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SKAM Season 3 "ISAK" (Special Extended)

(S 1 und 2 sind NICHT notwendig für die Story)
von

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03x03 - JETZT BANDELT IHR MIR ZU SEHR AN - (Nå bånder dere i overkant mye)

Zuhause angekommen, warf ich einen flüchtigen Blick in den Kühlschrank und suchte nach Bier. Könnte ja sein, dass zufällig was da ist. Aber natürlich war dem nicht so. Wieso auch?

Ich schloss die Kühlschranktür, nur um sie einen Sekundenbruchteil später wieder aufmachen zu wollen. Wenn ich das richtig gesehen hab, stand da noch ein Rest von dem Sprit den Eskild von seiner letzten Party mitgebracht hatte. Ich nahm die Flasche und öffnete sie, roch kurz dran und spürte das Hochprozentige in meiner Nase hoch kriechen. Dennoch überwand ich mich, trank einen Schluck und musste erst mal husten. Boah... ich hasse das Zeug... Und trotzdem nahm ich noch einen zweiten und dritten Schluck, eh ich sie wieder zuschraubte, zurückstellte und mich mit angewidertem Gesicht in mein Zimmer verkroch. Ich ließ mich auf dem Bett fallen und hörte im selben Moment ein Benachrichtigungston. Genervt knurrte ich und kramte das Handy dann doch vor. Bibelverse... Okay, das reicht jetzt!

Ich machte das Telefon aus und legte es in die Schublade des Nachtschranks. Von Even wird nichts kommen, solange ich ihm nicht schreibe und er damit auch meine Nummer hätte. Und selbst wenn, wüsste ich nicht, ob ich das jetzt lesen wollen würde. Ich schaltete den Fernseher an und ließ mich für den Rest des Abends vom durchwachsenen Programm berieseln. Normalerweise würde ich bei meiner gegenwärtigen Laune die Jungs anrufen und fragen, ob irgendwo eine Party ist, bei der man sich ins Delirium saufen kann. Aber das war ja auch schon das Problem. So eine Party war in vollem Gange und ich hatte die Jungs verprellt, einfach weil in letzter Zeit gar nichts mehr 'normal' läuft.

Zeit wieder Normalität zu schaffen! So kann es nicht weiter gehen!
 

Samstag, 15.10.2016 – 13:30 Uhr

Am frühen Nachmittag saß ich auf einer Bank am Basketballplatz, weil Jonas mich dort treffen wollte. Er hatte mir heute Vormittag geschrieben und wollte über die Nummer reden, die ich gestern gebracht hab. Hab zwar auch gesehen das Emma mir am Abend schon gefühlt tausend Nachrichten geschickt hatte, aber ich las sie mir erst jetzt durch, mehr oder weniger interessiert, während ich auf meinen besten Freund wartete: Hi, wollte nur sagen, dass ich mit deinen Freunden geredet habe und weiß, dass ihr keine anderen Pläne hattet. Wenn du kein Interesse hast, dann ist das Ok, aber mach mir keine falschen Hoffnungen, dass du zur Party kommst, wenn du es nicht tust, das ist echt Arschloch-mäßig. Eine halbe Stunde später: Hallo? Ist es so schwer zu antworten? Eine viertel Stunde danach: Sorry, dass ich dich Arschloch genannt habe. Vielleicht hattest du gute Gründe, aber kannst du antworten? Und eine weitere viertel Stunde später: ARSCHLOCH!

Ja, Emma ist angepisst. So richtig. Und vermutlich zu recht. Die Frage ist nur: Worauf glaubt sie, hätte ich ihr Hoffnungen gemacht? Wenn es nur um die Party geht, dann Okay. Bin ich vielleicht schuldig. Auch wenn's Mahdi war, der in meinem Namen zusagte, aber ich hätte an dieser Stelle wohl dagegen sprechen müssen, was ich nicht getan habe. Wenn sie sich allgemein wegen mir Hoffnungen macht, dann... bin ich eigentlich auch schuld. Ich hab zwar nie gesagt, dass ich was von ihr will, aber mich ihr gegenüber auch nicht so verhalten, als wäre dem nicht so. Scheiße, das ist verwirrend und abgefuckt.

Aus dem Augenwinkel warf ich einen Blick auf die Leute, die hier Basketball spielten, als sie mit ihrem Ball näher kamen. Ich war bereit mich zu verdrücken, sollte ich hier auf meiner Bank in die Schusslinie geraten.

Sie waren aber schnell wieder in einer anderen Ecke des Spielfeldes und so überlegte ich, was ich Emma schreiben könnte. Ob es 'ne simple Entschuldigung tut? Aber zu mehr als: Hi Emma, kam ich nicht, denn ich bemerkte auf der anderen Seite, dass sich jemand in meine Richtung bewegte und löschte ich den begonnen Text.

Jonas, mit Mahdi im Schlepptau. „Hallo“*, brummte ich und letzterer begrüßte mich mit: „Hallo, Verräter“, während ich schnell das Handy wegsteckte. „Hallo, man“, hörte ich es auch von Jonas, doch ich wandte mich leise brummend an Mahdi: „Verräter? Fuck...“

Wirklich richtig sauer klangen beide nicht und Mahdi blieb auch recht ruhig, wenn auch vorwurfsvoll, als er sagte: „Das war echt bescheuert von dir. Du lässt uns hängen. Was soll das?“

Hab zwar damit gerechnet, dass das Gespräch kommen würde, aber irgendwie auch gehofft, dass ich erst mal nur bei Jonas Rechenschaft ablegen muss. Er ist da wesentlich... umgänglicher. Ich atmete tief durch und antwortete dennoch: „Ja, sorry man. Aber... ja. Es war nur... einfach total stressig.“ Für mich zumindest. Zum Ende hin. Für Even wohl eher nicht... „Stressig? Was meinst du mit stressig?“, hakte Mahdi weiter nach und von Jonas hörte man auch nur ein zustimmendes: „Ja.“

Wie soll ich den Beiden bitte erklären, was gestern los war? Sorry, Bro's. Ich musste wissen, ob ich auf diesen echt heißen Typen stehe und ob der zufällig auch auf mich stehen könnte, weshalb ich euch und Emma stehen ließ? Wohl kaum...

Also wich ich dem Thema aus: „Ich arrangiere eine neue Party, Okay?“ „Ja, aber was für Stress?“, wollte Jonas unnachgiebig wissen. Er hatte diesen Gesichtsausdruck, den er immer hat, wenn er weiß irgendwas ist im Busch und man traut sich nicht damit rauszurücken. Doch das ging einfach nicht. Nicht mal bei ihm. Meine Stimme verschlug es auch sogleich, als ich ihm das erstbeste antwortete, was mir einfiel: „Also... da war nur was mit meiner Mutter.“ „Deine Mutter? Was ist mit ihr?“, kam es von Mahdi, für seine Verhältnisse fast schon besorgt.

Okay, ich glaube das läuft irgendwie wieder in eine Richtung, die ich nicht angestrebt hatte. Dass ihr irgendwas Schlimmes passiert wäre. Also sprach ich nach weiterer Überlegung: „Sie stresst rum.“ „Sie stresst rum?!“, wiederholte Mahdi ungläubig und erklärte: „Meine Mutter stresst rum, seit ich auf der Welt bin, bis zum heutigen Tag und du redest von Stress? Huh?“

Es wäre wirklich einfacher, er würde mich anschreien, dann könnte ich zurückschreien. Wonach mir im Moment echt war, aber sie können Beide nichts dafür, was gestern vorgefallen war und geholfen hätte es im Endeffekt auch nicht.

„Wie geht’s ihr?“, wandte sich Jonas vorsichtig an mich und ich konnte die Frage nicht mal wirklich ehrlich beantworten, selbst wenn ich wollte. Seit ich ausgezogen bin, haben wir uns weder gesehen, noch hab ich auf ihren Bibel-Scheiß geantwortet oder überhaupt geschrieben. Weshalb ich einfach das sagte, wovon ich ausging: „Ihr geht’s gut.“ Wenn das Thema damit vielleicht gegessen wäre, wäre ich echt dankbar. Und ausgerechnet Mahdi brachte einen Vorschlag zur Güte ein: „Arrangiere einfach eine neue Feier; Fall erledigt.“ Erleichtert sah ich zu ihm und hörte dann auch Jonas wieder in besserer Stimmung: „Ja, fett! Fall erledigt!“ Zwar war die Sache damit erst mal vom Tisch, was mir zunächst Luft zum Atmen verschaffte, aber wirklich gänzlich erleichtert war ich auch nicht, weshalb ich lediglich die Partyplanung bestätigte: „Erledigt.“

Jonas setzte sich zu mir und Mahdi auf die Bank, wir rückten extra ein Stück zusammen, damit alle Platz hatten. Nichts gegen die Jungs und schon gar nicht Jonas, aber wenn ich wirklich auf Männer stehen würde, also... so richtig schwul... wäre, müsste mir dann nicht einer abgehen, wenn zwei Typen so nah links und rechts neben mir sitzen? Das tut's gerade irgendwie nicht. So gar nicht. Aber bei Even kribbelts. Es hat gekribbelt. Heftig. Und das muss ich abstellen!

Er hat eine Freundin, also... Vergiss die Sache am besten gleich! Damit hat der Stress doch erst angefangen! Na ja, gut. Angefangen nicht, aber erheblich verschlimmert. Normalität, Isak!

„Jungs? Bock, morgen mit Mags bei mir einen Fifa-Abend zu machen?“, schlug ich also was 'nomales' vor und die Beiden waren spontan dabei. „Ich will am Nachmittag aber noch mal eine Runde mit dem Skateboard fahren, wenn ihr mit wollt. Wetter soll super sein“, ließ uns Jonas wissen und Mahdi stimmte zu: „Okay, nachmittags Skateboardbahn, abends Fifa!“ Ich nickte.

Früher waren wir öfter da. Seit Jonas und Eva nicht mehr zusammen waren, hat's beide mehr zu Partys gezogen und auf eben solchen begann mein Dilemma. Alle wollten Mädchen. Nur ich nicht. Ich wollte mein Leben chillen und mit Jonas abhängen.
 

Der nächste Tag verlief eigentlich relativ stressarm. Mit Emma wollte ich die Sache bei passender Gelegenheit doch lieber persönlich klären. Ich denke das kommt besser, wenn man sich von Angesicht zu Angesicht entschuldigen möchte, als nur eine 'Ja sorry, aber...' Nachricht.

Am Nachmittag auf der Skateboardbahn sahen wir Jonas bei seinen Sprüngen und Tricks zu. Hab zwar selber irgendwo bei meinen Eltern im Haus ein Board, aber ich war und werde nie so gut wie er, weshalb ich es lieber nicht weiter probiere, eh ich mir sämtliche Knochen breche. Aber er kann das wirklich gut, soweit ich das beurteilen kann. Es ist eben auch sein Ding. Sein Ventil gegen Stress, und er kriegt den Kopf dabei frei, wenn ihn was beschäftigt. Ich wünschte, ich hätte so ein Ventil als Hobby...

