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Wolkenwächter

Die Chronik eines Ausgestoßenen - Teil 1
von

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Kapitän Veit war ein stämmiger, hartgesottener Seemann, der mit seinem Schiff, der Sirene, schon seit langer Zeit im Binnenmeer zwischen der Halbinsel Adamas und der Ostküste von Ganestan kreuzte. Im Gegensatz zu seinem kurzgeschorenen, braunen Haupthaar trug er einen wild wuchernden, verfilzten Bart, den er am Kinn zu zwei Zöpfen geflochten hatte. Vor vielen Jahren hatte er seine Heimat Isenheim verlassen, um sich der Kaiserlichen Armee anzuschließen. Dort schien ihm zunächst eine steile Karriere bevorzustehen und er wurde aufgrund seiner überragenden Kenntnisse auf dem Gebiet der Nautik im Nu zum Kapitän eines Kriegsschiffes ernannt, obwohl er nie einen höheren Rang innehatte, als den eines Stabsfeldwebels. Während seiner Zeit bei der Armee hatte ihm ein schlimmes Schicksal mitgespielt, denn in einem schweren Sturm kenterte sein Schiff und er verlor beinahe seine komplette Mannschaft. Die Obrigkeit gab ihm die Schuld für die Katastrophe und nahm ihm seinen Rang. Veit fühlte sich verraten und im Stich gelassen. Verbittert hatte er der Armee den Rücken zugekehrt und sich nach Isenheim zurückgezogen. Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hatte er sich entschlossen, seine seefahrerischen Qualitäten anders auszuspielen. Er ließ sich sein eigenes Schiff bauen und verdingte sich fortan als Schmuggler.

Veit ging diesem Geschäft schon so lange nach, dass die Überquerung des Binnenmeers für ihn inzwischen zur Routine geworden war. Er hatte aufgehört, Fragen zu stellen, und so transportierte er alle Arten von Hehlerware von einem Ort zum anderen. Meistens handelte es sich bei seiner Ladung um Waffen und Alkohol oder andere Rauschmittel. Immer wieder heuerten auch Reisende bei ihm an, die ihre Heimat aus den verschiedensten Gründen unauffällig verlassen wollten. Manche waren gesuchte Verbrecher, andere wiederum trieb es aus reiner Abenteuerlust oder der Hoffnung auf ein besseres Leben in fremde Gefilde.

Doch nicht immer waren die Gäste auf Veits Schiff freiwillig an Bord. Ab und zu verfrachtete er auch Sklaven aus aller Herren Länder, an denen vor allem die Orks aus Darkenfell großes Interesse hatten. Früher waren auch die Dunkelelfen ganz heiß auf günstige Arbeitskräfte gewesen, doch seit sich König Sard und der Kaiser im Zuge der Friedensverhandlungen immer weiter angenähert hatten, war die Nachfrage deutlich gesunken. Umso erschreckender war, dass sich ausgerechnet einige der vermeintlich so redlichen Fürsten Ganestans Sklaven hielten, ohne dass der Kaiser davon Wind bekam. Veit hatte genug Wissen, um ihre Machenschaften aufzudecken und ganze Adelsgeschlechter in den Ruin zu treiben, aber der Kapitän hatte seinem Streben nach Gerechtigkeit in einer verdorbenen Welt abgeschworen. Es war nicht länger seine Aufgabe, für Ordnung und Frieden zu sorgen, sondern seine Fracht verlässlich über das Binnenmeer zu transportieren, ohne dass die Armee davon Wind bekam.

Früher war Veit sein eigener Herr gewesen und hatte in den Häfen, in denen er ankerte, immer die Augen und Ohren nach potentiellen Auftraggebern offengehalten. Inzwischen hatte er einen siebten Sinn, wenn es darum ging, Leute zu finden, die Geschäften von eher zweifelhafter Legitimität nachgingen.

