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Meteoritenfänger

von

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Tscheljabinsk

Aus irgendeinem Grund nahm Kai an, dass Yuriy sie am Ohr packen und ins Zimmer schleifen würde, um ihnen dort den Marsch zu blasen. Stattdessen renkte er Kais gebrochene Nase mit einem sehr hässlichen Geräusch und viel Gefluche auf Kais Seite wieder ein. Dann, nachdem der Blutstrom ein wenig versiegt war, trotteten Boris und er ihm schweigend hinterher wie zwei nasse Ratten, komplett durchtränkt von Regenwasser und Matsch.

Das Zimmer war nichts Besonderes, aber bequem genug. Es gab ein breites Bett und eine Couch, die ausgezogen und zur Schlafstätte gemacht worden war. Hinter den Fenstern wogten dunkel und bedrohlich die Schatten der sibirischen Tannen im Sturmregen. Keiner von ihnen achtete sonderlich darauf.

„Dusche“, sagte Yuriy und deutete auf Boris. „Du zuerst.“

Einen Moment lang machte Boris den Anschein, als ob er protestieren wollte, aber Yuriy schaute ihn so wütend an, dass er das Gesicht verzog und stillschweigend ins Badezimmer trottete, um die Tür hinter sich zuzuknallen. Kai sah zu, wie Yuriy die Sporttasche durchwühlte und Boris frische Kleidung durch die Tür reichte, ehe er Kai zunickte.

„Zieh dich aus“, kommandierte er.

Kai hob die Augenbrauen. „Kaufst du mir vorher nicht mal Abendessen?“

Er sah mit Erstaunen, dass sich ein Hauch von Farbe in Yuriys bleiche Wangen schlich. Hinter ihnen ging die Dusche an, das Geräusch mischte sich mit dem Regen, der immer noch gegen die Fensterscheiben prasselte. Yuriy machte einen tiefen Atemzug, massierte sich die Nasenwurzeln, dann wandte er sich ab. Plötzlich sah er müde aus, müde genug, dass Kai keine Lust mehr hatte, ihn zu triezen. Also gab er nur einen tiefen Seufzer von sich und schlüpfte neben der Tür aus den Stiefeln, dann knöpfte er sich das verdreckte Hemd auf. Er fühlte Yuriys Blick auf sich. Die Haare in seinem Nacken stellten sich auf. Er atmete tiefer, bezwang das Prickeln, das durch den Kampf und das ausgelöste Adrenalin so schnell zu ihm kam. Als er aufsah, hielten sie beide einen langen Moment still, wie auf der Lauer, während sie sich ansahen.

„Die Hose auch?“, fragte Kai leise.

Yuriy blinzelte, dann nickte er abrupt. „Wenn du schon dabei bist.“

„Wenn ich schon dabei bin“, wiederholte Kai und grinste amüsiert, aber er tat wie geheißen. Er warf die Hose zum Hemd und ließ sich dann auf das Bett fallen, nur um dann die Lippen zu einem Lächeln zu verziehen, als er sah, wie Yuriy, der selten bis nie trank, eine Wodkaflasche herauszog, den Verschluss öffnete und einen sehr kräftigen Schluck davon machte. „Harten Tag gehabt?“

„Halt‘ die Klappe“, sagte Yuriy und trank noch einen Schluck. „Und?“, fragte er dann beißend, „Wie war es, Boris zu küssen?“

Kais Augenbrauen wanderten in die Höhe. „Eifersüchtig oder was?“ Er lachte kurz und nicht gerade fröhlich. „Das wär‘ jetzt echt noch die steilste Aktion.“

„Nein“, sagte Yuriy eisig, fuhr sich durch die Haare, schnappte dann eine abgegriffene Blechbox aus der Sporttasche und setzte sich damit neben ihn. Die Flasche stellte er am Nachttisch ab. Er saß so nah, dass ihre Knie sich berührten und der raue Stoff von Yuriys Jeans über Kais Haut kratzte. Yuriy öffnete die Box, holte einen Wattebausch und Desinfektionsmittel hervor und tränkte Ersteren in letzterem. Kai hielt still, als Yuriy die Hand hob und sachte seine Unterlippe abtupfte, durch die der Schmerz pulsierte. Er atmete kaum, fantasierte dafür stillschweigend umso intensiver, auf Yuriys Schoß zu rutschen und die schmerzenden Lippen auf seine zu drücken, bis sich Yuriys lange Finger in sein Haar wanden. Yuriy senkte ein wenig die Augenlider, als ob er genau wusste, was Kai dachte. Er verharrte - der Bausch wurde fester gegen Kais Lippe gedrückt als nötig, aber Kai hatte nur Augen für die Art und Weise, wie Yuriys lange, dunkle Wimpern einen Moment über seine Wangen strichen wie Schatten.

