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Zehn Punkte Abzug für Slytherin

von

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Hogwarts, ca. 1904
 

Als im Schlafsaal nur noch das gleichmäßige Atmen seiner Mitschüler und das sanfte Schlagen der Wellen gegen die Fenster zu hören war, schlug Lester die Decke seines Bettes zurück. Er zog seine schwarz-grünen Schulroben an und schob sich am grünen Bettvorhang vorbei in seine weichen Pantoffeln. Üblicherweise trug er sie nur im Slytherin-Gemeinschaftsraum, aber heute Nacht würde die weiche Sohle seine Schritte in den steinernen Gängen des Schlosses dämpfen.

Leise schlich Lester aus dem Schlafsaal hinaus. Der gemauerte Gang vor ihm wurde von magischen Lampen in ein gemütliches, grünes Licht getaucht. Um diese Uhrzeit durfte er nicht mehr auf sein. Die Vertrauensschüler würden seine Anwesenheit im Gemeinschaftsraum dulden, aber sie würden ihn nicht hinauslassen. Vorsichtig lugte er um die Ecke des Ganges, der im Gemeinschaftsraum endete. Er konnte sehen, dass die Scheite im Kamin noch glühten. In der Nacht lag der See tiefschwarz da und die Fenster des Gemeinschaftsraums, die unter der Seeoberfläche lagen und tagsüber das faszinierende Leben in der Tiefe des Sees präsentierten, waren so dunkel wie das Gewässer. Auch hier war das beruhigende Geräusch der Wellen zu hören, die sacht gegen die Mauern und Fenster schwappten.

Im Gemeinschaftsraum saß niemand. Die gemütlichen Sofas waren leer und auf dem Schachfeld zwischen zwei Stühlen warteten die Figuren gelangweilt auf die Fortsetzung der Partie. Die Vertrauensschüler waren entweder schon im Bett oder auf Patrouille. Lester schob zögerlich seine schmale, schlaksige Gestalt um die Ecke und huschte quer durch den Raum zum Ausgang. Das grüne Licht der Deckenlampen schimmerte auf seinen gelockten, rotbraunen Haaren, die ihm wild ins Gesicht fielen. Seine Schwester beschwerte sich schon seit Wochen, dass er seine Strähnen endlich kürzen sollte, aber Lester versteckte sich gerne hinter ihnen. Die Gläser seiner Brille verhinderten, dass ihm die Strähnen in die Augen fielen.

Auf dem Weg zum Ausgang kam er am schwarzen Brett vorbei. Dort war das neue Passwort für den Zugang zum Gemeinschaftsraum aufgehängt worden, das für die nächsten beiden Tage gelten würde. Lester merkte sich das neue Passwort - Vielsafttrank - für den Fall, dass er vor Mitternacht nicht zurückkehrte. Er wusste nicht genau, wohin ihn dieser Abend führte, aber er brannte vor Neugierde, es herauszufinden.
 

Lester Robe flatterte um seine dünne Gestalt, als er möglichst leise durch das Verlies rannte. Vor wenigen Wochen war er endlich fünfzehn Jahre alt geworden und fühlte sich damit schon beinahe erwachsen. Er war in den letzten Monaten ordentlich in die Höhe geschossen und seine Glieder waren lang und sehr dünn. So schnell, wie er wuchs, blieb kaum Zeit, Masse anzusetzen. Der lästige Stimmbruch gehörte endlich der Vergangenheit an und er hatte schon viel Zeit darauf verwendet, seine neue Singstimme im Schulchor auszuprobieren. Besonders stolz war er auf seine ersten Barthaare.

Mit dem Privileg, schon fast ein ganzer Mann zu sein, wurden auch romantische Avancen endlich ernst genommen. Allerdings war das in vielfacher Hinsicht problematisch. Nicht nur hatte Lester absolut keine Erfahrung - er hatte selbst das lieb gemeinte Angebot seiner älteren Schwester, das Küssen zu üben, ausgeschlagen, indem er erschrocken mit rotem Kopf davongerannt war - sondern er war auch außerordentlich schüchtern. Dennoch war seine Schüchternheit nicht das größte Problem.

