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Atempause

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Eine kleine Warnung vorab: Sam ist hier ziemlich verbittert und niedergeschlagen und geht deshalb vielleicht nicht ganz fair mit Dean um, aber in Anbetracht der Situation empfand ich das als passend.

Wie immer gilt: Wem Rechtschreib-, Zeichensetzungs- oder Grammatikfehler auffallen, darf mir das gerne mitteilen :) Komplett anzeigen

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Atempause

Sam ist müde. Müde, wütend und unglücklich, aber vor allem frustriert. Außerdem tut sein Kopf höllisch weh. Castiel hat zwar im Handumdrehen dafür gesorgt, dass sich die Einstichlöcher der Nadeln geschlossen haben, die Crowley in seinen Kopf gebohrt hat, um den Engel in ihm loszuwerden, aber trotzdem ist ein dumpfes Pochen zurückgeblieben, das es ihm schwer macht, sich aktuell auf etwas anderes, als ruhig zu atmen und mit dem Rücken an das Brückengeländer gelehnt dazustehen, zu konzentrieren.

Und natürlich musste sich Dean ausgerechnet diesen Moment aussuchen, um darüber reden zu wollen, was passiert ist. Sofern man das, was Dean getan hat, als darüber reden bezeichnen kann, versteht sich. Denn das Einzige, was sein Bruder gemacht hat, ist das Ganze damit zu erklären, dass er keine Wahl hatte. Dass er ihn nicht sterben lassen wollte und deswegen getan hat, was er eben tun musste. Was nichts anderes bedeutet, als das Sam dankbar dafür sein soll, dass Dean Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, um ihn gegen seinen Willen am Leben zu erhalten, statt angefressen zu reagieren. Als wäre es nur eine Kleinigkeit, dass Dean ihn hereingelegt hat, damit er zustimmt, dass ein Engel von ihm Besitz ergreift. Oder dass er auch noch bewusst dafür gesorgt hat, dass ein Dämon in seinen Körper hineinschlüpfen kann.

Die Stelle, an der sein schützendes Anti-Besitz Tattoo einmal gesessen hat, scheint immer noch wie Feuer zu brennen. Abwesend reibt Sam darüber. Ohne die schützende Tinte fühlt er sich seltsam angreifbar und nackt. Nach allem, was sie beide schon erlebt haben - das Chaos, das Meg angerichtet hat, als sie sich in seinem Körper eingenistet hat, Luzifer und die anschließenden Halluzinationen, die ihn sogar in eine Psychiatrie befördert haben - sollte man meinen, dass so etwas das Letzte wäre, was Dean ihm jemals antun würde, aber da hat er sich wohl geirrt.

Mit zusammengepressten Lippen mustert Sam die alte Narbe an seiner Hand, die ihm damals geholfen hat, zu erkennen, was real und was nur eine Halluzination des Teufels war. Er hätte nie gedacht, dass er womöglich wieder auf diese Methode zurückgreifen muss. Nervös versucht er den beunruhigenden Gedanken bei Seite zu schieben, ob er sich ganz sicher sein kann, dass das, was er hier gerade erlebt, wirklich die Realität ist, ehe er abrupt seine Fingernägel in die Narbe bohrt, um auf Nummer sicher zu gehen. Der plötzliche Schmerz erdet ihn wieder und er erkennt erleichtert, dass sich an seiner Umgebung nichts verändert hat. Nur Castiels leicht besorgter Blick, der auf seiner jetzt blutenden Hand ruht, ist neu. Sam verschränkt rasch die Arme, um die Wunde zu verbergen und dreht sich von Castiel weg, um seinem durchdringendem Blick zu entkommen.

 

Sein Blick gleitet zu der Stelle, wo die Rücklichter von Deans Impala in der Dunkelheit verschwunden sind und er ballt seine Hand wütend zu einer Faust, während er auf die leere Straße starrt. Offenbar ist das die einzige Lösung, die sein großer Bruder kennt. Weglaufen und alles auf eigene Faust regeln. Sam ausschließen, um nur nicht über die Dinge, die wirklich wichtig sind, nachdenken oder - Gott bewahre - reden zu müssen.

