Zum Inhalt der Seite

Spiel ohne Limit

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

>>Tick - Tack - Tick - Tack - Tick…«
 

Ging es fortwährend durch ihren Kopf. Der Countdown hatte begonnen. Ihr Herz drückte sich schmerzhaft zusammen. Sie spürte einen undefinierbaren Druck, als wollte sich etwas um ihren Körper schlängeln, sich winden, anpirschen - um dann im richtigen Moment abzudrücken. Fort waren Übelkeit und Aufregung. In Rin war eine gewisse Leere - und der Druck in ihrer Brust, der mit dem Rhythmus des Sekundenzeigers im Einklang war.
 

» Tack - Tick - Tack «
 

"Alles okay?" Eine warme Hand legte sich auf ihre eigene, die sich wie ein Klumpen Eis anfühlen musste. Die Kälte hatte Einzug in Domino gehalten. Fort waren der Sommer und die letzten Strahlen, die ihre Heimatstadt erträglich gemacht hatten. Mit dem Mitternachtsgewitter war das letzte bisschen Wärme fortgespült worden. Zurück blieben nichts als Kälte und der beißende Wind des rauen Meeres. Eigentlich liebte sie die nasse, kalte Jahreszeit. Die fallenden Blätter, die unzähmbaren Gewässer, die im Hafen Dominos besonders wild und ungestüm waren. Sie hatte gerne an der Reling gestanden, den Wind über ihren Trenchcoat ziehen lassen und mit ihrer besten Freundin über Sinn und Unsinn philosophierte, während alte Rentnerpärchen in Partnerlooks und Wanderstöcken an ihnen vorbei marschierten.
 

Und uneigentlich? Uneigentlich konnte es Rin kaum erwarten, dass der Herbst vorüber zog und die Vergangenheit mit sich riss. Zurückzublicken war im Moment das dümmste, das sie anstellen konnte, und so konzentrierte sie sich auf das freundliche Gesicht auf der anderen Seite des Tisches.
 

Bei jedem war die Kälte angekommen. Nur Yamato schien noch immer wie ein Kachelofen zu glühen. Oder war Rin es, die von innen nach außen zu Eis erstarrt war? Jedenfalls tat seine Wärme gut, genauso wie der Blick in diese haselnussbraunen Augen Linderung für die eigene gepeinigte Seele verschaffte.
 

»Tick - Tack «
 

"Ja, ich denke schon", entgegnete Rin und zwang sich zu einem Lächeln, das kaum ihre Lippen, geschweige denn die Augen erreichte. Die zwei Seelenspiegel waren blass, die Pupillen kaum noch mit den strahlenden Jadesteinen zu vergleichen. Ein bisschen Kajal hatte dafür gesorgt, dass die Augen nicht vollkommen untertauchten, etwas Lidschatten umschmeichelte das Ganze, obwohl Maki in wenigen Stunden alles verwerfen würde, was Rin sich ins Gesicht geschmiert hatte.

"Kopf hoch", wenigstens war Yamatos Lächeln noch so authentisch wie am ersten Tag. Seine braunen Augen blickten freundlich und hoffnungsvoll zu ihr herüber. Das gab auch Rin ein klein wenig Kraft.
 

Der Schwarzhaarige war der einzige, dem sie von ihrem Krach mit Lumina erzählt hatte (abgesehen von Kaiba…Seto Kaiba!). Sie hatte jemanden gebraucht, der einfach nur zuhörte, und als Yamato gestern Abend bei ihr angerufen und gefragt hatte, wie es ihr ginge, hatte sie ihm einfach ihr Herz ausgeschüttet. Im Nachhinein kam sie sich ziemlich egoistisch vor und ihr schlechtes Gewissen erreichte einen neuen Höchststand. Aber Yamato war so verständnisvoll gewesen, dass sie es für einen winzigen Moment einfach zugelassen hatte. Ihr wichtigster Halt entglitt ihr mehr und mehr, dass Yamatos Gegenwart wie ein verzweifelter Rettungsanker in einer verlassenen, dunklen See war. Ein warmer, trostspendender Anker, wie Rin zugeben musste und immer wieder erstaunt war, wie nahe sich zwei Menschen kommen konnten, obwohl Yamatos Gefühle zwischen ihnen standen.
 

