Zum Inhalt der Seite

Spiel ohne Limit

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

"Insekten", Lumina schüttelte sich, bevor sie den Strohhalm mit Zeige- und Mittelfinger einklemmte und die schaumig süße Flüssigkeit zwischen ihren Lippen einfing. Die Milchshakes im Themenpark waren nicht so gut wie die in der Innenstadt, aber für die junge Duellantin und deren Begleitung umsonst, dass auch ihre beste Freundin nicht widerstehen konnte und ein Getränk nach dem nächsten bestellt wurde. Mit einem einzigen Zug war das hohe Glas um ein viertel geleert.

"Ich kann nicht glauben, dass du recht hattest. Haga ist einer der Letzten, deren Duelle ich mir reinziehen wollte." Erneut durchzuckte sie ein Schaudern zutiefster Anwiderung.

Seit gestern stand Platz dreißig der Topcharts fest - Insector Haga bildete das Schlusslicht der Spitzenplatzierung. Aber immerhin würde er dabei sein. Rin zerknüllte die Karte des Themenparks und blickte ungeduldig auf ihr Smartphone.

"Wenn ich mit ihm fertig bin", entgegnete Rin, "wirst du deine Angst vor Spinnen überwunden haben."

"Vorausgesetzt wir finden diese kleine Made", fügte Lumina hinzu und sprach Rins derzeitige Sorge aus. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und sah hinauf in den Himmel. Mit verschränkten Armen, dass nur leicht das Metallband um ihr Handgelenk zum Vorschein kam betrachtete sie die hochstehende Sonne. Heute war ein wundervoller Tag. Sonnenschein pur, keine Wolke am Himmel und angenehme fünfundzwanzig Grad. Rin war neben kleinen zierlichen Großmütterchen und einigen blassen Nerds die einzige, die noch eine Jacke trug. Ihren linken Arm zu verbergen gehörte mit zu ihrem Plan, den sie - so musste sie leider feststellen - nicht aus allen Blickwinkeln betrachtet hatte. Sie hatte ja noch nicht einmal eine Ahnung, wo er sich aufhielt. Rin war sich sicher gewesen, den kleinen grünhaarigen Wicht im Themenpark vorzufinden. Dort, wo ab sechzehn Uhr alle Duellanten, die in die nächste Runde kamen, auftauchen würden. Ab vier Uhr Nachmittag wäre es längst zu spät für die junge Frau, die noch vor Ablauf der Frist ihr Duell bestreiten musste. Nicht umsonst hatte sie die letzten anderthalb Wochen unentwegt darum gekämpft, dass sie nur noch wenige Punkte von der Nummer dreißig entfernt war. Um Haga zu überholen, brauchte Rin nur noch acht Punkte. Mit einem Sieg über ihn, der ihr zehn Punkte einbrachte, wäre sie bei den Rooftop-Battles dabei. Ihr Herz begann zu hüpfen, während gleichzeitig ihr Magen holperte, dass sie sich am liebsten in der nächstbesten Ecke übergeben hätte.

"Er muss hier sein", murmelte Rin und suchte mit ihren stechenden Augen die Umgebung ab. Neben Statuen des weißen Drachen und drei protzigen Arenen, die allein den Hochrangigen vorbestimmt war, gab es auch einige Attraktionen für Nichtduellanten. Aus der Ferne kam ihr der vertraute Anblick der roten Riesenachterbahn entgegen. Weiter westlich stand eine Eislaufbahn, die selbst in den Sommermonaten in Betrieb war und lediglich von einem Halbdach geschützt wurde, dass Rin sich fragte, wie viel Geld für entsprechende Klimaanlagen ausgegeben werden musste. Daneben befanden sich ein Souvenirladen und ein kleines Museum über die Geschichte von DuelMonsters. Nicht unweit ihres Platzes (sie saßen im Zentrum des Themenpark, umringt von Blumenbeeten und einem aufragenden weißen Drachen aus Marmor) waren blau-weiße Sonnenschirme drapiert, unter denen DuelMonsters-Duelle noch auf klassische Weise ausgetragen wurden - nämlich mit Papierspielmatte und einer Münze für Zufallsbestimmungen. Tatsächlich kam es langsam wieder in Mode, Duelle auf altmodische Weise zu bestreiten, fast als gehörte es zum Vintage-Stile. Rin hatte zu viele Simulationen in der Trainingshalle abgehalten, als dass sie jemals zum Original zurückkehren wollte. Der Nervenkitzel, die Verschmelzung von Technik und Spielgeschehen waren für sie unabdingbar geworden. Irgendwann, so hoffte sie, würde das, was während ihrer virtuellen Trainingsduelle stattfand, Wirklichkeit werden - virtuelle Wirklichkeit, welche die ganze Welt zu sehen bekäme.

