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Spiel ohne Limit

von

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"System starten. Virtuelle Simulation beginnt in fünf - vier - drei…

Solid Vision fuhr hoch. Was einst als Spielerei eines vom Erfolg besessenen und von Rachegelüsten geplagten Jungen von sechzehn Jahren begonnen hatte, entfaltete in seiner derzeitigen Stufe das neueste Level technologischen Fortschritts. Das Licht schaltete sich aus, die Trainingsanlagen der Kaiba Corporation waren startbereit, die aktuelle Version des Systems in seinen vollen Zügen zu präsentieren, dass ein Wimpernschlag genügte, um die Hologramme auf ihre vollen hundert Prozent hochzufahren. Das gesamte Firmengelände konnte nun das ganze Potenzial nutzen, dass die Bilder in reinstem 4K erstrahlten und 3D Simulationen kaum noch von der Realität unterschieden werden konnten.

Die Arme vor der Brust verschränkt, stand Seto Kaiba inmitten seiner eigenen Schöpfung und betrachtete stoisch die Wunder, die mit seiner Technologien einhergingen. Wie ein Gott gebietete er allein durch seinen Willen und dem seines überdruckschnittlichen Gehirns, dass die Lichtprojektionen nacheinander eingeschaltet wurden und die eigens zur Veranschaulichung gefertigte Simulation gestartet wurde. Farben glänzten und strahlten so grell, bis sie den unendlichen Kosmos präsentieren, den der mächtige CEO schon als Kind als Maßstab allem Perfekten erwählt hatte. Die Sequenzen waren ihm so vertraut, jedes winzige Detail akribisch einstudiert, dass es sich wie ein gewöhnlicher Mittwochnachnittag anfühlte und nicht wie Tag X in der Geschichte von DuelMonsters.

Ohne auf die Gesichter hinter sich zu achten, ließ der junge Firmenchef die Szenen zu einem ganzheitlichen Gebilde entstehen, welches nicht zum ersten Mal die Räumlichkeiten schmückte - und ganz sicher nicht das letzte Mal.
 

Es war der erste Tag, an dem Seto Kaiba sein System einem ausgewählten Publikum präsentierte. Er hatte sie alle versammelt, nachdem er sich ganz sicher war, dass das System bereit wäre. Monatelange Testphasen und ständige Kontrollen, was Sicherheit und Geheimhaltung anbelangten, waren nötig gewesen, um ein Ergebnis wie das heutige hervorbringen zu können. Schweiß und Nerven hatte es gekostet und Seto hatte jede einzelne Sekunde genutzt, um alles herauszuholen. Ja, Kaiba hatte sich sehr gut auf diesen Tag vorbereitet. Nur den besten und engagiertesten Mitarbeitern wurde die Ehre zuteil, das neueste System vorgestellt zu bekommen. IT- Experten, Wissenschaftler aus aller Welt und natürlich die talentiertesten Programmierer, die Seto Kaiba von überall her eingekauft und abgeworben hatte - sie alle saßen im Kontrollraum, die Arme ebenfalls wie wichtige Persönlichkeiten verschränkt, standen sie in Reihe und Glied und sahen sich das Wunder an. Weißkittel, Anzugträger und die klassischen Schlapperjeans und Einheitsfanatisten - jede Berufsgruppe trug seine Uniform und jeder schien sich als Huhn auf der Stange zu sehen. Große Namen waren unter ihnen, selbst außerhalb der Insel waren es alles großartige Köpfe, die das Privileg erhalten hatten, die Ersten sein zu dürfen, die Seto Kaibas Genialität live mit ihren eigenen Augen miterleben durften.
 

Sobald der Raum vollends in die virtuelle Welt eingetaucht wurde und die Bilder hinter der Glaswand zur vollen Schönheit erstrahlten, begannen Sound und Akustik ihr ganzes Können unter Beweis zu stellen. Ohne auch nur den Hauch einer Emotion zu offenbaren, wartete der mächtige CEO, dass die Vorstellung endete.
 

