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Glücksverfluchte

Die Champions von Asteria
von

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Der neue Schatz

Das Glitzern des Colliers, das ihren Hals schmückte, spiegelte sich in Severas Augen wider wie Kerzenschein. Das Gold und Silber der einzelnen sündhaft teuren Glieder machte sich erstaunlich gut mit der Spitze ihres Kleids und brachte ihr gepudertes Dekolleté zum Leuchten.

„Gefällt es dir?“, fragte Cirdan kühl und streichelte ihr Gesicht, fuhr durch ihre weichen Strähnen.

„Es ist hübsch“, antwortete die Zwergin und verzog den Mund zu einem betont neutralen Strich.

„Hübsch, wirklich? Mehr fällt dir dazu nicht ein?“

Die Zwergin gab ein neckisches Lachen von sich und gab ihrem Herrn einen spitzen Kuss auf die Wange. Sie konnte es sich nur schwer abgewöhnen, Cirdans Geiz zu bedienen und ihm einen Grund zu geben, an jedem Einkauf herumzumäkeln, um noch ein paar Copper rauszuholen. Dass sie das nun nicht mehr nötig haben würden, daran musste sie sich nach fast einer Dekade des Sparens erst wieder gewöhnen.
 

„Ah, Mikkalia!“ Der Elf packte Severa an ihren Schultern und drehte sie zur Elfin, die mit ihrem gewohnt herzlichen Lächeln und die Hände brav vor dem Schoß gefaltet im Türrahmen zu Cirdans Schlafzimmer stand und geduldig darauf gewartet hatte, dass der alte Hausherr ihr seine Aufmerksamkeit schenkte. Sie stimmte mit einem stummen Nicken der Schönheit des Schmucks zu, bevor sie ihren Bericht begann:

„Lord vei Brith, der Saal ist nun hergerichtet und das Buffet steht. Ferner ist eine Eilnachricht von Meister Hunter angekommen. Die Eiserne Geisha ist in Lyn'a'Tishal gelandet und er wird fast pünktlich zum Bankett erscheinen.“

„Fast… pünktlich?“

„Gewöhnt Euch besser daran. Meister Hunter ist nie "pünktlich" pünktlich“, antwortete Mikkalia mit trockener Routine auf Cirdans zweifelnden Blick, was der Elf nur mit einem etwas verwirrten Nicken akzeptieren konnte.

„Wie dem auch sei. Wärt Ihr so gut und würdet Severa eine hübsche Flechtfrisur verpassen? Sie muss heute noch besser aussehen als sonst.“

Ein Satz, den er immer sagte. Severa musste immer noch hübscher sein als am Tag zuvor, der Lidschatten noch graziler, die Hüften noch breiter, das Dekolleté noch betonter. Er trieb sie zum Superlativ an, hatte sich aber auf der anderen Seite seit Jahren nicht mehr über ihr Aussehen beschwert, also musste sie ja irgendwas richtig machen.

Die Elfin verbeugte sich leicht und bedeute Severa zu folgen. Die Zwergin gab ihrem Herrn einen dankbaren Kuss auf die Lippen, hob den Rock ihres neuen Kleids – ein echter Mandaniel aus teurem Samt und mit viel Spitze im Dekolleté und am Saum versehen, so wie es sein sollte – und huschte zur Elfin.

„Ich werde Euch sehr vermissen, Mikki“, hielt der alte Elf die beiden noch kurz auf und polierte seine neue Brille, durch deren Gläser sich die Sonnenstrahlen nach all den Jahren der Kratzer und Schlieren endlich wieder ungehindert bewegen konnten.

„Kann ich Euch nicht doch dazu bewegen, zu bleiben? Ganz gleich, wie hoch Euer Lohn bei Sterlinson auch war, ich würde Euch das Dreifache zahlen.“

„Meister Hunter bezahlt mir keinen Lohn. Und das Dreifache von Null ist bedauerlicherweise das Gleiche“, gab die Elfin in ihrem gewohnt überhöflichen Ton als Ablehnung preis und wartete keine Antwort mehr ab, sondern nahm Severa bei der Hand und führte die Zwergin zu ihrem Schlafgemach.
 

Drei Monate war die Abreise aus Asteria her; drei Monate, in denen alles so irrsinnig schnell ging, wie Severa es sich nie erträumt hatte.

Als sie zusammen mit Mikkalia wieder zuhause angekommen waren – Sterlinson musste sich um den Fuchsbau kümmern und Shiro hätte in Lyn'a'Tishal zu viel Aufmerksamkeit erregt – hatte es um die Miene noch schlechter gestanden als zuvor. Die Abwesenheit des Gutsherren hatte Aufseher, Verkäufer und zuletzt auch die Sklaven selbst zum Müßiggang angetrieben, was bei der Ankunft des Chefs für einen ganzen Haufen Sanktionen für die Angestellten sorgte und für die Zwerge so viele Peitschenhiebe, dass Cirdan sich einen bösen Muskelkater zugezogen hatte.

Doch immerhin konnte man dank der daraus entstandenen Übermenge an Kristallen sofort mit der Synthese anfangen. Mikki kannte die Formel fast so gut wie Ezra und nach wenigen fehlerhaften Ergebnissen, die man an einer Hand abzählen konnte, war das perfekte Mischverhältnis gefunden. Trotz dessen, dass die neuen Schätze zwar stark mit reinen Kristallen gestreckt wurden, war ihre Wirkung deutlich stärker als bei allen Konkurrenzprodukten im gesamten Land, was den Markt komplett aus dem Gleichgewicht riss – und dem Hof der vei Briths den erhofften Geldsegen schneller als erwartet brachte.

Binnen kürzester Zeit waren die Bestände bis auf ein geringes Restmaß geleert und Sterlinsons Ankunft am heutigen Tage war mehr als willkommen, versprach er doch, zwei Tonnen Asterid mitzubringen. Cirdan vei Brith – dieser Name hatte endlich wieder echtes Gewicht im Kesseltal. Mehr noch: Er war scheinbar der gefragteste Mann in ganz Lyn'a'Tishal, zog Neider und Stiefellecker in Rekordzeit heran, die allesamt schon fast freiwillig in seiner Kreide stehen wollten. Und wie es sich gebührte, stellte man Macht und Reichtum mit einem zünftigen Ball zur Schau. Darin waren die vei Briths sowieso Landesmeister, ob nun mit oder ohne Wohlstand.

Es sollte alles geben: Haxen vom großen Boar an Preiselbeeren, Erdapfelspalten mit Silberrosmarin an Trüffelmayonäse, die größte und extravaganteste Auswahl von Käse und Obst, die sich Liebhaber von Käse und Obst nur vorstellen konnten, eine Tankladung besten Craftbieres aus der Staatsbrauerei von Lynasa und Gin, Whiskey und Wein im Überfluss. Dazu keine freistehenden Instrumente, sondern professionelle Musikanten, die sie spielten (Mikki hatte zur Sicherheit jedes Instrument mit dem Papierzauber „Wohlklang“ aufgerüstet, um dem pingeligen Geschmack der Elfen Paroli zu bieten). Fast schon selbstverständlich würde er da seine Lieblingssklavin wieder präsentieren wie eine Anziehpuppe.
 

„Wie hätte die Dame es denn gern?“, fragte Mikki mit einem gekünstelt eitlen Ton, während sie bereits anfing die Bürste durch das kupferrote Haar zu ziehen.

„Ich verlasse mich da auf deine Expertise. Mein Herr will nur, dass mich wieder jeder sieht“, antwortete Severa lachend.

Sie kannte niemanden, der so gut – und vor allem schmerzfrei – frisieren konnte, wie die Elfin. Zudem genoss sie die Momente in ihrer Nähe wie kaum etwas anderes auf der Welt, obgleich sich die Freude mit ihr allein zu sein, stets wie etwas Verbotenes anfühlte. Schon in Asteria hatte sie Mikkis liebenswertes Auftreten zu mögen gelernt, doch zurück in der Heimat wurden die beiden etwas, was Severa unter dem Begriff „Freundinnen“ verstand – ein für sie noch völlig neues Konzept, von daher zweifelte sie noch ein bisschen daran, ob Mikki ebenso empfand. In jedem Fall würde sie die Elfin wohl am allermeisten vermissen, wenn sie wieder zusammen mit Mister Sterlinson in Richtung Asteria aufbrach.

„Freust du dich, wieder nach Hause zu kommen?“, fragte die Zwergin nach einigen Momenten der Stille, in denen sie dabei beobachtete, wie die schlanken Finger mit wenigen präzisen Handgriffen Strähne um Strähne nach oben beförderten und festmachten. Sie entschied sich wohl für einen Dutt, oder etwas in der Art.

„Natürlich empfinde ich ein gewisses Heimweh. Und in meinen Alpträumen stapeln sich im Fuchsbau bereits die Staubschichten übereinander.“ Ein kurzes Kichern, dann wurde der Blick Mikkis aber umso trauriger und sie hörte für einen Moment auf, mit den Haarklammern herumzufuchteln.