 

Gott, er ist es so leid! Jedes Mal das gleiche Spiel. Das Gute ist: Er hat nicht herumgeschrien oder versucht, Dean niederzuschlagen. Andererseits hat er sich aber auch nicht besonders viel Mühe gegeben, ihn dazu zu bringen, seine Sichtweise zu verstehen. Stattdessen hat er ihn resigniert ziehen lassen, weil Dean das Problem einfach nicht verstanden hat. Oder verstehen wollte. Es ist offensichtlich gewesen, dass Dean ganz genau wusste, dass Sam der ganzen Sache nie zugestimmt hätte und trotzdem beschlossen hat, seinen eigenen Willen durchzusetzen. Denn wann interessiert es Dean schon, was Sam will? Wann respektiert er seine Entscheidungen? Und natürlich hat es geendet, wie es immer endet, wenn sie beide Geheimnisse voreinander haben und der festen Überzeugung sind, das Richtige zu tun: Am Ende geht alles höllisch schief und unschuldige Personen werden im Kreuzfeuer verletzt. Oder - wie in Kevins Fall - sogar getötet. Kevin… Bei dem Gedanken an Kevin, an seine weggebrannten Augen und den leblosen Körper, wird Sam schlecht. Seine Beine beginnen zu zittern und er dreht sich hastig um, lehnt sich über das Geländer, um nicht an Ort und Stelle zusammenzusacken. Es ist seine Schuld. Ganz egal, was Dean sagt, es ist seine Schuld. Weil Sam irgendwo in seinem eigenen Verstand weggesperrt und so sehr mit lauter imaginären Fällen beschäftigt war, dass er nicht einmal bemerkt hat, dass nichts davon real war, während sein Körper von jemand anderem benutzt wurde, um brutale Morde zu begehen. Es waren seine Hände, die Kevin ausgebrannt haben und Sam wünscht sich, dass er die Bilder nicht mehr sehen oder den Geruch von verbranntem Fleisch in der Nase ertragen müsste.

 

Sam schluckt gegen das Gefühl der Übelkeit in seiner Kehle an und ist dankbar für den kühlen Nachtwind, der über sein Gesicht weht. Es verwundert ihn, dass er trotz allem, was bis jetzt schon zwischen ihm und Dean vorgefallen ist, immer noch enttäuscht sein kann. Zum Beispiel darüber, dass sein großer Bruder nicht einmal versucht hat, sich bei ihm zu entschuldigen. Wenn Sam Dean verraten und verletzt hat - und er weiß, dass er das oft, vielleicht zu oft, getan hat - hat er sich entschuldigt. Nicht, dass das in Deans Augen etwas geändert hat, aber es war Sams Versuch, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Sich selbst und Dean gegenüber einzugestehen, dass er falsch lag und dass es ihm leid tat, seinen Bruder enttäuscht zu haben. Aber vielleicht ist das der springende Punkt, überlegt er bitter. Warum sollte Dean ihn auch um Entschuldigung bitten, wenn er sich im Recht fühlt?

 

Frustriert schüttelt er den Kopf, was eine blöde Idee ist, wie ihm der scharfe Schmerz beweist, der sofort durch seinen Kopf schießt. Gequält schließt er die Augen und kneift mit Daumen und Zeigefinger einen Punkt zwischen seinen Augenbrauen, der das Ausgangszentrum seiner Agonie zu sein scheint, zusammen.

„Sam?“, ertönt Castiels fragende und besorgte Stimme auf einmal neben ihm und der Angesprochene zuckt zusammen. Für einen kurzen Moment hat er die Anwesenheit des Engels ganz vergessen. Entschieden gibt er sich einen Ruck. Es wird Zeit in den Bunker zurückzukehren. Es gibt so viele Sachen, um die sie sich kümmern müssen: Gadreel, Metatron, die rivalisierenden Engelsfraktionen, Abaddon und zu allem Überfluss jetzt auch noch Crowley. Wieder einmal hat Sam das Gefühl, dass der Berg an Problemen nur größer anstatt kleiner wird und vermutlich waren diese 20 Minuten hier gerade die längste Atempause, die er in den nächsten Wochen bekommen wird. Mit etwas Schwung stößt Sam sich vom Brückengeländer ab, ignoriert das Schwindelgefühl, das beinahe sofort einsetzt, und stolpert mit verbissenem Gesichtsausdruck langsam auf das Auto zu.

„Lass uns fahren, Cas“, murmelt er undeutlich. Castiel nickt wortlos und gleitet katzengleich in den Fahrersitz, während Sam neben ihm unelegant zusammensackt, die Augen schließt und versucht, die Welt um ihn herum wenigstens für einen kurzen Moment auszublenden.



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