Zum Inhalt der Seite

New Beginning

Wie das Leben so spielt
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

Liebes Tagebuch,
 

ich habe die Zulassungsbestätigung für die Universität Tokio erhalten! Ich kann es kaum glauben, dass dieser Wunsch wirklich in Erfüllung gegangen ist und ich nach so vielen Jahren zurück nach Hause kehre, um an einer der angesehensten Universitäten zu studieren – wobei ist der Ausdruck zu Hause an dieser Stelle überhaupt noch passen?
 

Ich bin nun mittlerweile seit fast sieben Jahren in den USA und das große Heimweh von Beginn ist bei weitem nicht mehr in diesem Ausmaß spürbar. Natürlich vermisse ich meine Großeltern und auch meine Kindheitsfreunde, aber der Kontakt zu ihnen ist leider immer weniger geworden. Ab und an schreibe ich noch mit Sora, aber vom Rest habe ich seit vielen Monaten oder gar Jahren nichts mehr gehört. Wieso also wollte ich unbedingt in Tokio studieren? Ist es der Wunsch, endlich von zu Hause auszuziehen und etwas Distanz zwischen mich und meine Eltern zu bringen, nachdem es meiner Mutter nach wie vor schwerfällt mich wie eine erwachsene Frau zu behandeln? Oder ist es insgeheim doch die Sehnsucht nach meinen ehemaligen besten Freunden, mit denen ich so viel erlebt habe und mit welchen mich so viel verbindet?

In letzter Zeit träume ich wieder öfter von damals – von all den Erinnerungen und all den Gefühlen, die wir füreinander hatten. Ich vermisse diese verrückte Truppe sehr, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin. Besonders vermisse ich die unbeschwerte Zeit, das Lachen der anderen, die Freiheit und einfach das Gefühl, dass wir alles schaffen können, solange wir einander haben und solange wir füreinander einstehen. Ob ich Sora wohl Bescheid geben soll, dass sie mich an der Universität genommen haben und ich in sechs Wochen für ganze vier Jahre wieder nach Japan komme? Bestimmt freut sie sich genauso wie ich mich gerade!
 

Generell gibt es noch so viel zu organisieren… Mit der Bestätigung über die Aufnahme hat mir die Universität auch diverse Studentenwohnheime empfohlen, die kostengünstig sein sollen und in der Nähe des Universitätsgeländes liegen. Papa meinte, dass das für den Anfang sicher keine schlechte Idee ist. Etwas anders kann ich mir noch immer suchen, wenn sich das Zimmer als Flop herausstellen sollte. Leider ist es aus Kostengründen nicht möglich, dass ich vorher schon hinfliege, wodurch ich mit dem Einrichten bis eine Woche vor Studienbeginn warten muss. Ach ich bin so nervös und aufgeregt wieder nach Tokio zu gehen! Um ehrlich zu sein kann ich es auch kaum erwarten endlich wieder dort zu sein.
 

Ich melde mich, sobald ich wieder in Tokio bin!
 

Alles Liebe,

Deine Mimi

After all these years

Stolz blicke ich mich in meinem Zimmer um. Auch wenn es nur 27m² hat, so sind es doch meine eigenen vier Wände, die ich mir gestalten konnte wie ich wollte!

In der rechten Ecke befindet sich mein Hochbett unter dem ich eine kleine, beige Couch platziert habe sowie einen Couchtisch. Gleich daneben steht eine große Palme, die den Essbereich etwas vom Wohnbereich trennen soll. Ein Durchgang links neben dem Esstisch bringt einen in meine Kochnische, die mit einem Minikühlschrank, einer Arbeitsplatte und zwei Kochfeldern über das nötigste verfügt. Der Wohnbereich selbst ist noch mit einer Kommode und einem Kleiderschrank ausgestattet, wobei ich bewusst alles in Braun- und Grüntönen gehalten habe. Auf den Schreibtisch habe ich verzichtet – hierfür kann auch der Esstisch herhalten bzw. ist die Bibliothek an der Uni groß genug.
 

Schnell kontrolliere ich noch, ob der Sekt im eingekühlt und der selbst gebackene Kuchen angezuckert ist. Für heute Abend hat sich Sora angekündigt und ich kann es gar nicht erwarten sie nach all den Jahren endlich wiederzusehen. Dafür soll auch alles perfekt sein und es darf uns an nichts fehlen. Wie erwartet freute sich Sora riesig, als ich ihr bei einem unserer seltenen Skype-Telefonate verkündete, dass ich wieder zurück nach Tokio kommen werde. Der Gedanke daran bringt mich erneut zum Schmunzeln und ich betrachte mich noch ein letztes Mal im Spiegel.

Meine Haare trage ich deutlich länger, sogar fast bis zur Hüfte. Meiner Naturhaarfarbe blieb ich schon seit Längerem treu, die Zeiten der rosafarbenen Haarmähne sind lange vorbei. Meine Figur ist von zarter Statur und ich bringe bei 169cm gerade einmal 54kg auf die Waage. Heute habe ich mich für eine schwarze Jean und einen bequemen roten Strickpullover entschieden, da mir derzeit doch etwas fröstelt und ich den herbstlichen Temperaturen in Tokio noch nicht gewöhnt bin. Ich frage mich ob Sora wohl noch immer so sportlich ist und sich das auch in ihrem Kleiderstil wiederspiegelt.
 

Just in diesem Moment klopft es an meiner Zimmertüre und mir stiehlt sich ein Lächeln auf die Lippen. Ob sie das wohl ist? Vorsichtig rufe ich nur „Ja?“.

„Hi Mimi, ich bin‘s Sora. Bist du so lieb und öffnest mir die Türe?“

Mein Herz setzt einen kurzen Moment aus und ehe ich mich versehe ist die Zimmertür aufgeflogen und Sora und ich liegen uns in den Armen. Endlich sehe ich sie wieder – meine beste Freundin aus Kindertagen. Der Gedanke und das Gefühl sie wieder hier bei mir zu haben, lässt mir sogar die Tränen in die Augen steigen und ich muss kurz Schniefen.

„Ach Mimi, was ist denn los? Es gibt doch keinen Grund zum Weinen“. Sora lächelt mich freundlich an, nachdem sie die Umarmung gelöst hat und ihre Hände noch eine Zeit auf meinen Schultern verweilen.

„Ich habe dich einfach schrecklich vermisst, das wird mir jetzt erst so richtig bewusst.“

„Ich dich doch auch Mimi!“

Ich muss auf ihre Worte hin lächeln und streiche mir die Träne von der Wange. Gleichzeitig trete ich einen Schritt zur Seite um Sora in mein Reich zu lassen. „Entschuldige bitte, wenn hier noch etwas unordentlich aussieht. Ich bin erst vor einer Woche gelandet und versuche alles halbwegs fertig zu haben bis übermorgen die Uni losgeht“. Sora sieht sich neugierig um und staunt wohl nicht schlecht, dass sich keine rosa- und pinkfarbenen Sachen in meinem Zimmer wiederfinden.
 

Nach anfänglichem Smalltalk über meinen Umzug nach Japan, das Wetter und unsere Familien, machen wir es uns auf der Couch richtig gemütlich, wobei die Füße schnell auf dem Couchtisch landen und wir uns einander zuwenden. „Jetzt erzähl endlich mal: Was führt dich wieder nach Japan und wieso studierst du nicht in den USA? Fühlst du dich dort etwa nicht mehr wohl?“ schießt Sora los und bringt mich damit abermals zum Schmunzeln. „Sie hat sich kein Stück verändert und macht sich noch immer viel zu schnell Sorgen um die Anderen“ denke ich noch, ehe ich ihr wahrheitsgemäß antworte „Um ehrlich zu sein, weiß ich das selbst gar nicht so genau. Ich wünschte ich könnte dir eine bessere Antwort geben. Aber ich denke, dass ich einfach mal sehen wollte wie ich ohne meine Eltern zurechtkomme… du weißt schon, ob ich auf eigenen Beinen stehen kann. Und darüber hinaus habe ich Tokio und euch vermisst. Es sind wohl einfach viele Gründe zusammengekommen.“

„Und da fiel dir die Entscheidung so einfach? Gibt es denn niemanden in den USA, der dich vermisst bzw. den du vermisst?“

„Weißt du Sora… vor einem halben Jahr hätte ich es selbst nicht für möglich gehalten, dass ich wieder zurückkomme. Kannst du dich noch an David erinnern, von dem ich dir erzählt habe?“. Ein Nicken von ihr bestätigt mir, dass sie sich noch erinnern kann, wodurch ich fortfahre: „Er war meine große Jugendliebe und ich hätte wirklich gedacht, dass wir auch den Rest unseres Lebens gemeinsam verbringen. Ich war damals 15 als wir zusammengekommen sind und er 17. Mein Gott, wir haben unser ganzes Teenager-Dasein miteinander verbracht und waren die ganze High-School hindurch liiert. Dann kam es aber dazu, dass die Entscheidung anstand, was wir studieren wollen und wie es mit uns als Paar weitergeht. Wer besucht welche Universität, wer geht eventuell in welche Stadt. Funktioniert eine Fernbeziehung bzw. können wir uns das vorstellen? Ist studieren überhaupt eine Alternative oder doch lieber gleich arbeiten? All diese Fragen standen damals im Raum und da wurde uns zum ersten Mal richtig bewusst, dass wir beide vielleicht unterschiedliche Dinge vom Leben wollen, über die wir uns vorher nie unterhalten haben. Ich wollte die Welt entdecken, das Studentenleben genießen und einfach unabhängig sein. Er hingegen wollte sich fester binden, wollte eventuell schon in die Vorstadt ziehen und auf einmal sprach er von Dingen wie Kindern und Hochzeit. Ich fühlte mich von ihm überrumpelt, weil es bis dahin nie ein Thema war und er wollte davon auch nicht mehr abrücken. Um es kurz zu machen kam dann eines zum anderen und wir haben uns schweren Herzens von einander getrennt, da sich einfach kein gemeinsamer Nenner finden ließ.“

„Mimi… das tut mir furchtbar leid. Wieso hast du denn damals nichts gesagt? Wir hätten doch reden können und ich wäre für dich da gewesen.“

„Danke Sora – aber mir war damals nicht besonders nach Reden. Ich habe mich in mein Schneckenhaus zurückgezogen und in dieser Zeit niemanden an mich rangelassen. Mittlerweile geht es mir schon besser und ich denke, dass ich das meiste auch schon verarbeitet habe. Natürlich bin ich ab und zu noch sehr traurig, aber nach über fünf Jahren Beziehung ist das wohl denke ich auch normal. Also nein: es gibt momentan niemanden der mich in den USA vermisst bzw. den ich schrecklich vermissen würde.“ Traurig lächle ich Sora an. Die meiste Zeit über geht es mir wirklich gut und ich komme gut mit der Trennung zurecht. Es gibt aber auch Tage, da holt mich das alles ein und ich würde mich am liebsten unter meiner Bettdecke verkriechen. Ich dachte damals wirklich, dass David der Mann ist, mit dem ich alt werden würde. Wir haben uns so gut ergänzt, haben uns gegenseitig unterstützt und sind bedingungslos für den anderen eingestanden. Es gab keine Geheimnisse voreinander und bei ihm hatte ich das immer das Gefühl, dass wir gemeinsam alles schaffen können und wir sogar gegen den Rest der Welt bestehen. Leider habe ich mich geirrt…
 

Sora legt ihre Hand auf meinen Oberschenkel, sieht mir tief in die Augen und holt mich damit aus meinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt. Leicht schüttle ich meinen Kopf und lächle sie an: „Aber genug davon. Jetzt erzähl mir endlich wie es dir geht, wo du momentan zu Hause bist, wie du deine Tage verbringst, was aus unserer ehemaligen Clique wurde und ach erzähl mir einfach alles!“

„Was du alles von mir wissen möchtest! Es geht mir sehr gut, ich teile mir mit einer Freundin eine Wohnung und studiere jetzt im fünften Semester als Hauptfach Modedesign. Als Nebenfach habe ich mir letztes Jahr Journalismus dazu genommen, sozusagen als Backup falls es mit der großen Modedesignerkarriere nichts wird.“ An dieser Stelle musste ich sie einfach unterbrechen: „WAS HEISST HIER FALLS DAS NICHTS WIRD?! Sora ich habe ab und an deine Entwürfe gesehen, die du mir gezeigt hast und die waren allesamt spitze! Ich bin mir sicher, dass dich jedes Modehaus mit einem Handkuss nehmen wird und du da keinerlei Probleme hast.“ – „Ich hoffe es wirklich sehr Mimi. Aber falls nicht möchte ich einfach noch eine andere Option im Leben haben. Und wer weiß was sich daraus alles ergeben kann?“ Ich nicke nachdenklich und lasse mir Sora’s Worte durch den Kopf gehen. Wahrscheinlich hat sie sogar recht, es ist doch immer klüger eine zweite Option im Leben zu haben und nicht alles auf eine Karte zu setzen, oder?