Vielleicht sogar schon in der nächsten Runde

Rin beugte sich nach vorne, die Ellenbogen stützten ihr Kinn ab, während sie kurz davor stand Trübsal zu blasen.

"Wie lange haben wir noch", Lumina hatte ihr Glas geleert und machte sich nun daran, eine Zigarette zu entzünden.

"Es ist kurz vor drei. Also etwas über eine Stunde."

"Und wie sieht dein Plan aus? In den Duellarenen haben wir ihn nicht gefunden. Ich glaube auch nicht, dass noch einer von denen ein Duell bestreiten wird. Also was jetzt?" Sie nahm einen tiefen Zug, dass Rin die Rauchwolke beobachtete. Wie im Zeitraffer stieg sie hinauf, begleitet von einem dünnen Schwaden, der aus der glühenden Spitze herausquoll.

"Ich habe gehört", Rin drehte sich in Richtung der Arena, die schon bald mit den besten Spielern Dominos gefüllt wäre, "dass er sich gerne zur Schau stellt und sich von seinen Fans feiern lässt."

"Das sieht man ihm ja gar nicht an", verdrehte Lumina die Augen.

"Ich denke, er wird schon vor der großen Ankündigung hier sein. Die Frage ist nur, wo."

"Wir können nicht den ganzen Themenpark abklappern, Rin. Das Gelände ist fast so gewaltig wie Kaibaland. Wir haben schon Stunden damit verbracht, nur von einer Arena in die nächste zu kommen. Wir können nicht noch sämtliche Hallen und Schauplätze abklappern."

"Ich weiß", Rins Augen wurden kleiner, "darum habe ich ja dieses Café gewählt. Und nicht, damit wir die schöne Aussicht genießen können." Wobei die Springbrunnenanlage mit ihren diversen Feenstatuen etwas magisch Romantisches besaß. Dahinter verbarg sich ein Heckenlabyrinth, in dem eines ihrer Lieblingsduelle stattgefunden hatte - das Viererduell, in dem Yugi Mutou zusammen mit Katsuya Jonouchi gegen die Brüder Paradox gekämpft hatte. Es war eines der ersten Duelle, in denen holographische Projektionen mit der Realität verschmolzen worden waren. Rin hatte es so fasziniert, dass ihre Cyber-Kindheitsphantasien Wirklichkeit geworden waren, dass ihr fünfzehnjähriges Ich nach diesem Halbfinalspiel beschlossen hatte, Profiduellantin zu werden.

Das Vibrieren ihres Smartphones weckte Rin aus ihren Träumereien. Sie sah aufs Display und seufzte.

"Deine Mutter?", fragte Lumina und kannte die Antwort. Träge nickte Rin und steckte ihr Handy zurück in die Jackentasche.

"Seit unserem letzten Gespräch ruft sie mich fast täglich an. Es ist einfach nur noch nervenaufreibend."

"Du hättest wissen müssen, dass sie es irgendwie herausfindet." Natürlich hatte Rin gewusst, dass ihre Mutter früher oder später dahinter käme. Ihr Vater hatte es von einem seiner Arbeitskollegen erfahren. Dieser hatte Rin überdeutlich auf einer der platzierten Leinwände in der Innenstadt wiedererkannt. Früh am Morgen hatte ihre Mutter sie aus den Bett geklingelt, mit weinerlicher Stimme hatte sie ihr übers Telefon ihren Unmut mitgeteilt. Beide Frauen hatten sich nicht beherrschen können. Aus Diskussion würde Streit, der schließlich damit endete, dass Rin einfach aufgelegt hatte und über eine Stunde brauchte bis sie halbwegs wieder runtergefahren war. Seitdem versuchte ihre Mutter, sie ständig daran zu erinnern, dass sie ihre Intelligenz und das jahrelange Lernen nicht einfach über Bord werfen konnte. Ihre Mutter verstand bis heute nicht, dass ihre Bemühungen in der Schule nur dazu gedient hatten, ihre Eltern ruhig und zufrieden zu stellen.