"Es ist wie...als wäre man auf einer Raumsonde und blickt aus dem Fenster...oder wie man das dort nennt. Nur statt das Weltall zu sehen, erblickt man eine neue fantastische Dimension-"

Warum schossen gerade jetzt diese Worte durch seinen Kopf? Die Worte eines Laien, unbedeutend für seine Arbeit. Und wieso entlockten sie ihm ein flüchtiges Grinsen, bei dem seine Mundwinkel für den Bruchteil einer Sekunde ein Eigenleben entwickelten? Komisch, wie etwas so Triviales so ins Schwarze treffen konnte.

Wochen war es her, doch schienen Ewigkeiten dazwischen, als er Rin hinter dieser Glaswand hatte sitzen sehen. Seitdem hatte er an dem System gefeilt, hatte es perfektioniert, es an die Spitze des Unmöglichen getrieben, bis er irgendwann so etwas wie Zufriedenheit verspürt hatte. Doch Rins erster Eindruck, der allererste Eindruck eines Eingeweihten, hatte er nicht vergessen und es fühlte sich noch immer frisch und ehrlich wie an jenem Abend an. In dem Moment hätte kein Gefühl authentischer sein können und Kaiba musste sich eingestehen, dass er ihre Begeisterung genossen hatte - wie alles Nachfolgende natürlich auch.

Du weichst vom Thema ab
 

Fünf Minuten dauerte die Simulation - genug Zeit, um den Rest der Welt davon zu überzeugen, dass es Seto Kaiba wieder einmal geschafft hatte. Sicherlich hätten es auch weniger getan, doch man gönnte den anderen ja sonst nichts...
 

"Einfach genial", hörte er den ersten Wissenschaftler sagen, da waren die Simulationen noch nicht einmal richtig abgeschlossen worden.

"Sie haben es wieder einmal geschafft, Seto Kaiba."

"Einfach nur brillant."

"Wahrhaftig ein Meisterwerk."

"Sie sind wirklich ein Genie, Herr Kaiba."

Angesprochener ließ die Lobeshymnen über sich ergehen. Hinter seinem Rücken tauschten sich die Experten aus, wetteiferten miteinander, wer den jungen Firmenchef wohl den meisten Honig uns Maul schmieren konnte. Seto Kaiba prognostizierte ein Unentschieden.

Die Vorschau war beendet, der Chef der Kaiba Corporation drehte sich langsam zu seinem exklusiven Publikum um, das mit seinen Schleimereien noch nicht am Ende war. Er musste zugeben, dass die Vorführung nur halb so befriedigend war, wie er es sich vorgestellt hatte. Normalerweise sprang er auf Anerkennung und Bewunderung mehr an; zumal die Männer allesamt ältere, erfahrene Profis in ihren Fachgebieten waren und Kaiba diesen Wichtigtuern gerne auf den Boden der Tatsachen beförderte, indem er ihnen zeigte, wie klein und dumm sie im Vergleich zu ihm waren. Wie hatte es seine KI einmal so schön formuliert: dass er positiv darauf reagierte, wenn er an seine Genialität erinnerte wurde? Und wer wäre er, wenn er seiner eigenen Schöpfung widersprechen würde?

Heute wollte der Funke nicht übergreifen. Seine Angestellten bewiesen nicht zum ersten Mal, wie leicht sie auszutauschen waren, wenn es um Kernkompetenzen und Fachwissen ging. Ihre einstudierten Schmeichelein hätten genauso gut in einen Glückskeks hineingepasst - ganz zu schweigen von den Kommentaren bezüglich des technischen Teils.

Da hätte ich mir ja gleich ein paar Klatschaffen anschaffen können…die wären auch deutlich billiger gewesen

Er schnaubte - ein verächtliches, gelangweiltes Schnauben eines Mannes, der schon zu viele Erfolge zu verzeichnen hatte, dasss selbst eine Erfindung wie diese nicht mehr den nötigen Kick verschaffte.

