der Eifersucht kocht diesmal nicht als Einziges in ihm hoch. Enji weiß, dass Hawks auf sich aufpassen kann, dennoch kann er nicht verhindern, dass er sich um den Blonden sorgt. Was ist passiert?

„War abzusehen.“

Enji hält inne, als Aizawas dunkle Stimme hinter ihnen ertönt, und auch Toshinori dreht den Kopf in Richtung des Barkeepers. Ein Funkeln liegt nun in seinen Augen, die blutunterlaufen wie immer sind und unter denen tiefe Schatten liegen.

„Der Herr hat wohl für Ärger gesorgt?“, fragt Toshinori, während Enji Ausschau nach Hawks hält.

Er ist drauf und dran, einfach nachzusehen, doch vermutlich schmeißt Kan ihn dann als Nächstes hinaus. Es macht ihn innerlich wahnsinnig, nicht zu wissen, was mit ihm ist. Inzwischen haben sich die restlichen Leute wieder der Show von Miruko zugewandt, die Stimmung ist ausgelassen.

„Wenn du damit das Schwein meinst, das seine Finger nicht bei sich behalten kann, dann ja. Kerle wie der kapieren es einfach nicht“, brummt Aizawa mit deutlich verärgertem Unterton.

Dann gießt er sich selbst einen Kurzen ein und kippt diesen herunter – vermutlich zur Beruhigung. Enji könnte auch noch einen Drink gebrauchen, doch er hält an dem Gedanken fest, dass er noch fahren muss. Jedenfalls hofft er das, da er immer noch nicht weiß, wie es Hawks geht. Es muss wegen ihm gewesen sein, nicht wahr?

„Also hat er die Angestellten belästigt?“

„Gibt immer Typen, die nicht verstehen, dass das hier weder ein Bordell noch die Partnerbörse ist“, erwidert Aizawa gereizt. „Hoffe, Kan verpasst ihm ein paar…“

Scheint ihm ja wirklich etwas auszumachen, wenn er so reagiert. Nicht, dass Enji es nicht nachvollziehen kann. Falls er Hawks etwas getan hat, zieht er ernsthaft in Erwägung, den Kerl zu verprügeln – und das irritiert ihn selbst. Hawks geht ihm viel zu sehr unter die Haut, dafür, dass das etwas Lockeres zwischen ihnen sein sollte. Etwas ohne komplizierte Gefühle.

Leider ist Enji es gewöhnt, dass bei ihm nie etwas unkompliziert vonstattengeht, von daher sollte er sich wohl nicht wundern. Seine Anspannung bleibt jedenfalls bestehen, bis er Hawks ein paar Minuten später in Hoodie und Jogginghosen entdeckt. Ein hoch gewachsener, blonder Mann, der komplett in Jeans gekleidet ist, begleitet ihn und spricht anscheinend mit ihm, auch wenn man das wegen des hohen Kragens nicht erkennen kann . Hawks nickt jedoch immer mal wieder oder schüttelt den Kopf.

„Beruhig dich, Endeavor“, kommt es von Aizawa, der seinem Blick scheinbar gefolgt ist. „Das ist nur unser Boss.“

Enji stockt. Er weiß nicht, was er erwartet hat, aber der Kerl wirkt nicht wie jemand, der einen Stripclub leitet. Er wirkt jünger, als Enji es ist, und irgendwie nicht wie die Autoritätsperson, wie er sie sich vorstellt. Der Mann legt Hawks eine Hand auf die Schulter und sagt etwas, woraufhin dieser schief lächelt und abwinkt. Dann schiebt er die Hände in die Taschen seines Hoodies und begibt sich zu ihnen an die Bar.
 

„Bist früh dran, Endeavor-san – zum Glück ist meine Schicht heute etwas kürzer. Oi Toshi, du auch hier? Hoffe, ich störe euch nicht?“, zwitschert er sofort los und lehnt sich provokativ an seine Seite.

Die gute Laune und das breite Grinsen kauft ihm Enji diesmal nicht ab. Es stört ihn, dass Hawks so tut, als wäre nichts, doch er stößt ihn nicht weg.

„Hallo Hawks-kun, nein, du störst nicht, keine Sorge“, kommt es sofort von Toshinori. „Ich hoffe, es geht dir gut?“

„Blendend~!“, erwidert Hawks und strahlt ihn an. „Der kleine Zwischenfall eben, den habt ihr wohl mitbekommen? Tja, deswegen soll man immer seine Pfoten bei sich behalten, wenn’s nicht ausdrücklich anders gewünscht wird, aber na ja, so ist das Berufsrisiko. Also dann, wollen wir fahren, Endeavor-san?“

Enji fixiert ihn argwöhnisch, weiß nicht, was er noch dazu sagen soll. Er will darüber aber auch nicht vor Toshinori sprechen. Generell möchte er ebenso wie Hawks einfach fahren. Ihm entgeht nicht, dass Aizawas Blick nicht gerade vor Begeisterung sprüht.

„Melde dich, wenn du etwas brauchst“, sagt dieser noch, woraufhin Hawks den Kopf neigt.

„Ja klar, mach ich. Aber der Große hier sorgt schon für mich, nicht wahr? Bin in besten Händen! Euch beiden noch einen schönen Abend – tut nichts, was ich nicht auch tun würde! Wobei…dann steht euch die Welt offen, haha…“

„Hawks…“

Während Aizawa nun genervt wirkt, räuspert sich Toshinori verlegen. Okay. Das reicht. Er will hier weg. Zum Glück muss er da nicht lange bitten, genau genommen gar nicht, denn Hawks hakt sich bei ihm ein und winkt noch mal, ehe er mit ihm nach draußen geht. Dort lächelt er Kan fröhlich an und muss auch ihm noch mal bestätigen, dass alles in bester Ordnung ist – erst dann dürfen sie ins Auto steigen.

Eigentlich ist das nicht verkehrt. Die Leute im Club achten auf Hawks, gehen gegen Übergriffe vor.

Enji wirft Hawks einen Blick zu, als dieser sich angeschnallt hat. Das Lächeln ist verschwunden und er wirkt müde, lehnt sich zurück.

„Jetzt sieh mich nicht so an“, murmelt er und streckt sich leicht. „Ist nichts Wildes passiert. Wie ich sagte, Berufsrisiko. Gibt immer mal solche, die die Grenzen überschreiten. Ich werde es überleben und wir werden gleich genialen Sex haben, so wie immer.“

Er zwinkert ihm zu, doch es beruhigt Enji nicht. Vielmehr fühlt es sich so an, als würde Hawks denken, dass er etwas von ihm erwartet. Er will nicht, dass der Jüngere denkt, dass er ausschließlich darauf aus ist, dass sie Sex haben werden. Sicher, so ist das zwischen ihnen gedacht, aber unter solchen Umständen würde er das niemals einfordern oder ihr Treffen deswegen absagen.
 

„Sag das nicht so“, knurrt er schlecht gelaunt und Hawks hebt eine buschige Braue.

„Dass wir genialen Sex haben? Ist doch die Wahrheit?“

„Ich meine, sag das nicht so, als…würde ich dich sonst rausschmeißen. Ich weiß nicht, was da vorhin passiert ist, aber wenn du nicht in Stimmung bist, holen wir etwas zu essen und verbringen den Abend vor dem Fernseher. Waren doch deine Worte? Von wegen kein Druck?“, fährt er fort und wird verdutzt angesehen.

Ist Hawks sprachlos? Jedenfalls wirkt es so, doch dann fasst er sich und setzt ein schiefes Grinsen auf.

„Ne, ist schon richtig. Hab nur irgendwie nicht erwartet, dass du dir Sorgen um mich machst. Das ist...unerwartet und lieb von dir. Ehrlich, ich bin geschmeichelt. Aber so schlimm ist es wirklich nicht gewesen. Der Kerl ist die letzten Male schon zudringlicher geworden. Diesmal hat er die Hand in meine Hose geschoben und ich meine Faust in sein Gesicht. Daraufhin hat er mich niveaulos beleidigt und wollte mich verprügeln – ich habe aber eine gute Abwehr drauf. Außerdem war Kan echt schnell da und hat ihn rausgeschmissen. Chef meinte, der Typ hat jetzt Hausverbot, und er hat mir angeboten, frei zu nehmen. Wie du siehst – alles im Lot.“

Enji hört ihm zu, doch die Wut in seinem Bauch verschwindet nicht. Weil es um Hawks geht. Hawks, der ihm wichtig geworden ist und den er gern hat. Verbissen starrt er auf seine Finger, die um das Lenkrad verkrampft sind. Hawks bemerkt es wohl, denn er legt seine Hand auf seine rechte und drückt diese leicht.

„Alles in Ordnung. Lass uns einen schönen Abend haben, hm?“, meint er und diesmal wirkt sein Lächeln ehrlich.

Enji atmet tief durch, doch dann nickt er, denn das will er auch. Einen schönen Abend haben und vergessen. Das wollen sie heute vermutlich beide.
 

Irgendwie hat es sich eingespielt, dass sie zusammen Marvel-Filme schauen, so auch an diesem Abend. Sie schauen den ersten Teil der Avengers . Enji liegt rücklings auf der Couch, Hawks auf ihm, wobei er sich eigentlich nur bewegt, um ein paar der mittlerweile kalten Pommes zu ergattern. Mehr ist vom Fast Food nicht übrig geblieben.

„Dachte, du bist satt“, brummt er, ohne den Blick vom Fernseher zu nehmen.

„Bin ich auch. Aber ein paar Pommes als Snack gehen immer.“

„Ah ja.“

„Schiss, dass ich fett werde?“, fragt Hawks amüsiert und sieht zu ihm auf. „Keine Sorge, ich bewege mich viel und der Stoffwechsel läuft auch!“

„…du kannst essen, so viel du willst“, erwidert Enji genervt.

Immerhin lässt er sich auch nicht vorschreiben, wie viel er trinkt. Auch wenn es seit Hawks‘ Anwesenheit weniger geworden ist. Weil ihm nicht entgeht, dass es den Jüngeren stört, auch wenn er nichts sagt. Außerdem ist er nicht mehr ständig allein. Hawks schmunzelt nur und nimmt sich noch eine Pommes, ehe er sich wieder an ihn lehnt, den Film weiterverfolgt.

„…welche Superkraft hättest du am liebsten?“, fragt er nach einer Weile und Enji stutzt.

Früher hätte er wohl auf eine starke Kraft gesetzt, irgendein Element kontrollieren oder so etwas in der Art. Heute weiß er, dass diese Kraft wohl bei ihm nicht in den besten Händen wäre. Wenn er es schon schafft, sich als normaler Mensch alles zu ruinieren…

„Also ich würde mir echte Flügel wünschen“, meint Hawks, als Enji zu lange schweigt. „Es muss richtig cool sein, zu jedem Ort der Welt fliegen zu können. Einfach weg…und mit so viel Schnelligkeit lässt sich bestimmt auch viel Gutes tun, oder? Hm…und zu dir passt irgendwie Feuer, finde ich. Oder Hulk-Kräfte. Auch wenn du schon ohne Verwandlung voll der Muskelprotz bist.“

Enji hebt eine Braue bei seinen Worten.

„Ich denke nicht, dass so eine Kraft bei mir gut aufgehoben wäre“, erwidert er ehrlich.

Hawks runzelt die Stirn, mustert ihn ein paar Sekunden nur. Dann zuckt er mit den Schultern und lehnt den Kopf wieder gegen seine Brust.

„Ich glaube, du bist zu hart zu dir selbst. Wenn du aber darüber reden willst, warum du so ein schlechter Mensch bist, dann höre ich dir zu. Oder wir unterbrechen den Film kurz und ich helfe dir dabei, diese finsteren Gedanken für ein paar sehr intensive Minuten aus dem Kopf zu kriegen. Deine Entscheidung, Endeavor-san.“

Enji schnaubt.

„Du willst das wirklich?“

Auf das Angebot eines Gesprächs geht er nicht ein. Reden will er nicht darüber. Jedenfalls nicht jetzt.

„Sex mit dir? Immer. Wie gesagt, das heute pisst mich an, aber nicht genug, dass es mich davon abhält, eine gute Nacht mit dir zu haben.“

Enji kann schlecht nein sagen, wenn Hawks sich zu ihm herumdreht und ihn mit diesem Ausdruck ansieht, der deutlich macht, dass es sein Ernst ist. Eigentlich hat er nicht damit gerechnet, dass heute etwas in der Richtung zwischen ihnen laufen wird, aber gut, wenn der Jüngere es will, wird er nicht ablehnen. Weil er es auch will. Ihn will. Daher besteht seine Antwort darin, eine Hand in Hawks Nacken zu legen und ihn zu küssen. Er spürt das zufriedene Grinsen gegen seine Lippen…und es lässt sein Herz rasen.

Ihm wird abermals bewusst, dass das hier in eine Richtung geht, die er eigentlich nicht hatte einschlagen wollen – und er weiß, dass es längst zu spät ist, um zurückzukönnen.

Shit

Die Nacht ist lang und intensiv. Genau das, was sowohl Endeavor als auch Hawks braucht. Er hat zwar gesagt, dass es nicht weiter schlimm ist, was am Abend passiert ist, aber es hat dennoch ein flaues Gefühl in seinem Magen hinterlassen. Es ist nicht das erste Mal und es wird nicht das letzte Mal sein. Das ist das Risiko im Job, dass man eben auch mal an solche Typen gerät. Er wird es überleben. Und verdrängen. Aber es hinterlässt halt doch auf eine gewisse Art und Weise Spuren.

Normalerweise haut er sich nach solchen Tagen mit Mina einen Eimer Chicken Wings rein und sie gucken irgendwelche Filme, bis sie so müde sind, dass sie einpennen. Gut, sowas Ähnliches hat er nun mit Endeavor gemacht, nur dass sie noch Sex drangehängt haben. Das hilft auch. Vor allem nach dessen Worten, die wie Balsam für ihn sind.

Hawks‘ Selbstwertgefühl ist nicht so unerschütterlich, wie es seine Auftritte vermuten lassen, von daher tut es ihm gut, dass sich Endeavor darum schert, wie es ihm geht. Es zeigt, dass das hier auch für ihn mehr als nur Sex ist, oder? Dass er kein schlechter Kerl ist, der ihn nur flachlegen und loswerden will, wenn Hawks nicht kann. Nicht, dass er das geglaubt hat, nach allem, was er inzwischen über den Mann weiß, aber ein bisschen zusätzliche Bestätigung ist schön.

Ebenso wie so dicht an ihn geschmiegt zu liegen, die breiten Arme um sich geschlungen und Endeavors Atem in seinem Nacken. Es sind die kleinen Dinge im Leben, nicht wahr?

Wobei die kleinen Dinge für Hawks unheimlich große Gesten darstellen können. Das ist wohl die logische Konsequenz, wenn man wie er aufgewachsen ist. Da greift man nach jedem Strohhalm, den man kriegen kann. Er blickt in die Dunkelheit, während er den Abend Revue passieren lässt und die Erinnerung daran genießt. Trotz allem ist er wohl ein unerschütterlicher Optimist, wenn er nach all den Enttäuschungen immer noch daran glauben kann, dass das hier halten kann.
 

„…bist du wach?“

Also kann Endeavor wohl auch nicht schlafen. Es ist laut Digitalanzeige gerade mal 2 Uhr.

„Hm“, murmelt er und schmiegt sich noch etwas mehr in die Umarmung.

Zum einen, weil es einfach schön ist, und zum zweiten, weil er damit eventuelle Gedankengänge aus dem Weg räumen will, die nicht positiv sind. So wie er ein Optimist ist, ist Endeavor anscheinend das genaue Gegenteil von ihm. Er hat zu viele Sorgen, die Hawks ihm nicht allein durch Worte nehmen kann. Da er die Details nicht weiß, ist es generell schwierig, ihm zuzusprechen. Vielleicht ist er irgendwann so weit. Drängen will er ihn nicht, vor allem da Hawks ihm auch nicht alles über sich sagen kann.

Für welche Zukunft er spart. Was er sich davon erhofft. Warum er so ist, wie er ist. Hawks weiß nicht, ob er das überhaupt offenbaren will. Manches ist ihm peinlich, anderes geht zu tief und er hat keine Lust auf Mitleid. Das gestern hat gereicht und er ist froh, dass es nichts daran geändert hat, wie sie zueinander stehen. Es gibt einen Unterschied zwischen Mitleid und sich Sorgen machen. Das Letzte kann er genießen.

„Warum kannst du nicht schlafen?“, fragt er, als von Endeavor nichts mehr kommt.

Dieser antwortet nicht sofort, doch Hawks gibt ihm Zeit, schließt seine viel kleinere Hand um die Pranke des anderen und streichelt mit dem Daumen darüber. Wo sie wieder beim Thema Gesten sind…

„Du weißt, dass ich schlecht schlafe“, brummt der Ältere und tatsächlich weiß Hawks das.

Weil sie viele Abende und Nächte zusammen verbracht haben; irgendwann kennt man die Marotten des jeweils anderen. So wie Endeavor weiß, dass Hawks sein Essen nicht gern teilt und Unmengen davon verschlingen kann, was er beim Tanzen direkt wieder verbrennt.

„Vielleicht würdest du ruhiger pennen, wenn du mir dein Herz ausschüttest?“, meint er halb scherzhaft, woraufhin Endeavor schnaubt.

„Nein.“

„Autsch. Gib mir doch keinen Korb…ich bin verletzlich.“

Was sogar stimmt, aber hey, er ist niemand, der seine Schwächen ernsthaft raushaut.

„…vorhin hast du noch gesagt, du bist in Ordnung.“

„Bin ich auch. Ganz ruhig. Wollte die Stimmung ein bisschen auflockern.“

„…warum bist du um die Uhrzeit überhaupt so geschwätzig?“

„Warum hast du mich angesprochen, wenn du nicht reden willst?“

„…“

Die darauffolgende Stille sagt wohl genug darüber aus, dass Hawks Recht hat. Er zieht mit dem Daumen weiter Kreise über den rauen Handrücken, wartet geduldig. Auch wenn er nicht glaubt, dass Endeavor ihm mehr erzählen wird. Das scheint eine ziemliche Hürde für ihn darzustellen.
 

„Wusstest du, dass er was mit dem Barkeeper hat?“

Okay. Nicht das, was sich Hawks als Pillow Talk vorgestellt hat. Definitiv nicht, aber hey, warum nicht? Anderer Leute Liebesleben auszudiskutieren ist ja so viel besser als zuzugeben, welche Dämonen einen quälen. Kein Spott. Er spricht aus Erfahrung.

„Meinst du deinen Ex? Toshi? Na ja, er ist seit einer Weile immer mal wieder da. Sitzt an der Bar, trinkt Wasser…ich meine, komm schon, wer geht in einen Strip-Club, um Wasser zu trinken? Bisschen verdächtig. Und Aizawa war zwischendurch ein bisschen weniger angepisst, also ja, ich hab schon geahnt, dass da was im Busch ist. Stört‘s dich?“

Hoffentlich nicht so sehr, dass er das Thema deswegen jetzt aufgreift; während er neben Hawks liegt und sich nur Endeavors Shorts zwischen ihnen befinden. Wäre es nach Hawks gegangen, gäbe es nicht mal diese Barriere, aber gut, er kann Kompromisse machen.

„Nein.“

Das kommt jetzt etwas zu schnell.

„Warum fragst du dann?“

„…nur so.“

„Sowas fragt man nie einfach nur so.“

Hawks dreht den Kopf ein wenig nach hinten, auch wenn er in der Dunkelheit nicht viel von Endeavors Gesicht sieht. Der Rothaarige schweigt eine Weile, bleibt aber bei ihm liegen.

„…passt einfach nicht.“

Hawks weiß nicht, was er auf diese Aussage erwidern soll. Weil sie irgendwie ironisch ist, weil…nun ja…sie beide hier zusammen liegen und sie wohl kaum einer zum Traumpaar des Jahres küren würde.

„Ich glaube nicht, dass sowas rational ist“, erwidert er daher. „Ich meine…sieh dir uns beide an.“

„Ich weiß.“

Man muss dem Kerl wirklich alles aus der Nase ziehen. Hawks gefällt die Richtung nicht, die dieses Gespräch annimmt. Irgendwie hat das was von einem Déjà-vu. Er hasst sowas. Weil es ihn an die Male davor erinnert, wenn man ihm den Laufpass gegeben hat. Es ist ätzend.

„Du kommst mir jetzt aber nicht wieder damit, dass ich zu jung und du zu alt bist und so weiter? Ich hab doch gesagt, wir gehen es locker an. Kein Stress. Wir haben einfach eine gute Zeit, ein bisschen Spaß und-“

Er hat nicht erwartet, dass Endeavor ihn daraufhin loslässt und aufsteht. Es ist kalt ohne den warmen Körper neben ihm. Hawks dreht sich auf den Rücken, fixiert die große Silhouette des anderen und er spürt, wie ihm das Herz in die Hose rutscht.

„Ich geh duschen.“

Und mit diesen Worten lässt er ihn allein zurück. Nicht mal mit der Einladung, dass er mitkommen kann, wenn er möchte. Was zur Hölle hat er denn Falsches gesagt, dass der andere so darauf reagiert? Hawks rollt sich herum und drückt sein Gesicht ins Kissen, wobei er einen frustrierten Laut von sich gibt. Es ist immer noch mitten in der Nacht…aber Schlaf kann er jetzt knicken.
 

Ein paar Minuten liegt er nur so da und denkt über das Gespräch nach, ehe er entscheidet, dass er nicht einfach abwarten wird. Er schwingt sich aus dem Bett und geht, ohne sich was überzuziehen, ins Bad, das zum Glück nicht abgeschlossen ist. Das Rauschen der Dusche empfängt ihn und für einen Moment nimmt er sich die Zeit, Endeavors Körper durch die transparente Kabine zu mustern. Das breite Kreuz, da der andere mit dem Rücken zu ihm steht, und die Muskeln, die ihn jedes Mal schwach werden lassen. Gott, er ist ein Berg von einem Mann – und Hawks liebt es. Was er nicht liebt, ist, wenn man ihn sitzen lässt. Diesmal wird er dafür sorgen, dass das nicht geschieht.

Ohne sich vorher bemerkbar zu machen, öffnet er mit einem Ruck die Kabinentür und stellt sich einfach zu ihm in die Dusche. Der erschrockene Blick über die Schulter ist ihm egal, doch der andere fasst sich recht schnell wieder.

„Hawks.“

„Ich kenne meinen Namen. Ich will wissen, was los ist. Wie gesagt, wenn das hier der Versuch ist, mir zu sagen, dass du genug von mir hast, dann-“

Er zuckt zusammen, als Endeavor herumfährt und ihn an der Schulter packt, um ihn etwas zu fest gegen die Wand zu drücken. Instinktiv spannt sich Hawks an, doch als er dem anderen in die Augen sieht, lockert dieser seinen Griff sofort. Gut. Etwas anderes kann Hawks auch nicht akzeptieren. Er versucht, sein Inneres zu beruhigen, schließlich muss ja wenigstens einer von ihnen emotional gefestigt tun – anhand von Endeavors gequältem Ausdruck erkennt er, dass der Ältere dies nicht ist.

Hawks sagt nichts. Das hat er schon genug getan. Er beobachtet die Wassertropfen, die aus Endeavors Haaren über sein Gesicht und seinen Körper tropfen. Gerade ist das nicht so erotisch, wie es sein könnte – dafür ist Hawks‘ Nervosität zu groß.

„Das…ist nicht der Grund. Nicht nur“, entkommt es Endeavor schließlich und Hawks versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr es ihn verletzt.

Das ist nicht der einzige Grund…weswegen er das hier nicht mehr will? Hawks nicht mehr will. Er möchte kotzen, doch er sieht ihn einfach nur an. Weil er nicht zu mehr in der Lage ist. Das taube Gefühl kennt er viel zu gut – aber er ist nicht der Typ, der bettelt und heult. Nein. Er wird es wie ein Mann ertragen. Wie er es immer tut. Auf seine Art. Hübsch lächeln und weitermachen.
 

„…das hier geht nicht mehr“, entkommt es dem Älteren und er sieht wirklich gequält aus, was es nicht besser macht. „Verdammt, Hawks…“

Er sieht zu, wie Endeavor das bisschen Abstand zwischen sie bringt, das die Dusche ermöglichen kann. Das Wasser hat er abgestellt – immerhin denkt er an die Umwelt. Noch immer sagt er nichts, weil er noch damit beschäftigt ist, seine Fassung zu wahren. Mina hat ihn ja gewarnt. Irgendwie sieht Endeavor erschöpft aus, wie er da an der Wand lehnt und nach Worten ringt. Wenigstens tut er so, als wäre es schwer, nachdem er ihm Gefühle vermittelt hat, nach denen Hawks sich viel zu sehr sehnt. Hashtag ungeliebtes Kind und so.

„Für dich ist das vielleicht alles Spaß und locker und…was weiß ich. Ich bin zu alt für sowas. Für Affären. Ich…auf Dauer geht das einfach nicht und…du bist jung. Zu jung, als dass du…dass wir…das geht einfach nicht. Nicht so.“

Hawks starrt ihn einfach nur an, weil er zwar versteht, was Endeavor sagt, aber etwas Zeit braucht, um es zu realisieren. Nicht so. Er hat sich nicht verhört, oder? Oh Gott, wenn er das anders meint, als Hawks es verstehen will…nein.

„Du willst…nichts Lockeres“, hakt er daher vage und mit rasendem Herzen nach.