„Jedenfalls jobbe ich nebenbei auch noch in einer Bar um mir etwas Geld dazuzuverdienen, die Wohnung zahlt sich leider nicht von allein. Die restliche Zeit, die mir noch übrig bleibt verbringe ich dann entweder beim Tennis oder beim Fußballtraining. Weißt du Mimi, unsere Uni hat nämlich eine eigene Frauenmannschaft, die tatsächlich gesponsort wird und wir schlagen uns in unserer Liga gar nicht so schlecht. Die letzte Saison haben wir mit dem vierten Tabellenplatz abgeschlossen. Du musst übrigens unbedingt einmal zu einem meiner Spiele kommen! Tai kommt auch vorbei, wenn es sich in seinem Terminkalender unterbringen lässt. Einzig Yamato war leider schon länger nicht mehr dabei, aber vielleicht schafft ihr es einmal zu Dritt!“

„Wow Sora, das hört sich großartig an und ich freue mich richtig mit dir, dass du drangeblieben bist und weiterhin für dieselben Leidenschaften lebst wie in unserer Jugend.“ Es beeindruckt mich wirklich, dass Sora nach wie vor Fußball spielte und dieses Hobby bei ihrem vollen Terminkalender auch noch unterbringt. Diese Motivation und diesen Ehrgeiz hätte ich selbst gerne. Ich bin schon froh, wenn ich mein Studium hinbekommen und es daneben noch ab und zu hinaus in die Welt schaffe. „Und das hört sich doch so an, wie wenn du, Taichi und Yamato nach wie vor befreundet wärt und der Kontakt über all die Jahre aufrecht blieb?“ – „Ja, die beiden sind meine besten Freunde und ich bin wirklich froh sie in meinem Leben zu haben. Leider ist es gerade in Prüfungszeiten schwierig sich regelmäßig zu sehen, vor allem da wir alle unterschiedliche Hauptfächer gewählt haben. Taichi hat zuerst mit Sport begonnen, hat sich dann im zweiten Semester aber umentschieden und studiert nun im Hauptfach Physiotherapie, während er Sportwissenschaften nur als Nebenfach hat. Yamato hat vor zwei Jahren gemeinsam mit uns begonnen. Er hat sich nach langem hin und her als Hauptfach Betriebswirtschaft gewählt, damit ihm mehrere Optionen aufbleiben.“, führt Sora aus und ich höre ihr gespannt zu. Das sich Tai für Sport oder etwas Ähnliches entschieden hat, überrascht mich nicht besonders. Aber Yamato sollte BWL studieren? Was war denn hier passiert? Ich muss mir unbedingt merken Sora später nochmal darauf anzusprechen, vor allem da sie nichts weiter von seiner Musik erwähnte.
 

Der Abend verging wie im Flug und ehe sich Sora und ich versahen war es auch schon weit nach Mitternacht und die Flasche Sekt war ausgetrunken, der Kuchen zur Hälfte gegessen und wir super müde. Sora erzählte mir noch vieles von den letzten Jahren und dass sie leider keinen Kontakt mehr zu Izzy und Joey haben, da Izzy mit seinen Eltern umgezogen ist und Joey voll und ganz in seinem Assistenzjahr aufgeht, nachdem er sein Medizinstudium beendet hatte.
 

„Mimi, ich werde mich jetzt auf den Weg nach Hause machen – es ist schon spät. Aber es war so schön dich wiedergesehen zu haben und wir müssen uns unbedingt mal nach deinen Vorlesungen treffen, damit du mir berichten kannst, wie dein Studienstart war. Und vergiss nicht, in zwei Wochen steht die erste Studentenparty an, zu der wir unbedingt mit den Jungs hinmüssen!“

„Gar kein Thema Sora, ich melde mich bei dir. Vergiss nicht, außer dir hab ich hier doch niemanden und damit bist du mein Tor zur Außenwelt.“ Ich zwinkere ihr zu und zieh sie noch in eine lange Umarmung, bevor wir uns voneinander verabschieden.
 

~2 Tage später~
 

Wahnsinn wie aufgeregt ich bin! Heute ist mein erster Tag an der neuen Universität und ich habe bereits drei Vorlesungen in meinem Kalender eingetragen. Am Vormittag steht Einführung in die Rechtsgeschichte am Programm, bevor wir nach der Mittagspause mit allgemeinem Zivilrecht weitermachen. Ich kann es gar nicht erwarten loszulegen und endlich mein Jusstudium zu beginnen!
 

Ich war bereits am Vortag am Universitätsgelände, so dass ich heute schon weiß wo ich lang muss und wo meine Kurse stattfinden. Nicht auszumalen wie es wäre in einem fremden Hörsaal zu landen und danach zur eigenen Vorlesung zu spät zu kommen! Zufrieden betrete ich daher 15 Minuten vor Beginn der Vorlesung den Hörsaal, suche mir einen Platz in der Mitte und beginne meine Schreibsachen und meinen Laptop auszupacken. Es sind bereits einige Studenten anwesend, die ebenfalls ihre Unterlagen für die Vorlesung herrichten. Interessiert und möglichst unauffällig lasse ich meinen Blick über sie streifen, so dass ich einen ersten Eindruck gewinnen kann. Obwohl wohl viele nette Leute darunter sind?
 

Plötzlich erstarre ich in meiner Bewegung und mein Herzschlag setzt einen Moment lang aus. Kann das wahr sein? Wieso befindet ER sich in meiner ersten Vorlesung? Verdammt, er sieht noch genauso gut aus wie vor sieben Jahren als ich in die USA ging und unwillkürlich fängt mein Herz schneller zu schlagen an…

Those will be the best memories of us

Verdammt, er sieht noch genauso gut aus wie vor sieben Jahren als ich in die USA ging und unwillkürlich fängt mein Herz schneller an zu schlagen …
 

Er sitzt tatsächlich hier in diesem Vorlesungssaal, in dieser Universität und nur ein paar Reihen vor mir. Ich sehe lediglich seinen Hinterkopf und wie er ruhig seinen Laptop aus seiner schwarzen Ledertasche zieht. Unbewusst stütze ich meinen Kopf in meine linke Hand und beginne auf dem Kugelschreiber herum zu kauen. Ganz in Gedanken versunken starre ich weiter auf seinen Hinterkopf und erinnere mich mit einem tiefen Seufzen an unsere letzte Begegnung:
 

Mama, Papa und ich haben bereits unsere letzten Habseligkeiten verstaut und traurig schließe ich meinen Koffer. Wieso musste Papa dieses Jobangebot annehmen? Wieso müssen wir in die USA gehen, wo ich doch niemanden kenne und wo all meine Freunde hier sind? Ich will nicht mit und ich werde es ihnen nie verzeihen, dass sie diese Entscheidung ohne mich getroffen haben! Wissen Sie eigentlich wie sehr mein Herz schmerzt, wenn ich daran denke meine Freunde zurückzulassen? Verdammt nochmal! Gerade jetzt, wo er und ich uns auch noch so gut verstehen und beginnen auch ab und zu etwas allein zu unternehmen…ganz ohne die anderen.

„Prinzessin, bist du fertig? Das Taxi kommt in zehn Minuten“. Wütend schaue ich zu meinem Vater und stelle meinen Koffer bewusst mit einem lauten Knall auf den Parkettboden. Trotzig verschränke ich die Hände vor der Brust und atme einmal tief durch. Auch wenn es keinen Sinn hat und wir diese Diskussion gefühlt bereits fünfzig Mal geführt haben, will ich erneut zum Protest ansetzen, bevor es just in dem Moment an der Türe klingelt. Überrascht schauen wir alle in dieselbe Richtung, wobei es meine Mutter ist, die sich zuerst in Bewegung setzt und die Türe öffnet.

Voller Unglaube füllen sich meine Augen mit Tränen – sie sind alle gekommen. Sora, Izzy, Joe, Kari und T.K. stehen im Halbkreis um die Eingangstür und lächeln mich traurig an. Sora ist die Erste, die sich in die Wohnung meiner Eltern drängt und mich stürmisch umarmt. „Mimi, ich werde dich so furchtbar vermissen! Bitte vergiss nicht, dass du meine beste Freundin bist und das auch immer sein wirst. Ich hab dich so lieb.“ Diese Worte bringt sie nur unter Schluchzen hervor, die Tränen laufen ihr ungehindert über die Wangen. So fest ich kann drücke ich sie an mich – auch damit sie mein tränennasses Gesicht nicht sieht. Sie gibt mir ein kleines Geschenk in die Hand und löst sich im Anschluss von mir, so dass sich auch die anderen von mir verabschieden können. Bevor mich Joe umarmen kann, höre ich vom Gang polternde Schritte und mit einem frechen Grinsen schiebt sich auch Taichi Yagami in unsere Wohnung. „Sorry für die Verspätung!“ war sein einziger Kommentar, bevor er mich kurz an sich drückt und dabei die Augen schließt. Ich atme tief ein und nehme dabei seinen Geruch in mich auf. Auch wenn wir es nicht immer leicht miteinander hatten und uns mehr als nur einmal in den Haaren lagen, werde ich auch ihn schrecklich vermissen – genauso wie alle anderen.

Etwas verwundert blicke ich mich um, da mir noch jemand aus unserer Runde fehlt. „Sora, ist Yamato denn gar nicht mitgekommen?“ frage ich meine beste Freundin mit einem traurigen Unterton in der Stimme. Sora verzieht bei der Erwähnung seines Namens etwas das Gesicht und sieht betreten zu Boden. „Oh…“ mehr braucht weder sie noch ich zu sagen, da sie weiß, welcher Schmerz in diesem Moment von mir Besitz ergreift und wie groß der Kloß in meinem Hals ist. Zittrig atme ich ein und versuche so die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. „Mimi, mach alles – nur nicht weinen!“ versuche ich mir mantraartig einzureden.

Gott sei Dank ergreift mein Vater peinlich berührt das Wort: „Danke dass ihr gekommen seid, wir müssen nun los… leider wartet unser Taxi bereits und wir müssen zum Flughafen aufbrechen“. Meine Freunde nicken traurig und gemeinsam machen wir uns auf den Weg nach unten. Wie Papa bereits angekündigt hat, wartet unser Taxi schon und wir verladen rasch die Koffer, bevor wir einsteigen. Weinend winke ich meinen Freunden durch die Fensterscheibe zu und denke mir leise „Das wars dann…“.

Als das Taxi sich in den Verkehr einfädelt sehe ich im Rückspiegel, wie ein blonder Teenager mit einem Strauß Tulpen in der Hand um sein Leben läuft und dabei einfach an seinen Freunden vorbeizieht. Überrascht schlage ich mir die Hand vor den Mund und mir kullern Tränen der Freude über die Wange. Er ist doch gekommen! Schnell lasse ich das Fenster hinunter und drehe mich zu ihm, um ihm zum Abschied zu winken…
 

Das war das letzte Mal, dass ich Yamato Ishida gesehen habe und jetzt sitzt er wahrhaftig vor mir. Ein leichtes Lächeln umspielt meine Lippen, bevor ich aufstehe und meinen Rock glatt streiche. Mit einem tiefen Atemzug packe ich meine Sachen zusammen und gehe drei Reihen weiter.

„Entschuldige. Ist hier zufällig noch frei?“ frage ich Yamato und zwinge mich dabei zu einem schüchternen Lächeln. Erschrocken hebt dieser den Kopf und als er mich sieht weiten sich seine Augen ein klein wenig. „Ähm… ja klar Mimi, setz dich doch.“

Nachdem ich meine Sachen erneut aufgebaut habe, ergreift Yamato endlich das Wort: „Mimi, was machst du wieder hier in Japan? Ich dachte du uns deine Familie seid in den USA? Hast du Sora von deinem Kommen erzählt?“

„Ja, bis vor eineinhalb Wochen war ich auch noch dort. Aber wie du weißt: Für eine Überraschung bin ich immer gut und deswegen bin ich nun wieder hier und studiere die nächsten Jahre an dieser Uni. Und ja, Sora und ich haben uns vor zwei Tagen getroffen. Sie hat bereits vorgeschlagen, dass wir in gut zwei Wochen gemeinsam zu der Studentenparty gehen können und dass ihr…“

„Moment mal, Sora weiß dass du hier bist und sie hat mir nichts davon gesagt?“

„Matt ich…ich weiß nicht, wieso dir Sora nichts davon erzählt hat. Ich dachte sie hätte es.“ Betrübt schaue ich auf meinen Notizblock und meine Hand schließt sich unwillkürlich unter dem Tisch zu einer Faust. Wieso hat Sora Yamato nichts davon erzählt? Sie weiß doch was vor sieben Jahren war und wie gern ich Yamato hatte. Mit einem Seufzen beschließe ich die Sache vorerst ruhen zu lassen und blicke mit einem leicht gequälten Lächeln wieder zu dem Blondschopf.

„Wieso sitzt du eigentlich hier? Einführung Rechtsgeschichte für einen BWL Studenten?“

„Gehört definitiv nicht zu meinen Wahlfächern, das kannst du mir glauben. Der Lehrplan schreibt es vor, dass wir 10 ECTS in Rechtslehre während unserem Studium benötigen und violá: deswegen bin ich hier. Und was machst du hier? Du musst dich doch verlaufen haben!“

„Nein, eigentlich habe ich mich bewusst für das Jurastudium an dieser Universität entschieden. Ja du hast richtig gehört Matt: Mimi Tachikawa ist keine dieser oberflächlichen und verzogenen Prinzessinnen mehr und möchte Jus studieren um sich im Anschluss für benachteiligte Menschen einzusetzen.“ Yamato sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an und gerade als er zu einer Antwort ansetzen will, beginnt der Professor mit der Vorlesung.
 

Nach der Vorlesung verlassen Yamato und ich gemeinsam den Hörsaal, wobei wir schweigend nebeneinander herlaufen und keiner so Recht weiß, was er sagen soll. „Tja Mimi…ich muss jetzt weiter, meine Freundin wartet auf mich.“

„Oh, ja schon klar.“

„Wir sehen uns!“

Mit diesen Worten lässt mich Matt stehen und schlendert gewohnt lässig den Gang entlang, mit einer Hand in der Hosentasche vergraben und in der anderen seine Ledertasche tragend. Nachdenklich fahre ich durch mein langes Haar und hänge dabei meinen Gedanken nach. Matt hat also eine Freundin? „Ach Mimi sei kein Dummkopf, was hast du nach all den Jahren auch erwartet? Du hattest in den USA doch selbst einen Freund und hast dabei keine Sekunde mehr an Matt gedacht, wieso sollte er also an dich gedacht haben?“ Mit einem tiefen Seufzer schüttle ich den Kopf und versuche die Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben. Komischerweise trifft mich die Nachricht, dass Matt eine Freundin hat, nicht so sehr wie ich im ersten Moment gedacht hatte. Ob sie wohl hübsch ist? Sora hat diesbezüglich nie etwas erwähnt…
 

Nachdem ich meinen ersten Unitag hinter mich gebracht habe, mache ich mich auf den Weg Richtung Studentenwohnheim, wobei mir der Kopf gehörig schwirrt. Am ersten Tag gleich drei Vorlesungen zu besuchen, war wohl nicht meine glorreichste Idee. Ich genieße die warmen Sonnenstrahlen dieses Herbsttages und laufe mit geschlossenen Augen über das Campusgelände, ehe mich ein Pfiff und die Beschwerden von jungen Männern aufhorchen lassen. Irritiert blicke ich um mich, bevor ich keine 300 Meter entfernt von mir den Sportplatz erblicke. Wie bin ich denn hierher geraten? Am Morgen habe ich den Platz doch gar nicht bemerkt...