Es folgte eine standardmäßige Besprechung, Details für die weiteren Projekte wurden auf die nächsten Wochen angesetzt, dass der Chef der Kaiba Corporation einen Haufen hochmotivierter Mitarbeiter von der Leine ließ, die noch im Vorbeilaufen in hitzige Diskussionen verfielen. Programme mussten neu kodiert, die Sicherheitsstufen um- und eingestellt werden und ganz zu schweigen von der alten KI, die Schritt für Schritt durch eine neue, verbesserte Variante ersetzt werden sollte. Seto Kaiba hatte bereits abgeschaltet, noch bevor der Letzte den Kontrollraum verlassen hatte. Bereits im Vorfeld war ihm klar gewesen, dass niemand etwas an Solid Vision 2.0 auszusetzen hätte. Allein die Tatsache, dass es keinen gab, der es mit dem jungen Firmenchef aufnehmen konnte, geschweige denn etwas besseres auf Lager hatte, etwas, dass es mit dieser virtuellen Realität aufnehmen könnte. Nicht zu vergessen, dass es alles Hosenscheißer waren, die meinten, die kleinste Kritik brächte ihnen die Kündigung auf den Tisch. Kein unrealistischer Fall, - keineswegs -, aber nur, wenn plausible Gründe vorlagen, und wie oft war so etwas schon vorgekommen?
 

Zwei weitere Male ließ Kaiba die Simulationen von Anfang bis zum Ende durchlaufen. Er war nicht unzufrieden, aber wirklich glücklich war er auch nicht.
 

"Irgendwie hat es mir beim ersten Mal besser gefallen."

Abrupt drehte er sich um. Zurück innerhalb der Trainingseinheiten reflektierte Rin Yamamoris Gesicht durch die kugelsichere Fensterscheibe. Sie trug einen beigefarbenen Rollkragenpullover, die in einer engen hochsitzenden Jeans steckte, dass sie sowohl leger als auch chic aussah. Ihre jadefarbenen Seelenspiegel waren auf ihn gerichtet. Selbst die günstigen Lichteinwirkungen des Kontrollraums täuschten nicht darüber hinweg, dass die junge Frau erschöpft aussah. Sein Magen zog sich zusammen. Der blaue Fleck war noch nicht verheilt und würde wohl noch einige Wochen ihr weiches Gesicht zieren.

Dieser abgefuckte Spinner…

Die Machtlosigkeit, welcher der junge Firmenchef während des Duells gegen Hii Yuta ausgesetzt gewesen war, nagte schwer an seinem Ego - und noch viel mehr an seinem Gewissen, das seit Kurzem zum Leben erwacht schien.

"So?", sagte Kaiba, ungeachtet der Gefühle, die in ihm tobten. Von außen ließ er niemandem in sein Innerstes blicken, dass er die Arme vor der Brust verschränkte und herausfordernd zu seiner Duellantin herüber blickte. "Willst du mir etwa weismachen, dass du etwas an meinem System auszusetzen hast?", die Frage war bewusst provokant gestellt, die Tonlage hätte die meisten seiner Angestellten längst in die Hosen scheißen lassen.

"Es ist perfekt", entgegnete Rin, die sich an den Schrank neben dem Mischpult gelehnt hatte und die Arme vor dem Körper baumeln ließ. Ihre Haltung verriet weder Unsicherheit noch etwas, das sie in die Karten blicken ließ. Ihr Pokerface war noch nicht ausgereift, aber deutlich besser als das der meisten Menschen, die ihm in die Augen blickten, dass er nicht sicher war, was gerade in ihrem hübschen Kopf vorging.

"Vielleicht ist es zu perfekt", fügte sie dann nach einer kurzen Pause hinzu. "Beim ersten Mal wirkte das Weltall nicht so…vollkommen…ja, ich weiß", sie verdrehte die Augen, während sie Kaiba dabei beobachtete, wie dieser durch die Tür direkt auf sie zu schritt, "»nicht die Realität darstellen - sie besser machen« (irgendwie schien sie Gefallen daran zu finden, ihn zu zitieren), aber ist es nicht das, was es so besonders macht?", sie nickte in Richtung Fensterscheibe. Obwohl die Simulation beendet war, wusste Seto genau, wovon sie sprach.