„Nein.“

„Du…willst nicht zu deiner Frau zurück?“

Bei diesem Punkt stockt Endeavor merklich, aber scheinbar nicht, weil er darüber nachdenken muss. Seinem Blick nach zu urteilen fragt er sich eher, warum Hawks das plötzlich einwirft.

„…nein. Sagte ich doch bereits“, knurrt er zurück.

„Du willst Toshi nicht zurück?“

„Nein!! Was zum…wie…kommst du jetzt darauf?!“, wird er wieder aggressiver angefahren, doch es kümmert Hawks nicht.

„Also…zusammengefasst heißt das, du willst weiter mit mir zusammen sein. Aber auf ne unlockere Art? So eine richtig feste Art? So…beziehungsmäßig?“, fragt er weiter und fühlt sich beinahe gierig.

Nicht nur beinahe eigentlich. Er ist ein gieriger Mensch. Beim Essen, Trinken…und eben auch bei Kerlen, in die er sich verknallt. Dass er den Punkt bei Endeavor bereits erreicht hat, ist keine Frage. Eigenartig, dass der Umstand, dass sie einander nackt und feucht gegenüber stehen, längst zweitrangig geworden ist. Jede Faser in Hawks‘ Körper wartet angespannt auf die Antwort.

„…ich weiß, dass das absurd ist“, brummt Endeavor schließlich und weicht seinem Blick aus. „Aber als du gestern Stress mit diesem Kerl hattest, da...bin ich fast wahnsinnig geworden. Ich kann das nicht trennen. Ich kann nicht…abwarten, was daraus wird. Dafür ist es zu spät.“

Hawks kann sich nicht erinnern, dass ihm jemand schon einmal so etwas gesagt hat. Auf so eine unbeholfene und dennoch liebenswerte Art.

„Und“, findet er seine Stimme wieder. „…was genau ist daran nun schlecht?“

Er blickt dem anderen in die türkisfarbenen Augen, die ihn verwirrt ansehen.

„Ich meine…ich hab dir doch gesagt, dass ich verloren bin, was Kerle wie dich angeht. Wenn man mal drüber nachdenkt…es trennen sich Leute wegen ganz anderen Gründen als dem Alter, oder? So bitter das ist – du weißt das doch am besten. Ich mache mir da jedenfalls keinen Kopf. Was funktioniert und was nicht, kann man vorher nie wissen. Und ich hab neben dir nichts anderes laufen, falls du das denkst. Ich mag dich. Klar, am Anfang wollte ich einfach mit dir in die Kiste, weil du heiß bist, aber…das mit uns beiden läuft doch bisher gut, nicht wahr? Warum willst du was beenden, das uns beiden offensichtlich gut tut? Und streite das jetzt nicht ab! Wir tun uns gut!“

Vielleicht hat er Endeavor etwas mit seinem Redeschwall überfallen, so wie dieser ihn anschaut. Hey, er kennt ihn doch mittlerweile und weiß, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt. Schon gar nicht in so einer Situation. Es dauert ein paar Sekunden, bis der Ältere sich irgendwie regt – vermutlich muss die Kernaussage erstmal ankommen. Hawks will ihn. Und wie er ihn will. Alles von ihm. Am besten jetzt gleich in der Dusche…vor ihm knien und – okay, er schweift ab. Und wird hart werden. Besser nicht jetzt. Noch nicht.

„…ich habe nicht damit gerechnet, dass du das so siehst“, reißt ihn die tiefe Stimme aus den Gedanken. „Auch wenn ich nicht weiß, ob ich dir wirklich gut tue…auf Dauer…“

Hawks seufzt genervt.

„Lass das mal meine Sorge sein, okay? Ich bin ein großer Junge und ich weiß, was ich will. Und gerade will ich ehrlich gesagt nur, dass du mich nach der Ansage gegen die Wand drückst und küsst.“

Vorsichtig muss man bei ihm nicht sein. Er ist nicht zerbrechlich. Körperlich jedenfalls nicht.

„Du bist verrückt.“

Das hört er nicht zum ersten Mal, doch es lässt ihn nur schief grinsen.

„Weil ich von dir geküsst werden will?“

„Weil du alles so unkompliziert siehst.“

„Nur die Dinge, die es auch sind.“

„Hn.“

Erneutes Schweigen und Endeavor macht leider keine Anstalten, ihn gegen die Wand zu drücken und zu küssen. Kein gutes Omen. Normalerweise nimmt Hawks die Zügel auch gern mal selbst in die Hand, doch er befürchtet, etwas falsch zu machen. Endeavor muss ihm sagen oder zeigen, dass er ihn will.

„Hawks. Ich habe einen Haufen Ballast, der nicht so einfach verschwindet.“

„Daran musst du mich nicht jedes Mal erinnern“, erwidert der Jüngere ruhig. „Und ich sage ja auch nicht, dass alles toll wird. Falls es dich beruhigt – ich habe auch Ballast. Und damit meine ich nicht meinen Job. Apropos, wenn du es mit mir versuchen willst, heißt das nicht, dass ich aufhöre. Ich meine, irgendwann schon. Ich werde das nicht für immer machen, aber aktuell ist das nicht verhandelbar.“

Endeavor sieht ihn mit einem undefinierbaren Blick an und auch, wenn Hawks ahnt, dass er es lieber anders hätte, fängt er zumindest darüber keine Diskussion an.

„…was für Ballast dann?“

Es ist nicht so, dass Hawks es nicht erzählen könnte. Er will es einfach nicht. Aus verschiedenen Gründen.

„Nun, ich frage bei dir nicht genauer nach und du bei mir nicht?“, fragt er und versucht dabei zu lächeln. „Irgendwann sind wir vielleicht beide so weit, reinen Tisch zu machen…aber nicht heute, hm?“

Nicht jetzt, wo ihre Beziehung so fragil ist und er fürchten muss, dass Endeavor ihn doch noch rauswirft. Vermutlich würde ihn die Aussicht darauf, das Ergebnis eines Vaterkomplexes zu sein, nicht gerade begeistern. Vor allem da er selbst Vater ist.

Nachdenklich wird er gemustert und Hawks merkt, wie der Widerstand bröckelt. Weil Endeavor weiß, dass er ihn braucht. Und dass er ihn will. Sie wollen einander…und Hawks will endlich gegen die verdammte Wand gedrückt werden. Das und mehr.

Sein Wunsch wird ihm erfüllt, als der andere ihm näherkommt und ihn dann zu seiner Überraschung einfach hochhebt, ihn mit seinem Körper gegen die Wand presst. Normalerweise ist das eine ziemlich anstrengende Haltung – aber nun, Endeavor besteht praktisch nur aus Muskeln und Hawks kann sich mit den Beinen an einer Metallstange halten. Passen sie nicht perfekt zusammen?

Er muss grinsen, schlingt Arme und Beine um ihn und funkelt ihn an, als Endeavor seine Stirn gegen die seine drückt. Seine warmen Pranken halten seinen Hintern oben und…Hawks weiß, dass er gleich wieder hart sein wird.

„…bitte sag mir, dass das ein verdammtes Ja ist“, raunt er ihm zu.

„Sei einfach still.“

Und mit diesem unfreundlichen Brummen küsst er ihn so innig, dass Hawks gegen seine Lippen grinsen muss. Weil er sich glücklich fühlt. Weil es das ist, was er sich wünscht. Ja, die Botschaft ist angekommen, auch wenn Endeavor kein Mann vieler Worte ist. Die Taten reichen Hawks.
 

Am nächsten Morgen bleiben sie länger liegen als sonst, denn eigentlich ist Endeavor kein Langschläfer und Hawks steht spätestens beim Geruch von Frühstück auf. Gut, sie haben auch nicht viel geschlafen und sich ziemlich verausgabt, bis sie wieder im Bett gelandet sind. Hawks liegt nackt an Endeavors breiten Rücken geschmiegt und genießt die Wärme, die dieser ausstrahlt. Seinen Duft nach irgendeinem sehr männlich duftenden Aftershave und seinem ganz eigenen, herben Geruch. Er will die Nase darin vergraben und nie mehr aus diesem Bett steigen.

Allerdings ist der Drang, auf die Toilette zu verschwinden, ab einem bestimmten Zeitpunkt dann doch größer, sodass er sich schweren Herzens aus den Decken rollt. Endeavor muss wirklich erschöpft sein, denn er schnarcht leise weiter, während Hawks sich aus dem Schlafzimmer schleicht. Gut so. In dem Fall kann Hawks ihnen zur Abwechslung mal Frühstück machen – das bekommt er gerade so hin.

Kaum hat er sich auf der Toilette erleichtert, klingelt es jedoch an der Haustür. Hawks seufzt stumm, ehe er sich ein Handtuch umbindet und in Richtung Flur läuft. Vielleicht wieder der Paketbote, der bei Endeavor seine Fracht abladen will. Wie spät ist es eigentlich? Er hat gar nicht darauf geachtet. Wieso auch? Glücksgefühle soll man nicht mit Banalitäten schmälern.

Da Endeavor die Klingel entweder nicht hört oder aber nicht öffnen will, entschließt sich Hawks dazu. Gute Mitmenschen nehmen die Pakete ihrer Nachbarn an. Dass er halbnackt ist, stört ihn nicht. Jedenfalls so lange, bis er die Tür öffnet und in gleich drei unerwartet junge Gesichter blickt. Zwei junge Männer und eine Frau. Alle drei haben weiße Haare oder noch einen Rotstich darin – der offensichtlich Jüngste sogar halb und halb. Als er ihm in das türkisfarbene Augen blickt, kommt ihm dieses so bekannt vor, dass es ihn schaudert. Die auffällige Brandnarbe in dem jungen Gesicht erinnert ihn unweigerlich an Endeavors

Hawks ist zu klug, um eins und eins nicht zusammenzählen zu können. Oh nein.

„Wer…sind Sie?“, entkommt es dem Jungen mit den rot-weißen Haaren verwirrt.

„Wir wollten…zu unserem Vater“, fügt die Frau mit Brille hinzu und der große Kerl neben ihr ballt die Fäuste.

Es kommt Hawks wie in einem schlechten Film vor, doch es ist die Realität. Obwohl er eigentlich nie sprachlos ist, weiß er nicht, was er sagen soll. Die Schritte hinter ihm machen es nicht wirklich besser und als er über seine Schulter blickt, ist er einfach nur froh, dass Endeavor Shirt und Jogginghose angezogen hat. Er stoppt auf halbem Weg zur Tür, wo er Hawks und seine Kinder stehen sieht…und alles fällt ihm aus dem Gesicht.

Diesen Morgen hat sich Hawks definitiv anders vorgestellt. Scheiße.

Family

Es ist die schlimmste Situation, die sich Enji hätte vorstellen können.

Seit Monaten wünscht er sich, seine Kinder würden den Kontakt zu ihm suchen. Wenigstens mal eine Nachricht schreiben, anstatt ihn bei Whatsapp zu blockieren. Lediglich von Fuyumi hat er hin und wieder die ein oder andere knappe Nachricht erhalten. Er versteht, dass sie unter dem, was passiert ist, leiden und dass sie ihm die Schuld dafür geben. Es ist in Ordnung, weil sie damit Recht haben.

Dennoch sind sie seine Kinder und auch, wenn es zwischen ihnen nie wirklich einfach gewesen ist, will Enji wieder eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Er hat schon ein Kind für immer verloren. Die anderen Drei sind noch am Leben – und ausgerechnet jetzt stehen sie in der Tür.

Wenigstens hat er selbst sich etwas übergezogen, doch Hawks…verdammt, warum ausgerechnet jetzt?! Warum kein anderer, gottverdammter Morgen?! Für ein paar Sekunden fühlt er sich wie gelähmt, ihm wird heiß und kalt und anhand der Gesichter seiner Kinder erkennt er, dass sich diese ähnlich fühlen müssen. Wie soll Enji ihnen das hier erklären? Es ist nicht das, wonach es aussieht? Dabei ist es genau das…und Enji schämt sich in diesem Moment so unglaublich, dass es ihm die Stimme raubt.

„Ich…geh mir mal was…eh…anziehen“, kommt es zögernd von Hawks, ehe er sich verlegen lächelnd den Nacken reibt. „Ihr kommt am besten erstmal rein, oder?“

Enji möchte ihn am liebsten anbrüllen, dass er verschwinden soll. Warum hat er überhaupt die Tür geöffnet? Vielleicht hätte er sich noch herausreden können, wenn er das nicht getan hätte. Möglicherweise hätte es dann eine Chance gegeben, dass das hier keine völlige Katastrophe wird. Dafür ist es nun zu spät.

Er würdigt Hawks keines Blickes, als dieser an ihm vorbei in Richtung Schlafzimmer geht, sie im Flur allein lässt. Drei Augenpaare starren ihn immer noch mit so unterschiedlichen Emotionen an, dass er keine Ahnung hat, wie er reagieren soll. Was er sagen soll.

Natürlich ist es Natsuo, der sich zuerst aus der Starre löst und ihn mit unverhohlener Wut anfunkelt.

„Ich habe Nee-san gleich gesagt, dass das hier eine beschissene Idee ist“, zischt dieser und ballt die Fäuste an seinen Seiten. „Ich wusste, dass es ein Fehler sein würde, hierher zu kommen und…zu glauben, dass du dich auch nur ein bisschen für jemand anderen außer dir selbst interessierst!“

„Natsu…“

„Nein! Verteidige ihn nicht! Okaa-san ist immer noch in Therapie, weil sie es nicht verarbeiten kann. Und ich höre dich nachts weinen, Nee-san. Uns allen geht es beschissen und er…er…ich kann’s nicht mal aussprechen! Hast du überhaupt keinen Anstand, verdammt?!“

Enji spürt, wie ihm heiß und kalt wird. Wie seine Hände zu zittern beginnen, weshalb er sie ebenfalls zu Fäusten ballt, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Da ist sie wieder, die verhasste Machtlosigkeit, gegen die er nicht ankommt. Weil nichts, was er sagen könnte, seinen Kindern begreiflich machen kann, wieso Hawks und er…

„Es…“, entkommt es ihm gepresst. „Es ist nicht…“

Gerade das ist es doch, was er nicht sagen wollte. Er will ihnen nur sagen, dass er nicht aufgehört hat, an seine Familie zu denken. Dass er nicht einfach weitermacht, als wäre nichts gewesen. Dass es ihm nicht egal ist…doch er weiß, dass sie ihm nicht glauben werden.

„Was ist es nicht?! Hast du keine Affäre mit einem Kerl, der dein Sohn sein könnte?! Wer ist der Kerl überhaupt?! Wieso stehst du plötzlich auf…ich meine…was…was stimmt nicht mit dir?! Das ist einfach nur…“

Enji merkt, wie seine Sicht zu flimmern beginnt, wie immer, wenn sich eine Panikattacke bemerkbar macht. Nein. Diesmal nicht. Er darf jetzt nicht die Kontrolle verlieren. Er muss sich beruhigen. Einatmen, ausatmen.

„…du machst dir hier ein schönes Leben mit deinem jungen Lover und scherst dich einen Dreck um uns, du-“

„Das ist nicht wahr!!“, entfährt es ihm ungewollt aggressiv und er schlägt mit der Faust gegen die Wand des Flurs.

Fuyumi zuckt merklich zusammen, während Shouto zur Seite blickt und Natsuo die Augen verengt.

„Wirst du jetzt wieder laut? Ist ja mal was ganz Neues…“

Enji will den Anschuldigungen etwas entgegenbringen, aber sie entsprechen der Wahrheit. Er wird laut, wenn er nicht mehr weiter weiß. Die Erkenntnis, dass es ein Zeichen von Schwäche ist, kann daran nicht viel ändern.
 

„Wir sind eigentlich hergekommen, um uns…auszusprechen“, hört er Fuyumi leise sagen. „Was passiert ist, ist schrecklich genug. Ich dachte, es würde uns allen gut tun, darüber zu reden. Wir…dachten nicht, dass du…Besuch haben könntest. Nicht…solchen Besuch.“

Solchen Besuch. Was sie denken, ist nicht richtig. Oder es ist genau richtig. Er ist nicht sicher, aber sie sorgen dafür, dass er sich wieder wie ein mieses Arschloch fühlt. Hawks hat gemeint, dass seine Selbstgeißelung nichts bringt – gerade wünscht er sich, er hätte niemals auf ihn gehört. Ihn niemals in sein Leben gelassen, wenn das dabei herauskommt.

„Lass gut sein, Nee-san. Es ist ihm scheißegal, dass wir hier s-“

„Hör auf, das zu behaupten, Natsuo“, knurrt Enji, weil er die Anschuldigungen nicht länger erträgt.

Sie stehen immer noch im Flur, scheinen nicht sicher zu sein, ob sie nicht doch direkt wieder gehen sollen. Shouto hat wenigstens die Tür geschlossen, sodass die Nachbarn hoffentlich nichts mitbekommen haben.

„Es ist mir nicht egal. Ihr seid mir nicht egal und…eure Mutter oder…Touya sind mir auch nicht egal.“

„Ja. Klar. Merkt man richtig“, ätzt Natuso und Enji packt erneut die Wut.

„Was erwartest du von mir?!“, fährt er ihn an. „Ich bin gegangen, um es für euch alle einfacher zu machen! Ich…habe euch in Ruhe gelassen und mich isoliert, um euch Zeit zu geben. Uns allen…aber ewig geht das nicht. Nicht, ohne verrückt zu werden.“

Es ist mehr, als er preisgeben wollte, denn er will sich nicht in den Vordergrund stellen. Er will nur, dass sie es verstehen, was sie aber wohl nicht tun. Vermutlich kann er das auch nicht verlangen.

„Ach, jetzt bist du das Opfer in der Geschichte, ja? Wenn du dich einmal im Leben nicht nur um dich gekümmert hättest, dann wäre es mit Touya nie so weit gekommen! Aber das ist typisch für dich! Du hast dich nicht um ihn geschert und auch jetzt…bist du dir selbst am wichtigsten. Ich meine, hast du auch nur einmal an Okaa-san gedacht?!“

„…oft“, würgt er hervor und es ist die Wahrheit. „An euch alle. Ständig.“

Er sieht, wie befangen Fuyumi und auch Shouto sind. Sie können ihn kaum ansehen. Er weiß, wie das hier wirkt. Doch so ist es nicht.

„Ich weiß nicht, wie du einfach so weitermachen kannst“, bricht Shouto diesmal die Stille und auch wenn er ruhig klingt, muss er aufgewühlt sein. „Nimmt es dich nicht mit, was geschehen ist? Ich sehe ständig sein Gesicht vor mir…höre seine Schreie…“

Enji spürt, wie sich ihm der Hals zuschnürt, und die Narbe in seinem Gesicht beginnt zu pochen. Shoutos Narbe, die der seinen so ähnlich ist, macht es noch schlimmer. Die Erinnerung. Auch Enji sieht es. Hört es. So oft hat er sich in den Alkohol geflüchtet, um es erträglicher zu machen. Viel zu oft hat er sich gefragt, wie er damit weiterleben soll.

„Okaa-san musste eingewiesen werden, weil sie es nicht ertragen hat…und du…es ist, als würde es dich gar nicht…beeinflussen.“

Es ist das, was sie sehen. Was sie meinen zu wissen. Sie haben keine Ahnung, wie oft er daran gedacht hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch das würde nur noch mehr von seiner Schwäche zeugen. Er will Verantwortung tragen, obwohl er es ebenfalls noch nicht überwunden hat. Er weiß nicht, wie er es jemals überwinden soll. Wie soll er ihnen das begreiflich machen?

„Wundert dich das wirklich, Shouto? Touya-nii hatte Probleme. Wir alle wussten, dass er Probleme hatte. Und du als sein Vater hast ihn einfach aufgegeben. Du hast ihm das Gefühl gegeben, dass er nichts wert ist, und ihn dahingetrieben! Weil dir deine beschissene Firma und dein Ansehen so viel mehr wert waren als unser Bruder!“

„Natsu! Hör auf! Es…es bringt doch nichts, sich zu beschuldigen!“, kommt es von Fuyumi, doch Enji hört es kaum.

Da ist ein Rauschen in seinen Ohren, das ihn nahezu lähmt. Die Schuldgefühle in seinem Inneren sind so stark, dass er kaum noch Luft bekommt. Er sieht Touyas wahnsinnigen Blick vor sich, das irre Grinsen in seinem Gesicht. Der Geruch nach Verbranntem scheint überall zu sein…und er wünscht sich, er könnte sich wie sonst immer betäuben.
 

„Also, ich will ja wirklich in nichts reinplatzen oder mich einmischen, aber…vielleicht setzt ihr euch alle mal ins Wohnzimmer und atmet tief durch?“

Sie alle wenden sich Hawks zu, der dort steht und sich mittlerweile etwas angezogen hat. Kann er nicht den Anstand haben, einfach zu verschwinden? Er macht es nur schlimmer. Und ja, er weiß, wie schäbig seine Gedanken sind, doch er muss sich auf irgendetwas fokussieren.

Hawks blickt ungewohnt ernst drein, auch wenn sein Ton locker und unbeschwert klingt. Ist er sich nicht bewusst, dass seine bloße Anwesenheit das Feuer noch mehr schürt?

„Weiß dein neuer Freund eigentlich, dass du verheiratet bist?“, knurrt Natsuo und sieht dabei Hawks an. „Oder was für ein beschissener Vater du bist?!“

„Das Erste haben wir schon geklärt und was das Zweite angeht, das kann ich mir denken, wenn ich euch so höre. Ihr seid ganz schön laut“, kommt es ruhig von dem Blonden zurück. „Wie gesagt, ich will mich gar nicht einmischen – steht mir gar nicht zu –, aber euer alter Herr hier denkt ziemlich oft an euch. Und was immer bei euch auch passiert ist, es geht ihm richtig mies desw-“

„Hawks. Es reicht“, knirscht Enji, woraufhin der Jüngere verstummt.

Er sieht ihn mit einem undefinierbaren Blick an, ehe er mit den Schultern zuckt.

„Ja genau, schnauz ihn auch noch an!“, kommt es wieder von Natsuo. „Du nutzt ihn doch sowieso nur für deine-“

„Oi! Ich werde hier für gar nichts ausgenutzt! Ich bin erwachsen und ich-“

Weiter kommt er nicht, weil Enji ein paar Schritte auf ihn zumacht und ihn grob am Arm packt.

„Das diskutieren wir hier nicht weiter. Geh jetzt.“

„Ich…“

„Hawks.“

Er sieht den Unwillen in den bernsteinfarbenen Augen, doch immerhin widerspricht er nicht. Enji fällt erst auf, wie fest er zugepackt hat, als Hawks seinen Arm ruppig wegzieht und ihn dabei anfunkelt. Er macht jedoch keine Anstalten zu gehen.

„Du machst es nur schlimmer“, zischt Enji, woraufhin der Jüngere schnaubt.

„Schon gut“, erwidert er schließlich. „Aber du rufst mich nachher an.“

Enji begreift erst in diesem Moment, dass sich Hawks um ihn sorgt und sich deswegen so stur verhält. Er kommt sich direkt noch mehr wie ein Stück Scheiße vor, doch er kann sich jetzt nicht dafür entschuldigen. Erstmal muss er das hier irgendwie geradebiegen.

„Geh“, wiederholt er sich und Hawks wendet sich mit einem letzten eindringlichen Blick ab.

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fällt, ist es erneut still.
 

„Ich kann das hier einfach nicht!“, entkommt es Natuso dann und er schüttelt den Kopf. „Ich…wollte es wirklich versuchen, Nee-san, aber das…ist einfach zu viel! Tut mir leid, aber ich bin fertig mit dem da!“

Es überrascht Enji nicht, auch wenn es nicht dafür sorgt, dass es weniger schmerzhaft ist. Er sieht wie betäubt zu, als Natuso herumfährt und aus der Tür verschwindet, während seine anderen beiden Kinder immer noch im Flur stehen. Er will sie bitten, ihm zuzuhören. Sich zu erklären. Er bringt es nicht über sich.

Als er die Tränen in Fuyumis Augen sieht, fühlt er sich noch viel furchtbarer. Nichts, was er sagen könnte, wäre tröstlich für sie; und Shouto…blickt ihn immer noch nicht an. Er weiß nicht, ob es Befangenheit oder Verachtung ist. Vielleicht auch beides.

„Es ist…für uns alle sehr schwer“, hört er Fuyumi mit erstickter Stimme sagen. „Zu wissen, dass er nicht…nicht wieder…dass er uns beinahe…“

Enji weiß, was sie sagen will. Auch sie muss Groll gegen ihn fühlen und dennoch ist sie mit den anderen beiden hergekommen. Ein Funken Hoffnung für ihre Familie…und Enji hat ihn zerstört.

„Natsu leidet sehr darunter, dass er selbst ihn nicht aufgehalten hat, und ich…ich mache mir dieselben Vorwürfe“, spricht sie zittrig weiter. „Okaa-san ebenso und…Shouto…“

Sie sieht kurz zu ihrem jüngsten Bruder, der dabei merklich schluckt. Nein, es ist ihm nicht egal. Er versucht nur, sich zu beherrschen. Jene Nacht, in der Touya…es hängt ihnen allen nach.

„Ich verstehe es nicht. Ich verstehe nicht, warum du mit diesem jungen Mann…ich denke, wir brauchen vielleicht noch mehr Zeit. Um zu verarbeiten, was passiert ist und…ich…ich denke, wir sollten jetzt auch gehen…“

Enji weiß, dass er etwas sagen muss. Er kann sie nicht einfach so gehen lassen wie Natsuo.