Kurz blicke ich auf meine Uhr und da es erst 18:30 ist, beschließe ich Richtung Sportplatz zu gehen. Vielleicht ist ja Sora in der Nähe, da sie erwähnt hat, dass sie noch Fußball und Tennis spielt.

Mit meinen Büchern in den Armen nähere ich mich dem Zaun und lehne mich gegen eine Säule, während ich das Spielfeld mustere. Ein Fußballfeld also, aber von Sora fehlt jede Spur. Im Gegenteil: Hier sind nur Studenten, die anscheinend gerade ihr Fußballtraining beendet haben, da sie allesamt oben ohne im Rasen sitzen und sich eine Abkühlung genehmigen. Bei den all den trainierten Oberkörpern wird mir ganz warm und ein kleiner Rotschimmer legt sich über meine Wangen, weswegen ich mich schnell umdrehe und schleunigst den Weg Richtung Studentenwohnheim einschlage – hoffentlich hat mich niemand von den Jungs bemerkt. Nicht, dass mich die noch für eine Spannerin halten! Wie peinlich das auch ist!
 

Müde lasse ich mich auf meine Couch fallen und strecke alles von mir, in der Hoffnung, dass die nächsten Tage etwas weniger anstrengend werden: zuerst das Zusammentreffen mit Matt, dass im Nachhinein doch etwas kühl ausgefallen ist (Tachikawa, was hast du auch von dir selbst erwartet?), die Info, dass Sora den anderen anscheinend gar nichts von meiner Ankunft erzählt hat und dann auch noch diese ganzen Informationen über Stufenbau der Rechtsordnung, Verfassungsgesetze, etc.

Gerade als ich mir das Kissen über mein Gesicht ziehen möchte, fängt mein Handy zu piepen an. Mit einem genervten Stöhnen richte ich mich auf, gehe zur Kommode und öffne WhatsApp:

„Hey Prinzessin, hattest du heute Spaß uns beim Fußballtraining zu beobachten ;)? Was hat dir denn so die Sprache verschlagen, dass du mit roten Wangen davon bist? Waren das etwa ich und mein super Oberkörper :P?! PS: Wieso erzählst du nicht, dass du wieder da bist? Tai“
 

„OH MEIN GOTT! Wieso muss ausgerechnet Tai derjenige sein, der da trainiert hat und wieso musste er mich auch sehen? Toll Tachikawa…auch das noch zum Tagesausklang.“ Geht es durch meinen Kopf, bevor ich erneut wieder etwas rot werde. Tief atme ich durch und beginne dann eine Antwort zu tippen: „Hey Tai, wusste ja gar nicht, dass es dir so viel bedeutet mich zu sehen, so dass du gleich zum Stalker wirst und dir meine Nummer besorgst :P Und falls es dich interessiert: du bist mir gar nicht aufgefallen, also so trainiert kann dein Oberkörper wohl kaum sein. Mimi“

„Haha sehr witzig, ich habe deine Blicke doch bemerkt Schätzchen! Seit wann bist du wieder in Japan?“

„Seit ca. eineinhalb Wochen. Sie haben mich an der Uni genommen, so dass ich hier studieren kann. Meine Eltern hatten nichts dagegen und wie du siehst: hier bin ich :).“

„Du hättest ruhig Bescheid geben können Mimi Tachikawa! Wir hätten für dich eine richtige Willkommensparty geschmissen und dir beim Organisieren geholfen. Muss doch über die Distanz furchtbar gewesen sein.“

„Nein, das hat soweit ganz gut funktioniert. Mein Zimmer ist zwar noch etwas unpersönlich, aber auch das wird in den nächsten Wochen werden.“

„Oh mein Gott – erspar mir Details von deiner pinken Mädchenhölle. Das hält doch kein Mann aus!“

„Das ich nicht lache Taichi Yagami! Hier findest du keinen Mädchentraum mehr – auch ich werde erwachsen :P“

„Ach Mimi, verscheißer mich doch nicht, ich kenn dich seit du ein kleines Mädchen bist und du ohne rosa ist doch ein Ding der Unmöglichkeit :D. Hast du dein Zimmer auch direkt am Campus?“

„Yagami, hör auf mich zu stalken! Zuerst besorgst du dir heimlich meine Nummer und dann fragst du wo ich wohne, damit du mir vielleicht auch noch auflauern kannst!“

„Sora hat mir deine Nummer gegeben, nachdem ich sie vorhin darum gebeten habe. Und keine Sorge, ich werde dir schon nicht auflauern. Das ist nicht mein Stil, außerdem habe ich mein Zimmer auch am Campusgelände deswegen frage ich.“

„Du bist von zu Hause ausgezogen? Und dann in keine WG mit Matt?“

„Nein, es hat sich hier die Möglichkeit geboten und vor ein paar Jahren hätte man es mit Matt kaum ausgehalten. Ständig hatte er andere Frauen über Nacht bei sich und glaub mir, die waren nicht nur zum Ausnüchtern da.“ Mit der flachen Hand schlage ich mir leicht gegen die Stirn – das ist typisch Tai, er denkt wieder einmal keine Sekunde darüber nach, wie die Nachricht ankommen könnte und ob er mich damit vielleicht kränkt. Erde an Taichi Yagami: Matt war der erste Junge in den ich mich unsterblich verliebt hatte und von dem ich meinen ersten schüchternen Kuss bekommen hatte. „Hey Mimi…das tut mir leid, ich hatte das mit Matt und dir vor sieben Jahren vergessen. Vergiss einfach was ich gerade geschrieben habe.“ Überrascht hebt sich nun meine Augenbraue und ich muss ein wenig Schmunzeln. Sieh einer an, da kommt tatsächlich von dem unsensibelsten und am wenigsten einfühlsamen Jungen den ich kenne eine Entschuldigung.

„Mach dir keinen Kopf deswegen – alles gut. Das ist sieben Jahre her und ich war in den USA auch nicht nur alleine :P“ kommt es von mir zurück ehe ich noch weiter darüber nachdenke.

„Habe nichts anderes von dir erwartet Prinzessin :D. Ich muss jetzt los meine Schwester vom Tanztraining holen. Komm doch das nächste Mal wieder vorbei, wenn wir Training haben. Du kannst mich beim Spielen bewundern und ich kann angeben, dass die heißen Mädchen extra meinetwegen kommen :P. Donnerstag um 17:00, den Sportplatz kennst du ja!“

„Träum schön weiter Mr. Mein-Selbstbewusstsein-reicht-bis-zum-Mond!“

„Mimi, der war billig – überleg es dir. Wir könnten nachher etwas trinken gehen und ich stell dich den Jungs vor :). Du kannst hier ja noch nicht viele Leute kennen.“

„Danke für das Angebot Tai. Ich überlegs mir und jetzt ab mit dir. Richte Kari schöne Grüße aus“

„Mach ich Mimi und dir einen schönen Abend.“
 

Mit einem Lächeln lege ich mein Handy zur Seite. Was war das doch für eine überraschende Wendung. Ich hatte geplant in Ruhe einen Film anzusehen, nachdem ich ausgiebig geduscht habe und dann schreibt mir ausgerechnet Taichi Yagami: derjenige, der immer den Anführer und Beschützer raushängen ließ, der mit unter großkotzig und unsensibel war und derjenige, mit dem ich mich nicht nur einmal gestritten hatte. Ach Gott, wie viele unserer Ausflüge als junge Teenager waren dadurch ruiniert worden, weil Tai und ich uns mal wieder nicht einig waren? Und dennoch hat er sich meine Nummer von Sora geholt, als er mich zufällig am Campusgelände gesehen hat. Vielleicht wäre es ja gar keine so schlechte Idee, wenn Sora und ich beim nächsten Training zusehen und wir nachher alle etwas trinken gehen?

Doch gerade als ich an Sora denke, kommt dieser leicht fade Beigeschmack von heute Vormittag wieder hoch…Wieso hat sie niemandem erzählt, dass ich wieder da bin? Wieso habe ich alle zufällig treffen müssen? Ich dachte sie freut sich, dass ich wieder hier bin und wird auch gleich den anderen davon erzählen? Nachdenklich mache ich mich auf den Weg Richtung Bad und merke dabei gar nicht, wie mein Handy aufgrund eines eingehenden Anrufes erneut vibriert…

Tell me

Nachdenklich mache ich mich auf den Weg Richtung Bad und merke dabei gar nicht, wie mein Handy aufgrund eines eingehenden Anrufes erneut vibriert…
 

In ein großes Badetuch gewickelt, meine Haare trocknend, gehe ich zurück in mein Zimmer und schalte die Soundbox ein - etwas gute Musik wird mir definitiv beim Entspannen helfen. Als ich mir mein Handy schnappe um Spotify zu starten, sehe ich, dass Sora zwei Mal versuchte mich zu erreichen. „Was möchte sie denn von mir?“ denke ich verwundert, bevor ich mit den Schultern zucke und sie zurückrufe. Bereits nach dem zweiten Klingeln hebt sie ab: „Hi Mimi, danke dass du mich zurückgerufen hast. Ich wollte dich vorhin nicht stören, aber ich wollte unbedingt hören, wie dein erster Unitag war und ob du alles gefunden hast bzw. nette Kommilitonen hast.“

„Hey Sora. Ja, es war anstrengender als gedacht, was nicht nur an den drei angesetzten Vorlesungen lag, sondern auch daran, dass ich gleich in meiner ersten Vorlesung auf einen gewissen Blondschopf namens Yamato Ishida traf.“

„Oh Man…das tut mir leid zu hören. Wie wars denn und worüber habt ihr gesprochen? Hat er sich gefreut dich zu sehen?“ fragt mich Sora ganz unbekümmert.

„Sag mal Sora, willst du mich auf den Arm nehmen? Er war komplett verwundert mich zu sehen und hat so gar nicht damit gerechnet. Um ehrlich zu sein, hat er mich so angesehen, als wäre ich ein Gespenst, das es eigentlich gemäß den Gesetzen der Natur gar nicht geben sollte. Wieso hast du nicht erzählt, dass ich wieder zurück nach Tokio komme? Ich dachte du freust dich?“ kommt es im Gegenzug direkt von mir, wobei ich den Ärger in meiner Stimme schwer unterdrücken kann. Das Letzte das ich heute Abend möchte ist einen Streit mit Sora von Zaun zu brechen, aber seit heute Vormittag lässt mich dieses Thema nicht los, zumal ich Sora’s Beweggründe einfach nicht verstehen kann!

„Mimi, ich…ich weiß auch nicht, wieso ich nichts gesagt habe. Vor sieben Jahren, als dass mit dir und Matt war und du dann in die USA gegangen bist, war er so geknickt und hat uns alle eine Zeit lang gemieden, weil wir ihn wohl zu sehr an dich erinnert haben. Wahrscheinlich habe ich einfach nicht gewusst, wie ich es ihm sagen soll.“

„Wieso reitet ihr alle darauf herum, was vor sieben Jahren war? Tai hatte heute auch schon davon gesprochen. Ob du es glauben kannst oder nicht, er hat mich heute nach der Vorlesung stehen lassen, weil er mit seiner Freundin verabredet war. Und oh Wunder, ich lebe noch, ich habe nicht geweint und mein Herz ist nicht in tausend Stücke zerbrochen!“ antworte ich ihr aufgebracht und bin kurz davor das Gespräch zu beenden indem ich einfach auflege. Wieso fassen mich bei dem Thema Yamato alle mit Samthandschuhen an? Ja klar, braucht man mir nicht von all seinen Bettgeschichten erzählen, aber ich bin doch nicht zehn Jahre mit ihm zusammen gewesen oder etwas dergleichen. Zudem habe ich Sora erzählt, dass ich in den USA mit David liiert war und das sogar für lange Zeit. Wie hätte ich dazu im Stande sein können, wenn mein Herz noch Yamato Ishida gehört hätte?

„Es tut mir leid Mimi. Ich wollte nicht, dass es so kommt und in dieser Weise eskaliert, dass du nun sauer auf mich bist. Es war ein Fehler, dass ich nichts erzählt habe.“ Ich höre die Ehrlichkeit und Traurigkeit in Sora’s Stimme, wodurch ich augenblicklich wieder ruhiger werde und mir mein Ausbruch etwas leidtut.

„Sora – es ist doch alles in Ordnung, bitte sei nicht traurig. Mich hat dieses Thema den ganzen Tag nicht losgelassen und deswegen musste ich es einfach ansprechen. Lass es uns einfach vergessen, ok? Ich weiß, du meintest es nicht böse und jetzt wissen die Jungs ja immerhin, dass ich da bin.“ Versuche ich versöhnlich auf Sora zuzugehen. Wie früher als wir noch Kinder waren, kann ich nicht lange sauer auf sie sein.