"Gleich sagst du noch, dass es auf die inneren Werte ankommt", Kaiba betonte das »Innere« auf eine besonders herablassende Art.

"Das tut es doch auch…in deinem Fall", erwiderte seine Duellantin mit hochgezogenen Augenbrauen. Ihre kecke Antwort brachte ihn dazu, überrascht die Augen zu weiten.

"Du willst also immer noch behaupten, dass es mit Flackern besser ist?", fragte er schließlich, um sich weiterhin nichts anmerken zu lassen. Er trat an die Gerätschaften und schaltete sämtliche Systeme auf Standby.

"Ja", bestätigte Rin schulterzuckend.

"Du bist die erste, die sich beschwert", er sah ihr absichtlich nicht in die Augen, sie sollte zappeln, glauben, dass sie es sich mit ihm verscherzt hatte. Doch Rin Yamamori ignorierte seine Kaltherzigkeit.

Stattdessen entgegnete sie: "Möchtest du lieber von mir hören, wie grandios, talentiert und toll du bist?"

"Muss ich nicht", erwiderte er trocken und stellte sich direkt vor sie - die Augen dabei fest auf einen kleinen Fleck ihrer linken Iris gerichtet, "das hast du doch gerade." Ein teuflisches Grinsen seitens Seto Kaiba und Rin wurde puterrot im Gesicht. Der Anblick entlockte ihm nur kurz Genugtuung, das Mahl auf ihrer Wange leuchtete so heftig, dass er meinte, es auf seiner eigenen Haut zu spüren. Die junge Frau bemerkte seinen Blick, spürte, wie er die Warnung von Paradius' willenlosen Sklaven anvisierte.

"Damit kommt er nicht durch", raunte er, den Blick nicht von ihr ablassend. Mit der linken Hand streifte er eine Strähne ihres weichen dunklen Haares, dass es Rins Schläfe berührte. Es fehlte nicht viel, die Versuchung war groß, die Strähne einfach hinters Ohr zu klemmen, flüchtig die Wunde zu berühren, die sie ohne Jammern hingenommen hatte. Seto hielt den Atem an. Seine Augen hatten Rins eigene Seelenspiegel gefunden, die ihn ohne zu zwinkern ebenfalls anblickten, als wäre der jungen Frau die Luft abhanden gekommen.

Sie war die erste, die aus ihrer gemeinsamen Starre erwachte. "Also", abrupt wandte sie sich ab, fast schon beschämt senkte sie den Blick, drehte den Kopf ein Stück zur Seite, dass ihre Verbindung gekappt war.

Idiot

Der junge Firmenchef zog sich zurück.

Es war ein Fehler, und warum ihre Zurückweisung ihn mehr ärgerte als sein Verhalten, verstand er auch nicht.

"Wie geht es jetzt weiter?" Es war offensichtlich, dass sie vom Thema ablenken wollte, doch so leicht war das nicht. Die Arme vor der Brust verschränkt, konnte Kaiba ihre neue DuelDisc aufblitzen sehen. Wie es der Zufall so wollte, war die DuelDisc während des Duells gegen Yuta kaum beschäftigt worden. Die paar Kratzer und technischen Mängel hätten mit Leichtigkeit behoben werden können, aber Kaiba wollte kein Risiko eingehen. Das alte System war mit hundert Prozent völlig überlastet. Was das für kommende Spiele bedeuten könnte, konnte er sich nur all zu gut vorstellen. Sobald Solid Vision 2.0 in den Startlöchern stünde, würde er sich um eine entsprechende Konsole kümmern.

"Das Thema der… Gedankenübertragung ist noch nicht vom Tisch", sagte er und zwang die junge Frau dazu, ihn anzusehen. Widerwillig tat sie ihm den Gefallen. Auch ihm war dieses Thema nicht angenehm, aber es gab zu viele Sicherheitslücken bezüglich ihrer privaten Gedanken. Ihre Augen wirkten schwach und ausgelaugt, nur mit Mühe konnte sie seinem stählernen Blick standhalten.

"Ich dachte, du hättest einen Weg gefunden, den Informationsaustausch unserer DuelDiscs zu unterbinden."

"Ja, aber das ist nur eine vorübergehende Lösung. Bis ich herausgefunden habe, wie ich diesen Telepathen-Quatsch abstellen kann - und ich meine, ihn wirklich abstellen kann und nicht einfach nur auf Eis legen - bis dahin müssen wir lernen, damit umzugehen. Es kontrollieren. Glaub' mir, mir gefällt das noch weniger als dir. Aber es muss sein."

"Du sagtest, es kontrollieren?" Rin schien überrascht.

"Natürlich. Ich will nicht, dass wir eines Tages aufwachen und nicht mehr wissen, wer wir eigentlich sind."

"Meinst du das ernst?"

"Was dich betrifft, halte ich es nicht für unwahrscheinlich."

Jetzt sah sie ihn vollkommen ahnungslos an. "Was willst du damit sagen?"

"Im Duell gegen Yuta…", begann er und sah sofort, wie sich alles an ihr anspannte, "ich will diesem grünhaarigen Zwerg nicht recht geben, aber es gab einen Moment, das schienst du nicht ganz du selbst zu sein. Zumindest, was deine Gedanken betrifft." Er sah es in ihrem Kopf rattern.

"Mein System ist nicht wie das von Dartz", stellte er klar und sah sie durchdringend an, "es soll den Spieler nicht zu einer Marionette der KI machen. Solid Vision arbeitet für den Duellanten - nicht umgekehrt."

"Das weiß ich", entgegnete sie leise. Ein müdes Lächeln und Rin winkte die Angelegenheit ab.

"Du redest von dem Augenblick, als ich gesagt habe, dass Technik keine Grenzen kennt - stimmt's? Kaiba…", seufzte sie, "ich weiß, dass das deine Gedanken waren - deine Stimme war schließlich sehr deutlich in meinem Kopf und noch höre ich mich nicht an wie du", leise grummelnd fügte sie hinzu, "auch wenn das einige glauben wollen."

"Du…wusstest es?", er wusste nicht, was er davon halten sollte.

"Natürlich. Ich", sie wandte den Blick ab, dass ihre Augen das Pult anstarrten, "ich habe ihn absichtlich gesagt, weil ich…naja, ich fand ihn einfach cool und hab ihn kopiert." Sie sah wieder zurück zu ihm. "Du musst dir also keine Gedanken machen, dass ich plötzlich den Verstand verliere oder zu einem Werkzeug von dir werde. Meinen freien Willen gebe ich nicht so einfach her. Aber", mit der rechten Hand griff sie nach ihrem rechten Unterarm, der Armschmuck reflektierte das Licht an der Decke, dass die Initialen deutlich hervorstachen, "vielleicht hast du doch recht und wir sollten an unserer Selbstkontrolle arbeiten."

"Gut", entgegnete Kaiba, obwohl es so viel mehr zu besprechen gäbe und sie von einem gut noch weit entfernt schienen. Zum Beispiel müsste geklärt werden, was sie eigentlich hier machten? Das neue System war in der nächsten Phase, Yamamoris Gehirn vollständig ins System kopiert und die Endrunden fast beendet. Wenn er die Anomalie außer Acht ließ, hätte die Arbeit für beendet erklärt werden können. Doch das war sie nicht. Es gab noch zu viele offene Fragen, zu viele Rätsel. Der junge Firmenchef hatte das Gefühl, nur noch tiefer hinein zu geraten, ein Strudel, in den er absichtlich hineingesprungen war, weil es ihn von irgendwoher angelockt hatte. Die Arbeit wäre erst beendet, wenn Kaiba sie für beendet erklärte. Dass er ihre Gedankenüberlappung als Ausrede benutzte, um mit ihr arbeiten zu können, sah der mächtige CEO nicht. Er sah das Risiko dahinter - aber auch den Nervenkitzel und das war es, was ihm neuen Ehrgeiz verlieh. Erst gestern hatte er beschlossen, sich Yamamoris virtuellem Gehirn zu stellen. Weniger metaphorisch denn auf intellektueller Ebene. Wenn er den geheimen Raum nicht vollends lösen konnte, musste er zu härteren Mitteln greifen, um die Kontrolle über sein System zurückzuerobern.

Also zurück zu den geheimen Anlagen der Kaiba Corporation! Der junge Firmenchef hatte ein Konzept erarbeitet, mit dem er und Rin lernen konnten, ihre Gedanken für sich zu behalten. Dafür hatte Kaiba seine DuelDisc und die seiner Duellantin umbauen müssen. Eine Arbeit, die ihm kaum Mühe gekostet hatte. Es hatte ein paar Handgriffe und einen neuen Speicherchip gebraucht, um weitere Daten von den Geräten ablesen zu können. Zudem war sein Programm darauf ausgelegt worden, jede Veränderung auf Yamamoris DuelDisc zu analysieren. Auch die verschärften Sicherheitsmaßnahmen sorgten dafür, dass ihre versteckten Logins für den jungen Firmenchef und dessen KI schnell und effektiv entschlüsselt wurden. Das alles erklärte er Rin, bevor er damit begann, die Übungen vorzustellen, die sie anschließend zur Verbreitung und Analyse durchgehen sollten. Wider ihres typischen Verhaltens war die junge Frau kaum bei der Sache. Natürlich wandte sie sämtliche Techniken an, die ihr Seto Kaiba penibel genau erklärt hatte, und auch sonst führte sie sämtliche Anweisungen ohne den kleinsten Fehler aus. Trotzdem merkte Seto Kaiba, dass was nicht stimmte. Die Euphorie fehlte, die strahlenden Augen, die neugierig jedes technische Detail in sich aufsogen und wie einen Schwamm auf ihr Gehirn übertrugen. Rin Yamamori arbeitete mit hundert Prozent - nicht mit den üblichen hundertzehn, an die Kaiba sich bereits gewöhnt hatte.

"Was ist los?", fragte er schließlich, nachdem er die Kopfhörer abgelegt und zur Wasserflasche gegriffen hatte. Blinzelnd sah ihn seine Duellantin an. Auch sie hatte die Kopfhörer abgestreift, am Hals hängend drangen noch die Wald- und Wiesengeräusche heraus.

Seto schraubte den Deckel zu, stellte die Flasche zurück auf den Arbeitstisch.

"Du bist nicht bei der Sache", und das störte ihn irgendwie.

"Entschuldige", Rin tat einen tiefen Atemzug. Sie hatte nicht einmal genug Elan, dagegen zu protestieren, "du hast recht. Ich bin…abgelenkt."

"Etwa immer noch wegen Dartz' Wackeldackel?"

"Nein", murmelte die junge Frau, der es sichtlich unangenehm war, darüber zu sprechen. Der eiskalte Blick ihres Sitznachbarn, der einfach nicht aufhören wollte, sie anzusehen, ließ sie seufzend resignieren.

"Ich habe mich mit meiner Freundin verkracht."

Seto zog die Augenbrauen zusammen, dass Rin den Blick schweifen ließ und leise fortfuhr: "Es ging darum, wie ich mich duelliere und dass ich angeblich nur noch um des Sieges willen spiele."

"Wir reden über deine kleine Mitbewohnerin oder?", Seto hatte das Bild der schwarzhaarigen Frau vor Augen. Die verstörten leeren Blicke während des Duells. Wirklich labil schien die Kleine nicht gewesen zu sein.