„Jeden Tag…es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an euren Bruder oder euch denke“, würgt er hervor. „Es…ist auch für mich schwer. Ich…wollte einfach nur…ich wollte…“

„Wir haben verstanden, was du willst“, unterbricht Shouto ihn zwar ruhig, doch sein Ausdruck ist nicht so monoton wie sonst. „Wie Nee-san sagt, es ist…besser, wenn wir jetzt gehen und…vielleicht muss mehr Zeit vergehen.“

Enji wird heiß und kalt, doch er kann sie nicht aufhalten. Er will etwas sagen, doch es kommt kein Ton heraus. Nein, das darf nicht so stehen bleiben, wenn sie ihn schon von sich aus besucht haben. Wie gelähmt sieht er ihnen nach, hört Fuyumis leise Worte des Abschieds…und dann fällt die Tür ein drittes Mal zu und Enji ist wieder allein. Diesmal ganz allein.

Das Blut rauscht in seinen Ohren, während er dort steht und die Welt sich zu drehen beginnt. Er taumelt, versucht, sich an der Wand festzuhalten. Es ist falsch gewesen. Das mit Hawks. Er hat es von Anfang an gewusst und nur, weil er sich darauf eingelassen hat, ist es nun endgültig vorbei. Seine Kinder werden ihn nicht wiedersehen wollen. Sie haben sich abgewandt. Diesmal für immer.

Zu früh? Nein. Er hätte eine Chance gehabt, wenn er nur etwas länger durchgehalten hätte…aber er hat sich für sich entschieden. Wie er sich immer nur für sich entschieden hat.

Zornige Verzweiflung steigt in ihm auf und er fegt eine der Vasen vom Schrank. Es klirrt laut, doch die Scherben kümmern ihn nicht. Sein ganzes verdammtes Leben besteht aus Scherben. Sein Herz rast wieder, das Piepen in seinen Ohren kehrt zurück und er weiß nicht, wohin mit seinen Gefühlen. Er ist allein damit. Wie so oft.

Schwer atmend geht er zum Küchenschrank, reißt die Whiskeyflasche heraus und setzt diese an. Es brennt in Hals und Magen, doch es ist nicht genug. Egal, wie viel er davon trinkt, es ist nicht genug. Selbsthass steigt in ihm auf und bringt ihn dazu, die Flasche gegen die Wand zu schmettern. Gelbbraune Flecken zeichnen sich an der Tapete ab, doch es ist ihm egal. Alles ist egal.

Er drückt sich die Handfläche ins Gesicht, atmet heftig und sinkt nach hinten gegen die Küchenzeile. Seine Augen brennen und das Zittern übernimmt seinen ganzen Körper, sodass er keinen klaren Gedanken fassen kann.
 

Obwohl es unheimlich laut ist, nimmt er das schrille Klingeln der Schelle zunächst gar nicht wahr. Es dringt nur sehr langsam durch das Rauschen in seinen Ohren, bis er es nicht mehr überhören kann. Jemand steht an der Tür. Er hört es zusätzlich klopfen. Immer wieder. Was zum…?

Durch das Poltern vermutet er, dass es Natsuo ist, der vielleicht wegen Fuyumi zurückgekommen ist. Um ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen, dass er sie zum Weinen gebracht hat. Um ihm noch einmal zu sagen, dass er fertig mit ihm ist. Oder jemand aus der Nachbarschaft hat den Krach gehört und will sich darüber beschweren.

Enji bewegt sich für ein paar Sekunden nicht von der Stelle, lauscht dem Klingeln und Klopfen, während sein Puls noch immer rast. Als er doch noch zur Tür geht, weil es nicht aufhört, hat er die Scherben im Flur vergessen – und tritt in eine von ihnen. Er zischt, als er den Schmerz wahrnimmt, doch er bleibt nicht stehen. Es ist nur eine kleine Scherbe und daher auszuhalten. Er wird das später wegmachen, wenn er-

Als er die Tür öffnet und in Hawks‘ Gesicht sieht, überkommen ihn mehrere Emotionen. Die Erste, die greifbar ist, ist die Wut.

„Was hast du an geh nicht verstanden?!“, faucht er ihn an und baut sich vor ihm auf.

Hawks mustert ihn einmal von oben bis unten, wobei er keine Miene verzieht, ehe er seinen Blick erwidert.

„Jaah“, meint er dann gedehnt. „Ich wollte erst gehen, aber ehrlich? Du machst nicht den Eindruck, als könntest du jetzt allein sein.“

Und mit diesen Worten taucht er unter seinem Arm hindurch und geht einfach hinein, wobei er offenbar die Scherben bemerkt und diese umgeht.

„Ich hab gewartet und gesehen, dass deine Kinder gegangen sind. Lief wohl nicht g-“

Enji spürt, wie der Zorn in ihm hochlodert und da er kein Ventil hat, packt er Hawks grob am Oberarm und drückt ihn gegen die Wand.

„Und wessen Schuld ist das?!“, blafft er ihn an und rüttelt an seinem Arm. „Du! Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass das nicht geht! Dass das mit uns nicht…du hast…wenn du nicht gewesen wärst, dann wären sie jetzt nicht…warum hast du überhaupt die Tür geöffnet?! Warum musstest du hier sein?! Warum…warum…verdammt!“

Der Jüngere sieht ihn kurz erschrocken an, da Enji immer lauter wird, doch schließlich glättet sich seine Mimik wieder. Ein paar lange Sekunden lang sieht Hawks ihn nur ruhig an, während Enji hektisch atmet und die Finger in seinen Arm krallt. Ihm ist furchtbar schlecht und die Panik umklammert ihn weiter, nimmt ihm die Luft zum Atmen.

„Endeavor-san“, sagt Hawks monoton. „Du tust mir weh.“

Enji braucht einen Moment, um es zu realisieren, ehe er ihn loslässt. Er sieht die roten Druckstellen auf seiner Haut und plötzlich kommt noch ein anderes Gefühl dazu. Scham. Was tut er hier eigentlich? Seine Wut an demjenigen auslassen, der für ihn da gewesen ist. Einfach weil er nicht noch mehr Schuld erträgt.

„Hawks, ich…es tut-“

„Ich will keine Entschuldigung hören“, fährt ihm der Jüngere über den Mund. „Aber ich will, dass du dich jetzt zusammenreißt. Rutscht dir die Hand mir gegenüber aus, war’s das.“

Und das ist so resolut, dass Enji nichts sagen kann. Kraftlos fallen seine Arme zur Seite und er will nur eines; sich betrinken, bis er nichts mehr fühlt, und dann schlafen. Die eine Flasche, die er zerstört hat, ist nicht die letzte im Schrank gewesen.

Nach der Ansage eben hat Enji mit vielem gerechnet, nicht aber damit, dass Hawks ihre Distanz überbrückt und ihn einfach umarmt. Fest schlingt er die Arme um ihn, wobei seine Wange an seiner Brust ruhen bleibt. Enji atmet hörbar aus, vollkommen überfordert mit der ganzen Situation, sodass er es nicht mal erwidert. Der Kloß in seinem Hals ist noch da und er kann ihn nicht herunterschlucken.

„Es ist in Ordnung“, hört er Hawks murmeln. „Lass es einfach raus...und wenn du dich gefangen hast, dann reden wir darüber. Ich glaube nämlich, dass das jetzt mal sein muss…“

Enji weiß nicht, was er darauf erwidern soll. Hawks ist halb so alt wie er und reicht ihm gerade mal bis zur Brust und dennoch…ist er gerade seine einzige Stütze.

Er versucht, sich zu beherrschen, doch es geht einfach nicht. Die Tränen steigen ihm in die Augen, auch wenn er sie herunterschlucken will. Es bringt nichts. Er kann nur dastehen, sich in Hawks‘ Umarmung lehnen und das tun, was dieser sagt. Es herauslassen. Da sind so viele aufgestaute Emotionen in ihm, dass er das Gefühl hat, sich übergeben zu müssen. Er bebt am ganzen Körper.

Hawks lässt ihn nicht los, umarmt ihn nur noch fester und murmelt leise Worte. Trotzdem sich Enji erbärmlich fühlt, hat es etwas Tröstliches an sich.

Viel mehr, als der Alkohol es jemals könnte…und diese Erkenntnis wiegt ebenso schwer wie sein Gewissen.

Pain

Hawks muss zugeben, er ist innerlich hin und her gerissen. Da er bisher nie die ganze Geschichte gehört hat, kann er Endeavor eigentlich gar nicht in Schutz vor seinen Kindern nehmen. Er weiß nicht, was genau passiert ist, und wenn er ehrlich ist, wird ihm langsam etwas flau im Magen. Natürlich zeigt er seine Emotionen nicht. Das tut er in solchen Situationen nie. Er ist äußerlich abgeklärt und ruhig, auch wenn es ihn in gewisser Weise triggert. Endeavors aggressive Art, die er von seinem eigenen Vater kennt, sorgt für einen bitteren Beigeschmack und er hofft, dass es nicht auf so eine Geschichte hinausläuft.

Dennoch kann er nicht anders, als dem Mann, für den er in den letzten Wochen Gefühle entwickelt hat, beizustehen. Aus diesem Grund ist er zurückgekommen. Er hat gewusst, dass das hier nicht gut enden würde, und es fühlt sich falsch an, ihn damit allein zu lassen. Scheinbar hat er Recht gehabt, wenn er sich die Scherben so ansieht. An der Tapete trocknet langsam der Whiskey und bildet gelbe Flecken. Ohne Zweifel hat Endeavor zuvor einiges davon heruntergekippt, man kann es riechen.

Sauber machen wird er später. Auch wenn ihn das unangenehm an früher erinnert, als er seinen Eltern hinterhergeputzt hat. Mina würde ihn wohl verprügeln, wenn sie alles wüsste. Gut, dass Hawks nie jemandem von seiner unschönen Vergangenheit, die leider immer noch die Gegenwart überschattet, erzählt hat. Gewisse Dinge macht man eben lieber mit sich selbst aus.

Er nimmt das Glas und füllt es mit Wasser aus dem Hahn, ehe er zurück ins Wohnzimmer geht, wo Endeavor auf der Couch sitzt, das Gesicht in der riesigen Pranke vergraben. Hawks hat ihm eine Decke umgelegt, die er immer noch trägt, während das Zittern scheinbar abgeebbt ist.

Wenn Hawks ehrlich ist, überraschen ihn die Tränen. Nicht, dass große, starke Männer nicht auch das Recht dazu haben, zu weinen, es ist nur…er hat das einfach nicht erwartet. Vielleicht, weil er schon seit Jahren nicht mehr geweint hat. Selbst als Kind hat er viele Sachen stumm ertragen und mit sich selbst ausgemacht; es hätte auch niemanden interessiert, hätte er sich geäußert. Gesund ist das vermutlich nicht, aber es ist Hawks‘ Art, seine Lasten zu schultern.
 

„Hier.“

Er setzt sich neben Endeavor und hält ihm das Glas hin, woraufhin der andere erschöpft aufsieht. Schweigend fixiert er das Wasserglas, ehe er es aus seiner Hand nimmt und einen Schluck davon trinkt. Vermutlich schämt er sich, denn er weicht seinem Blick direkt wieder aus. Schwierige Situation und Hawks weiß selbst nicht, was er sagen soll.

„Lass mich mal deinen Fuß sehen. Wenn die Scherbe noch drinsteckt, entzündet sich das vielleicht“, meint er schließlich.

Stille. Er nippt lediglich noch mal am Wasserglas.

„Endeavor-san.“

„…warum bist du überhaupt noch hier?“

Hawks stutzt bei der Frage, denn er hat ja schon zuvor erklärt, dass ihn die Sorge hergetrieben hat.

„Warum nicht?“, entgegnet er knapp, auch wenn ihm natürlich Gründe einfallen.

Endeavor sieht ihn aus seinen geröteten Augen finster an.

„Dachte, du hättest vorhin mitbekommen, was für ein Scheißkerl ich bin“, ranzt er ihn an. „Oder reicht dir das an deinem Arm nicht?“

Hawks runzelt die Stirn, ehe sein Blick kurz zu besagter Stelle schweift. Tatsächlich sieht man die Druckstellen noch und er weiß aus Erfahrung, dass das ein blauer Fleck werden wird. Die Erinnerung, die er plötzlich damit verknüpft, macht es nicht gerade einfacher für ihn. Er will keiner von diesen Menschen sein, die sich von ihrer Vergangenheit gefangen halten lassen.

Langsam wandert sein Blick wieder zu Endeavor zurück, welcher ihn immer noch anfunkelt.

„Versuchst du, mich zu vertreiben, damit du einem Gespräch ausweichen kannst, Endeavor-san?“, fragt er gefasst nach.

Dabei ist er das nicht. Es erinnert ihn daran, dass er selbst ebenfalls nicht ehrlich ist. Klar, man überfällt niemanden mit seinem Ballast, aber offensichtlich ist da mehr zwischen ihnen. Sie treffen sich seit Wochen. Genau genommen weiß Endeavor viel weniger über ihn als umgekehrt. So ist das schon immer gewesen. Mit jedem Menschen, den er in sein Leben gelassen hat.

„Es ist mir lieber, du gehst jetzt…und nicht, nachdem du alles weißt. Ich will nicht, dass du mich auch so ansiehst wie sie“, erwidert der Ältere leise.

Seine angespannte Haltung macht deutlich, wie sehr er Hawks‘ Verachtung fürchtet. Er würde ihn gern beruhigen, dass er sich keine Sorgen darum machen soll, aber das wäre eine Lüge. Die Wahrheit macht Hawks Angst, aber er weiß, dass er sie hören muss. Er ist stärker als das.

„Ich weiß, dass ich gesagt habe, dass wir nicht reden müssen. Dass ich nicht alles wissen muss, aber…wenn du mir jetzt nicht vertraust, macht das alles keinen Sinn. Ich kann dir nicht irgendetwas versprechen, ohne zu wissen, was passiert ist. Ich kann dir nur mein Wort geben, dass ich dich nicht allein lassen werde. Ich glaube immer noch nicht, dass sich ein schlechter Mensch so quälen würde. Du bist nicht skrupellos, Endeavor-san. Also…versuchen wir’s, hm?“

Hawks lächelt schief, doch Endeavor sieht nicht aus, als würden ihn die Worte beruhigen. Viel eher nehmen seine Züge etwas Gequältes an, während er sich wohl irgendwie zu sammeln versucht. Er sitzt da und knetet seine Hände, wie um sich zu erden. Vermutlich weiß er nicht, wo er anfangen soll.
 

„Was Natsuo mir vorwirft, stimmt“, beginnt er schließlich und sieht dabei wieder vor sich hin. „Ich war kein guter Vater. Meine Arbeit…ich habe die Firma von meinem Vater übernommen und genau wie er war ich kaum zuhause. Ich war ständig überarbeitet und auf Geschäftsreisen. Wenn ich zuhause war, war ich oft gereizt. Ich…habe meine Kinder unter Druck gesetzt und ebenso meine Frau. Ich wurde…laut, wenn sie mit schlechten Noten nach Hause kamen oder sich ein Fehlverhalten leisteten. Touya hat den meisten Druck abbekommen. Er war der Älteste…und er begann zu rebellieren.“

Hawks hört ihm einfach nur zu, auch wenn bei den Worten gemischte Gefühle in ihm aufkommen. Er kann sich vorstellen, dass sich Endeavors Kinder oft gefühlt haben müssen, als seien sie ihrem Vater egal.

„Er hat angefangen, sich mit dubiosen Leuten zu treffen. Anscheinend hat er sich bei diesen Leuten mehr zuhause gefühlt als unter meinem Dach…und…wer kann ihm das verübeln? Er hat die Schule geschwänzt und ist über Nacht weggeblieben. Als ich ihn beim Gras Rauchen in seinem Zimmer erwischt habe, hat er mich bloß angegrinst und gemeint, ich soll zur Hölle fahren. Ich hätte ihn doch sowieso aufgegeben. Er hat mich provoziert und…ich habe ihn am Kragen gepackt und ihn angebrüllt. Ihm gedroht, dass das Konsequenzen haben würde. Er hat mich ausgelacht. Mich gefragt, was ich denn tun will…und da habe ich mich nicht mehr beherrschen können… Ich habe erst realisiert, was ich getan hatte, als ich ihn am Boden habe liegen sehen… Den Blick, mit dem er mich angeschaut hat, während er seine schmerzende Wange hielt, werde ich nie vergessen…“

Hawks hat es irgendwie schon geahnt, dennoch trifft es ihn, es zu hören. Jedoch zeigt es auch, dass sich Endeavor seiner Fehler bewusst ist. Dass er keine Ausreden für sein Handeln, das zweifellos falsch ist, zu finden versucht. Er atmet durch, unterbricht ihn aber nicht. Auch wenn es hart für ihn ist.

„Heute weiß ich…dass das falsch war. Dass ich schwach war und dadurch etwas Unverzeihliches getan habe. Touya ist danach von zuhause weggelaufen und meine Frau und ich hatten einen heftigen Streit. Das war wohl…das Ende unserer Ehe. Und unserer Familie.“

Hawks kann es sich vorstellen, auch wenn er ahnt, dass die Geschichte an sich noch nicht zu Ende ist. Endeavor schweigt einen langen Moment, ehe er weiterspricht.

„Ich habe nach ein paar Monaten versucht, ihn nach Hause zu holen. Ich wusste nicht wie, aber ich wollte ihn finden und es irgendwie regeln. Er hat sich auf der Straße mit diesen Leuten herumgetrieben und…als ich ihm wieder gegenüberstand, hat er deutlich gemacht, dass ich für ihn gestorben bin. Also…bin ich gegangen. Ich war wütend und wusste nicht, was ich tun sollte. Im Endeffekt stimmt es, dass ich ihn aufgegeben habe. Ich hätte mich entschuldigen müssen. Ich hätte ihm sagen sollen, dass er jederzeit zurückkommen kann. Dass wir auf ihn warten…und nicht, dass er selbst schuld daran ist, wenn er von jetzt an wie ein Versager auf der Straße lebt.“

An diesem Punkt braucht Endeavor abermals ein paar Sekunden, um sich zu fassen. Er schluckt hart und fährt sich durch das Haar, was Hawks ahnen lässt, dass es noch richtig bitter wird. Sicherlich. Immerhin ist sein Sohn gestorben. Es schaudert ihn unweigerlich.

„Stattdessen habe ich versucht, mich um meine anderen Kinder zu kümmern. Ein besserer Vater zu sein. Allerdings habe ich damit wohl zu spät begonnen. Also habe ich mich in meiner Arbeit vergraben und die Ablehnung meiner Familie ausgeblendet, statt mich ihr zu stellen. Rei nannte mich damals einen Feigling – zurecht. Ich bin vor den Problemen weggelaufen.“

Hawks sieht, wie seine Hände wieder zu zittern beginnen und er kurz die Lippen zusammenpresst. Es erleichtert ihn, dass er nicht aufsteht, um sich den Whiskey zu holen. Das wird es nicht leichter machen. Jedenfalls nicht auf Dauer.
 

„Ein paar Mal hat Touya wohl bei Rei…meiner Frau angerufen“, zwingt er sich, fortzufahren. „Er hat ihr gesagt, er würde sich jetzt Dabi nennen. Er klang eigenartig. Wie im Wahn. Es…ist nicht bei Gras geblieben. Scheinbar waren die Leute, bei denen er untergekommen ist, in Drogengeschäfte verwickelt. Es lief wohl nicht gut in den Jahren auf der Straße. Viele wurden erwischt und hochgenommen. Immer, wenn er angerufen hat, hat er nach Geld gefragt – doch ich habe das unterbunden. Ich dachte…wenn er keine Mittel mehr hat…wenn er…hungert und friert, dann kommt er wieder nach Hause. Das dachte ich wirklich.“

Hawks nickt leicht, zum Zeichen, dass er das versteht. Einem Abhängigen Geld zu geben, führt nur dazu, dass er leichter an neuen Stoff kommt. Auch wenn Endeavor zweifellos mehr hätte tun können. Aber das weiß dieser selbst, weswegen er es nicht sagt. Er muss den Finger nicht in die Wunde legen.

„Und dann?“, fragt er leise nach.

Endeavor atmet hörbar durch, muss erneut hart schlucken, bevor er weitersprechen kann.

„Er…kam nach Hause“, entkommt es ihm erstickt. „Ist eingebrochen. Mitten in der Nacht. Er kannte unsere Alarmanlage und hat sie ausgeschaltet. Es roch nach Rauch. Und er…hat getobt und herumgebrüllt…und uns gedroht, dass er das Haus niederbrennen wird. Anscheinend wurde der komplette Drogenring hochgenommen. Er war auf der Flucht…und drauf. Ich dachte…dass er das nicht ernst meint. Dass er…nur auf Drogen ist. Dass er nur zur Besinnung kommen muss…aber er hatte Benzin dabei. Er hatte es schon in einigen Räumen verteilt. Wir haben gestritten und er hat…mich angegriffen. Er ist auf mich losgegangen und ich musste…ich habe ihn abgewehrt. Ich dachte nicht…dass er wirklich…dass er vorhatte…sich umzubringen. Und uns mitzunehmen. Es…es ging alles so schnell, plötzlich war das Feuer…das Feuer überall und…er hat uns nicht herauslassen wollen. Tanzt mit mir in der Hölle, hat er immer wieder gebrüllt. Ich…ich musste zuerst sichergehen, dass alle herauskommen. Ich…die Flammen waren überall und…Shouto…er war noch in seinem Zimmer. Ich musste ihn herausholen, er…er…wäre beinahe…wir alle wären beinahe gestorben. Touya…ich…ich wollte ihn holen, aber ich…als ich mit Shouto draußen war…das Haus stand in Flammen und er…er ist verbrannt. Einfach…verbrannt. Ich…ich wollte wieder hinein. Ich bin wieder zum Haus zurück und ich wollte ihn…ihn retten, das wollte ich wirklich, ich…ich konnte nicht…die Flammen…“

Er gräbt die Finger in seine linke Gesichtshälfte und vermutlich spürt er den Phantomschmerz gerade überdeutlich. Erinnerungen können so etwas triggern. Hawks weiß nicht wirklich, was er sagen oder tun soll. Er fühlt Mitleid. Für Endeavors Familie…und auch für den Mann, der so viel falsch gemacht hat. Auch wenn er es nicht gutheißt, er merkt, dass Endeavor unter dem, was passiert ist, leidet.

Hawks fragt sich unweigerlich, ob seinen Eltern jemals etwas davon leidgetan hat, was sie ihm über die Jahre angetan haben. Noch heute kommen sie zu seiner Wohnung, um Geld aus ihm herauszupressen. Immer noch droht sein Vater ihm mit Schlägen, wenn er sich weigert. Es ist bitter und eigentlich will er diese Menschen nicht mit Endeavor vergleichen, doch er kann nichts dagegen machen.

Ebenso wenig wie er etwas dagegen machen kann, dass er mit dem älteren Mann mitfühlt. Dass er sich in ihn verliebt hat, trübt vermutlich sein Urteilungsvermögen, doch…irgendwie ist das Hawks sogar egal. Endeavor hat Fehler gemacht, doch er sieht sie ein und bereut sie. Er ist kein schlechter Mensch. Schlechte Menschen sitzen nicht wie ein Häufchen Elend da oder kriegen Panikattacken. Sie machen einfach so weiter. Verletzen weiter Menschen. Es ist ihnen egal.
 

Wenn Hawks ehrlich ist, hätte er nun lieber etwas Zeit, um über alles nachzudenken. Um sich zu überlegen, wie es weitergehen soll und kann. Er weiß jedoch, dass er Endeavor so nicht sich selbst überlassen kann. Sollte sich dieser etwas antun, weil er nicht da gewesen ist…nein, damit könnte Hawks nicht leben. Obwohl er hin und her gerissen ist, wird er bleiben.

„…danach…hatte meine Frau…einen Nervenzusammenbruch. Sie musste eingewiesen und psychologisch betreut werden und ich…ich wusste, dass es meine Schuld ist. Ich weiß, dass ich…dafür verantwortlich bin. Hätte ich nicht…aber ich kann es nicht ändern. Ich kann nicht…rückgängig machen, was geschehen ist.“

Endeavors Stimme bebt ebenso wie sein Körper, während er immer noch die Finger in seine Narbe gekrallt hat.

„…Natsuo hat Recht. Ich wusste, dass mein Sohn Probleme hat, und ich…war nicht für ihn da. Ich habe ihn dahin getrieben. In…seinen Tod…und dabei beinahe…noch den Rest meiner Familie verloren.“

Er sieht, wie erneut Tränen zwischen seinen Fingern hindurchsickern. Hört den zitternden Atem, der von dem Versuch zeugt, sich zu beherrschen. Hawks sagt nichts. Er erhebt sich und geht ins Bad, wo er findet, was er sucht. Als er zurückkommt, sitzt Endeavor immer noch so da, wie er ihn zurückgelassen hat.

Wortlos schiebt Hawks den Couchtisch etwas zur Seite und setzt sich vor ihn auf den Boden. Er spürt, wie Endeavor zusammenzuckt, als er unvermittelt nach dessen Fuß greift, die Pinzette in der Hand, das Desinfektionsmittel und Verbände neben sich liegend. Er ignoriert den verwirrten Blick aus geröteten Augen und streicht mit dem Daumen kurz die blutige Fußsohle entlang. Die größere Wunde, die er sieht, hat aufgehört zu bluten. Dafür findet er noch ein, zwei kleinere Splitter, die er mit der Pinzette entfernt. Endeavor gibt keinen Laut von sich.