"Das wird schon wieder" Selbst ein so lahmer Spruch klang aus Yamatos Mund überzeugend.

"Mal sehen", nuschelte Rin, die auf seine dunkelblaue Armbanduhr starrte, als hätte sie die Antwort auf all ihre Fragen.
 

»Tick - Tack - Tick - Tack«
 

"...Lumina braucht Zeit", meinte der Schwarzhaarige und drückte ihre Hand ein wenig. Vielleicht war so viel Nähe nicht gut, besonders für Yamato, doch Rin hatte nicht die Kraft, sich seiner Wärme zu entziehen. Sonst hatte die junge Frau immer wieder als Trostpflaster herhalten müssen - gerade in der Mittelstufe, als Freundschaften hart erkämpft werden mussten -, da war es doch nicht verkehrt, selbst einmal von diesem Gefühl zu kosten, und Yamato schien jemand, der sich bereitwillig als solches zur Verfügung stellte.

"Glaube mir, sie meint es bestimmt nicht so", fuhr er fort, "sie macht sich einfach nur Sorgen, so wie das Freunde eben machen."

"Ich weiß nicht. In ihrem Blick lag etwas Endgültiges", Rin schüttelte sich, schüttelte die Gedanken aus ihrem Kopf, bevor sie die Überhand gewannen, "möglich, dass sie nie wieder etwas mit mir zu tun haben will."

"Und wenn du dich entscheiden würdest?", fragte Yamato vorsichtig an, "ich meine nicht, dass du das sollst. Aber…vielleicht erwartet sie, dass du den ersten Schritt machst."

"Indem ich es sein lasse? DuelMonsters aufgebe, nachdem ich jahrelang versucht habe, meinen Traum zu verwirklichen?" Sie wollte nicht verärgert klingen - doch sie tat es. Das alles fühlte sich falsch an. Genauso sehr, wie ihre fehlende Hälfte nicht mehr um sich zu haben. Es war komplizierter als Rin sich überhaupt vorstellen konnte, und doch gab es zwei Punkte, auf die sie unmöglich verzichten konnte - Lumina und DuelMonsters. Dass sie einmal zu der Entscheidung kommen müsste, sich für eines zu entscheiden, hätte sie nie für möglich gehalten und trotz des Bruchs zwischen ihr und dem schwarzhaarigen Wuschel war es schwer, auch nur eine Sekunde daran zu denken, das Duellieren aufzugeben. Hatte Lumina am Ende recht, hatte sie sich so verändert, dass es ihr nur noch ums Gewinnen ging?

"Yamato, ich…", sie entzog sich seiner Hand, "ich kann nicht mehr aufhören. Das ist jetzt mein Leben. Ich will das."

Ich brauche das

Aber das musste er nicht wissen. Sie fasste sich an die Brust. "Es ist ein Teil von mir. Und wenn sie das nicht akzeptiert…" Den Rest traute sie sich nicht auszusprechen. Wenn sie in Gedanken nicht einmal dazu bereit war, wie sollte sie sich dann der Realität stellen?