"Wenn sich die Aufregung gelegt hat, werde ich sie zurückrufen. Irgendwann wird ihr einfallen, dass sie über mein Leben nicht mehr zu bestimmen hat. Zumindest hoffe ich das."

"Bist du deshalb so verbissen darauf, in die nächste Runde zu kommen?", Lumina schüttete die Asche in den vorgesehen Behälter, "ach Rin, das ist doch völlig übertrieben. Ich weiß, du willst es allen nur beweisen wollen, aber du setzt die Messlatte einfach zu hoch. Statt dich einfach mit dem zufrieden zu geben, was du hast, musst du unbedingt einen Schritt weitergehen. Du könntest dich auch erst in der Liga hocharbeiten und nächstes Jahr richtig durchstarten. Aber nein, Madame muss es natürlich wieder mal übertreiben."

"Und das wundert dich nach zehn Jahren immer noch?", grinste Rin schief, dass auch Lumina lächeln musste.

"Ich will damit nur sagen, du musst nicht gleich aufs Ganze gehen. Nicht mit aller Macht versuchen, sofort von Null auf hundert zu kommen. Du hast in letzter Zeit ein Tempo drauf, da komm`ich nicht einmal richtig mit. Und ich weiß nicht, wie lange du noch durchhältst."

"Du willst also damit sagen, dass ich jetzt aufgeben soll", Rin verschränkte die Arme vor der Brust, "jetzt, wo ich meinem Ziel so nahe bin, soll ich einfach resignieren und auf die Bremse treten?"

"Nein", erwiderte Lumina und sah sie ernst an, "ich mache mir nur Sorgen um dich. Dass du dem Druck nicht standhalten könntest oder am Ende bitter enttäuscht wirst. Die Branche ist hart, das weißt du jetzt besser als ich. Es soll dich nicht kaputtmachen." Schweigen. Es waren nicht die Worte, die Rin hören wollte. Stattdessen wünschte sie sich, sie hätte eine plötzliche Eingebung, die ihr weiterhelfen könnte, damit dieses Gespräch nicht weitergeführt werden musste. Für Rin gab es gerade kein Tempolimit, dass sie einfach nur den peitschenden Wind in ihrem Gesicht genießen wollte, die Freiheit, die mit der rasenden Geschwindigkeit einherging.

"Also schön", sagte Lumina und legte den Rest ihrer Zigarette in den Becher, "warum lässt du nicht einfach das Schicksal entscheiden." Ihr Grinsen wurde breit. "Wir machen uns jetzt los und suchen noch ein wenig, denn mehr können wir ja scheinbar nicht tun. Außer du möchtest für den Rest des Tages hier sitzen bleiben und darüber spekulieren, wo wir am besten suchen könnten."

Lumina hatte recht. Hier weiter rumzusitzen brachte nichts. Sie sah auf ihre DuelDisc. Ihr Punktestand flackerte auf, kurz bevor ein kleines weißes Lämpchen blinkte, dass ihr damit andeuten wollte, sie sollte sich in das System einloggen.

"Gut, gehen wir", damit erhob sich Rin und blinzelte in die Sonne hinein. Schützend hielt sie ihren rechten Arm über ihre Augen. Ein schwarzer Wuschelkopf weckte ihr Interesse. Ein Gefühl überkam sie; als ob ihr jemand einen Rettungsring zuwarf.

"Lumina", sie packte ihre Freundin, welche sich gerade erst aufgestellt hatte, am T-Shirt, "mein Schicksal hat sich soeben gemeldet."

"Was?", Lumina sah in die Richtung, in welche ihre Freundin zeigte. Die Schwarzhaarige riss die Augen auf: "Er ist wirklich größer als er im Fernsehen wirkt. Verdammt, wenn ich nicht einmal größer bin als Mokuba Kaiba", murmelte sie als eben dieser die zwei Frauen bemerkte und auf sie zuschritt.