Trotz all der Widrigkeiten hatte er eine verheißungsvolle Verabredung für den heutigen Abend. Aufgeregt flatterte Lesters Herz in seiner Brust. Er war ungeduldig, endlich das Ziel seiner Verabredung, den Astronomieturm, zu erklimmen. Das Burgverlies hatte er bereits hinter sich gelassen und die Gänge flogen unter seinen schnellen Schritten nur so dahin. Er war spät, weil Niclas noch eine gefühlte halbe Ewigkeit in seinem Buch gelesen hatte, statt sich schlafen zu legen. Hoffentlich wartete seine Verabredung auf ihn.

In seiner Eifrigkeit stieß er fast mit dem Schulkater zusammen. Der Kater fauchte ihn erschrocken an und sträubte sein Fell. Lester stolperte vor Schreck rückwarts und landete wenig elegant auf seinem Hintern. Der Kater war zur Häfte Kniesel, mit einem Pinselschwanz, großen Ohren und grau geflecktem Fell. Mit Knieseltieren war Lester noch nie gut zurecht gekommen und in dem Schulkater sah er eine ganz gemeine Natur. Nicht umsonst hatten ihn die Schüler "Perfidus" getauft. Angriffslustig baute sich der Kater vor ihm auf. Panisch griff Lester nach seinem Zaubstab. Er musste irgendetwas tun! Seine Verabredung stand auf dem Spiel! Der Kater würde ihn entweder zurück in seinen Gemeinschaftsraum jagen, und Lester fürchtete seine krallenbewehrten Hiebe sehr, oder, noch schlimmer, der Kater würde einen patrouillierenden Vertrauensschüler oder Lehrer alarmieren. Ein Zauber musste her, nur welcher?

Als er den Zauberstab hob, ergriff der Kater zu seinem Erstaunen die Flucht. Bestimmt bedeutete das, dass der nächste Lehrer oder Vertrauensschüler ganz in der Nähe war! "Locomotor Wibbly!", flüsterte Lester atemlos und richtete seinen Zauberstab auf den Kater. Ein orangefarbener Lichtstrahl raste von der Spitze seines Zauberstabs in das Fell des Katers. Augenblicklich gaben die Beine unter dem Tier nach. Laut fing der Kater an zu rufen, während er vergeblich versuchte, auf die Beine zu kommen. Lester rappelte sich auf und nahm die Beine in die Hand, das laute Miauen des Tieres in den Ohren.
 

Schwer atmend blieb Lester am Fuße des Astronomieturms stehen und lauschte. Außer dem lauten Klopfen seines Herzens und seinen eigenen, keuchenden Atemzügen hörte er keine verdächtigen Geräusche. Wenn er Verfolger gehabt hatte, hatte er sie wohl abgeschüttelt. Erschöpft lehnte er sich an die Wand, die von einem breiten, hübsch bestickten Wandteppich gesäumt wurde, und versuchte seinen Atem zu beruhigen. Die Gefahr einer Entdeckung schien gebannt.

Leider hatten seine Gedanken nun Gelegenheit, um das unmittelbar bevorstehende Aufeinandertreffen zu kreisen, und er wurde unangenehm nervös. Das war seine erste Verabredung dieser Art. Hätte er irgendetwas mitbringen sollen? Blumen? Schokolade? Oder gehörte sich das bei dieser Konstellation nicht? Lester war sich nicht einmal sicher, ob seine Verabredung ihr Treffen überhaupt als romantische Verabredung auffasste. Als sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten, hatte er vor lauter Aufregung kaum ein Wort herausgebracht. Seine Kehle hatte sich wie zugeschnürt angefühlt. Wie durch ein Wunder war es dennoch zu der Verabredung gekommen, aber Lester hatte keine Ahnung, ob seine Intention dahinter klar gewesen war. Nachfragen war natürlich keine Option gewesen, denn dazu fehlte ihm der Mut.

Bevor ihn eine Panik der ganz anderen Sorte ergriff, setzte er sich in Bewegung und erklomm die Stufen hinauf zum Astronomiezimmer. Sicherlich war er viel zu spät und seine Verabredung war längst in ihren Gemeinschaftsraum zurückgekehrt. Vielleicht war sie auch gar nicht aufgetaucht. Wer fand schon Gefallen an so einem dürren Mann, der vor lauter Nervosität keinen zusammenhängenden Satz bilden konnte? Die meisten seiner Mitschüler waren ohnehin der Meinung, er wäre im falschen Haus gelandet. Lester hatte drei ältere Geschwister, die der Sprechende Hut alle nach Hufflepuff geschickt hatte. Mit Slytherin hatte er die bewährte Familientradition gebrochen. Bestimmt war er einfach verkorkst. Wer wollte sich schon mit jemand Verkorkstem treffen?

Heiliger Hippogreif, die Tür zum Astronomiezimmer stand offen! Lester drückte sich flach an die Wand und erstarrte zur stocksteifen Statue, deren Brustkorb sich verräterisch schnell hob und senkte. Aus dem Zimmer erklang das Rascheln von Stoff und deutete auf eine Person hin. War das seine Verabredung oder war das ein Lehrer? Lester schluckte, nahm seinen Mut zusammen und lugte scheu um die Ecke. Bei dem Anblick der Person, die dort im Mondlicht stand, spürte er ein warmes Kribbeln in seiner Magengrube. Hellblonde Haare mit ungewöhnlich dunklen Augen, das hübsche Gesicht mit den vollen Lippen und der blonde Schnurrbart, mit dem er einfach so männlich wirkte. Das war Finch, seine Verabredung! Er war gekommen!

Lester zog sich schnell wieder zurück. Wenn er diesen Raum betrat, was sollte er nur sagen? Er hatte nicht einmal einen Schokoladenfrosch mitgebracht. Ein Schokoladenfrosch wäre nur angebracht gewesen. Besser, wenn er einfach wieder-

"Lester? Bist du das?", hörte er eine tiefe Stimme aus dem Astronomiezimmer und ihm wurde gleichzeitig heiß und kalt. Sie gehörte eindeutig zu Finch. Wegrennen klang nach einer guten Option. Er würde doch nur abgewiesen werden. Nur weil er gesehen hatte, wie Finch diesen Siebtklässler geküsst hatte, sollte er sich keine Chancen ausmalen. Der Siebtklässler hatte Finch von sich gestoßen und Finch hatte sehr traurig ausgesehen. Für Lester war diese Szene eine Offenbarung gewesen. Während seine Mitschüler mehr und mehr anfingen, über Mädchen zu reden und sich für sie zu interessieren, hatte er das Interesse nie teilen können. Sein mangelndes Interesse hatte er so verstanden, dass er noch nicht so weit war. Immerhin hatte er einen Ständer bekommen, als einer seiner Klassenkameraden von seinem ersten Mal mit einem Mädchen aus dem fünften Jahr erzählt hatte. Allerdings hatte er auch einen Ständer bekommen, als sich Dean im Schlafsaal ausgezogen hatte. Mehr als einmal. Diese Angelegenheit mit spontanen und meistens sehr unerwünschten Erektionen fand Lester verwirrend und beschämend zugleich, zumal sie häufiger der falschen Zielgruppe galten.