"Ich verstehe", nickte der Schwarzhaarige und griff nach seinem Kaffee. Auf einmal schien er seine Hand irgendwo anders festhalten zu wollen. Die Fingerknöchel verkrampften, das Weiß stach hervor - genauso wie der Milchschaum am Tassenrand. "Manchmal passieren Veränderungen im Leben, die man nicht kontrollieren kann." Yamato blickte aus dem Fenster des Cafés. Vorbeiziehende Geschäftsleute, deren Mäntel auf und ab wippten, waren die einzige Herbstromantik, die man hier finden konnte. In Yamatos Blick schien sich jedoch noch ein anderes Gefühl widerzuspiegeln. "Egal, wie sehr man die Kontrolle behalten will", sagte er in Gedanken versunken, "sie entgleitet, sobald uns etwas Großes überrollt. Macht, Kontrolle, Liebe… - ganz es egal, was. Wenn es passiert, sollten wir es einfach zulassen."

"Das klingt…", Rin blinzelte. Die kryptischen Worte hatten sie kurz ihren Schmerz vergessen lassen. Mit einem Lächeln wandte er sich Rin zu.

"Ich werde dich auf alle Fälle unterstützen", wechselte der Schwarzhaarige so abrupt das Thema, dass Rin ihn mit großen Augen anglotzte.

"D-danke", nuschelte Rin. Womöglich war es das beste, nicht all zu sehr nachzuhaken. Yamato schien nur ihr Bestes zu wollen und allein der Versuch war süß - und mehr als ihr überhaupt zustand.

"Und du meinst nicht, dass ich dich hinfahren soll?", er beugte sich ein wenig vor. Sein Grinsen ließ die Augen funkeln. Dieser Yamato war ihr vertraut. Rin atmete erleichtert aus.

"Lieber nicht", entgegnete die junge Frau, obwohl sie das letzte Mal, als Yamato sie ins Stadion gefahren hatte, als spaßig empfunden hatte. Das erste große Duell, die Vorfreude, die Erwartungen… Das Ganze wirkte bereits so weit weg. Als Rin sich noch normal gefühlt hatte, und Lumina nicht-

"Das ist wirklich nett, aber nein", ihr Blick schweifte ab, "außerdem besteht die Kaiba Corporation darauf, dass ich mit dem Helikopter gebracht werde." Richtig wäre gewesen, zu sagen, dass Seto Kaiba darauf bestand. Niemand anderes stand hinter dieser Anweisung und die Nachricht auf ihrem Handy kam von keinem geringerem als ihm. Noch erstaunlicher als die Nachricht ihres Bosses war die Selbstverständlichkeit, mit der Rin seine Nachricht aufgenommen hatte. Sie erinnerte sich nicht, wann Privatnachrichten zwischen ihnen zur Normalität geworden waren.

"Ist vielleicht besser so", Yamato ließ sich zurück auf seinen Stuhl sinken. Noch immer lag die Kaffeetasse in seiner Hand und mit einem kräftigen Zug leerte er den gesamten Inhalt. Dabei machte er ein Gesicht, als genoss er jeden einzelnen Tropfen. Sie saugte den Anblick in sich auf.

"Ich kenne niemanden, der seinen Kaffee kalt trinkt - und das mit solch einer Leidenschaft", entgegnete Rin und ließ die Mundwinkel ein wenig zucken.

"Wie heißt es doch: kalter Kaffee macht schön", der Schwarzhaarige zuckte mit den Schultern.

Jetzt konnte sich Rin doch ein Lächeln nicht verkneifen. "Also das ist dein Geheimnis."

"Hast du gerade gesagt, ich sehe gut aus?" Sein eigenes Lächeln bekam etwas Spitzbübisches, er hob die linke Augenbraue und intensivierte seinen Blick.

"Vielleicht", antwortete Rin und ließ ihre Lippen hinter ihrer eigenen Tasse verschwinden. Trotz des Schalks in seinen Augen erkannte die junge Frau eine gewisse Genugtuung. In jedem anderen Fall wäre sie vor Schüchternheit im Boden versunken, doch die Zeiten lagen hinter ihnen. Genauso wie Rin nicht mehr die unscheinbare, scheue Blume war, die mit zittrigen Fingern die Nummer eines unbekannten, gutaussehenden Typen tippte, während Zweifel über ihre Fähigkeiten oder ihr Äußeres aufkamen.