"Was für ein Zufall", lachte der junge Kaiba auf und nickte Rin zur Begrüßung zu, bevor er sich an Lumina wandte und sie anlächelte. Ihre beste Freundin war noch weniger als sie bestrebt, mit Fremden ins Gespräch zu kommen, dass sie nur stumm mit ihren Augen kommunizierte und damit zum Ausdruck brachte, ihn registriert zu haben.

"Dasselbe habe ich auch gerade gedacht", lächelte Rin und war ehrlich erleichtert ihn zu sehen, "du könntest mir nämlich einen riesen Gefallen tun." Dabei spürte sie den Blick ihrer Freundin, von der sie ganz genau wusste, was sie dachte.

"Naja", Mokuba fasste sich an seinen Schopf, "ich hab zwar nicht viel Zeit", er deutete auf seinen Koffer, den er bei sich trug und noch gewaltiger wirkte als jener, den sie letzte Woche erhalten hatte, "aber schieß' ruhig los."

"Du hast doch sicherlich Zugang zu allen Lokalisierungspunkten - sprich: wann, wo welches Duell stattfindet."

"Natürlich", bestätigte Mokuba.

"Dann kannst du doch auch bestimmt jeden Spieler mithilfe der DuelDisc orten."

"Wenn sie sich derzeit in einem Duell befinden, ist es ein Kinderspiel. Sonst müsste ich ein wenig tricksen, aber es wäre machbar. Wieso?"

"Nun", Rins Stimme verschärfte sich, ihre Gedanken waren nur noch auf ein

Duelll konzentriert, "ich muss wissen, wo sich Insector Haga aufhält. Damit ich mich mit ihm duellieren kann."

"Haga?", blinzelte sie Mokuba an, "vergiss´nicht, er muss dich herausfordern. Der Kerl hat es gerade so in die Top dreißig geschafft, ich glaube nicht, dass er sich mit dir duellieren wird. Da wäre ziemlich riskant von ihm."

"Nur wenn er weiß, dass ich diejenige bin, die einen Platz hinter ihm steht", ihr Lächeln wurde spitz, "ich denke nicht, dass er mich erkennt. Nicht solange er das nicht sieht", sie zeigte auf ihr Armband.

"Ich weiß zwar noch nicht, wie du es hinkriegen willst, aber wenn du es probieren möchtest, werde ich dir selbstverständlich helfen." Damit ging er in die Hocke und stellte seinen Koffer ab. Mit einen Klick öffnete sich das Metall und Mokuba holte einen Laptop heraus. Mit wenigen Tastatureingaben hatte er ein Programm geöffnet, dass den Stadtplan von Domino-City zeigte, inklusive vieler gelb aufleuchtender Punkte.

"Die gelben Punkte zeigen die laufenden Duelle", erklärte Mokuba und tippte im oberen Eingabefeld den Namen des gesuchten Spielers ein, "momentan spielen nur nicht-registrierte Spieler, sprich Hobbyduellanten. Auf normalem Weg kann ich ihn nicht finden, aber wenn ich", er verstummte und widmete sich dem Rechner. Mokuba war flink mit den Fingern, geradezu geübt. Kein Wunder, der Jüngere gehörte bereits seit drei Jahren der Worldcup-Komission an und war darauf spezialisiert, sich um alle Funktionen hinter den Kulissen zu kümmern. So gehörte die Lösung verschiedenster technischer Probleme mit zu seinen Aufgabenfeldern. Und außerdem wäre es für Rin nicht verwunderlich, wenn der junge Bruder von Seto Kaiba zumindest einen Bruchteil seiner Intelligenz besaß.

"Da haben wir´s ja", entgegnete Mokuba nach einigen Minuten, in denen Rin bereits damit gerechnet hatte, dass Haga seine DuelDisc überhaupt nicht bei sich trug, "er ist ganz in der Nähe. Ein Gebäude von der Hauptarena entfernt. Vermutlich um Autogramme zu geben."

"Prima", klatschte Rin in die Hände und strahlte ihre Freundin an, "dann nichts wie hin."



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück