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Metamorphosis

von

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Loss


 

o8. Loss

–    ∙   ◦  ☽  •  ☾  ◦   ∙    –


 

Verlust.
 

Es gab vieles, das ich verloren hatte. In jungen Jahren noch darum bemüht, Dinge und Menschen um mich zu scharen, die mein Leben bereicherten, musste ich später erfahren wie schmerzhaft es sein konnte, wenn einen in nur einem Augenblick alles genommen wurde. Mit den Jahren hatte ich gelernt damit zu leben. Die Leere jedoch blieb, ich spürte sie jeden Tag – sie war einfach allgegenwärtig.

Doch ich fand mich damit ab, dachte, so wäre es besser. Zu tief war ich gefallen, als dass ich noch mal ein Risiko eingehen wollte. Wer sich an nichts band, der hatte auch nichts, das er verlieren konnte.
 

Doch nun fragte ich mich, ob das der richtige Weg war. Ich war diese Leere überdrüssig. Ich war es einfach leid, nichts zu haben. Und sehnte mich nach etwas, das mich ausfüllte.
 


 

Die Sonne war schon vor einigen Stunden aufgegangen und noch immer verharrte ich. Wartete. Auf was, konnte ich selbst nicht sagen.

Der altersschwache Stuhl war unbequem, meine wenigen Habseligkeiten hatte ich alle sorgsam in meinem Mantel verstaut. Eigentlich hatte ich alles – war zum Aufbruch bereit. Ich müsste nur noch durch die Tür und dann hätte ich meine Drohung wahr gemacht und wäre unbemerkt verschwunden.
 

Doch ich rührte mich nicht. Starrte stattdessen weiter zum Bett hinüber.
 

Hidan schlief noch. Bisher hatte er sich nur einmal kurz herumgewälzt, sein Schlaf war ansonsten relativ tief. Er war nicht wach geworden, als ich aufgestanden war. Die Dusche hatte ihn auch nicht geweckt. Er hatte sich nicht mal dann gerührt, als ich im Zimmer umher ging, mich anzog und meine Sachen packte. Mich fertig machte.
 

Doch anstatt zu gehen – so, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte – hatte ich mich auf diesen Stuhl niedergelassen. Und nun saß ich da, betrachtete seine schlafende Gestalt und sah mich nicht im Stande, meinen Körper in Bewegung zu setzen.
 

Mir entwich ein lautloses Seufzen.
 

Eigentlich war ich ein Mann, der sein Wort hielt, leere Phrasen gab es bei mir nicht. Das, was ich gestern Nacht Hidan angedroht hatte, war mein voller ernst und nicht bloß leichtfertig daher gesagt. Doch gerade fiel es mir unendlich schwer, meinen Prinzipien treu zu bleiben und meine Drohung wahr zu machen.
 

Dabei war ich doch immer noch wütend.
 

Wenn ich nur daran zurückdachte, was er im Streit über mein Dorf gesagt hatte – dann brodelte es erneut in meinem Inneren. Ich wollte es ihm zurückzahlen, ihm weh tun. So wie er mir mit seinen Worten weh getan hatte.

Meine Vergangenheit war nunmal mein Schwachpunkt. Und auch wenn ich mich selbst dafür verabscheute, so empfindlich auf banale Worte zu reagieren, ändern konnte ich nichts daran.
 

Aber seit ich mich hier hingesetzt hatte, war meine Wut einer inneren Unruhe gewichen. Ich steckte in einem Zwiespalt fest. Was sollte ich tun? Wenn ich Hidan wie angedroht zum Teufel jagte, ihn zurückließ, mich weigerte länger mit ihm als Team zu agieren… was würde dann geschehen? Was würde aus ihm werden?
 

Eigentlich sollte es mir egal sein. Er war eine Bürde, alleine zu sein würde mir einiges erleichtern. Ohne ihn würde ich meine Aufgaben schneller und effizienter erfüllen können. Ich hätte meine Ruhe, müsste mich nicht mit diesen ganzen Dingen herumschlagen, die nunmal mit einer solchen Partnerschaft einhergingen. Ich müsste nicht mehr auf ihn warten, wenn er nicht mit mir mithalten konnte. Müsste sein Geschwätz nicht länger ertragen, seine Beschwerden, wenn ihm etwas nicht passte. Müsste mich nicht mehr über sein leichtsinniges Vorgehen in Kämpfen ärgern.
 

Ohne ihn war ich sehr viel besser dran. Das war eine Tatsache. Zu gehen und ihn wenn nötig mit Gewalt loszuwerden, war eine gute Entscheidung. In mehrerlei Hinsichten. Es war notwendig, es war logisch. Ich hätte es schon viel früher tun sollen.
 

Hidan hatte es nicht anders verdient.
 

Ich nickte mir mental zu, festigte meinen Entschluss. Seine lächerliche Entschuldigung konnte daran auch nichts mehr ändern.

Mein Blick glitt hinüber zur Tür, aus der ich eigentlich schon vor einer Ewigkeit hatte gehen wollen.
 

Was, verdammt noch mal, hielt mich dann zurück!?
 

Was sprach schon dafür, weiter mit ihm als Team zu agieren? Ich war schon seit jeher ein Einzelkämpfer gewesen und kam besser alleine zurecht. Teamarbeit empfand ich als lästig, auch wenn ich mich mittlerweile damit abgefunden hatte. Doch das war nicht der Grund für mein Zögern. Ich machte mir nichts vor, es gab bloß eine Sache, die Schuld daran hatte, warum ich hier saß und grübelte.
 

Interesse. Meinem idiotischen Partner gegenüber.
 

Jedenfalls glaubte ich, dass es Interesse war. Mir fiel kein besseres Wort dafür ein. Dass ich mich für meinen Partner interessierte, konnte man mir jedoch nicht verübeln. Sogar ein Blinder sah es – Hidan war attraktiv. Mit seiner Art strahlte er etwas Aufregendes, Wildes aus. Er versprühte eine Leidenschaft, die enorm reizvoll war. In seiner Nähe fühlte man sich so lebendig. Er hatte ganz einfach etwas an sich, das ganz schön anziehend war. Und manchmal erschien es mir, als wäre er sich dessen selbst nicht mal bewusst.

Mit dieser Meinung stand ich ja auch nicht alleine da – mir waren schon oft verstohlene Blicke einiger junger Frauen aufgefallen. Und mir hatten sie bestimmt nicht gegolten.
 

Natürlich war er immer noch ein fluchendes Großmaul. Doch blendete man seine negativen Eigenschaften einmal aus, verbarg sich dahinter eine starke Persönlichkeit. Wir mochten nicht immer einer Meinung sein, doch Hidan blieb sich selbst treu. Wenn es darauf ankam konnte man auf ihn zählen. Er war keiner von der Sorte, die einen hinterlistig in den Rücken fiel. Wenn er ein Problem hatte, sagte er es demjenigen offen ins Gesicht. Das war etwas, das ich wirklich an ihm schätzte.
 

Dass ich so über ihn dachte, machte mal wieder deutlich, dass mein Interesse an ihm über das Körperliche hinausging. Das hatte auch die Bordell-Geschichte gestern nur zu deutlich bewiesen. Ansonsten hätte ich ihn mir einfach nehmen können und die Sache hätte sich damit erledigt. Nur glaubte ich nicht, dass es so einfach sein würde. Genauso sprach es doch schon Bände, dass ich noch immer hier wie festgewurzelt verharrte. Und nicht aufhören konnte darüber nachzudenken… was wäre wenn?
 

Was wäre, wenn ich bleiben würde? Was, wenn ich mich nicht verweigerte? Wie würde sich die Sache entwickeln, wenn ich diese verschrobenen Gefühle akzeptieren würde, ihnen Platz gab?
 

Was würde mir entgehen, wenn ich jetzt ging?
 

Seufzend schloss ich die Augen und massierte mir die pochenden Schläfen. Mein Grübeln führte zu nichts, es würde mich nicht weiterbringen, bescherte mir nur Kopfschmerzen. Als ich ein Brummen vom Bett vernahm, sah ich wieder auf.