Magnus hatte für uns talentfreie Beobachter einen Fußball dabei, mit dem wir in der Zeit ein wenig hin und her kickten. Bin da zwar auch kein Meister vom Fach, aber ein bisschen was kann ich. Und das ohne befürchten zu müssen, mich äußerst schmerzhaft auf die Fresse zu packen. Auch wenn mir Konsolen-Fußball mehr liegt.

Eigentlich wollte ich fragen, was die Jungs am Freitag ohne mich gemacht haben, aber ich wollte die Sache mit der Party nicht wieder aufwärmen, also klemmte ich mir das. Hab den ganzen Tag allgemein nicht viel gesprochen. Wusste auch nicht wirklich, was ich sagen sollte und nach Reden war mir eh nicht.

Später, bei mir in der WG, hatten wir wieder mal ein Turnier gestartet, immer zwei gegeneinander. Eigentlich liebe ich das Spiel und meistens gewinne ich auch, aber nicht heute... Ich hatte irgendwie kein großes Interesse irgendwas zu gewinnen und so antwortete ich auf die Frage, wieso ich auf einmal so schlecht bin, dass ich den anderen auch mal 'ne Chance geben will, als eine Art Wiedergutmachung. Wurde mir scheinbar abgekauft.

Als das letzte Game zwischen den Finalisten Magnus und Jonas lief schoss ich ein Bild mit dem Handy. Um es später hoch zu laden. Dachte, das wäre vielleicht eine Geste des guten Willens.

Ganz knapp gewann Jonas und der Katzenknutscher schmollte gespielt: „Jungs, das ist nicht fair. Da spielt man einmal außer Konkurrenz von Isak und gewinnt trotzdem einfach nicht. Das ist wie im echten Leben. That sucks...“ Ich klopfte ihm auf die Schulter. Gewissermaßen konnte ich es ja verstehen, wie es ihm ging. Wir kriegen wohl beide nicht was wir wollen...
 

Montag, 17. 10.2016 – 3:03 Uhr

Spät in der Nacht, als die Jungs schon Stunden weg waren und ich auch vorhin schon duschen war, ließ mich bis eben noch von dem Schrott aus dem Fernsehen berieseln. Obwohl ich eigentlich längst schlafen sollte, es aber mal wieder nicht konnte. So lag ich wach in meinem Bett und starrte an die Decke. Meine Gedanken waren überall und nirgends, aber blöderweise immer wieder bei der Sache mit Even. Ich konnte es einfach nicht kontrollieren, darüber nach zu denken.

Mein Handy vibrierte unverhofft. Ich richtete mich auf und suchte in der Richtung aus der das Geräusch kam. Auf dem Boden hatte ich es nicht hingelegt... Im Regal fand ich es dann schließlich. Stimmt ja, da hab ich es liegen lassen, als ich das Bild mit den Jungs auf Insta* gepostet hatte. Mein Hirn ist derzeit echt wie ein Sieb.

Ich legte mich wieder ab und las die Nachricht. Von Mama... Das Übliche. Schwachsinn aus der Bibel. Genervt pfefferte ich das Telefon neben mir ins Bett. Selbst nach drei Uhr schickt sie mir diesen Mist! Wenn ich wenigstens wüsste was sie damit bezweckt. Irgend ein Muster oder so... Will sie mich irgendwie 'reinwaschen'? Weiß sie was? Woher sollte sie... Ich hab nie mit ihr über so was geredet und in letzter Zeit sowieso nicht. Da gibt’s auch nichts zu reden!

Was hätte ich ihr auch sagen sollen? Hey, ich steh irgendwie auf diesen Typen, aber ich bin nicht schwul.

Bin ich's? Bin ich's nicht? Keine Ahnung. Fuck! Im Internet muss doch 'ne Lösung stehen, verdammt. Da gibt’s für alles 'ne Lösung.

Ich holte meinen Laptop hervor und machte es mir gemütlicher. Facebook war schnell offen. Irgendwie ein Reflex, nachzusehen was andere so schreiben und Posten. Ich scrollte die Line weiter nach unten und stieß auf ein neues Bild, das Emma von sich hochgeladen hatte und betrachtete sie. Sie ist hübsch. Ja, aber ich werde ums Verrecken nicht heiß drauf.

Also schloss ich Facebook wieder und suchte so einen verfluchten Gay-Test aus dem Netz, nahm gleich den ersten Vorschlag, auch wenn er auf englisch war. Start the Test, klickte ich nach kurzer Überlegung, ob das hier überhaupt Sinn macht. Aber wann tat ich in letzter Zeit schon mal überhaupt irgendwas, was Sinn machte?

Die stellten da einen Haufen völlig beknackter Fragen wie, wie viel ich für meinen letzten Haarschnitt bezahlt habe. Gar nichts. Noora und Linn waren im Sommer so freundlich und seitdem wächst die Matte unaufhaltsam. Weniger als under $10 gab es aber nicht zur Auswahl, also nahm ich dies. Und was ein 'messenger bag' ist, kein Plan. Aber wenigstens konnte man das als Antwort, anklicken.

Die Fragen wurden allerdings nicht besser. Bei einer Frage, ziemlich am Ende des Tests, sollte ich mich zwischen Studio 54, Moulin Rouge, Woodstock und Nirvana's Reading Festival entscheiden. Ich gebe zu, ich spielte ganz kurz mit dem Gedanken Moulin Rouge anzuklicken. Aber nur weil ich wusste, dass es da diesen Film gibt, der von Baz Luhrman gemacht wurde und Even diesen Luhrman offenbar als Regisseur verehrt. Weshalb ich mich entschied, dieses auf keinen Fall zu wählen, sondern Woodstock. 3 Days of Peace & Music ist immer gut.

Der Test war dennoch im großen und ganzen... wenig hilfreich. 20% gay soll ich laut dem Ding sein. Doch interessanter war diese Zeile: You're definitely not gay, but you could be a little straighter if ya know what I mean darling. Keine Ahnung was ich davon halten soll.

Okay, kommen wir zum Eingemachten. Das Problem ist, ich muss Even aus dem Kopf kriegen. Ist sicher eh nur 'ne Phase... Dazu braucht es ein Mädchen und Emma bietet sich da gerade einfach an. Da müsste ich nicht mal groß zaubern. Doch wie schaff ich es, dass es mit ihr klappt?

In der Suchleiste gab ich also ein: How to get turn on by girls if you are gay. Da muss ja irgendwas bei rauskommen. Ich las mir die ebenfalls englischsprachigen Ergebnisse durch und klickte auf das, was auf dem ersten Blick am vielversprechendsten wirkte, scrollte mich durch die Beiträge und blieb an einem davon hängen: I get drunk and try to focus on what is attractiv about the girl. Works for me.

Puh... Attraktiv. Also... irgendwie... na ja. Sie sieht halt nicht wie die meisten anderen Mädchen an unserer Schule aus. Gefühlte 90% haben blonde lange Haare und sehen teilweise echt gruselig aus. Fake-Wimpern, Fake-Fingernägel, Fake-Haare, wer sich's leisten kann, sicher auch schon Fake-Titten. Mehr oder weniger hübsch verpackt unter den selben, viel zu teuren Klamotten, die auch fast Jede von denen hat und die gleichen Frisuren überall. Als ob da keine einen eigenen Geschmack hat. Rennen alle rum wie eine Kopie von der anderen. Und nicht zu vergessen: Ordentlich Spachtelmasse im Gesicht. Noch mehr Gründe, wo ich's nicht checke, wie die Jungs nur drauf abfahren können. Emma hebt sich optisch da schon sehr ab, mit ihren kurzen dunklen Haaren und dem dezentem Makeup. Also kann man doch sagen, dass das attraktiv an ihr ist.

Ein Blick auf die Uhr ließ mich die Augen verdrehen. Wieder so viel Schlafenszeit verstreichen lassen. Was soll's. Hätte ja sowieso nicht pennen können.
 

Montag, 17.10.2016 – 11:53 Uhr

Purer Stress! Ich hatte am Morgen fast verpennt und keine Zeit mehr gehabt den Schulkram, den ich heute nicht brauchen würde aus dem Rucksack zu räumen. Was zum einen die Last mindert und zum anderen meinen Spind nicht so überlädt. Hatte mir vorm Unterrichtsbeginn zwei brühend heiße Becher Kaffee aus dem Automaten hinter geschüttet, dabei auch die Zunge verbrannt und während der kleinen Pausen zwischen den Stunden trank ich ebenfalls Kaffee, weshalb ich gegen Ende der großen Mittagspause endlich hellwach war und mit dem Inhalt meines Spindes kämpfte. Ich hatte weder Zeit noch Lust den ganzen Mist ordentlich darein zu legen, schob und drängelte meine Blöcke da rein und alles was rein sollte flog wieder raus. Am liebsten hätte ich den ganzen Scheiß mit dem Fuß rein getreten.

Ich versuchte meine heruntergefallene Mappe auf dem Fußrücken irgendwie zu balancieren, da ich beide Hände mit anderem Krempel voll hatte. Sie rutschte dennoch auf den Boden. Ich hob das Scheißteil auf und probierte es noch mal mit Anlauf, den Kram rein zu kriegen, während mir die losen Zettel weg flogen. Auch diese sammelte ich wieder auf, steckte sie in den Block den ich nicht brauchte und versuchte die Tür zu zu kriegen. Es ging einfach nicht und so langsam geriet ich in Stress. Ich ließ los und die Tür schnippte wieder auf. Angepisst unternahm ich einen weiteren Versuch. Dass mein Schal da noch drin lag, machte die Sache sicher nicht einfacher. Doch wieder wollte diese verfluchte Tür nicht schließen.

Mitten in meinem persönlichen Disput mit dem Schrank tauchte Vilde auf: „Hi!“ „Kannst du das mal halten?“, entgegnete ich ihr und drückte ihr den Kram in die Hand, den ich in der nächsten Stunde brauche, aber eigentliche gerade keine Hand frei hatte, um das auch noch festzuhalten. Sie nahm es an sich und trug ihr Anliegen vor: „Ich will die Einladung raus schicken und dich fragen, ob wir das Vorglühen etwas früher machen können?“ What? Vorglühen? Ach ja, der Scheiß... Den Kosegruppen-Mist hatte ich verdrängt. Da taucht womöglich Even auf und da hab ich auch noch keinen Plan, wie ich damit verfahren soll. Jetzt, wo wir zudem ein Team sind.

Gerade hatte ich es geschafft all den Krempel in meinen Spind zu drängeln und die Tür zu verrammeln, als ich ihr meine Entscheidung dazu mitteilte: „Nein. Ich werde kein Vorglühen machen!“ Das würde mir noch fehlen...

Vilde schaute mich ungläubig an: „Wieso nicht?“ Irgendwas plausibles antworten, Isak! „Ich kann nicht, weil ich mit anderen Menschen zusammen lebe und die wollen keine Party machen“, erklärte ich also und befand das eigentlich für einen wirklich guten Grund. Wäre da nicht das Problem, dass nahezu jeder in meinem Umfeld mit meinem Mitbewohner befreundet ist: „Aber ich habe mit Eskild gesprochen und er sagt, dass es klar geht.“ Shit... Okay, dann eben: „Natürlich sagt er das, aber ich habe mit Linn gesprochen, eh.. u-und Linn will keine Feier bei uns haben.“ Meine Lügenkünste waren schon mal überzeugender, glaube ich. Denn auch Vilde ließ sich damit nicht umstimmen: „Ehrlich gesagt Isak, was will Linn eigentlich? Linn will gar nichts. Linn ist zutiefst deprimiert. Du solltest mehr Verantwortung übernehmen, damit sie mal ein bisschen sozial eingebracht wird!“

Untergebuttert stand ich nun da. Sie drückte mir meinen Krempel mit Nachdruck wieder in die Hände und verdeutlichte noch einmal: „Übernimm Verantwortung! Freitag um sechs Uhr geht es los!“

Wortlos ließ ich sie von dannen ziehen und wagte es kaum noch irgendein Widerwort zu geben, als sie an mir vorbei rauschte und ich noch immer ziemlich geplättet hinter her sah.

Was hab ich nur getan, dass alle Welt gegen mich ist..?

Die Tür fiel hinter Vilde zu und in selben Augenblick bemerkte ich, dass weiter hinten im Flur Emma an ihrem Spind zugange war. Okay, wenn ich schon diese dämliche Party machen muss, dann kann ich es wenigstens noch mal versuchen irgendwie mit Emma klar zu kommen.

Ich überlegte einen Moment wie ich das anstellen könnte. Immerhin schulde ich ihr ja noch eine Erklärung, oder wenigstens eine Entschuldigung. Aber vielleicht sollte ich es einfach tun, wie ich es immer tue. Witz, Charme und Lächeln. Ja, meine bisherige Erfolgsquote gibt mir da Recht. Auf geht’s!

Langsam und vorsichtig pirschte ich mich heran, lehnte mich an die Schränke und versuchte es als Einleitung mit einem simplen: „Hi!“ Sie sagte nichts, sah mich nur an und wartete scheinbar auf mehr als nur das. Ich wich ihrem Blick aus und fluchte leise: „Shit.“ Doch irgendwas musste ich bringen, sonst ist sie weg und ich am Arsch. Witz, Charme und Lächeln!

„Hey, ich habe mich was gefragt... Ich brauche einen Rat, sozusagen. Weil, da ist dieses verdammt süße Mädchen aus der ersten Stufe und ich hab es geschafft sie echt richtig sauer zu machen“, begann ich also und sie schien zumindest zuzuhören, nicht auszuflippen oder mich sonst wie abblitzen zu lassen. Es konnte also gar nicht so falsch laufen, weshalb ich weiter machte: „Sie hat auch guten Grund dazu, weil ich ein Versprechen total verbockt habe. Das war nicht nett. Also, was ich fragen wollte, denkst du ich sollte mich erschießen?“ Sie sah wieder zu mir und, yes, sie lächelte! Daher setzte ich fort: „Oder wird sie mir vielleicht vergeben? Es ist Okay, wenn sie das erst in zwanzig Jahren tut, Hauptsache sie tut es irgendwann.“ Und sie lächelte noch mehr, bevor sie endlich etwas sagte: „Trottel.“ „Ein Trottel? Du hältst mich für einen Trottel?“, hakte ich weiterhin möglichst charmant lächelnd nach und sprach: „Fuck, dann sind da schon zwei Mädchen die, mich für einen Trottel halten. Die Süße und dann du.“

Emma ist total drauf angesprungen und sie hatte einen Gesichtsausdruck als wollte sie mich töten, aber sie konnte gleichzeitig auch nicht aufhören breit zu grinsen. „Oho, wolltest du versuchen mich mit dem Blick killen? Echt jetzt? War es das, was du vor hattest?“, neckte ich sie weiter und lief ihr hinter her, als sie sich in Bewegung setzte. Die Masche, sie zu necken, hatte ja schon ganz am Anfang bei Evas Party bei ihr gezogen, wieso sollte das nicht auch jetzt der Schlüssel zum Erfolg sein? „Bin ich wirklich so ein Trottel? Denkst du das echt?“ Ich musste jetzt einfach dran bleiben, wenn die Sache irgendwie erfolgreich verlaufen soll. Vielleicht wird’s ja wirklich was. Wer weiß das schon.

„Das mit uns, zu dritt, geht übrigens klar“, sprach sie und ich wusste nicht was sie meinte: „Huh?“ „Du, ich und dein Freund? Dieser Typ letztens?“, klärte sie mich auf und mir fiel es wieder ein. Oh Shit, ja.„Yay“, entgegnete ich ihr und versuchte zu lächeln. Das hatte ich irgendwie nicht bedacht. Soviel zu meinem Plan, Even aus dem Weg zu gehen, um ihn aus meinem Schädel zu kriegen.

„Die Blonde, die die Gruppe leitet, ist die wegen irgendwas angepisst oder so?“, fragte sie mich und ich zuckte mit den Schultern: „Nein, keine Ahnung.“ Wenn, dann vermutlich nur weil laut Vildes Auffassung die Leute nach System miteinander zu schlafen haben, aber sonst... „Vergiss das einfach“, lächelte ich, denn wenn ich das richtig in Erinnerung habe, von dem was Eva Jonas erzählte und was davon wiederum bei mir ankam, dann hatte Vilde in der ersten Stufe selbst was mit einem aus dem letzten Jahrgang. Und der wiederum ist jetzt mit Noora zusammen.

„Aber ihre Freundin, die mit dem Kopftuch, hat gesagt, dass es Okay ist, wenn wir zu dritt sind“, erklärte sie mir. Ich nickte verstehend und wollte mich dann so langsam selbst auf den Weg in meine eigene Klasse machen: „Ich muss dann mal. Englisch und so.“ „Cool. Bis dann“, hörte ich es im gehen von ihr und so beeilte ich mich lieber.

Immerhin. Wenigstens scheint die Sache mit Emma offenbar doch nicht ganz gelaufen zu sein. Auch wenn ich noch nicht so ganz weiß, wie ich das hinkriegen soll. Auf lange Sicht.
 

Mitten im Unterricht schickte mir Vilde eine Nachricht, dass sie mit Linn und Eskild gesprochen und sich doppelt abgesichert hätte, dass die Vorfeier bei mir zu Hause kein Problem darstellen würde. Nicht, dass ich noch dran geglaubt hätte, davon zu kommen. Sie würde wohl auch gleich die Einladungen raus schicken und wollte zudem noch wissen, ob wir bei uns in der WG Neon-Accessoires hätten. Gleich passend für das Thema der anschließenden Revue-Party. Begeistert war ich von der Sache nach wie vor nicht, weshalb ich mich in diesem Gespräch auch nur für Antworten erwärmen konnte, die maximal aus ein bis zwei Worten bestand. Da ich nicht wüsste, dass wir irgendwelchen neonfarbenen Kram hätten, verneinte ich ihre letzte Frage, woraufhin sie schrieb, dass sie sich darum kümmert und der Unfug nicht auch noch an mir hängen bleibt.

Na, klasse. Ich renne nicht in Neon rum! Ganz bestimmt nicht!

Später an diesem Tag, hatte ich so gut es ging die Sache verdrängt, die mich diesen Freitag erwarten würde. Ich saß mit den Jungs bei Jonas zu Hause und wir sahen uns einen Film an. Zum dritten mal: Fight Club. Die ersten beiden Male waren ja noch ganz Okay, aber langsam langweilt es. Unbeeindruckt hing ich am Handy und stalkte mich von einem Facebook-Profil zum nächsten. Ohne eine gewisse Person dabei gezielt zu suchen.

„Ist euch eigentlich mal aufgefallen, dass in jeder verdammten Szene ein Becher von Starbucks zu sehen ist?“, warf Magnus seine Beobachtung in den Raum. „Kann sein. Hab nicht drauf geachtet“, brummte ich und im Grunde war das ja auch so. Wenige Minuten später erschreckte ich mich beinahe, als er aufsprang und sich die Fernbedienung griff: „Da da! Schon wieder!“ Er spulte extra den Film zurück, unter Protest von Jonas, der sich den Streifen nur ganz entspannt rein ziehen wollte.

Gelangweilt googelte ich dem Anlass entsprechend spontan nach Starbucks und fand weiter unten ein Bild von einem Schild. „Jungs!“, verschaffte ich mir die Aufmerksamkeit, der Anwesenden und las meinen Fund vor: „If you don't remember her name in the next morning take her to starbucks.“ „Versteh ich nicht“, hörte ich es von Magnus und Mahdi entgegnete ihm: „Du trinkst ja auch keinen Kaffee.“ „Die verkaufen nicht nur Kaffee. Auch Saft und so'n Zeug“, erklärte Jonas und abermals sprach der Katzenknutscher: „Ich versteh's trotzdem nicht.“ Ich musste grinsen und erklärte ihm: „In Starbucksläden fragen sie nach deinem Namen, damit sie ihn auf den Becher schreiben können. Um es persönlicher zu machen, oder so.“ Mags schien die Information einen Moment zu verarbeiten, eh er wissen wollte: „Und wenn sie ihren Namen am nächsten Morgen selbst nicht mehr weiß?“ „Dann warst du wohl einsame Spitze im Bett!“, beantwortete Mahdi die Frage und ich ergänzte zynisch: „Oder sie war total betrunken...“ Immerhin konnte Jonas darüber lachen.
 

Mittwoch, 19.10.2016 – 13:43 Uhr

Auch an diesem Nachmittag wurde der Unterricht vorzeitig beendet. Da es sich diesmal um eines der wenigen Pflichtfächer auf dem Stundenplan handelte, die jeder belegen musste, hatten wir demnach auch alle vier nun nichts zu tun und überlegten, was wir mit der Zeit anfangen könnten, bis zur nächsten Stunde. „Oh, verdammt. Ich weiß!“, kündigte Magnus seine Idee an, von der ich schon vor der Bekanntgabe irgendwie ahnte, dass ich nicht viel von halten werde. „Ihr wisst doch, unten dieser Raum, wo sie uns reinlassen, wenn es draußen stürmt. Da proben diese Tanz-Chicks!“, sprach er euphorisch und ich zuckte ahnungslos mit den Schultern: „Ja, und?“ „Na, ich bin da letztens zufällig rein gestolpert. Ich glaube, die müssten da jede Woche proben! Also auch jetzt!“, führte er weiter aus und Mahdi war der erste der aufsprang: „Nichts wie hin, Brüder!“ Als sich auch Jonas von meinem Tisch erhob und den anderen hinterher lief, schnappte ich meinen Krempel und folgte ihnen wenig begeistert.