„Weißt du“, beginnt Hawks nach einer Weile. „Ja. Du hast schon ziemlichen Mist gebaut – und seine Kinder zu schlagen, geht echt gar nicht. Egal, aus welchem Grund…oder ob es nur das eine Mal war. Aber das weißt du. Eigentlich muss ich dazu gar nichts sagen. Zu dem, was du dir vorwirfst. Und selbst wenn ich dir jetzt sage, dass du nicht daran schuld bist, dass dein Sohn euer Haus angezündet hat und dabei umgekommen ist, wirst du dich dennoch schuldig fühlen, nicht wahr? Es spielt keine große Rolle, was ich sage oder denke.“

Hawks sprüht Desinfektionsmittel auf die verletzte Haut, sieht nicht auf, während er spricht.

„Trotzdem. Du hast zwar viel dazu beigetragen, dass er gewisse Entscheidungen trifft, aber letztendlich…hat er selbst entschieden, zu was für einem Menschen er wird. Eine schlimme Kindheit ist kein Freifahrtschein für schlimme Taten – und so wie ich das verstanden habe, hatte er ein Suchtproblem. Kranke Menschen benötigen Hilfe, ja, aber nicht alle nehmen sie an.“

Wie gut er selbst das weiß, das sagt er Endeavor nicht. Weil Hawks nicht vorhat, in diese Opfer-Sparte zu rutschen. Weil er nicht will, dass Endeavor ihn anders ansieht und Parallelen erkennt. Weil er nicht will, dass der Ältere meint, Hawks‘ Entscheidung für ihn treffen zu müssen.
 

„Es kann sein, dass es nichts geändert hätte, wenn du ihn zurückgeholt hättest. Vielleicht wäre er wieder weggelaufen. Manchmal ist es zu spät, um etwas zu ändern. Manchmal auch nicht. Man muss sich ändern wollen. Du kannst nicht ändern, was passiert ist, aber du hast selbst gesagt, du hast versucht, ein besserer Vater zu sein. Du versuchst, ein besserer Mensch zu sein, und du hast dich selbst bestraft, indem du dich isoliert hast. Ehrlich, Endeavor-san…mehr kannst du nicht tun.“

Er beginnt, den Verband um seinen Fuß anzulegen, wobei in ihm wieder diese Bitterkeit aufsteigt. Warum können seine Eltern nicht den Willen haben, sich zu ändern? Gleichzeitig fragt er sich, ob er ihnen heute noch verzeihen wollen würde. Er weiß es nicht. Das Misstrauen wäre wohl immer da. Er hat jedoch auch nie große Zuneigung von ihnen erhalten, sodass es vermutlich einfach seltsam sein würde. Fühlen sich Endeavors Kinder genauso?

„Du kannst niemanden zwingen, dir zu vergeben. Das muss dir klar sein. Ebenso, wie du dir langsam eingestehen solltest, dass du ein Alkoholproblem hast.“

Hawks sieht nun doch auf, als er es ausgesprochen hat, wobei er seine Hände auf dem verbundenen Fuß ruhen lässt. Es ist das, was er die ganze Zeit schon denkt, aber nicht zu wagen gesagt hat. Es ist eigenartig, dass er es jetzt tut. Aber es steht gerade alles auf der Kippe und Endeavors Reaktionen sind es, die den weiteren Verlauf ihrer Beziehung entscheiden werden. Fakt ist, dass Hawks zwar verliebt und dadurch gehemmt ist, jedoch hat er nicht vor, bei jemandem zu bleiben, der ihn mit sich in den Abgrund reißen wird.
 

Endeavor sieht ihn mit einem Blick an, der schwer zu definieren ist. Wenigstens widerspricht er ihm nicht. Er scheint nicht zu wissen, was er erwidern soll, denn seine Lippen bewegen sich zunächst stumm. Hawks gibt ihm Zeit, bleibt zu seinen Füßen sitzen und wartet, während er ihn ruhig anschaut.

„…warum…?“

Der Blonde runzelt die Stirn, neigt leicht den Kopf.

„Warum?“, wiederholt er.

„Warum…redest du so, als…wüsstest du, wie das ist?“, entkommt es Endeavor und Hawks spürt, wie ihm heiß und kalt wird.

Vielleicht sieht man es ihm an, dass ihn die Frage aus dem Konzept wirft. Vielleicht merkt Endeavor, dass das ein Tabuthema ist. Andererseits hat der Mann gerade sein eigenes gebrochen. Dennoch will Hawks nicht darüber reden. Nicht in dieser Situation.

„…und warum hört sich das so an, als würdest du trotzdem bleiben?“, fragt der Ältere weiter und klingt dabei erschöpft.

Ja, warum. Die Fragen sind an sich einfach zu beantworten, doch Hawks widerstrebt es. Er nimmt neben ihm auf der Couch Platz, wobei er sich im Schneidersitz auf eben jene setzt und sich zu ihm dreht.

„Weil ich in dich verschossen bin. Weißt du doch.“

Es ist die Wahrheit, aber auch ein Stück weit Manipulation, damit Endeavor vergisst, was er zuerst gefragt hat. Sich aus unangenehmen Situationen zu winden, hat er drauf. Leider ist der Rothaarige von seinen Worten weniger beeindruckt, als sich Hawks erhofft hat, denn seine Miene verändert sich kaum.

„Wenn du nicht antworten willst, lass es halt“, knurrt er ungehalten und wischt sich über das Gesicht.

Seine Worte sorgen bei ihm für ein schlechtes Gewissen, sodass Hawks seufzt.

„Okay, hör zu, das hier ist nicht leicht für mich, klar? Es ist wahr, dass ich dich wirklich gern habe, aber was du eben erzählt hast…ist ziemlich hart. Ich muss das erstmal verdauen, aber ich will dich jetzt auch nicht allein lassen – und versuch gar nicht erst, mich loszuwerden. Ich bleibe hier. Mina übernimmt bestimmt meine Schicht. Ich lerne den Tag über und du nüchterst aus. Heute Nacht penne ich auf der Couch und morgen…sprechen wir noch mal. Was meinst du?“

Es ist der einzige Mittelweg, der für Hawks vereinbar ist. Endeavor in diesem Zustand sich selbst zu überlassen, wäre leichtsinnig. Auf die Weise kann Hawks nachdenken und dennoch bei ihm sein. Die Geschichte hängt ihm nach.

Endeavor presst die Lippen erneut zusammen und nickt verkrampft. Scheinbar hat er tatsächlich geglaubt, dass Hawks es direkt beenden wird. Nun, was soll er sagen? Er ist Kummer gewöhnt. Außerdem hat Endeavor ihn die ganze Zeit vor sich gewarnt und er hat es ignoriert. Weil er es nicht sehen wollte. Einmal glücklich sein.

„Okay“, würgt Endeavor hervor und Hawks lächelt schief.

Er kann nicht anders, als sich vorzubeugen und die Hand auf seinen Unterarm zu legen. Er drückt diesen kurz, ehe er sich wieder löst und sich erhebt.

„Ich bestell uns gleich mal was zu essen. Überleg schon mal, was du willst. Außer Whiskey hast du ja nichts im Magen, mh? Leg dich hin. Ich kümmere mich um alles.“

Er will sich abwenden und in die Küche gehen, doch Endeavor packt sein Handgelenk und hält ihn fest. Fragend sieht er ihn über die Schulter an, aber der Ältere weicht seinem Blick aus.

„Ich…du musst nicht…es tut…ich…danke.“

Während des Gestammels lässt er seine Hand wieder los und auch, wenn er so aussieht, als wenn er noch etwas sagen will, belässt er es dabei. Hawks merkt, wie sein gebrochener Anblick etwas in ihm rührt. Das kann er nicht verhindern. Vielleicht will er es auch nicht.

Er lächelt abermals, so gut es geht.

„Wie gesagt, ist okay. Leg dich hin.“

Damit geht er in die Küche und macht sich erstmal daran, die Scherben zu beseitigen. Während er das tut, fragt er sich ernsthaft, ob er erneut in einem Teufelskreis gelandet ist oder ob das hier ein Neuanfang für sie beide werden kann. Denn wenn er eins weiß, dann dass sie beide kaputt sind. Jeder auf seine eigene Weise.

Goal

Enjis Nacht ist unruhig. Er schafft es kaum, zwei Stunden am Stück zu schlafen. Entweder kommen seine Gedanken nicht zur Ruhe oder er wacht schweißgebadet auf. An seine Träume kann er sich nicht wirklich erinnern und darüber ist er auch ganz froh. Mit müdem Blick rollt er sich auf den Rücken und starrt in die Finsternis. Wie sehr er sich an Hawks‘ Nähe gewöhnt hat, wird ihm erst jetzt bewusst. Jetzt, als ihm bewusst ist, wie schnell es vorbei sein könnte.

Obwohl der Jüngere nebenan im Wohnzimmer schläft, fühlt es sich für Enji an, als sei er unerreichbar. Irgendwie ist er das auch. Hawks will nachdenken und das ist sein gutes Recht. Dass er nach seiner Offenbarung nicht direkt gegangen ist, ist mehr, als Enji sich erhofft hat. Trotzdem weiß er, dass das nicht heißt, dass Hawks mit seinem Ballast klar kommen kann…oder will. Er benötigt Bedenkzeit und die muss Enji ihm nun geben, wenn er nicht will, dass der andere verschwindet.

Es ist so ironisch, dass alles in die Brüche geht, kaum dass er sich eingestanden hat, dass er Gefühle für den jungen Mann hat. Vielleicht ist das seine Strafe. Verdient hätte er es wohl. Nach allem, was passiert ist, hat er nicht damit gerechnet, eine Chance auf ein bisschen Glück zu haben. Er hätte das mit Hawks nicht anfangen dürfen, aber das hat er und nun will er ihn nicht verlieren.

Er hat sich zu sehr an den ungezwungenen Umgang gewöhnt. Daran, dass er nicht aufpassen muss, was er sagt. Dass ihn jemand einmal nicht verurteilt. Daran, dass ihn jemand mag. Es ist einfältig gewesen, zu glauben, dass das ewig halten würde.

Wenn Enji sonst nicht schlafen kann, greift er zum Alkohol, bis seine Nerven beruhigt sind. Allerdings sind Hawks‘ Worte deutlich gewesen. Dass er ein Problem hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Er trinkt mal mehr, mal weniger – aber regelmäßig. Es gibt ihm Halt. Nicht lange, aber immerhin etwas.

Hawks‘ Blicke während seiner Erzählung gehen ihm nicht aus dem Kopf. Ebenso wie seine Worte zu Touya. Er gibt ihm nicht die komplette Schuld für alles, so wie es Natsuo tut, aber er verhehlt auch nicht, dass er sich falsch verhalten hat. Dennoch…da ist etwas in Hawks‘ Mimik, das ihm sagt, dass er weiß, wovon er spricht. Dass er mit gewissen Dingen selbst zu tun gehabt hat.

Enji will nicht spekulieren, aber er kann nicht viel gegen seine Gedanken machen. Hat Hawks ein Suchtproblem gehabt? Oder jemand aus seiner Familie? Dass er ihm ausgewichen ist, ist offensichtlich gewesen. Geht ihn das überhaupt noch etwas an, jetzt, da nicht mal klar ist, ob Hawks bei ihm bleiben wird?
 

Er dreht sich wieder auf die Seite, schließt für einen Moment die Augen und atmet tief durch, während er versucht, die Gedanken zu verdrängen und wenigstens etwas Schlaf zu bekommen. Es bringt nichts. Er kann nicht zur Ruhe kommen. Langsam setzt er sich auf, blickt für einige Sekunden still in die Dunkelheit und überlegt, was er tun kann. Fernsehen schon mal nicht, da er Hawks dann wecken würde. Eine Runde joggen? Eher nicht, sonst entzündet sich vielleicht sein Fuß. Er spürt das leichte Brennen in der Sohle, als er aus dem Bett steigt und sich eine Jogginghose überzieht, bevor er so leise wie möglich ins Wohnzimmer schleicht.

Der Drang, an die Bar zu gehen, ist so stark, dass er spürt, wie sein Herz bei dem Gedanken rast. Er hat sich daran gewöhnt, in Stresssituationen zu trinken. In seinem Kopf hält sich die Überzeugung, dass ihn das beruhigt. Umso schwerer ist es, den Barschrank zu meiden und stattdessen in Richtung Balkon zu gehen. Er ist nicht sonderlich groß, aber für zwei Korbstühle und einen kleinen Tisch reicht es. Die frische Luft tut gut, auch wenn sie nicht gegen den inneren Drang hilft. Er setzt sich auf einen der Stühle und fährt sich über das Gesicht, versucht, sich auf etwas anderes zu fokussieren. Er braucht das nicht. Zumindest will er es nicht brauchen. Aber dann sieht er die Blicke seiner Kinder vor sich. Sieht Touya vor sich. Rei…und er hat Angst, dass Hawks ihm genau wie alle anderen den Rücken kehrt. Es bricht über ihn herein wie Wellen und es nimmt ihm die Luft, lässt ihn hektischer atmen. Ruhig bleiben. Nicht in Panik verfallen. Hawks ist hier. Nebenan. Aber wer weiß, wie lange noch.
 

„Kannst wohl auch nicht schlafen.“

Er zuckt zusammen, als er die Stimme hinter sich hört, und sieht zur Tür, in der Hawks in Shorts und einem grauen Shirt, auf dem Thor abgebildet ist, steht. Seine blonden Haare sind noch zerzauster als sonst und er sieht müde aus. Dafür, dass er es sonst ist, der die Nähe offensichtlicher sucht, hält er gerade viel Abstand. Es trifft Enji, vor allem, da Hawks recht verloren in der Tür steht. Er strahlt nicht die typische Sicherheit aus, sondern scheint selbst nicht zu wissen, was er machen soll.

„…nicht wirklich“, erwidert er bloß und sieht wieder vor sich hin.

Es ist Vollmond. Nun, daran wird es nicht liegen, dass sie kein Auge zubekommen. Es gibt genügend andere Gründe. Als Hawks sich nach ein paar Sekunden der Stille auf den freien Stuhl setzt, ist Enji regelrecht erleichtert. Die Stimmung ändert sich jedoch nicht. Es ist belastend.

„Endeavor-san.“

Enji blickt auf, sieht in die Bernsteinaugen des Jüngeren.

„Deine Hände zittern.“

Enji muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass er Recht hat. Stress und Verzweiflung, weil er den Kummer diesmal nicht ertränken kann. Es ist gut für seine Nerven, auch wenn es nichts ändert und die nüchternen Zeiten härter macht. Dass Hawks der Grund dafür ist, dass er nichts trinken kann, macht es nicht besser. Aber er will ihn nicht wieder anschnauzen oder handgreiflich werden.

Stattdessen reibt er sich die zitternden Hände und antwortet nicht darauf. Warum auch? Sie beide wissen, was los ist.

„Ist es so hart für dich?“, hört er Hawks fragen.

Will er ihn provozieren, um zu sehen, wie weit er gehen kann? Ob er zuschlagen würde? Es reizt Enji empfindlich, weil er es nicht versteht. Sucht Hawks einen Weg, um mit ihm brechen zu können?

„Was willst du von mir hören?“, knurrt er schlecht gelaunt, doch Hawks sieht ihn weiterhin ruhig an.

„Weiß nicht“, meint er ehrlich und zieht die Beine an die Brust, sodass er nun wie ein Vogel auf dem Stuhl hockt. „Ich hab das mit der Sucht nie wirklich verstanden. Nicht in Bezug auf Alkohol oder Drogen. Es macht so viel kaputt. Man erkennt die Menschen gar nicht mehr wieder. Sie verändern sich. Stürzen ab. Ziehen andere mit sich hinunter. Irgendwie ist das doch traurig, oder?“

Enji starrt ihn einfach nur an, weil er Hawks noch nie so hat reden hören. So voller Bitterkeit. Es ist eine Seite von ihm, die er bisher vor ihm verborgen gehalten hat.

„Hawks. Was willst du mir damit sagen?“

Anscheinend weiß er das selbst nicht, so entrückt, wie er plötzlich angesehen wird. Enji wird klar, dass Hawks einfach geredet hat. Nicht wie sonst, nicht sein übliches Geplapper. Er hat einfach das ausgesprochen, was ihm auf dem Herzen gelegen hat. Etwas Privates. Vermutlich ist er genauso übermüdet, wie Enji selbst es ist.

„Nichts, ich-“

„An wen?“

„…an wen?“, wiederholt Hawks irritiert.

„An wen erinnere ich dich?“, wird Enji deutlicher und sieht ihn ernst an.

Daraufhin herrscht abermals Schweigen. Anhand von Hawks‘ perplexer Miene kann er sich denken, dass er ins Schwarze getroffen hat. Ihm wird mit einem Mal klar, dass er rein gar nichts über den Jüngeren weiß. Dieser hat die ganze Zeit abgeblockt. Immer, wenn sie ein Thema angeschnitten haben, hat Hawks es rasch gewechselt.

„Ist das wirklich ein guter Zeitpunkt, um über mich zu reden, Endeavor-san? Ich glaube, wir beide haben schon genug zum Nachdenken. Da muss ich nicht auch noch mit meinem Ballast kommen, hm?“

Er lächelt schief, aber es wirkt unehrlich. Erzwungen. Enji hasst es. Es macht ihn wütend, obwohl er weder wütend werden darf, noch will. Mittlerweile glaubt er tatsächlich daran, dass Hawks ihn auf eine gewisse Weise testet.

„Das tust du immer. Ausweichen. Ablenken“, wirft er ihm vor, weil er so wenigstens ein bisschen seinem Ärger Luft machen kann. „Ich weiß kaum etwas über dich – und vielleicht ist das ja auch nicht mehr nötig, aber…Scheiße, Hawks, ich bemühe mich! Ich will mich wirklich bemühen. Nicht nur jetzt. Ich…“

Irgendwie ist es erbärmlich. Vorhin noch hat er ihn vertreiben wollen. Nun, da er eine Chance sieht, kann er nicht einfach loslassen. Hawks ist das Beste, das ihm seit langem passiert ist. Er ist auch der Einzige, den er noch hat. Wie gesagt. Erbärmlich.

Hawks sieht ihn mit einem undefinierbaren Blick an, den Enji nicht deuten kann. Dann seufzt er leise und legt den Kopf auf den Knien ab, sieht vor sich hin.

„Pass auf“, beginnt er schließlich. „Ja, du erinnerst mich an jemanden. Darüber will ich aber nicht sprechen. Nicht jetzt. Was ich dir sagen kann, ist, dass ich einen Plan für mein Leben habe. Ich werde nicht für immer strippen. Ich möchte etwas erreichen. Dafür arbeite ich nachts und lerne tagsüber.“

Er hebt den Kopf wieder und sieht ihm diesmal fest in die Augen.

„Was ich gesagt habe, meinte ich auch so. Ich habe Gefühle für dich – und deswegen will ich das mit uns auch nicht einfach aufgeben. Ich glaube nicht, dass du ein schlechter Mensch bist. Du hast bloß schlechte Dinge getan, die du aber bereust. Mehr als an dir zu arbeiten, kannst du nicht tun und…ich denke, dass ich damit klarkommen kann. Ich brauche nur ein bisschen Zeit für mich, um das zu verarbeiten.“

Kurz atmet er durch, ehe er wieder ansetzt.

„Ich weiß aber auch, wie das mit der Sucht läuft, und ich habe genug davon, dass mich Leute runterziehen. Ich kann mir das nicht mehr erlauben, wenn ich mein Ziel erreichen will. Was ich also damit sagen will, ist, dass sowas wie gestern nicht mehr passieren darf. Dass du die Kontrolle verlierst, mich anschreist oder so anpackst. Ich bin nicht zart besaitet oder so, aber ich lass mich auch nicht wie Dreck behandeln. Das war eine einmalige Ausnahme, weil ich verstehe, dass das gestern alles zu viel für dich war.“

Bei den Worten wird Enji heiß und kalt, weil er sich schämt. Er hat seine aufgestauten Gefühle an Hawks ausgelassen, obwohl dieser zu helfen versucht hat. Sein Mund ist trocken, sodass er schlucken muss, um seine Sprache wieder zu finden, aber Hawks ist noch nicht fertig.

„Und kein Alkohol mehr. Ich bin echt überrascht, dass du gerade nicht zur Flasche gegriffen hast, aber das heißt noch nichts. Ich will, dass du es ernst meinst. Keine Ausflüchte mehr. Kein ich trink doch nur ein Glas am Abend. Jedenfalls nicht, wenn du’s nicht unter Kontrolle hast, und das hast du eben nicht. Ich kann und will nicht auf dich aufpassen müssen…oder dich kontrollieren. So stell ich mir das nicht vor. Verstehst du das?“

Was Enji versteht, ist, dass Hawks ihm keine weiteren Chancen geben wird und dass er selbst es sich nicht verspielen will. Es setzt ihn unter Druck. Weil er nicht gerade für seine gute Beherrschung bekannt ist. Weil er nicht weiß, ob er den Erwartungen gerecht werden kann. Nicht nur seine Kinder zweifeln an ihm, sondern auch er selbst.

Er nickt, denn verstanden hat er es. Er weiß nur nicht, was er noch sagen soll, außer dass er sich bemüht. Hawks möchte nicht heruntergezogen werden. Enji möchte ihn nicht herunterziehen, aber darin ist er leider ziemlich gut.

Hawks‘ Blickt liegt eine Weile stumm auf ihm, dann lächelt er wieder so schief.

„Tut mir leid, dass ich dir so die Pistole auf die Brust setze, Großer…aber anders funktioniert das nicht. Nicht für mich.“

Enji schnaubt leise, während er wieder vor sich hinsieht.

„…schon gut. Ist nicht so, dass ich eine Belastung sein will“, erwidert er mit Bitterkeit.

„Endeavor-san…“

„Ich habe es verstanden“, meint er knapp.

Er ist nicht wütend. Dazu hat er auch kein Recht. Hawks‘ Forderungen sind legitim und er will ihn nicht enttäuschen, so wie er alle anderen Menschen um sich herum enttäuscht hat. Auch wenn er das Gefühl nicht loswird, dass das bereits geschehen ist.

„Okay.“

Mehr als das sagt Hawks nicht mehr dazu. Auch er lässt den Blick in die Ferne schweifen und eine Weile spricht keiner von ihnen mehr.
 

„Was hast du überhaupt vor?“

Hawks sieht ihn verwirrt an, als er ihr Schweigen bricht.

„Hm?“

„Dein Plan. Was ist das Ziel?“

Den Ausdruck in Hawks’ Gesicht kann er schwer deuten. Ist es ihm unangenehm? Es kann doch unmöglich etwas sein, das den Stripclub übertrifft…oder? Irgendwie wird ihm gerade mulmig.

„Hakws?“

Dieser atmet tief durch, ehe er sich wieder in eine halbwegs gerade Position begibt. Er lehnt sich im Korbstuhl zurück und streckt die Beine aus.

„…wenn du lachst, ist Schluss mit uns“, brummt er dann und schaut ihn ernst an. „Das habe ich noch keinem erzählt. Nicht mal Mina.“

„Ich lache nicht.“

Enji ist weder zum Lachen zumute, noch glaubt er, dass Hawks‘ Lebensplanung witzig sein könnte. Vielmehr befürchtet er, damit nicht klarkommen zu können. Sie haben schon genügend Differenzen. Ihm gefällt ja nicht mal Hawks‘ jetziger Job.

„Polizist.“

„…huh?“

Mehr kann er nicht von sich geben, denn er muss erstmal realisieren, was Hawks gerade gesagt hat. Was?

„Ich werde Polizist. Bulle. Ein Cop. Gesetzeshüter und so, du weißt schon“, fährt Hawks mit ernster Miene fort, während er mit der rechten Hand dazu gestikuliert. „Dafür die Abendschule. Ich hole meinen Abschluss nach und dann lege ich los. Alles, was dazu gehört. Ich habe mich informiert. Ich bin geeignet, wenn ich mir keine Patzer erlaube.“

„…wie als Stripper zu arbeiten?“, entkommt es Enji ungewollt.

„Damit höre ich ja dann auf. Das Kind ist eh schon in den Brunnen gefallen, klar? Ich mache jetzt das Beste draus, verdiene genug Kohle und dann kremple ich mein Leben um, auf dass aus mir ein ordentlicher Kerl wird!“

Bei den letzten Worten nimmt seine Stimme wieder den lockeren Ton an, den er von ihm gewohnt ist, und er grinst sogar.

„Und mal ehrlich, wenn mich einer von denen aus dem Club kennt, ist das ja wohl ein ziemlich dummer Zug, sich selbst zu outen, oder nicht? Ich bin in dem Szenario wohl eher der Leidtragende als ein Kerl, der mir Geld in die Unterwäsche schiebt. Muss eigentlich nur aufpassen, dass mich kein Stalker findet und zu erpressen versucht – aber das bekomme ich schon hin.“

Er lehnt sich im Stuhl zurück, scheint von dem Gedanken daran, seine Ausbildung bei der Polizei beginnen zu können, ganz angetan zu sein. Da ist so ein Leuchten in seinen bernsteinfarbenen Augen, das Entschlossenheit ausdrückt.

Enji hat ehrlich gesagt nicht mit solch einem hohen Ziel gerechnet. Eigentlich hat er nicht mal mit einem halbwegs anständigen Job gerechnet.