Hidan lag noch genauso da wie er gestern eingeschlafen war. Nur sein Gesicht hatte er zur Seite gewandt, der leeren Betthälfte zu. Dort, wo ich bis vor kurzem noch gelegen hatte. Er regte sich langsam, träge hob er die Lider, rieb sich verschlafen übers Gesicht. Als sich sein Blick auf die leere Seite des Bettes haftete, weiteten sich seine Augen. Plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper. Schlagartig setzte er sich auf und ließ seinen Blick hektisch im Zimmer umher wandern.

Als er mich in voller Montur an dem alten Holztisch sitzen sah, entspannte sich seine Haltung nur minimal. Er sagte nichts, starrte mich nur an und schien die Situation richtig erfasst zu haben. Normalerweise weckte ich ihn, sobald ich wach war. Dass ich es dieses mal nicht getan hatte, sagte genug aus.
 

«Wie lange sitzt du schon da?», fragte er und musterte mich abschätzend.
 

«Eine Weile.»
 

Er blinzelte unsicher, sah mich dennoch unverwandt an, während ich seinen Blick starr erwiderte. Der Teil in mir, den ihn noch immer leiden sehen wollte, wollte ihn noch ein wenig länger zappeln lassen. Es durfte nicht sein, dass er sich erst so einen Fehler erlauben durfte und dann noch ungeschoren davon kam.

Man konnte Hidan seine Anspannung ansehen, was mir wiederum Genugtuung verschaffte. Dass ich ihm den Rücken kehren und bei Pain einen neuen Partner verlange könnte, widerstrebte ihm offenbar sehr. Und dass ich ihn damit in der Hand hatte, ihm mit einem Wort einen derben Schlag verpassen könnte, war ein befriedigendes Gefühl.

Hidan hing regelrecht an meinen Lippen, bang darum, was ich sagen würde. Wie ich mich entscheiden würde.
 

In Wahrheit stand mein Entschluss doch schon längst fest. Nur weigerte sich noch immer ein kleiner Teil in mir, ihn zu akzeptieren.
 

Mein Blick wurde noch eine Spur finsterer, als ich knurrend meine Entscheidung verkündete:

«Beeil dich. Oder ich gehe wirklich ohne dich.» Es gab keine Worte, die beschreiben konnten, wie sehr ich ihn gerade dafür hasste, mich so weit gebracht zu haben.
 

Hidans offensichtliche Erleichterung – sie war ihm sprichwörtlich ins Gesicht geschrieben – verstärkte meinen momentanen Groll ihm gegenüber nur noch.

Nur Sekunden später sprang er vom Bett und sprintete ins Bad, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben. Eilig machte er sich fertig und als wir los gingen fügte er sich mir stillschweigend. Er widersprach mir für die nächste Zeit nicht ein einziges mal, fügte sich mir und egal was ich sagte, er gehorchte mir auf's Wort – als würde er möglichen Zündstoff für Streitigkeiten von vorn herein vermeiden wollen.
 

Diese Unterwürfigkeit kam mir zunächst sehr entgegen, doch irgendwann, ab einem gewissen Punkt ging sie mir nur noch auf die Nerven. Er schaffte es dennoch, mich damit milde zu stimmen – ich konnte nicht mehr wirklich wütend auf ihn sein. Denn, dass er sich so sehr zusammenriss, konnte nur bedeuten, dass ihm unsere Partnerschaft etwas bedeutete. Und er nicht wollte, dass sich unsere Wege trennten.
 

Und eigentlich wollte ich das doch auch nicht.
 


 

–    ∙   ◦  ☽  •  ☾  ◦   ∙    –

Moving with the wind

We are free falling now

No choice but to trust this

As we go into the void

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Es war purer Zufall, dass wir diesen Hinweis aufschnappten, der uns, wie ich hoffte, auf direktem Weg zu unserem Gesuchten führen würde. Was auch immer der Kerl für einer war, auf seiner Reise war er offensichtlich nicht gerade darum bemüht, sich bedeckt zu halten. Er erregte eine Menge Aufmerksamkeit, pflasterte auf seinem Streifzug die Straßen mit Leichen. Wenn man den Gerüchten denn trauen durfte. Diesen zufolge soll er das letzte mal im nördlichsten Teil Kumos gesichtet worden sein.

Auf mein Geheiß hin nahmen wir die Spur auf und reisten einige Tage nach Nordosten, ehe wir auf neue Gerüchte stießen. Und so folgten wir den Brotkrümeln, die er hinter sich zurückließ.
 

Je weiter wir nach Osten wanderten, desto feuchter und schwüler wurde die Luft. Die Landschaft ebnete sich, immer seltener trafen wir auf Hügel oder Erhebungen, der letzte Berg lag Meilen hinter uns. Der Boden wurde lockerer, schlammig und als wir die ersten Sumpfgräser entdeckten, fing das Nächtigen unter freiem Himmel schließlich an unangenehm zu werden.
 

Der Norden war arm besiedelt und wir konnten von Glück reden, wenn wir alle paar Tage auf eine Siedlung stießen, die aus mehr als einer Handvoll alter Landhütten bestand. Durch die veränderte Vegetation wurde es immer schwieriger Bäume zu finden, dessen Äste kräftig genug waren, um unser Gewicht zu tragen. Dementsprechend hatten wir kaum eine andere Wahl, als mit dem aufgeweichten Boden vorlieb zu nehmen. Das Laufen war mühselig, Schlamm haftete sich an unsere Schuhe, Dreck wurde beim Gehen aufgespritzt und besudelte unsere Mäntel.
 

Hidan ließ sich unentwegt über die Umstände aus, während ich sie stillschweigend hinnahm.
 

Es war die sechste Nacht nach unserem Aufbruch und nach langer Suche hatten wir einen halbwegs geeigneten Schlafplatz gefunden. Eine Stelle, die ein paar wenige Quadratmeter umfasste. Der Boden in dem Bereich war trocken und hart genug, so dass wir am nächsten Morgen nicht noch mehr eingesaut aufwachen würden.
 

Nach einer kleinen Mahlzeit legten wir uns nieder. Hidan beschwerte sich die nächsten paar Minuten über das Surren der Mücken, die uns seit einigen Tagen plagten. Hier in den Sümpfen stoben diese Mistviecher bei jedem Schritt in Schwärmen auf.

Das Meckern verklang irgendwann, Stille legte sich nieder, welche nur von gelegentlichem Zirpen durchbrochen wurde.
 

Es war eine Nacht wie jede andere. So dachte ich zumindest, ehe ich in einen unruhigen Schlaf fiel.
 

Aus dem ich irgendwann mit hämmerndem Herzen aufschreckte. Kerzengerade saß ich da und starrte aus geweiteten Augen vor mich hin. Die Nacht war klar, Sterne prangten am Himmel, doch ich nahm nichts davon wahr. Ich war wie gebannt, konnte mich nicht rühren und glaubte, den penetranten Gestank von modrigem Holz, Blut und Pisse noch immer riechen zu können. Als hätte er sich in meine Schleimhäute gefressen.
 

Schweres Eisen um meine Handgelenke. Ketten, die bei jeder Bewegung rasselten. Dunkelheit, die meine Verzweiflung nicht verstecken vermochte. Das Licht einer Fackel, die das Kommen von jemandem ankündigte. Und damit jeder noch so kleine Funke Hoffnung in mir erstickte.
 

Mein Atem ging schwer und als meine Brust plötzlich ein stechender Schmerz durchfuhr, keuchte ich auf. Nicht das auch noch! Innerlich fluchte ich über mein Unglück – warum mussten sich zu diesem Alptraum auch noch die Nachwirkungen meines Beinahe-Tod zeigen?

Doch ich war viel zu abgelenkt von dem Traum, dass die Schmerzattacke beinahe darin unterging. Die Erinnerungen, die ich glaubte schon längst erfolgreich verdrängt zu haben, hatten mich fast schon in eine kleine Schockstarre versetzt.
 

Abartige Werkzeuge die im Schein der Fackel glänzten. Mein Stolz, den ich glaubte bersten zu hören, als der erste Schrei aus mir brach. Das warme Gefühl von Blut, das meine Haut hinab rann. Ein höhnisches Lachen, wann immer mich meine Kraft verließ und ich zu Boden sackte.
 