„Danke. Wollen wir uns denn morgen nach den Vorlesungen treffen und gemeinsam Abendessen? Vielleicht bei dem neuen Laden hier am Campus? Ich lade dich auch ein um meinen Fehler wieder gut zu machen.“

„Klar gerne. Lass mich nur mal eben in meinen Kalender sehen…würde es bei dir um sieben passen?“

„Perfekt – dann sehen wir uns morgen Mimi und wie gesagt, es tut mir wahnsinnig leid.“

„Schon gut, bis morgen Abend.“ Mit diesen Worten beende ich das Gespräch und werfe mich mit einem Seufzen erneut auf die Couch. So turbulent hätte ich mir meinen Start wirklich nicht vorgestellt…
 

~ drei Tage später ~
 

Spontan habe ich mich entschieden nach meinen Vorlesungen zum Sportplatz zu sehen, da ich ohnehin nichts vorhabe und den Stoff der letzten Tage vor dem Wochenende nicht unbedingt wiederholen möchte. Wir haben Donnerstag, 17:15 und wenn Taichi’s Information richtig war, findet heute wieder sein Fußballtraining statt. In einen dunkelblauen Trenchcoat gehüllt, meine Haare zu einem hohen Zopf gebunden betrete ich die Tribüne und lasse mich in der linken Ecke nieder. Kaum habe ich mir meinen Schal umgelegt, erkenne ich im Augenwinkel wie Tai mich sieht, er zu grinsen beginnt und mir fröhlich zuwinkt. Ein leichtes Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen und ich winke ihm ebenfalls zu.
 

Während die Jungs mit ihrem Training beschäftigt sind, gehen mir die letzten Tage und insbesondere das Treffen mit Sora durch den Kopf:

Am Dienstag haben wir uns wie vereinbart zum Sushi essen getroffen und dabei über Gott und die Welt geredet. Ein Thema vermied Sora jedoch besonders: Männer. Es war egal, ob ich sie fragte, ob es da jemanden gibt, ihr jemand gefällt oder sie sich in letzter Zeit mit jemandem getroffen hat, ständig kam sie mit ausweichenden Kommentaren oder sie entschuldigte sich, weil sie eine rauchen wollte. Bei den übrigen Themen, war sie jedoch ganz die Alte und wir unterhielten uns stundenlang, lachten und hatten Spaß, wie wenn die letzten sieben Jahre nie passiert wären und ich immer hier in Japan geblieben wäre. Aber in Punkto Männern oder Liebschaften war aus ihr kein Wort herauszukommen – ob sie wohl niemanden hat und ihr das unangenehm ist? Ob sie eine Affäre mit einem Professor hat und deswegen nichts sagen konnte bzw. wollte? Hundert verschiedene Möglichkeiten gehen mir seither immer und immer wieder durch den Kopf, wobei manche Szenarien zugegebenen Maßen als unwahrscheinlich einzustufen sind. Als ich erneut über dieses Thema nachdenke, fangen auch meine Finger wieder an nervös auf der Bank herum zu trommeln. Ich verstehe es einfach nicht, wieso sie mir nichts erzählt. Kann sie mir vielleicht noch nicht vertrauen, weil ich so lange in den USA war? Mit einem tiefen Seufzen versuche ich das Thema aus meinen Gedanken zu verdrängen, da ich ja doch nicht weiterkomme und alleine das Geheimnis wohl kaum lösen werde. Sora wird es mir schon irgendwann erzählen, wenn sie es selbst für richtig hält oder sie soweit ist.

Heute hatte ich zudem wieder eine Vorlesung mit Yamato und was soll ich sagen? Irgendwie war das Ganze seltsam und er selbst wie ausgewechselt. Ich war vor ihm da und er hat sich dieses Mal ohne auch nur ein Wort zu sagen, neben mich gesetzt und ganz normalen Smalltalk begonnen. Fragte mich, ob ich mich schon etwas eingelebt hätte, ob wir vielleicht gemeinsam lernen soll, wenn ich Hilfe brauche, etc. Diesen anfänglichen Smalltalk folgte noch eine Entschuldigung, da er sich bei unserer ersten Begegnung vor den Kopf gestoßen fühlte. In einer der Vorlesungspausen holte er uns beiden zur Krönung einen Kaffee und erzählt ein wenig von seiner Band und den Studienplänen für dieses Semester. Schlau werde ich aus seinem Verhalten im Rückblick nicht, eines wurde mir jedoch während der Zeit mit ihm mehr als klar: es sind definitiv keine Gefühle mehr für den Jungen, in den ich mit 13 Jahren zum ersten Mal verliebt war, vorhanden. Wir haben zwar gelacht und nach einer gewissen Zeit habe ich auch angefangen mich in seiner Gegenwart zu entspannen, das wohl mehr daran lag, dass wir gemeinsam so viel erlebt hatten und bereits als Kinder befreundet waren und weniger daran, dass ich ihn vor sieben Jahren auf eine andere Weise mochte. Wenigstens bin ich mir dessen nun zu 100% sicher, auch wenn mir das Verhalten von Yamato und Sora ansonst Kopfschmerzen bereitet.
 

So in Gedanken versunken, bin ich dem Training der Jungs kaum gefolgt und erschrecke daher erneut über den Pfiff des Trainers, der das Ende der heutigen Trainingseinheit verkündet. Mit einem leichten Kopfschütteln schaue ich zum Spielfeld und sehe dabei wie mir Taichi deutet auf ihn zu warten, woraufhin ich nur nicke. Keine 15 Minuten später läuft der Braunhaarige mit geschulterter Sporttasche die Treppe zur Tribüne hoch und bleibt mit einem Grinsen vor mir stehen. „Hätte nicht gedacht, dass du heute wirklich kommst Prinzessin!“ grinst er mich weiterhin an und zieht mich dabei in eine herzliche, stürmische Umarmung die mir ein fröhliches Kichern entlockt. Es tut gut seine alten Freunde wiederzusehen und Tai gibt mir das Gefühl mich ehrlich vermisst zu haben. Die Freude darüber breitet sich wie ein warmes, wohliges Gefühl in meinem Innern aus und ich weiß endlich, wieso ich wieder zurück nach Hause gekommen bin: um hier zu studieren und den Menschen nahe sein zu können, die mir in der Vergangenheit die Welt bedeutet haben – meine alten Freunde, wie Tai einer ist.

„Hi – jaaaah, ich dachte mir, dass ihr sonst wieder so ganze ohne Publikum trainieren müsstest und das hätte mir doch leid getan.“ antworte ich ihm leicht necken, wobei ich meine Sachen zusammenpacke, damit wir den Sportplatz verlassen können.

„Sehr lustig Mimi, ich krieg mich kaum ein vor Lachen. Aber ehrlich – schön, dass du es geschafft hast und hier bist. Hast du vielleicht Lust auf ein Bier?“

„Gerne, wobei ich bei dem Bier passe. Wein wäre mir lieber.“

„Was auch immer Sie wünschen Mademoiselle.“ Mit diesen Worten setzt sich Tai in Bewegung und fährt sich dabei locker durch seine dichten, braunen Haare, die nach all den Jahren noch immer in sämtliche Richtung stehen. Während ich mich auf mach ihm die Treppe nach unten zu folgen, mustere ich unauffällig seine Rückseite. Wahnsinn wie Taichi in all den Jahren gewachsen ist! Er überragt mich um fast eineinhalb Köpfe und muss somit ca. 1,90 groß sein, wodurch er größer ist als der Durchschnittsjapaner. Seine Gesichtszüge sind markanter, männlicher geworden und man kann durch seinen dünnen Pullover seinen gut trainierten Körper erahnen. Als mir bewusst wird was ich da eigentlich denke, werde ich rot und versuche peinliche berührt schnell in eine andere Richtung zu sehen. „Mimi, was denkst du dir da eigentlich? Und über wen denkst du dir das?!“ und genau bei diesem Gedanken – wie soll es anders sein – gerate ich ins Stolpern und falle mit einem lauten Schrei nach vorne direkt in Tai’s Richtung.

Es kommt aber nicht zu dem von mir gefürchteten Sturz, da sich der Braunhaarige blitzschnell umdreht, um mich aufzufangen, wodurch ich mich in seinen Armen wiederfinde und mir sein atemberaubendes Parfum in die Nase steigt. An seine Arme geklammert blicke ich mit roten Wangen zu ihm nach oben und sehe wie er erleichtert ausatmet. „Puh Mimi…jag mir doch nicht so einen Schrecken ein und pass besser auf wo du hintrittst! Wie soll ich das sonst jemanden erklären, wenn du dir gleich in der ersten Woche am Campus sämtliche Knochen brichst?!“ – „Wie bitte, ich soll besser aufpassen? Sag mal, hast du sie noch alle? Du hast mich doch hierher eingeladen!“ antworte ich ihm aufgebracht, wobei ich mich so schnell es mir möglich ist aus seinen Armen befreie, meinen Trenchcoat glatt streiche und mit leicht erhobenem Kinn an ihm vorbei Richtung Ausgang marschiere. Hinter mir vernehme ich nur ein Lachen von Herrn Yagami und höre, wie auch er sich wieder in Bewegung setzt.

„Weißt du eigentlich, dass du dich in all den Jahren kein Stück verändert hast? Du bist noch genauso tollpatschig und streitlustig wie damals als kleines Kind.“ fragt mich Taichi noch immer lachend, als er mich eingeholt hat und lässig neben mir entlang geht. Böse funkle ich ihn an, wobei ich aber auch etwas zu Schmunzeln beginne, als ich in sein freundliches Gesicht sehe. „Ach halt doch die Klappe Yagami!“ beende ich vorläufig das Gespräch, wodurch wir angenehm schweigend nebeneinander herlaufen.
 

Als wir kurze Zeit später das von ihm ausgesuchte Pub betreten, entdeckt Taichi einen Tisch in einer etwas ruhigeren Ecke zu dem er uns beide durchschleust, da bereits einiges los ist. Langsam ziehe ich meinen Trenchcoat aus und blicke mich dabei in dem Pub um, ob mir vielleicht das ein oder andere Gesicht bekannt vorkommt. Heute Früh habe ich mich für einen kurzen Jeansmini entschieden, den ich einem langärmeligen schwarzen Top kombiniert habe, welches meinen blassen Teint unterstreicht. Mit einem leichten Pfiff mustert mich Tai auffällig „Nicht schlecht Tachikawa, du hast dich ja zu einer ziemlich hübschen Frau entwickelt.“ Auf diesen Kommentar werde ich etwas rot und setze mich. „Vor allem sehe ich kein einziges rosa Teil. Das ist ja tatsächlich das Beeindruckendste des heutigen Tages!“ legt Tai nach, wobei er mir keine Zeit für eine Antwort lässt, da er sich mit einem frechen Grinsen aufmacht, um uns unsere Getränke zu besorgen. „Er ist doch so ein Idiot! Warum kann er nach dem Kompliment nicht einfach den Mund halten, wie es jeder andere Mann getan hätte?“ denke ich verärgert, als ich meine Füße übereinanderschlage und ihm nachsehe.
 

Nachdem wir bereits einige Stunden hier sind und jeder von uns mehr als nur genug getrunken hat, setzt sich Taichi zu mir auf die kleine Couch und lehnt sich leicht gegen mich. „Sag mal Tachikawa, wieso bist du wirklich wieder in Japan?“ lallt er leicht, wobei er einen kräftigen Schluck von seinem Bier nimmt.

„Das hab ich dir doch jetzt schon drei Mal erzählt: Ich bin hier um Jura zu studieren, damit ich nach meinem Abschluss benachteiligten Frauen und Kindern helfen kann, die einfach keine Kohle für einen Anwalt haben und deswegen auf wohltätige Institutionen angewiesen sind.“

„Hm…also hat das alles hier nichts mit Matt zu tun?“

„Nein Taichi – das hat nichts mit Matt zu tun! Wie ich auch bereits Sora gesagt habe: Ich war zwar mal in ihn verliebt, aber das ist Jahre her und auch jetzt wo ich ihn wiedersehe, kommen diese Gefühle nicht mehr. Wieso sollte ich auch ausgerechnet wegen ihm hier sein?“ antworte ich ihm wild gestikulierend und suche dabei intensiv seinen Blick.

„Nur so. Wollte lediglich fragen. Nichts weiter“ mit diesen Worten lehnt er sich zurück und schließt für einen Moment die Augen, um der Rockmusik zu lauschen, die gerade gespielt wird. Auch wenn vielleicht der Alkohol aus mir spricht, so könnte ich schwören, dass sich ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen des Braunhaarigen stiehlt – ob das etwas mit meiner Antwort zu tun hat oder doch einfach mit dem entspannten Abend, dem kühlen Bier und der guten Musik? Mit einem Schulterzucken lasse ich mich ebenfalls leicht zurückfallen und lege dabei den Kopf auf Tai’s Schulter. „Man Tai…ich bin sowas von betrunken.“ bringe ich kichern hervor, bevor ich abermals nach meinem Glas greife und einen Schluck von meinem Bier nehme. „Ich merks Prinzessin. Ich merks! Wer hätte denn je gedacht, dass Mimi Tachikawa Bier trinkt?“ murmelt Tai leise zurück, wobei er seine Wange an meinen Kopf lehnt.

„Mimi?“ – „Hm?“ – „Ich bin ehrlich froh, dass du wieder da bist. Und das sag ich nicht, weil du scharf bist oder deine Haare trotz verrauchter Publuft wie frisch vom Friseur riechen. Auch wenn wir immer wieder gestritten haben oder wir uns gegenseitig aufgezogen haben, wusste ich, dass ich mich auf dich verlassen kann und du einer jener Menschen bist, die immer einen Platz in meinem Herzen haben wird. Tut gut dich wieder hier am richtigen Kontinent zu haben.“

Taichi’s ehrliche Worte überrumpeln mich und ich blicke blinzeln zu ihm nach oben. Wie viel hatte er bitte getrunken? Ja, da waren auch etliche Whisky Cola dabei, aber dass ihn die so aus dem Konzept bringen? Dennoch muss ich schmunzeln und schlage ihm gespielt auf die Oberschenkel „Danke für deine Worte Yagami, ich fürchte nur da spricht der Alkohol aus dir. Lass uns also lieber nach Hause gehen, damit du deine morgige Praxiseinheit halbwegs nüchtern erledigen kannst!“. Mit diesen Worten richte ich mich auf und reiche ihm die Hand, welche er ergreift, um sich von mir hochziehen zu lassen.
 