Dort angekommen, hörte man schon von außen die Musik. „Jungs, willkommen im Paradies!“, raunte uns Magnus zu, öffnete die Tür und schritt voran. Ich trat zwar als letzter ein, aber war auch der erste, der sich einen Platz suchte, um irgendwo meinen Rucksack abzustellen. Der war schnell gefunden: Eine Bank unter einem Fenster, in welches ich mich auch sogleich setzte. Die anderen Drei könnten sich nur schwer von dem dargebotenen Anblick lösen, doch zumindest Jonas setzte sich zu mir aufs Fensterbrett, eh auch die anderen beiden folgten und sich auf der Bank niederließen.

Keiner der Jungs sagte ein Wort. Sie starrten nur nach vorne und auf die Mädchen. Gelangweilt, von dem was ich sah, versuchte ich auch irgendwas Interessantes daran zu finden. Keine Ahnung, vielleicht kann ich mit Tanzen einfach nichts anfangen. Oder es liegt daran, dass auch hier wieder eine Armee aus blonden, künstlichen Klonen vor mir rum hampelte. Once again: Ich check's nicht, was daran toll ist. Kann mir das vielleicht mal irgendwer erklären?

Beim Schlusstakt schwebte plötzlich ein Typ ins Bild, der wahrscheinlich so was wie der Trainer sein musste: „Gute Arbeit!“, rief er, während seine Mädels ihre Haltung lockerten. Magnus und Mahdi klatschten begeistert, während dieser Kerl da vorne dem Klon-Trupp etwas erklärte: „Nun, es ist so: Wir brauchen nur sechs Tänzerinnen für die Revue, also werden wir es euch in dieser Woche noch wissen lassen. Danke.“ Die Gruppe löste sich auf und dieser Vogel da drehte sich in einer geschmeidigen Bewegung zu uns rum: „Show ist vorbei, Jungs.“ Magnus applaudierte erneut, aber diesmal als einziger und er kramte sein ganzes Repertoire an Komplimenten dafür hervor: „Verdammt gut. Bravos! Wow“, während nun auch der Trainer von dannen zog.

Und dieser Typ ging mir auf die Nüsse, man! Moah...

Ich fuhr mir genervt durch die Haare und ließ meinen Frust ab, als ich Jonas ansprach: „Muss der denn so schwul sein?“ „Huh?“, hörte ich es mit leichtem Entsetzen in der Stimme von meinem Kumpel und so erklärte ich ihm, was ich meinte: „Hast du es nicht gesehen? Der war ultra-homo.“

So ganz weiß ich auch nicht, wieso das jetzt so aus mir raus sprudelte. Ob ich einfach nur genervt war von mir selbst, dem Spektakel hier und dem Aufriss, der immer über irgendwelche Mädchen gemacht wird, oder weil der Typ das so offen zur Schau stellt oder was immer es ist. Aber irgendwie musste es jetzt wohl raus.

Nun, da es raus war, war es vielleicht auch ganz gut zu testen wie Jonas darauf reagiert. Verständnislos fragte er mich: „Was geht mit dir ab, dass du Leute disst, die schwul sind?“ „Ich hab ihn nicht gedisst. Aber du konntest es doch sehen“, entgegnete ich dem und noch immer schien Jonas mein Problem nicht zu verstehen: „Ja, aber... du weißt mich nur darauf hin, dass er schwul ist? Großartige Beobachtung, Isak.“ Irgendwie wusste ich nun selbst nicht mehr was eigentlich gerade Sache und der Streitpunkt des Themas ist, weshalb ich ihn fragte: „Was geht mit dir?“ „Mit mir?“, hakte er ungläubig nach und ich sagte: „Du bist so angepisst.“ „Huh?! Ich?“, kam es schockiert von ihm und er drehte sich angesäuert weiter zu mir um, bevor ich bestätigte: „Ja!“ „Du bist es, der hier ständig verdammt grantig ist!“, sprach er und ich schaute ihn nun erst recht böse an: „Grantig?“ „Ja! Wenn wir in den Klassenraum kommen, dann bist du so...“, er unterbrach sich selbst, da zum einen die Pause begonnen zu haben schien und zum anderen Leute an uns vorbei gingen. „Wovon zur Hölle redest du da?“, fragte ich etwas leiser, ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was er meinen könnte.

„Hallo“, drang plötzlich eine Stimme an mein Ohr, die ich eigentlich vor hatte zu vergessen. Even stand genau vor uns und zog sich ein Cap vom Kopf, warf es mir in den Schoß und sagte: „Das hast du letzten Freitag vergessen.“ Oh shit. Oh f... Even schaute von mir zu Jonas und wieder zurück, als er fragend die Augenbrauen hob: „Gehört dir, oder?“ Ich war nicht in der Lage auch nur irgendwas zu sagen, nahm nur das Cap in die Hand und starrte völlig erschlagen Even an. Man könnte nicht mal sagen, dass meine Gedanken rasten. Es war einfach ein heilloses durcheinander in meinem Schädel. Eben noch die Meinungsverschiedenheit mit Jonas, jetzt Evens allgemein umhauende Präsenz und die Sache, dass ich Freitag bei ihm war, statt zu Hause, wie ich es den Jungs erzählt habe.

Oh mein Gott.

Während ich Even weiter tonlos ansah, meldete Jonas sich zu Wort: „Ich denke, das ist meine.“ Woraufhin ich zumindest mal kurz in das irritierte Gesicht meines besten Freundes sehen konnte, jedoch noch immer nicht wusste, was ich sagen soll. „Wo vergessen?“, fragte Mahdi und ich hatte noch immer keine Antwort. Hilfesuchend schaute ich wieder zu Even hinauf, er sah mich an und rettete mir den Arsch: „In der Kantine.“ Für einen Sekundenbruchteil lang schaute er noch zu mir, bevor er ohne weiteres weg ging.

Mein Herz wummerte in diesem Augenblick und ich war froh, dass das niemand hören konnte. Keine Ahnung ob aus Erleichterung, Stress, wegen Even oder eine Kombination davon. Mit fragendem Gesicht schaute Magnus zu mir nach oben und dann in die Richtung in der Even verschwunden war, auch die anderen beiden sahen mich ratlos an. „Wer war der Typ?“, wollte Jonas wissen und ich musste schnellst möglich meine Fassung wieder kriegen, als ich seinem Blick auswich und erklärte: „Ach der... Er ist nur so ein... Revue-Nerd aus Vildes Gruppe.“

Ich kann nicht sagen, wie sehr ich hoffte, dass die Sache sich damit erledigt hätte und als hätte man mich und meine Not einmal erhört, riss nun Mags die Aufmerksamkeit aller an sich: „Oh verdammt! Mein Traum gestern. Fuck!“ Es musste ja etwas ganz besonderes sein, wenn er darum so einen Wind macht. „Da war Vilde, sie war so ein Domina-Sado-Chick und hat mich bestraft, weil ich mit einer aus der ersten Stufe rumgemacht hab.“

Mit solchen Dingern, schaffte es Magnus die Stimmung von einem Moment zum nächsten komplett umzukrempeln und gerade war ich äußerst dankbar um dieses Talent.

Wir mussten alle lachen. Sogar ich. Allein die Vorstellung. Magnus war offenbar sehr geflasht von seinem nächtlichen Erlebnis: „Der krankeste Traum, den ich je hatte! Total krass.“ Ich warf Jonas den selben irritierten und grinsenden Blick zu wie er mir. „Du bist krank, man“, lachte Mahdi, eh er genauer nachfragte: „Domina? Oder was meinst du?“ „Domina... ja, ich weiß doch auch nicht, wie ich's nennen soll“, schien der Katzenknutscher zudem sichtlich verwirrt von seinem Traum, weshalb wir ihn fragten was genau sie denn gemacht hatte. „Sie war total bossy. Ich hab gar nichts getan! Ich weiß echt nicht...“, erzählte er mitgenommen. „In schwarzen Klamotten, oder so?“, hakte ich belustigt nach und er bestätigte: „Ja! Mit 'ner Peitschen und allem.“

Okay, mit der Nummer hatte der Cat-Boy den Tag gerettet und vor allem auch meine Stimmung gehoben. Ich konnte nicht mehr an mich halten bei der Vorstellung, wie Vilde mit 'ner Peitsche auf Mags los geht und lachte lauthals: „Das war Crazy.“ „Du hast echt komische Fantasien“, stimmte nun auch Jonas zu, eh er auf die Uhr sah: „Oh, fuck. Wir müssen los!“ Damit hatte sich die Versammlung an diesem Fenster unter giggeln hier und da aufgelöst und jeder ging in seinen Kurs. Den letzten für heute. Gott sei dank.

Magnus war auch der erste, den ich nach Schulschluss wieder antraf. Wir warteten noch einen Moment im Flur auf die anderen beiden. Was immer da nur immer so lange dauerte bei Denen..?

Wir ließen uns auf der Treppe nieder, nachdem die meisten Leute durch waren und das Gebäude so gut wie leer zu sein schien. Schweigend sah ich zu dem Fenster hier im Flur, wobei mir unweigerlich das Gespräch von vorhin wieder einfiel und ich grinsend den neben mir Sitzenden fragte: „Sind Katzen jetzt eigentlich aus deinem Beuteschema gestrichen?“ Magnus lachte: „Ich lege mich da nicht fest, ich bin offen für alles“, sprach er, während ich mein Telefon vor kramte und auf die Uhr sah, bevor ich nachhakte: „Alles?“ Er boxte mich nicht gerade doll an die Schulter und korrigierte seine Aussage: „Okay, vielleicht nicht alles, aber vieles. Warum sich festlegen?“ Gute Frage, eigentlich. Ich richtete die Kamera meines Handys auf ihn und entgegnete dem: „Sag du's mir, Sado-Mann.“ Er antwortete nicht, sondern nutzte die Gelegenheit mal wieder zur Selbstdarstellung. „Okay, zeig mir wie du deine Domina erobern willst“, giggelte ich und er zupfte sein Shirt am Kragen Richtung Nippel nach unten, in diesem Moment schoss ich ein Foto und überlegte, ob ich das nicht lieber wieder lösche, statt zu posten. Vielleicht kommen die Leute nur wieder mit blöden Kommentaren... „Das ist gut!“, tat er seine Meinung kund und ergänzte: „Behalt das!“ Wenn er meint..