Die Badezimmertür ging auf. Boris kam heraus und brachte einen Schwall Dampf mit sich. Er hatte die Jogginghose angezogen, die Yuriy ihm gereicht hatte, aber der Rest war bis auf ein nachlässig um seinen Hals gelegtes Handtuch glorios nackt. Einen Moment verharrte er auf der Türschwelle; Kai fühlte es mehr als dass er es sah. Dann setzte er sich in Bewegung und ließ sich hinter Yuriy auf dem Bett nieder, griff nach der Flasche und nahm ebenfalls einen großzügigen Schluck Wodka. Sein Auge war fast zugeschwollen und es schien fast, als ob es mit jeder verstreichenden Sekunde dunkler wurde, aber er wirkte nicht so, als ob es ihn sonderlich störte.

Yuriy legte den Bausch beiseite und schloss die Box. Während er mit einem tiefen Einatmen die Fingerspitzen gegen seine geschlossenen Augenlider drückte, wechselten Kai und Boris über seinen gebeugten Kopf hinweg einen Blick. Kai hatte nicht vergessen, wie es sich angefühlt hatte, Boris zu küssen. Die Erinnerung brannte in seiner Nase und auf der gespaltenen Lippe, die Yuriy noch Momente zuvor abgetupft hatte. Nun biss er sich darauf und schmeckte das ferne, kupferne Echo von Blut. Ja, da war ein Weg. Boris und er mochten seine Differenzen haben, aber es war nicht unrettbar, bei weitem nicht - und angesichts des Blicks, den Boris ihm in diesem Moment zuwarf war er sich recht sicher, dass dieser ähnlich dachte.

„Also“, sagte Yuriy, als ob er seine Gedanken erraten hatte und blickte auf, „ihr seid euch scheinbar doch nicht ganz so spinnefeind, hm?“

„Hab‘ nie behauptet, dass Hiwatari nicht heiß ist“, sagte Boris. Kai sah zu, wie er die Hände erstaunlich sachte auf Yuriys Schultern legte und dann mit langen, langsamen Bewegungen an seinen Armen auf und ab strich, als ob er ihn aufzuwärmen versuchte. Sein Blick jedoch blieb auf Kai gerichtet, genau wie Yuriys. „Und du kannst das genauso wenig. Ich hab‘ den Fickblick genau gesehen.“

„Den Fickblick“, wiederholte Yuriy langsam. Seine Lippen zuckten.

„Der Blick, mit dem du ihn angesehen hast, als wär‘ er das Schnitzel, das du unbedingt klopfen willst“, sagte Boris ungerührt.

Kai kratzte sich an der Oberlippe in dem Versuch, nicht über Yuriys resignierten Gesichtsausdruck zu lachen. „Nun, ich denk‘ er hätte einen passenden Hammer in der Hose.“

„Der Mann versteht mich.“

Yuriy rieb sich über das Gesicht. „Gefällt mir diese plötzliche Verbrüderung? Ich hab‘ das Gefühl, ich sollte dankbar sein, aber ich weiß nicht, ob mir das gefällt.“

„Du bist nie zufrieden.“ Kai fühlte erneut das Prickeln auf seiner Haut, als Boris ohne den Blick von ihm abzuwenden eine rote Strähne zurückstrich und dann mit den Lippen über die Außenlinie von Yuriys Ohrmuschel glitt. Yuriy schloss die Augen, atmete sichtlich aus und neigte ein wenig den Kopf, um Boris besseren Zugang zu gewähren, bis dieser deutlich hörbar für alle gegen seine Haut wisperte: „Ich hab‘ gesehen, wie sehr du ihn küssen willst.“

Yuriy öffnete die Augen. Sein Blick brannte bis in Kais Kern und traf ihn in seiner Wucht vollkommen unvermittelt.

„Ja“, murmelte Yuriy, und Boris drückte sich ein wenig mehr von hinten an ihn wie ein schützendes Bollwerk.

„Tja“, sagte Boris und gab dann einen knochentiefen Seufzer von sich, der Yuriy dazu brachte, sich ein wenig zu versteifen. Noch ehe er sich jedoch umdrehen konnte, um die Frage zu stellen, die deutlich auf seinen Lippen lag, hatte Boris schon an ihm vorbei einen Arm nach Kai ausgestreckt und fasste ihn jetzt am Handgelenk, um ihn näher heranzuziehen.

„Komm‘ schon, Hiwatari“, sagte er leise, „Yuriy zu küssen ist verdammt großartig.“

Kai sah ihn an. Das war eine Seite an Boris Kuznetsov, die er immer ein wenig geahnt, aber nie gesehen hatte - eine tiefe Großzügigkeit, die so vielleicht nur Yuriy bisher gekannt hatte. Es brachte ihn dazu, ein bisschen weniger Bastard zu dem Mann sein zu wollen und so leckte er sich über die Lippen und sagte: „Ich werde ihn dir nicht wegnehmen. Ich wollte ihn dir nie wegnehmen.“

„Ich bin hier“, erinnerte Yuriy, aber seine Worte hatten keine Hitze.

Boris drückte einen Kuss in Yuriys Halsbeuge, grub dabei ein wenig die Finger in das Fleisch seiner Arme. Dann sah er auf, direkt in Kais Augen, und sagte: „Hör‘ auf, so schwul zu sein und küss‘ ihn endlich.“

„Du verstehst schon, dass du dir gerade mehr oder weniger selbst widersprichst.“

„Ich kann dir auch gern nochmal die Nase brechen, Arschloch.“

Kai merkte, dass er grinste. Dann rückte er näher, bis er tatsächlich fast in Yuriys Schoß saß. Yuriy sah ihn mit unergründlichem Blick an, hob die Arme und zog ihn zu sich, bis Kai seinen Atem auf seinen Lippen spüren konnte. Einen Moment lang verharrten sie so, einander so nahe, dass Yuriys Herzschlag gegen Kais Rippen vibrierte.

„Mein Komet“, sagte Yuriy leise mit einer fast brutalen Zärtlichkeit und küsste ihn.

Kai konnte hören, wie Boris sehr schwer ausatmete, aber der Rest seines Körpers war auf Yuriy konzentriert, Yuriy, der ihn küsste, und küsste, und küsste, Yuriy, der ihn nicht loslassen zu wollen schien. Kai verkrampfte die Finger in Yuriys Shirt und klammerte sich an ihm fest, rutschte näher, öffnete ihm Lippen und Herz, ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden. Es war so einfach. Oh, es war so einfach. Und Boris hatte Recht, er hatte absolut Recht gehabt. Yuriy zu küssen war verdammt großartig. Er war vollkommen hier, legte jede Faser seines Seins in diesen Kuss mit Kai, als ob es das einzige war, was zählte.

Atemlos löste er den Kuss lange genug, dass er die Stirn gegen Yuriys lehnen konnte. Er fühlte Yuriys Finger auf sich, die fein wie Spinnenbeine über seinen Rücken strichen, und schöpfte Atem, ehe er rau sagte: „Du hast gesagt, Sex gibt dir nicht so viel.“

„Meistens“, sagte Yuriy. Das Blau seiner Augen war dunkel und hungrig. „Jetzt gerade bin ich interessiert, wenn auch vielleicht aus anderen Motivationen heraus als du.“

„Andere Motivationen…?“

„Ich will dich kennen“, sagte Yuriy. Seine Stimme war sehr leise und sehr intensiv. „Ich will dich kennen, innen und außen. Ich will alles sehen, alles, was du mir gibst. Es ist nicht so sehr körperlich motiviert, es ist …“

„Ein Seelenständer“, half Boris aus, als Yuriy sichtlich nach den richtigen Worten suchte. Yuriy schnaubte in einer Mischung aus Amüsement und Resignation, korrigierte ihn aber nicht, woraufhin Boris triumphierend grinste und hinzufügte: „Du wirst schon merken, wenn er keine Lust hat, sich anfassen zu lassen.“

„Und jetzt hast du Lust?“, fragte Kai. Als Yuriy nickte, atmete Kai tief durch. Dann sah er zu Boris. „Du kennst ihn besser als ich. Bock, mir ein paar Dinge zu zeigen, die ihm gefallen?“

Als Boris‘ Augen aufblitzten, wusste Kai, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es war erstaunlich, wie sehr die Prügelei in gewisser Weise geholfen zu haben schien, als ob sie einen Knoten gelöst hatte. Zum ersten Mal seit Beginn ihrer Reise hatte Kai das Gefühl, dass alle Karten auf dem Tisch lagen. Natürlich, es ließ sich nicht alles über Nacht lösen … aber Kai hatte das Gefühl, dass etwas zwischen ihnen Dreien passierte, etwas Wichtiges, etwas Integrales, und dass sie gerade die ersten Schritte dazu setzten. Und er stellte fest, dass ihn die Vorstellung davon mit Vorfreude und einem gewissen Kribbeln erfüllte. Er sah zu Yuriy, dessen Hunger sie alle erst zusammengebracht hatte, und biss sich auf die Lippen. Gott, er war verliebt in ihn, vielleicht sogar mehr als das. Und es war so einfach in diesem Moment.

„Komm‘ schon“, sagte Boris leise, griff nach seinen Händen und dirigierte sie unter Yuriys Shirt, und Yuriy war fest und kühl und gut, und Kai konnte nicht genug von ihm bekommen.

„Küss‘ mich nochmal“, wisperte er, und Yuriy tat es.

Es war nicht das letzte Mal in dieser Nacht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Phoenix-of-Darkness
2020-10-13T11:14:11+00:00 13.10.2020 13:14
"Kaufst du mir vorher nicht mal Abendessen?“
XD
Einfach nur genial.
Ich liebe die Situation zwischen Yuriy und Kai.
Es war neu für mich, dass Yuriy auf Zweideutigkeiten Kais errötet, aber es hatte auch etwas unglaublich niedliches.
Auch die Szene des harten Tages bezüglich des Vodkakonsums.
Ich habe herzhaft gelacht.
Boris Verhalten rundet die Szenerie dann noch perfekt ab.
Antwort von:  Mitternachtsblick
13.10.2020 13:32
Schön, wenn's dir gefallen hat! Ich glaub Yuriy errötet hier auch nur ein bisschen, weil die Atmosphäre einfach schon seit ner ganzen Weile recht geladen ist und Kai da einen etwas unerwarteten Vorstoß macht. Oder vielleicht fand ich auch einfach nur die Vorstellung nett, dass der Junge nicht so hart ist, wie er gern tut XD
Von:  kylara_hiku_Lamore
2020-10-12T19:18:48+00:00 12.10.2020 21:18
Woha!!! Dies Wort wahl!! lady_j hat da sowas von Recht ich geh auch grad ab!! XD

Was so eine kleine Schlägerei nicht ausmacht? Ich hab mich ewig gefragt wie du diese zwei streithäne auf einen Nenner bringen wills? Die Antwort darauf ist sowas von unerwartet!!! Aber auch einfach grenzgenjal!! 😍



Antwort von:  Mitternachtsblick
12.10.2020 21:22
Was soll ich sagen, ich glaub Boris und Kai müssen sich ab und zu einfach kloppen und dann geht‘s schon wieder. XD
Antwort von:  lady_j
12.10.2020 21:27
heh. siehste.
Von:  lady_j
2020-10-12T08:41:05+00:00 12.10.2020 10:41
Gott, Elli! Glorios nackt! Fickblick! Und vor allem - Seelenständer (das, einfach nur!)!!
Ich geh mal kurz ab und brabbel vor mich hin, mit ein bisschen Glück kriege ich später noch mehr zusammen.
Antwort von:  Mitternachtsblick
12.10.2020 12:31
Ich find das reicht schon, ich bin auf jeden Fall amüsiert XD
Von:  FreeWolf
2020-10-12T05:08:48+00:00 12.10.2020 07:08
Hng die drei <33
Antwort von:  Mitternachtsblick
12.10.2020 12:31
Yes. OT3 für dieses Fandom tbh, auch wenn KaKaoMi auf einem close second place sind.


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