Gemeinsam schlendern wir über das Campusgelände, als ich Taichi anblicke und leise frage: „Du sag mal Tai…du bist doch nach wie vor so gut mit Sora befreundet, oder? Weißt du vielleicht, wieso sie mir bei dem Thema Männer so beharrlich ausweicht und keine Antwort geben möchte? Nimmt sie es mir vielleicht noch übel, dass ich damals nach Amerika ging und ist das der Grund, wieso sie mir nicht mehr vertraut?“. Betrübt sehe ich zu Boden und seufze, ehe ich eine sanfte Berührung an meiner Schulter spüre. „Ach Mimi, was soll ich dir sagen?“ antwortet mir Tai sichtlich betroffen und sieht mir dabei tief in die Augen, ehe er mit einem Seufzen weitergeht. „Tai bitte…Sind vielleicht Sora und du ein Paar, weswegen sie nie darüber redet oder steht sie auf dich? Ist es ihr vielleicht vor mir unangenehm, weil ihr doch immer beste Freunde wart?“. Als Antwort bekam ich nur ein lautes Lachen zu hören und ein amüsiertes Kopfschütteln. „Wo denkst du hin Mimi? Sora und ich waren nie ein Paar und werden es definitiv nie sein. Vergiss das mal, da Sora so gar nicht mein Typ ist. Eher bleibe ich die nächsten 100 Jahre alleine, bevor ich beginne Sora zu daten“ – „Sehr nett von dir Tai, wirklich, so schlimm ist Sora nun auch nicht! Aber was ist es dann? Weißt du etwas?“ versuche ich es nochmal, während ich nach seiner Hand greife und ihn so zum Stehen bleiben zwinge. Taichi verhakt seine Finger leicht mit meinen als er mir in die Augen sieht. „Mimi bitte – zwing mich nicht, ich mag nicht derjenige sein der dir das erzählt.“ – „Tai bitte!“ – „Sora ist jetzt seit fast drei Jahren mit Matt liiert…“

Mehr höre ich in dieser Sekunde nicht mehr, da sich diese Neuigkeit wie ein Fausthieb in meine Magengegend anfühlt, auf den mir augenblicklich schlecht wird und ehe ich noch weiter darüber nachdenken kann, drehe ich mich zur Seite um mir die Seele aus dem Leib zu kotzen…Wie kann Sora nur?

Walk thru fire


 

Talk to me

Spill the secrets you’ve been keeping

Life cuts deep

Let me help pick up the pieces

You’re not alone, I’m by your side

Don’t you know, don’t you know

I’ll walk through fire with you

I’ll walk through fire

No matter what, I’ll make it Right
 

Zwei Wochen waren seit jenem Abend vergangen, von dem an ich mich von Sora mehr als nur verraten fühle. Wie konnte sie mir das antun? Ich dachte immer, dass wir Freundinnen sind und sagt man nicht, dass zwischen Freundinnen aktuelle Partner, Expartner, Exgeliebte oder was auch immer tabu sind? Und selbst wenn nicht, wieso hat sie es mit keinem Wort erwähnt? Wir haben in all der Zeit in der sie und Yamato nun schon zusammen sind geskypt, uns WhatsApp-Nachrichten geschickt und ab und zu auch Briefe mit kleinen Aufmerksamkeiten. War es ihr da nicht einmal der Mühe wert, etwas zu sagen oder auch nur ansatzweise anzudeuten?

Wütend schmeiße ich mein Kissen durch das Zimmer und stoße dabei einen erstickenden Schrei aus, bevor mir erneut dicke Tränen über die Wangen laufen. Ich dachte, dass ich mich zumindest auf meine Freunde aus Kindheitstagen verlassen kann und uns eine so ehrliche und tiefe Freundschaft verbindet, dass man einander nicht verrät und nicht hinter dem Rücken anderer miteinander schläft. Ja und ich dachte sogar, dass diese Freundschaft die Trennung durch einen Ozean überstehen kann, aber anscheinend habe ich mich geirrt… Als ich das gefühlt hundertste Taschentuch dieses Tages aus der Tempobox ziehe klopft es an meiner Tür. „Was ist?“ rufe ich dem Besucher aufgebracht entgegen und verkrieche mich dabei wieder weinend in mein Bett. Seit jenem Abend habe ich fast niemanden in meine Nähe gelassen bzw. habe ich mich außer zu Vorlesungen kaum aus meinem Zimmer gewagt. Mein Handy habe ich rigoros blockiert und sämtliche Anrufe von Sora sofort weggedrückt – sie ist wirklich der letzte Mensch auf dieser Welt, mit dem ich mich in diesem Moment unterhalten möchte und Gnade ihr Gott, wenn sie es ist, die gerade vor meiner Tür steht.

„Mein Gott, wie sieht es denn hier schon wieder aus? Mimi, du kannst nicht auf deiner eigenen kleinen Müllhalde leben, das hatten wir doch schon!“ kommt es schockiert von Taichi, als dieser mein Zimmer betritt und die Tür hinter sich schließt. Mit einem Seufzen macht er sich daran Gläser, Teller und leere Schokoladeverpackungen wegzuräumen. „Was willst du hier?“ – „Nach dir sehen, so wie des Öfteren in letzter Zeit. Sieh dich doch an, du igelst dich ein, wie wenn du vor dem Altar stehen gelassen worden wärst!“ wirft er mit entgegen, wobei er vor meinem Hochbett stehen bleibt, die Hände auf dem Geländer verschränkt mich unvermittelt ansieht.

„Halt die Klappe Yagami. Du hast keine Ahnung davon, wie es mir geht und du hast auch keine Ahnung wie sich Verrat durch deine beste Freundin anfühlt!“

„Denkst du ernsthaft, du bist die Erste, der in ihrem Leben weh getan wurde und die schlechte Erfahrungen mit anderen Leuten gemacht hat?“ bei diesen Worten zieht er skeptisch eine Augenbraun hoch und legt sein Kinn auf seine verschränkten Arme. „Ernsthaft Mimi, hör auf dich wegen dem fertig zu machen und weiter herum zu spinnen. Ja, Sora hat dir nichts von ihrer Beziehung mit Matt erzählt, und? Ich dachte du empfindest nichts mehr für Matt, wieso gönnst du deiner ach so besten Freundin also nicht ihr Glück?“

Sprachlos sehe ich Taichi an und bevor ich noch weiter darüber nachdenken kann, hole ich aus um ihn eine zu verpassen. „Was bildest du dir ein, so mit mir zu reden?“ rufe ich wütend, aufgebracht und gleichzeitig auch verletzt, da seine ehrlichen Worte einen Stich in meinem Herzen auslösen. Doch bevor meine Hand seine Wange treffen kann, umfasst der Braunhaarige liebevoll mein Handgelenk und zieht mich mit einem Ruck in seine Arme. „Mimi bitte…hör auf wegen dieser Sache so wütend zu sein, das passt nicht zu dir und das ist das Ganze auch nicht wert. Glaub mir bitte, dass Sora damals lange mit sich gehadert hat und sich zu Beginn gar nicht mit Matt treffen wollte, da sie dir gegenüber ein furchtbar schlechtes Gewissen hatte, obwohl du bereits vier Jahre nicht mehr da warst. Irgendwann gab sie sich dann doch einen Ruck und so wurde aus den beiden ein Paar. Das hat nichts mit dir zu tun, niemand wollte dich verletzen und mein Gott, Mimi du warst ja nicht einmal da! Das Leben ging auch für uns weiter und jeder von uns musste damit klarkommen, dass du nicht mehr da bist. Für den einen hieß das Abschied von jemanden nehmen, den man gerade begonnen hatte gern zu haben und für den anderen bedeutete es den Verlust der besten Freundin.“ Kommt es leise von Tai, wobei er sein Gesicht in meinem Haar vergräbt und mich sanft in seinen Armen hält. Ich spüre seinen warmen Atem in meinem Nacken und seufze tief. Irgendwie schafft er es auch dieses Mal, dass ich mich beruhige und meine Tränen trocknen – so wie er es die letzten zwei Wochen oft geschafft hatte, wenn er mich besuchte um gemeinsam einen Film zu sehen oder um einfach nur still nebeneinander zu lernen.

„Aber Tai…“ – „Nein Prinzessin, kein aber dieses Mal. Wir haben dieses Thema die letzten zwei Wochen immer und immer wieder besprochen. Ich mag es nicht zum fünfzigsten Mal diskutieren, da es vor allem doch nichts ändert, solange du dich weigerst mit Sora zu sprechen und dir ihre Sicht der Dinge anzuhören! Schauen wir lieber, dass wir dich gewaschen und angezogen bekommen.“ Damit zieht mich Tai sanft aus dem Hochbett und trägt mich kurzzeitig tatsächlich wie eine Prinzessin in seinen starken Armen. Als mir das bewusst wird, werde ich leicht rot um meine Nasenspitze und sehe schüchtern zur Seite, was Tai wohl Gott sei Dank nicht nur Kenntnis nimmt, da er mich vorsichtig zu Boden lässt und mich aufmuntern angrinst: „Geht doch und jetzt ab unter die Dusche während ich hier lüfte!“ – „Was hast du vor Tai? Wieso muss ich duschen und was soll ich im Anschluss anziehen?“ – „Wir gehen heute aus und frag mich jetzt nicht wohin! Das ist eine Überraschung, aber ein kurzes Kleid mit schicken hohen Schuhen würde mich nicht stören, im Gegenteil.“ Vorsichtig berührt Tai während diesen Worten mein Kinn und hebt meinen Kopf leicht an, so dass ich unvermittelt in seine schokobraunen Augen sehe, in denen ich beinahe zu ertrinken drohe. Was ist nur los mit mir? Taichi schafft es tatsächlich, dass es mir jedes Mal besser geht, wenn er in meiner Nähe ist. Er sorgt dafür, dass mir ganz warm ums Herz wird und er schafft es nach all den Jahren als Einziger, dass er mich mit seinen Handlungen und Worten derart verunsichert, dass ich mich als kleines, hilfloses Mädchen fühle. Langsam und vorsichtig kommt er meinem Gesicht näher und sieht dabei auch mir tief in die Augen – wie wenn es in diesem Moment nur ihn und mich in dem ganzen Universum geben würde. Ich spüre wie mein Herz laut und voller Aufregung gegen meine Brust schlägt und als ich meine Augen schließe, vernehme ich ein leises Kichern von meinem Gegenüber.

Irritiert öffne ich meine Augen und blinzle ihn ungläubig an, womit ich ihm ein lautes Lachen entlocke ehe er unter kurzen Atempausen hervorbringt: „Mimi, du hast Schokolade an deiner Wange. Vielleicht solltest du auch deswegen mal wieder duschen gehen.“ Und damit fängt er wieder an zu lachen und hält sich den Bauch. Etwas überfordert mit dieser Aussage und gleichzeitig auch wütend mache ich augenblicklich auf dem Absatz kehrt und nehme das Handtuch von der Couch mit. „Was für ein Idiot! Unglaublich und ich hätte ihn fast geküsst, wenn er mir nur ein paar Zentimeter näher gewesen wäre! Mimi, was tust du hier auch, das kann kein gutes Ende nehmen, Tai ist ein Freund und nichts weiter – außerdem musst du dich viel zu sehr über seine Kommentare ärgern und er zieht dich ständig auf, wie damals als ihr noch Kinder wart.“ denke ich aufgebracht und stürme Richtung Badezimmer, wobei ich Tai immer noch lachend zurücklasse…
 

Eine Stunde später betrachte ich mich kritisch im Spiegel und checkte ein letztes Mal mein Make-up. Ich habe mich entschieden, mein frisch gewaschenes Haar offen, mit leichten Wellen zu tragen. Meine Augen habe ich bewusst sehr dezent geschminkt, da der Fokus heute auf meinen kirschroten Lippen liegen soll – wenn Tai mich derart necken kann, dann soll er dafür heute die Retourkutsche erhalten, indem ich ihn etwas zappeln lasse. Nach etlichen Überlegungen habe ich ein enges schwarzes Kleid angezogen, dass mir fast bis zum Hals reicht, dafür aber deutlich über dem Knie endet. Passend zu meinen Lippen trage ich rote Pumps und eine kleine schwarze Clutch. Zufrieden betrachte ich nochmal meine Rückseite, bevor ich die Türe des Badezimmers aufstoße und zurück in mein Zimmer gehe, wo Taichi auf der Couch liegt und das letzte Stück meines selbst gebackenen Kuchens isst.

Als er mich sieht und von oben bis unten mustert, verschluckt er sich an seinem Kuchen und beginnt zu husten, was dieses Mal von meiner Seite mit einem leisen Kichern quittiert wird. „Gut zu wissen, dass man Taichi Yagami auch so leicht aus der Fassung bringen kann.“ geht es mir amüsiert durch den Kopf als ich nach meinem Trenchcoat greife. „Können wir los oder willst du lieber Wurzeln schlagen und mich weiterhin mit deinem Blick durchbohren?“ frage ich ihn, während ich mich an den Türstock lehne und auf ihn warte. Tai hat sich heute für eine schwarze Jean und ein weißes Hemd entschieden, das er sich bereits jetzt bis zu den Ellbogen aufgekrempelt hat, so dass sein Look einen leicht legeren und sportlichen Touch bekommt. Mit einem Grinsen kommt er auf mich zu und bietet mir deinen Arm an. „Bereit für heute Abend?“ – „Bereit wann immer du es bist…“ antworte ich lächelnd und hacke mich bei ihm ein um das Studentenheim zu verlassen.
 