Es ist bloß ein Traum, versuchte ich mir einzuschärfen und mich so zu beruhigen. Und dennoch Wirklichkeit, widersprach eine Stimme in meinem Kopf.

Ich verkrampfte mich – die Wahrheit war wie ein schlag in den Magen. Ich wollte es nicht wahrhaben, wollte nicht daran denken müssen, was mir widerfahren war. Ich wollte mich nicht erinnern. Ich war nicht mehr in diesem Kerker. Doch so oft ich mir das gedanklich vorsagte, es änderte nichts daran, dass mich der Traum so eiskalt erwischt hatte, dass ich mich gerade so fühlte, als säße ich noch immer in diesem Loch fest.
 

Ein sadistisches Grinsen, das ich auch dann noch sah, sobald ich die Augen zukniff. Durst, der mich beinahe besinnungslos werden ließ. Der widerliche Geschmack von Urin auf der Zunge, als man mir den Mund auf zwängte. Die Demütigung, die schwerer wog als alle Fleischwunden, die mir zugefügt wurden.
 

Ich schnaufte, atmete gepresst und hätte es am liebsten geleugnet. Doch es hatte sich alles genau so zugetragen… und je länger ich darüber nachdachte, desto unerträglicher fühlte es sich an, in meiner Haut zu stecken.

Ich versuchte mich zu beruhigen, doch es gelang mir nicht. Mein Körper stand unter Strom, mein Geist war unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Wie ein Echo hallte dieser Traum in mir nach. Er war noch immer so gegenwärtig. Die Bilder… die Details, an die ich mich, jetzt, nach so langer Zeit, wieder erinnerte. Sie waren intensiv und wirkten so real, dass es mir den Schweiß in den Nacken trieb und ein Gefühl der Ohnmacht in mir auslöste. Und mit jeder Sekunde die verstrich, befürchtete ich, dass ich davon gleich übermannt wurde und einfach nach hinten kippte.
 

Die Angst davor, den Verstand zu verlieren, wann immer die Fackel neu entzündet wurde und das Spiel unweigerlich von Neuem begann. Die Achtung, die ich vor mir selbst verlor, als ich die Nässe auf meinen Wangen spürte. Die quälende Gewissheit, dass mir das alles von meinen eigenen Landsleuten angetan wurde. Jenen, denen ich Jahre lang treu gedient hatte.
 

Mein Körper erbebte und ich verabscheute mich selbst für diese schwächliche Reaktion.

Warum gerade jetzt? Warum holten mich gerade jetzt diese Erinnerungen ein? Im Schlaf verarbeitete man bekanntlich ja die Dinge, die einen tagsüber widerfuhr. Doch was war hierfür die Ursache? Mir fiel nichts ein, was diesen Traum hätte provozieren können. Und ich weigerte mich zu glauben, dass Hidans Bemerkung letztens dafür verantwortlich sein sollte.
 

Ich fuhr mir erschöpft übers Gesicht, legte mich anschließend wieder hin und drehte mich auf die Seite, einfach nur um irgendwas zu tun. Nicht wissend wie ich diese Erinnerungen vertreiben sollte, starrte ich auf den mir zugekehrten Rücken meines Partners. Er bewegte sich in steten, leisen Atemzügen und ich versuchte mich darauf zu konzentrieren. In stupidem Rhythmus hob und senkte sich der Brustkorb vor mir. Heben, senken, heben, senken, heben, senken…
 

Durch mein stummes Mantra konnte ich mich ein wenig von den Bildern in meinem Kopf ablenken. Meine verkrampften Muskeln lockerten sich allmählich, die Schmerzen in meiner Brust waren unbemerkt auch schwächer geworden, wodurch es mir gelang mich nach und nach wieder zu fassen.

Eine Weile blieb ich so liegen, konnte mich dennoch nicht dazu zwingen, mich wieder gerade hinzulegen. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken und ich befürchtete, kaum dass ich die Augen schloss, die Erinnerungen wieder präsenter werden würden.
 

Mein Blick haftete noch immer auf Hidan, als dieser sich plötzlich regte. Er schien jedoch nicht aufzuwachen und ich war kurz versucht, ihn wachzurütteln, nur um mich mit ihm irgendwie abzulenken. Den Gedanken tat ich aber schnell wieder ab – was sollte ich ihm für eine Begründung entgegenbringen? Dass ich schlecht geträumt hätte? Lächerlich! Er hätte dafür nur Spott übrig und auf seine Sprüche konnte ich gerade jetzt nur zu gut verzichten.
 

Also. Was nun?
 

Verbissen presste ich die Kiefer aufeinander. Ich hasste so etwas.

Wenn sich Probleme auftaten, war eine Lösung für mich in der Regel immer recht schnell greifbar. Doch gerade jetzt war dies nicht der Fall, ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Es raubte mir den letzten Nerv, solch eine Hilflosigkeit verspüren zu müssen – bei etwas so Banalem.

Ich durchschaute die klügsten Taktiker, konnte mir in Windeseile einen Konterplan ausdenken, aber versagte dabei einen läppischen Traum abzuschütteln.
 

Ich steckte mental in einer Sackgasse und das führte dazu, dass ich meine Wut auf all die nebensächlichen Unannehmlichkeiten projizierte. Wie der Boden, der so ekelhaft modrig und kalt war – bei dem man auch so schon Mühe hatte einzuschlafen. Der ständige Regen, die Nässe und Kälte, dieses ganze verdammte Land! Warum musste unser Gesuchter auch eine so unliebsame Gegend durchqueren? Warum gelang es Hidan seelenruhig zu schlafen, während ich mich hier verrückt machte? Und warum lag er dort und nicht hier bei mir?
 

«Hey», brummte ich ohne nachzudenken und hoffte, dass er dadurch wach werden würde.
 

Seit unserem Streit vor ein paar Tagen ging Hidan auf Abstand. Obwohl ich nicht sagen konnte, dass es mir egal war, hatte ich diese Distanz einfach hingenommen. Jede Überlegung, jedes Grübeln in Bezug auf Hidan und unser merkwürdig angespanntes Verhältnis, hatte ich mir seither verboten. Doch nun ärgerte ich mich darüber, dass er glaubte mir aus dem Weg gehen zu müssen und sehnte mich plötzlich nach etwas Nähe.
 

«Wach auf», sagte ich etwas lauter. Als er auch darauf nicht reagierte, streckte ich meinen Arm nach ihm aus. Gerade so bekam ich seinen Mantel zu fassen und zerrte einmal kräftig daran. Hidan wurde dadurch auf den Rücken gezogen und schreckte endlich aus seinem Schlaf auf.
 

«Was los?», brabbelte er und schaute sich orientierungslos um.
 

«Komm her.»
 

Nachdem sich sein Blick ein wenig geklärt hatte, starrte er mich verständnislos an.
 

«Was? Warum?»
 

Ich seufzte lautlos und da ich keine Lust verspürte eine Erklärung abzugeben, zerrte ich einfach weiter an seinem Mantel, wollte ihn so zu mir ziehen. Mit verwirrter Miene beobachtete er erst das Geschehen, ehe ihm doch sehr verspätet aufging, was ich vorhatte.
 

«Nein, man.» Er schüttelte den Kopf, doch das war mir egal. Als ich einfach weiter an ihm zerrte, stemmte er sich dagegen, drehte sich hilfesuchend auf die Seite und versuchte sich an etwas festzuhalten. Doch die Gräser waren nicht stark genug und so wurden sie von Hidan einfach ausgerissen.

«Was soll das?», regte er sich auf. «Ich bin nicht dein verdammter Hund, der sofort springt wenn du…» Der Rest des Satzes ging in ein unwilliges Murren über, als ich seine Hüfte zu fassen bekam und ihn einfach grob zurück riss.
 

«Stell dich nicht so an.»
 

Ich zog ihn nah an mich heran, hielt einen Arm um ihn gelegt. Wehren tat er sich nicht mehr und doch lag er steif in meinem Griff und knurrte unwillig. Was mich jedoch nicht davon abhielt, ihn noch etwas fester an mich zu drücken.
 

Das brauchte ich jetzt.
 

Hidans unverkennbarer Geruch stieg mir in die Nase und ich vergrub mein Gesicht in seinem Nacken. Die Wärme, die er ausstrahlte beruhigte mich auf seltsame Weise. Es war so vertraut und doch wieder nicht. Doch ich war nicht mehr allein mit meinen Erinnerungen. Es war jemand da. Ich hatte jemanden. Hidan stand mir unwissend bei. Spendete mir Trost, obwohl ich mich weigerte zuzugeben, dass ich welchen benötigte.
 

Hidan war da. Und das war… gut.
 

Auch wenn ich nicht vor hatte ihn einzuweihen oder gar wollte, dass er irgendwie herausfand, was mit mir los war, so war ich bloß froh, dass Hidan mich gewähren ließ und mich nicht direkt wieder wegschob. Erleichtert atmete ich durch und spürte richtig, wie sich das schlechte Gefühl, das seit meinem Aufwachen wie ein dunkler Schatten über mir schwebte, nach und nach verschwand.
 

Besser.
 

«Was hat dich denn gestochen?», murmelte Hidan verwirrt.

Er konnte sich wohl keinen Reim auf mein Verhalten machen. Verständlich, schließlich war das ja auch nicht meine Art. Ich war gerade nur nicht ich selbst. So wie ich mich hier gerade aufführte war schwach. Eine armselige Überreaktion. Albern und peinlich.
 

Doch noch nie im Leben war mir etwas so egal.
 

Als ich nicht antwortete, kicherte Hidan leise vor sich hin.

«Schlecht geträumt oder was?», witzelte er.
 

Unbewusst versteifte ich mich, drückte mein Gesicht noch etwas fester gegen seinen Nacken. Missmut befiel mich und ich zweifelte einen Moment daran, ob es eine gute Idee gewesen war, ihn aufzuwecken. Ich ärgerte mich darüber, dass er mich nun verspottete, obwohl ich doch geahnt hatte, dass es so kommen würde. Dabei hatte er das doch nur gesagt um mich aufzuziehen, er konnte doch gar nicht ahnen, dass er damit voll ins Schwarze getroffen hatte.
 

«Halt einfach den Mund», knurrte ich, bemüht darum, mich wie immer zu geben. Dennoch meine Stimme hörte sich irgendwie matt und entkräftet an. Ob Hidan merkte wie aufgekratzt ich war oder nicht – er sagte nichts mehr darauf. Wofür ich ihm im Stillen dankbar war, denn ich hatte keine Lust zu streiten. Oder mit ihm zu diskutieren. Oder überhaupt zu reden. Dazu fühlte ich mich gerade einfach nicht im Stande.
 

Ich merkte, wie Hidan sich allmählich in meiner Umarmung entspannte. Er schien sich mit der Situation abgefunden zu haben, denn er platzierte seinen Arm unter seinen Kopf, benutzte ihn als Kissen, bettete sein Haupt darauf. Kurz spürte ich seine Finger, wie sie über meinen Arm streichelten, den ich um ihn gelegt hatte.
 

Als ich die Augen schloss, waren die Bilder zwar noch da, doch nicht mehr so präsent in meinem Kopf. Ich war selbst ein wenig erstaunt darüber, wie einfach sie sich mit Hidans Nähe vertrieben ließen. Eine Weile lagen wir still da und schwiegen, während Hidan irgendwann anfing Symbole auf meinen Unterarm zu malen.
 

Das war... schön.
 

Ich gab ein zufriedenes Brummen von mir und genoss die keineswegs unangenehme Stille. Am morgigen Tag würde ich bestimmt bereuen, was ich hier gerade tat. Normalerweise hatte ich mich besser im Griff und ließ mich nicht so extrem von etwas aus dem Konzept bringen. Und war schon gar nicht so anschmiegsam. Doch ich versuchte nicht darüber nachzudenken und genoss stattdessen.
 

«Ich dachte du wolltest Normalität.»
 

Wie automatisch öffnete ich die Augen und erblickte Hidans entblößten Nacken, der sich direkt vor mir befand. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er noch mal das Wort ergriff, da ich annahm, dass er bereits wieder eingeschlafen war. Auch wenn diese Vermutung im Nachhinein nicht sehr realistisch war, immerhin streichelte er mich noch immer.
 

Ich wusste sofort, worauf er mit dieser Aussage hinaus wollte. Womöglich hatte er sich deswegen die letzten Tag von mir zurückgezogen. Weil er dachte, dass ich das so wollen würde. Daher war es nachvollziehbar, dass er nun eine Erklärung für mein Verhalten suchte. Und diese eine, indirekte Frage stellte.
 

Was hat das zu bedeuten?
 

Die Wahrheit war: ich hatte gerade eben nur deshalb seine Nähe gesucht, damit ich nicht an den Mist zurückdenken musste, der mir widerfahren war. Er sollte herhalten, damit es mir besser ging. Es war reiner Egoismus. Meine ursprüngliche Intention war nicht die gewesen, auf ihn zuzugehen. Oder ihm wieder näher zu kommen. Und eigentlich hatte ich auch kein Problem damit, ihn das genau so wissen zu lassen.

Doch nun, wo wir uns so nahe waren, dass ich seinen Herzschlag spüren konnte, missfiel mir der Gedanke, dass das hier eine Ausnahme sein sollte. Nun merkte ich erst, dass mir das hier die letzten Tag gefehlt hatte. Und ich wollte das die folgenden nicht wieder missen müssen.
 

Ich neigte meinen Kopf ein wenig, führte meinen Mund nah an Hidans Ohr heran. Mein Atem streifte seine Haut und ich spürte, wie der Körper in meinen Armen erschauderte.
 

«Vielleicht habe ich meine Meinung geändert.»
 


 

–    ∙   ◦  ☽  •  ☾  ◦   ∙    –

We are standing, staring into empty space

Asking all our questions, answers we can’t chase

Is this all there is?

–    ∙   ◦  ☽  •  ☾  ◦   ∙    –


 

Ein neuer Morgen brach an und wie so oft war ich derjenige, der als erstes erwachte.
 

Eine wohlige Wärme umgab mich, worüber ich mich im ersten Moment wunderte, dann aber zufrieden brummte. Als ich die Augen aufschlug wurde mir auch klar, warum mich nicht die obligatorische Kälte empfing – mit der ich eigentlich gerechnet hatte, da wir die Nacht ja unter freiem Himmel verbrachten.

Als ich Hidan erblickte, erinnerte ich mich wieder daran, was in der Nacht geschehen war. Mir war das nun doch sehr unangenehm. Unweigerlich schämte ich mich für mein Verhalten… wie ich mir nicht anders zu helfen gewusst hatte, als mich an Hidan zu klammern, war einfach nur erbärmlich.
 

Der Silberhaarige hatte sich im Schlaf zu mir gedreht, sein Gesicht war direkt vor mir. Dicht lag er bei mir, hatte sich leicht eingerollt und blies stetig seinen warmen Atem gegen mein Schlüsselbein. Wir waren uns nah. Zu nah.

So sehr ich seine Nähe in der vergangenen Nacht gebraucht hatte, nun engte sie mich ein. Ich fühlte mich davon erdrückt. Gerade war mir das einfach zu viel.
 

Hidan gab ein Murren von sich, als ich ein Stück von ihm wegrückte.
 

Ich versuchte mich ganz von ihm zu lösen, wollte den Arm, den der Jüngere um mich gelegt hatte, wegschieben. Doch es gelang mir nicht, da sich die Finger plötzlich an mir fest krallten. Ich schaute zu Hidan runter, der meinen Blick ruhig erwiderte.
 

«Warte», bat er leise. Dafür, dass er eben erst aufgewacht sein sollte, schien er sehr gefasst, sein Blick war erstaunlich klar.
 

Nach gestern Nacht fiel es mir irgendwie schwer, ihm in die Augen zu sehen.
 

«Bleib doch noch ein wenig… mit mir… liegen.»
 

Überrascht hob ich die Brauen, wägte zweifelnd ab ob ich nachgeben sollte, reagierte dadurch nicht sofort. Da Hidan mein Zögern fälschlicherweise als Einverständnis auffasste, machte er Anstalten mich sachte wieder runter ziehen zu wollen. Doch ehe dies geschah, löste ich mich aus meiner Starre, entzog mich ihm schnaubend und setzte mich wortlos auf.