Der beobachtete Kuss hatte ihm die Augen geöffnet. Lester hatte plötzlich den sehr heftigen Wunsch verspürt, an Stelle dieses Siebtklässlers zu sein und von Finch geküsst zu werden. Zuvor war ihm der blonde Gryffindor aus dem sechsten Jahr nie aufgefallen, aber seitdem hatte Lester kaum noch an etwas anderes denken können. Die Szene hatte so anrüchig und verboten gewirkt. Er kannte kein Wort für eine solche Verbindung zwischen zwei jungen Männern, aber er war sich sehr sicher, dass sie nicht geduldet wurde. Dennoch träumte er von solchen verbotenen Küssen und seine Neugierde war irgendwann so groß gewesen, dass er über den Schatten seiner Schüchternheit gesprungen war.

"Lester, ich warte schon seit einer halben Stunde." Finchs Kopf erschien so plötzlich neben Lester, dass der Angesprochene vor Schreck gegen die Mauer in seinem Rücken sprang. Erschrocken weiteten sich seine Augen und er lief rot an. Vergeblich versuchte er eine intelligente Antwort zu geben, aber ihm schnürte sich wieder die Kehle zu. Wie sollte er sich nur verhalten?

"Du schaust wie ein verschrecktes Kaninchen", bemerkte Finch belustigt und der Ausdruck seiner Augen wurde weich. "Komm, der Himmel ist heute Nacht fast wolkenfrei." Sanft griff Finch nach seiner Hand und führte ihn in das Klassenzimmer hinein. Lester ließ sich so willig führen, als hätte man ihn mit dem Imperius-Fluch belegt. Finch hielt seine Hand! Sie fühlte sich so kräftig und warm an.

Das verlassene Astronomiezimmer wurde vom Mondlicht erhellt, das durch die Fenster und das Dach fiel. Teleskope in verschiedenen Größen standen mitten in dem runden Raum. Als Lester den Kopf in den Nacken legte und durch das durchsichtige Dach sah, konnte er unzählige Sterne am Himmel ausmachen. Der Ausblick vom Astronomiezimmer war wirklich schön.

Viel zu schnell ließ ihn Finch wieder los. Der Gryffindor setzte sich auf einen Tisch in der vordersten Reihe. Lester folgte ihm zögerlich und setzte sich neben ihn auf die Tischplatte. Sein Herz schlug so schnell und voller Sehnsucht. Er wollte erneut diese Hand halten! Er wollte wissen, wie sich so ein Kuss anfühlte! Jetzt saßen sie nebeneinander und Lester wusste nicht, wie er ein Gespräch beginnen sollte.

"Habt ihr die Jupitermonde schon gelernt?", erkundigte sich Finch neugierig und brach damit das Schweigen zwischen ihnen. Lester nickte, glücklich, dass sie über ein Thema sprachen, zu dem er etwas beisteuern konnte.

"Io, Europa, Ganymed und Kallisto sind die größten Monde", antwortete er zaghaft, "danach kommen Amalthea, Himalia, Elara, Pasiphae, Sinope-"

"Schon gut, schon gut, das ist keine Prüfung", lachte Finch amüsiert und Lester verstummte. "Sag bloß, du hast dir die Namen von allen Monden gemerkt." Lester wurde rot und wich dem Blick des älteren Schülers aus.

"Ich kann mir Namen gut merken", gab Lester leise zu.

"Wenn du dir die ganzen Namen merken kannst, hast du den ZAG schon so gut wie in der Tasche!", meinte Finch begeistert. "Die Prüfungen letzten Sommer waren schrecklich. Astronomie hätte ich fast wiederholen müssen. Sei froh, dass du bis dahin noch ein Jahr hast!" Lester nickte brav und baumelte mit den Beinen. Geistesabwesend betrachtete er seine Pantoffeln und überlegte, wie er ihre Unterhaltung in eine andere Richtung lenken konnte. Wenn Finch sprach, so konnte er kaum den Blick von dessen Lippen abwenden. So gerne würde er einen Kuss ausprobieren!