Polizist. Hawks möchte Polizist werden. Und nun versteht Enji umso mehr, warum er dafür einen freien Kopf braucht. Auch wenn Hawks es herunterspielt, ist es kein einfaches Ziel ohne Hindernisse. Es kann viel schiefgehen. Aber er zweifelt nicht daran, dass Hawks es erreichen kann, so hartnäckig, wie er ist.

In ihm steckt mehr als ein Kerl, der sich für Leute halbnackt an einer Stange räkelt. Daran hat er nie gezweifelt. Enji versteht ebenfalls, was für ein großes Vertrauen er gerade in ihn gesetzt hat. Er hat ihm etwas anvertraut, das ihm unfassbar wichtig ist. Weil er nicht glaubt, dass Enji ihm Steine in den Weg legen wird. Weil er…an ihn glaubt? Daran, dass sich Enji in den Griff kriegt und das zwischen ihnen weiter funktionieren kann.

Sonst hätte er es ihm nicht erzählt. Wenigstens ist sich Enji dessen sicher.
 

„Okay.“

„Okay?“, hakt Hawks nach und legt den Kopf schief.

Enji nickt und erwidert seinen Blick fest.

„Du konzentrierst dich auf dein Ziel…und ich auf meins. Kein…Alkohol mehr und ich…reiße mich zusammen.“

Der Blonde hält inne, öffnet leicht den Mund, sagt aber dann doch nichts.

„Ich…will dich nicht runterziehen. Ich will dich unterstützen“, spricht Enji daher weiter. „Ich denke…du kriegst das hin. Auf jeden Fall.“

Er hat nur noch diese eine Chance und die will er sich nicht verbauen. Er muss seinen Scheiß auf die Reihe kriegen und sich zusammenreißen, damit er nicht das Einzige verliert, das ihn noch irgendwie über Wasser hält. Hawks hat ihm schon mehrmals bewiesen, dass er sich auf ihn verlassen kann. Dass er nicht einfach verschwindet.

Hawks sieht ihn für ein paar Sekunden nur an. Als sich seine Lippen zu einem Lächeln formen, das nicht so gestellt wie zuvor aussieht, fühlt Enji Erleichterung.

„Ja. Das denke ich auch“, erwidert er und verschränkt die Arme hinter dem Kopf, was ihn direkt entspannter wirken lässt. „Wie gesagt…ich möchte das hier mit uns und ich glaube daran, dass wir die Kurve kriegen können. Ich muss das alles nur verarbeiten. Wenn ich also morgen nach Hause gehe, kannst du mir dann versprechen, dass du nicht durchdrehst? Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn etwas ist. Egal wann. Ansonsten melde ich mich bei dir, in Ordnung? Ich glaube einfach, wir sollten beide etwas runterkommen.“

Das versteht Enji, auch wenn es ihm vorkommt, als wäre es ein Abschied. Dass das von seiner Angst herrührt, wieder allein zu sein, weiß er selbst, weswegen er es nicht erwähnt. Hawks ist bisher immer ehrlich mit ihm gewesen – auch wenn er Dinge verschweigt. Und er ist verlässlich. Enji muss beweisen, dass er das ebenfalls ist.

„Ja. Ich komme klar…und guck nicht so.“

„Schon gut, schon gut…ich habe Vertrauen in dich, Endeavor-san.“

Er zwinkert ihm dabei frech zu, was Enji unheimlich guttut; vielleicht können sie wirklich wieder ungezwungen miteinander umgehen. Er hofft es. Das tut er wirklich. Vielleicht bekommt er auch das mit seinen Kindern wieder hin, wenn er an sich arbeitet.

„Enji.“

„Hm?“

„…du kennst meinen Namen und…wir stehen uns nahe genug. Du kannst ihn benutzen. Wenn du willst“, erklärt er es knapp und sieht wieder zum dunklen Himmel, weil ihm das etwas unangenehm ist.

Dennoch hat er es anbieten wollen. Hoffentlich ist es kein Fehler, denn Hawks erwidert nicht sofort etwas darauf, sondern ist ungewohnt zurückhaltend.

„Ich möchte ihn benutzen. Es ist ein schöner Name“, kommt es von ihm. „Nur…möchte ich nicht Keigo sein.“

Enji sucht seinen Blick, denn Hawks gibt selten private Details von sich heraus. Erst sein Plan, Polizist zu werden, und nun sein richtiger Name. Keigo. Er wiederholt ihn gedanklich und stellt fest, dass es sich seltsam anfühlt. Weil Hawks nie einen anderen Namen für ihn gehabt hat. Es klingt so normal.

„Schätze, du wirst mir den Grund dafür nicht sagen.“

„…nicht jetzt. Irgendwann bestimmt, End- Enji. Aber nicht mehr heute. Ich will nur nicht, dass du denkst, dass ich es nicht zu schätzen weiß. Es…hat einfach Gründe, dass ich lieber Hawks bin – und ich liebe es, wie du Hawks stöhnst, wenn wir-“

„Ist gut. Ich habe es verstanden“, schneidet er ihm das Wort ab, woraufhin Hawks grinst. „Hawks ist gut. Passt zu dir.“

„Nicht wahr?“

Danach reden sie nicht mehr wirklich viel. Belangloses, während sie die Nachtluft genießen und einfach nur beieinandersitzen, bis sie müde genug sind, wieder hineinzugehen. Sie schlafen getrennt, wie sie es besprochen haben. Diesmal fällt es zumindest Enji nicht allzu schwer, Schlaf zu finden. Auch wenn noch nicht alle Probleme aus der Welt geräumt sind, hat er wieder etwas Hoffnung.

Worries

Es sind drei Tage vergangen. Drei Tage, in denen sich Enji zur Geduld gemahnt hat. Sie haben vereinbart, dass sie sich Zeit lassen und dass er Hawks die Möglichkeit gibt, über alles nachzudenken. Dennoch hat er gedacht, dass sich der Jüngere wenigstens zwischendurch melden würde. Eine kurze Nachricht. Eigentlich ist Hawks recht penetrant mit Whatsapp – gerade was die Emoticon-Funktion angeht. Enji hat nicht erwartet, dass er das irgendwann mal vermissen würde. Meistens sind seine Antworten einsilbig ohne unnötigen Schnickschnack. Jetzt allerdings wünscht er sich eine mit seltsamen Smileys versehene Nachricht.

Während der Arbeit entscheidet er sich schließlich doch dazu, Hawks zu schreiben. Dieser hat gesagt, dass er ihm schreiben darf. Es ist zwar nichts passiert, auch wenn Enji wirklich Probleme damit hat, nicht mal ein Bier trinken zu dürfen, aber noch hat er sich im Griff. Was heißt, dass er permanent gereizt und unruhig ist, aber noch keinen Wutanfall bekommen hat. Er ist jedoch nicht weit davon entfernt, als ihm Kido gesteht, dass er eine Mail an den falschen Kunden geschickt hat. Nichts, was sich nicht beheben lässt, aber dennoch ein schlechtes Licht auf die Firma wirft.

Enji reißt sich zusammen. Als Hawks jedoch Stunden später immer noch nicht geantwortet hat, wünscht er sich, er hätte seinem Ärger Luft gemacht. Seine aufgestauten Gefühle schwelen in ihm, als er allein ist, und dass die Nachricht scheinbar nicht mal durchgeht, lässt ihn ruhelos werden.

Enji versteht nicht, was los ist. Ignoriert Hawks ihn absichtlich? Hat er sein Handy ausgeschaltet? Ist ihm bewusst geworden, dass er das alles doch nicht kann und will? Die Gedanken rasen durch seinen Kopf, auch wenn er es nicht glauben will. Allerdings weiß er selbst am besten, dass es für nichts im Leben eine Garantie gibt.

Als am nächsten Morgen immer noch nichts von dem Jüngeren kommt, entscheidet Enji, dass er ihn im Club aufsuchen wird. Eine andere Möglichkeit fällt ihm nicht ein, auch auf die Gefahr hin, dass er Hawks damit eventuell den Freiraum nimmt, den sie vereinbart haben. Er wird ihm sagen, dass er sich Sorgen gemacht hat – und irgendwie stimmt das ja auch. Es ist einfach nicht Hawks‘ Art, sein Wort zu brechen und sich gar nicht zu melden. Das sieht ihm nicht ähnlich. Abgesehen davon wird Enji langsam nervös.
 

Als er im Club auftaucht, werden ihm zwei Dinge bewusst. Erstens, dass er schon mindestens 2 Wochen nicht mehr hier gewesen ist, da Hawks und er sich meistens nach seiner Schicht getroffen haben, und zweitens, dass er hier umso mehr den Drang verspürt, sich einen Drink zu genehmigen. Er kämpft innerlich dagegen an, obwohl er direkt die Bar ansteuert. Er weiß, dass Hawks mit Pinky zusammenwohnt, aber da er sie nirgendwo entdecken kann, muss er es wohl oder übel bei dem grimmigen Barkeeper versuchen. Er freut sich bereits jetzt auf dieses Gespräch.

Als er Aizawas finstere Miene sieht, kommt ihm der Gedanke, dass er vielleicht gar nicht hätte hierherkommen müssen, sondern Toshinori hätte anrufen können. Jetzt ist es dafür zu spät. Andererseits…vielleicht ist diese Sache, die die beiden am Laufen haben, auch schon längst wieder vorbei? Nicht, dass es ihn interessiert.

„Hawks hat Urlaub“, erwartet ihn die unfreundliche Begrüßung. „Dachte nicht, dass ich dir das sagen müsste. Es sei denn, du bist heimlich hier…oder der Grund für den spontanen Urlaub.“

Enji hat ohnehin keine guten Nerven, von daher braucht er Aizawas Provokationen heute noch weniger als sonst. Allerdings will er was von dem Mann, also appelliert er an seine Beherrschung. Er hat ihm nicht das du angeboten, aber gut, er wird es einfach hinnehmen. Ebenso wie er es diplomatisch versuchen wird.

„Da bin ich mir nicht sicher“, erwidert er ehrlich. „Also…ob ich der Grund dafür bin.“

Aizawa verengt die dunklen Augen, mustert ihn argwöhnisch und Enji will gar nicht wissen, was ihm durch den Kopf geht.

„Er wollte sich bei mir melden. Das ist vier Tage her und ich kann ihn nicht erreichen. Dass das unüblich ist, weißt du ja bestimmt.“

Der Barkeeper verzieht das Gesicht ein wenig, was darauf schließen lässt, dass er ihm nicht zustimmen will, es aber auch nicht verneinen kann. Es ist ungewöhnlich, dass sich Hawks nicht meldet.

„Pinky hat ihn abgemeldet“, meint er knapp und schnappt sich ein Glas. „Dasselbe wie immer?“

Enji würde so gern „ja“ sagen, dass er seinen Hals brennen und sein Herz rasen spürt. Hawks würde es nicht erfahren. Es wäre nur ein Drink. Andererseits wird Aizawa ihn liebend gern verraten, da macht sich Enji nichts vor. Außerdem wäre das Verrat an seinem Versprechen, weswegen er abwinkt.

„Nur Cola.“

Er trinkt eigentlich keine Cola. Überflüssiges, ungesundes Zeug, das dem Körper schadet, aber Wasser wird ihm jetzt nicht reichen. Er braucht irgendeinen Geschmack im Mund. Aizawa sieht ihn skeptisch an, hinterfragt es jedoch nicht, sondern füllt ihm Cola ins Glas.

„Ich kann dir nicht einfach seine Adresse geben. So etwas mache ich nicht. Er wird Gründe haben, wenn er sich nicht meldet.“

„Sein Handy ist aus oder…was auch immer. Meine Nachrichten kommen nicht an“, knurrt Enji gereizt.

„Vielleicht hat er dich auch einfach nur blockiert.“

Enji funkelt den anderen Mann böse an, auch wenn er sich nicht wundern sollte. Aizawa kann ihn offensichtlich nicht leiden. Welchen Grund hätte er, ihm zu helfen? Abgesehen davon stimmt es ja, dass er nicht wissen kann, ob sie nicht eigentlich Stress haben. Es wäre falsch, ihm Hawks‘ Adresse zu geben. Wieder keimt der Gedanke in ihm auf, dass Hawks es sich vielleicht anders überlegt hat. Andererseits…würde Hawks ihm das nicht ins Gesicht sagen? Er ist niemand, der sich versteckt und Dinge unausgesprochen lässt…oder? Wie viel im Detail weiß er über Hawks? Es bereitet ihm Kopfschmerzen.

„Nein“, erwidert er müde. „Dazu gibt es keinen Grund. Wenn er nichts mehr von mir wissen will, kann er das sagen.“

Aizawa sieht ihn daraufhin nachdenklich an, scheint nicht zu wissen, wie er darauf reagieren soll. Vielleicht glaubt er ihm nicht oder er hat so etwas nicht erwartet. Eigentlich kann es Enji egal sein. Verbittert blickt er in die Cola, während erneut die Sorge in ihm aufsteigt. Dann fällt ihm etwas ein.

„Arbeitet Pinky heute?“, erkundigt er sich.

„…sie ist gerade im Separee.“

Also kann er mit ihr sprechen, sobald sie herauskommt. Enji fühlt eine gewisse Erleichterung in sich aufsteigen, denn was auch mit Hawks los ist, sie wird es wissen. Immerhin wohnen die beiden zusammen.
 

„Eh…nein, tut mir leid. Ich kann dazu echt nichts sagen.“

Pinky steht in ihrem türkisfarbenen Body mit den lila Flecken vor ihm und wischt sich beiläufig den Glitzer von der Wange.

„Ich bin seit zwei Tagen bei meinem Freund. Hawks meinte, ich soll seinen Urlaub weitergeben, bevor ich weg bin. Dachte, er schreibt vielleicht eine Arbeit oder so.“

Sie reibt sich das Kinn und verteilt wieder mehr von dem Glitzer auf ihrer Haut.

„Also, mir hat er auch nicht geschrieben, aber das passiert schon mal, wenn er viel um die Ohren hat und na ja…ich kann ja mal versuchen, ihn anzurufen. Er wird schon okay sein!“

Sie grinst ihn breit an und streckt den Daumen in die Höhe, als würde sie ihn ermutigen wollen. Vermutlich will sie das auch. Enji nickt nur, auch wenn er ihr wirklich dankbar für die Hilfe ist. Angespannt sieht er zu, wie sie seinen Kontakt antippt und darauf wartet, dass er abnimmt. Nach ein paar Sekunden gibt sie es dann auf.

„Er hat sein Handy aus“, murmelt sie und man merkt ihr an, dass sie es seltsam findet.

Aizawa lehnt sich etwas zu ihnen herüber, scheint sich nun auch Sorgen zu machen.

„Das ist nicht seine Art.“

„Überhaupt nicht“, stimmt Pinky zu und fährt sich durch ihre auffälligen Haare. „Ich spreche mit Hakamata-san. Für heute mache ich Schluss und fahre nach Hause. Wenn doch irgendetwas passiert ist…“

„Ich fahre dich.“

Enji hat es schneller gesagt, als er darüber nachdenken kann. Es ist seine einzige Chance, irgendwie Kontakt zu Hawks aufzunehmen. Verdutzt wird er von ihr angesehen.

„Eh…also eigentlich wollte ich auf meinen Freund warten. Andererseits…wäre das schon gut. Ich glaube, er trainiert noch“, überlegt sie laut, woraufhin Aizawa sich räuspert.

„Du fährst nicht mit ihm mit.“

„Aber er ist doch Hawks‘ Freund!“, widerspricht sie aufbrausend.

Auch wenn es ja stimmt, ist es befremdlich, es so zu hören. Hawks‘ Freund. Gerade an dem Abend, an dem sie beide zu dem Schluss gekommen sind, dass er das sein sollte…ist alles aus den Fugen geraten.

„Vielleicht ist er auch der Grund dafür, dass Hawks sich nicht meldet.“

„Ach, das glaube ich nicht. Wenn er etwas damit zu tun hat, wäre es ja ziemlich dumm von ihm, hierherzukommen, sodass alle Leute mitkriegen, dass er ihn sucht.“

„Pinky…“

„Und dein Freund ist doch ein Freund von ihm oder nicht, Aizawa-san? Yagi-san meinte zu mir, dass er in Ordnung ist – und die kennen sich voll lange.“

Was zur Hölle hat Toshinori hier bitte herumerzählt?! Enji wäre wütend, wenn es ihm gerade nicht in die Hände spielen würde.

„Toshinori ist nicht mein Freund“, kommt es angefressen von Aizawa.

„Ach komm. Ihr hattet doch Dates…“, meint Pinky und grinst nun breit, während sie mit den Augenbrauen wackelt. „Und er ist wirklich oft hier. Hat die ganze Zeit nur Augen für dich~!“

„Lass das.“

„Wie auch immer! Ich gehe mich schnell umziehen und dann fahren wir los. Warte einfach hier auf mich, Großer!“

Enji fragt sich, seit wann sie ihn duzt. Hat er überhaupt schon mal ein Wort mit ihr gesprochen? Eigentlich hat er etwas gegen respektloses Verhalten, aber vielleicht hat Hawks ihn mürbe gemacht. Außerdem will er, dass sie mit ihm zur Wohnung fährt. Wenn er jetzt falsch reagiert, überlegt sie sich das sicher und das will er nicht.

Also nickt er nur und versucht, Aizawas bohrenden Blick zu ignorieren, während er wartet.

„Wenn Hawks oder ihr deinetwegen irgendetwas passiert, ist die Polizei dein kleinstes Problem“, warnt er ihn mit seinem düsteren Ausdruck.

Enji weiß, dass er sich nur Sorgen macht, dennoch hat er langsam genug von den Drohungen. Er hat verstanden, dass Aizawa seine Kollegen wichtig sind. Da er aber nicht riskieren will, dass der Kerl am Ende noch mitkommt, bleibt er einfach still und nickt. Hoffentlich kommt Pinky gleich zurück…
 

Zu seinem Glück ist Pinky nach ein paar Minuten wieder da. Sie trägt eine lilafarbene Jogginghose und ein leuchtend grünes, bauchfreies Top. Übersehen kann man sie jedenfalls nicht. Sie schultert ihre Tasche und funkelt ihn aus ihren bernsteinfarbenen Augen an.

„So, von mir aus können wir los!“, verkündet sie und irgendetwas an ihrer Ausstrahlung sagt ihm, dass sie seinetwegen keine Bedenken hat.

Umso besser, wenn sie ihn nicht wie einen Triebtäter behandelt. Aizawa funkelt ihn noch einmal warnend an, ehe er Pinky anweist, dass sie ihn benachrichtigen soll, wenn sie weiß, ob mit Hawks alles in Ordnung ist.

Danach begeben sie sich zu seinem Wagen und fahren los. Pinky lehnt sich während der Fahrt zurück und auch, wenn sie sich bisher recht locker gegeben hat, scheint sie besorgt zu sein. Enji kann es ihr nachfühlen, denn es geht ihm ebenso.

„Die nächste rechts“, meint sie und sieht dabei auf die Straße. „Wegen Hawks…gibt es Probleme zwischen euch?“

Auch wenn sie das eigentlich nichts angeht, bleibt Enji ruhig.

„Ja“, erwidert er ehrlich, ohne näher darauf einzugehen.

Pinky ächzt leise, als hätte sie das erwartet, und sinkt tiefer in ihren Sitz zurück.

„Ich wusste es. Er hat zwar gegrinst und gemeint, alles sei super, aber irgendwie…war er anders. Du gehst aber nicht zurück zu deiner Frau, oder?“, fragt sie dann und zeigt mit dem Finger auf ihn.

„…nein. Das ist es nicht“, gibt er knapp zurück .

Vermutlich hat Hawks ihr von seiner Frau erzählt, doch auch wenn es ihm nicht passt, hat er jetzt andere Sorgen, als sich darüber Gedanken zu machen.

„Und du machst auch nicht aus irgendwelchen anderen Gründen Schluss mit ihm?“

„Dann wäre ich wohl kaum in den Club gekommen“, brummt er genervt, woraufhin sie langsam nickt und den Finger sinken lässt.

„Stimmt. Das wäre bescheuert. Hm. Also Probleme, die sich lösen lassen?“

„…darüber wollte er nachdenken. Wir sind aber nicht im Streit auseinander gegangen. Es gibt keinen Grund dafür, dass er sich nicht meldet.“

Pinky schweigt ein paar Sekunden, ehe sie erneut nickt und die Schultern sinken lässt.

„Hawks ist…er wirkt offen, aber er ist eigentlich eher verschlossen. Wir wohnen jetzt schon bestimmt 2 Jahre zusammen und ich weiß nicht viel über ihn. Ich meine, klar, ich weiß, dass er Chicken Wings liebt und Yakitori und dass er Unmengen essen kann. Ich kenne seine Lieblingsfarbe – rot übrigens – und weiß, dass er Marvel-Filme toll findet. Aber wo er herkommt und was er vor dem Club gemacht hat – oder was mit seinen Eltern ist und ob er Geschwister hat…über so etwas redet er nicht. Da links.“

Enji hört ihr still zu, wobei ihm auffällt, dass es ihr nicht anders geht als ihm selbst. Das ist ihm auch schon aufgefallen. Hawks ist nur in den Themen offen, die nicht zu privat sind. Die nicht in die Tiefe gehen.

„Manchmal kommt so ein Typ vorbei. Also zu unserer Wohnung. Ein älterer Mann. Mit dem redet er dann kurz und danach ist Hawks immer ganz komisch. Er wollte mir aber nicht sagen, wer das ist. Sagt dir das etwas?“, spricht Pinky weiter.

Enji schüttelt den Kopf, während er sich fragt, was ein älterer Mann von Hawks will. Sein Innerstes verkrampft sich bei dem Gedanken, dass es auch ein Kunde aus dem Club sein könnte. Dass Hawks noch mit anderen…doch er verwirft es direkt wieder. Es ist nicht fair, so etwas direkt zu denken, nur weil der Jüngere bei Sex recht aufgeschlossen ist. Nein. Er will so nicht über ihn denken.

Stattdessen kommt ihm ein anderer Gedanke, der jedoch nicht besser ist.

„Du kennst den Kerl nicht aus dem Club, oder?“

„Hm? Oh. Nein. Er ist kein Kunde. Das wüsste ich. Hawks hat öfter mal Stammkunden und generell kommen oft dieselben Männer – bis auf die von den Junggesellenabschieden. Ich denke nicht, dass er so ein Stalker ist wie der von letztens, wenn dir das Sorgen macht. Dann wäre er mir bestimmt aufgefallen.“

Ja. Es hat ihm Sorgen gemacht, weil er sich noch daran erinnert, wie Hawks danach gewesen ist. Nach außen hin ist alles gut gewesen, doch er hat ihm angemerkt, dass es ihn belastet hat.

„Na ja, wie auch immer…du musst in die nächste Straße abbiegen und dann sind wir da.“

Nun, wenigstens muss er sich nicht mehr lange fragen, was los ist. Jedenfalls nicht, wenn Hawks zuhause ist. Enji hofft, dass er das ist, denn falls nicht, weiß er nicht, was er noch tun soll, außer zu warten…oder die Polizei zu rufen.
 

Als sie die Treppen zur Wohnung hinter sich gelassen haben und vor der Haustür stehen, holt Pinky ihren Schlüssel heraus, zögert dann aber merklich. Anscheinend kommt sie zu dem Schluss, dass es besser ist, erst einmal zu klingeln, schließlich rechnet Hawks nicht mit ihr. Also klingelt sie. Sie warten und horchen auf Geräusche, wobei Enji angespannt ist. Vielleicht hat er zu viele Filme gesehen oder sein Leben ist einfach zu sehr im Eimer, aber er wird den Gedanken nicht los, dass Hawks in seiner Wohnung gefangen gehalten werden könnte. Von diesem Typen aus dem Club, der ein Nein nicht akzeptieren konnte und möglicherweise zum Stalker geworden ist.

Niemand öffnet, doch er hört leise Geräusche aus der Wohnung, auch wenn er sie nicht zuordnen kann. Pinky tauscht einen Blick mit ihm, ehe sie erneut klingelt. Ihrem Ausdruck nach zu urteilen, hat sie ähnliche Gedanken wie er. Abermals hören sie nichts. Dann ertönen Schritte.

Enji macht sich darauf gefasst, dass er gleich jemanden zusammenschlagen muss, als – die Tür geöffnet wird und sie direkt in Hawks‘ Gesicht blicken. Dieser starrt sie beide völlig verwirrt an und bleibt so im Türrahmen stehen, dass sie keinen Blick hineinwerfen können.

„Eh…mit der Kombi habe ich jetzt nicht gerechnet “, entkommt es ihm müde lächelnd. „Dachte, du bist noch bei Kirishima, Mina?“

Pinky starrt ihn mindestens so perplex an wie Hawks kurz zuvor noch sie beide. Wenigstens scheint er unverletzt zu sein – zumindest auf den ersten Blick. Will er etwas verbergen? So, wie er steht, kann man weder in die Wohnung noch den kompletten Körper des Blonden sehen.

Pinky stemmt die Hände in die Hüften und funkelt ihn an.

„Planänderung, weil wir uns voll die Sorgen um dich gemacht haben, Hawks! Warum hast du dein Handy ausgeschaltet?! Dein Freund hier war auch schon richtig fertig, weil es kein Lebenszeichen von dir gab! Was soll das?!“

Anscheinend ist Hawks sprachlos, angesichts dessen, dass sie ihn so ankeift – auch wenn Enji der Meinung ist, dass sie das zurecht tut. Er schluckt kurz, ehe er das Gesicht verzieht.