Ich hatte mir schließlich schon genug Blößen gegeben.
 

Hidan murrte enttäuscht.
 

«Hätte dich jetzt nicht umgebracht», setzte er beleidigt hinterher.
 

Während wir uns fertig machten, versuchte ich die gestrigen Geschehnisse aus meinem Gedächtnis zu tilgen. Ich verbot es mir, mich zu stark von dem Traum beeinflussen zu lassen und versuchte so wie immer weiterzumachen. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich wieder in diesen Strudel geraten, der mich schon mal beinahe verschluckt hätte. Die Erlebnisse, was ich in diesem Kerker aushalten musste… daran wäre ich damals beinahe zerbrochen. Und ich wollte nie wieder an diesen Punkt gelangen. Meine Psyche hatte stark gelitten, war nicht mehr so gefestigt wie zuvor, deshalb musste ich mein Gesicht wahren und schnell wieder zu mir selbst finden.
 

Ich durfte es nicht soweit kommen lassen, dass jemand herausfand, wie kaputt mich das alles gemacht hatte.
 

Den ganzen Morgen über befürchtete ich, dass Hidan nachhaken würde, was mein Verhalten in der Nacht betraf. Ahnte er etwas? Zuweilen beäugte er mich zwar ein wenig komisch von der Seite, sprach mich jedoch nicht darauf an. Wahrscheinlich konnte er es sich schon denken, dass ich ihn mit einer Lüge oder eisernem Schweigen abwürgen würde.
 

Doch schon Minuten später schien Hidan bereits andere Dinge im Kopf zu haben. Worüber er sich auch Gedanken machte, es wirkte sich positiv auf sein Gemüt aus – er hatte ungewohnt gute Laune. Mit angehobenen Brauen erwischte ich ihn sogar einmal dabei, wie er beim Frühstück gedankenverloren vor sich hin grinste.
 

Die Sonne stand im Zenit, demnach war es kurz nach Mittag, da stießen wir auf eine Siedlung, die im Vergleich zu denen, die wir bisher passiert hatten, relativ groß war. Wir liefen die unebene Straße entlang und zogen sofort die Blicke der Bewohner auf uns. Kaum dass wir an einen von ihnen vorbei gingen, hielten sie in ihrem Tun inne und starrten uns hinterher. Wir wurden regelrecht begafft – alles begleitet von einer erdrückenden Stille.
 

«Was ist denn mit denen los?», murmelte Hidan verwundert, worauf ich nur ahnungslos die Schultern zuckte.

Darauf konnte ich mir auch keinen Reim machen. Mir mochten nicht gerade ein unauffälliges Bild abgeben – wir waren es gewohnt, ein paar Seitenblicke auf uns zu ziehen – doch so angestarrt und beglotzt zu werden war dann doch eher ungewöhnlich. Seltsamerweise lag in ihren Blicken keineswegs Feindseligkeit, vielmehr Verblüffung und Erstaunen.
 

Hidan regten die Blickte schon nach kurzer Zeit ziemlich auf. Er knurrte finster und verzog das Gesicht, erwiderte das Gegaffe mit bösem Blick. Irgendwann ging sein Temperament mit ihm durch.
 

«Was ist los mit euch Hinterwäldlern!», rief er laut aus und knirschte mit den Zähnen. «Was glotzt ihr so behindert! Das ist scheiße unhöflich, das wisst ihr schon oder!?» Mit einer Drohgebärde polterte er auf die Person los, die das Pech hatte ihm am nächsten zu stehen. Das alte Weib zuckte erschrocken zurück, senkte den Blick und fuhr damit fort den Gehweg mit einem knorrigen Besen zu wischen.

Sie blieb still, gab keine Erklärung ab, linste dennoch immer wieder zu Hidan hoch. Den Jüngeren trieb dieses Verhalten beinahe zur Weißglut – ich wusste genau, dass er es hasste, ignoriert zu werden. Deshalb machte ich schnell einen Schritt auf ihn zu.
 

«Beruhig dich, Hidan. Das bringt nichts.» Beschwichtigend legte ich eine Hand auf seine Schulter, um wenn nötig einzugreifen, sollte er sich zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen lassen. Es war nicht so, dass mich das Leben dieser Menschen interessierte, aber solche Zwischenfälle erschienen mir einfach nur sinnlos.

Mit leichtem Druck drängte ich den Jüngeren zum Weitergehen.
 

«Ja, aber das nervt!», beschwerte er sich und schüttelte meine Hand ab. Er warf der Alten noch einen letzten, vernichtenden Blick zu, ehe er sich schnaubend von ihr abwandte.
 

Wir gingen weiter, doch ich bekam das Gefühl nicht los, dass hier irgendwas sehr Merkwürdiges vor sich ging. So ländlich und abgeschieden die Gegend auch sein mochte, ab und zu mussten hier doch sicherlich auch Fremde vorbeikommen.
 

«Oh. Oh! OH! Ich sehe Gäste! Hierher meine werten Herren!»
 

Wir waren schon fast am Ende des Dorfes angelangt, da warfen Hidan und ich gleichzeitig die Köpfe herum, in die Richtung, aus der wir die Stimme vernommen hatten. Ein etwas altertümlicher Kerl in traditionellem Gewand trippelte aufgeregt durch den Vorgarten eines geschmackvoll, aber doch sehr renovierungsbedürftigen, Gebäudes auf uns zu.
 

«Ha! Ihr seht aus, als könntet ihr etwas Erholung vertragen. Kommt nur herein und folgt mir, keine falsche Scheu! Hier werdet ihr behandelt wie Könige, das verspreche ich euch!» Der große, hagere Kerl nickte mehrfach, deutete hinter sich auf das Gebäude. Er winkte uns zu, dass wir ihm folgen sollten.
 

Mit angehobenen Brauen musterte ich ihn etwas genauer.

Die wenigen, grauen Haare, die sein Haupt noch zierten, hatte er zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Er lächelte uns unentwegt an, wobei ihm die tiefen Falten um seine Augen einen warmen Ausdruck verliehen. Nichts desto trotz kam mir der Kerl suspekt vor. So viel Freundlichkeit, gepaart mit dieser Offenheit Fremden gegenüber war mehr als verdächtig. Was wollte der Typ also von uns?
 

«Alles okay bei dir im Kopf? Was genau willst du Clown von uns?», nahm mir Hidan das Wort aus dem Mund. Mit misstrauisch gerunzelter Stirn beäugte mein Partner den Kerl ebenfalls von oben bis unten.

Diesen schien kein Wässerchen trüben zu können, denn er kicherte nur erfreut.
 

«Was ich von euch will? Oh, entschuldigt!» Mehrmals verbeugte er sich vor uns. «Aber müsste es nicht eher heißen, was ihr bei mir erwarten dürft, mh?» Er wackelte vielsagend mit den Brauen, vollführte dann eine peinliche Pose, in der er das Gebäude hinter sich anpries und – wohl seiner Vorstellung nach – gut in Szene setzte. In Wahrheit war sein Getue einfach nur lächerlich.
 

Innerlich stimmte ich Hidan zu – der Kerl war wirklich ein Clown.
 

«Willkommen in unserem bescheidenen Kurort! Unser Haus ist bekannt für ihre Schlammbäder und deren heilende Wirkung. Es gibt nichts, dass wir mit einem erholsamen Bad und der entsprechenden Behandlung nicht wieder hin bekommen würden! He, he! Okay, ich gebe zu, das war nun doch etwas übertrieben.» Die Witzfigur kicherte verlegen. «Nichts desto trotz werdet ihr euch danach wie neu geboren fühlen! Also, auf, auf! Ich werde sofort alles für euch vorbereiten!»
 

«Schlammbäder?», machte Hidan pikiert und verzog angewidert das Gesicht. «Iiiih, ihr Typen badet in dem Dreck? Wie widerlich! Hau mir bloß ab mit dem Scheiß, Opa! Außerdem… nach dem Empfang vorhin ist mir die Lust an dem Kaff hier vergangen. Da lass ich mir doch nicht auch noch so nen Mist aufschwatzen! Also, zieh ab!»
 