Doch dann hatte er Fjedor kennengelernt. Der heutige Schmugglerkönig war damals noch ein zerlumpter Landstreicher gewesen, dessen Gaunereien nicht über einzelne Taschendiebstähle hinausgingen. Er hatte sich gerade genug Geld zusammengeklaut, um Veit für die Überfahrt nach Adamas zu bezahlen und der Kapitän hatte sich ernsthaft gefragt, was so ein kleinkrimineller Halsabschneider im rauen Land der Dunkelelfen verloren hatte, doch bereits als er das nächste Mal an der Küste von Adamas vor Anker gegangen war, hatte ihn Fjedor erneut aufgesucht. In kürzester Zeit war es ihm gelungen, durch Gerissenheit und Eloquenz eine kleine Bande von Totschlägern um sich zu scharen. Veit sollte für ihn die Beute seiner ersten Raubzüge an den Mann bringen. Beim ersten Mal waren es nur ein paar schartige Schwerter und verwitterte Werkzeuge gewesen, die die Plünderer ihren Opfern abgenommen hatten, doch schon bei seinem nächsten Treffen mit Fjedor hatte sich die Masse der Hehlerware verdoppelt. Seither befand sich Veit in einer Art Festanstellung und als es Fjedor vor Kurzem geschafft hatte, sich eine Sturmerzmine unter den Nagel zu reißen, war das Geschäft regelrecht explodiert. Für keine Waffe und kein Konsumgut dieser Welt wurde so viel Geld geboten, wie für das exotische Metall, und es fanden sich massenweise Abnehmer. Fjedor verdiente sich eine goldene Nase und Veit bekam ein ordentliches Stück vom Kuchen ab, wodurch er noch weniger Interesse hatte, Fragen zu stellen. Persönlich konnte er Fjedor nicht ausstehen, aber Veit wusste genau, dass er vermutlich nie wieder einen Geschäftspartner finden würde, bei dem er auch nur annähernd so viel Geld verdienen konnte.

Seiner Mannschaft gegenüber verschwieg Veit stets, worum es sich bei der Fracht handelte. In seinem Tätigkeitsbereich blieb ihm nichts anderes übrig, als zwielichtige Schurken anzuheuern, und er traute dem Lumpenpack, dass er an Bord hatte, keinen Meter über den Weg. Wenn sie herausfanden, wie viel Geld beim Handel mit Sturmerz tatsächlich heraussprang, hatte Veit im Nu ein Messer zwischen den Rippen und war sein Schiff los. Deshalb tauschte er seine Mannschaft nach jeder erfolgreichen Überfahrt nach Ganestan wieder aus. Eine ständig wechselnde Besatzung verhinderte zwar jegliche Form von Vertrauen zwischen Kapitän und Crew, aber es war Veit deutlich lieber, mit Fremden zu segeln, als mit Mitwissern.

Nur sein erster Maat war ihm seit dem Beginn seiner Karriere als Schmuggler nicht von der Seite gewichen. Ilva war eine junge Frau, die sich durch ihre bedingungslose Treue auszeichnete. Sie und ihr Kapitän verdankten einander eine Menge. Ilva stammte aus einer kleinen Siedlung im von eisigem Wind und bitterer Kälte heimgesuchten Norden von Isenheim. Ihr Dorf war einem plündernden Stamm wilder Barbaren zum Opfer gefallen, als sie noch blutjung gewesen war, und Veit hatte sie gefunden, als sie einsam und verlassen die verschneite Küste entlanggewandert war. Der Anblick des ausgehungerten und unterkühlten Mädchens mit dem feuerroten Haar, das den lebensfeindlichen Bedingungen der Eiswüste trotzte, hatte sein verbittertes Herz in einer ihm bis heute unbegreiflichen Art und Weise erwärmt. Veit hatte sie kurzerhand an Bord seines Schiffes geholt und hatte sie wieder aufgepäppelt. Ilva war die einzige Person, die den Kapitän seine Verdrossenheit ein Stück weit vergessen lassen konnte. Inzwischen war sie für Veit aber weit mehr, als die Rettung aus seinem Missmut. Sie war seine loyale Gefährtin, der er über alle Maßen vertraute. Sie hatte ihn noch nie enttäuscht und es gab keinen Grund, weswegen er sie als austauschbares Besatzungsmitglied ansehen sollte, wie der Rest seiner ständig wechselnden Mannschaft. Ilva war für Veit wie die Tochter, die er niemals gehabt hatte und im Gegenzug bot der Kapitän ihr den Schutz und die Geborgenheit des Vaters, den sie an die wilden Barbaren verloren hatte.

Der Kapitän war mit seiner Crew nicht besonders zufrieden. In den geheimen Häfen Ganestans, in denen er anlegte, um das Sturmerz zu verhökern, hatte sich inzwischen herumgesprochen, dass es äußerst lukrativ war, an Bord der Sirene anzuheuern. Die liederlichsten Schurken balgten sich darum, einen Platz für die nächste Überfahrt zu ergattern, in der Hoffnung, mit einer fürstlichen Heuer entlohnt zu werden. Man wusste, dass Veit gut bezahlen konnte und entsprechend verlangten die meisten Anwärter einen horrenden Preis für ihre Unterstützung. Das erschwerte die Suche nach günstigen Besatzungsmitgliedern und meist blieb Veit nichts anderes übrig, als das schäbigste Lumpenpack mit an Bord zu nehmen. Der Kapitän konnte die Gier in den Augen seiner Crew sehen und er wusste, dass die meisten von ihnen für ein bisschen Kleingeld die eigene Mutter erdolchen würden. Sein Vorteil war, dass niemand sein Ziel kannte. Veit hatte wohlweißlich davon abgesehen, jemand anderen als Ilva in seine Geschäfte mit Fjedor einzuweihen. Er verhandelte mit dem Schmugglerkönig, während der Rest der Besatzung an Bord zurückblieb und das Schiff bewachte. Außerdem kannte er die Hehler in Ganestan und wusste ganz genau, wo er das Sturmerz möglichst gewinnbringend und unauffällig loswerden konnte. Bislang hatte es noch niemand gewagt, ihn zu hintergehen, aber Veit fühlte sich trotzdem deutlich wohler, wenn er wusste, dass Ilva die Mannschaft für ihn im Auge behielt.