"Sie kommt nicht damit zurecht, dass ich mich verändert habe…", sie schüttelte den Kopf und zeigte ein winziges, trauriges Lächeln. "Entschuldige. Ich wollte dich nicht damit nerven. Ich weiß selbst nicht, warum ich dir das erzähle."

Und Seto hatte keine Ahnung, warum er zuhörte. Demnach waren sie quitt.

Dass sie das so mitnimmt…ich vergesse manchmal, dass sie auch anders sein kann

"DuelMonsters ist wie Krieg", sagte Kaiba und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, "in die Ecke gedrängt, zeigt der Mensch seinen wahren Charakter und es entscheidet sich, wer das Zeug zum Überleben hat und wer nicht."

"Und was ist der Preis für diejenigen, die überleben?"

"Das musst du schon selbst herausfinden", entgegnete er und schlug die Beine übereinander. "Wie dem auch sei", er stützte sich mit den Ellenbogen an der Lehne ab und ließ die Finger seiner beiden Hände ineinander verhaken. "Genau aus dem Grund halte ich nichts von Freundschaften. Wenn sie nicht einmal damit klar kommt, dass ihre Freundin bei den Profis spielt, hat sie nicht kapiert, worum es hier geht."

"Lumina", erwiderte Rin und drückte die Hände auf ihren Schoß, "sie ist mehr als eine Freundin. Sie ist wie eine Schwester für mich."

"Wenn sie deine Schwester wäre, würde sie dir zur Seite stehen - egal, was kommt. Glaube mir, ich weiß, wovon ich rede."

"Vielleicht", hauchte die junge Frau, den Blick in die Ferne gerichtet. Das Schweigen war erdrückend, Kaiba hätte nie damit anfangen sollen. Schnaubend erhob sich der junge Firmenchef. Eher aus einem Impuls heraus, schritt er zu einer der vielen Schranktüren und öffnete das mittlere Fach mithilfe einer Zahlenkombination. Rin beobachtet ihn schweigend dabei. Als er dann eine silberne Geldkassette herausholte, packte die junge Frau dann doch die Neugier. Sie richtige sich ebenfalls auf und schaute über Kaibas Schulter hinweg, wie dieser die Kassette öffnete.

"Da ist doch nicht Geld versteckt, oder?", konnte es sich die junge Frau einfach nicht verkneifen. Als Antwort lächelte Kaiba träge. "Meinst du, hier horte ich mein Geld für schlechte Zeiten?"

"Keine Ahnung? Wie hortet denn ein Chef eines Multimilliarden Dollar Konzerns sein Geld für schlechte Zeiten?"

"Wie jeder vernünftige Milliardär natürlich - in Aktien und Wertpapiere."

"Wie langweilig." Der Kommentar entlockte beiden ein leichtes Schmunzeln. Dann wurde Kaiba wieder ernst. Er klappte den Deckel auf.

"Ein kleines Extra für die Weihnachtszeit", erklärte er, als er drei Tennisballgroße Kugeln herausfischte.

"Die Goldene sieht aus wie Ra in seinem Kugelmodus", bemerkte die junge Frau auf Anhieb.

"Das ist reiner Zufall - wenn auch irgendwie passend. Halt mal", er legte ihr die Kugeln in die freie Handfläche. Gespannt sah sie zu den Kugeln und wieder zu Kaiba. Der junge Firmenchef hatte nach der zusammengerollten Spielmatte aus Schaumstoff gegriffen, welche ebenfalls in der Kassette versteckt gewesen war.

"Die Matte ist nicht wie die sonstigen", entgegnete Rin, während ihr Chef besagte Matte ausrollte und auf den Tisch legte - mitsamt der Geldkassette, in der noch weitere Kugeln lauerten - in rot, lila und gold.

"Es braucht keine fünf Monster- und Fallenzonen. Decks sind auch nicht nötig… Leg' die goldene Kugel auf die Monsterzone - das ist die sechseckige mit dem Stern in der Mitte", wies er sie an. Perplex nickte Rin und folgte der Anweisung. Sobald die Kugel die Matte berührte, wurde ein Mechanismus freigesetzt. Es gab ein leises Surren. Schließlich klappte die Kugel auf und ein dreidimensionaler Kampfochse sprang heraus. Über der halb offenen Kugel schwebte das Krieger-Ungeheuer, brüllte und schwang seine Axt.