Ach scheiß auf blöde Kommentare! Ich tu hier einen Freundschaftsdienst und nichts weiter. „Lassen sich Dominas eigentlich erobern?“, fragte er mich, nachdem ich mein Smartphone wieder weg gesteckt hatte und ich seufzte: „Woher soll ich das wissen? Ich will's auch gar nicht. Steh ich nicht so drauf.“

Endlich kamen dann auch die anderen Zwei und wir konnten uns vom Acker machen.
 

Am Donnerstag, dem Tag vor dieser dämlichen Revue-Party, für die wir nun definitiv bei mir vorglühen werden, meldete sich Emma abends bei mir und schrieb wie cool sie das findet, dass ich das mache, und auch wie toll das ist, dass ich in einer Wohngemeinschaft mitten im Zentrum von Oslo wohne. Stimmt schon. Die meisten in meinem Alter wohnen noch bei ihren Eltern und das auch eher etwas ruhiger am Rand, als mitten drin im Geschehen. Ja, das ist schon nice, antwortete ich ihr also und wollte auch gleich wissen: Kommst du? - Ja!, kam es begeistert von ihr zurück. Gut. Dann kann ich ja mit meinem Plan fortfahren, egal ob Even da aufkreuzt oder nicht.

Wieso denk ich schon wieder an Even? Es ist echt zum Kotzen, dass ich ihn nicht aus dem Schädel kriege...

Wollte der mir nicht letzten Freitag Musik mitgeben? Ja, aber wie hätte er das tun sollen, nachdem ich abgerauscht bin und ihm auch nicht schreibe, sodass er meine Nummer hätte und mir was schicken könnte. Und als er mir letztens das Cap gebracht hat, war ich auch nicht gerade nett... Ich war ein Arsch, eigentlich, und dabei hatte er mir mal wieder den Arsch gerettet.

Da noch massig Zeit war, bis Schlafen angesagt ist, klickte ich mich durch Wikipedia und Youtube auf der Suche nach diesem Nas, von dem Even so geschwärmt hat. Ich fand Playlists seiner Alben und während diese liefen, durchforstete ich das Internet nach Daten. 1994 erschien sein erstes Album Illmatic, also noch eine Weile vor meiner und auch Evens Existenz. Wenn ich mich recht entsinne gibt’s einige Dinge, auf die er steht, die es schon vor seiner Zeit gab, oder er noch zu klein gewesen sein musste, um sie damals aktuell bewusst mitzukriegen. Er hat sich also unabhängig von irgendwelchen gegenwärtigen Trends mit dem beschäftigt, was ihm aus der Seele spricht und rennt nicht mit der Masse mit, nur weil's eben alle anderen auch machen. Er ist definitiv kein Klon.

In meiner Stundenlangen Recherche fand ich auch den einen Song von Nas mit Amy Winehouse, von dem er sprach. Zugegebenermaßen ich wollte ihn mir eigentlich nicht anhören, aber tat es denn doch.

Allgemein hatte ich das Gefühl über einige der Songs etwas mehr über Even zu erfahren. Shit! Ich wollte nur Musik hören, um mitreden zu können. Und was mache ich? Mal wieder alles um Even drehen lassen. Ich bin erbärmlich...

Und wie die Zeit rast! Eben war es noch halb neun und jetzt schon wieder gegen Mitternacht. Weshalb ich den Laptop zuklappte und das Licht ausschaltete. Nur um wenig später mit offenen Augen ins Dunkel zu starren und mich zu fragen, was Even wohl gerade tut. Ob er auch noch wach ist, oder schläft, oder Toast isst, oder seine Freundin fickt...

Das muss aufhören!

Als würde mich allein der Abend am folgenden Tag nicht schon genug unter Druck setzen, mein Vorhaben mit Emma umzusetzen, hatte mich Vilde heute schon drei mal im Flur und auf dem Schulhof abgefangen und gefragt, was an Alkohol da ist, welche Musik wir verwenden oder ob wir irgendwelche Häppchen machen könnten. „Eskild hat nur für unsere WG Bier besorgt, wer Trinken will, muss selbst was mitbringen. Wenn du Häppchen willst, musste die auch selbst machen und Musik werden wir schon finden“, teilte ich ihr mit, eh sie ihrem Partyplan-Kram Ruhe gab und sich schon eine halbe Stunde früher anmelden wollte. Aber diesmal blieb ich eisern. Sechs Uhr wurde abgemacht. Bei sechs Uhr bleibt es! Zumindest was mich betrifft.

Nachdem der Unterricht am Nachmittag für diese Woche endlich vorbei war, ich zu Hause angekommen auf mein Bett fiel und an die Decke sah, vibrierte kurz darauf mein Handy. Mahdi fragte in der Chatgruppe was wir heute Abend machen. Jonas antwortete ihm, dass er zum Bowlen will, aber erst später. Er wollte auch, dass ich mit komme, doch ich musste leider absagen. Abgesehen davon, dass die Jungs nicht wirklich von der Veranstaltung heute Abend bei mir wusste, war außerdem heute mein Waschtag, wo ich an der Reihe bin meine Klamotten in die Maschine zu werfen. Zwar hatte sich noch nicht soviel angesammelt seit dem letzten mal, aber da ich keinen Plan hatte, wie das heute Abend mit Emma laufen würde, zog ich es vor lieber mein Zimmer noch aufzuräumen und die paar Sachen gleich zu waschen.

Ganz davon abgesehen, dass mir dieser Gruppen-Mist peinlich ist, haben die Jungs sowieso kaum eine Gelegenheit ausgelassen, mich wissen zu lassen, wie lame sie das finden, also brauchte ich auch gar nicht dran denken zu fragen, ob sie kommen wollen.

Magnus schien aber zumindest von der Revue-Feier zu wissen, entschied sich aber dazu am Nordstrand zu bleiben und mit ein paar anderen Fußball zu spielen. Er fragte ebenfalls, ob wir kommen wollen. Da ich nicht scharf drauf war, dass die Jungs wussten, dass ausgerechnet bei mir vorgefeiert wird, für diese Revue-Party, auf die Mags sowieso nicht wollte, schrieb ich also, dass ich zu Hause chille und legte anschließend das Telefon wieder weg. Sammelte meine getragenen Sachen ein, trabte damit in den Keller und während die Waschmaschine unten ihre Arbeit tat, sprang ich unter die Dusche.

Mit allem fertig, hatte ich anschließend noch eine gute Stunde Ruhe. Man hörte Eskild aber im Wohnzimmer schon die Möbel an den Rand rücken und seine Anlage baute er auch gleich mit auf.

Ich stellte das Bier kalt und gönnte mir auch gleich eines. Angesichts meines Vorhabens, ist es sicher keine schlechte Idee, fürs Vorglühen vorzuglühen. Ein paar Plastikbecher fanden sich im Küchenschrank auch noch an.

Kurze Zeit später klingelte es auch schon und Vilde stand mit 'nem Haufen Tüten viel zu früh auf der Matte. Augen verdrehend öffnete ich ihr und ließ sie in die Wohnung. Sie stellte ihren Kram ab und betrachtete mich von oben bis unten: „Willst du dich noch umziehen?“ Meine Stirn legte sich in Falten: „Nein, wieso?“ „So wirst du doch nicht zu einer Neon-Party gehen wollen?“, fragte sie entsetzt und ich zuckte mit den Schultern: „Gibt's da einen Dress-Code oder was?“ „Neon, Isak! Zieh dir was anderes an, als grau und schwarz!“, machte sie eine Ansage und da ich wusste, dass ich kaum etwas entgegen setzen könnte. Ich atmete tief durch und setzte mich in Bewegung. Langsam weiß ich woher Magnus Domina-Fantasien ihren Ursprung fanden...

Vor meinem Schrank blieb ich stehen und durchforstete meine Klamotten. Mit Neon konnte ich auf keinen Fall dienen. Vielleicht geht ja weiß. Oder, das hier! Ich zerrte ein Shirt hervor. Schwarz mit weißem Schriftzug: I'm Illuminati. Illuminati – die Erleuchteten. Leuchten... Neon. Was passenderes werde ich nicht finden.

Schnell zog ich mich um und ging wieder zu den anderen. Vilde inspizierte mein neues Outfit kritisch und war sichtlich unzufrieden damit. „Warte“, sagte sie und drehte sich weg, pfriemelte an irgendwas herum, was vor ihr auf dem Tisch stand und drehte sich anschließend wieder zu mir. Ich konnte grade noch sehen, dass sie pinke Farbe an ihren Daumen hatte, eh sie mir eben diese über die Wangen strich. „Was zur Hölle...?“ „Das sieht schon besser aus!“, kam es begeistert von ihr und ich gab mich auch hierbei geschlagen.

Sie verschwand anschließend in unserem Bad, um sich selbst in Neonfarbe zu dekorieren, während schon Eva, Sana und ein paar andere hier einflogen. Nachdem Vilde mit sich selbst fertig war, fiel sie über Linn her und im Anschluss verschwand Eskild im Bad, um sich seine pinke Perücke aufzusetzen, die er extra für diesen Anlass besorgt hat.

Kurze Zeit später waren dann die meisten Leute da und auch Emma schlug hier auf, weshalb ich mich lieber mit dem Bier tanken beeilte. Vilde war eifrig dabei alle eintreffenden Gäste mit leuchtender Farbe zu beglücken, wenn diese noch nicht bemalt oder mit irgendwelchen knallbunten Mist behangen waren. Sie reichte die Farbe, Knicklichter und andere Kram auch herum, damit ja niemand entkommen konnte.
 

Freitag, 21.10.2016 – 19:20 Uhr

Ich hatte mein Bier, inzwischen auch einen groben Plan, gute Laune und sogar etwas Enthusiasmus mein Vorhaben umzusetzen. Emma ließ sich nun zu meiner linken auf dem Sofa nieder und erzählte mir gleich, wie sie mit ihren Freundinnen auf dem Weg hier her eine Flasche Sekt geleert hatte. Auch ich ließ sie wissen, dass ich bereits mein drittes Bier habe, weil ich ebenfalls schon vorher angefangen habe. Weniger aus dem Grund, dass ich mich tierisch auf die Party gefreut hätte, als mehr, dass ich Angst hatte die ganze Sache wieder zu vergeigen und so ein Bierchen die Nerven beruhigt.

Okay, Isak. Los geht’s. Lass dir einfach ein gutes Thema einfallen, worüber man ausschweifend reden kann und der Rest sollte von selbst flutschen.

„Was hörst du so für Musik?“, fragte ich sie also bei der nächsten Gelegenheit und war mir eigentlich sicher, dass man damit fast nichts falsch machen konnte. Immerhin war das eines der Themen, über die ich mit Even auch verdammt gut reden könnte. Warum sollte das hier nicht genauso gut laufen?