So wie es jetzt war - zwischen ihnen - schien es perfekt. Und überhaupt, es gab keine unnötigen Sorgen, Ängste, Gewissensbisse… natürlich hielt das Gefühl nicht lang, die Realität kam wie ein Schnellzug auf sie zugerast. Yamato verabschiedete sich von ihr, und zurück blieb nichts als Leere, die nicht einmal ihre Lieblingskassiererin vertreiben konnte. Das Abschlussduell gegen Yoshihiko Taba übernahm die Kontrolle über ihr Denken. Nicht auf die Weise, wie sie es sich vielleicht gewünscht hätte. Ein paar letzte Griffe an ihrem Deck hätten nicht geschadet, und auch die einzelnen Kombinationen hätte sie im Zweifelsfall noch einmal durchgehen können. Nur ließen sie ihre Gedanken keinen klaren Kopf behalten. Das finale Spiel war wie der letzte Schritt, der ihr fehlte, um Lumina endgültig zu verlieren. Sie wusste nicht, woher die Erkenntnis kam, aber sie war sich sicher, dass nach diesem Duell das Schicksal ihrer Freundschaft besiegelt wäre. Und Lumina wusste es auch, warum sonst hätte sie sich all die Tage versteckt und einen hohen Bogen um die junge Frau gemacht? Wenn die Schwarzhaarige so an ihr hing, wie Rin an Lumina, dann hörte auch sie das Ticken des Countdowns.
 

"Wir feuern dich an - versprochen." Makotos Stimme drang kaum zu ihr durch, Rin wusste die Geste ihrer neuen Freundin zu schätzen, die lieb gemeinten Worte, doch bedeuteten sie ihr kaum etwas. Mühsam hob Rin den Kopf, ließ ein Lächeln zu, dass ihre Augen noch blasser erscheinen ließ. "Danke, Makoto", hauchte die junge Frau und lehnte das Stück Buttercremetorte ab, das ihr Makotos Verlobter aufmunternd zugeschoben hatte. Wie eine feste Einheit standen er und die Kassiererin hinterm Tresen, und ein weiterer Blick auf das Pärchen verriet, dass sie es zweifellos auch waren. Die junge Frau hätte noch ein paar Stunden hier sitzen und den beiden Liebenden dabei zusehen können, wie sie fast synchron die Häppchen für die Aftershowparty befüllten. Winzige Tartes, herzhafte Kekse und gefüllter Blätterteig - der Sieger des heutigen Spiels würde mit mehr als einem vollen Magen nach Hause kehren. Gerade verspürte ihr Bauch weniger Hunger, auch wenn ihr bei weitem nicht so übel war, wie bei ihrem ersten Duell gegen von Schroeder Corps. Duellanten. Die Leere war einfach überall, und so schleifte sie sich schließlich zum Kaiba Building, ließ einen Blick über die gespiegelten Reflexionen schweifen, als wäre dies ihre letzte Gelegenheit.

Ich werde nicht verlieren

Sie hatte nie in Erwägung gezogen, dass Kaiba den Verlierer aus seinem Team rauswerfen könnte. Mit dem Abschlussduell würde der Chef der Kaiba Corporation ein Vermögen verdienen, dass der Name des Siegers bloß noch Haarspalterei wäre.

Und wenn ich verliere…schmeißt er mich dann raus? Wird er so tun als hätte es diese Verbindung zwischen uns nie gegeben…?

Die Hände in die Tasche ihres Trenchcoats gesteckt, zückte sie ihr Deck. Vierzig Karten - sorgfältig ausgewählt. Sie hatte keinen Zweifel - an keiner einzigen Karte. Rin vertraute ihrem Deck, den Monstern, ihren geliebten Drachen und dem Ass in ihrem Ärmel. Sie packte das Deck, der Stapel fühlte sich schwer und bedeutend an.

Ich brauche dich…Lumina
 

»Tick - Tack - Tick…«
 

Es hörte nicht auf. Ihr Blick wanderte auf die Digitaluhr. Das Hightech Modell im Backstagebereich des größten Stadions auf Kaibaland gab keinen Mucks von sich. Aber das brauchte sie auch nicht. Die Sekunden, die unten rechts in rot blinkenden Ziffern herunter gerattert wurden, waren schlimmer als jedes Ziffernblatt.

"Noch zehn Minuten", steckte einer der Sicherheitsleute den Kopf zwischen die Tür. Als könnte Rin nicht lesen. Geistesabwesend nickte die junge Frau, ließ den Kopf hängen und starrte auf das Metallarmband. Keinen Tag hatte es gegeben, an dem sie nicht die Initialen der Kaiba Corporation an ihrem Unterarm getragen hatte. Das Material war leicht und doch drückten Luminas Worte schwer auf das Metall, dass es Rin von innen zu verglühen drohte.

"Seid ihr bereit?!", johlte Heiji ins Mikrofon. Der Moderator hatte die Musik zum Verstummen gebracht. Laute, quietschende Stimmen. Rin hatte noch nie etwa für Popsternchen und Hüfte wackelnde Boybands übrig gehabt. Die Musik war jedoch nebensächlich, genau wie der Rest war das Ganze an Rin vorbeigezogen. Der Bildschirm auf der gegenüberliegenden Seite war unwichtig, die Musik- und Tanzeinlagen bloß ein weiteres Rauschen in ihren Ohren. Lediglich der Bass zwang sich ihr schmerzhaft auf. Der Rhythmus schien sich mit Rins Herzschlag zu verbinden - oder umgekehrt? Der Takt war holprig, dann wiederum schnell und unbeherrscht, um anschließend inne zu halten, den Rhythmus zu verlieren und letztendlich wieder von vorne zu beginnen. Eine Endlosschleife - treffender hätte es für sie nicht sein können.
 

Als erstes stellte Heiji noch einmal die ehemaligen Top zwanzig des diesjährigen Worldcups vor. Die Menge jubelte, jeder einzelne Spieler wurde noch einmal von der Menge gefeiert, trotz seiner Niederlage, die ihm schließlich das Turnier gekostet hatte. Hii Yutas Namen erwähnten sie kein einziges Mal, aber vielleicht hatte Rin bereits angefangen, den Namen aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Heute würde sie definitiv nicht an Dartz' Machtspielchen und Manipulationen denken. Das hatte sie sich selbst geschworen.

Weitere Namen fielen. Sponsoren wurden vorgestellt, Produkte unterschwellig beworben, wobei die Neuauflage der DuelDisc Ende des Monats natürlich nicht fehlen durfte. Rins Augen wanderten zu ihrer eigenen Disc, den scharfen Kanten, dem hellen, strahlenden Blau, das sie jedes Mal an den Verlust ihrer weißen Drachen erinnerte. Es war das erste Opfer, das sie für ihre Karriere hatte bringen müssen. Genauer betrachtet, hatte alles damit angefangen und vielleicht wäre das Leben anders gelaufen, wenn sie sich gegen diesen Schritt entschieden hätte…

"Das ist nicht das Gesicht eines Gewinners." Die Stimme erschreckte Rin. Die junge Frau hob den Kopf und sah in Seto Kaibas unermüdliche Augen. Wann er in ihr Zimmer gekommen war, wusste sie nicht. Kaiba war wie eine Raubkatze - oder Rin einfach nicht bei der Sache, die Grenzen waren nicht ganz klar.

"Was machst du hier?", fragte sie, die Stimme gesenkt, dass der junge Firmenchef die Chance bekam, ihren Kommentar einfach zu ignorieren.

"Du bist meine Duellantin, schon vergessen?", er verschränkte die Arme vor der Brust. Der eiskalte Blick richtete sich an sie, Rin hatte keine Ahnung, ob er verärgert war, und wenn dem so war, weshalb. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Sie wollte überhaupt nicht denken.

"Außerdem", sein herablassender Blick deutete auf ihr Deck, "bin ich noch immer Teil der Kommission. Ich kann kommen, wann immer ich will. Egal, aus welchem Grund."

"Und jetzt?", fragte Rin, welche die Schwere seiner Seelenspiegel kaum ertragen konnte. Nicht jetzt, so kurz vor dem Duell, und nicht mit diesen Gefühlen, die so so sehr verwirrten. "Willst du mir etwa Glück wünschen?" Sie versuchte selbst, herablassend zu klingen. Es machte sie wütend, dass er sie so ansah, sie musterte, als würde er seine Entscheidung bereuen, Rin in sein Team aufgenommen zu haben.

Du bist ein Spielball. Vergiss' das nie

"Yamamori", raunte er. Dass er ihren Nachnamen benutzte, gefiel ihr nicht, es bedeutete nichts Gutes. Würde er ihr ein Ultimatum stellen? Würde er sie vielleicht sogar zwingen zu verlieren, weil Yoshi die bessere Wahl war? Sie hatte die Tage viel darüber nachgedacht. Darüber, wo ihr Platz war und welche Rolle sie im Zweifelsfall einzunehmen hatte. Sie kam immer wieder auf dasselbe Ergebnis.

"Willst du die Endrunde gewinnen?", fragte er lediglich, wobei seine Lippen ein einziger gerader Strich waren.

"Spielt das eine Rolle?", fragte sie zurück, "egal, ob ich dieses Duell gewinne oder nicht, für dich macht es keinen Unterschied. Du kannst gar nicht verlieren. Ist es nicht das, was du wolltest?"

"Ich weiß", entgegnete er trocken, "aber das beantwortet nicht meine Frage."

"Du willst eine Antwort?", funkelte sie ihn an, dabei hatten ihre Seelenspiegel überhaupt keine Kraft, "ja, ich will gewinnen. Aber ich weiß nicht, warum."

"Hm." Seine Reaktion enttäuschte sie. Warum war er hier? Um zu sehen, wem er die besseren Aussichten zusprechen sollte? Wer das Zeug hatte, bis zum Ende durchzuhalten?. Da hatte er bei Rin einen schlechten Tag erwischt!

"Ich werde dich nicht blamieren, wenn es das ist, was dich beunruhigt", sagte sie resigniert und schloss für einen Moment die Augen.

"Gibt es einen Grund?", krätschte er in ihre finsteren Gedanken hinein, "warum du dich duellierst?"

Rin öffnete die Augen. Ein wenig war von seinem eiskalten Blick gewichen, dafür sah er noch unberechenbarer aus. Nach einem kurzen Moment erwiderte Rin: "Ja."

"Dann zeig' es mir, dass es sich dafür zu kämpfen lohnt. Denn so wie du jetzt bist", er drehte sich um, Rin wusste, dass er im Begriff war zu gehen und sie wollte - trotz der widersprüchlichen Gefühle - nicht, dass er ging, "hast du keine Chance." Er schritt durch die Tür, dann war er verschwunden. Mit offenem Mund starrte Rin auf die Stelle, die seinen Mantel hatte verschwinden lassen.
 