"Du trägst ja Pantoffeln!" Finch war seinem Blick gefolgt. "Die von meiner Mutter sehen genauso aus. Hast du vergessen, deine Schuhe anzuziehen?", fragte Finch neugierig und amüsiert zugleich. Lester sah zu seinen flauschigen, rosa Pantoffeln hinunter und schüttelte stumm den Kopf. Nein, das war Absicht gewesen, damit man ihn nicht rennen hörte. Zwar hatte er die Pantoffeln fünfmal fast verloren und war beim Rennen zweimal über seine eigenen Beine gestolpert, aber sie hatten ihren Zweck erfüllt.

"Sie sind weich", brachte er über die Lippen. An ihrem Aussehen hatte sich Lester nie gestört, obwohl Finch nicht der erste war, der die Bemerkung äußerte, dass seine Freizeitpantoffeln eher zu Vertretern des weiblichen Geschlechts passten. In manchen Angelegenheiten entging Lester die strikte Geschlechtertrennung. Dank zwei älterer Schwestern hatte er Gegenstände abgetreten bekommen, die er wohl kaum von einem Bruder erhalten hätte. Zwar hatte er ebenfalls einen Bruder, aber sie waren so viele Jahre auseinander, dass sich nicht einmal ihre Schulzeit in Hogwarts überschnitten hatte. Als er zu Finch sah, wirkte der Blick aus blauen Augen so intensiv, dass Lester schnell wieder auf seine Pantoffeln sah und sich fragte, ob er etwas Falsches gesagt hatte.

"Lässt du sie mich für einen Moment tragen?", fragte ihn Finch unerwartet. War das dem anderen durch den Kopf gegangen? Da war doch nichts dabei.

"Na-natürlich", meinte Lester überrascht und schob sich die Pantoffeln von den Füßen. Neben ihm zog Finch seine Schuhe aus und sein Gesichtsausdruck wirkte aufgeregt. Lester beobachtete, wie Finch in die Pantoffeln schlüpfte und sie mit einem sehr kuriosen Gesichtsausdruck auf seinen Füßen begutachtete. Trotz der Aufregung musste Lester bei diesem Gesichtsausdruck prusten. Als Finch schief grinste, begann Lester hell zu lachen und Finch stimmte in das Lachen ein. Da saßen sie, der eine barfüßig und der andere mit rosa Pantoffeln an den Füßen und sie beide bogen sich vor Lachen.

Als das Lachen verstummte, wurde Lesters Bedürfnis nach einem Kuss noch drängender. Finchs leicht gerötete Wangen und das Funkeln in seinen blauen Augen waren so hübsch anzusehen. Wie leitete man einen Kuss ein? Nervös schob Lester die Brille auf seiner Nase zurecht, die dunklen Augen groß und aufgeregt hinter den runden Brillengläsern. Er sollte etwas sagen!

"Ich habe Perfidus mit einem Locomotor Wibbly belegt!", platzte es aus Lester heraus. Im nächsten Moment wollte er auf der Stelle im Boden versinken. Weder hatte er diese Schandtat verraten wollen, noch würde er mit solchen Worten Finch in Kuss-Stimmung versetzen!

"Du hast was?", meinte Finch amüsiert und wollte weiterreden, aber Lester ließ ihn nicht zu Wort kommen.

"Ich habe dich mit dem Siebtklässler gesehen", sprach Lester weiter, schnell und aufgeregt. Die Worte sprudelten aus ihm heraus, als wäre ein Damm gebrochen. Finchs Blick war verwirrt. "Vor ein paar Wochen im Innenhof bei der großen Hecke." Aus Finchs verwirrtem Blick wurde ein vorsichtiger, fast schon beschämter. "Das war keine Absicht, ich war nur zufällig da", rechtfertigte sich Lester, weil er vermeiden wollte, dass Finch schlecht von ihm dachte. Seine innere Stimme schlug ihm vor, sich bei Finch einzuschleimen, wenn er sein Ziel erreichen wollte, und das war die einzige brauchbare Idee, die er seit seiner Ankunft im Astronomieturm hatte.