„Das ist 'ne schwere Frage“, antwortete sie und schien kurz zu überlegen, bevor sie weiter sprach: „Meine Lieblingsmusik ist... Justin Bieber!“ „Oh mein Gott“, war das einzige was mir dazu einfiel. Ich rieb mir die Nasenwurzel und versuchte dennoch weiter zu lächeln. „Ist das schlimm?“ wollte sie wissen und ich brummte: „Ja...“ „Oh nein!“, giggelte Emma und ich sprach: „Ich kriege Kopfschmerzen.“ „Du kriegst Migräne von Justin Bieber?“, witzelte sie weiter, ich bestätigte: „Ja, Migräne.“ Nichtsdestotrotz, das Gespräch lief, wenn auch nicht ganz optimal, was ihren Geschmack angeht.

Als Emma sagte: „Eine chronische Justin Bieber Migräne“, sprach ich und teilte ihr gespielt ernst mit: „Ich gehe“, während die neben mir Sitzende amüsiert lachte. „Moment. Ich kann nicht gehen, ich wohne hier. Du musst gehen“, scherzte ich also weiter und sie fragte ebenso gespielt entsetzt: „Ja? Du schmeißt mich raus, weil ich ihn mag?“ Ich nickte, auch wenn ich das nicht ernst meinte. Ich hatte schließlich einen Plan und der beinhaltet nun mal Emmas Anwesenheit.

„Was hörst du denn für Musik?“, wollte sie nun wissen und da ich mich die Nacht zuvor mit Nas so intensiv beschäftigt hatte und er wirklich gute Songs gemacht hat, antwortete ich also spontan: „Ich steh mehr so auf 90er Hip-Hop. Kennst du was davon?“ Emma überlegte sichtlich, eh etwas von ihr kam: „Eh, nein.“ „Nein? Du hast keine Ahnung?“, hakte ich nach und ähnlich wie ich bei Even vor einer Woche, begann sie zu stammeln, doch irgendwie entfernt schon mal was von gehört zu haben. Also warf ich einfach mal: „Nas?“, in den Raum. „Mal von ihm gehört?“, fragte ich sie und wie erwartet, wusste sie nichts damit anzufangen: „Huh?“ „Er hat das beste Album aller Zeiten gemacht. Illmatic*. Hör's dir an“, setzte ich fort und schon beim Namen des Albums scheiterte es. „Ill..?“, vernahm ich es von ihr und so wiederholte ich deutlicher: „Illmatic! 'Ill' wie krank und dann 'matic'.

Ich wollte ihr auch gleich noch erklären wieso die Musik so gut ist, als ich Vildes Stimme hervorstechend vernahm: „Hiii! Schön, dass ihr gekommen seid.“ Und da war er... Even. Natürlich mit Sonja. 'Cause why the fuck not?

Vilde und Sonja begrüßten sich und nannten sich gegenseitig ihre Namen, während Even sie auch hier als seine Freundin vorstellte. Es mal wieder zu hören war nicht angenehm. Echt nicht. Aber da muss man wohl durch. Fuck, man. Selbst mit diesem dämlichen knallgelben Band um den Kopf sieht er zum Anfressen geil aus!

Als er zu mir sah, hätte ich ihn mal wieder ewig weiter angestarrt, wenn Emma nicht mit einem mal meine Hand gegriffen hätte, sie an ihre Brust gelegt und mich den Bügel ihres BH's ertasten lassen: „Kannst du den Bügel hier fühlen?“ Ich wusste eigentlich kaum wovon sie gerade sprach, nachdem Even eingetroffen war und sich ohne großartiges Zutun meine Aufmerksamkeit gesichert hatte. Weshalb ich ihr einfach nur knapp antwortete: „Ja.“

Was mach ich hier eigentlich? „Das sticht mich unter dem Arm“, erzählte sie und in meinem Schädel ratterte es nun. Ich hab eigentlich gar keine Zeit mehr hier rumzuknödeln und über Justin Bieber zu reden, der mich genauso so nervt, wie sie der Bügel da. Bier tanken, Isak. Tanken, und dann rann an die Braut! „Das wird so sein, bis ich nach Hause gehe und es ausziehen kann. Du kannst echt froh sein, dass du kein Mädchen bist“, sprach sie neben mir weiter und ich hatte schon Schwierigkeiten ihr zu zuhören. Wenngleich ich mich fragte, wieso sie das überhaupt anzieht, wenn sie das stört. Aber als Even mal wieder direkt zu mir sah, machten sich meine Gedanken in eine ganz andere Richtung selbstständig. Gott... diese Augen...

Fuck, reiß dich zusammen, man!

„Es ist echt nervtötend ein Mädchen zu sein“, kam es immer weiter von ihr und so setzte ich noch einmal mein Bier an. An irgendeiner Stelle musste ich hier die Notbremse ziehen! „Vor allem, wenn...“, begann sie den nächsten Satz, aber da ich einfach nichts mehr hören wollte, unterband ich das ganze, indem ich sie ohne Vorwarnung küsste. Na bitte. Ruhe. Angetrunken war es auch nur halb so schlimm und ich zog das Rumknutschen eisern durch. Bis sich Even plötzlich neben Emma ebenfalls aufs Sofa fallen ließ. Oh, nein! Das gefährdet meinen Plan. „Ich glaube langsam ihr bandelt mir zu sehr an“, sagte er und Emma drehte sich freudig zu ihm um: „Hallooo!“ Doch nicht mal seinen Namen wusste sie...

Das ist jetzt echt bescheiden... Even, Emma, ich, hier auf dem Sofa. Das ist wie die Toasts letzte Woche... Irgendwas passt hier nicht rein.

„Ich dachte wir sind ein Team?“, kam es schon fast ein wenig vorwurfsvoll von Even. „Oh ja, Kosegruppe!“, entgegnete Emma dem jubelnd und ich überlegte, wem ich gerade lieber eine reinhauen würde. Ihm, weil er einen auf eifersüchtig macht, obwohl er seine Freundin hat oder mir selbst, weil ich echt glaubte mein Plan könnte funktionieren. „Coole Wohnung“, sprach er mich an und berührte mich dabei an der Schulter. Es nervte mich. Nicht, dass ich nicht irgendwo von ihm berührt werden wollte, aber gerade weil ich es so sehr wollte, nervte es mich. „Danke“, antwortete ich also knapp und eher leise. Emma teilte ihre Begeisterung über meine Wohnsituation auch gleich mit Even: „Es ist echt geil hier. Das ist eine Wohngemeinschaft. Hier sind immer coole Leute. So wie Eskild!“ Sie zeigte auf meinen Mitbewohner, der wie bei Partys üblich, gerade seinen Spaß zu haben schien.

Ich schaute jedoch lieber zu Even und lauschte der möglicherweise interessant werden Konversation der Beiden. „Kennst du Eskild schon?“, fragte sie ihn und er schien etwas ratlos: „Nein, ich denke nicht.“ „Er ist schwul. Er ist wirklich süß“, erklärte sie ihm und von Even hörte man nur ein: „Ah, ja?“ „Ich liebe Schwule. Die sind lustig“, setzte Emma unbeirrt fort und er antwortete etwas, womit ich nicht im geringsten gerechnet hätte: „Denkst du nicht, dass das ein bisschen zu verallgemeinert ist?“ Definitiv ein sehr interessantes Gespräch. „Wieso? Indem ich sage, Schwule sind lustig?“ fragte sie ihn und er tat seinen Standpunkt kund: „Das ist wie zu sagen, alle Muslime sind Terroristen.“ „Was? Nein, das ist übertrieben. So ist es gar nicht“, verteidigte sie ihre Aussage, schon mit etwas schwerer Zunge: „Lustig zu sein is positiv und ein Terrorist zu sein is total negativ.“ Sie wandte sich damit sogar zu mir, als würde ich mich in die Sache einmischen und irgendwem recht geben. Ich war dennoch gespannt, was er weiter dazu sagt. „Es geht nicht um das was du sagst, aber du generalisierst. Nicht alle Schwulen sind lustig.“

Keine Ahnung was ich persönlich mit der Aussage anfangen soll. Okay, ja, ich steh offenbar auf Even, aber ich bin weder lustig, noch tuntig. Meint er mich etwa damit?

Emma schien die Diskussion im Moment genauso wenig zu behagen wie mir, denn sie sprang vom Sofa auf: „Das is verdammt langweilich. Du, Isak, komm tanz mit mir.“ Nach Evens letztem Satz sah ich noch einmal zu ihm und er zu mir, eh ich der Aufforderung zum Tanzen nachkam. Schnappte mir dabei das nächste Bier und trank weiter. Der Plan war ja im Grunde noch nicht ganz verloren. Beim Tanzen kann man ja kaum was falsch machen, denke ich. Wobei das bisschen Rumeiern meinerseits nicht wirklich als Tanzen zählt. Aber hey, wenn es läuft, läuft's eben.

Mein Fokus lag dabei solange auf Emma, bis direkt in meiner Sichtlinie Even mit Sonja auftauchte und die beiden rumknutschten. Ganz ehrlich, Even! Was soll das? Kannst du nicht in irgendeine scheiß Ecke gehen und da rummachen? Muss das vor meinen Augen sein?

Ich weiß es ist bescheuert, aber genauso wenig wie ich hinsehen wollte, konnte ich auch nicht wegsehen. Vielleicht brauch ich das ja, damit mein Hirn mal schnallt, dass der Typ nicht zu haben ist. Emma begann ebenfalls mich küssen zu wollen. Ich machte irgendwie mit, auch wenn das bei uns lange nicht so eingespielt anfühlte, wie es bei Even und Sonja wirkte.

Fuck, was gäbe ich darum, wenn ich jetzt da drüben bei ihm wäre und...

Isak, stopp! Gedanken sammeln. Fokus auf Emma!

Und ich hab's echt versucht aber, es ging um's Verrecken nicht. Ich konnte meine Augen nicht von ihm lassen und gerade, als ich mich meinem hoffnungslosen Schicksal ergeben wollte, sah er mich an. Und zwar direkt. Unverhohlen. Und das war kein 'was glotzt du so'-Blick. Das war... Ich fühlte mich geradewegs richtig... eye-fuckt. Auf eine verdammt gute und intensive Art und Weise. Bei allem Wunschdenken meinerseits, aber so was merkt man einfach, wenn's knistert.

Even sah auch nicht mehr weg. Alles was ich spürte, Emmas Lippen an meinen, ihre Finger, ihre Wärme... Mein Kopf drehte es sich in diesem Moment so zurecht, dass das alles von Even kam und nicht von ihr.

Nichts und niemand anderes war in diesem Moment mit uns in diesem Raum. Ein einziger Rausch, der meinen Körper durchfuhr, mit einer Gänsehaut von oben bis unten. Ich schloss die Augen und versuchte die Vorstellung und das Gefühl dabei solange zu genießen, wie es anhalten würde. Denn eines wurde mir trotz Suff und Gefühls-High schnell klar: Das wird nicht ewig dauern und ich würde wieder auf dem Boden der Tatsachen aufklatschen. Dann kann ich den Sturz wenigstens ein bisschen abfedern.