Mit der Ausbeute seiner letzten Stippvisite in Ganestan war Veit indessen sehr zufrieden. Mit jedem seiner Besuche in Adamas schleppten Fjedors Schmuggler immer mehr Kisten mit dem Sturmerz an und die Abnehmer in Ganestan standen Schlange, um sich gegenseitig zu überbieten und selbst den kleinsten Brocken des begehrten Metalls zu ergattern. Veit konnte sich in aller Ruhe den Interessenten aussuchen, der bereit war, am meisten Geld zu bezahlen. Im Unterdeck der Sirene schlummerten mehr Goldmünzen, als jeder an Bord in seinem Leben ausgeben konnte. Mit einem Teil des Erlöses hatte Veit bereits die Vorräte gekauft, die Fjedor bei jedem seiner Besuche einforderte. Der Kapitän war nicht nur dafür zuständig, Erz und Gold zu transportieren, sondern auch Fjedors Banditen mit Proviant zu versorgen, während sie sich in ihrer Mine vor den Soldaten der Kaiserlichen Armee versteckten. Ab und zu wurde Veit auch angewiesen, ordentliche Waffen für Fjedors Gesindel oder neue Spitzhacken für die Schürfer aufzutreiben, aber in den meisten Fällen beschränkten sich die Wünsche des Schmugglerkönigs auf Brot, Trockenfleisch und Alkohol.

Auch über seinen Gewinn verlor Veit außer mit Ilva und Fjedor kein Wort. Hätte seine Besatzung gewusst, welche Reichtümer sie transportierten, hätten die gierigen Schurken dem Kapitän und seiner Vertrauten längst die Kehle durchgeschnitten, um das Geld untereinander aufzuteilen oder sich im Streit um die Beute gegenseitig zu massakrieren. Mit der Aussicht auf eine ordentliche Bezahlung konnte Veit seine Crew bei der Stange halten und allzu neugierige Fragen verhindern, aber er wusste, dass seine Arbeit einem Spießrutenlauf glich. Die Gefahr lauerte sowohl auf offener See mit all ihren Tücken, wie Stürmen, Untiefen und Kaiserlichen Kriegsschiffen, als auch an Bord in Form einer gierigen Mannschaft. Die meisten Schmugglerkapitäne wurden nicht besonders alt.

Es war bereits dunkel, als sich die Sirene der Küste von Adamas näherte. Veit stand mit einer Öllampe in der Hand am Bug und ließ seinen Blick über das dunkle und ruhige Wasser schweifen. Er wusste, dass die Küstengebiete in dieser Region tückisch waren und mit zahllosen Untiefen gespickt waren. Hinzu kam, dass er nur nachts anlegen konnte, da andernfalls das Risiko zu groß war, von kreuzenden Schiffen der Armee entdeckt zu werden, doch Veit war längst geübt darin, seinen Weg durch die Riffe auf im Dunkeln zu finden. Ilva stand am Steuerruder im hinteren Teil des Schiffs und behielt gleichermaßen den Kurs, als auch die Mannschaft im Blick. Sie fungierte als zweites Augenpaar in Veits Rücken und achtete darauf, dass keines der Besatzungsmitglieder auf dumme Gedanken kam.

Auf dem Binnenmeer war es ruhig. Nur ein laues Lüftchen regte sich, trieb die Sirene langsam voran und kräuselte die Wasseroberfläche, auf der sich das Licht der Monde wie in einem Spiegel reflektierte. Der Nachthimmel war sternenklar, nur hier und dort hingen ein paar kleine Wolkenfetzen. Veit wusste die guten Bedingungen zu schätzen. Die Küste von Adamas war für ihren dichten Nebel berüchtigt, der schon für viele Seefahrer zur Todesfalle geworden war. Er suchte die dunkle Wasseroberfläche nach den verräterischen Silhouetten von Felsen und Riffen ab. Eine schwache Welle schwappte längsseitig gegen die Sirene und ließ ihren Rumpf leise knarren. Veit knifft die Augen zusammen, als sich die Küstenlinie wie der schwarze Schatten eines Seeungeheuers aus der Dunkelheit schob.