„Ja…also, was das angeht…mein Handy ist kaputt.“

„Was?“, entkommt es Pinky trocken.

„Ist runtergefallen. Bin drauf getreten. Kaputt. Nichts geht mehr, sorry“, führt er es weiter aus und lächelt schief, ehe sich sein Blick auf ihn richtet. „Deswegen konnte ich mich auch nicht melden. Ich hab‘s zur Reparatur gebracht, aber das dauert halt ein bisschen. Tut mir echt leid, dass ihr euch Sorgen gemacht habt, aber wie ihr seht, geht’s mir gut.“

Enji fühlt eine Mischung aus Wut und Erleichterung. Er hat sich schon sonst etwas ausgemalt und dann ist einfach nur sein Handy kaputt. Na ja, besser, als wenn tatsächlich etwas passiert ist. Auch wenn Enji das Gefühl nicht loswird, dass Hawks ihnen etwas bei der Geschichte verschweigt. Es ist die Art, wie er dort steht. Nicht so typisch locker wie sonst und noch immer verbirgt sein Körper das Innere der Wohnung.

„Ich werde dann mal weiter lernen, ja? Enji fährt dich bestimmt zu Kirishima – ich will nicht schuld daran sein, dass eure Zweisamkeit leidet“, scherzt der Blonde und grinst dabei. „Oh, und Enji, mir tut das wirklich leid. Ich hätte mich eigentlich gemeldet, aber na ja…vielleicht gehen wir die Tage was essen? Ich ruf dich an, sobald mein Handy wieder heile ist, ja? Ach, und Mina, kannst du bitte Hakamata-san sagen, dass ich die ganze nächste Woche noch Urlaub brauche? Ich muss echt noch viel pauken, wenn ich-“

Enji hat die ganze Zeit das Gefühl, dass er sie loswerden will. Als es jedoch im Inneren der Wohnung klirrt und etwas kurz darauf poltert, bestätigt sich dieses Gefühl. Hawks‘ Grinsen wankt für einen Moment und…wird er gerade blass?

„Hawks. Wer ist da in unserer Wohnung?“, fragt Mina ruhiger, als sie es vermutlich ist.

Der Blonde sieht sie mit einem undefinierbaren Blick an.

„Da ist bestimmt nur was runtergefallen. Ich hab die eine Tasse wohl zu dicht am Rand abgestellt“, erwidert er monoton.

Wahrscheinlich weiß er, dass seine Lüge nicht funktionieren wird.

„Erzähl uns keinen Scheiß und geh zur Seite“, knurrt er ihn an, weil es ihm allmählich reicht.

Hawks richtet seine bernsteinfarbenen Augen auf ihn, verzieht keine Miene, doch er geht auch nicht weg.

„Es ist alles okay.“

Enji glaubt es ihm nicht, stellt sich dicht vor diesen hin und funkelt ihn an.

„Dann kannst du uns auch reinlassen.“

„Das ist Hausfriedensbruch.“

„Das ist auch meine Wohnung, Hawks“, erinnert Pinky ihn ernst.

Hawks‘ Blick flackert von einem zum anderen und man merkt ihm den Widerwillen deutlich an. Dann atmet er so beherrscht durch, wie es ihm möglich ist, und kehrt ihnen den Rücken. Die Tür lässt er angelehnt, sodass sie hineinkommen können.

Enji sieht kurz zu Pinky, die mit den Schultern zuckt – dann folgen sie Hawks hinein.
 

Die Wohnung hat er sich nicht so…bunt vorgestellt. Aber gut, Hawks wohnt mit einer jungen Frau zusammen, die scheinbar ausgefallene Farbkombinationen liebt. Darüber hinaus hat er nicht die Geduld, sich länger mit der Einrichtung zu befassen. Wohin ist Hawks verschwunden?

Enji hält inne, als er ins Wohnzimmer kommt, wo die knallpinken Scherben einer Vase auf dem Boden verteilt sind. Hawks kniet auf dem Boden und redet auf jemanden ein, der dort auf dem Laminat kauert und irgendwas murmelt.

„…steh jetzt auf. Du verletzt dich. Oi.“

Man merkt, wie schwer es ihm fällt, die Fassung zu bewahren. Die sonstige Gelassenheit in seiner Stimme ist einem gereizten Unterton gewichen und als seine Worte ignoriert werden, packt Hawks die am Boden liegende Person kurzerhand am Arm und hievt sie auf die Beine. Die dünne Frau trägt ein langes, gestreiftes Kleid, das ein wenig schmutzig ist. Ihre Haare sind ebenso dunkelblond wie Hawks‘ und noch zerzauster. Ihre Augen sind unfokussiert und glasig, so als würde sie durch sie hindurchsehen, und sie murmelt zusammenhanglose Worte.

Enji fragt sich, ob sie betrunken ist – oder etwas genommen hat. Die Situation ist unangenehm und er versteht, warum Hawks nicht wollte, dass sie hereinkommen.

„Soll ich dir h-“

„Ich schaffe das allein. Macht, was ihr wollt“, schneidet er ihm kalt das Wort ab und schleift die Frau aus dem Zimmer.

Vermutlich bringt er sie in sein eigenes. Im Vorbeigehen fällt Enji der Verband um Hawks‘ rechten Unterarm auf, doch er spricht ihn nicht noch einmal an. Es erinnert ihn unweigerlich daran, wie er den Jüngeren angegangen ist, als seine Kinder da gewesen sind. Er fragt sich, ob die Frau Hawks‘ Mutter ist…und fühlt sich sogleich schuldig. Weil sie in eine private Situation hineingeplatzt sind, die Hawks offensichtlich vor ihnen verbergen wollte.

Er wendet sich Pinky zu, die aussieht, als wüsste sie nicht, was sie tun soll. Vermutlich ist es ihr ebenso unangenehm wie ihm.

„Ruf deinen Freund an“, meint er schließlich und sie stutzt. „Ich rede mit ihm. Dann lässt er seine Wut an mir aus und nicht an dir.“

Das ist nur fair, immerhin ist er dafür verantwortlich, dass sie hier sind. Wenn er nicht Alarm geschlagen hätte…aber vielleicht ist es auch gut so.

„Sicher? Wenn ihr sowieso schon Stress habt…?“, bemerkt Pinky skeptisch.

„Ja. Sicher. Ich glaube, ich verstehe gerade ein bisschen mehr, wo unser Problem liegt“, erwidert er leise.

Es ist seine Gelegenheit, endlich mehr über Hawks zu erfahren. Genauso ist es der Punkt, an dem sie beide entscheiden könnten, dass das mit ihnen keine Zukunft hat. Enji unterdrückt das flaue Gefühl in seinem Magen; er will sich dem stellen. Er muss es sogar tun.

„Tu mir nur den Gefallen und ruf Aizawa an. Ich habe keine Lust, dass er doch noch die Polizei ruft und nach mir fahnden lässt…“, brummt er, woraufhin Pinky schief lächelt.

„Ja. Mache ich. Vielleicht ist es wirklich besser, wenn du mit ihm redest. Sag ihm aber, dass ich immer für ihn da bin, ja?“

„Ja.“

Daraufhin ruft sie ihren Freund an, während Enji wartet. Er wird Hawks ein wenig Zeit geben, um sich zu sammeln. Um die Situation zu akzeptieren…und dann werden sie reden.

Burden

Hawks kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal dermaßen wütend gewesen ist. Auf Enji. Auf Mina. Auf sich selbst. Auf seine Mutter, die an seinem Arm hängt und irgendetwas vor sich hin murmelt, das er gar nicht verstehen will. Er ist innerlich so geladen, dass er sie am liebsten anschreien würde. Zwar weiß er selbst, dass das nichts bringt, aber er hat das Gefühl, dass er platzen wird, wenn er seinem Ärger nicht irgendwie Luft machen kann. Doch er reißt sich weiterhin zusammen und setzt sie auf dem Bett ab, wo sie sich zusammenrollt und die Augen schließt. Hoffentlich bleibt sie dort liegen und schläft still ihren Rausch aus, bis sie einigermaßen klar ist. Was eigentlich nur bedeutet, dass sie für ein paar Stunden ausnüchtert, nach Hause findet und dort wieder trinkt. Sie wird sich vor den Fernseher setzen und die Welt um sich herum ausblenden. Hawks fragt sich, wann sie wohl das letzte Mal etwas gegessen hat, denn sie ist schon wieder dünner geworden. Er hasst es, dass es ihm auffällt. Schließlich hat sie auch nie darauf geachtet, ob er genug zu essen bekommt. Er fühlt wieder die Wut in sich, doch anstatt etwas Unüberlegtes zu tun, nimmt er die Decke und zieht sie ihr bis unter das Kinn.

Er ist ein besserer Mensch. Das muss er sich nur oft genug sagen. Dass er besser ist als seine Eltern und dass die beiden krank sind. Still bleibt er auf dem Bett sitzen und sieht zu seiner Mutter herunter, die dort liegt und schnaufend atmet. Wie oft hat er das als Kind erlebt? Es lässt ihn nicht so kalt, wie er es gern hätte, sodass sich ein Kloß in seinem Hals bildet. Alles in ihm schreit danach, aus dieser Situation zu flüchten. Er weiß jedoch, dass er das nicht kann. Schon gar nicht, wenn Mina und Enji draußen stehen, um ihn mit Fragen zu löchern, warum da eine betrunkene Frau in der Wohnung gelegen hat. Vielleicht ahnen sie schon, dass sie seine Mutter ist.

Hawks schließt für einen Moment die Augen, versucht, sich innerlich zu beruhigen, doch es fällt ihm schwer. Das ist genau das, was er immer vermeiden wollte. Nun hat er keine Wahl mehr. Er kann das nicht so stehen lassen. Eigentlich kann er Enji nicht mal böse sein, schließlich hat er sich ja wirklich nicht mehr gemeldet, was in ihrer aktuellen Situation sicher einen komischen Eindruck hinterlassen hat. Wie Schluss machen, ohne richtigen Schlussstrich. Gut, Hawks hätte so etwas nicht getan, ohne darüber zu reden, aber vermutlich hat Enji deswegen Mina mit ins Boot geholt und als sie ihn ebenfalls nicht erreicht hat…ja, verdammt, er versteht die Beweggründe. Das heißt aber nicht, dass es das besser macht.

Er fährt sich mit den Händen durch das Gesicht, atmet tief durch, während er überlegt, wie er das gleich am besten erklären kann. Lügen wird ihn nicht weiterbringen. Dieses Mal nicht. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen. Das Schlimmste daran ist, dass er nicht sagen kann, wie es danach weitergehen soll. Hawks sieht wieder zu seiner Mutter, die anscheinend endlich tief und fest schläft – und heute hoffentlich nicht mehr aufsteht. Unter keinen Umständen soll sie auch nur ein Wort mit einem der beiden reden.

Hawks steht langsam auf, denn er befürchtet, dass er hier schon zu lange sitzt und sich versteckt. Wenigstens sind sie ihm nicht gefolgt. Er stellt noch den Papierkorb neben das Bett, falls sie sich übergeben sollte, und schaltet dann das Licht aus, ehe er sein Zimmer verlässt und die Tür schließt. Kurz verweilt er dort, ehe er in Richtung Wohnzimmer geht – wo er direkt auf Enjis breiten Rücken schaut.
 

„…was tust du da?“, fragt er verwirrt, woraufhin sich der Hüne mit finsterem Blick zu ihm umdreht, während er weiter auf dem Boden kniet.

„Die Scherben aufsammeln.“

Er hebt das türkisfarbene Kehrset hoch, sodass er es sehen kann. Die pinken Scherben leuchten auf dem Plastik noch mehr als ohnehin schon. Minas Geschmack ist auffällig. Apropos…

„Wo ist Mina?“

Enji wendet ihm wieder den Rücken zu und fährt fort, die Scherben aufzufegen.

„Hat sich von ihrem Freund abholen lassen. Ich soll dir sagen, dass zwischen euch alles gut ist und sie immer für dich da ist.“

Ja. Das klingt nach Mina. Sie ist nicht der Typ, der jemandem etwas nachträgt. Vermutlich macht sie sich auch jetzt noch einfach nur Sorgen um ihn, anstatt mit Vorwürfen zu kommen. Nun, ist das gut oder schlecht, dass er es jetzt nur noch mit Enji zu tun hat? Er weiß es nicht.

„Du musst das nicht machen“, meint er ernst.

„Ich weiß.“

„Lass es einfach liegen. Ich fege das gleich auf.“

Dass Enji nicht reagiert, sondern weiterfegt, weckt wieder die Wut in ihm – auch wenn es lächerlich ist. Es sind nur Scherben. Er will nur helfen. Dennoch…keiner hat ihn darum gebeten.

„Enji! Lass die Scheiße einfach liegen, verdammt!“, zischt er und es tut so gut, etwas Dampf abzulassen.

Der Ältere fegt die letzten Scherben auf und erhebt sich dann, wobei seine türkisfarbenen Augen so ruhig sind, dass es ihn gleich noch zorniger macht. Er möchte ihn anschreien und rauswerfen. Weil er das weder tun sollte, noch tun kann, ballt er die Hände zu seinen Seiten zu Fäusten und funkelt ihn böse an.

„Sonst was?“

Hat er nicht gesagt. Hat er gerade wirklich…Hawks merkt, wie seine Beherrschung langsam flöten geht. Will er ihn provozieren? Bevor er weiß, was er darauf erwidern soll, holt er aus und schlägt ihm das bescheuerte Kehrset aus der Hand. Scheinbar hat Enji nicht damit gerechnet, denn er sieht ihn nur perplex an, während sich die Scherben wieder auf dem Laminat verteilen. Den Schmerz, der durch seinen rechten Unterarm pulsiert, ignoriert Hawks dabei.

„Ich habe dir gesagt, du sollst es liegen lassen“, wiederholt er sich mit kalter Wut.

Da blitzt etwas in Enjis Blick auf, das Hawks schon einmal gesehen hat. Er weiß, dass sich der andere nur schwer zurückhalten kann, wenn er zornig ist. Hawks ertappt sich bei dem Gedanken, dass er sich fast schon wünscht, dass er handgreiflich wird . Auch wenn das das Ende wäre. Dann wäre einfach Schluss und er müsste nichts erzählen. Er weiß gerade nicht, wofür er sich mehr schämt; für seine Eltern oder die eigene Feigheit.
 

„Hawks“, hört er den anderen gezwungen beherrscht sagen. „Du beruhigst dich jetzt, bevor wir beide etwas tun, das wir bereuen.“

„Und was wäre das?“, erwidert er herausfordernd.

Seine ganzen aufgestauten Gefühle sind nur schwer zu bändigen. Er weiß, wie falsch es ist, sie an Enji auszulassen. Leider ist niemand sonst da – seine Mutter zählt nicht. Er bleibt vor Enji stehen, weicht seinem wütenden Blick nicht aus, sondern wartet. Er nimmt sehr wohl wahr, wie der Hüne vor ihm mühsam ein- und ausatmet. Seine Zündschnur ist kurz.

Anstatt ihn jedoch am Kragen zu packen, atmet er ein weiteres Mal tief aus, ehe er sich einfach umdreht. Nicht das, womit Hawks gerechnet hat.

„Krieg dich in den Griff“, hört er ihn sagen und spannt sich an. „Dann reden wir. Oder auch nicht. Ich kann dich nicht zwingen.“

Hawks schluckt hart, weil die Worte ihm bewusst machen, wie irrational und…dumm er sich gerade verhält. Das ist gar nicht seine Art…oder? Manchmal weiß Hawks das selbst nicht.

„Du solltest jedoch wissen, dass ich nicht darüber urteilen werde.“

Das ist einfach zu viel. Hawks kann ihn nur weiter anstarren und es will ihm nicht recht gelingen, den Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken. Irgendwie kommt alles zusammen und er weiß nicht mehr, wie er den Kopf über Wasser halten soll. Mit plötzlicher Resignation wird ihm bewusst, dass es keinen Sinn mehr macht, sich hinter der Wut zu verstecken. Seine geballten Fäuste öffnen sich und er lässt die Schultern sinken. Es ist vorbei. Eigentlich sollte er froh sein, dass Enji so viel Beherrschung zeigt. Dass er sich erwachsen verhält und nicht auf seine Provokation eingeht. Unweigerlich fragt sich Hawks, ob Enji es geschafft hat, bis heute keinen Tropfen Alkohol mehr anzurühren.

„Ich habe mich im Griff“, murmelt er erschöpft. „Sorry. Ich…es war ein langer Tag.“

Vermutlich hat Enji vorgehabt, den Raum zu verlassen, um ihm einen Moment zu geben, um sich zu sammeln. Bei seinen Worten dreht er sich allerdings wieder zu ihm um, mustert ihn kurz. Komischerweise ist Hawks‘ ganze Ablehnung und Wut in einer Sekunde komplett verschwunden und er wünscht sich, dass Enji seine muskulösen Arme um ihn schlingt. Er will die Nase in seiner breiten Brust vergraben und sich dem Gefühl hingeben, dass alles in Ordnung ist. Überwinden kann er sich dazu nicht. Obwohl er sonst derjenige ist, der keine Hemmungen kennt, kann er nur da stehen und vor sich hin blicken.

Die pure Erleichterung überkommt ihn, als Enji genau das tut, was er sich von ihm wünscht. Er sinkt gegen den massigen Körper des anderen, als er die Finger in seinem Nacken spürt, die andere Hand legt er an seine Hüfte. Hawks kippt bloß gegen ihn, ohne einen Funken Spannung im Körper. Es ist wirklich ein langer Tag gewesen und er ist müde. Müde und verletzt.

Hawks ist dankbar dafür, dass Enji nichts sagt. Vielleicht versteht er ihn doch besser, als er gedacht hat. Die dicken Finger kraulen seinen Nacken, was in ihm Geborgenheit auslöst. Sicherheit. Trost. Er schließt seine Augen und genießt es für ein paar Sekunden. Lächeln kann er wohl heute nicht mehr für ihn.

„Geh duschen.“

Hawks hebt blinzelnd die Lider und sieht zu ihm hoch, ohne sich zu lösen.

„Willst du mir damit sagen, dass ich müffel?“

Enji knurrt genervt.

„Um den Kopf freizukriegen. Ich räume hier auf. Willst du Tee?“

Der Vorschlag ist so zuvorkommend, dass Hawks erst nach einer Weile des Zögerns nickt. Als er ihm sagen will, wo der Tee ist, winkt Enji bloß ab.

„Ich finde den schon.“

Dürfte wirklich nicht schwer sein, sie haben eine begrenzte Anzahl an Schränken und nichts zu verstecken. Er drückt das Gesicht noch mal fest gegen Enjis breite Brust, inhaliert seinen Geruch, ehe er sich löst und in Richtung Bad geht. Seine Mutter wird schon nicht so schnell aufstehen – dennoch wirft er einen schnellen Blick ins Zimmer, um sich zu vergewissern. Als alles ruhig ist, schließt er die Tür wieder und geht ins Bad.
 

Als er eine halbe Stunde später neben Enji auf der Couch sitzt und an seinem Tee nippt, hat der andere die Scherben beseitigt. Hawks stellt die Tasse auf dem Tisch ab, ehe er sich nach hinten anlehnt und die Beine an den Körper zieht. Seine Haare sind noch feucht vom Wasser und er hat einen neuen Verband angelegt. Enjis Blick ruht auf seinem Unterarm, doch er stellt keine Fragen, bleibt still neben ihm sitzen.

Hawks weiß, dass er nicht einfach weiter stumm bleiben kann, obwohl der Ältere ihn nicht drängt. Was er nicht weiß, ist, wie oder wo er anfangen soll. Noch nie hat er über solche Dinge geredet. Immer noch ist da die Angst, dass Enji ihn danach anders ansieht. Wenn er ihn bemitleidet, muss er ihm eine reinhauen, so viel ist klar. Aber er kann die Geschichte auch nicht weniger traurig erzählen, als sie es nun mal ist.

Hawks atmet hörbar aus, blickt matt vor sich hin.

„Komm, Großer, mach’s mir einfacher und frag, was du fragen willst“, meint er schließlich und schafft nicht mal ein aufgesetztes Lächeln, als er ihn ansieht.

Enji schweigt einen langen Moment, die kräftigen Finger fest um die sicherlich heiße Tasse gelegt.

„Was ist mit deinem Arm passiert?“, will er wissen und Hawks seufzt.

„Ich musste eine kaputte Flasche damit abwehren, weil jemand damit nach mir geschlagen hat.“

Hawks sieht das wütende Funkeln in den türkisfarbenen Augen und auch, wenn es ihn nicht überrascht, ist diese Reaktion nett. Weil es zeigt, dass er Enji etwas bedeutet.

„Wer?“, kommt die erwartete Frage.

„Mein Erzeuger.“

Eigentlich hat er gedacht, dass es ihm schwerer fallen würde, es auszusprechen. Vielleicht hat er resigniert, dass sowieso alles auf den Tisch kommt. Warum herumdrucksen? Macht keinen Sinn mehr. Enji ist geduldig gewesen, aber an diesem Punkt muss Hawks ehrlich sein.

Auch wenn es ihm wehtut, zu sehen, wie geschockt Enji davon ist. Er sieht es in seiner Mimik, weiß, warum es ihm nahegehen muss, das zu hören. Noch mehr als jedem anderen. Immerhin hat er zumindest eins seiner Kinder geschlagen. Wie bitter.

„Das…warum?“, entkommt es ihm gepresst, woraufhin Hawks mit den Schultern zuckt.

„Weil ich ihm gesagt habe, dass ich ihm von jetzt an kein Geld mehr gebe. Er war wütend und betrunken – da wird er schon mal handgreiflich. Ich bin nicht sicher, ob er wirklich vorhatte, mich damit zu verletzen, oder mir nur drohen wollte. Er hat seine Motorik nicht immer ganz im Griff. Er hat mit der Flasche herumgefuchtelt, sie gegen die Wand gehauen und dann ist es eben passiert. War aber nicht das erste Mal, dass ich was abbekommen habe.“

Eine weitere Parallele. Der Alkohol holt das Hässlichste aus den Menschen heraus, das wissen sie beide. Hawks ist innerlich wie betäubt, während sie darüber reden. Er fühlt nichts dabei. Schon als Kind hat er gelernt, sich vor diesen negativen Gefühlen zu verschließen. Das dumpfe Pochen in seiner Brust ist alles, was er sich erlaubt. Er wird hier nicht wie ein Häufchen Elend sitzen und herumheulen, wie beschissen seine Kindheit war.

„Er ist Alkoholiker“, stellt Enji betroffen fest und Hawks nickt.

„Schon ewig. Alle beide. Du hast sicher schon erkannt, dass die Frau von vorhin meine Mutter ist. Vermutlich hat sie Panik bekommen, als er zurückgekommen ist und ihr gesagt hat, dass der Geldhahn zugedreht ist. Wüsste nicht, wann sie mich das letzte Mal besucht hat. Na ja…Überraschung, jetzt ist sie hier. Stand vor ein paar Stunden vor meiner Tür. Sternhagelvoll. Heulend. Ist noch im Flur an der Tür zusammengebrochen und hat sich übergeben. Mehrfach. Ist nicht so, als würde ich das nicht bereits von früher kennen. Wenn sie wach wird, wird sie vermutlich wieder rumbrabbeln, dass sie mich nie auf die Welt hätte bringen sollen. Ich bin ja so undankbar, blabla…und ich schulde ihnen das Geld, weil ich ihr Leben zerstört habe. Das Übliche. Willkommen in Keigos Welt.“

Vielleicht spricht er es zu locker aus. Vielleicht wäre es Enji lieber, er würde wieder wütend sein oder sich verletzlicher zeigen. Es fällt ihm schwer, den Blick des anderen zu deuten. Etwas zwischen Fassungslosigkeit und Erkenntnis. Wenigstens kein Mitleid.

„Hawks, ich…ich wusste nicht…“

„Niemand weiß das“, kommt er ihm zuvor. „Weil ich noch nie davon jemandem erzählt habe. Ja, es ist scheiße. Ja, ich hab’s nicht leicht gehabt. Trotzdem habe ich mein Leben im Griff – auch wenn du jetzt bestimmt denkst, dass es nicht so ist. Ja, ich strippe. Ja, vielleicht haben mich ein paar Komplexe dahingetrieben, aber ich habe das selbst entschieden. Ich weiß, dass ich mir immer die falschen Kerle aussuche und dass das wahrscheinlich mit meinen Vaterkomplexen zusammenhängt. Und weißt du was? Das ist mir egal. Ich bin, wie ich bin, und ich werde es schaffen, etwas aus meinem Leben zu machen! Ich werde Polizist werden und ich werde etwas bewirken, anstatt wie meine versoffenen Eltern in diesem Loch von Wohnung vor mich hinzuvegetieren, mich durchzuschnorren und alles, was schief läuft, auf andere zu schieben!“

Hawks ist erleichtert, dass seine Stimme zwar energischer wird, aber nicht bricht. Sein Herz rast bei seinen Worten und er merkt, wie etwas in ihm bröckelt. Noch nie hat er mit jemandem darüber gesprochen und obwohl er Angst hat, dass Enji nun anders mit ihm umgehen oder ihn anders ansehen wird, tut es irgendwie auch gut, es endlich mal laut auszusprechen.
 

Enji sieht ihn immer noch mit diesem schwer definierbaren Blick an, während Hawks versucht, seine Wut zu zügeln. Schon vorhin hat er sie nicht unter Kontrolle gehabt. Er muss sich beruhigen, denn das hier zeigt nur, wie nahe es ihm geht.