"Wir wären soweit, Frau Yamamori", ein junger Kerl mit Headset und Klemmbrett ersetzte die einschüchternde Ausstrahlung des mächtigen CEOs. Wie ein Roboter erhob sie sich, die nächsten Bewegungen waren ein Automatismus, sie spürte nicht, wie ihre Beine in Richtung Stadion schritten. Ebensowenig vernahm sie Heijis Stimme, der Yoshihiko Taba als erster angekündigt hatte. Von allen Seiten drang die Musik aus sämtlichen Lautsprechern. Man hatte einen harten, dröhnenden Sound für Yoshis Eröffnung gewählt. Es hatte etwas von einem Boxkampf. Die ersten Minuten, wenn die Kämpfer die Arena erklommen. So war es auch hier, die Duellanten schritten vom Eingang des Stadions durch eine schlauchförmige Lücke, die zwischen den Zuschauerrängen Zwecks dieser Zurschaustellung geschaffen worden war. Das Publikum feierte Kaiba Corps. langjährigen Profi und Yoshi selbst suhlte sich in seinem Erfolg, stolzierte die Stufen zur Bühne hinauf und blieb in der Mitte stehen, um den linken Arm in die Höhe zu halten und die Faust zu ballen.

"Sie sind als nächste an der Reihe", sagte Isono, den Rin erst jetzt zwischen den schwarz gekleideten Bodyguards erkannte. Rin nickte, ein weiterer Assistent schob Rin zur doppelseitigen Flügeltür und schon stand auf dem Kreis, der mit Klebeband am Boden markiert worden war.

"Noch fünf, vier, drei…"

Heiji kündigte den zweiten Spieler des Abends an. Rin fasste sich ans Armband. Es würde wirklich passieren. Das große Finale und sie war dabei - auf der Zielgeraden.

Allein.

Einsam.

"...einen fetten Applaus für Rin Yamamori!

Zwei Männer rissen das Tor auf. Die Scheinwerfer säumten den Weg. Laser beschienen die umliegende Umgebung. Die Eröffnung des Worldcups war spektakulär gewesen. Als Beobachter inmitten der Zuschauermengen hatte Rin den Start eines neuen Lebens läuten hören. Doch das Stadion glich kaum noch der Kulisse von vor drei Monaten. Das Dach wurde eingefahren, bunte Lichtreflektionen ließen die Wände wie eine von Drogen heraufbeschworene Halluzination erscheinen. Im Mittelpunkt stand Rin - Kaiba Corps. »neuer aufgehender Stern«. Der Mantel flatterte - halb Samurai, halb eiskalte Duellantin, die ihre Seele dem weißen Nachtdrachen gewidmet hatte. Viele sahen darin eine Hommage an Seto Kaibas legendären Blauäugigen, weshalb vereinzelte Stimmen nach Duel Madness schrien.

Ihr Herz flatterte, sie stand neben sich, unfähig, das Adrenalin gebührend zu empfangen, obwohl es ein Teil ihres rationalen Denkens nahm.

Köpfe schnellen nach hinten - hunderttausend, mehr hatte das Stadion nicht aufnehmen können, aber genug, um Rin die Macht von DuelMonsters aufzuzeigen. Dann setzte die Musik ein. Vertraute Töne, die das Blut zum Kochen brachten. Rin blieb für einen Moment wie angewurzelt stehen. »Mad Machine« sang die bekannte Stimme, das Lied aus ihren Jugendzeiten, welches sie am meisten geliebt hatte.

Kaiba…woher weiß er davon?

Das Gespräch im Café kam ihr in den Sinn. Rins Geburtstag, als sie ihrer Lieblingskassiererin von der Serie vorgeschwärmt hatte, während Kaiba seelenruhig an seinem Stammplatz gesessen und seinen Kaffee genossen hatte.

Quatsch. Maki muss es ihm gesteckt haben, nachdem er das Bild in meinem Zimmer gesehen hatte. Als ob Kaiba mir zugehört hätte

Sie lief los. Langsam, unsicher, wie sie das alles aufnehmen sollte. Das Lied war perfekt, der Song einer ihrer liebsten und doch wollte die Stimmung nicht aufkommen. Sie fühlte sich leer und sie wusste, dass es wegen Lumina war.