Der Kapitän hob den Arm und deutete im Licht seiner Öllampe nach links. Er musste sich mit Ilva nicht mit Worten verständigen. Die rothaarige Steuerfrau verstand und lenkte das Schiff langsam nach Backbord. Während die Brandungsströmung die Sirene auf die Gezeitenlinie zutrug, drehte sie sich immer weiter. Mit wilden Handzeichen lotste Veit den Kahn näher ans Festland, während Ilva seinen wortlosen Befehlen Folge leistete und das Steuerrad konzentriert umklammerte.

An der Küste erschienen die ersten Bäume der Düstermarsch. Ihre mächtigen Wipfel schienen das Mondlicht zu absorbieren und dem Blätterdach tat sich ein tiefschwarzer Schlund auf. Veit stapfte mit schweren Schritten nach Steuerbord, klammerte sich mit beiden Händen an die Reling und spähte angestrengt in die Finsternis. Weiter rechts erkannte er schemenhaft die Klippen, die Eydar umschlossen. Zwischen den Bäumen tauchte der versteckte Meeresarm auf, nachdem Veit Ausschau hielt. Es war Ebbe und das Wasser hatte sich weit zurückgezogen, sodass die dahinter liegende die Bucht, die für Veit und Fjedor als Treffpunkt diente, um den Erlös gegen eine neue Ladung Sturmerz auszutauschen, kaum zu erkennen war. Wie ein riesiger, von Bäumen gesäumter Spiegel lag sie friedlich da und ihre silbern schimmernde Oberfläche blitzte immer wieder kurz durch das dichte Unterholz entlang der Küste.

Weiter im Norden türmte sich ein hoher Hügel auf, der meerseitig in steilen Klippen abfiel. Dort gab es keine Möglichkeiten, mit dem Schiff vor Anker zu gehen, weswegen die Sirene direkt am Strand anlegen musste.

„Segel reffen!“, befahl Veit barsch. Die Mannschaft gehorchte knurrend. Leise ächzend krängte die Sirene nach Steuerbord, fuhr parallel zur Küste noch ein paar Meter durch seichtes Wasser und schrammte dann knirschend über den sandigen Meeresboden, bis sie mit einem sanften Ruck stehenblieb. Veit nickte zufrieden. Das Anlegemanöver war gelungen. Die kommende Flut würde die Sirene wieder auf das Binnenmeer hinaustragen.

„Gut möglich, dass wir hier noch ein bisschen warten müssen!“, verkündete der Kapitän seiner Mannschaft. „Macht euch solange nützlich und entladet das Schiff!“

Der Erlös des Sturmerzschmuggels war in drei massiven Holzkisten verstaut, die mit schweren Vorhängeschlössern versehen waren. Keines der Besatzungsmitglieder hatte die Möglichkeit, einen Blick auf den Inhalt zu erhaschen. Einzig das gedämpfte Klirren der Goldmünzen war zu hören, als die Schmuggler die wertvolle Fracht an Deck schafften und über die ausgefahrene Laderampe an den Strand trugen.

Veit überwachte das Werkeln seiner Crew mit Argusaugen und war so auf das Geschehen fixiert, dass er den stillen Beobachter in der Bucht gar nicht bemerkte. Es war Ilva, die ihn auf die dunkle Gestalt aufmerksam machte, die in einem kleinen Ruderboot saß.

„Käpt‘n“, hauchte die rothaarige Frau und deutete zur Bucht hinüber. „Wir sind nicht allein.“

Veit schob argwöhnisch die Brauen zusammen. Um das kleine Ruderboot herum wurde das Wasser von zahlreichen, wild um sich schlagenden Flossen aufgewühlt und der Kapitän erkannte, dass sich dort ein Schwarm tobender Bluthechte herumtrieb. „Ist das einer von Fjedors Leuten?“, fragte er knurrend. Ilva zuckte unwissend die Schultern, aber Veit hatte ohnehin keine Antwort erwartet. Er legte eine Hand an sein Schwert und ging über die Rampe an Land. Ilva folgte ihm mit angespanntem Gesicht. Gemeinsam näherten sie sich vorsichtig dem Ruderboot, bis Veit erkannte, dass es ein Dunkelelf war, der darinsaß. Mit stoischer Gelassenheit erwartete er das anrückende Paar.

Veit blieb in einiger Entfernung stehen. „Hallo, Freund“, grüßte er bedachtsam. „Was tust du denn hier draußen mitten in der Nacht?“

„Ich warte auf Euch“, antwortete der Dunkelelf. Seine Augen waren unter den schwarzen Strähnen seines in die Stirn hängenden Haares verborgen.