„Du wolltest mir nicht davon erzählen, weil du gewusst hast, dass ich die Parallelen erkenne.“

Hawks ächzt daraufhin leise.

„Natürlich. Du machst dich schon fertig genug. Glaubst du, da setze ich noch einen drauf und gebe dir freiwillig das Gefühl, dass ich nur bei dir bin, weil ich in einem Teufelskreis feststecke?“

„Ist das etwa nicht so?“, kommt es zerknirscht und mit einer Spur Sarkasmus von dem Rothaarigen.

Hawks schnaubt.

„Nein. Die Weichen sind vielleicht deswegen gestellt worden, keine Ahnung, ich bin kein Psychiater. Irgendwie wird das wohl zusammenhängen. Aber hey, jeder hat einen Typ. Ich stehe nun mal auf ältere Männer, die meistens schon verheiratet sind oder waren. Komplizierte Männer. Aber ich bleibe nicht bei Menschen, die mir nicht guttun. So selbstzerstörerisch bin ich nicht, klar? Also lass es. Hör auf, dich mit meinem Alten zu vergleichen. Ja, du hast Scheiße gebaut und du trinkst zu viel und zu regelmäßig. Aber du bereust. Du nutzt deine Kinder nicht aus. Du versuchst, deine Wut zu beherrschen. Du willst mit dem Trinken aufhören. Denkst du, ich hab in all den Jahren irgendwann auch nur eine ernstgemeinte Entschuldigung bekommen? Irgendeinen Ansatz, dass die zwei sich ändern wollen? Du bist nicht wie sie . Rede dir das nicht ein…und schon gar nicht, dass ich keine Wahl habe. Sonst wäre ich nie gegangen.“

Hawks erkennt, dass es in Enjis Kopf arbeitet; seine Zweifel werden nicht so einfach verschwinden. Dennoch hofft der Jüngere, dass er begreift, was er ihm sagen will. Auch wenn er ihm noch keine klare Antwort für die Zukunft geben kann, will er nicht, dass Enji das für sie beide entscheidet, indem er sich aus einem Anflug von vermeintlicher Aufopferung von ihm trennt.

„Du weißt, dass ich…versuche, das Richtige zu tun“, kommt es schon beinahe gequält von dem Hünen, woraufhin Hawks nickt.

„Und du denkst, das Richtige ist, mich mit meinem ganzen Ballast allein zu lassen, weil du denkst, du schadest mir?“, fragt er leise und weiß, dass er unfair spielt.

„Hawks…“

„Ich habe mich noch nicht entschieden, wie es mit uns weitergeht. Ich konnte mich nicht melden, weil mein Handy heruntergefallen und mein Erzeuger draufgetreten ist. Außerdem…na ja, ich wollte drum herumkommen, dir das hier zu erklären.“

Hawks dreht den Arm mit dem Verband hin und her, lächelt schief.

„Aber hey…du bist hier, weil du dir Sorgen um mich gemacht hast, nicht wahr? Du bist im Club gewesen, hast Mina um Hilfe gebeten…wäre das hier nicht so eine doofe Situation, hätte ich mich bestimmt darüber gefreut.“

Enji schnaubt leise, wendet den Blick ab.

„…ich habe zuerst Aizawa gefragt“, hört er ihn brummen, woraufhin Hawks stutzt.

„Echt? Wow. Wundert mich, dass er dir nicht an die Gurgel gegangen ist. Er hat euch echt fahren lassen?“

„…nach mehreren Drohungen, was passiert, wenn ich schuld an deinem Verschwinden bin oder Pinky etwas antue“, gibt der Ältere zu und zum ersten Mal an diesem Tag heben sich Hawks‘ Mundwinkel.

„Klingt nach Aizawa. Jedenfalls…da siehst du es! Welcher schlechte Mensch legt sich schon meinetwegen mit Aizawa an?“

„Hawks“, dämmt Enji seinen kurzen Anflug von Hochstimmung. „Du musst mir nicht beweisen, wie gut du mit allem klarkommst, indem du…mir was vorspielst.“

Für einen Moment weiß der Blonde nicht, was er sagen soll, sieht ihn nur verwirrt an.

„Die letzten Tage müssen hart für dich gewesen sein…und es muss hart gewesen sein, dir meinen ganzen…Ballast, wie du es genannt hast, anzutun, wenn du deinen eigenen hast.“

„Das ist n-“

„Lass mich ausreden“, unterbricht er ihn, bleibt jedoch ruhig dabei. „Auch wenn ich nicht weiß, ob das hier…mit uns…richtig ist – du warst für mich da, als es mir schlecht ging. Du bist immer für mich da gewesen, auch als ich mich wie ein Arschloch verhalten habe. Es tut mir leid, dass du mir nicht von deinen Problemen erzählen konntest, weil du dachtest, ich komme nicht damit klar.“

Tief atmet der Ältere durch, wobei Hawks ihn immer noch anstarrt. Weil er nicht weiß, wohin das hier führen wird.

„…du musst keine Rücksicht auf mich nehmen…und du musst auch nicht lächeln und Witze reißen, wenn dir nicht danach ist. Ich habe verstanden, was du gesagt hast, und ich…versuche, mich zusammenzureißen. Und…egal, was aus uns wird, ich will, dass du weißt, dass ich unabhängig davon für dich da sein werde, wenn du Hilfe brauchst.“
 

Es ist mehr, als Hawks von dem anderen erwartet hat, wenn er ehrlich ist. Er hat eine Szene erwartet, ein endloses Hin und Her. Dass Enji ihm nicht glaubt und sich zurückziehen wird – nicht, dass er ihm vertraut und das im Gegenzug auch von ihm verlangt. Etwas in Hawks bricht bei dieser unerwarteten Wendung und er spürt, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildet, denn ja – die Tage sind hart für ihn gewesen. Auch wenn er seine Emotionen in sich verschließt, sind sie deswegen nicht einfach verschwunden oder weniger belastend.

Hawks hat gedacht, er müsste sich zusammenreißen, damit Enji die Entscheidung für sie beide nicht übereilt trifft, und nun sagt er so etwas. Er weiß nicht wirklich, wie er darauf reagieren soll. Auf andere hat er sich noch nie gern verlassen, es auch immer vermieden. Kann er das überhaupt?

„Wenn ich deine Mutter nach Hause fahren oder mich sonst irgendwie darum kümmern soll, sag es einfach. Wenn ich gehen oder bleiben soll – es ist deine Entscheidung.“

Hawks ist überfordert mit dieser Auswahl an nachvollziehbaren Möglichkeiten. Nicht das, womit er gerechnet hat…aber definitiv ein besserer Ausgang als erwartet.

Schließlich entkommt ihm ein Laut, den er selbst nicht richtig deuten kann. Irgendwo zwischen Glucksen und Schluchzen. Wie Schluckauf. Enji zieht die Stirn in Falten, weil er wohl auch nicht weiß, was das bedeutet. Ja, von ihnen beiden ist auf jeden Fall Hawks derjenige, der seine Emotionen nicht in Schubladen packen kann. Wer hätte es gedacht…

„Hawks?“

„Gib mir einen Moment, okay, Großer? Du benimmst dich gerade so reif, dass ich das erstmal verdauen muss. Ich hab mir das alles mit ein bisschen mehr Drama vorgestellt …du killst mich gerade.“

Er grinst zwar, doch es erreicht bestimmt nicht seine Augen, so zerrüttet, wie er sich innerlich fühlt. Ein leichtes Zittern befällt seinen Körper, der immer noch zusammengeknautscht ist und von seinen Armen umschlungen wird. Nein, er hat nie gelernt, sein Inneres nach außen zu kehren. Es hat aber auch nie jemanden interessiert. Er ist besser darin, den Spaßvogel zu mimen.

Enji mustert ihn skeptisch, doch dann stellt er seine Tasse auf dem Tisch ab und richtet sich auf. Will er jetzt ernsthaft gehen? Hawks hat nicht gesagt, dass er gehen soll. Will er, dass Enji geht? Bevor er etwas sagen oder tun kann, nimmt Enji die knallpinke Decke von der Couch und wirft sie über Hawks. Dieser stutzt und schiebt den Kopf darunter hervor, während der Ältere die Fernbedienung nimmt und sie Hawks reicht.

„Such was aus. Dann bestellen wir Essen.“

Stimmt ja, wegen des ganzen Stresses hat er heute nur gefrühstückt. Sonst passiert ihm das nicht, aber heute ist auch ein nervenaufreibender Tag gewesen. Er lächelt schief, hat nicht vor, Enji jetzt rauszuschmeißen. Genau genommen kann er seine Gefühle gerade nicht sortieren, aber er will auch nicht damit allein sein.

„Und wenn sie wach wird?“, fragt er dennoch und sieht ihn an.

„Dann isst sie mit uns. Oder ich fahre sie doch nach Hause. Irgendetwas fällt uns schon ein.“

Hawks seufzt leise, hofft, dass das nicht passieren wird – also, dass sie überhaupt vor dem Morgen wach wird. Aber gut, immerhin scheint es Enji nicht viel auszumachen. Ist ja auch nicht seine Mutter, für die er sich schämen muss. Er nickt jedoch nur und kuschelt sich mehr in die Decke hinein, während er durch die Filme zappt. Natürlich einen Superheldenstreifen.

„…hast du’s eigentlich geschafft?“

Enji sieht ihn fragend an, hat sich wieder neben ihn gesetzt – in höflichem Abstand.

„Nicht zu trinken.“

Hawks weiß nicht, mit welcher Antwort er rechnen soll. Eigentlich könnte Enji ihn auch anlügen, aber er glaubt nicht, dass er das tun wird. Er war im Club – wo ihm der Alkohol halb ins Gesicht springt. Er würde es sogar verstehen, wenn der Ältere da schwach geworden ist. Nach wie vor ist es eine Sucht. Es ist hart und geht nicht von heute auf morgen, aber-

„Ja. Macht mich halb wahnsinnig, aber…ja. Bisher schon. Dass ich dachte, dir hätte so ein Perverser sonst etwas angetan, hat mich ganz gut abgelenkt, schätze ich.“

Hawks stockt und dreht ihm den Kopf zu, sieht ihn ungläubig an. Er hat tatsächlich die Finger vom Alkohol gelassen? Ja, das heißt auf Dauer nichts, aber dass er überhaupt den Willen zeigt, etwas zu ändern, das ist mehr, als Hawks erwartet hat. Zumal es schön ist, zu hören, dass sich Enji solche Sorgen um ihn gemacht hat.

„Wie du siehst – alles noch dran. Kein Schaden, der sich nicht beheben lässt“, meint er und lächelt ihn an. „Aber gut zu wissen. Du beeindruckst mich, Endeavor-san.“

„…nenn mich nicht mehr so.“

Hawks schmunzelt, widerspricht aber nicht, sondern öffnet seine App, um Lieferando abzuchecken. Er streckt dabei seine Beine unter der Decke aus und berührt mit seinen Füßen, die in roten Wollsocken stecken, Enjis Oberschenkel. Ein kleines bisschen Kontakt. Als sich eine von Enjis Pranken auf sein Bein legt, lässt er ihn.
 

Fakt ist, dass sie beide ziemlich kaputte Menschen mit einer Menge Ballast sind. Aber hey, vielleicht haben sie sich gerade deswegen gefunden. Um sich gegenseitig zu helfen. Vielleicht kann das hier funktionieren, vielleicht wird es in die Brüche gehen. Vielleicht kann Hawks nicht mit Enjis Taten umgehen. Vielleicht kann Enji nicht mit seinen Komplexen zurechtkommen. Vielleicht kann Enji dem Alkohol doch nicht abschwören. Vielleicht ist Hawks nicht für Monogamie geschaffen. Vielleicht merken sie, dass das mit ihnen auf Dauer nicht gutgehen kann. Aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht bleiben sie zusammen und schaffen es, ihr Leben zu ordnen. Wohnen zusammen, leben zusammen. Merken irgendwann, dass sie nur durch ihre Probleme zusammengehalten worden sind. Vielleicht läuft es vollkommen anders. Wer weiß das schon.

Hawks entschließt sich in diesem Moment dazu, es herauszufinden.

Endeavor

Es ist merkwürdig, wie schnell die Zeit vergangen ist. Manchmal hat er das Gefühl, die Ereignisse haben sich überschlagen. Nicht nur bei dem jungen Mann, der ausnahmsweise mal nicht auf der Bühne steht, sondern eine der Sitzecken in Anspruch genommen hat. Pinky, Gale Force und Mic sitzen bei ihm und er hört Mics lautes Organ bis zur Bar, während er ein paar Gläser abtrocknet.

Heute ist Hawks‘ Abschied. Niemand im Club kann das so richtig glauben, trotzdem der Blonde immer gesagt hat, dass er nicht ewig hier arbeiten wird. Aizawa findet das grundsätzlich vernünftig – niemand sollte sein ganzes Leben lang strippen. Hawks ist ein kluger Kopf und er wird seinen Weg als Polizist machen. Dennoch…wird er hier fehlen. Mit seinem heiteren Gemüt, den frechen Sprüchen und seiner Energie, die den ein oder anderen positiv beeinflusst hat. Er will sie zwar ab und an besuchen kommen, aber es wird nicht dasselbe sein und möglicherweise sollten Polizisten nicht in Strip-Clubs gesehen werden. Zumal es besser ist, wenn sich Hawks komplett auf seine Ausbildung konzentriert.

Er sieht zu, wie Mic Hawks auf die Schulter klopft und ihm dann ein Geschenk in Regenbogenpapier überreicht. Kitschig. Und klischeehaft schwul – was Hawks jedoch gut zu finden scheint, so wie seine Augen strahlen. Es sind neue Kopfhörer. Die neusten auf dem Markt – und vermutlich ein teures Werbegeschenk, da Mic durch seine eigene Radiosendung einen gewissen Bekanntheitsgrad genießt. Pinky will sie direkt auch mal aufsetzen und Gale Force brüllt jetzt auch noch durch den Club, was selbst die Musik nicht ganz eindämmen kann. Sie wechseln sich ab, damit sich jeder vernünftig verabschieden und mit Hawks ein paar Drinks nehmen kann. Miruko sitzt scheinbar schon auf heißen Kohlen, so wie sie immer wieder von der Bühne herübersieht. Die zwei haben seit dem ersten Tag eine gewisse Rivalität untereinander, doch Aizawa weiß, dass sie einander ebenso schätzen.

„Ich bin hier!!“

Aizawa zuckt zusammen, als ihm seitlich ins Ohr gebrüllt wird und er in Toshinoris wie immer von dunklen Schatten umrahmte, tiefblaue Augen sieht. Er trägt seinen senfgelben Anzug mit der blauen Krawatte und seine Haare stehen noch mehr ab als sonst.

„Ich hoffe, ich bin nicht zu spät?! Das Geschenk habe ich, keine Sorge, aber der Verkehr war furchtbar und als ich-“

„Trink erstmal was.“

Er unterbricht sein keuchendes Gestammel trocken, während er ihm ein Glas Wasser zuschiebt.

„Und nein. Wir wechseln uns ohnehin ab. Midnight übernimmt die Bar gleich für mich.“

„Gut, gut…dann bin ich beruhigt.“

Toshinori grinst ihn mit seinem typischen Grinsen an, das sein hageres Gesicht noch hagerer aussehen lässt. Dann beugt er sich zu ihm vor und drückt ihm einen Kuss auf die Wange.

„Und übrigens…hallo.“

Aizawas rechte Braue zuckt leicht bei dem keuschen Wangenkuss; als wären sie zwei Teenager unter Erwachsenen, die sich zu benehmen haben. An sich spricht nichts dagegen, Toshinori an seiner Krawatte zu packen und ihm zu zeigen, wie man sich begrüßt, wenn man seit einem halben Jahr zusammen ist, aber er kann damit bis zum Feierabend warten. Wenn er etwas von Toshinori gelernt hat, dann dass Slow Motion ein sehr ausdehnbarer Begriff ist.

Vielleicht ist es genau das, was ihn an dem Mann reizt; dass er die Dinge ganz anders angeht als die meisten anderen Männer – Aizawa selbst eingeschlossen. Eigentlich ist er ziemlich faul, was das Zwischenmenschliche angeht – und er kann nicht zählen, wie oft ihn die Leute schon gefragt haben, warum er Barkeeper geworden ist. So genau weiß er das selbst nicht. Inzwischen mag er die Kollegen und es ist anstrengend, sich etwas Neues zu suchen. Zumal Kan und er diesen Deal haben; er beschützt draußen, Aizawa drinnen.
 

Wie auch immer, Toshinoris Art reizt ihn. Hat sie von Anfang an und tut sie noch immer. Wenn er ihm widerspricht, tut er das auf eine Weise, die so furchtbar höflich ist, dass es einen Nerv bei ihm trifft. Die ersten Dates (ja, sie haben Dates mit Essen Gehen und dem ganzen Drumherum gehabt) sind anstrengend gewesen. Weil Toshinori ein Talent dafür hat, einem das Gefühl zu geben, dass man eine tolle Person ist. Das ist es aber auch gewesen. Kein Kuss, keine Andeutungen. Aizawa bewundert im Nachhinein seine starke Beherrschung, die dafür gesorgt hat, dass ihm erst nach Date Nummer fünf der Kragen geplatzt ist.

Normale Menschen hätten sich wohl in den Laken gewälzt – Toshinori hat ihn auf die Stirn geküsst und mit einem Lächeln gemeint, dass er kein Typ für bedeutungslosen Sex ist. Dass er ihn noch näher kennenlernen will, eben weil er ihn sehr gern hat. Aizawa hat ihm eine verpassen und davon stürmen wollen, doch stattdessen hat er ein finsteres „Von mir aus“ geknurrt und sich noch bei drei weiteren Dates in Geduld üben müssen, bis sie einen Schritt weiter gegangen sind. Gut, das Warten hat sich im Endeffekt gelohnt, aber hart ist es trotzdem gewesen.

Vielleicht ist das die Rache dafür gewesen, dass er ihn bei ihrer ersten Begegnung so abfällig behandelt hat. Vielleicht ist Toshinori einfach so ein Typ, denn scheinbar hat er jahrelang denselben Partner gehabt. Er ist zweifellos eine treue Seele und vielleicht hat er ihn nur testen wollen. Was es auch gewesen ist, Aizawa ist froh darüber, dass sie sich getroffen haben und drangeblieben sind.

Er hat sich selten so geborgen bei jemandem gefühlt, wie er es mittlerweile tut. Toshinori scheint generell so ein Typ zu sein, der gerne und viel gibt. Er kocht für sie beide. Er holt ihn oft von der Arbeit ab, weil er weiß, dass Aizawa weder Auto noch Führerschein hat. Und na ja…in anderen Bereichen gibt er ebenfalls viel.

Außerdem scheint er ihn zu durchschauen, was für viele Menschen gar nicht so einfach ist. Mic und Midnight liegen ihm ständig in den Ohren, dass er es nicht verkacken soll, weil Toshinori in ihren Augen ein Heiliger ist…und weil man scheinbar viel Geduld haben muss, wenn man mit Aizawa zusammen ist. Wessen Freunde sind die eigentlich?
 

„Ich freue mich für ihn. Er wird sicher ein hervorragender Polizist!“, kommt es euphorisch von Toshinori. „Er hat das Herz am rechten Fleck und ist so ein zielstrebiger, junger Mann!“

Womit er Recht hat. Aizawa erinnert sich noch daran, wie er vor ein paar Jahren im Club angefangen hat. Schon damals hat er ein Selbstbewusstsein ausgestrahlt, das die meisten vermutlich darüber hinwegtäuscht, dass es ihm nicht immer gut geht. Aizawa weiß nicht, was ihm passiert ist, und er hat auch nie gefragt, aber er ist nicht blind. Auch wenn ihn seine Freunde für einen unsensiblen Klotz halten, verfügt er über eine gute Menschenkenntnis.

Deswegen hat er gespürt, dass Todoroki Ärger machen wird. Er ist auch jetzt kein großer Fan von ihm und Freunde werden sie in diesem Leben garantiert nicht mehr, aber er reißt sich wegen Toshinori zusammen. Auch wenn die Information, dass die beiden vor Jahren eine Beziehung hatten, nicht gerade förderlich für eine positivere Einstellung gegenüber dem Rothaarigen ist.

„Das ist er“, erwidert er knapp auf die Worte, woraufhin Toshinori ihn warm anlächelt.

„Er wird dir fehlen, nicht wahr?“

„…er ist nicht aus der Welt“, gibt er schroff zurück.

„Das stimmt. Dennoch…er hat lange hier gearbeitet. Es ist in Ordnung, wenn du ihn vermisst.“

„Hn.“

Aizawa sagt nichts mehr darauf, weil der Blonde Recht hat, was er ihm aber nicht zugestehen will. Gefühle auszusprechen, ist nicht seine Art, und das weiß sein Freund.

„Wollte er nicht längst hier sein?“, wechselt er stattdessen das Thema und Toshinori sieht auf seine Uhr.

Er ist einer von diesen Menschen, die Uhren nicht tragen, weil sie protzen wollen oder gern Schmuck tragen, sondern weil sie altmodisch sind.

„Geben wir ihm noch ein paar Minuten“, antwortet er ihm. „Sonst rufe ich ihn gleich mal an…und sei bitte nett zu ihm.“

„Wenn er nett zu dir ist.“

Aizawa macht es mittlerweile wütender, wenn sich der Kerl seinem Freund gegenüber abfällig verhält. Ja, Toshinori kann sich wehren, wenn er will, da er aber oft zu höflich und verständnisvoll ist, tut er das nicht.

„Das wird er bestimmt sein.“

Toshinoris Lächeln ist strahlend wie die Sonne und es ist sogar für ihn schwer, da weiter missgelaunt zu sein. Dieser Mann macht ihn fertig.
 

Tatsächlich kommt Todoroki einige Minuten später mit gewohnt finsterer Miene in den Club und erfasst nur kurz Hawks, ehe er die Bar ansteuert. So wie die Augen des jungen Mannes aufblitzen, scheint er ihn sofort gesehen zu haben. Nun, Aizawa kann Todoroki nicht leiden, aber er erkennt an, dass die zwei sich wohl gegenseitig guttun. Wie sonst erklärt es sich, dass sich der Rothaarige therapieren lässt und seit einem halben Jahr trocken ist? Er trinkt wie Toshinori jedes Mal Wasser, wenn er herkommt.

Sein Freund hat ihm in groben Zügen erzählt, was damals bei dessen Familie vorgefallen ist. Der Sohn tot, die Frau hatte einen Nervenzusammenbruch. Angeblich wollen sie sich scheiden lassen, was Aizawa für Todoroki stark hofft. Immerhin vertraut Hawks ihm – und wenn er ihn unglücklich macht, wird er ihm das nicht durchgehen lassen.

„Du bist spät dran“, lautet Aizawas Begrüßung, als er ihm das Glas mit Wasser zuschiebt.

Todoroki funkelt ihn an.

„Ich hatte noch einen Termin. Hawks weiß das.“

„Ah“, macht Aizawa bloß, woraufhin Toshinori schief lächelt.

„Nun sind wir ja alle da und können ihm das Geschenk geben, nicht wahr?“, versucht er die Wogen zu glätten.

Wie auf Stichwort steht auch schon Midnight neben ihm. Breit grinsend stößt sie ihm mit dem Ellenbogen in die Seite und funkelt ihn durch ihre rote Brille an.

„Na los, geh schon! Ich habe hier alles im Griff!“

Aizawa brummt genervt, doch er sagt nichts weiter, sondern folgt den anderen beiden zum Tisch. Hawks trägt mittlerweile einen dunkelroten Hoodie mit der Aufschrift Dancing Queen über seinem Shirt – anscheinend Minas Geschenk für ihn. Die neuen Kopfhörer hängen um seinen Hals und mehrere Gutscheine für Kentucky Fried Chicken liegen auf dem Tisch. Miruko und Mic räumen das Feld, als sie sehen, dass sie dazu kommen, sodass mehr Platz in der Sitzecke ist, wobei Miruko ihm noch einmal durch die Haare wuschelt.

„Da seid ihr ja!“, kommt es freudig von Hawks, der nun noch zerrupfter als sonst aussieht. „Dachte schon, ihr versetzt mich!“

„…du wusstest, dass ich später komme, und scheinbar warst du ja in guter Gesellschaft“, erwidert Todoroki schroff wie immer.

„Eifersüchtig? Du weißt doch, keine Gesellschaft ist besser als deine, Liebling!“

„Du verletzt meine Gefühle, Hawks“, fügt Pinky schwer seufzend hinzu und kippt leicht gegen ihn.

„Sorry, Pinky, aber das Herz will, was das Herz w-“

„Mach dein Geschenk auf“, unterbricht Aizawa ihn und drückt ihm selbiges in die Hand.

Hawks muss schmunzeln, beginnt aber sofort damit, es aufzureißen.

„Dein Grumpy-Face wird mir fehlen, Aizawa“, meint er, während er das Captain America-Papier aufreißt. „Übrigens ist das Papier voll cool, Toshi!“

Toshinori lächelt ihn warm an und tatsächlich hat er es eingepackt. Nun, vermutlich hat Todoroki Hawks erzählt, was für ein Superheldenfan und vor allem vom Captain Toshinori ist. Aizawa muss an die Sammlung von Marvelfilmen denken und seufzt innerlich; er selbst hat nicht viel dafür übrig, aber er schaut sie trotzdem mit ihm. Wenn er ehrlich ist, mag er Venom.

„Oh…das…ist…ich meine…wow!“, hört er Hawks sagen und blickt auf.