"Ich musste seitdem ständig daran denken", drängten die Worte weiter aus ihm hinaus. Er versuchte seinen Redefluss ebenso wie seine Leidenschaft zu bezähmen, aber das war wie üblich ein erfolgloses Unterfangen. "Ich... ich hätte dich nicht von mir gestoßen, Finch." Lesters Ohren und Wangen glühten rot dank dieser Beichte, aber bevor er seine Worte oder Gesten reflektieren konnte, hatten seine Hände schon ihren Weg zu Finchs Schultern gefunden. Fest packte er den Stoff von Finchs rot-goldenen Roben. Nur zu gerne gab er dem Drängen in seiner Brust nach.

"Lester, hör mal, ich-", setzte Finch an, aber Lester hörte nicht. Diese vollen Lippen verführten ihn. Lester schnitt Finch das Wort ab, indem er ihn einfach küsste. Unerfahren presste er seine Lippen auf die des hübschen blonden Mannes, hart und sehnsüchtig. Das Gefühl war himmlisch. In seiner Brust wurde ihm angenehm warm, sein Magen fühlte sich flau an und seine Finger krallten sich in den dicken Stoff der Robe. Überfordert rang Finch mit den Händen.

"Lester-", setzte Finch noch einmal an, als Lester eine Atempause einlegen musste. Doch der Angesprochene wollte erst gar nicht hören, sondern mehr von diesen Lippen und diesen herrlichen Gefühlen kosten. Er küsste ihn erneut, drängend und begierlich. Finch hob die Hände, wie um ihn an den Schultern von sich zu schieben, doch dann gab er einfach auf. Die Anspannung verschwand aus Finchs Körper und mit einem Mal fühlten sich seine Lippen so viel weicher an, als er den Kuss erwiderte. Lester spürte große Hände von seinen schmalen Schultern in seinen Nacken wandern, er spürte seine drängende Begierde und eine angenehme Gänsehaut auf dem Rücken. Das fühlte sich so richtig an. Finch küsste so herrlich, er wollte gar nicht damit aufhören. Sie könnten gerne noch die restliche Nacht hier sitzen und-

"Zehn Punkte Abzug für Slytherin", hörte Lester plötzlich eine fremde, strenge Stimme hinter sich. Er erschrak sich fürchterlich, ließ augenblicklich von Finch ab und versuchte so schnell wie möglich Abstand zwischen sie beide zu bringen. In seiner Panik fiel er halb vom Tisch und landete auf seinem Hosenboden. Mit großen Augen und wild klopfendem Herzen betrachtete er die hochgewachsene Gestalt in der Tür. Einer der Vertrauensschüler aus Ravenclaw stand dort, mit breiten Schultern und einem strengen Blick. Bei Merlins Bart, sie waren erwischt worden!

"Und zehn Punkte Abzug für Gryffindor", fügte der Vertrauensschüler mit Blick zu Finch hinzu und kam näher. "Was macht ihr hier? Um diese Uhrzeit dürft ihr die Gemeinschaftsräume nicht mehr verlassen!"

Lester hatte sich in der Zwischenzeit seine Pantoffeln geschnappt, die beim Küssen von Finchs Füßen gerutscht sein mussten. Der anfängliche Schreck verwandelte sich in Verärgerung und Frustration. Wieso nur mussten sie gestört werden? Gerade, als er Finch endlich soweit hatte, platzte dieser Vertrauensschüler hinein! So eine Chance bekam er bestimmt nicht wieder. Er rappelte sich auf und schenkte dem Vertrauensschüler einen trotzigen Blick. Er war den Tränen nahe. Das war so gemein! Am liebsten würde Lester im Boden versinken. Wenn seine Mitschüler von diesem Kuss erfuhren... aber er hatte sich so richtig angefühlt!