Veit zuckte beim gleichmütigen Klang seiner Stimme unwillkürlich zusammen. Er erkannte, dass das braune Leinenhemd des Dunkelelfen mit Blut bespritzt war. Das erklärte, warum die Raubfische im Wasser so verrückt spielten. Sie witterten Beute und warteten nur darauf, dass der Dunkelelf sein Boot verließ. Doch er tat ihnen dieses Gefallen nicht, sondern blieb ruhig sitzen, während die Bluthechte tobten und das Wasser aufpeitschten.

„Du wartest auf mich?“, fragte Veit lauernd. „Gehörst du zu Fjedor?“

Statt sofort zu antworten, erhob sich der Dunkelelf wortlos und zog sein Boot an dem Seil, das er um den Stamm eines mächtigen Baums gebunden hatte, ans Ufer heran. Die Bluthechte intensivierten ihre Raserei, doch der Dunkelelf entfernte sich aus ihrer Reichweite und ging an Land.

Jetzt erkannte Veit, dass er nicht verletzt war. Das Blut auf seinem Hemd stammte offenbar von jemand anderem. Der Kapitän wich reflexartig einen Schritt zurück und packte den Griff seines Schwerts fester. „Antworte!“, forderte er gereizt.

Der Dunkelelf betrachtete seine Hände. Sie waren rau und schlammverkrustet. „Zu Fjedor?“, wiederholte er geistesabwesend. „Nein. Jedenfalls nicht direkt.“

Veit knirschte verärgert mit den Zähnen. „Weißt du, ich mag es überhaupt nicht, wenn man mir nebulöse Antworten gibt“, knurrte er. „Und noch weniger mag ich es, wenn man mich bei meiner Arbeit beobachtet.“

„Nur Geduld, Käpt’n Veit. Ich bin nicht Euer Feind“, murmelte der Dunkelelf und Veit schnappte erschrocken nach Luft, als er seinen Namen hörte. „Eure Fragen werden beantwortet, sobald die Flut einsetzt.“

Veit war noch immer misstrauisch, aber er entspannte sich ein wenig und nahm die Hand von seinem Schwertgriff. „Der Kerl ist eingeweiht“, zischte er Ilva leise zu. „Sieh nach, wie die Crew vorankommt. Ich werde hierbleiben und unseren Freund ein wenig im Auge behalten.“

Die rothaarige Steuerfrau nickte pflichtbewusst. „Aye-Aye, Käpt’n!“, rief sie und eilte davon.

Veit musterte den Dunkelelfen argwöhnisch. „Sag schon!“, verlangte er ungeduldig. „Wer bist du?“

„Mein Name ist Gilroy“, antwortete der Fremde und deutete eine Verbeugung an. „Ich stehe zu Euren Diensten, Käpt’n.“

„Spar dir das kriecherische Gesülze“, brummte Veit. „Erzähl mir lieber, was du mit Fjedor zu schaffen hast.“

Gilroy richtete sich zu seiner vollen Körpergröße auf. „Ihr seid nicht der Einzige, mit dem dieser Schmugglerkönig Geschäfte treibt“, erklärte er. „Und diese Halbinsel bietet mehr Schätze, als schnödes Sturmerz. Mein Meister hat hier etwas zu erledigen und Fjedor war so nett, ihn dabei zu unterstützen.“

„Dein Meister?“, fragte Veit lauernd. „Wer soll das sein?“ Gilroy grinste breit. „Wie gesagt, übt Euch in Geduld, Käpt’n“, erwiderte er rätselhaft. „Ihr werdet ihn noch früh genug kennenlernen.“
 

In der Zwischenzeit hatten Veits Crewmitglieder die Vorräte für die Schmuggler und die mit Gold gefüllten Kisten an Land geschafft und lümmelten faul am Ufer herum. Ilva sah davon ab, sie wieder hochzuscheuchen, denn ihnen blieb ohnehin nichts anderes übrig, als zu warten, bis Fjedor mit einer neuen Ladung Sturmerz auftauchte. Inzwischen lag die Sirene vollständig auf dem Trockenen und es konnte nicht mehr lange dauern, bis der selbsternannte Schmugglerkönig anrückte.

Tatsächlich kündigten schon kurz darauf das Knacken von Ästen und das Schmatzen von Lederstiefeln im Schlamm die Ankunft der Banditen an. Veit wirbelte überrascht herum. Normalerweise kam Fjedor nur mit seinem Leibwächter Nironil und einem kleinen Gefolge von Trägern zur Austauschstelle, doch diesmal hörte es sich so an, als befände sich ein ganzes Bataillon auf dem Weg zur Küste.