„Um ehrlich zu sein, mache ich mir Sorgen um dich. Wie es für dich sein wird, wenn du wieder ganz allein mit deinem Herrn bist... Ich weiß, dir macht das alles nichts aus, du bist es ja schon dein ganzes Leben gewohnt, aber...“

„Aber was?“, wollte Severa fragen, konnte sich aber Mikkis Einwand gut vorstellen – immerhin verabscheute sie die Sklaverei und Severas Aufgabe im Speziellen war ihr besonders zuwider, als 150 Jahre alte Jungfrau. Sie zeigte es zwar nicht offensichtlich, dafür war sie viel zu höflich, aber Cirdan stellte für sie ein Feindbild sondergleichen dar. Sie wartete ab, bis die Elfin von sich aus weitererzählte, aber vermutlich war in der Vergangenheit diesbezüglich schon alles gesagt worden. Severa war dort wo sie hingehörte: bei ihrem Herrn. Und der würde sie genauso wenig gehen lassen, wie Ezra es bei Mikkalia tat – mit dem einzigen Unterschied, dass Mikki aus freien Stücken bei ihrem Meister Hunter blieb.

„Ich kann ja vielleicht mit Meister Hunter sprechen, ob er nicht doch -“

„Mikki, bitte versteh doch“; unterbrach Severa die Elfin, obgleich es mehr wie ein Flehen klang. „Wenn Mister Sterlinson mich kaufen wollte, dann hätte er es tun sollen, als mein Master kein Geld hatte und einen Verkauf in Erwägung ziehen musste. Solange er lebt, bin ich sein Eigentum, mit dem er tun und lassen kann, was er will. Das ist einfach so bei uns.“

„Die gegebenen Umstände sind aber nicht immer die richtigen...“, meinte Mikki in einem melancholischen Ton und fing an, die Frisur weiter zu bearbeiten. Der Blick der Zwergin sank nach unten auf ihre Finger, die sich ineinander verschränkten, als wollte sie mit sich selbst Händchen halten.

Obwohl Severa sich in den letzten Wochen immer wieder dabei erwischt hatte, wie ihre Gedanken zu der riesigen Stadt in der Fremde, dem Berg von einem Haus mit den unzähligen Wasserfällen und nicht zuletzt zu dem blonden Mann, der sie bei jeder sich bietenden Sekunde umgarnt hatte, abgeschweift waren, wusste sie ganz genau, wie die Welt sich drehte. Und wohin sie solche Gedanken brachten.

Nach ihrem Kuss in der Rose Blanche hatten die beiden nicht mehr miteinander gesprochen, abseits kurzer Höflichkeiten. Und obgleich sie es freuen sollte, dass Ezra ihr nicht mehr nähergekommen war, so konnte sie trotzdem nur spärlich den Stich in ihrem Herzen ausblenden. Insbesondere, als sie sah, wie er Mikki einen letzten Abschiedskuss auf die Wange gegeben hatte. Sprach da etwa Eifersucht aus ihr? Als Mikkalia erwähnte zu glauben, dass Ezra die Zwergin noch kaufen wollte, hatte sie eine gar schwindelerregende Hitze in ihren Wangen gespürt. Und heute, wo sie ihn wiedersehen sollte, machte sie das alles nur noch nervöser… Obgleich das alles völlig egal war. Wenn Ezra und Severa sich heute treffen würden, dann würde das die erste und letzte Begegnung für eine sehr lange Zeit sein. Ihr Platz war hier.
 

„Hast du ihn vermisst?“, fragte die Zwergin schließlich, um die Stille zu unterbrechen, die ihr nur noch weniger gefiel als das Streitthema, das Mikkalia anschneiden wollte.

„Wen meinst du?“

„M-Mister Sterlinson.“

Mikki zog die letzte Schlaufe im Schopf fest und betrachtete den hochgesteckten Dutt, den sie Severa gebunden hatte.

„Ich vermisse sie alle. Shiro und die Bar… die unzähligen Besucher, die Mitarbeiter, sogar die anderen Meister. Und ja, natürlich vermisse ich Ezra auch.“

Severa wurde hellhörig. Sie konnte sich zwar nicht genau erinnern, aber war das nicht das erste Mal, dass Mikki ihn bei seinem Vornamen nannte?

„Wie…wie steht ihr eigentlich zueinander?“ Ihre Finger verkrampften sich noch fester. Warum verunsicherte sie diese Frage nur so?

„Ezra und ich? Er ist mein ältester Freund. Nicht weniger… aber auch nicht mehr“, antwortete die Elfin und versuchte Severas Blick einzufangen und zu erkennen, worauf sie mit der Frage hinauswollte. Doch die Zwergin ließ sich das nicht anmerken und wich ihrem Blick nur aus, sodass Mikki seufzend fortfuhr: „Ich lernte ihn als den Geschäftspartner meines damaligen Verlobten kennen und wir verstanden uns von Anfang an sehr gut.“

„Du bist verlobt?“

„Ich war es. Aber das ist schon lange her…“, Mikki schaute kurz zu Boden, mit traurig-glasigem Blick. Severa konnte sich denken, was das hieß und bevorzugte es, nicht weiter nachzuhaken.

„Jedenfalls hat Ezra sich danach um mich gekümmert und im Umkehrschluss habe ich mich dazu entschieden, für ihn da zu sein, wann immer er mich braucht und ihn bis zum Schluss auf seiner Mission zu begleiten.“

„Also aus Dankbarkeit.“

„Aus Überzeugung. Ezra Sterlinson ist ein impulsiver, bisweilen überheblicher Frauenheld, der nur viel zu oft mit dem Kopf durch die Wand geht. Aber er hat trotzdem das Herz am rechten Fleck und seine Ambitionen verfolgt er aufrichtig. Ich weiß zwar, dass dieser Fall niemals eintreten wird, aber.… Wenn sein Plan zu Asterias Rettung eines Tages mein Leben aufs Spiel setzen würde, wäre ich bereit, es zu geben.“

Den letzten Satz sprach die Elfin fast schon mit stolz geschwellter Brust, und so loderndem Blick nach vorn, dass er Severa beinahe Angst machte. Sie schien wirklich überzeugt von dem, was sie sprach; bereit für die Überzeugung eines anderen zu sterben. Severa konnte das beim besten Willen nicht verstehen. Sicherlich, auch sie würde für ihren Herrn ihr Leben geben, aber auch nur, weil sie es musste. Warum sollte man dies freiwillig machen?
 

„Sag Sevvi“, fragte Mikki nach einiger Zeit erneuten Schweigens, in denen sie die letzten Handgriffe an der Frisur vornahm, stand auf, ging zu ihrer Tür und linste in den Flur. Severas Herz schlug langsam schneller, denn sie wusste genau, was ihre Freundin vorschlagen würde.

Wie gut, niemand schien sie zu beobachten. Zwar vertraute Cirdan der Elfin blind, aber sie wollte ihm auch nur ungern Anlass zum Gegenteil geben. Und was sie vorhatte, würde ganz sicher nicht in seinem Sinne sein.

„Wie es aussieht, sind wir noch einige Zeit unter uns… und das hier ist unser letzter Abend“, flüsterte die Elfin schon fast und grinste dabei aufgeregt. „Also… wollen wir es tun?“

Mit diesen Worten holte sie eine Papierrolle, ein kleines Tintenfass und zwei abgenutzte Federn hervor. Severa konnte sich ihr breites Lächeln nicht verkneifen und nickte so heftig, dass es fast ihre Frisur wieder zunichtemachte. In den letzten Monaten hatte Mikkalia ihr bei jeder sich bietenden Gelegenheit Papiermagie beigebracht und Severa hatte sich mehr und mehr in die eigenwillige und in gewisser Weise auch äußerst vergängliche Kunst regelrecht verliebt. Sie war zwar nicht besonders gut – zumindest im Vergleich zu ihrer Lehrmeisterin – doch die Zwergin lernte zügig und mit großem Eifer, was Mikki regelmäßig mit einer ordentlichen Portion Anerkennung belohnte – etwas, das sie im Alltag nur allzu selten erfuhr.

„Hast du etwas Bestimmtes im Sinn?“

„Etwas ganz Besonderes“, bestätigte die Elfin, wurde zugleich aber auch wieder ein wenig traurig. „Nun, wo wir uns bald für eine lange Zeit nicht mehr sehen werden, möchte ich trotzdem den Kontakt beibehalten. Deswegen möchte ich versuchen, dir einen halbwegs simplen, aber äußerst nützlichen Beschwörungszauber beizubringen: den Brieffalken.“

Kaum hatte sie das ausgesprochen und zugleich den letzten Strich auf dem Papier gezogen, verglühte auch schon die Schrift und faltete sich zu einem kleinen Vogel, der Aufstieg und langsam zur Zwergin flatterte, dann wie angewurzelt vor ihrer Brust stehen blieb, als würde er auf etwas warten.