Manchmal frage ich mich, ob dieser Sack es eigentlich weiß, ob es ihm bewusst ist, wie sehr er mit mir Pingpong spielt. Ist es normal für ihn, dass man seine Freunde gelegentlich derartig blick-fickt? Reagiere ich vielleicht auch nur einfach zu sehr auf ihn? Wenn ja, ist es wohl schon lange zu spät für mich...

Scheiße, verdammte! Wenn's mal läuft, dann kommt Even und reißt alles um! Ich könnt ihm dafür an die Kehle springen.

„Alles Okay?“, sprach mich Emma an, riss mich aus meiner Träumerei und ich nickte: „Ja ja, ich hab nur zu viel getrunken, glaube ich...“ Eigentlich kann man gerade gar nicht zu viel trinken, nach der Nummer.

Es folgten noch ein paar Songs, bei denen ich es vorzog hier bei Emma zu bleiben und mich selbst in Sicherheit zu wissen. Einerseits wollte ich, dass er es lässt mich anzusehen. Vor allem auf diese Art und Weise und zum Anderen, kann ich wohl schlecht hingehen und sagen: Hör auf mit dem Scheiß. Mit welchem Recht? Im Grunde hat er ja auch nichts weiter gemacht, als mich anzusehen. Ist kein Verbrechen. Und auch nicht seine Schuld, dass er mich damit völlig verrückt macht.

Vilde knipste nun plötzlich Licht an und sorgte für allgemeines Raunen, aufgrund dieser abrupten Aktion und verkündete: „Die Revue-Party wartet auf uns! Wir wollen dann mal so langsam los!“

Während Unruhe entstand und jeder seinen Kram zusammen suchte, sammelte ich die Becher ein, die hier überall rumstanden. Ich musste irgendwas tun, um nicht wie ein geisteskranker Irrer zu Even zu glotzen, was ich zwar trotzdem hin und wieder tat, aber wenn man dabei beschäftigt ist, wirkte es nicht ganz so... peinlich. Abgesehen davon, wenn ich jetzt ein wenig zusammenräume, dann muss ich das morgen früh nicht machen und kann entspannen.

Eva betrat das Wohnzimmer und meldete sich zu Wort: „Leute! Wir haben vier Taxis bestellt. Wir müssen jetzt los!“ Automatisch wanderte mein Augenmerk mal wieder kurzzeitig zu Even, eh ich mich weiter um leere Becher und umgekippte Bierdosen kümmerte. Noch mehr Hektik brach aus. Eskild suchte sein Handy, weil damit die Musik abgespielt wurde und Vilde schrie herum, dass jeder sein Ticket braucht, weil die wirklich wichtig sind.

Noch immer, oder schon wieder, schaute Even mich unablässig an. Ich hielt den Kopf lieber gesenkt und beschloss: Egal, was die mit ihren Taxis machen, ich kann da gerade echt nicht mit fahren. Ich muss erst mal runter kommen und verarbeiten.

„Isak!“, sprach mich Emma an und ich hörte aufmerksam zu, was sie von mir wollte: „Ich, Sonja und Even nehmen ein Taxi zusammen. Willst du bei uns mitkommen?“ „Nee, ich nehme das Fahrrad“, winkte ich schnell ab. Even und ich auf engstem Raum, und dann noch mit Emma und Sonja, das wird einfach nichts. „Ja, Okay fein“, hörte ich es noch von ihr, eh sie sich verabschiedete und mit den Anderen verschwand.

Ich schnappte mir neben den Bechern auch einige halbleere Dosen und Flaschen, die ich zum Auskippen in die Küche brachte. Als die Ablage neben dem Spülbecken recht voll gestellt war, nutzte ich noch den Platz daneben und begann die Reste weg zu schütten. Dann trat auch endlich Ruhe ein, als auch der Letzte endlich zu gehen schien. Eskilds Stimme war zudem die letzte, die ich hörte und als ich Schritte hinter mir vernahm, wollte ich mich herumdrehen und ihn fragen, ob er wieder seine Schlüssel liegen lassen hat. Doch das war nicht mein Mitbewohner, der da zu mir in die Küche kam. Das war Even.

Was macht der hier? Wieso... warum..? „Eh... wolltest du nicht ein Taxi mit den anderen nehmen?“, fragte ich irritiert und tierisch nervös. Even schnappte sich ohne weiteres einige der Dosen und half dabei die Reste auszukippen: „Ich fahre mit dem Rad.“ Der hat sie doch nicht mehr alle! Wie soll ich mich denn konzentrieren, wenn er hier ist und nicht in irgendeinem bescheuerten Taxi, auf dem Weg zu 'ner beknackten Party?

Ich wollte ja einfach weiter machen, mit dem was ich hier tat, aber ich traute mich ja kaum eine Dose zu leeren, wenn Even auch gerade am Becken zugange war. Was, wenn wir zur selben Dose greifen?

Er trat dabei auch noch einen Schritt näher, also wich ich zurück und sah zu was er da tat, während mein Kopf mal wieder überladen war, mit Fragen und Vorwürfen. Kurz sah ich zu ihm auf, er lächelte mich an und so schaute ich gleich wieder weg. „Hattest du Spaß mit ihr... dieser Emma?“, durchbrach er die eingetretene Stille und lehnte sich mit dem Rücken an das Spülbecken, was es mir weiterhin erschwerte die verdammten Dosen, ohne stetiges Herzrasen, an ihm vorbei ins Becken zu schütten. Und vor allem: Was soll diese Frage? Er hatte doch wohl selbst genug Spaß mit Sonja...

Ich wusste nicht wirklich was ich sagen sollte oder was er hören wollte. „Sie will was von mir“, nuschelte ich und versuchte ruhig zu bleiben, meine innere Unruhe nicht nach außen sichtbar werden zu lassen. Selbst als ich im Augenwinkel erkennen konnte, wie Even mich die ganze Zeit ansah, bevor er sprach: „Wusstest du, dass ich und Sonja uns daten, seit wir... 15 sind oder so?“ Schön. Gib's mir, Even. Ich steh drauf, wenn du mir mit deiner glücklichen Beziehung kommst. „Hmkay“, rang ich mir also ab und blieb cool, kippte nun weiter das Zeug aus und hörte zu, als er fortsetzte: „Und... ich merke, dass wir uns mehr und mehr von einander entfernen.“ Nun musste ich ihn doch mal kurz ansehen, bei dem was er da gerade erzählte.

Die Frage ist aber nach wie vor: Wieso tut er das? Er schien auf eine Reaktion meinerseits zu warten. Keine Ahnung, was man in so einer Situation sagt, also besser die Klappe halten.

„Aber ich kann Sonja nicht fallen lassen“, sprach er weiter und schien wieder zu warten. „Okay“, entgegnete ich dem also und wüsste schon ganz gern endlich mal, wieso er mir das erzählt und warum er sie nicht verlassen kann. Doch Even erklärte nun: „Wenn ich mit Sonja Schluss mache, dann wird sie denken, dass es wegen ihrer Beinprothese ist.“ Wie jetzt? Verunsichert schaute ich nun zu ihm: „Hm?“ „Nicht gewusst?“, fragte er und ich hakte lieber noch mal nach, eh ich was falsch verstanden habe: „Beinprothese?“ „Ja, sie haben ihr den ganze Fuß amputiert“, erzählte er und in dem Moment ließ ich die Dosen Dosen sein, lehnte mich ebenfalls mit dem Rücken an die Küchenzeile und war irgendwie schockiert: „What? Wie.. ist das passiert?“ Even sah vor sich auf den Boden und klärte mich auf: „Sie ist auf eine Landmine in Tjøme getreten, als sie neun Jahre alt war. Hat den linken Fuß verloren.“ „Shit“, war das erste was mir dazu einfiel und meine aufrichtige Anteilnahme.

Einen Fuß verlieren ist schon heftig. Da kann man ja noch froh sein, wenn's einen nicht ganz zerfetzt. „Das war echt schlimm“, hörte ich ihn sagen und ich murmelte betreten: „Das wusste ich nicht.“ „Aber ihr geht’s jetzt viel besser. Sie bekommt wirkliche gute Hilfe von... ähm... Wie heißen die? Eh... Physiotherapeuten.“ Even geriet so langsam irgendwie ins Stocken, mit seiner Erzählung. Er ließ sich jedoch nicht davon abbringen: „Die haben ihr bei den motorischen Fähigkeiten geholfen. Und die Prothesen-Technologie ist echt fortschrittlich geworden. Du kannst die Halterungen kaum mehr sehen.“

Du kleiner Drecksack! Ich weiß, wie solche Prothesen aussehen! „Du verarscht mich?“, fragte ich also und er begann zu grinsen. „Du verarscht mich? Ja?“, er nickte lachend und ich atmete erleichtert aus: „Fuck! Wie kannst du darüber Witze machen?“, hakte ich also nach, auch wenn ich selbst darüber lachen musste, wie ich ihm fast auf den Leim gegangen wäre. Aber selbst wenn, ich meine, nach etwa drei Jahren Beziehung wäre das eher nicht der Grund, wieso man Schluss machen könnte.

„Glaubst du wirklich, dass es Landminen in Tjøme gibt?“, fragte er amüsiert und kam einen Schritt auf mich zu, was mich gleich wieder aus der Ruhe brachte, als ich ihm antwortete: „Woher zur Hölle soll ich das wissen? Du kannst doch keine Witze über so was machen!“ „Ich könnte Witze über Dinge machen, die noch viel schlimmer sind“, sagte er und als mir bewusst wurde, dass ich hinter mir nicht weiter kommen würde, weil da die Küchenzeile um die Ecke herum ging, fühlte ich mich daher fast ein wenig hilflos ausgeliefert. Nervös schüttelte ich den Kopf: „Nein! Das ist zu ernst, um darüber Scherze zu machen.“ Even sah das ganz anders: „Ich könnte Witze darüber machen, dass sie einen Schwanz hat.“ Er und seine Schwanz-Jokes.

Grinsend verdrehte ich die Augen. „Das wäre zu krass“, ergänzte er und ich musste schmunzeln: „Schwanz...“ Ich senkte dabei meinen Kopf, um seinem Blick auszuweichen und bemerkte dabei ein Loch in meiner Socke.

Nicht nur sein kontinuierliches näherkommen, sondern auch die Schwanzwitze machen die Sache nicht unverfänglicher. „Viel zu krass...“, vernahm ich es noch einmal von ihm. Kurz sah ich auf und musste grinsen, darüber, wie spielend er es mit solchen unmöglichen Äußerungen schafft, mich immer wieder aufzutauen. Ich räusperte mich verlegen und wollte das Gespräch irgendwie wieder in neutrale Bereiche bringen. „Ich denke nicht, dass die Prothesen-Technologie so weit ist...“, murmelte ich wieder mit Blick nach unten, als Even mich unterbrach: „War es das, was mich verraten hat?“ Ich konnte nur nicken.