Alarmiert zog er sein Schwert und lief eilig zu Ilva herüber. „Macht euch kampfbereit!“, rief er hektisch und deutete in den Wald. „Ich bin mir nicht sicher, ob das tatsächlich Fjedor ist.“ Veits Mannschaft erhob sich mit unterschiedlichem Elan. Manche der Gauner konnten es kaum erwarten, ein paar Kehlen aufzuschlitzen, andere bekamen es mit der Angst zu tun und zitterten am ganzen Leib und wieder andere beschwerten sich missmutig darüber, dass sie so rüde aus ihrer Ruhepause gerissen wurden. Veit hielt sein Schwert bereit und nahm Kampfhaltung ein, als er zwischen den Bäumen die ersten Bewegungen wahrnahm. Dann trat die erste Gestalt ins Freie und Veit erkannte Fjedors blasses, vernarbtes Gesicht.

Der Kapitän atmete erleichtert auf und gab seinen Leuten mit einem Wink Entwarnung. Seine Crewmitglieder ließen sich murrend zurück in den Sand fallen. Fjedor war natürlich in Gesellschaft seines Leibwächters Nironil, aber darüber hinaus schien er tatsächlich einen Großteil seiner Bande mobilisiert zu haben. Etwa drei Dutzend abgerissene Schurken brachen hinter ihrem Anführer aus dem Unterholz. Es machte Veit stutzig, dass offenbar keiner der Banditen eine Kiste mit Sturmerz trug. Dafür hatten einige von ihnen Verpflegungsbeutel geschultert und alle waren bewaffnet.

„Veit!“, rief Fjedor und der Kapitän wusste sofort, dass seine vermeintliche Freude nur gespielt war. „Pünktlich wie eh und je.“

Veit deutete mit einem finsteren Kopfnicken auf Fjedors Gefolge. „Was soll dieser Aufmarsch?“, erkundigte er sich mürrisch.

Der Schmugglerkönig vertröstete ihn mit einer abwinkenden Handbewegung. „Dazu kommen wir gleich“, versprach er. „Laufen die Geschäfte zufriedenstellend?“

„Das kann man so sagen“, brummte Veit und zeigte auf die mit Geld gefüllten Kisten, die im Sand an der Küste lagen. „Die Hehler reißen sich um die Ware. Die Truhen sind randvoll. Es springt jedes Mal ein klein wenig mehr Zaster heraus.“

Fjedor rieb sich gierig die Hände. „Sehr schön, sehr schön“, frohlockte er. „Das höre ich doch wirklich gerne. Dann übergib die Truhen mit dem Erlös meinen Leuten.“

„Kommt nicht in Frage!“, erwiderte Veit bestimmt und seine Augen funkelten wütend. „Erst will ich eine neue Ladung Sturmerz! Warum tauchst du hier ohne einen einzigen Brocken auf? Ist die Ader etwa erschöpft?“

„Ach ja, das Erz“, sagte Fjedor gedehnt und kratzte sich mit einem Finger an der vernarbten Wange. „Das hat Zeit bis zu unserer Rückkehr. In der Mine ist es bis dahin sicherer, als auf deinem Schiff.“

„Was soll der Blödsinn?“, knurrte Veit. Er wurde allmählich wütend. „Was hast du vor? Von welcher Rückkehr sprichst du?“

Fjedor zog eine beleidigte Schnute. „Warum so aggressiv, mein Freund?“, wunderte er sich. „Ach, du erwartest bestimmt deinen Anteil des letzten Gewinns. Nur zu verständlich.“ Er nestelte an seinem Gürtel herum und löste drei prallgefüllte Lederbeutel, in denen Münzen klimperten. „Bitte sehr! Das ist dein Lohn. Jedes Goldstück von mir persönlich abgezählt. Das hast du dir redlich verdient. Und natürlich die Bezahlung für deine Crew. Wir wollen ja nicht, dass du diese Halsabschneider aus der eigenen Tasche bezahlen musst.“ Kichernd deutete er auf Veits Mannschaft, die wieder faul am Strand herumlungerten. Einige von ihnen malten mit ihren rostigen Schwertern gelangweilt Muster in den Sand.