„Mach die Hand auf“, meinte Mikki und tatsächlich: als die Zwergin die Hand öffnete, landete der kleine Papiervogel darin und entfaltete sich von selbst. Severa machte es nicht bewusst, merkte aber ganz deutlich, dass sie wieder dieses übergroße Lächeln auf ihren Lippen hatte, was sie sonst aus ästhetischen Gründen versteckte, denn es ließ ihre Zwergengene zu stark herauskommen. Bei Mikki durfte sie es zeigen.

Die Elfin streckte ihr die Feder zu und sagte: „Jetzt du. Es muss nicht perfekt sein, aber für den Anfang gut genug, damit du meine Briefe empfangen kannst. Wie einst der Brieffalke muss auch der nach ihm benannte Zauber Sender und Empfänger gleichermaßen kennen. Ist das gegeben, kann er aber selbst Ozeane überbrücken.“

„Aber gerade hat es doch auch geklappt.“

„Nur weil wir direkt hier zusammensitzen. Aus der Distanz heraus muss der Empfänger die halbe Strecke selbst übernehmen“, erklärte Mikkalia und fing an, Severas aufgeregt zitternde Schreibhand zu führen, wie es bereits Sterlinson damals getan hatte. „Keine Sorge. Aller Anfang ist schwer. Aber das weißt du ja mittlerweile.“
 

„Lord vei Brith. Wie sieht es aus?“, fragte Mikki und präsentierte stolz die Zwergin, die in aller Langsamkeit die Treppe hinunter stolzierte, direkt in den reich gedeckten und schick dekorierten Ballsaal.

„Der Saal, die Speisen… und meine Lieblingssklavin… alles wunderbar“, meinte er mit zufriedenem indes auch äußerst enttäuschtem Blick. Er würde Mikki nicht noch einmal das Angebot unterbreiten, für ihn zu arbeiten. Cirdan war dafür zum einen zu stolz, zum anderen kannte er die junge Elfin mittlerweile gut genug, dass er die Endgültigkeit ihrer Antwort gut einschätzen konnte.

„Würde es Euch etwas ausmachen, mich kurz mit Sevvi allein zu lassen?“, fragte er stattdessen und erhielt zur Antwort nur ein stummes Nicken, bevor Mikki sich wieder nach oben auf ihr Zimmer begab. Immerhin musste sie sich ebenso noch hübsch machen, denn den Elfen durfte sie sich nicht als Hausdame zeigen. Man durfte so viele Hauszwerginnen halten, wie man wollte und die durften auch alle aussehen, wie man wollte. Aber eine Elfin war ganz sicher keine Dienerin.

„Sie wird uns beiden fehlen, nicht wahr?“, sprach er dann, als Mikki definitiv außer Hörweite war. Severa wusste nicht, wie sie darauf antworten sollte, also blieb sie nur sitzen und starrte ihren Herrn fragend an.

„Du darfst offen mit mir sprechen, Sevvi. Ich weiß, dass du sie magst“, antwortete er gelassen, steckte sich seine Pfeife in den Mund und deutete auf die Mündung. Severa ging umgehend zur Bar und holte eine Schachtel Streichhölzer aus einer Schublade und entzündete die Pfeife ihres Herrn.

„Das sagt der Richtige. Man könnte meinen, dass du um ihre Hand anhalten willst“, meinte Severa neckisch und erntete dafür ein unbestimmtes Brummen.

„Die steht nicht auf mich. Ich bin ihr wahrscheinlich zu klein, aber… naja, das wäre nichts Neues. Indes schneidest du da aber das richtige Thema an. Severa, ich werde mir eine Frau suchen.“

Die Zwergin musste aufpassen, dass sie nicht die Streichhölzer fallenließ, als sie das hörte. Ihre Hände fingen an zu zittern und der Schweiß wurde immer stärker.

„Nein…“, murmelte sie und musste sich beherrschen, einen Schluchzer zu unterdrücken. Wie kam er gerade auf diesen Gedanken? Warum ausgerechnet jetzt, wo es bergauf zu gehen schien?

„Wie war das? Sprich gefälligst deutlich, wenn du mir was zu sagen hast.“

„Was willst du denn mit einer anderen Frau?! Du hast doch mich!“

„Severa, nicht in diesem Ton“, antwortete Cirdan ruhig, zeigte aber mehr als deutlich, wie ungehalten er der Ausdrucksweise seines Freudenmädchens gegenüberstand und so hielt sich die Zwergin zurück, noch etwas zu sagen.

„Ich brauche einen Stammeshalter, verstehst du? Und den kannst du mir nicht bieten, zumal ich das auch nicht will. Weiß der Himmlische, was dabei rauskommen soll.“

„Darüber hast du dir die letzten Jahrzehnte aber beim Sex keine Sorgen gemacht…“

„Weil ich in dem Moment auch ganz andere Probleme hatte. Wenn ich kein Imperium habe, das ich vererben kann, brauche ich auch niemandem einen Schuldenberg hinterlassen. Dann wäre es besser, wenn das Geschlecht der vei Brith ausstirbt.“

„Und nun, wo ich dich all die Jahre durch dein Leid begleitet habe, soll mich einfach irgendeine dahergelaufene Schlampe…“

„Ich habe gesagt, nicht in diesem Ton!“, rief Cirdan erbost, im gleichen Moment, als seine flache Hand im Gesicht der Zwergin landete und einen glühenden Abdruck hinterließ. Severa war Ohrfeigen gewohnt, dennoch brannte diese viel mehr als eine Gewöhnliche, obgleich er nicht besonders stark zugeschlagen hatte. Ergeben, aber auch innerlich verletzt schlug sie die Augen nieder und verstummte. Der Elf fuhr sich durchs Haar, wandte sich von ihr ab und ging zu dem großen Gemälde seines Stammbaums, zog mehrmals an seiner Pfeife und hüllte so die Luft in den Dunst des kräuterlastigen Elfentabaks.

„Ich habe weder vor, dich rauszuschmeißen oder zu verkaufen, noch dich in meine Minen zu verfrachten“, fing er an und klang dabei fast so, als müsste er sich für etwas entschuldigen – ein Tonfall, den seine Lieblingssklavin von ihm so gar nicht kannte. „Du bist und bleibst an meiner Seite, bis zum Ende meiner Tage. Hast du das verstanden?“

„Ja, mein Herr“, antwortete Severa unterwürfig, doch stockte dann und schaute auf. „Aber was soll ich denn sonst machen? Ich kann doch nichts anderes als… dich zu beglücken.“

„Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es soweit ist…“ sagte er und gab ihr einen Kuss auf die rote Wange. Seine Lippen heizten die Glut unter der Haut wieder an, dass Severa vom Brand das Gesicht verzog.

„Heute Nacht werden wir uns erst einmal feiern. Also geh dich schminken.“

Mit diesen Worten verpasste er ihr einen sanften Klaps auf den Hintern und Severa machte einen kurzen Knicks, drehte sich um und eilte nach oben, dass er nicht sehen konnte, wie sich zwei dicke Tränen aus ihren Augen stahlen.
 

Auf den ersten Blick wirkte der Ball kaum anders als noch vor wenigen Monaten, kurz vor ihrer Abreise: Viele Elfen, einige Menschen und eine Handvoll Hauszwerginnen, die alle Hände voll zu tun hatten, die Wünsche der Gäste zufrieden zu stellen. Für Speis war gesorgt, für Trank sogar noch mehr und die angeheuerten Musiker schafften es tatsächlich, mit der Hilfe von „Wohlklang“ den pingeligen Spitzohren gerecht zu werden – so gerecht, dass man sogar dem ein oder anderen Pärchen einen Tanz aus den Rippen leiern konnte. Wie so oft war nur die beste Gesellschaft eingeladen und jeder, der Rang und Namen besaß, hatte sich es nicht nehmen lassen, der Einladung Folge zu leisten.

Doch eine Sache war heute ganz anders als zuvor: Wo Cirdan in früheren Tagen damit beschäftigt war, auch nur einen halbwegs willigen Gesprächspartner zu finden, tummelten sich heute die Stiefellecker vor ihm und buhlten geradezu darum, seine blank polierten Gamaschen noch weiter zum Glänzen zu bringen. Und das gefiel ihm sichtlich. Er fühlte sich wie der neue König von Lyn’a’Tishal und suhlte sich in all dem Beifall, schüttelte wohlwollend jede Hand, die ihm entgegengehalten wurde und verteilte auch an die ein oder andere Dame einen zarten Handkuss – etwas, das er nun seit gut und gern drei Dekaden nicht mehr gemacht hatte.

Severa rang sich zu einem lieblichen Lächeln durch, wann immer sich ihre Blicke trafen. Sie sollte sich für ihn freuen. Sie wollte es auch. Zugleich jedoch quälte sie der Gedanke an seine Worte, so sehr, dass sie nicht eine der Leckereien vom Buffet runterbekam. Und so verkroch sich die Zwergin ins Abseits und versuchte, den bekannten Gesichtern so gut es ging auszuweichen. Die neidischen Blicke auf ihr neues Kleid, die sie sonst nur animierten, noch mehr zu posieren, stärkten ihre Furcht am heutigen Tage zu einem Punkt, an dem sie sich lieber einfach nur noch in ihrem Zimmer einschließen wollte.
 

„Na so etwas, Sevvi! Ich habe mich schon gefragt, wo du dich versteckt hattest!“

Die Frauenstimme ließ sie für einen Moment zusammenzucken wie ein Eiszapfen, der in ihren Nacken gelegt werden würde. Die hatte der Zwergin gerade noch gefehlt. Sie zwang sich zu einem unterwürfigen Lächeln und schaute in Richtung der Quelle, direkt auf Al‘ney Attani.

Wie immer war die großgewachsene Elfin selbst in der Gesellschaft der Reichen und Schönen am meisten herausgeputzt: Ihr Mandaniel aus rotem Hermelin– der Schnitt verriet den begabten Schneider drei Meilen gegen den Wind – besaß einen mit teurem Pelz ausgestatteten V-Ausschnitt, der weit über das Dekolleté hinausging und jeden Betrachter fragend zurückließ, was in aller Welt ihre Brüste in dem Stoff hielt. Die Hüfte war mit allerlei Ketten und Knöpfen aus Grün- und Rosengold geschmückt, die ihre verführerische Taille nur noch mehr betonten und der rote Seidenrock war so dünn, dass man fast glaubte, einen Blick auf ihren nackten Unterleib erhaschen zu können. Ihr langes, fast goldenes Haar hatte sie zu einer aufwendigen Hochsteckfrisur gebunden, die selbst Mikkalias Frisierkünste wie die Arbeit eines Amateurs aussehen ließ.

Nach Severa sah sich sicherlich jeder Zweite, wenn nicht sogar noch mehr Leute um, doch bei Lady Attani blieb wahrlich kein einziges Auge trocken. Sie überstrahlte die Zwergin vor ihr um ein Vielfaches und obgleich bereits ihre kalte Aura ausreichen würde, um Severa einzuschüchtern, wirkte dieser Aufzug nur noch bedrückender auf das Gemüt der jungen Zwergin. Doch das ließ sie sich nicht anmerken.

„Du siehst gut aus. Unser liebster Lord kann es wirklich nicht lassen seine Lieblingstrophäe vor allen Nasen bis aufs Äußerste zu polieren“, meinte die Elfin mit einem süffisanten Grinsen und stemmte die Hände in die Hüften.

„Gegenüber Euch bin und bleibe ich dennoch nur ein Mauerblümchen, Mylady“, säuselte Severa, hob ihren Rock – ebenso aus bester schwarzer Seide – an und machte einen tiefen Knicks.

„Dein Kompliment nehme ich immer gern an, auch wenn du wahrscheinlich alles sagen würdest, um unsereins zu gefallen. Zugleich wundert es mich schon: Jetzt, wo dein Herr doch wieder Geld hat, hat er dir da nicht gesagt, dass du die Schleimereien einstellen darfst?“

„Seid Ihr heute nicht mit Oberst Tirilla unterwegs, Mylady?“, versuchte Severa abzulenken, denn egal was sie sagen würde, es würde die Elfin sowieso nicht zufrieden stellen – sie kannte die Marotten der Bewohner des Kesseltals nach all den Jahren gut genug. Lady Attani spürte das sicherlich, ließ sich aber dennoch darauf ein und schaute in Richtung der Bar, wo ein älterer Elf sich einen Whiskey nach dem anderen hinunterkippte, um kurz darauf langsam auf die Traube um Cirdan zuzutorkeln.

„Der arme Tropf hat sich in den Kopf gesetzt, deinen Herrn auf einen Versogungsauftrag für die elblesische Armee anzusprechen. Und dass, obwohl in den Staatskassen gerade gähnende Leere herrscht. Männer und ihre Arbeit, ich sage es dir. Keinen Funken Taktgefühl für die schönen Dinge im Leben…“, seufzte Lady Attani und griff wie selbstverständlich nach dem Glas Wein, das eine der Hauszwerginnen eigentlich gerade auf einem Silbertablett einem anderen Gast bringen wollte.

Für einen Moment hatte die Frau im mittleren Alter sie darauf ansprechen wollen, doch als sie bemerkte, wer gerade vor ihr stand, drehte sie sich schnell weg – so schnell, dass es nicht mal mehr reichte, Severa mit dem gewohnt giftigen Blick zu begrüßen – und huschte zurück zum Tresen, um dem eigentlichen Empfänger ein neues Glas zu holen.
 

Die Attanis waren eine der einflussreichsten und wohlhabendsten Dynastien von ganz Lyn’a’Tishal. Die Elfen hatten ihre Finger in allem: Der Industrie, dem Militär, dem Handel und Zoll gleichermaßen und natürlich auch nicht zuletzt in der Politik. Al’ney Attani, Großnichte der Matriarchin, war, soweit Severa wusste, vor allem an Kristallen interessiert, weswegen sie auf Festen der Minenbesitzer ein immer wieder anzutreffender Gast war.

Severa kannte sie schon, als die Zwergin noch ein junges Mädchen war, doch seit ihrer ersten Begegnung war die verführerisch schöne Elfin scheinbar um keinen Tag gealtert, sodass man nur schwer sagen konnte, wie lange sie schon auf der Erde wandelte – und gemessen daran, dass ihre Großtante einem Mythos nach schon ein halbes Jahrtausend lang auf dem Clanthron sitzen würde, wirkte das gar nicht so abwegig.

„Sag Severa…“, fing die Elfin an und schaute angestrengt in Richtung der Traube. „Sucht Lord vei Brith heute… jemand bestimmtes?“

„Wie meint Ihr das?“, fragte die Zwergin, so unschuldig, wie sie klingen konnte, doch bei Lady Attani zog das nicht. Sie hatte Cirdans Versuche, bei den Damen anzubändeln, natürlich längst bemerkt.

„Du weißt genau, was ich meine und wie ich es meine. Kann es sein, dass dein alter Herr… auf Frauensuche ist?“

Severa spürte, wie sich bei diesen Worten etwas in ihr zusammenzog und sie hoffte inständig, dass Lady Attani nur einen ihrer dummen Scherze machte.

Aber nicht heute.

Als Severa wieder den Blick hob, schaute die Elfin sie noch immer erwartungsvoll an und hatte ihre Brust so weit herausgedrückt, dass man sich nun doch ernsthaft fragen musste, welcher verbotene Zauber dieses verdammte Dekolleté zusammenhielt.

Severa wollte ihr nichts sagen, sie wollte sich eigentlich auch gar nicht mit dieser Frau unterhalten. Die Elfin, die jedem gegenüber freundlich und charmant blieb, gab sich nicht einmal ansatzweise die Mühe, ihr wahres Wesen vor der Sklavenrasse zu verstecken. Soweit man wusste, besaß sie nicht einmal eigene, aber unter den Zwergen wurde ständig über ihre herrische, beinahe sadistische Ader hinter hervorgehaltener Hand getuschelt – so sehr, dass selbst die isolierte Severa es mitbekam. Hinzu kam das Gefühl, dass Attani sie als persönliche Lieblingszwergin ausgemacht zu haben schien und sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit belagerte.

Severa würde es sich niemals ansehen lassen, doch die Elfin wusste ganz genau, was für eine Angst sie vor ihr hatte. Und eines war sicher: Al’ney Attani würde sich nicht einmal große Mühe machen müssen, um ihren Master zu bezirzen.
 

Severa wollte sich schon mit einer halbgaren Lüge aus den Fängen winden, da legte sich eine weiche, warme Hand auf ihre Schulter und ein mildes Lächeln empfing die Zwergin, so rein und ehrlich wie nichts anderes in diesem Saal.

„Da bist du ja! Ich habe dich schon gesucht!“, meinte Mikki erfreut und Severa merkte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel. Die Elfin hatte sich in ein schönes aber durchaus schlichtes, dunkelblaues Kleid nach Tishaler Schnitt gezwängt und ihr langes Haar zu einem biederen Zopf gebunden, mit einigen Strasssteinen geschmückt und über ihre Schulter geworfen. Gerade im Gegensatz zu Attanis Prunk war sie die Bescheidenheit in Person, obgleich sie nicht wirkte, als habe sie in diesem Aufzug nichts hier verloren.

„Und… wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?“, erkundigte sich Lady Attani mit einem genervten Zischen, denn sie war es nicht gewohnt, dass man sich einfach so in ihre Gespräche einmischte – und dann auch noch, ohne sich zu entschuldigen!

Die Empörung über dieses Verhalten stand ihr mehr als deutlich ins Gesicht geschrieben und gemessen an der Abscheu in ihrer Stimme, hätte jeder andere seinen Fauxpas umgehend bemerkt – Mikkalia indes hielt es am besten, sich kurz zur Begrüßung zu verbeugen und in ihrer natürlichen Höflichkeit zu antworten:

„Gestatten, Mikkalia Bordeaux, werte Dame. Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Lady...“

Lady Attani machte sich nicht die Mühe, ihrem Gegenüber zu antworten, sondern prüfte Mikki stattdessen von oben bis unten mit argwöhnisch zusammengekniffenen Augen. „Bordeaux? Was für ein einzigartiger Name. Sagt… woher kommt Ihr?“

Ihr Ton wurde nicht freundlicher, doch Severa wusste mittlerweile, dass so ziemlich alles an Mikki abprallte, was man ihr an den Kopf warf. Die Elfin legte ihren Kopf schief, schenkte der Frau vor ihr ein so sonniges Lächeln, dass Attani aufpassen musste, sich nicht blenden zu lassen und antwortete:

„Bitte verzeiht, aber ich habe Euren Namen nicht verstanden.“

„Den wisst Ihr nicht?“

„Sonst würde ich nicht fragen.“

„Aber in Gespräche platzt Ihr einfach so rein.“

„Tut mir leid, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass Ihr einen Dialog miteinander führt.“

„Nun, den führten wir aber. Stimmt’s Sevvi?“

Attanis Augen legten sich wieder auf die Zwergin, ermahnten sie mit strafender Miene dazu, jetzt bloß nichts Falsches zu sagen.

„W-Wir hatten uns unterhalten“, stimmte sie eingeschüchtert zu und versuchte ihrerseits ihrer Freundin mit Blicken mitzuteilen, dass sie besser gehen sollte. Doch Mikkalia dachte gar nicht daran. Man sah es ihr vielleicht nicht an, aber für ihre Verhältnisse brannte eine ungewöhnlich starke Streitlust in ihren Augen.

Noch immer überfreundlich lächelnd griff sie an den Saum ihres Kleids und machte einen kurzen Knicks.

„Wenn dem so ist, entschuldigt bitte vielmals meine Unhöflichkeit. Ihr müsst wissen, Mylady, ich bin fremd in diesem Land und lerne noch die Étiquette…“

„Das habe ich gemerkt.“

„… aber ich weiß bereits, dass es hochgradig beleidigend ist, anderen den Namen vorzuenthalten, wenn diese sich bereits vorgestellt haben. Wärt Ihr also bitte so freundlich, mir Euren Namen zu verraten?“ Es war noch nie vorgekommen, dass Mikkalia je fordernd oder boshaft geklungen hätte. Ihre Stimme gab vermutlich derlei Tonlagen nicht her und selbst jetzt schien sie wie die sanfteste und freundlichste Person im ganzen Raum. Doch aufmerksamen Zuhörern entging sicherlich nicht der veränderte Unterton und die stechende Akzentuierung. Severa und Lady Attani fielen in genau diese Kategorie.
 

„Lass es gut sein, Mikki. Die Dame vor dir ist eine Attani. Ihresgleichen benimmt sich gegenüber dem Pöbel immer so.“

Mit diesen Worten legte sich eine Hand auf die Schulter der Elfin und in Severas Nase stieg ein ihr nur allzu bekannter, leicht kratzender Tabakgeruch.

„Meister Hunter!“, rief Mikkalia mit heller Stimme und für einen Moment wollte sie den blonden Mann neben ihr bereits umarmen, tat dann aber einen Schritt zurück, legte die Hände in den Schoß und machte eine kurze Verbeugung, bevor sie in einem ruhigen Ton weitersprach: „Ich freue mich sehr, Euch wiederzusehen. Hattet Ihr eine gute Anreise?“

„Unspektakulär, aber wenigstens sicher. Ich habe dich auch vermisst“, meinte er, nahm die frisch angebrochene Zigarette aus dem Mund und gab Mikki auf die rechte und linke Wange einen kurzen, angedeuteten Kuss, den sie ebenso erwiderte. Eine Begrüßung, wie man sie auch aus Teilen Lyn’a’Tishals gut kannte, aber eigentlich nur engen Freunden vorbehalten war.

Darauf nahm Ezra Severas Hand und küsste sanft den Rücken mit seinen rauen Lippen, wobei seine azurblauen Augen sie fest fixierten. Severa kam nicht umhin, kurz zu lächeln, während das laute Wummern ihres Herzens bis hoch in ihren Hals ihre Aufregung nicht verbergen konnte. Das lag sicherlich auch daran, musste sie zugeben, dass Sterlinson an diesem Tage noch besser aussah als in ihrer Erinnerung. Wo er bei seinem ersten Besuch in seiner letzten, bereits abgewetzten Alltagskleidung ins Fest geplatzt war, war er heute im feinsten Zwirn unterwegs, hatte sich über sein Hemd mit Tuch eine weinrote Seidenweste geworfen und zwei Spritzer besten Parfums aufgetragen, die die Nase der Zwergin unaufhörlich kitzelten. Die Pomade in seinem blonden Schopf verlieh diesem einen fast schon goldenen Schimmer und die Wärme seiner Hand griff nur allzu schnell auf sie über.

„M-Mister Sterlinson…“, begrüßte sie ihn und merkte wie ihre Stimme dabei fast wegbrach.

„Es freut mich ebenso, Euch wiederzusehen, Miss Severa“, antwortete er in seinem gewohnt charmanten Ton, bevor er sich aufrichtete und an die letzte Frau in der Runde wandte, jedoch bedeutend weniger umgänglich.

„Ihr seid also der Herr von Miss Bordeaux?“, fragte Lady Attani und betonte das „Miss“ nur allzu deutlich.

„Lady Bordeaux“, berichtigte Ezra scharf, „ist eine meiner engsten Vertrauten und ältesten Freunde. Sie ist nicht meine Dienerin.“

„Dennoch mache ich Eure Hausarbeit“, erwiderte Mikki fast schon gleichgültig, worauf Ezra die Elfin stumm bat, ihm doch nicht ausgerechnet jetzt in den Rücken zu fallen.

„Und… wer seid Ihr nun, Mister Sterlinson?“ Langsam verlor Lady Attani ihre Geduld, doch behielt zumindest einen Funken an Höflichkeit gegenüber den beiden Fremden, auch wenn in ihre Mimik „Was beim Himmlischen stimmt denn mit den beiden nicht?“ schrie.

„Ein Geschäftspartner des Gastgebers“, bemerkte Sterlinson und schob sich wieder seine Zigarette in den Mund.

„Also seid Ihr für den plötzlichen Reichtum Lord vei Briths verantwortlich…?“

„War das eine Frage oder eine Feststellung?“

Lady Attani gab darauf nur ein maues Lächeln als Antwort preis, nickte kurz und machte auf dem Absatz kehrt.

„Seltsame Frau…“, murmelte Mikki.

„Gefährlich vor allem“, fügte Ezra hinzu und blies mit unsicherem Blick eine Ladung grauen Rauchs zur Decke. „Es wäre besser, wenn du dich von ihr fernhältst. Mit den Attanis ist nicht zu spaßen… musste ich schon am eigenen Leib erfahren…“

Severa wunderte sich, was er damit meinte, wagte es aber nicht, nachzufragen. Generell traute sie sich nicht, wirklich etwas zu sagen, schaute dem Menschen nur lang ins Gesicht, beobachtete den sanften Glanz in seinem Blick, das gleichmäßige Dehnen und Stauchen der Gesichtszüge, während er genüsslich rauchte. Doch sie war nicht einmal zur Hälfte verglüht, als er sich entschied, die Zigarette doch auszudrücken und die Hand erneut der Zwergin entgegenzustrecken.

„Miss Severa, verzeiht meine plötzliche Frage, aber dürfte ich Euch zum Tanz bitten?“

Severa stockte der Atem. Sie wollte gerne tanzen, hatte immer das Gefühl, dass es der Inbegriff von Freude war. Und gerade heute, wo auch die Musik zum ersten Mal den Festlichkeiten beiwohnte und die Gäste die Möglichkeit nutzten, sich rhythmisch zu bewegen, wollte sie es nur umso mehr. Aber niemand hatte sie gefragt. Natürlich nicht: Cirdan konnte es nicht und sonst würde niemand eine Zwergin zum Tanz auffordern – aus gutem Grund.

„Mister Sterlinson…“, antwortete sie zögerlich, während sie noch immer auf die Hand starrte. „Ihr wisst schon, dass man das nicht macht? Eine… ich meine… Wenn mein Master das mitbekommt…“

„Lord vei Brith wird es mir wohl verzeihen, wenn ich seine Lieblingssklavin für einen Moment auf die Tanzfläche entführe“, antwortete er mit einem Augenzwinkern, griff ihre Hand und zog sie so schnell zwischen die Massen, dass sie sich nicht hätte wehren können. Der Mensch drückte sie an sich, griff sie an der Schulter – denn tiefer kam er nicht – und führte sie behutsam zu den sanften Klängen des Cembalos. Etwas ungelenk setzte die Zwergin zunächst einen Schritt vor den anderen, stolperte einige Male und schaute sich aufgeregt zu allen Seiten um, ob jemand sie beobachten würde.

„Entspannt Euch. Niemand interessiert sich für uns. Lasst euch… einfach fallen“, säuselte er in ihr Ohr.

Und tatsächlich: Die ersten erstaunten Blicke waren schnell verschwunden und man schien die beiden hier zu dulden – oder eher nicht zu bemerken. Langsam fühlte Severa sich sicherer und ließ die Hüfte im Takt auf und ab wippen. Eine gewisse Peinlichkeit konnte sie nicht ausblenden, fühlte die Rötung in ihren Wangen, doch zugleich fühlte sie sich davon so beschwingt, als wäre sie angetrunken. Langsam kuschelte sie sich an Ezra, ließ sich voll und ganz von ihm und der Musik führen.

„Wollt ihr denn nicht lieber mit meinem Herrn sprechen?“, fragte sie irgendwann aus Höflichkeit, doch insgeheim wünschte sie sich, dass sie noch weiter so zusammen zwischen all den Leuten hin und her wiegen könnten.

„Keine Sorge, die Förmlichkeiten sind bereits beseitigt. Euer Herr sagte, das Fest sei mir zu Ehren, ich solle mich amüsieren. Was liegt da näher, als mit einer schönen Frau Arm in Arm…“

„Und Mikkalia?“

„Die hat dafür vollstes Verständnis, glaubt mir. Außerdem ist sie keine begeisterte Tänzerin.“

Severa atmete tief durch, ließ sich weiter von der Musik treiben und schloss die Augen. Sie nahm Ezras Nähe und seinen Duft, diese anziehende Mischung aus kratzigem Tabak und betörendem Parfum, ganz in sich auf. Cirdan ausgenommen war sie einem Mann noch nie so nah gewesen und obwohl sie ihre Unschuld schon so früh verloren hatte, teilte sie mit diesem Fremden nun etwas, dass ihr Herr ihr gar nicht mehr nehmen könnte: ihren ersten Tanz.

„Miss Severa“, begann Ezra nach einiger Zeit und hielt kurz an. Severa schaute halb verschlafen nach oben, als hätte man sie aus einem tiefen, schönen Traum geweckt. Ezra kaute kurz auf seinen Mundwinkel und kratzte sich am Hinterkopf – eine Geste, die er öfters tat, wenn ihm etwas unangenehm war. „Ich hatte es noch nicht geschafft, mich anständig bei Euch zu entschuldigen. Für den Kuss in der Rose Blanche. Es war Euch sicherlich unangenehm…“

Die Zwergin wich seinem Blick aus, spürte das nervöse Klopfen in ihrem Hals und fuhr sich kurz über die Lippen. Sie hatte es über den Tag hinweg schon fast verdrängt und selbst in seiner Nähe war es ihr nicht mehr in den Sinn gekommen. Dass der Mensch es nun ansprach, mitten aus dem Nichts, kam wie ein Platzregen und erwischte sie vollkommen ungeschützt.

„Es ist in Ordnung…“, murmelte sie nur, wollte sich zugleich aus dem Tanz lösen, Abstand gewinnen. Ihr war klar, dass sie den Geschäftspartner ihres Masters nicht in Schwierigkeiten bringen durfte. Aber Anziehung konnte man nicht einfach abschalten.

„Bitte nehmt das nicht auf die leichte Schulter“, antwortete der Mensch so kleinlaut, wie man es von seinem einnehmenden Charakter nun wirklich nicht gewohnt war. „Ganz gleich, ob ihr nun eine Sklavin seid, oder eine Adlige, es geziemt sich nicht. Es war einfach… Ich bitte Euch um Verzeihung. Und ich danke Euch vielmals, dass Ihr niemandem davon berichtet hattet.“

Severa war sich bewusst, dass er damit nicht einfach nur den Kuss meinte. Sie hatte Ezra in einem Moment der Schwäche erlebt, einer Situation, die nicht in das Bild von ihm passen wollte. Und so langsam wurde ihr klar, dass seine Annäherungsversuche weit mehr als bloße Neckereien waren. Dieser großgewachsene Charmeur mit Augen, so blau wie die See, der sicherlich in seinem Leben bereits die ein oder andere atemberaubende Liebschaft hatte, hatte sich doch ausgerechnet in eine Zwergin mit Elfenblick verguckt.
 

„Kommt mit“, flüsterte sie, machte auf dem Absatz kehrt und zwängte sich durch die Leute hindurch, auf zur Treppe. Ein letzter Blick fiel auf Cirdan, als sie den ersten Schritt die Treppe hoch tat; insgeheim hoffte sie darauf, er würde sich umdrehen, sie aufhalten, fragen, was sie denn oben wollte und für ihr Vorhaben rügen – wenn nötig auch mit der Peitsche – aber der Elf verschwendete nicht eine Sekunde, sich zu ihr umzudrehen. Er hatte sie also bereits abgeschrieben…

Jetzt gab es kein Zurück mehr. Langsam schlich sie hinauf, spürte mit jedem weiteren Schritt, wie sich mehr in ihr zusammenzog, zugleich aber auch ihr Herz schneller schlug. An das Geländer krallend blieb sie stehen und schaute gebannt auf das bunte Treiben im Ballsaal, erkannte schnell Ezra in dem ganzen Rummel, der sich noch mit Mikkalia unterhielt, aber schnell verabschiedete und die Treppe langsam nach oben schritt. Vorsichtig und diskret, wie man es von einem Gentleman erwartete.
 

Kaum dass er oben war und sich ihre Blicke gekreuzt hatten, lief Severa weiter, direkt zu ihrem Zimmer, öffnete die Tür und huschte zum Fenster, legte die Handflächen auf dem kalten Glas ab und schaute nach draußen. Draußen war es bereits lange finsterste Nacht, lediglich die Lichter aus dem Erdgeschoss drangen auf die Straße, erleuchteten die dünne Schneedecke, die sich frisch daraufgelegt hatte und in der Ferne funkelten die letzten Lagerfeuer aus den Minen. Doch statt des schwarz-blauen Mantels, der sich sonst um diese Zeit auf das Kesseltal legte, schimmerte die Welt für sie in einem orangefarbenen Feuer, getaucht in die letzten Strahlen der untergehenden Herbstsonne – so wie vor einigen Monaten, als sie Ezra zum ersten Mal begegnet war.
 

„So müsst Ihr also hausen?“, fragte seine Stimme, begleitet vom langgezogenen Knarzen der Tür. Sterlinson hatte sich in den Rahmen gelehnt. Seine streng geknüpfte Weste hatte er geöffnet und auch der Hals wurde vom Kragen befreit.

„Für eine Zwergin ist mein Leben unvorstellbarer Luxus“, antwortete sie und versuchte ihm in die Augen zu schauen, doch erwischte sich selbst dabei, wie ihr Blick immer wieder zur Seite abdriftete und verstohlen auf das leicht entblößte Schlüsselbein huschte. Er schritt zu ihr.

„Das will ich nicht beurteilen, aber für eine Dame ist es unwürdig.“

„Ich bin doch keine Dame…“, murmelte die Zwergin und konnte sich nicht erwehren etwas verlegen zu lächeln. Obgleich die Schläge in ihrem Hals nicht aufhören wollten, kippte so langsam ihre Furcht in Richtung Aufregung.

„Miss Severa…“, begann der große Mann erneut und strich mit seinem Handrücken über ihr Haar. „Für meinen Überfall möchte ich Euch erneut um Verzeihung bitten. Ich muss aber gleichzeitig gestehen, dass ich den Kuss genau so meinte.“

„Ihr… habt also wirklich Interesse an mir?“

„Wer hätte die denn nicht?“

„So ziemlich jeder!“

Sterlinson stieß einen kurzen, fast schon beleidigten Lacher aus und ließ kurz von ihr ab, als hätte er sich an ihrer Nähe verbrannt. Dann schob er sie zum Bett und setzte sich, sodass sie auf Augenhöhe waren. Seinem Gesicht so nah erkannte die Zwergin jeden einzelnen Zug seiner markanten Muskulatur und obwohl sie wieder das Gefühl überkam, dass etwas damit nicht stimmte, war sie eher von der Nähe zu diesem Fremden fasziniert. Seine Hände glitten über den samtigen Stoff, entlang der Hüften, bis hoch zur Brust und seine Finger – das spürte sie sehr deutlich – begannen, an den Haken und Knoten ihres Korsetts zu spielen. Doch sie machte keine Anstalten, es zu unterbinden und ließ die Arme nur ermattet nach unten hängen, als wäre sie nur eine Anziepuppe.

Genau das traf Ezras Geschmack: Er war in Spiellaune, wollte die Frau vor ihm ein wenig necken und erfreute sich an Severas williger Natur. Doch auch die Zwergin traute sich langsam, ihn anzufassen, legte die Hände auf seine Brust, rieb an dem harten Stoff des Hemds und fuhr mit den Daumen zwischen den offenen Kragen, berührte seine glühende Haut.

„Was passiert jetzt?“, flüsterte sie mit zittriger Stimme.

„Was immer Ihr wollt. Ich zwinge Euch nicht.“

„Hattet Ihr das geplant?“

„Ich wollte darauf hinarbeiten“, gab der Mensch zu, seine Mundwinkel verschmitzt nach oben ziehend. „Aber das ging alles viel schneller als erhofft…“

„Ich liebe Euch nicht, Ezra.“ Sie erschrak etwas über sich selbst – über ihr Gesagtes, wie auch die Tatsache, dass sie ihn beim Vornamen ansprach – aber er nahm es ihr nicht übel.

„Macht Euch darum keine Gedanken. Ich bin der Romantik mittlerweile ebenso überdrüssig.“
 

Ezra griff nach ihrem Kinn und legte schnell seine Lippen auf die ihren. Er schmeckte nach Rauch, einem Schuss Alkohol und einer Prise Minze, die er sich wohl vor dem Besuch auf die Zunge gelegt hatte; Eine für sie nicht unbekannte Mischung. Doch Ezra küsste ganz anders als ihr Master und auch ganz anders als in der Rose Blanche: erobernd, leidenschaftlich und mit einer gehörigen Prise Selbstvertrauen. Er führte ihre Zunge, wie er sie selbst bereits auf dem Parkett geführt hatte. Und wie beim Tanz ließ Severa sich fallen, gab freiwillig die Kontrolle zusammen mit ihrer Furcht vor den Konsequenzen ab. Eine Strafe würde es sicherlich mit sich ziehen und ihr war bewusst, dass sie äußerst schmerzhaft werden würde… Aber das war ihr gerade egal. Ihr Unterbewusstsein hatte es schon länger gefordert, mittlerweile konnte sie aber auch selbst nicht mehr verbergen, wie sehr sie sich an diesem Abend nach etwas Zärtlichkeit sehnte.

„Und was passiert jetzt?“, fragte sie erneut, da lösten sich die oberen Haken am Korsett und das Kleid glitt geradezu von ihren Schultern, die Hüfte hinunter zu Boden. Die Zwergin war nun mit nicht mehr bekleidet als der dünnen Wäsche, die sie darunter trug und spürte den kalten Luftzug durch ihr undichtes Fenster, der sich mit seinen eisigen Fingern um ihre Beine legte. Gerecht fand sie es nicht, ganz allein entblößt zu sein, griff forsch zu den Knöpfen und riss das Hemd geradezu von den Schultern des Mannes vor ihr, setzte sich auf seinen Schoß und dirigierte seine Hände zu ihrem Hintern, bevor sie sich wieder küssten, Brust an Brust gepresst. Sie wusste nicht so ganz, ob sie das so geplant hatte, aber bei diesem Tanz würde sie sich ganz sicher nicht nur führen lassen.
 

Wie beim Kuss war Ezra auch im Bett ganz anders als Cirdan. Das lag sicherlich an seiner schieren Größe, mit der er sie übermannte, seinem kräftigen Griff und seinen rauen Lippen, die sich auf ihre Haut legten. Doch da war noch etwas Anderes... Mit jedem Stoß hungerte er nach mehr und tat alles dafür, dass auch sie sich nicht trennen wollte, liebkoste und küsste sie unablässig an jeder freien Stelle, zu der er sich beugen konnte, dass ihr von der Stimulation langsam aber sicher schwindelig wurde.

Wann immer Severa mit ihrem Master geschlafen hatte, fühlte es sich an, als würde er sein Besitzrecht ihr gegenüber deutlich machen. Cirdan war kompromiss- und rücksichtslos und zeigte ihr das nur zu deutlich, auch wenn es ihr dennoch Freude bereitete. Frust und Lust entluden sich gleichermaßen beim Sex mit dem Elfen und er würde sie nicht ruhen lassen, bis er befriedigt war.

Sterlinson indes hatte kein Besitzrecht und das wollte er auch nicht. Für den Menschen stand nur eines im Mittelpunkt: Sie zu erobern, sie zu Seinem zu machen. Und so langsam gelang ihm das auch. Mit jedem Mal, dass er sie küsste, streichelte oder gar leckte, sehnte sie sich nach dem nächsten und tat (unbewusst) alles dafür, dass er sich nicht an ihrem Körper sättigen konnte.

Obgleich sie sich so leise verhielten, wie es nur möglich war und selbst das viel zu kleine Bett sich kaum regte, hallte in den Ohren der Zwergin nur das Stöhnen der beiden wieder und übertönte jegliche äußeren Geräusche, als wären sie in ihrer eigenen Welt gefangen.

Severa liebte Sex. Sie liebte alles daran, empfand es als den besten Zeitvertreib der Welt. Doch in diesem Moment, als sie sich immer fester umschlungen, ihr Wippen immer weiter an Fahrt aufnahm und ihre aufgestaute Lust stetig nach oben stieg, bereit, in einem phänomenalen Höhepunkt aus ihr herauszubrechen, wurde dieser Zeitvertreib zu einer Obsession. Und sie hatte nicht einmal etwas dagegen.
 

„Denkst du, sie vermissen uns so mittlerweile?“, fragte Ezra und lauschte den dumpfen Geräuschen, die nach oben drangen, während er genüsslich an seiner Zigarette zog. Severa kuschelte sich an seine verschwitzte Brust und zog die lange Decke enger, die der Mensch um seine Schultern gelegt hatte und sie wie ein Vorhang verdeckte. Sie saß auf seinem Schoss, hörte das ruhige Pochen seines Herzens und nahm den kratzigen Duft des Tabaks auf.

„Mich vermisst man nicht. Als Zwergin wird man schnell übersehen. Aber Mikkalia und mein Master werden sich sicherlich fragen, wo Ihr bleibt…“

„Das geht die Welt nun wirklich nichts an.“

„Ist das Eure allgemeine Einstellung? Ihr… taucht ungefragt auf Banketts auf, verprügelt Leute auf offener Straße… schlaft mit einer Zwergin, obwohl Ihr ganz genau wisst, welchen Ruf Euch das einbringt…“

„Gerade wirktest du nicht, als würde es dich stören“, säuselte er und küsste ihren Hals, dass sie ein wohliger Schauer überkam.

„Ich frage mich nur… warum? Was habt Ihr davon?“

Ezra schwieg und nahm einen kräftigen Zug, verteilte den schwarz-weißen Dunst im Raum.

„Wahrscheinlich nichts, außer einer Menge Ärger. Aber für dich nehme ich den gern in Kauf… Du bist so wunderschön, Severa. Und anders als alle, denen ich jemals zuvor begegnet bin.“

Severa konnte es nicht unterbinden, rot zu werden, doch schlug zugleich traurig die Augen nieder. „Anders, ja? Manchmal wünschte ich mir dem wäre nicht so…“

„Du redest von deinem Leben zwischen den Stühlen? Halb Zwergin und halb Elfin. Ich kann mir nicht in Ansätzen vorstellen, wie viel Ärger dir das einbringt. Darf… ich dich fragen, welcher Teil von wem vererbt wurde?“

Eigentlich wollte die Zwergin mit niemandem darüber reden. Vielleicht war es die Anziehung, vielleicht der Umstand, dass sie beide nackt in ihrem Bett lagen, aber die Worte kamen ihr langsam aus dem Mund, während sie sich fester an ihn drückte und er sie noch enger umschloss: „Mein Vater war ein Zwerg, meine Mutter eine Elfin. Es gab einen Aufstand, irgendwo im Kesseltal. Meine Mutter war damals als Aufseherin angestellt und als Erste am Ort des Geschehens. Die Arbeiter übermannten sie, zerrissen ihre Kleidung und ihr Anführer… Sie war für Elfenverhältnisse nicht sonderlich schön, aber im Vergleich zu Zwergen liegen da immer noch Welten dazwischen. Aus dieser Nacht war ich entstanden.“

Severa machte eine kurze Pause. Sie hatte nie viel über ihre Mutter nachgedacht, hatte sie nie kennengelernt und hegte daher auch keinen Groll ihr gegenüber. Sie konnte es sogar verstehen, dass ihre Mutter sie nach der Geburt hatte umbringen wollen. Trotzdem tat es ihr weh, darüber zu sprechen. Ezra spürte das, streichelte sanft ihr Gesicht und drehte sie zu ihm, um ihr einen beruhigenden Kuss auf die Lippen zu geben.

„Du musst darüber nicht sprechen, wenn du nicht willst“, flüsterte er und machte Anstalten aufzustehen und sich anzuziehen.

„Wo wollt Ihr hin?“

„Wieder nach unten, bevor es verdächtig wird. Bleib du ruhig noch ein wenig hier.“

Mit diesen Worten griff er in seine Westentasche und beförderte eine nicht einmal faustgroße, hölzerne Figur hervor. Sie zeigte eine Art Wildhund, der in klassischer Shinjuer Tracht im Schneidersitz vor einem saß, und eine Art Würfelbecher in der Hand hielt. Severa beäugte die schöne Schnitzerei neugierig, fuhr über das knochige Holz mit den tiefen Maserungen.

„Was ist das?“, fragte sie schließlich, kurz bevor sich Ezra aufmachte zu gehen.

„Eine altasterische Gottheit; Inutarot, der Hund des Schicksals. Es heißt, dass seine Götzen Glück bringen.“

„Fürchtet Ihr Euch, vor den Konsequenzen?“

„Ich fürchte mich davor, was dir blüht, nicht mir. Es mag etwas abergläubisch wirken, aber ich glaube, er hat mich schon vor einigem bewahrt. Bestimmt tut er das auch für dich.“

„Aber… warum ich?“

Ezra drehte sich noch einmal um, ging auf sie zu, griff in ihren Schopf und küsste sie ein letztes Mal, lang und innig. Die Zwergin schloss die Augen und träumte sich zurück zu den Momenten zuvor, eng umschlungen und in der Hitze vereint. Doch zu schnell löste sich diese Erinnerung wieder auf, als seine Lippen die ihren verließen.

„Ganz einfach: Weil du für mich der wahre Schatz von Lyn’a’Tishal bist.“

Mit diesen Worten ließ er sie allein, übermannt von der Glut in ihren Wangen. Severa nahm den Götzen an sich und drückte ihn fest gegen ihre Brust, spürte ein schwaches, kaum vernehmliches Wummern, das von dem Holz ausging.
 

Dann, als sie sich selbst wieder einkleiden wollte, bemerkte sie, dass Ezra in der Eile seine Weste vergessen hatte – und sie erkannte ein gefaltetes Papierstück in ihrer Innentasche.
 

Als der letzte Gast ging, neigte sich die Nacht bereits ihrem Ende zu. Draußen war es noch stockfinster, doch die Sonne kroch bereits langsam über die Gipfel am Horizont, noch verschüchtert, doch es würde wohl nicht mehr lang dauern, bis der Tag startete.

„Lasst es stehen, Mikkalia. Die Hauszwerginnen werden es gleich wegräumen. Ruht Euch besser aus“, meinte Cirdan zu der Elfin, die bereits anfangen wollte, noch in der Abendgarderobe in bester Gewohnheit das Buffet abzuräumen. Mikki schaute kurz auf, dann nickte sie, winkte Severa noch einmal schwach und mit kleinen Zug zu und stieg langsam die Treppe hoch.

„Sie sieht müde aus“, bemerkte der Elf und schaute zu seinem Freudenmädchen, das ihm gerade noch einen letzten Schlaftrunk mischte.

„Ich denke, wenn jemand immer nur die Gastgeberin spielt, ist der Gast eine anstrengende Rolle“, meinte Severa und überreichte ihrem Herrn den Cocktail aus schwerem Wein einem Schuss Eiswasser, viel Minze und einigen passierten Beeren für die Süße. Sie lächelte mild und sagte: „Ich denke, das Fest war ein großer Erfolg, Master.“

„Wie immer. Sterlinson hat mir einen äußerst zuvorkommenden Preis zugesagt, dass ich mir fast Sorgen machen müsste, ihn über den Tisch zu ziehen.“

„Er hat sich halt gut amüsiert.“

„…So, hat er das?“, fing Cirdan an und kniff die Augen argwöhnisch zusammen. Severa biss auf ihre Zähne, ließ sich aber nichts anmerken.

„Ich… denke schon.“

„Soso… Und du hast damit nichts zu tun? Sevvi, halte mich nicht für dumm. Ich habe gesehen, wie er dir ins Obergeschoss gefolgt war.“

Die Zwergin schaute betroffen zu Boden. Ihr wurde klar, dass sie ihn nicht anlügen konnte und versuchte es gar nicht. Den gesamten Abend hatte Cirdan sich nichts anmerken lassen, nun also fiel seine Maske. Der Götze hatte ihr kein Glück gebracht.

Doch zu ihrer Überraschung stellte der alte Elf nur seufzend das Glas ab und gähnte lang, bevor er meinte: „Du meinst es wahrscheinlich nur gut, deswegen lasse ich dir das durchgehen. Aber ab sofort hältst du dich von Sterlinson fern, hast du das verstanden? Er ist nicht das, wofür er sich ausgibt.“

„Ich habe verstanden, Master…“

„Gut. Dann geh dich gründlich waschen, du stinkst nach seinem Rauch.“

Severa verneigte sich tief. Cirdan klang alles andere als erfreut, doch vermutlich lief der Abend zu gut, als dass er nun wirklich wütend sein wollte. Aber er würde das so nicht stehen lassen, das war nur eine Frage der Zeit. Vielleicht… vielleicht sollte sie doch ihren Trumpf ausspielen. Sie griff in ihr Dekolleté und holte den Zettel hervor, schaute noch einmal darauf, bevor sie sich an den Elfen wandte.

„Ich habe noch etwas für dich.“

Cirdan riss es ihr genervt aus der Hand und für den ersten Moment wollte er nicht mehr als einen flüchtigen Blick darauf werfen. Dann jedoch hielt er inne.

„Das ist… eine Seekarte mit der Route nach Asteria. Wo hast du… vergiss es, ich frag besser nicht.“

Geistesgegenwärtig faltete er das Papier zusammen und streichelte wohlwollend die Wange der Zwergin, bevor er ihr bedeutete, jetzt zu gehen. Severa wollte bereits die Treppe nach oben steigen, da hielt Cirdan sie ein letztes Mal auf.

„Was ich dir gestern Nachmittag gesagt habe, meinte ich auch so. Du bleibst an meiner Seite. Also sei so lieb und schau dich nicht woanders um.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Phinxie
2020-03-28T12:42:24+00:00 28.03.2020 13:42
Uff, ich glaube, die Pausen zwischen den Kapitel gehen ein bisschen ZU lange. Ich habe keine Ahnung, wieso die jetzt plötzlich wieder in Lyn'A'Tishal sind... Aber naja, egal. Dann bewerte ich jetzt eben so einfach den Inhalt, das funktioniert auch ohne sämtliches Vorwissen... Ich lese in letzter Zeit auch zu viel in anderen Geschichten, als dass ich mir ALLES merken könnte...

Also dein Schriftbild ist wie immer gut, das weißt du ja. Keine Fehler, zumindest habe ich keinen gesehen. Deine Dialoge sind schön stimmig geschrieben, die Charaktere kommen authentisch rüber und es entsteht viel Dynamik dazwischen. Gefällt mir wirklich gut, ich lese selten so schöne Dialoge.
Der Verlauf der Handlung ist überschaubar und nachvollziehbar - wie gesagt, durch die lange Pause war ich ein wenig über den Zeitsprung und den Ortswechsel verwirrt, aber gut. Der Name meines Elfenreiches hat sich in Lyn'A'Tishal übrigens geändert, das ist aber weniger ein Problem und fällt ja prinzipiell auch nur mir selbst auf.
Ich finde es immer noch befremdlich, dass Sterlinson so stark in Severa verliebt ist - das kam mir in der gesamten Story einfach nicht deutlich genug raus und ich finde es befremdlich, so damit konfrontiert zu werden, obwohl zwischen den beiden bereits ein Kuss gelaufen ist. Kann natürlich aber auch durch die lange Pause kommen.
Die Charaktere hast du schön geschrieben, gerade deine Elfen mochte ich sehr gut leiden. Die Überheblichkeit der Lady hast du wahnsinnig gut eingefangen, ebenso wie Severas sanftes und zuteilen auch unsicheres Gemüt. Generell finde ich Severa als Charakter für die Geschichte sehr gut gewählt, man sympathisiert mit ihr und wünscht ihr für ihre Zukunft einfach nur das Beste.
Dass Cirdan jetzt hoffentlich bald mal ganz aus der Geschichte verschwinden wird, sobald er sich eine hübsche Elfin geangelt hat, hoffe ich ebenfalls. Ich kann den Kerl so langsam wirklich nicht mehr abhaben.
Prinzipiell mag ich die Wissenschaft, die du in dieses Kapitel reinbringt, was in Lyn'A'Tishal zu einem vollkommen neuen Aufschwung bringt, auch wenn es mein Land irgendwie ein bisschen rückständig darstellt. Aber gut, Asteria ist da halt meilenweit voraus, so ist das nun mal.
Den Verlauf der Handlung finde ich sehr schön und angenehm zu lesen, mir gefällt der Spannungsaufbau, den du hier betreibst, sowie die Fragen, die am Ende aufgeworfen werden. Das schürt das Interesse des Lesers und sorgt dafür, dass er auf jeden Fall an der Geschichte dran bleibt, alleine schon, um zu sehen, wie es mit Severa weitergehen wird. Das Essen beschreibst du fantastisch (Silberrosmarin, darf ich mir das klauen?) und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Generell sind deine Beschreibungen der absolute Wahnsinn und man kann sich wirklich immer gut vorstellen, wo sich die Charaktere gerade befinden.
Die Atmosphäre beschreibst du sehr gut; die feierliche Stimmung, doch gleichzeitig hat man das Gefühl, sich in einem Haifischbecken zu befinden. Tausende von gierigen Elfen, die nur ihren Vorteil rausschlagen wollen, Profit erwirtschaften und sich scheinheilig an Cirdan ranschmeißen.
Politik vom Feinsten, ganz großes Kino.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht und freue mich auch nachfolgende Kapitel :)


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