Hidans Bemerkung schien den Alten nun doch aus seiner Euphorie zu holen, denn er ließ die Schultern sinken, seufzte langgezogen und kratzte sich resigniert am kahlen Hinterkopf.
 

«Argh!» Wütend schlug sich der Alte einmal mit der Faust in die Handfläche. «Sie haben wieder gestarrt, oder? Dabei wissen sie doch, dass das nicht gut für's Geschäft ist!» Mit verengten Augen starrte er die Dorfstraße hinab – als würde er die Dorfbewohner von hier aus tadeln wollen.
 

«Heh», machte Hidan keck und setzte mit verschränkten Armen sein breitestes Grinsen auf. «Die Typen können von Glück reden, dass ich heute gute Laune hab, sonst hätte ich ihnen gezeigt was sie davon haben. Obwohl ich ja immer noch übel Lust hätte, runter zu gehen und sie zu massakrieren für diese Frechheit!»
 

Ich hielt mich noch immer aus dem Gespräch raus, verdrehte innerlich jedoch die Augen über Hidans Beschwerde. Als ob der Jüngere so viel besser wäre – Sitte und Manier waren für ihn doch genauso Fremdwörter.
 

Der Alte blickte Hidan verwirrt an, ehe er den Kopf schüttelte und ihm leise kichernd auf die Schulter schlug. «He, he! Was für ein Spaßvogel!» Belustigt grinste er meinen Partner an, welcher durch diese unspektakuläre Reaktion nur die Stirn runzelte und einen Blick mit mir wechselte. Ich hatte definitiv auch mit etwas anderem gerechnet – Angst oder Fassungslosigkeit, in Anbetracht dessen, dass der Silberhaarige hier gerade offen seine Lust am Morden gestand. Doch offenbar nahm der Alte an, Hidan hätte sich einen Scherz erlaubt – er konnte gar nicht falscher liegen.
 

Noch immer musterte der Alte verzückt meinen Partner, ehe er seinen Blick zu mir schweifen ließ. «Du und dein finsterer Freund gebt wirklich ein witziges Bild ab.» Er tätschelte vorsichtig meine Schulter, doch als ich die Augen warnend verengte, zog er seine Hand schnell wieder zurück.
 

«Genug jetzt», brummte ich. «Wir verschwenden hier unsere Zeit.»
 

«Wartet!», rief der Alte uns hinterher, als wir uns schon zum Gehen wandten. «Ich mache euch ein Sonderpreis! Fünfzig Prozent Rabatt auf alles, nur bleibt doch wenigstens eine Nacht. Ihr werdet es nicht bereuen, das verspreche ich euch!»
 

Ohne anzuhalten tauschte ich mit Hidan einen kurzen Blick aus, woraufhin der Jüngere laut aussprach, was wir wohl beide dachten: «Da ist doch was faul an der Sache, wenn der uns so unbedingt hier behalten will.»
 

«Wohl wahr», brummte ich zurück.
 

Die Sache war für uns damit erledigt. Der Alte hinter uns nahm das unglücklich zur Kenntnis, doch seine folgenden Versuche uns mit Angeboten und Vergünstigungen anzulocken blieben erfolglos. Am Ende schlug sein Gemüt um. Frustriert fluchte er auf, schleuderte uns Beleidigungen hinterher und jagte uns zum Teufel. Es fielen Worte wie Monster und dass er froh sein würde, wenn wir gefressen würden.
 

Ich gab mir nicht mal die Mühe den Sinn hinter seinem Wutausbruch zu verstehen. Hidan wohl genauso, denn er zeigte mir mit einem gezischten Spinner den Vogel und zuckte dann mit den Schultern.
 

Es fing an zu regnen, als wir in einen dichten Moorbirkenwald gelangen. Der verwilderte Trampelpfad, dem wir bis dato folgten, verblasste immer mehr, bis wir uns schließlich mitten im Wald widerfanden und keinem ersichtlichen Weg mehr folgen konnten. Die Birken ragten rund um uns herum in die Höhe und aufgrund fehlendem Gebüsch, wenigem Unterholz und der hoch gelegenen Äste, konnte man fast einen Kilometer weit die Umgebung ausspähen.
 

Der Himmel war von grauen Wolken durchzogen, während unbarmherzig der Regen auf uns herabfiel. Schon nach kurzer Zeit waren wir durchnässt bis auf die Knochen. Der moosige Boden zu unseren Füßen wurde durch die Nässe noch mehr aufgeweicht, als er ohnehin schon war. Dreck klebte uns an den Sohlen und mit jedem Schritt schien es, als würden meine Füße noch etwas mehr im Schlamm versinken.

Da ich gerne drauf verzichten konnte auszurutschen und im Matsch zu landen, gab ich ein dementsprechend langsames Tempo vor. Auch wenn es mich mächtig ärgerte, so gar nicht vorwärts zu kommen.
 

«Man, lauf nicht so schnell!», beschwerte sich Hidan, der hinter mir lief und sich irgendwie gehetzt anhörte.
 

«Wenn wir noch langsamer laufen geht uns das Essen aus, noch bevor wir das nächste Dorf erreichen», erwiderte ich unbeeindruckt. Wir hatten vorhin versäumt uns neu einzudecken. Zugegeben, nach dem Eindruck, den ich von diesem Dorf gewonnen hatte, hatte ich wenig Lust verspürt, uns dort neue Essensvorräte zu beschaffen.

Außerdem wusste ich nicht was Hidan hatte, wir liefen ja jetzt schon im Schneckentempo.
 

«Ich hab ja auch keinen Bock zu hungern aber verdammt, wenn du weiter so rennst leg ich mich irgendwann noch auf die Fresse! Das scheiß Wetter ist einfach nur zum kotzen! Und dann der ganze Dreck überall… was ist das hier für ne scheiß Gegend?! Wenn ich gewusst hätte, wo du uns hinführst, hätte ich es mir noch mal überlegt mitzukommen. Warum muss …»
 

Ich unterdrückte den Drang die Augen zu verdrehen, fragte mich, wo nur seine gute Laune abgeblieben war. Ich hörte ihm schon gar nicht mehr zu, doch dann ertönte hinter mir plötzlich ein Schrei. Angespannt drehte ich mich um, befürchtete, dass uns Feinde aus dem Hinterhalt angriffen und machte mich schon zum Kampf bereit. Doch als ich sah, was hinter mir los war, ließ ich meine Abwehrhaltung fallen und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
 

«Fuck!»
 

Mit Wut verzerrtem Gesicht hockte Hidan im Matsch. Aus Reflex hatte er seinen Sturz mit den Händen abgefangen. Als er diese nun anhob, verzog er das Gesicht, während er angewidert den Dreck von seinen Fingern zu schütteln versuchte. Unzufrieden schaute er an sich hinab, ehe er den Blick hob und mich fixierte.
 

«Ich hab’s dir gesagt! Aber du wolltest ja nicht hören. Das ist alles deine Schuld!» Zischte er wütend, doch seine Vorwürfe ließen mich kalt. Er war schließlich selbst für seine Unfähigkeit verantwortlich.

Hidan schien meine Gedanken wohl erraten zu können, denn für einen Moment sah es so aus, als ob er mich gleich anfallen würde, sollte ich vorhaben seine Misere zu kommentieren. Doch diesen Fehler würde ich bestimmt nicht begehen.

Stattdessen begnügte ich mich damit, schadenfroh zu grinsen. Dank der Maske, die mein Gesicht verhüllte, war es von Außen nicht erkennbar. Worüber ich ganz froh war, denn andernfalls hätte er mich bestimmt angesprungen. Das zu provozieren lag nicht in meiner Absicht, auch wenn es mich in den Fingern juckte, ihn ein wenig zu ärgern. Aber nein, das wäre unpraktisch. Noch mehr Verzögerungen konnten wir uns nicht leisten.
 

Hidan erhob sich fluchend und als er sicheren Stand hatte, verdrehte er seinen Oberkörper leicht nach hinten, um den Matsch von seiner Kehrseite zu klopfen.
 

«Wehe du sagst auch nur ein dummes Wort, dann flipp ich aus und schmeiß dich gleich mit um», murrte er. «Schlimm genug dass du grinst wie der Teufel, da kann ich auf deine Besserwisser-Sprüche echt verzichten. Danke, Kakuzu, ein toller Kamerad bist du.»
 