Veit entspannte sich ein wenig. Er nahm die Lederbeutel entgegen und ließ einen davon unauffällig in seiner Tasche verschwinden. Die anderen beiden warf er Ilva zu. „Bring das in Sicherheit und sorg dafür, dass diese Kielratten ihren Lohn erst erhalten, wenn wir zurück in Kaboroth sind!“, ordnete er an, ehe er sich wieder missgestimmt an Fjedor wandte. „Den Erlös von der letzten Lieferung bekommst du trotzdem erst, wenn ich neue Fracht bekomme. Hättest du jetzt endlich die Güte, mich darüber aufzuklären, was es mit deinem seltsamen Auftritt hier auf sich hat?“

Fjedor wirkte für einen Augenblick enttäuscht, doch dann huschte ein listiges Grinsen über sein Gesicht, das nichts Gutes verhieß. Der Schmugglerkönig trat einen Schritt zurück. „Selbstverständlich“, erwiderte er verschlagen. „Immerhin spielst du in meinen Plänen eine wichtige Rolle, mein lieber Veit. Sieh her!“

Er drehte sich schwungvoll um und deutete mit weit ausgestreckter Hand zum Waldrand hinüber. Dort traten vier Gestalten ins Mondlicht. Ganz vorn ging ein schlanker, ganz in schwarz gekleideter Dunkelelf. Auf seinem schmalen, scharf geschnittenen Gesicht mit den blassen Lippen lag ein steinerner Ausdruck. Sein schwarzes Haar hatte er an den spitzen Ohren zu zwei Kriegszöpfen geflochten und im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Neben ihm quälte sich ein muskelbepackter Mann aus dem Dickicht, der seiner blassen Hautfarbe und dem großgewachsenen Körperbau nach zu urteilen aus Isenheim stammte. Sein Arm war von dicken Bandagen verhüllt und er wurde von einer zierlichen, verängstigt wirkenden Dunkelelfe gestützt. Schlimme Verletzungen schienen ihm zuzusetzen, denn er hinkte schwer und stieß bei jedem Schritt ein gedämpftes, schmerzerfülltes Grunzen aus.

Als letztes betrat ein in dunkle Gewänder gehüllter Mann den schmalen Uferstreifen zwischen Wald und Strand. Langes, strohiges Haar wirbelte in der lauen Meeresbrise um einen kantigen Schädel mit eingefallenen Wangen. Veit schnappte nach Luft. Die linke Gesichtshälfte des Mannes war von furchtbaren Verletzungen verunstaltet, die wie Brandwunden aussahen. Ein lidloses Auge richtete sich direkt auf den Schmugglerkapitän und jagte ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken.

Gilroy kam ehrfürchtig näher und warf sich vor dem entstellten Kuttenträger auf die Knie. Fjedor grinste schief. „Darf ich dir Brynne Blutbrand vorstellen? Ihm haben wir beide zu verdanken, dass wir uns mit dem Handel mit Sturmerz eine goldene Nase verdienen.“

Veits Blick verfinsterte sich. „Dann sollte ich mich wohl bedanken“, stellte er verbittert fest und streckte die Hand aus. Brynne glitt wie ein schwarzes Schreckgespenst die Böschung hinab. Aus dem weiten Ärmel seines Gewands schwang ein dünner Arm. Er ergriff Veits Hand und der Kapitän war erstaunt, wie fest er zudrückte. Der unheimliche Kerl hatte mit dem verbrannten Gesicht hatte deutlich mehr Kraft, als er erwartet hatte.

Fjedor wandte sich zu Brynne um und machte eine weit ausladende Geste. „Und dir möchte ich gerne Kapitän Veit vorstellen“, säuselte er. „Er ist der beste Seemann diesseits des Binnenmeeres und wird uns sicher an den Ort unserer Bestimmung führen.“

„So, werde ich das?“, brummte Veit. Er war froh, dass Brynne den Händedruck löste, aber er spürte noch immer seinen durchdringenden Blick auf sich ruhen. Schnell zog der Kapitän seine schmerzende Hand zurück und massierte sie hinter seinem Rücken.

„Ja, das wirst du“, bemerkte Fjedor spitz. „Wir werden nach Norden segeln und du wirst für die Dauer der Fahrt unser Gastgeber und Kapitän sein, verstanden?“

„Beruhige dich, Fjedor“, erhob Brynne das Wort und Veit erzitterte beim Klang seiner Stimme. Sie war leise, aber sie erinnerte den Kapitän an fernes Donnergrollen. Und wie eine aufziehende Gewitterfront am Horizont, schien auch Brynnes Erscheinen kein gutes Zeichen zu sein. „Kapitän Veit wird uns ganz gewiss zuverlässig nach Norden bringen.“

Eigentlich wollte Veit protestieren, aber er brachte keine Widerworte heraus. Brynnes Blick durchbohrte ihn wie ein Blitz und er konnte nicht länger Augenkontakt halten. Rasch wandte er den Kopf ab und richtete sein Wort an Fjedor. „Hast du etwa schon genug von deinem Leben als Maulwurf?“, knurrte er abschätzig.