Ich weiß nicht, aber ich bekam langsam echt Panik, denn ich war hier in der Ecke förmlich gefangen und hielt mich mehr oder weniger an Arbeitsplatte der Küchenzeile fest. Und, dass er mir so nah kam, dass ich mittlerweile seinen Duft so gut riechen konnte, machte die Sache nicht besser. Also starrte ich verbissen auf die kaputte Stelle in meiner Socke, um Even ja nicht anzusehen und versuchte ihn mit dem erstbesten was mir einfiel abzulenken: „Aber... sie ist süß...“ Ganz kurz sah ich auf und natürlich schaute er mich an, weshalb ich gleich wieder weg sah und ergänzte: „Sonja...“

Es herrschte Stille. Angespannte Stille.

Dann trat Even noch einen Schritt auf mich zu. Ich behielt krampfhaft den Kopf unten, versuchte mich auf das Loch am Zeh zu fixieren und hoffte mein Herz würde mir nicht aus der Brust springen, denn es wummerte mal wieder so heftig, dass ich kaum atmen konnte. Als Even dann noch etwas näher kam und ich ihn atmen hören und außerdem seine direkte Nähe spüren konnte, war dieses Gefühl wieder da, das ich vorhin schon hatte. Nur stand er jetzt wirklich hier bei mir und hatte definitiv vor mich zu küssen. Unsere Lippen wollten sich gerade berühren, als es plötzlich im Wohnzimmer krachte. Jemand war herein gekommen. Verdammt, was zum...?

Nach dem ersten Schreck brauchte ich einen Augenblick, um zu realisieren was passiert ist und so ging ich irritiert hinüber ins Wohnzimmer. Even kam hinterher. Ich dachte schon es wäre Emma oder Sonja, doch da stand Noora mit ihrem Koffer und sah sich um.
 

„Noora?“, fragte ich ungläubig und sie lächelte etwas erzwungen: „Komm ich ungelegen?“ Ich fühlte mich ertappt und stammelte: „Eh.. ich.. ähm, nein, wir haben nur... wir wollten nur...“ „Aufräumen“, sprach Even und ging an mir vorbei, sammelte noch ein paar Flaschen ein und trug sie in die Küche. Ich nickte bestätigend, räusperte mich und wollte wissen: „Was machst du hier?“ Und hättest du nicht fünf lausige Minuten später kommen können?

Sie schob ihren Koffer an die Seite und setzte sich aufs Sofa: „Hab euch vermisst und wollte euch spontan besuchen.“ Ich blieb im Türrahmen stehen und ließ sie wissen: „Eskild und Linn sind auf einer Party. Soll ich versuchen anzurufen?“ „Nein, lass sie feiern.“

Als Even wieder zurück kam, schnappte er sich anschließend seine Jacke und sagte: „Ich geh dann mal besser.“ „Ähm ja, danke fürs... Aufräumen...“, murmelte ich und er zwinkerte mir zu: „Gern.“ So, dass Noora es nicht sehen konnte. Damit verließ er die Wohnung und ich setzte mich zu ihr. „Wer war das?“, fragte sie mich einen Augenblick später, doch ich war schon wieder halb in Gedanken versunken und bei dem was eben noch in der Küche passiert ist. „Hm.. wer?“ „Er?“, lächelte sie und zeigte auf die Tür, durch welche Even gerade verschwunden war. Im Grunde gab ich ihr die gleiche Antwort, wie sie Jonas vor zwei Tagen auch schon von mir bekam: „Jemand aus Vildes Kosegruppe, die haben hier gefeiert.“

Nun saßen wir beide auf dem Sofa und schwiegen.

Der Abend hat irgendwie alles völlig verdreht und doch ist eigentlich nicht viel anders als vorher. Ich meine, ich spinne nicht. Even wollte mich küssen und es ging alles nur von ihm aus. Aber es kam nicht dazu, also ist gewissermaßen nichts passiert. Arrrgh! Es ist einfach nur total abgefuckt! Wenn er nun doch was von mir will, soll ich das mit Emma weiter versuchen oder es sein lassen? Vielleicht will er auch nur mal testen oder er verarscht mich wieder. Ich werd einfach nicht schlau aus dem Kerl.

Dass Noora in London nicht wirklich glücklich war, das hab sogar ich mitbekommen, auch wenn ich mich da nicht einmischen wollte, aber aus Höflichkeit fragte ich dennoch nach: „Ist irgendwas passiert?“, und bot ihr ein Bier von den Dosen an, von denen ich wusste, dass sie unserer WG gehören. Sie lehnte ab, also reichte ich ihr eine Flasche Wasser, die noch unangetastet hinter dem Sofa stand.

Noora nahm die Flasche an sich und seufzte: „William und ich... Ich denke wir machen eine Pause.“ „Oh...“, kommentierte ich dies und fragte: „Warum?“ Sie sah im Raum umher und wusste offenbar auch nicht so ganz wie sie ihre Situation erklären sollte. Da sind wir schon mal zwei.

„Ich bin mit ihm zusammengezogen, weil ich bei ihm sein wollte und nicht um zuzusehen, wie er den ganzen Tag arbeitet und ich dann nichts mehr von ihm habe. Um allein zu sein, muss ich nicht in London rumsitzen... wo ich niemanden kenne. Außer ihm. Selbst seinen Vater kenne ich kaum, aber für ihn würde William alles tun. Ich meine, ich versteh's ja, er hatte als Kind nichts von seinem Vater und jetzt...“ „Jetzt hast du nichts mehr von ihm...“, stellte ich gekonnt fest und sie stimmte mir nickend zu.

Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Hilfreiche Beiträge leisten kann ich im Moment auch nicht. Außerdem hatte ich noch nie eine wirkliche Beziehung, so wie die Beiden, als dass ich groß mit Tipps um mich werfen könnte. Aber einfach weggehen und sie da hängen lassen, wollte ich auch nicht, also blieb ich sitzen, nahm mir das Bier zur Hand und murmelte: „Wir können schon richtige Ärsche sein...“ Noora sagte nichts dazu.

Mein Handy vibrierte und ich sah nach. Emma schrieb mir und fragte: Wo bist du? - Wir sitzen hier drinnen. Direkt neben der Tanzfläche. Die blöde Party... Die klemm ich mir und fahr da nicht mehr hin. Wenn Even jetzt da ist und mit Sonja rummacht, dann hau ich ihm vielleicht wirklich noch eine rein. Daher schrieb ich ihr zurück: Sorry. Musste aufräumen und wurde dann müde. Bleibe zu Hause. Außerdem muss ich diesen Abend erst mal für mich selbst sortieren und wie ich weiter vorgehe. Es ist alles viel zu wackelig, als dass ich auf irgendeine Säule verzichten könnte, auf denen mein Gefühlsleben gegenwärtig liegt.

„Ich schlafe heute Nacht auf dem Sofa, wenn das Okay ist“, sprach mich Noora nach langem Schweigen an und so nickte ich: „Ja, sicher.“ Ich holte dann ein Kissen und eine Decke. „Wenn du was brauchst, du weiß wo mein Zimmer ist“, bot ich an und sie lächelte: „Danke, Isak.“
 


 


 

*Falls sich jemand wundert, weshalb 'Hallo' so oft von mir verwendet wird: Die Norweger begrüßen sich zwar auch mit Hi, aber auch mit 'Hei' und eben 'Halla'. Was dem deutschen Hallo, doch sehr ähnlich ist, auch wenn man das bei uns in der jüngeren Generation eher seltener verwendet. Ähnlich verhält es sich mit 'Mamma' und 'Pappa', was in Norwegen eine durchaus gängige Bezeichnung der Eltern von jungen Erwachsenen ist und nichts mit altmodisch oder Kindlichkeit zu tun hat. Ich wollte die deutschen und amerikanischen Einflüsse nicht höher einbringen, als sie dort tatsächlich sind. Da auch hierzulande junge Menschen ihre Eltern Mom und Dad nennen, was in Norwegen aber so gut wie nicht übernommen wird.

Ich übernehme nur Eigennamen, alles andere wird übersetzt. Bsp: Kosegruppa (in norw. zwar mit a statt e am Ende, aber 'Gemütlichkeitsgruppe' oder Kuschelgruppe klingt echt dämlich. Zumal es sich dort hauptsächlich um Catering handelt und die 'gute Stimmung verbreiten' mehr Beiwerk sein soll.)

Gleichsam wächst die norw. Jugend fast schon bilingual auf. Heißt, die haben ab der ersten Klasse Englisch, weshalb auch viele englischsprachige Phrasen mit einfließen, die Grammatik ähnelt außerdem sehr. Wenn wir bei uns in Deutschland mit Englisch anfangen, vllt. 5-6 Klasse lernen die schon die 3. oder 4. Sprache, wie Spanisch oder Deutsch. Französisch ist wohl nicht so beliebt.
 

*Wer sich fragen sollte, was es mit den Instagram-Posts von Isak ständig auf sich hat: Man findet sein Profil unter 'isakyaki' (En japansk side-dish) Bitte nicht mit anderen 'Fan-Profilen' verwechseln.^^
 

*Was Nas und Illmatic angeht, so spiegelt das nicht meinen eigenen bevorzugten Musikgeschmack wieder, auch wenn ich persönlich nicht der größte Fan bin, aber ich achte jeden Menschen für das, was er geschaffen hat und damit andere Menschen bewegt. In dieser Geschichte sind die Charaktere aber Fans, also wird Nas entsprechend (sicher auch zurecht) in den höchsten Tönen gelobt und sofern ich mich (hierfür nötig) mit ihm beschäftigt habe, kann man ihn und seine Werke auch nur mit dem Respekt behandeln, wie es jeder Mensch verdient hat.

Nur, weil man ein Genre nicht kennt oder nicht mag, heißt das nicht, dass der Autor/Interpret oder Story/Song schlecht ist. ;)

UND da Nas' Songs für die Show verwendet wurden, muss demnach seine Erlaubnis dafür vorliegen, genau wie alle anderen verwendeten Interpreten. Gerade im HipHop-Bereich ist leider noch eine gewisse homophobe Präsenz, was es umso bedeutungsvoller macht, wenn eine große Nummer wie Nas seine Zustimmung hierfür gibt.
 

***EDIT: Einige wenige Clips funktionieren (derzeit und auf unbestimmte Zeit) auf der Skam Hauptseite daher verlinke ich sie hier:

http://skam.p3.no/2016/10/15/stress/

http://skam.p3.no/2016/10/17/dust/



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