Mein Grinsen erlosch.
 

Woher…?
 

«Woher ich weiß, dass du dir einen abgrinst?», formulierte er die Frage, die ich mir gerade selbst versuchte zu beantworten. Hidan hatte doch nichtmal in meine Richtung gesehen. Wie also hatte er es bemerkt?

Nachdem der Jüngere sich wieder aufgerichtet hatte, schloss er zu mir auf.
 

«Ich kenn' dich mittlerweile halt», meinte er schulterzuckend. «Und dass du dich am Unglück anderer erfreust ist jetzt auch nicht grad ein Geheimnis.» Er grinste ein selbstzufriedenes Grinsen.
 

Ich schnaubte und wollte schon weitergehen, da legte sich eine Hand auf meine Brust.
 

«Halt! Von jetzt an geh ich voraus.» Entschied Hidan einfach mal so und schob mich zurück, ging bestimmt an mir vorbei. Nachdem er seine Hand zurückgezogen hatte, blickte ich verärgert an mir hinab auf den dreckigen Abdruck, den er auf meinem Mantel hinterlassen hatte.

Wortlos folgte ich ihm und ließ ihm widerwillig die Führung übernehmen. Zumindest vorerst.
 

«Ich weiß eh nicht, warum du immer derjenige sein musst, der vorne läuft. Ich kann das schließlich genauso gut!» Hidan schien sichtlich Gefallen an der Führerrolle zu finden. Immer wieder warf er einen Blick zu mir zurück, ohne richtig auf den Weg vor sich zu achten. Was er hätte tun sollen. Denn ich bemerkte das, worauf wir gerade zusteuerten, früh genug.
 

«Hidan», versuchte ich ihn darauf aufmerksam zu machen und blieb stehen. Doch mein Partner plapperte einfach munter weiter.
 

«Auch wenn ich keinen Plan habe wo wir uns gerade befinden… aber das spielt keine Rolle! Wenn irgendwo ne Gabelung oder so kommt, sag mir einfach wo lang wir müssen und fertig.» Selbstgefällig warf er mir einen Blick über die Schulter zu und schien sich nicht daran zu stören, dass ich einfach stehengeblieben war. Als seine Beine schließlich immer tiefer im Schlamm absackten, warf er verärgert den Kopf wieder nach vorne.
 

«Was ist das jetzt wieder für eine Scheiße?!» Anstatt anzuhalten und umzukehren, stampfte er wütend ein paar Schritte weiter, versank dadurch aber immer tiefer im Schlamm. Irgendwann war es ihm nicht mehr möglich einen Fuß vor den nächsten zu setzten, da ihm der Morast schon bis zu den Knien reichte. Nachdem er eingesehen hatte, dass seine Füße keinen festen Grund finden würden, fluchte er und fing an auf der Stelle zu treten. Wahrscheinlich im Versuch seine Beine hinauszuziehen – was er auch eiligst tun sollte so lange er es noch konnte.
 

Mir war zuvor die veränderte Färbung des Bodens aufgefallen und so hatte ich mich davor bewahren können in diese natürliche Falle zu treten. Vor uns lag ein ovalförmiger Bereich, auf dem weder Baum noch Busch wuchs. Er glich beinahe einer kleinen Lichtung. Die Erde schien an dieser Stelle frischer, nasser, der Boden war heller gefärbt und war bloß von vereinzelten Blättern bedeckt. Das Schlammloch war auf den ersten Blick schwer zu erkennen, doch für ein halbwegs geschultes Auge – und wenn man ein wenig auf den Weg achtete – kaum übersehbar.
 

Ich schüttelte den Kopf und musste daran denken, dass es typisch für Hidan war, da einfach blind reinzustolpern.
 

Erneut wurde ein Fluchen hörbar. Seufzend trat ich näher, schätzte ab, wie weit ich mich vorwagen konnte, um Hidan zu erreichen, ohne selbst verschluckt zu werden. So ganz ungefährlich war so ein Schlammloch ja nicht. Obwohl ich uns im schlimmsten Falle ja immer noch mit meinen Fäden würde rausziehen können.
 

«Gib mir deine Hand.» Ich streckte meinen Arm nach ihm aus, doch Hidan lehnte meine Hilfe patzig ab.
 

«Ich kann das alleine.» Knurrend stapfte er weiter auf der Stelle, fluchte lautstark auf, wann immer er noch tiefer sank.
 

Mit verschränkten Armen stand ich am Rand und schaute dem Schauspiel eine Weile zu. Sollte er es eben alleine versuchen, er würde schon sehen wie weit er damit kam. Ich wusste ganz genau – so tief wie er jetzt schon drin steckte, war es fast unmöglich alleine wieder herauszukommen. Außer man wendete die richtige Technik an. Aber ich bezweifelte stark, dass Hidan über diese in Kenntnis war.
 

«Nicht strampeln. Dadurch machst du es nur noch schlimmer.» Erbarmte ich mich ihm einen Tipp zu geben, da ich das fast nicht mitansehen konnte. Wie er sich da abmühte… und wirklich alles, was man nur falsch machen konnte, falsch machte.
 

«Danke, das weiß ich jetzt auch!», keifte er zurück und war nun schon bis knapp zur Hüfte abgesackt. Dann nahm er seine Arme zu Hilfe, versuchte sich an der zähen Masse abzudrücken und hochzustemmen. Doch alles, was er damit erreichte, war, dass seine Arme nun auch noch einsanken, anstatt dass er es schaffte, seine Beine zu befreien. Irgendwann steckte er so tief drin, dass nur noch sein Kopf und seine Arme herausragten.
 

«Verdammt!», fluchte er leise, hörte dann endlich auf sich zu winden. Er gab sich anscheinend geschlagen, denn er suchte meinen Blick und biss sich dabei auf die Lippe. Unbeeindruckt und noch immer mit verschränkten Armen schaute ich zurück, dachte gar nicht daran mich zu rühren. Und Hidan schien genau zu wissen was ich von ihm wollte und dass ich nicht einen Finger krümmen würde, bis ich es bekommen hatte.

Er zögerte, war im ersten Moment wohl zu stolz dafür, mich nun um Hilfe zu bitten, wo er sie vorhin doch noch voller Selbstüberschätzung ausgeschlagen hatte.
 

«Gut, nach schön, du hast gewonnen, man! Kannst du mich also bitte endlich aus diesem Drecksloch rausziehen?!», knurrte er finster und wandte sein Gesicht verlegen zur Seite.
 

Eigentlich hatte ich vor gehabt ihn noch ein wenig schmoren zu lassen – die Vorstellung, wie er mich anbettelte, hatte schon etwas für sich. Doch dann erbarmte ich mich seufzend und trat etwas näher an ihn heran. Da Hidan nun außerhalb meiner Reichweite war, kam ich nicht darum herum, meinen Arm auszufahren. Meine Hand kapselte sich vom restlichen Arm ab, war durch meine Fäden, die ich beliebig verlängern konnte, immer noch mit diesem verbunden. So erreichte ich Hidan problemlos. Meine Hand wurde sogleich von ihm gepackt und mit festem Griff umklammert. So zog ich ihn Stück für Stück heraus, bis der Morast ihn am Ende ploppend frei gab. Da dies so plötzlich geschah, wurde Hidan in meine Richtung geschleudert. Ich taumelte leicht zurück, als er mit Wucht gegen mich knallte. Kurz hielt er sich an mir fest, zog sich so auf die Beine und blickte mit verzogenem Gesicht zu mir auf.
 

«Fuck, du glaubst ja nicht, wie kalt es in dem Scheiß war. Ich fühl’ mich, als hätte ich in nem verdammten Tiefkühler gesteckt!» Bibbernd schlag er die Arme um den Körper – seine Lippen bebten und waren schon leicht blau angelaufen. Dass es noch immer in Sturzbächen regnete und allgemein recht kalt war, machte es wohl auch nicht gerade besser. Nun war es für ihn wohl zweitrangig, dass er von oben bis unten dreckig war und so aussah, als ob er in Schlamm gebadet hätte. Was er eigentlich ja auch hatte.
 

«Da bist du selbst schuld.»
 

Hidan gab darauf nur ein Zischen von sich, fing dann zum zweiten mal an diesem Tag an, seine Kleidung vom Morast zu befreien. Einmal griff er sogar in seine Hose und beförderte eine Ladung davon nach draußen, was mich nur das Gesicht verziehen ließ. Dass das Zeug so weit vorgedrungen war, musste ganz schön unangenehm sein.

Wohl eher unbewusst wischte er sich mit dem Handrücken über die Stirn. Als er sich wieder aufrichtete und zu mir sah, machte er nicht den Eindruck, als wäre ihm bewusst, dass er sich den Dreck nun auch noch ins Gesicht geschmiert hatte.
 

«Was?», fragte er gereizt.
 

Ich brummte nur, packte ihn grob an den Schultern und zog ihn etwas näher heran. Er zuckte leicht zurück, als ich anfing, sein besudeltes Gesicht vom Dreck zu befreien. Ich säuberte seine Stirn, strich mit dem Daumen über Wangen und Nasenrücken, um auch die dortigen Spritzer fortzuwischen. Mit den feinen Pünktchen im Gesicht, sah es beinahe so aus, als hätte er Sommersprossen. Hidans Haare hatten hinten im Nacken auch etwas abbekommen, weshalb ich ein paar mal durch die Strähnen fuhr, um den Dreck rauszukriegen. Der Regen war hierbei nun doch ganz hilfreich.
 

Während ich ihn so bearbeitete, merkte ich gar nicht, dass er mich mit großen Augen anstarrte.
 

«Ich wusste gar nicht, dass du so... so sein kannst.»
 

Ich gefror in der Bewegung, ehe ich meine Hände schnell zurückzog. Finster starrte ich ihn an, fühlte mich irgendwie ertappt und dieses Gefühl behagte mir gar nicht.
 

«Ich weiß nicht was du meinst», grunzte ich schroff.
 

«Das soll nicht heißen, dass du aufhören sollst», fügte er schnell an, nachdem ich so abrupt von ihm abgelassen hatte.
 

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, also hielt ich mich in Schweigen. Zögerlich führte ich meine Hände erneut an Hidans Gesicht heran, ehe ich langsam anfing ihn von den letzten paar Dreckspritzern zu befreien.
 

«So bist du wenigstens wieder halbwegs anzusehen», brummte ich, während ich mit dem Daumen über sein Kinn fuhr.
 

Hidan lächelte seicht, was mir ein schwummriges Gefühl im Magen bescherte. Unentwegt sah er mich dabei an, was eine Spannung zwischen uns entstehen ließ, die mit jeder verstrichener Sekunde greifbarer wurde.

Nur das Geräusch des fallenden Regens war zu vernehmen, während ich noch einen Moment sein Gesicht betrachtete. Mit diesen friedlichen Zügen sah Hidan so jung aus. Der angespannte, gehässige Ausdruck der Tag für Tag sein Gesicht zierte machte ihn so viel älter. Dann fiel mir erst auf, dass ich gar nicht wusste, wie alt Hidan tatsächlich war.
 

Eines der Dinge, die in Akatsuki keine Rolle spielte.
 

Ich hatte Hidan bist dato immer nur als meinen Partner gesehen. Seine Hintergründe waren unwichtig und für die Organisation nicht von Belang. Also hatte das auch für mich gegolten.

Doch nun sah ich zum ersten mal, dass sich hinter der Maske des fluchenden, fanatischen Killers ein ganz normaler junger Mann verbarg. Ob Hidan in einer anderen Wirklichkeit ein normales Leben führte? Eines ohne Gewalt, Leid und Tod? Eines, in dem er behütet in seinem Dorf aufwachsen konnte? Eines, in dem er eine Tätigkeit ausführte die ihn erfüllte? Ein ganz normales Leben, in dem er sich nach Anerkennung und Liebe sehnte?
 

Eine Bewegung seitens Hidan brachte mich schließlich aus meiner Gedankenwelt zurück.
 

Etwas in seinen Irden blitzte auf – ich konnte nicht benennen was es war, doch das schwummrige Gefühl in meinem Magen wurde stärker. Sein Atem schlug gegen meine Maske – ich konnte mich nicht erinnern, wann er mir so nah gekommen war.
 

«Ey...», sagte er leise und zögerlich, während er unsicher auf seiner Unterlippe kaute und mir noch ein Stück näher kam. «Ich... darf ich... ich meine...»
 

In mir keimte eine vage Ahnung auf, worauf das alles hinauslief.
 

Er hob die Hand, führte sie zu meiner Maske und wollte diese schon von meinem Gesicht ziehen. Doch bevor dies geschehen konnte, packte ich sein Handgelenk.
 

«Hidan.»
 

«Mh?»
 

«Du stinkst.»
 

Mein Partner sah mich für einen kurzen Moment bedröppelt an, ehe er mich empört zurück stieß. Er zischte und verzog beleidigt das Gesicht. Was nichts daran änderte, dass ich bloß die Wahrheit ausgesprochen hatte. Hidan verströmte einen äußerst üblen Geruch.
 

«Danke, das weiß ich auch!», maulte er. «Ich will gar nicht wissen, in was genau ich da gebadet hab, sonst kotz ich! Mir gefällt es auch nicht so rumzulaufen, aber ich kann jetzt auch nichts daran ändern, kapiert?»
 

«Schon klar.» Warum rechtfertigte er sich überhaupt?
 

Ich grinste, schüttelte den Kopf. Innerlich fragte ich mich, ob Hidan tatsächlich das vorgehabt hatte, was ich dachte. Wie gewagt von ihm, anzunehmen, dass ich auf so etwas eingehen würde.
 

Hidan regte sich weiter auf und ich ließ es mir nicht nehmen, ihn belustigt von der Seite zu beobachten. Doch dann erlosch mein Grinsen schlagartig. Plötzlich, wie aus dem Nichts, beschlich mich ein seltsames Gefühl. Ich konnte nicht genau sagen was los war, aber aus irgendeinem Grund war ich in Aufruhr. Meine Alarmglocken schrillten, ich bekam das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.

Hidan ließ sich im Hintergrund weiter über seinen Zustand aus, was es mir unmöglich machte, mich zu konzentrieren.
 

«Sei still!», gebot ich scharf.
 

Doch der Jüngere schnaubte nur.

«Zum Teufel, ich werd–»
 

Kurzerhand hielt ich ihm den Mund zu, da es zu lange dauern würde, ihm das jetzt zu erklären. Erst glotzte er mich noch wütend an, doch als ich aufhorchte und den Wald mit Argusaugen absuchte, schien ihm aufzugehen, dass die Sache ernst war.
 

«Hörst du das?», fragte ich und nahm meine Hand weg.
 

«Ich höre gar nichts», erwiderte er mit gerunzelter Stirn.
 

«Das ist es ja.»
 

Der Regen hatte mittlerweile ein wenig nachgelassen und wenn man das Prasseln ausblendete, war da nur Totenstille. Zuvor waren noch vereinzelte Vögel zu hören gewesen. Ein Frosch, der irgendwo quakte oder ein Zirpen eines Insekts. Davon war nun gar nichts mehr zu hören. Als wären alle Lebewesen plötzlich verstummt.
 

Oder geflohen.
 

Alle meine Sinne waren geschärft und ich versuchte denjenigen, der uns beobachtete, aufzuspüren. Minuten verstrichen, in denen ich in den Wald hinein starrte. Hidan neben mir tat es mir anscheinend gleich, denn er gab keinen Mucks mehr von sich. Doch weder konnte ich ein fremdes Chakra ausmachen, noch sonst war da ein Hinweis darauf, dass uns jemand belauerte.
 

Da war nichts.
 

Gerade als ich es schon als Einbildung abtun wollte, war da ein seltsam gurrendes Geräusch. Im nächsten Moment schrie Hidan neben mir auf und als ich zu ihm herumwirbelte, sah ich gerade noch, wie er von Etwas in die Höhe gerissen wurde.
 


 

–    ∙   ◦  ☽  •  ☾  ◦   ∙    –

I feel the wave of the change

Reflect on everything we know

How do you stand?

–    ∙   ◦  ☽  •  ☾  ◦   ∙    –


 



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