„Es ist tatsächlich ziemlich eintönig, unter der Erde zu leben“, gab Fjedor zu und legte Brynne kumpelhaft eine Hand auf die Schulter. Veit bemerkte, wie der schwarzgekleidete Dunkelelf sofort nach einem verborgenen Dolch griff. „Mein Freund hier hat mich davon überzeugt, dass mir zur Abwechslung ein kleiner Raubzug wieder ganz guttun würde.“

„Meinetwegen“, brummte Veit und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Aber du weißt hoffentlich noch, dass die Beförderung von Reisenden extra kostet.“

„Wie könnte ich das vergessen, alter Kumpel“, rief Fjedor und gab sich gekränkt. „Du wirst für deinen zusätzlichen Aufwand natürlich angemessen entschädigt.“

Veit lockerte seine angespannte Haltung ein wenig, aber er wandte demonstrativ den Kopf ab. „Ich bezweifle, dass dein Sauhaufen auf meinem Schiff ausreichend Platz finden wird“, äußerte er seine Bedenken. „Ich habe dich gewarnt. Wenn deine Bande anfängt, wegen der Bedingungen zu jammern, will ich damit nichts zu tun haben.

„Das soll nicht deine Sorge sein“, entgegnete Fjedor gönnerhaft. „Meine Leute werden sich einfach arrangieren müssen. Wir werden auch nicht lange unterwegs sein.“ Er warf Brynne einen verstohlenen Blick zu. „Hauptsache, mein Gast und sein Gefolge haben eine angenehme Reise.“

„Und wohin soll es gehen?“

„Du wirst uns nach Khaanor und dann den Maldocan hinaufbringen.“

Aus dem dunklen Sumpfwald ertönte das Knacken eines Asts. Veit drehte sofort alarmiert den Kopf und griff nach seinem Schwert. Auch Nironil und der Dunkelelf in den schwarzen Kleidern hatten das Geräusch bemerkt. Mit zu Schlitzen verengten Augen spähten sie ins Unterholz und lauschten in den Wald hinein, doch außer dem lauten Zirpen der Zikaden war nichts mehr zu hören.

Als es still blieb, ließ Veit den Griff seiner Waffe wieder los und sah Fjedor finster an. „Ihr wollt in die Wolkenberge?“, fragte er misstrauisch. „Warum nehmt ihr dann nicht den Landweg? Zu Fuß seid ihr mindestens genauso schnell. Wenn wir Pech haben und uns das Wetter nicht gewogen ist, dauert die Reise mit dem Schiff sogar länger.“

„Wir haben unsere Gründe“, gab Fjedor knapp zurück. „Und du hast deine Aufgabe. Ich bezahle dich, du steuerst das Schiff, verstanden?“

„Schon gut“, seufzte Veit resigniert. „Warum erwarte ich überhaupt noch klare Antworten? Aber das Gold komm wieder an Bord. Und da bleibt es auch, bis du mir neue Ware bringst, verstanden?“

„Warum denn so misstrauisch?“, fragte Fjedor und kicherte wieder. „Aber wenn du darauf bestehst, bleiben die Münzen vorerst bei dir. Den Schnaps und die übrigen Vorräte wirst du mir aber hoffentlich überlassen können, oder? Sonst drehen meine Leute in der Mine noch durch.“

„Ich denke, das dürfte in Ordnung sein“, brummte Veit widerwillig und drehte sich zu seiner Mannschaft um. „Ladet diese drei Kisten wieder auf!“, brüllte er seinen barschen Befehl und deutete auf die verschlossenen Truhen. „Den Rest lasst ihr hier!“

Der Kapitän erntete zaghafte Proteste aus den Reihen seiner Crew, aber schließlich gehorchten die Seeleute. Ein halbes Dutzend Untergebene Fjedors traten hinzu und griffen nach den Vorratskisten.

„Bringt sie zurück in die Mine“, befahl Fjedor ihnen flüsternd und die Schmuggler ließen sich nicht zweimal bitten. Vollbeladen marschierten sie los und bahnten sich krachend einen Weg durch das Unterholz der Wälder.

Veit erkannte neidisch, dass Fjedor seine Leute deutlich besser im Griff hatte als er. Er deutete mit einem Kopfnicken auf sein Schiff. „Schwingt euch an Bord, die Flut dürfte jeden Moment einsetzen.“

„Zu gütig, Kapitän“, grinste Fjedor höhnisch. Er gab Brynne und dessen Spießgesellen einen Wink und sie folgten ihm über die Laderampe an Bord des Schiffs. Gilroy erhob sich aus seiner kauernden Position, die er eingenommen hatte, als Brynne aus dem Wald getreten war. An der Seite seines Meisters huschte er an Bord. Auch der Rest von Fjedors Lumpenpack setzte sich in Bewegung und verfrachtete den mitgebrachten Proviant an Deck der Sirene.

Veit betrat sein Schiff als Letzter. „Macht das Schiff klar!“, rief er herrisch und trat an die Reling. „Wir segeln mit der Flut nach Norden.“



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