„Taichi, wo fahren wir denn nun hin? Jetzt sitzen wir schon zwanzig Minuten in diesem Taxi und noch immer ist kein Ende in Sicht.“ quengle ich ungeduldig und versuche dabei zu erahnen wo wir gerade sind bzw. eine Idee davon zu bekommen, wo wir den heutigen Abend verbringen werden. „Bist du jetzt still? Wir sind doch gleich da.“ Und tatsächlich sind wir keine fünf Minuten später an unserem Zielort: einer alten Schule, die bis auf ein paar beleuchtete Fenster verlassen scheint. Etwas enttäuscht mustere ich die Gegend und halte nach anderen Studenten Ausschau: Fehlanzeige. „Was machen wir hier? Hier ist doch tote Hose und weit und breit keine Party, kein Alkohol oder etwas dergleichen…“ frustriert werfe ich meine Hände in die Luft und drehe mich selbst im Kreis. Meine Laune sinkt und ich fange an mich zu fragen, wieso ich mich heute überhaupt schick gemacht habe, wenn wir doch auf keine Party gehen. Ungeduldig blicke ich zu Tai und tippe mit dem Schuh auf den Boden. Er ist mir definitiv eine Erklärung hierfür schuldig! „Mimi, möchtest du mich zu der ersten Fotoausstellung meiner Schwester begleiten?“ fragt mich Tai höflich und ignoriert dabei wohl ganz bewusst mein divenhaftes Verhalten von vorhin, stattdessen hält er mir sogar seine Hand entgegen und lächelt mich sanft an.

„Wow…Kari hat hier ihre erste Ausstellung? Das wusste ich nicht…Tai, es tut mir leid. Bitte entschuldige mein furchtbares und absolut unpassendes Verhalten.“ Ich schäme mich in diesem Augenblick und sehe betrübt zu Boden. Was mache ich hier eigentlich? Taichi ist der mit Abstand freundlichste Mensch in meinem Umfeld, der bedingungslos zu mir steht, meine Launen erträgt, für mich einsteht und mich dann auch noch bittet, ihn zu der ersten Ausstellung seiner Schwester zu begleiten. Ein wahrer Freund mit anderen Worten und was tu ich? Ich habe nichts Besseres zu tun als mich darüber zu beschweren, dass hier nichts los ist „Und ja…falls du noch immer möchtest, würde ich dich sehr gerne begleiten“ füge ich mit dünner Stimme hinzu und traue mich noch immer nicht ihn anzublicken. Statt jedoch eine Antwort zu bekommen, spüre ich, wie sich Tai‘s Finger mit meinen verhaken, bevor er mich mit einem Grinsen schwungvoll in das Innere der Schule zieht.
 

In der Aula angekommen, erblicke ich die zierliche Gestalt der jungen Zwanzigjährigen in der Mitte des Raumes, welche sich gerade angeregt mit ein paar Unbekannten unterhält. Ein glückliches Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen: die Kleinste unserer Gruppe ist erwachsen geworden und lebt hier augenscheinlich ihren Traum, da sie bereits mit knappen zehn Jahren Fotografin werden wollte. Und wie hübsch Hikari geworden ist! Ohne darüber nachzudenken, löse ich meine Hand aus Taichi’s und bewege mich auf sie zu. Als auch Kari von mir Notiz nimmt, hellt sich ihre Miene auf und wir schließen einander nach all den Jahren fröhlich wieder in die Arme, ohne dabei zu bemerken, wie der Braunhaarige der Szene folgt und offensichtlich mit sich selbst zufrieden ist, mich auf andere Gedanken gebracht zu haben.

Nach der herzlichen Begrüßung, werden wir höchstpersönlich von der Fotografin durch ihre Ausstellung geführt und sie erzählt uns beinahe zu jedem Bild, was sie damit verbindet und wie es zu der Aufnahme kam. Interessiert lausche ich ihrer zarten Stimme und merke dabei, dass sich Hikari bemühte in vielen Bildern die Kurzlebigkeit des Moments für die Ewigkeit einzufangen. Für mich persönlich wirken jedoch gerade ältere Bilder traurig – wie wenn etwas geschehen wäre, dass auch sie selbst traurig gemacht hätte. Als nach und nach mehr Besucher kommen, ziehen sich Taichi und ich etwas zurück, damit sich Hikari potentiellen Kunden widmen kann. Wir spazieren mit einem Glas Wein in der Hand über den Spielplatz der Schule, ehe wir uns ins Gras auf Taichi’s Jacke setzen.

„Deine Schwester hat ein unglaubliches Talent Stimmungen einzufangen, ist dir das bewusst?“ beginne ich vorsichtig das Gespräch, da wir seit der Ankunft nicht viel miteinander gesprochen haben.

„Das stimmt. Hikari war schon als Kind sehr feinfühlig und hat die Gefühle von ihren Mitmenschen sehr gut einschätzen können.“

„Denkst du nicht, dass sie auch versucht mit ihren Aufnahmen ihre eigenen Gefühle zu verarbeiten? Manche Bilder in der Aula wirken so unglaublich traurig, obwohl es beispielsweise nur Bilder des Strandes sind. Oder ist das jetzt ein Klischee, dass ich über Künstler habe?“ frage ich ihn offen und schaue dabei in sein Gesicht, welches im Mondschein geheimnisvoll wirkt und seine Gedanken kaum verrät.

„Bevor wir dieses Gespräch weiterführen, habe ich einen Vorschlag für dich Mimi: jeder von uns beiden darf dem anderen drei Fragen stellen, die ehrlich beantwortet werden müssen, okay? Aber keine einzige mehr und alles was du darüber hinaus noch wissen magst bleibt für heute ungeklärt.“

„Einverstanden. Gab es eine Zeit in Hikaris Leben, wo sie tatsächlich so traurig war, wie es diese Bilder erahnen lassen?“

„Ja die gab es und das ist auch noch gar nicht so lange her. Ein dreiviertel Jahr vielleicht. Hikari und Takeru waren lange Zeit ein Paar und von einem Tag auf den anderen hat sich dieser Arsch von ihr getrennt, ohne ihr auch nur einmal zu sagen wieso! Für meine kleine Schwester war das die bisher schwerste Zeit ihres Lebens, da sie unsterblich in ihn verliebt war oder noch immer ist. Es tut mir weh sie so leiden zu sehen.“ Aufmerksam höre ich ihm zu und weiß dabei im ersten Moment gar nicht, was ich sagen soll, da mich diese Geschichte sprachlos macht. Auf der einen Seite macht es mich traurig, dass die sensible Kari so etwas durchmachen musste, da ich selbst weiß, wie weh der Verlust eines Seelenpartners tut und auf der anderen Seite macht es mich auch unglaublich wütend, da ich Takeru niemals für einen solchen Idioten gehalten hätte!

„Wie ging es dir in dieser Zeit? Hikari ist doch deine kleine Schwester und du hast sie doch immer schon wie ein Löwe beschützt.“ – „Ich schätze, dass uns diese furchtbare Erfahrung als Geschwister trotz allem noch enger zusammengeschweißt hat. Wir haben beinahe jeden Tag miteinander verbracht, wir waren sogar für zwei Wochen in Europa, damit ich sie nur irgendwie auf andere Gedanken bekomme. Ihre Tränen habe mir jedoch jedes Mal tief in meinem Inneren weh getan. Sie so leiden zu sehen und doch genau zu wissen, dass man nichts dagegen tun kann…das war wohl auch für mich eine der schlimmsten Erfahrungen. Du kannst mir glauben, der nächste Typ der ihr nahe sein möchte, muss zuvor einen Abend mit mir überleben!“ während seiner Erzählung sehe ich, wie sich deine Hände zu Fäusten ballen und mir wird bewusst, wie sehr sich die beiden eigentlich brauchen. Sanft lege ich meine Hand auf seine um ihm zu zeigen, dass ich für ihn da bin und ich ihn verstehe. „Danke, dass du mich heute mitgenommen hast. Ich weiß jetzt, wie viel es dir bedeutet und dass du wahnsinnig stolz auf Hikari bist, dass sie trotz dieser schlimmen Erfahrung ihren Weg geht.“ Taichi lächelt mich müde an und streicht mir mit einer freien Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Danke, dass du mich begleitet hast. Aber jetzt bin ich dran, nachdem du bereits zwei deiner drei Fragen aufgebraucht hast.“ Bei diesen Worten kehrt der freche Blick in seinen Augen zurück und er überlegt gespielt anstrengend, was er mich nun im Gegenzug fragen könnte.

„Wieso hast du dich in all den Jahren, in denen du in den USA warst, nicht bei mir gemeldet? Abgesehen von der obligatorischen Alles-Gute-zum-Geburtstag Nachricht.“ Wenn ich mit vielem gerechnet hatte, jedoch nicht mit dieser Frage, wodurch ich im ersten Moment nicht weiß, was ich ihm darauf antworten soll. „Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht…vielleicht hing es damit zusammen, dass wir als Kinder so oft gestritten haben oder so oft anderer Meinung waren, dass ich vermutete, dass du mich nicht besonders magst.“ – „Hast du mich denn auch nur ein klein wenig vermisst, während du weg warst?“ – „Ich habe euch alle vermisst Tai. Jeden einzelnen, das kannst du mir glauben. Auch dich mit all unseren Zankereien habe ich vermisst. Immerhin wäre ich sonst nicht zurück nach Japan gekommen.“ antworte ich ihm aufrichtig und suche dabei den Blickkontakt, damit ich ihm zeigen kann, dass es sich dabei nicht um eine x-beliebige Aussage handelt, sondern dass ich das Gesagte zu 100% ernst meine.

„Okay – bereit für deine letzte Frage Tachikawa?“

„Hmmm, nur mehr eine ist also übrig…heute Nachmittag in meinem Zimmer, wolltest du mich da küssen?“

Taichi legt während meiner Frage seine Hand liebevoll an meine Wange, während ich mich unbewusst an diese schmiege und ihm tief in seine Augen sehe. „Ja und ich möchte noch immer nichts lieber als das…“ haucht er leise, während er mir immer näherkommt, bis sich unsere Lippen unter dem Sternenhimmel, hier auf seiner Jacke im feuchten Gras zu einem zaghaften, vorsichtigen Kuss treffen.

Hellfire


 

We could sing pretty melodies

On the unmade bed

Slow dancing to a silhouette

`Cause I ain’t dead yet

Ain’t no chariots of fire

Come to take me home

I’m lost in the woods

And I wander alone

Hellfire, Hellfire

Take my soul

I’m waiting, waiting

I’m ready to go
 

Mit einem zufriedenen Lächeln schlage ich meine Bücher zu und sammle meine Notizen zusammen – endlich geschafft! Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Nachmittag so schnell zu Ende geht und ich es tatsächlich schaffe den vorgenommenen Stoff zusammenzufassen. In den letzten Wochen haben wir neben dem allgemein geltenden Gesetzbuch, auch mit Mietrecht begonnen. Ersteres bereitet mir besondere Schwierigkeiten, da ich lange kein Japanisch brauchte und die Gesetzestexte zum Teil noch aus dem vergangenen Jahrhundert stammen, wodurch es mir nicht ganz so leicht fällt, den Sinn der einzelnen Passagen zu verstehen. Wer hätte jemals gedacht, dass mir meine Muttersprache einmal Probleme bereiten wird? Bevor ich die Bibliothek verlassen, sehe ich noch schnell auf meine Uhr, woraufhin mir das Herz in die Hose rutscht: Mist, ich habe nur noch fünf Minuten bis das Spiel von Taichi beginnt und er hat mich nicht nur einmal daran erinnert, wie wichtig das heute für ihn ist!

Ich beginne zu laufen und halte meine Tasche mit beiden Händen fest. Gott sei Dank habe ich mich heute für ein etwas sportliches Outfit bestehend aus roten Converse, schwarzer Jean und einer Lederjacke mit kuscheligem Schal entschieden. Der Oktober ist dieses Jahr ungewöhnlich mild, wodurch wir noch viel Zeit im Freien verbringen können und Taichi und ich auch einige Male am Abend gemeinsam spazieren waren.
 

Unser erster, unschuldiger Kuss auf Hikari’s Ausstellung ist mittlerweile fast drei Wochen her und seither haben wir versucht uns noch häufiger zu sehen als die Wochen davor - soweit es uns eben möglich war. Zwischen all unseren Vorlesungen, seinen praktischen Unterrichtseinheiten, den zu erledigenden Arbeitsaufträgen und Ausarbeitungen, Taichi’s Training und seiner Abschlussarbeit war das mit unter gar nicht so einfach, weswegen ich ihm manchmal auch einfach nur beim Training zusah und wir danach gemeinsam spazieren gingen. Einmal haben wir es aber sogar in den Vergnügungspark geschafft, wo wir den Abend ausgelassen und mit viel zu vielen Süßigkeiten verbracht haben. Über den Kuss selbst haben wir in dieser Zeit nicht viele Worte verloren, genauso wenige wie über unsere Gefühle und was da eigentlich zwischen uns passiert – das war für mich aber in keinster Weise unangenehm, da er mir das Gefühl gab, dass alles gut ist so wie es ist. Gingen wir spazieren, nahm er oft meine Hand in seine, so dass wir Händchen haltend über das Campusgelände oder durch die Stadt liefen. Brachte er mich nach Hause, küssten wir uns zum Abschied oft lange, wobei uns der Abschied jedes Mal unglaublich schwer fiel. Und Gott, bei jedem Kuss mit ihm sind die Schmetterlinge in meinem Bauch wie verrückt auf- und abgeflogen und meine Knie wurden ganz weich. Durch ihn fühle ich mich in diesen Momenten vollkommen, er zaubert mir dieses permanente, zufriedene Lächeln auf meine Lippen und mit ihm fühlt sich alles richtig an – wie wenn es einfach so sein soll und wie wenn das Schicksal das auch schon immer für uns wollte.