Anscheinend gefällt es ihm wirklich, so gebannt, wie er sich das Foto anschaut. Ein Gruppenfoto. Von allen Mitgliedern des Clubs – es gibt niemanden, mit dem sich Hawks nicht versteht, also sollte es wohl passen. Auch diese Idee kommt von Toshinori und auch, wenn Aizawa Fotos nicht mag, ist er doch froh, auf ihn gehört zu haben. Eine Erinnerung an die Zeit mit ihnen allen.

„Danke, Leute! Das bekommt auf jeden Fall einen Ehrenplatz!“, meint Hawks und seine Augen glänzen.

„Vergiss dein zweites Geschenk nicht“, brummt Todoroki und deutet auf das kleinere Päckchen.

„Noch eins? Ihr müsst mich echt gernhaben!“

Er packt auch das kleine Paket aus, wobei er immer noch gerührt wirkt. Stripclubs mögen nicht den besten Ruf haben, aber für Hawks ist das hier wohl sowas wie ein Zuhause gewesen. Er hat sich zweifellos bei ihnen wohlgefühlt.

„Nicht euer Ernst…ihr seid echt…der bekommt auf jeden Fall auch einen Ehrenplatz!“

Der Blonde grinst breit und hält das kleine Polizeiauto hoch, damit sie es besser sehen können.

„Es freut mich, dass dir die Geschenke gefallen, Hawks-kun“, kommt es ehrlich von Toshinori. „Immerhin wirst du morgen einen neuen Weg bestreiten. Dabei wünschen wir dir viel Glück und Erfolg.“

„Aww, Toshi…“

„Und los wirst du uns trotzdem nicht, klar?! Nur weil du bald Bulle bist, brauchst du nicht denken, dass wir dich vom Haken lassen!“, fällt Pinky mit ein und stupst ihn in die Seite. „Wir kommen dich besuchen – und Aizawas Freund ist doch der beste Freund von deinem Freund. Ihr seht euch also auch weiterhin!“

„Ein Treffen zu viert klingt wirklich schön“, stimmt Toshinori ihr zu und Aizawa entgleist das Gesicht.

„Ein Doppeldate? Cool! Da sind wir dabei!“

„Sind wir nicht!“, zischt Todoroki seinen Freund an, welcher sich davon nicht beirren lässt und einen Arm um ihn schlingt.

„Hört nicht auf ihn! Das machen wir mal!“

„…einfach nein“, murrt Aizawa, auch wenn er nun mit Todoroki einer Meinung ist.

Leider ist Toshinori sehr hartnäckig, wenn er überzeugt von etwas ist, und so lächelt er ihn nur nachsichtig an und tätschelt seine Schulter.

„Ach was…das wird toll! Hawks-kun und ich planen das bei Gelegenheit.“

Was bedeutet, dass Todoroki und er nicht wirklich eine Wahl haben. Gott. Warum? Er sagt nichts weiter dazu, denn auch wenn er gegen ein Doppeldate ist, so hat er nichts dagegen, den Kontakt zu Hawks beizubehalten.

Er beobachtet, wie Pinky mit einfällt und die Idee weiter ausdehnt. Von Picknick im Park bis zu Escape-Rooms. Hawks und sie lachen laut los, während Todoroki finster dreinschaut. Dennoch entgeht Aizawa das leichte Zucken der Mundwinkel nicht, was wohl bedeutet, dass er nicht so schlecht gelaunt ist, wie es den Anschein macht. Vielleicht liegt das daran, dass Hawks lächelt. Nicht dieses vorgeschobene Lächeln, das er so oft gezeigt hat, auch wenn es ihm nicht gut geht.

Hawks‘ Freude ist echt, ebenso wie das Strahlen in seinem Gesicht. Aizawa sieht und hört ihnen beim Diskutieren und Witze Machen zu, lehnt sich dabei etwas an Toshinori, der den Arm um ihn legt und seine Schulter drückt.

Ja. Hawks wird seinen Weg schon machen.
 

Es ist spät, als sie den Club verlassen – und es dauert, bis sie endlich im Wagen sitzen. Obwohl Hawks ihnen versichert hat, dass er vorbeischauen und sich melden wird, haben ihn manche seiner Kollegen bestimmt dreimal umarmt. Auf der Rückbank liegen die Geschenke – viel mehr als er erwartet hat. Genau genommen kann er sich nicht erinnern, wann er jemals so viel Aufmerksamkeit dieser Art bekommen hat. Er weiß, dass dieses Gefühl, das nicht verdient zu haben, von früher herrührt. Deswegen versucht er, es zu verdrängen und sich stattdessen auf die positiven Gefühle zu konzentrieren. Sie haben sich wirklich Gedanken um ihn gemacht. Sie mögen ihn und werden ihn vermissen. Ein bisschen Wehmut ist schon dabei, denn er hat diesen Job gern gemacht. Er ist gern im Club gewesen. Allerdings freut er sich trotz aller Nervosität darauf, endlich den Weg zu gehen, den er schon immer gehen wollte. Ihm ist fast ein wenig schwindelig bei all diesen Gefühlen.

Als Enji nicht losfährt, wirft er ihm einen fragenden Blick zu; stimmt etwas nicht? Hoffen will er es nicht, immerhin läuft alles gerade fast schon zu gut.

Enji hat Wort gehalten und sogar eine Therapie begonnen. Er ist seit einem halben Jahr trocken und auch wenn es Hawks manchmal schwerfällt, sein gesundes Misstrauen zu ignorieren, ist er glücklich mit ihm. Die Sucht wird wohl immer ein sensibles Thema für ihn sein, aber es bringt nichts, sich ständig Sorgen zu machen. Er will Enji vertrauen und dieser gibt sich Mühe, das weiß er.

Seine Kinder sind seitdem nicht mehr vorbeigekommen. Dass dies Enji immer noch stark belastet, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber gut, es sind 6 Monate vergangen, das ist nicht viel Zeit. Vielleicht sind sie irgendwann so weit und kommen noch mal auf ihren Vater zu. Vielleicht kann Enji irgendwann auf sie zugehen. Das wird sich zeigen.

Immerhin scheint die Scheidung voranzugehen. Rei will wohl ebenso mit der ganzen Geschichte abschließen, wie Enji es will. Es stört Hawks, dass sie sich vor einer Weile getroffen haben, doch er ist erwachsen genug, um daraus kein Drama zu machen. Die beiden sind sich einig, dass diese Ehe vorbei ist, und das ist alles, was Hawks wissen muss. Wie gesagt, er vertraut Enji.

Immerhin wohnen sie mittlerweile zusammen, da sollte das wohl eine Voraussetzung sein. Es läuft wirklich gut und Hawks fühlt sich zum ersten Mal annähernd sicher. Vielleicht, weil Enji ihn genauso braucht, wie er ihn. Diesmal ist alles anders als sonst.

Außerdem ist es ein gutes Omen, dass seine Eltern nicht wieder aufgetaucht sind. Ja, er hat nun eine neue Adresse, die sie hoffentlich nie erfahren werden, doch das letzte Mal, als sein Vater bei seiner alten Wohnung geklingelt hat, hat Enji die Tür geöffnet. Scheinbar hat ein muskelbepackter Hüne genug Eindruck gemacht, um ihn in die Flucht zu schlagen. Seitdem ist Funkstille und Hawks fühlt darüber nichts als Erleichterung. Seine Eltern sind nicht sein Problem. Er wird sich weder weiter von ihnen erpressen lassen, noch sich darum scheren, ob sie klarkommen. Er hat genug unter ihnen gelitten – und jetzt beginnt verdammt noch mal sein eigenes Leben. Das wird er sich nicht kaputtmachen lassen. Nie wieder.
 

„Was ist los?“, fragt er ruhig, als Enji weiterhin schweigt.

Hawks hat sich vorgenommen, dass er auf Rückfälle vorbereitet ist. Es ist dem Rothaarigen ernst mit ihm und seinen Versprechen, daran glaubt Hawks fest. Dennoch ist er nur ein Mensch. Fehler sind menschlich. Er möchte nur davon erfahren.

„Die Scheidungspapiere sind vorhin gekommen.“

Hawks braucht einen Moment, dann entweicht ihm der Atem, den er unweigerlich angehalten hat.

„Das ist…gut, oder nicht?“, zwingt er sich zu fragen, obwohl sein Herz rast.

Die Papiere sind da. Damit ist die Scheidung offiziell. Es wird einen Abschluss für Enji geben…und einen Neuanfang für sie beide.

„Ja. Das ist es“, erwidert Enji und sieht ihn nun doch an. „Es ist gut so. Für Rei und mich. Für uns alle…aber es kommt mir…unrealistisch vor.“

Hawks greift nach seiner großen Hand und drückt diese, wobei er ihn anblickt.

„Kann ich mir vorstellen. Es ist in Ordnung, so zu fühlen, wie du…deswegen fühlst.“

Enji zuckt mit den Schultern, entzieht ihm aber nicht die Hand. Ein paar Sekunden bleibt er still, sieht vor sich hin.

„…ich dachte, ich wäre erleichtert, aber irgendwie…ist es nur komisch. Versteh mich nicht falsch. Es ist das, was ich wollte…und immer noch will. Wegen uns. Wegen allem, aber…es fühlt sich komisch an.“

Hawks nickt und tatsächlich muss er sein Verständnis nicht heucheln. Rei und Enji haben so eine lange Geschichte mit Höhen und Tiefen…vermutlich sind diese widersprüchlichen Gefühle normal. Sie sind verheiratet gewesen. Haben sich geliebt. Dann ist alles zerbrochen und nun…ist es vorbei. Vielleicht sind sie irgendwann so weit, dass sie wieder miteinander sprechen können. Hawks glaubt Enji, wenn er sagt, dass da keine Gefühle mehr sind, die in die alte Richtung gehen. Aber die beiden haben ein Kind verloren. Möglicherweise kann es helfen, wenn sie irgendwann darüber reden können. Hawks weiß es nicht, aber es ist für ihn in Ordnung. Trotz Bedenken und Eifersucht wird er dies akzeptieren. Weil er Enji liebt und an diese Beziehung glaubt.
 

„…aber schon gut“, lenkt Enji plötzlich ein und winkt mit der anderen Hand ab. „Eigentlich…ich wollte…also, weil heute dein letzter Tag ist…wollte ich dir was geben.“

Hawks lässt zu, dass er ihre Hände loslässt, und lächelt schief.

„Dachte, du hast dich an den Geschenken von vorhin beteiligt?“, meint er, da er wirklich nichts erwartet hat.

„Ich habe das Foto mit Toshinori gemacht. Sonst nichts.“

Wie er das sagt, klingt es, als sei es tatsächlich nichts. Aber er hat sich mit den anderen über ihn Gedanken gemacht und das ist Hawks genug wert. Doch er sagt nichts dazu, sondern sieht neugierig zu, wie Enji eine längliche Schachtel aus der Manteltasche fischt.

„Hier.“

Hawks neigt den Kopf, während er die Schachtel behutsam öffnet – das Geschenkpapier aufzureißen, ist ihm nicht so schwergefallen. Gespannt nimmt er den Deckel ab und muss dann lächeln. Eine Uhr. Eine zweifellos sehr teure Uhr. Aus braunem Leder und mit einem glänzenden, dunkelroten Ziffernblatt. Hawks hat noch nie eine Uhr besessen, soweit er sich erinnert. Er trägt Ohrringe und Ketten…aber Uhren? Irgendwie hat das was von Erwachsenwerden.

„Dreh sie um.“

Hawks runzelt die Stirn, nimmt die Uhr aber aus der Schachtel und sieht auf die Rückseite. Er stutzt, hat das so nicht erwartet. Er muss schmunzeln, sucht dann wieder Enjis Blick, welcher tatsächlich etwas nervös wirkt.

„Also erstmal…sie ist wunderschön“, meint er, ehe er grinsen muss. „Aber die Gravur ist…ich meine, du weißt schon, dass ich dir nicht weglaufe, oder? Du musst nicht deinen Namen eingravieren, wie diese Typen, die ihren Freundinnen Ketten mit ihrem Namen schenken. Auch wenn das irgendwie süß ist. Wusste nicht, dass du so ein Romantiker bist, hehe…“

Enji starrt ihn an. Dann wird er so knallrot, wie es seine Haare sind, und Wut blitzt in seinen Augen auf.

„Das…das ist…rede nicht so einen Unsinn!“, blafft er ihn an, doch Hawks ist weiterhin amüsiert. „Das ist doch gar nicht der Grund!“

„Da steht Endeavor drauf.“

„Natürlich steht das da!“, knurrt Enji und verschränkt die Arme vor der Brust. „Aber nicht, weil ich…dich besitzen will oder so einen Scheiß. Es ist…Endeavor bedeutet Bestrebung. Sie haben mich damals so genannt, weil ich…ehrgeizig war. Weil ich alles zu erreichen versucht habe, was ich wollte. Auf deiner Uhr steht Endeavor, weil ich…mir das auch für dich wünsche. Dass du deine Ziele erreichst. Dass du nach dem Bestmöglichen strebst und erfolgreich wirst. Ich weiß, dass dir das wichtig ist und dass du das Zeug dazu hast und…egal, was passiert, ich werde dich dabei unterstützen.“

Hawks sieht ihn mit großen Augen an…und für einen Moment ist er nicht fähig, irgendetwas zu sagen. Die Worte bedeuten ihm so viel, dass er sprachlos ist – was sehr selten der Fall ist. Er weiß nicht, wie er damit umgehen soll, denn er ist es nicht gewöhnt, dass jemand so hinter ihm steht. Dass ihn jemand liebt. Dass Enji das tut, steht außer Frage. Bei all seinen eigenen Problemen vergisst er Hawks‘ Probleme nicht und ist für ihn da. Er hat seit Jahren nicht geheult, sich das irgendwann abgewöhnt…aber gerade ist er nahe dran.

„…Hawks?“

Vielleicht ist er etwas zu lange zur Salzsäule erstarrt.

„Ich…tut mir leid, ich bin nur…“

Scheiße. Seine Stimme zittert. Er muss sich zusammenreißen. Ist ja peinlich. Enji sieht ihn schon so seltsam an. Bevor das Ganze noch schlimmer wird, schlingt er einfach die Arme um Enjis breiten Nacken, auch wenn das im Auto etwas unbequem ist. Egal. Er drückt sich fest an ihn und atmet durch, während sich die Arme des anderen um ihn legen.

„…danke. Wirklich, ich meine…das ist ein tolles Geschenk. Du hast dir so viele Gedanken gemacht.“

Enji vergräbt die Nase in seinen Haaren und hält ihn einfach nur. Es ist schön. Er gibt ihm die Sicherheit, die ihm so oft im Leben gefehlt hat. Enji wird nicht weggehen.

„Komm. Wir fahren nach Hause“, brummt er ihm zu und Hawks muss lächeln, während da noch dieser Kloß in seinem Hals feststeckt. „Und lösen auf dem Weg die Gutscheine für diesen ungesunden Fraß ein…“

Hawks muss lachen, auch wenn seine Stimme noch etwas belegt ist.

„Klingt gut“, meint er, lässt ihn aber nicht los. „…gucken wir auch einen Film?“

„Machen wir.“

„Marvel?“

„Ja.“

„Und danach haben wir megamäßigen Sex?“

„…dafür müsstest du mich loslassen.“

„Fällt mir gerade schwer. Du darfst mir nicht so tolle Geschenke machen.“

„Gewöhn dich nicht dran.“

„Oi!“

Er muss grinsen und schmiegt das Gesicht noch mal fest gegen Enjis Hals, ehe er ihn dann aber doch freigibt. Während Enji losfährt, nimmt er die Uhr wieder an sich und streicht mit dem Daumen über die Gravur. Bestrebung. Und wie er danach streben wird, etwas zu erreichen. Nicht nur, was seine Ausbildung bei der Polizei angeht. Er will etwas aus seinem Leben machen…und glücklich sein. Mit Enji. Das, was sie haben, ist ihm wichtig. Sie haben es bis hierhin geschafft und er will nicht, dass es endet.

Schweigend legt er sich die Uhr an, ehe er die Hand auf Enjis breitem Oberschenkel platziert. Es dauert nicht lange, bis sich Enjis Finger um die seinen schließen. So, wie es sein muss.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu!
Neues Projekt, das mich gefesselt hat.
Schon seit ner Weile muss ich immer daran denken und mit der Hilfe von Lichtregen hat das Ding recht schnell Gestalt angenommen.
Vermutlich wäre es ohne sie jetzt gar nicht on...geschweige denn gebetat. <3
Kapitel kommen nach und nach, weil ich mich hier nicht stressen möchte.
Kommentare wie immer gern gesehen. ;)
Schönen Abend noch! ^^

(Guckt gerne in die FF Dead End von Lichtregen rein, es lohnt sich)

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heyho!
Die letzten Wochen waren eine Talfahrt.
Daher tat es eigentlich ganz gut, sich in die FFs zu stürzen.
Ich habe vor allem an Abyss gearbeitet und hier noch mal ein ganz großes Danke an Lichtregen, ohne die das alles nicht funktioniert hätte.
Beta, Muse, Emotionaler Support...man kann sich wirklich glücklich schätzen, wenn man eine so gute Freundin hat. <3
Wort zum Samstag.
Hoffe, ihr genießt das Kapitel. ^^

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu,
hoffe, ihr seid alle gut ins neue Jahr gekommen.
Ich musste erstmal den plötzlichen Tod meiner Katze verarbeiten und deswegen wird das Kapitel jetzt zum einen meiner lieben Minou und zum zweiten der lieben Lichtregen und ihrem Baby gewidmet. <3
Hoffe, ihr habt ebenso viel Freude an Hawks' Dreistigkeit wie ich. ;)

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und weiter geht's und für Enji wird's irgendwie nicht leichter.
Wäre ja auch zu einfach.
Drama muss sein unso. ;)
Danke geht an Lichtregen, die trotz Mama-Job fleißig betat. <3
Hoffe, ihr habt Freude dran.

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heyho!
Habe mir mal einen doppeldeutigen Titel gegönnt.
Konnte nicht anders. :D
Mal ein kleiner Einblick in Hawks' Leben und ich hoffe, er gefällt euch...auch wenn er nicht so positiv ist.
Drama unso.
Danke an Lichtregen, die fleißig gebetat hat. <3

LG Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das wars.
Das letzte Kapitel bzw. der Epilog und das, obwohls keinen Prolog gab. o_o
Ich muss sagen, das Baby lag und liegt mir immer noch sehr am Herzen.
Weiß es noch, als wäre es gestern, als Lichtregen und ich diese FF zusammengesponnen haben, weil mir die ganzen Hawks Hoe/Stripper-FFs nicht gefielen und ich unbedingt was eigenes machen wollte.
Wichtig war mir, dass Hawks niemand ist, der gerettet werden muss.
Hawks ist hier so wie auch bei bnha jemand, der sich selbst retten kann und nicht die Jungfrau in Nöten ist.
Er hat eine innere Kraft, die Enji eben nicht hat. Mental ist er schwächer als Hawks und ich finde genau das macht die Beziehung so interessant.
Natürlich hat er Probleme und braucht irgendwo Halt...aber Enji braucht ihn halt dringender.
Ich hoffe, ich konnte das auch so rüberbringen und ihr habt dieses kleine Projekt mit seinen Höhen und Tiefen genossen.
Da ich schlecht loslassen kann, wird es bei Interesse bestimmt noch den ein oder anderen OS geben.
Es passte für mich nicht mehr in die FF, aber es kommen da sicher noch ein paar Puzzleteilchen. Vielleicht habt ihr ja auch Wünsche. :)
Vielen, vielen Dank noch mal an Lichtregen, die mich trotz Mama-sein immer unterstützt, inspiriert und jedes Kapitel fleißig gebetat hat. <3
Schaut gern in ihre FF rein: Dead End

Man sieht sich. :D

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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von: Lichtregen
2021-12-19T18:00:00+00:00 19.12.2021 19:00
Huhu!
Gut, dass ich mir die Kommis aufgespart habe, so habe ich was Sinnvolles zu tun, während wir warten, dass endlich was passiert. XD
Und gern geschehen! Ist ja nicht so, dass ich nicht auch davon profitieren würde, wenn du an der FF schreibst. ;)
Enji tut mir, wie in eigentlich jedem der Kapitel, echt leid. Bisher weiß man ja noch nicht, was konkret vorgefallen ist. Aber dass Enji nun ein Wrack ist, das seinen Kummer in Alkohol ertränkt und ihn sogar in einen Stripclub, der ja sonst sooo was von unter seiner Würde ist (wer’s glaubt XD), reinstolpern lässt, lässt darauf schließen, dass es etwas sehr Ernstes ist, was man nicht so einfach wegsteckt. Gerade da Enji ja ansonsten eher wie der wenig emotionale Kerl erscheint.
Ich finde es auch sehr amüsant, wie sehr Enji sich immer dafür hasst und angeekelt ist, dass er in einem Stripclub war. Dabei ist da echt nichts dabei. Aber er ist alt und verstaubt, lassen wir ihm seine Verbohrtheit. XD
Ist es übrigens komisch, dass ich Enji mit nassen Haaren und in Jogginghose und Muskelshirt sexy finde? XD
Von Aizawa bin ich in dieser FF auch ein großer Fan. Enji ist ja schon ruppig, aber Aizawa setzt den Ganzen oft noch die Krone auf. Wobei er ja Recht hat, wenn er Enji indirekt zurechtweist und ihm einen guten Abend wünscht, was Enji nicht getan hat.
Bei Hawks‘ provokanten Sprüchen würde es mir aber auch schwer fallen, meinen Plan zu verfolgen und mich zu entschuldigen. Klar, Enji fährt generell schnell aus der Haut, aber Hawks treibt es auch echt immer zu weit. XD
Und dann dieser Vorschlag mit den Chicken Wings. Ich an Enjis Stelle würde da auch eine Falle wittern. XD
Und wie Enji von Aizawa die Knochen gebrochen kriegt. Haha. XD Höchstens mit Kans Hilfe, ne? ;)
Und was fällt Hawks eigentlich ein, so guter Menschenkenntnis zu besitzen, dass er ahnt, dass Enji eine schlimme Zeit durchmacht? ;) Aber kann ja keiner ahnen, dass das bei Enji eine Panikattacke auslöst. Ich an Hawks‘ Stelle wäre davon auch nicht ausgegangen.
Und jetzt hat Enji noch einen Grund mehr, sich zu entschuldigen. Das Ganze ist schön nach hinten losgegangen. ^^‘
Ich freue mich auf weitere Kapitel! Ich hoffe, ich komme dann auch noch dazu, dir einen würdigen Kommentar zu schreiben. >_<
Hdl
Ali
Von: Lichtregen
2021-12-02T10:34:26+00:00 02.12.2021 11:34
Endlich ist die FF online! :) Ich weiß noch, wie wir bei dir nachts darüber gesponnen haben, eine… gute FF mit EndHawks und Stripclub zu schreiben. ;) Und wie viel du aus dieser anfänglich winzigen Idee herausgeholt hast, ist wirklich beeindruckend! Aber mal der Reihe nach. :)
Es amüsiert mich sehr, wie Enji, betrunken hin oder her, so von oben herab über die Leute denkt, die einen Stripclub besuchen. Weil er sich für was Besseres hält, weil er über so etwas ja erhaben ist. Und dann kommt er doch immer wieder. XD Natürlich aus gaaaanz anderen Gründen, klar. ;D Enji, der Sittenwächter, der sich schon schlecht fühlt, wenn er bei den Shows zuguckt. Ach Enji… XD Gucken ist doch erlaubt.
Aizawas erster Auftritt war auch sehr gelungen. Er oder so perfekt in diese Rolle des desinteressierten, aber trotzdem wachsamen Barmannes. Haha. XD
Und Hawks‘ erster Auftritt… Also das Polizistenkostüm hat es mir ja eh angetan (wieso nur? ;P), aber wie du den Tanz beschrieben hast. Sehr heiß. :)
Das Beste war natürlich, wie Hawks Enji einfach nur volllabert. Enji will einfach nur seine Ruhe (ok, in einem Stripclub eher schwer zu bekommen XD) und Hawks textet ihn einfach weiter zu. Wie er so dreist nach seinem Namen fragt und dann die Sache mit dem Whiskey. Das hat den Vogel abgeschossen. XD Also nicht Hawks, du verstehst schon. ;) Hawks, der Banause („Das tust du nicht.“ XD)! Aber ich kann ihn gut verstehen.
Und Enji wird sie einfach nicht los, die dreiste Klette, die auch noch seinen Lieblingsdrink verhunzt. Ach, die ganze Szene war einfach toll und hat mich sehr amüsiert. :D
So gemein und abweisend, wie Enji zu ihm war, hat er es eigentlich nicht verdient, dass sich Hawks um ihn kümmert und ins Taxi setzt. Aber Hawks ist halt ein guter Kerl. Dass er so viel getrunken hat, wird Enji mit Sicherheit noch bereuen. Das kommt dann auch auf die Liste mit den Dingen, die er ungeschehen machen möchte. ;)
Also zusammengefasst war das ein sehr unterhaltsames erstes Kapitel. Da fragt man sich unweigerlich, wie das wohl weitergeht, so ablehnend, wie Enji Hawks gegenüber war. Ich freue mich auch immer noch sehr darüber, dass du hier so viel Tiefgang in die Story bringen wirst und es nicht nur um stupides Rumgeficke oder die körperliche Anziehung geht. Freu mich auf mehr!
Knutscha
Ali


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