"Miniaturprojektionen", erklärte Kaiba, der Rin keinen Moment aus den Augen ließ. Die junge Frau hatte die Augen weit aufgerissen, wie ein Kind das ein Geschenk auspackte strahlte sie fasziniert auf das Hologramm.

"Dann stehen die goldenen Kugeln also für Monster?"

"Richtig."

"In den grünen sind dann bestimmt Zauber und in den lilanen Fallen."

"Sehr clever, Yamamori."

"Jaja", grummelte Angesprochene, bevor sie sich wieder der Spielmatte zuwandte und wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen begann.

Na bitte, geht doch

"Es ist eine vereinfachte Variante von DuelMonsters", sagte Kaiba und ließ eine der grünen Kugeln auf das entsprechende Feld fallen. Ein Tornado wütete, das Monster wurde aufgesogen und zersprang in seine klassischen Splitter. Die Kugel schloss sich wieder. Rin biss sich auf die Lippen. Nur sehr gut konnte sich der junge Firmenchef vorstellen, wie sie ihren Freudenschrei geradeso unterdrücken konnte. Er kannte das Gefühl nur selbst all zu gut.

"Taschen- DuelMonsters. Nicht zu verwechseln mit dem anderen kindischen Zeug, das seit Jahrzehnten den Markt verseucht. Eigentlich sind es auch eher Sammlerobjekte. Wie gesagt, es ist ein Extra, dass die Kaiba Corporation exklusiv zur Weihnachtszeit auf den Markt bringen wird."

"War das deine Idee?", fragte Rin, den Blick nur schwer von den Kugeln lassend.

"Wessen denn sonst?", entgegnete er so herablassend wie eh, "mir war langweilig und ein paar nette Spielereien kommen immer gut an."

"Das machst du, wenn dir langweilig ist?", prustete Rin, "und was machst du, wenn du schläfst? Deine Firma leiten?"

"So in der Art."

Seine abgeklärte Antwort brachte Rin aus dem Konzept. Sie schüttelte den Kopf und spielte ihr Schnauben herunter.

Freches Weib

"Obwohl ich zugeben muss, dass die Idee natürlich jeden Sammler und Fan anlocken wird", sagte sie und schmunzelte in sich hinein.

"Wenn man erst einmal ein ganzes Set zusammen hat… Mit einzigartigen Monstern und limitierten Stückzahlen. Und sobald ganze Packs angeboten werden und man immer wieder dieselben kaufen muss, weil sich nur eine der Kugeln ständig unterscheidet…hm, natürlich kann man erst richtig loslegen, wenn man ein Thema komplett hat - und das zu schaffen, ist beinahe unmöglich. Dafür muss man genügend Zauber und Fallen besitzen, welche natürlich schwieriger zu bekommen sind als Monster…" Sie spielte mit den verbliebenen Kugeln in ihrer Hand. "Für den Kauf einer neuer DuelDisc könnte man eine Spielmatte als Anreiz erhalten", murmelte sie weiter, als hätte sie bereits vergessen wo und mit wem sie hier war, "oder zwei Kugeln - wenn man erst einmal damit angefangen hat, wird es unmöglich sein, aufzuhören."

"Ich hatte keine Ahnung, dass du lieber in die Kommerzabteilung wechseln willst."

"Huh?!", sie sah ihn jetzt erstmals wieder richtig an, "nein, äh…ich hab nur laut vor mich geredet."

"Also wie man den Leuten ihr Geld aus der Tasche zieht, hast du schon mal begriffen", er nahm ihr die Kugeln ab und legte sie zurück in die Kasse. Sein eigenes verschmitztes Grinsen konnte er dabei kaum unterbinden, "mal sehen, was sich machen lässt."



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