Ich denke das ist auch der Grund, wieso weder Taichi noch ich in den letzten Wochen einen Schritt weiter gegangen sind: es war jeder einzelne Augenblick perfekt wie er war und keiner von uns möchte dieses zarte, unschuldige Gefühl der Zuneigung durch eine übereilte Handlung kaputt machen. Wobei, zugegebener Maßen wird es bei jedem Abschiedskuss schwieriger, da ich ihn jedes Mal weniger gehen lassen möchte und nichts mehr möchte als seine nackte, warme Haut auf meiner spüren.
 

Am Fußballplatz angekommen, quetsche ich mich in die Mitte der Tribüne und versuche noch einen Platz zwischen den unzähligen Leuten zu bekommen, die sich das Spiel ansehen möchten. Wahnsinn wie viel hier los ist! Mit einem Seufzen sehe ich mich hilflos um, bevor ich schließlich doch noch einen freien Platz neben einem Pärchen ergattere, das mehr mit sich selbst als mit dem Fußballspiel beschäftigt ist. Ein Blick auf die Anzeigetafel verrät mir, dass Taichi’s Mannschaft mit 1:0 hinten ist – verdammt und das schon nach 15 Minuten Spielzeit! Auch das übrige Match verläuft nicht viel besser, da die Mannschaft unserer Universität ihre liebe Not hat dem taktangebenden Spiel der anderen Mannschaft seinen eigenen Stempel aufzudrücken, um so den Spielstand vielleicht doch noch zu drehen. Mit dem 1:0 Rückstand geht es auch in die Halbzeit und ich versuche einen Blick auf Taichi zu erhaschen, was bei den Unmengen an Menschen leider gar nicht so einfach ist. Ich sehe nur, wie er sich frustriert die Haare rauft und seine Trinkflasche wütend gegen die Wand wirft, bevor der Trainer ihn und seine Teamkollegen zu einer kurzen Besprechung versammelt. Bitte lieber Gott, lass das helfen, damit sie in der zweiten Halbzeit zumindest den Ausgleich schaffen, so dass sie heute nicht mit null Punkten vom Platz gehen müssen.

Die zweite Halbzeit beginnt mit einem schnellen Spiel, das durch etliche Angriffe und Gegenangriffe geprägt ist und das klar den Kampfgeist unseres Teams zeigt. „Gut so Jungs – gebt nicht auf und kämpft um jeden Ball!“ geht es mir dabei aufgeregt durch den Kopf, was mir ein leises Kichern entlockt: wer hätte je gedacht, dass ich mich so für Fußball begeistern und mich dabei auch noch hineinsteigern kann? Die 45 Minuten der zweiten Hälfte vergehen durch das hohe Spieltempo viel zu schnell und es sind am Ende nur noch wenige Minuten zu spielen, obwohl die Jungs nach wie vor 1:0 hinten sind. Aufgeregt quetsche ich meine gedrückten Daumen, als Taichi den Pass seines Teamkollegen annimmt und sich beinahe tänzerisch um seine Gegenspieler spielt, bevor er alleine auf das Tor zustürmt. Als er tatsächlich wenige Sekunden später zum 1:1 trifft, gibt es auf der Tribüne kein Halten mehr und die Leute springen von ihren Plätzen auf um ausgelassen zu jubeln und der Mannschaft, insbesondere Taichi, zu applaudieren. In diesem Moment pfeift der Schiedsrichter das Spiel ab, wodurch es amtlich ist: durch ihren unbändigen Kampfgeist haben die Jungs ein Unentschieden rausholen können, was mehr ist, als jeder nach der ersten Halbzeit erwarten konnte. Wie auch die restlichen Zuschauer applaudiere ich und pfeife ihnen zu, während sie einen Freudentanz aufführen, um sich im Anschluss vor den Zuschauern zu verbeugen. Was bin ich in diesem Moment stolz auf Tai!
 

Wie bereits vor dem Spiel mit Taichi abgesprochen, warte ich nach dem Ende auf der Tribüne, wie damals als ich ihm das erste Mal beim Training zugesehen habe und wie wir uns das erste Mal nach all den Jahren in den USA wiedersahen. Aufgeregt laufe ich auf und ab und blicke dabei immer wieder zum Eingang der Mannschaft, bevor sich die Türe endlich öffnet und Taichi mit geschulterter Sporttasche und einigen Teamkollegen hinauskommt. Sein Haar ist noch nass und er lacht ausgelassen mit den anderen, was ihn einfach umwerfend macht und ihn in seiner Jean und seinem Kapuzenpullover noch viel besser aussehen lässt. Fröhlich beginne ich zu grinsen, bleibe augenblicklich stehen und winke ihm mit klopfendem Herzen. Als er mich sieht, stielt sich ein Lächeln auf seine Lippen und er läuft beinahe auf mich zu – und wie bei unserem ersten Aufeinandertreffen zieht er mich in eine stürmische Umarmung, bei der er mich dieses Mal regelrecht durch die Luft wirbelt. „Du warst unglaublich! Wie du die gegnerischen Spieler ausgetrickst hast!“ fange ich mit einem Lachen an. Ich komme jedoch nicht weiter, da er mich hier, vor den Augen seiner Teamkollegen, in einen stürmischen Kuss zieht, bei dem er mich fest hält und mich sanft an sich drückt. Ohne auch nur eine Sekunde zu protestieren, lasse ich mich ganz auf ihn ein und umschlinge liebevoll seinen Nacken und presse meinen zierlichen Körper an ihn.

Keine Ahnung, wie lange wir uns geküsst haben, bevor wir uns schwer atmend voneinander lösen und uns tief in die Augen sehen. Meine Wangen glühen vor Hitze und Taichis Blick ist lustverhangen, als er mit seiner Hand über meine Seite streicht, um am Schluss seine Hand in meine hintere Hosentasche zu stecken, so dass sie auf meinem Po liegt. Seine Stirn lehnt an meiner. Es wäre ein Leichtes ihn erneut zu küssen und ich beiße mir sanft auf die Unterlippe, um mich der Versuchung nicht hinzugehen. Dabei sehe ich, wie er seine Augen schließt, um seine Lippen wieder auf meine zu legen und mich damit komplett ins Verderben zu stürzen. „Taichi, ich…“ hauche ich leise, ehe wir durch das Vibrieren des Handys in seiner Hosentasche gestört werden. „Du solltest da vielleicht rangehen.“ bringe ich nach ein paar Sekunden und einem Räuspern hervor, während dem ich auch einen kleinen Schritt von ihm zurücktrete, so dass etwas Luft zwischen uns kommen kann, um uns die dringend benötigte Abkühlung zu verschaffen. Taichi quittiert dies nur mit einem leichten Kopfnicken und einem Grummeln, bevor er den Anruf entgegennimmt. „Hi Mum…ja, wir sind vor ca. einer halben Stunde fertig geworden.“ Das restliche Gespräch verläuft still, Taichi sagt fast kein Wort und wird im Laufe des Gesprächs immer blasser. Ich merke, wie seine Hand etwas zu zittern beginnt und wie er nervös auf seiner Lippe herum kaut, was er sonst nie macht und woraufhin ich beginne mir Sorgen zu machen. „Okay Mum, ich mach mich gleich auf den Weg.“ kommt es noch ruhig, aber mit angespannter Stimme von dem Braunhaarigen ehe er auflegt, sich von mir wegdreht und unter einem erstickenden Schrei mit der Faust gegen die hinter uns liegende Wand schlägt. Durch den Schlag platzt seine Haut an den Knöcheln auf und er beginnt augenblicklich zu bluten. Ich beobachte schockiert, wie ihm Tränen über die Wangen laufen und wie viel Selbstbeherrschung es ihm in diesem Moment kostet nicht auf der Stelle los zu toben und die Tribüne in ihre Einzelteile zu zerlegen. „Taichi, was ist los?“ versuche ich es vorsichtig und berühre dabei zaghaft seinen Oberarm, auch wenn ich in diesem Moment meinen eigenen Herzschlag als ein lautes Dröhnen in meinen Ohren wahrnehme und Angst vor dem habe, was er mir sagen wird. „Hikari…Mum hat sie ohnmächtig in unserer Wohnung auf der Toilette gefunden, sie war ganz kalt und blass. Sie hat sofort die Rettung gerufen, sie operieren sie gerade.“ Mehr Worte bedarf es nicht, um Taichi zu umarmen und ihn fest in meinen Armen zu halten, damit er fühlt, dass er nicht alleine ist. Still weint er weiter, auch dann noch als er Daumen und Zeigefinger gegen seine Augen presst um sich zu beruhigen. „Lass uns los…“ mit diesen Worten nimmt Tai eilig meine Hand und zieht mich hinter sich her, wobei ich beinahe laufen muss, um mit ihm Schritt zu halten…
 

„Mama, Papa! Wo ist sie, wie geht’s es ihr?“ bricht es aus Taichi hervor, als er seine Eltern im Wartebereich der Chirurgieabteilung sitzen sieht und eilig auf sie zuläuft. Beschützend nimmt er seine Mutter in den Arm und streicht ihr sanft über den Rücken, da Frau Yagami bei der Ankunft ihres Sohnes wieder zu weinen begonnen hatte. Sie wirkt erschöpft und am Ende mit ihren Kräften, während Taichi’s Vater den Umständen entsprechend gefasst und ruhig wirkt. Unschlüssig was ich nun tun soll, bleibe ich vorerst etwas abseits stehen und beiße mir auf die Unterlippe um nicht selbst zu weinen – hoffentlich geht es Hikari gut! „Wir haben sie vor wenigen Minuten in den Aufwachraum gebracht, wo sie vorerst beobachtet wird. Die Operation selbst verlief gut, auch wenn es nicht einfach war den Blinddarmdurchbruch in den Griff zu bekommen. Hatte Frau Yagami in der Vergangenheit keine Bauchschmerzen, die auf eine Blinddarmentzündung hingedeutet hätten?“ mischt sich nun der behandelnde Arzt in das Gespräch ein, der gerade zu der Familie gekommen ist, um sie über Hikari’s aktuellen Zustand zu informieren. „Nein…nein sie hat in den letzten Tagen nichts davon erzählt, aber wir haben uns auch nicht lange gesehen. Taichi, hat sie dir gegenüber etwas erwähnt?“ fragt Taichi’s Mutter an ihn gewandt nach, wobei dem Braunhaarigen nichts anderes übrig bleibt als traurig den Kopf zu schütteln. Woher hätte Taichi auch etwas ahnen können? Die wenige freie Zeit die er hatte, hatte er mit mir verbracht und dabei maximal mit seiner Schwester telefoniert oder WhatsApp Nachrichten geschickt, wodurch mich augenblicklich das schlechte Gewissen einholt. „Wie dem auch sei – wir haben den Durchbruch in den Griff bekommen und werden sie die nächsten Tage hierbehalten, um die Infektion zusätzlich mit Antibiotika zu behandeln und um ein Auge auf sie zu haben, wenn sich ihr Zustand wieder verschlechtern sollte. Herr und Frau Yagami, wenn Sie möchten, kann ich Sie zum Nebenzimmer des Aufwachraumes bringen, so dass sie sich selbst ein Bild vom Zustand Ihrer Tochter machen können?“. Taichi’s Eltern folgen der Aufforderung des Arztes und verabschieden sich kurz von uns, bevor sie hinter dem Arzt das Zimmer verlassen um nach ihrer Tochter zu sehen.

Erleichtert lasse ich mich mit einem Seufzen neben Taichi in den Sessel des Wartebereichs fallen und sehe zu ihm. Er hat seine Ellbogen auf den Knien aufgestützt und deine Hände in seinen Haaren vergraben. Sein Blick ist starr auf den Boden gerichtet. „Tai, hast du gehört? Deine Schwester hat die Operation gut überstanden und sie wird wieder ganz gesund werden!“ versuche ich zaghaft das Gespräch zu beginnen und ihm ein aufbauendes Lächeln zu schenken. „ICH BIN SO EIN IDIOT!“ kommt es plötzlich laut, aufgebracht und wütend von ihm. Nachdem er von seinem Stuhl aufgesprungen ist, läuft er ziellos durch den Warteraum. Unsicher was ich tun soll, bleibe ich sitzen und schaue betreten zu Boden. Was ist hier los? Wieso freut sich Tai nicht, dass es seiner Schwester bald wieder besser gehen wird? „Mimi, wie konnte ich das tun? Wie konnte ich ihr das nur antun?“ – „Tai, wovon sprichst du? Du hast doch nichts getan. Du hast keine Schuld an Hikari’s Zustand.“ Mit diesen Worten stehe auch ich auf und gehe zu ihm. Ohne zu zögern greife ich nach seinem Arm und zwinge ihn so stehen zu bleiben und mich anzusehen. „Ich mache mir Sorgen, was ist hier los? Wieso bist du nicht erleichtert, dass die Operation gut verlaufen ist? Bitte rede doch mit mir…“. Zusehens verzweifelt blicke ich direkt in Tai’s Augen, welcher sich jedoch von mir löst und zum Fenster geht. Mit verschränkten Armen und starrem Blick nach draußen in die Nacht, beginnt er aber doch leise, in dem Bewusstsein, dass ich ihn trotzdem höre, zu erzählen:

„Als ich dir vor ein paar Wochen erzählt habe, dass Takeru Hikari ohne auch nur ein Wort verlassen hat, war ich nicht ganz ehrlich. Es sind damals ein paar Tage vergangen, seit er Schluss gemacht hat und ich kam gerade vom Einkaufen zurück nach Hause. Kari und ich wollte uns Pasta kochen und im Anschluss einen alten italienischen Mafioso-Film ansehen. Ob du es glauben kannst oder nicht, aber vor unserem Haus habe ich dann tatsächlich Takeru gesehen, der anscheinend gerade zu uns wollte. Was hätte er auch sonst in der Gegend zu tun gehabt, da all seine Freunde in anderen Bezirken wohnen und ihn nur Kari mit dieser Gegend verbindet? Wütend stellte ich ihn zur Rede und fragte ihn, ob er eigentlich auch nur in irgendeiner Weise Anstand besitzt, weil er sich hier blicken lässt und ob er sich darüber im Klaren ist, was er meiner Schwester eigentlich angetan hat und wie sehr sie wegen ihm leidet. Er druckste herum, wollte mir keine ausführliche Antwort geben und schwafelte nur etwas von es tut ihm leid und ob er das nicht mit Kari besprechen kann. Er meinte zur Krönung des Ganzen auch noch, dass ihm das alles zu viel geworden ist und er mit dem Druck nicht umgehen konnte, weil angeblich schon alle erwartet haben, dass er ihr einen Antrag macht und die beiden heiraten, er sich dazu aber noch nicht bereit fühlte. Als er dann sagte, dass das alles ein riesiger Fehler war, den er gerne rückgängig machen würde, hatte ich mich nicht mehr unter Kontrolle und habe ihn auf öffentlicher Straße verprügelt. Er selbst hat kein einziges Mal die Hand erhoben und am Ende ist er mit blutender Nase und blauem Auge davon, während ich ihm nachrief, dass er sich nie wieder bei uns blicken lassen soll und dass er Hikari gefälligst in Ruhe lassen soll. Und das wars dann – Hikari hat nichts mehr von ihm gehört und wir haben ihn seither auch nicht mehr gesehen. Ach Gott Mimi, was bin ich nur für ein Idiot und vor allem, was bin ich für ein Bruder? Ich habe mich in das Leben meiner Schwester auf das Übelste eingemischt, habe ihre große Liebe verprügelt, das niemandem erzählt und sie lieber leiden gelassen, damit sie vielleicht eines Tages über ihn hinwegkommt, als dass sie auch nur noch einmal mit ihm redet und sich seine Version der Geschichte anhört?!“

Ich spüre wie schwer es Taichi fällt mir diese Geschichte zu erzählen und wie groß die Überwindung ist, sich seinen Fehler einzugestehen. Was ich zu all dem sagen soll, weiß ich in einem ersten Moment nicht. Klar, kann ich es schon irgendwie nachvollziehen, wie sehr der Braunhaarige seine Schwester liebt und dass er sie nur beschützen möchte, weswegen die Situation mit Takeru derart eskaliert ist. Auf der anderen Seite ist Hikari eine erwachsene Frau, die ihr Leben selbst bestimmen kann, die für ihre eigenen Entscheidungen verantwortlich ist und die eigentlich von niemandem mehr bevormundet werden sollte. „Du musst das auch deiner Schwester erzählen, wenn es ihr wieder gut geht und die Sache hier vorbei ist, das ist dir klar, oder?“ bringe ich schweren Herzens über meine Lippen, als ich meine Hand auf seine Schulter lege. Auch wenn diese Geschichte nicht ohne ist und noch für mächtig Zündstoff zwischen den Yagami Geschwistern sorgen wird, kann ich Tai einfach nicht böse sein. Er meinte es am Ende des Tages nur gut und wollte seine Schwester beschützen, so wie er es schon sein ganzes Leben getan hat.

„Ich weiß Mimi…und zuvor sollte ich mich bei Takeru für den ganzen Mist, den ich gebaut habe entschuldigen.“ – „Gute Entscheidung.“ antworte ich noch leise, bevor wir beide Seite an Seite aus dem Fenster blicken.
 

Nachdem Hikari munter wurde, haben die Ärzte sie noch am selben Tag auf die normale Station verlegt, wodurch auch Taichi und ich noch kurz bei ihr vorbei schauen konnten. Sie wirkte so zerbrechlich und blass in ihrem Krankenbett, während sie gleichzeitig so unendlich müde war. Trotzdem war sie am Leben und sie würde wieder ganz die Alte werden, was in diesem Moment mehr Priorität hatte als alles andere. Mit ruhigerem Gewissen, haben Taichi und ich kurze Zeit später das Krankenhaus verlassen, da uns beiden klar war, dass der Braunhaarige von nun an ohnehin jeden Tag nach seiner Schwester sehen würde, solange die Ärzte sie hierbehielte.
 

Müde und ausgelaugt lehne ich mich gegen Taichi. Die Straßenbahn ist beinahe leer und wir sind die einzigen Gäste in dem Abteil, da es bereits weit nach Mitternacht ist. Er selbst hat die Augen geschlossen und versucht einen Moment zur Ruhe zu kommen – es war ein langer und anstrengender Tag für uns beide. Vorsichtig hole ich das Handy aus meiner Tasche und öffne WhatsApp. „Hallo Sora. Es tut mir leid, dass ich dich die letzten Wochen ignoriert habe und mir deine Version der Geschichte mit Matt nicht anhören wollte oder vielleicht auch noch nicht anhören konnte. Hast du die nächsten Tage Zeit für einen Kaffee, damit wir das klären können? Ich hätte gerne meine beste Freundin zurück…“ tippe ich schnell und bevor ich es mir anders überlegen kann, schicke ich die Nachricht ab. Als ich mit einem Seufzen auf das Display und meine Nachricht blicke, spüre ich wie Tai seinen Arm um mich legt und mich fest an sich zieht. Liebevoll drückt er seine Lippen an meinen Kopf und sieht dabei aus dem Fenster zu den beleuchteten Straßen Tokios. Dankbar über die Anwesenheit des Anderen fahren wir gemeinsam nach Hause, damit nach diesem Tag keiner alleine sein muss…


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wen Mimi hier wohl in ihrer Vorlesung wieder entdeckt hat? Seid gespannt aufs nächste Kapitel :) Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (11)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Smileeveryday
2020-12-19T13:20:03+00:00 19.12.2020 14:20
Tolle Geschichte 😊 wann geht es weiter?
Von:  Animefan15
2020-05-06T17:03:28+00:00 06.05.2020 19:03
Hallöchen,

Also ich finde deine Geschichte wirklich total super und würde mich sehr freuen wenn du sie weiterschreiben könntest :-)

Ganz liebe Grüße
Von:  Hallostern2014
2019-05-23T20:36:06+00:00 23.05.2019 22:36
Huhu.

Hehe beide benehmen sich doch schon wie ein Paar. Beide müssen nur es sich endlich gegenseitig sagen.
Das beiden nur beim Küssen und Kuscheln geblieben sind finde ich gut. Sie sollen erstmal sich gestehe, dass sie sich lieben.

Dass Tai sie in der Öffentlichkeit geküsst hat sagt ja eigentlich schon alles. Und wer weiß ob es nicht Schicksal war, dass beide gestört wurde.

Arme Kari ich hoffe so sehr, dass es ihr bald wieder besser geht. Und ja, was Tai gemacht hat war Falsch aber so sind nun mal der große Bruder. Und Kari wird zwar sauer sein. Aber sie wird ihn es auch verzeihen zumal es sich ach noch bei ihn entschuldigen wird und mit ihn reden möchte.

Ich finde es gut von Mimi, dass sie endlich Sora zuhören will. Ich bin auch gespannt wie das Gespräch verläuft.

Freue mich sehr aufs nächste Kapitel.
Ganz liebe Grüße

Von:  Hallostern2014
2019-05-17T21:13:07+00:00 17.05.2019 23:13
Huhu.

Ein wunderschönes Kapitel hat du gezaubert.

Ich kann Mimi verstehe, dass sie enttäuscht ist. Aber sie sollte mit Sora reden wieso, weshalb und warum sie nichts gesagt hat. Nur so kann sie Abschließen..
Trotzdem gebe ich Mimi recht der Ex ist normalerweise Tapu. Aber auch Tai hat recht Liebe hat seine eigene Regel. Das Date war ja mal Klasse. Kari tut mir Wahnsinnig leid. Ich kann sie verstehen und bis jetzt ist T.K. wirklich ein Arsch. Dennoch Frage ich mich was der Grund für ihn.

Zum Glück hat Tai nicht aufgegeben und stand ihr zur Seite. Die Idee mit den Fragen stellen war Genial. Und Tai's Fragen zeigen mir, dass er wohl damals mehr von Mimi wollte, aber seinen besten Freund nicht im Weg stehen wollte. Jetzt braucht er aber kein Rücksicht nehmen und die Chance nutzt er mit dem Kuss auch.

Bin jetzt gespannt gespannt wie es weiter geht. Ich freue mich sehr aufs nächste Kapitel.

Gsnz liebe Grüße und ein schönes Wochenende.


Antwort von:  Schmetterling1
18.05.2019 15:35
Hallo erstmal :-)

Im nächsten Kapitel wird es wohl noch zu keiner Aussprache zwischen Mimi und Sora kommen - aber so viel sei verraten: es wird etwas passieren, dass die Ansicht bzw. die Enttäuschung von Mimi ändern wird, wodurch sie bereit ist einen Schritt auf Sora zuzugehen.

Das mit dem Kuss kam mir dann spontan am Ende und ich fands an der Stelle einfach süß und passend. Bis sich die beiden aber ganz eingestehen was sie füreinander empfinden und bis die beiden wirklich sagen "ja, lass uns unseren Weg gemeinsam gehen" wird es noch etwas dauern ;)

Liebe Grüße
Von:  Ruby_Photography
2019-05-11T21:29:08+00:00 11.05.2019 23:29
Hallöchen :3

Also erstmal: aaaaaaw omg ich wäre fast geschmolzen <3 so ein schönes Kapitel <3

Ich liebe deinen Schreibstil so sehr, hör niemals damit auf <3 ganz viel liebe für dich <3

Liebe Grüße, Ruby~
Antwort von:  Schmetterling1
12.05.2019 10:10
Danke für deine lieben Worte und freut mich, dass dir das Kapitel gefallen hat 😊
Von:  Hallostern2014
2019-05-10T09:57:56+00:00 10.05.2019 11:57
Huhu.

Ich wollte schon längst kommentieren kam aber leider noch nicht dazu.

Oje, Mimi war früher mal ihn Matt verliebt. Und er wohl auch in sie. Zum Glück ist es jetzt nicht mehr so. Wüsste gar nicht was ich davon halten sollte.

Das Sora keinen von Mimi's Rückkehr erzählt hat war schon komisch. Aber jetzt wissen wir schon mal warum sie es Matt nicht erzählt hat. Matt und Sora sind zusammen. Echt gemein von Sora. Dass sie es Mimi nicht erzählt hat. Klar war sie mal in ihn verliebt aber dennoch hätte sie es Mimi erzählen müssen.

Ich bin gespannt wie sie darauf reagieren tut.

Tai ist hier ein wunderbarer Freund. Er zeigt ganz doll wie sehr er sich freut, Sie wieder zu sehen. Man spürt schon, dass er etwas für sie empfindet. Villeicht hat er es ja auch schon früher getan und hat es nur für dich behalten.

Ich bin sehr gespannt wie es zwischen den beiden weiter geht. Und freue mich schon aufs nächste Kapitel.

Ganz liebe Grüße
Von:  Ruby_Photography
2019-05-06T19:20:33+00:00 06.05.2019 21:20
Hallöchen :)

Freue mich so schnell hier weiter lesen zu können, habe diene FF schon länger auf der Liste und bin dadurch umso happier das es hier weiter geht <3
Ich mag deinen schreibstil total, schön flüssig geschrieben und gut zu lesen <3

Freue mich auf mehr :D

Liebe Grüße, Ruby~
Antwort von:  Schmetterling1
10.05.2019 10:29
Dankeschön 🤗
Hoffentlich geht sich nächste Woche das Upload von Kapitel 4 aus. Gar nicht so einfach dieses Kapitel auf den Weg zu bringen, weil mir so viele Idee für mögliche Handlungsalternativen durch den Kopf schwirren 😄
Von:  Desiree92
2019-05-06T16:49:00+00:00 06.05.2019 18:49
Es freut mich dass jetzt regelmäßig Kapitel online komme, hoffe das bleibt weiterhin so.
Bis jetzt gefällt mir die Geschichte sehr sehr gut. 👍🏻🤗

Ohjeeee ... das war wohl ein ziemlicher Schock für Mimi. Ziemlich doof dass Sora ihr nichts erzählt hat.

Bin gespannt wie es weitergeht und freue mich schon wenn sich Mimi und Tai näher kommen.

Tai ist mir jetzt schon mega sympathisch 😍😍
Antwort von:  Schmetterling1
10.05.2019 10:26
Hallo 🙃
Danke für die liebe Worte. Werde versuchen nächste Woche das nächste Kapitel hochzuladen und darin wird es mal ein bisschen mehr um Tai und die Beziehung zu seiner Schwester gehen. Aber keine Sorge, Tai und Mimi haben auch ein paar besondere Momente miteinander 😉
Von:  Desiree92
2019-05-01T08:29:37+00:00 01.05.2019 10:29
Hallo 🤗 erst einmal einen schönen ersten Mai.

Ich habe mich sehr über das neue Kapitel gefreut, dachte schon dass die FF vielleicht abgebrochen wird.

Dein schreibstil gefällt mir sehr gut, lässt sich schön lesen. Bin sehr gespannt wie es weitergeht und wieso Sora es niemandem erzählt hat.

Hoffe das nächste Kapitel lässt nicht so lange auf sich warten

Liebe Grüße
Von:  Hallostern2014
2018-10-02T19:15:27+00:00 02.10.2018 21:15
Huhu.

Schön wie Sora und Mimi von gleich auf wieder unbeschwert reden könne. Ich hoffe mal das es mit den anderen genau so sein wird.

Ich denke das sie nun auf Tai treffen wird.

Bin sehr gespannt aufs nächste Kapitel. Ganz liebe Grüße


Zurück