Ohne Vorwarnung rannte Lester los. Die nackten Füße patschten auf den steinernen Boden, als er an dem Vertrauensschüler vorbei durch die Tür und die Treppe nach unten stürmte. Er hatte doch bloß wissen wollen, wie sich so ein Kuss anfühlte! Bestimmt war er ab morgen das Gespött der Schule. Dieser verdammte Vertrauensschüler sollte verflucht sein!

Hinter sich hörte er einen barschen Ruf. Lester wischte sich die Tränen hinter seiner Brille aus dem Gesicht und beschleunigte seine Schritte. Auf keinen Fall würde er stehenbleiben und sich die Standpauke anhören. Vielleicht hatte ihn der Vertrauensschüler im Halbdunkel des Zimmers gar nicht erkannt? Er rannte durch die Gänge des Schlosses, bis er sich in Sicherheit glaubte. Keuchend zog er seine Pantoffeln wieder an und schlich wie ein geschlagener Hund zurück in das Burgverlies. Als er den Gemeinschaftsraum betrat, saßen dort zwei ältere Mitschüler, aber auch an ihnen rannte er vorbei, bis er endlich den Schlafsaal erreichte. Frustriert, wütend und müde warf er sich auf sein Bett. Er zog sich das Kopfkissen über den Kopf und weinte vor Scham, Frust und Furcht, ab morgen als Abartiger zu gelten. Die Matratze schluckte sein leises Schluchzen und seine Tränen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Lenokie
2019-02-25T22:34:00+00:00 25.02.2019 23:34
*__*
Oh my gosh.
Lester ist zu niedlich. Und ein bisschen sehr aufs Küssen fixiert aber er ist erst 15, es sei ihm verziehen, die Hormone spielen verrückt. Auch wenn er schon glaubt "fast ein ganzer Mann zu sein". Sicher. Weil es nur auf die Länge eines Mannes ankommt :P

Wie wagt er es den Kater zu hexen!! Das kommt sein böser, dunkler Kern ans Licht <_< Macht aber Sinn, dass Mrs. Norris da zu jung wäre. Und eine fiese Katze ist unzertrennbar mit einem Hogwarts Hausmeister verbunden. Ich habe auch zuerst kurz Filch statt Finch gelesen und war für einen Moment verwirrt xD Aber ja, ein blonder Gryffindor. Natürlich. Mögen wir das nicht alle, wenn wir jung sind? :P

"Das war seine erste Verabredung dieser Art. Hätte er irgendetwas mitbringen sollen? Blumen? Schokolade?"
Origigamirosen? :P Irgendwie witzig, wie er die Herren immer mit etwas anlocken möchte. Schaut her, ich hab Süßigkeiten! Habt mich lieb und küsst mich!

"flauschigen, rosa Pantoffeln"
Ich kann einfach nicht. Das ist zu.... zu... zu Lester XD Aber sie sind bequem! Seine Logik ist unschlagbar. Ich zieh meinen imaginären Hut vor ihm.

"Seine innere Stimme schlug ihm vor, sich bei Finch einzuschleimen, wenn er sein Ziel erreichen wollte, und das war die einzige brauchbare Idee, die er seit seiner Ankunft im Astronomieturm hatte."
Geschenke und Einschleimen und sich beliebt machen. Es ist schon ein guter Slytherin :P Das Problem ist, dass es bei vielen gut erzogenen Ravenclaws sehr gut ankommt, die Methode xD

Aber natürlich wird Archibald ihn nicht verpfeifen. Das wäre schon sehr hypokritisch von ihm. Er macht sich nur GEDANKEN. Und SORGEN. Und schaut Lester hinterher beim Essen in der großen Halle.

Ich mag es so sehr! Die Gefühlwelt von dem jungen Slytherin, der gerade seine Sexualität entdeckt und dabei so... typisch vorgeht. Aber schon mutig, sich herauszuschleichen! Ich hoffe, Finch weiß es zu schätzen! Oh, Lester, warum bist du so? ♥


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