"Tell ne what do you want, tell me how do you fee"l

Stimmen rissen sie aus ihren Gedanken. Da standen sie nun; bekannte Gesichter, Verbündet im Geiste. Hände klopften ihr auf die Schultern. Die gesamte Crew der Amateurliga schien gekommen zu sein, feuerten die junge Frau an, die es in bahnbrechender Geschwindigkeit geschafft hatte, aus der Bedeutungslosigkeit herauszukommen. Dann waren da auch noch Jonouchi und Yugi - diesmal einige Reihen weiter hinten. Sie winkten, Jonouchi machte einige Handzeichen, die Rin jedoch nicht verstand. Kurz dachte sie an das zurück. An die Motivation und Hilfsbereitschaft seiner Freunde. Die Unterstützung - sie war kompromisslos gewesen.

Das hast du nie gebraucht, Rin. Und du brauchst es auch jetzt nicht

Sie lief weiter, ihr Blick driftete ab, sie schaute zurück nach vorne, aber eigentlich starrte sie nirgendwo hin. Noch nie hatte sie sich so verlassen gefühlt. All diese Menschen waren wegen ihr gekommen, selbst Yamato saß irgendwo zwischen den Rängen und wünschte Rin nur das Beste, doch es war nicht genug. Nein, schlimmer - es bedeutete nichts. Nicht, solange ein Mensch nicht zu ihr stand, der einzige, dessen Rückhalt wirklich gezählt hätte.

Die Schritte zur Bühne waren schwer und ermüdend, die Absätze klapperten hart auf dem Boden, der hoch gebundene Zopf schlug auf ihre Schultern.

Das erste, das sie erblickte, war Yoshihikos Grinsen. Sein Selbstvertrauen war ekelerregend, die Zähne blitzten scharf und gefährlich auf.

Diese arrogante Schmalzfresse

Ein Kaugummi blitzte zwischen seinen Lippen auf, eine unauffällige Geste und er hatte den kleinen weißen Bällen hinuntergeschluckt.

"Bist du bereit, Yamamori?", fragte er und nahm die Hände aus den Hosentaschen. Seine Lässigkeit kaufte sie ihm nicht ab, dass er sie nicht einmal für voll nahm, verstand Rin als Provokation. Sie kam wenige Schritte vor ihm zum Stehen. Ihre Absätze hatte sie ein kleines Stück größer als Yoshi werden lassen. Genug, um ihn einen herablassenden Blick zu schenken.

"Gegen dich, immer", entgegnete sie trocken. Zückte ihr Deck aus der Halterung und mischte wie eine Verrückte.

Okay, Rin. Nur noch dieses Duell und du hast das Ticket in der Tasche. Zeit, diesem aufgeblasenen Grinch zu beweisen, wie DuelMonsters richtig geht.

"Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lange ich darauf gewartet habe", Yoshi reichte Rin seine Karten.

"Ich dachte immer", entgegnete sie, "dass ich kein würdiger Gegner für dich sei." Sie mischte akribisch, ohne ihren Gegner aus den Augen zu lassen, "hast du deine Meinung geändert."

"Ich halte dich auch jetzt noch für einen armen, schwachen Profi…Rin Yamamori. Zeit, dich dorthin zu befördern, wo billige Ramschware wie du hingehören."

"Deine Mutter musste dir wohl öfter den Mund mit Seife aufwasche, was?" Sie überreichten sich die Decks. Yoshi lächelte schief, knallte die Karten zurück in das vorgesehene Fach und schritt voller Überzeugung auf seine Seite des Spielfeldes. Rin tat es ihm gleich. Egal, was ihr Gegner dachte - heute würde sie ihm eine Lektion verpassen, ihm seine Maske herunterreißen.
 

Das Lichtspektakel endete. Für Sekunden wurde es schwarz. Schließlich schien weißes Licht schien mit voller Wucht auf die Bühne der Spieler. Über ihren Köpfen baumelte die Punkteanzeige.

"Drei - zwei", schrie das Publikum im Chor, "eins…Duell!"



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück