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Winterregen

von

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One-Shot

"Ich bin zuhause!"
 

Kais Stimme hallte in der beinahe leeren Wohnung wider; Antwort erhielt er nicht. Begrüßt wurde er lediglich von einem Miauen, dann strich Yamato um seine Beine, mehr quengelnd als wirklich liebevoll. Er lachte leise, ging in die Hocke, um den kleinen Kater - seit ihrem ersten Treffen war er gehörig gewachsen! Klein traf es eigentlich gar nicht mehr - trotzdem kurz zu kraulen.

"Du hast Hunger, was?"

Noch ein Maunzen.

"Also schläft Rui."

Yamato miaute noch einmal, fast als wolle er bestätigen. Kai verkniff sich ein besorgtes Seufzen, während er sich daran machte, das Kätzchen zu versorgen - und die anderen Haustiere gleich auch. Bis auf ihn und Rui war niemand zuhause, würde noch eine ganze Weile niemand zuhause sein. Eigentlich hätte es Ruis Aufgabe sein sollen, sich um die Tiere zu kümmern; eine Aufgabe, der er gewissenhaft nachging, solange er fit genug dafür war. Dass Yamato so sehr quengelte, hieß schlussendlich also auch, dass es ihm heute wieder nicht wirklich besser ging.
 

Es waren nur ein paar Tage, aber sie kamen Kai wie eine Ewigkeit vor. Eine sehr hässliche Ewigkeit.
 

Rui war zu größten Teilen unter seiner Bettdecke vergraben, als Kai leise in sein Zimmer trat. Dunkelgrünes Haar ergoss sich auf sein Kopfkissen, seine Augen waren geschlossen. Kurz zuckten seine Wimpern, als die Tür leise geschlossen wurde, aber darüber hinaus regte er sich nicht.

Er sah erschöpft aus, obwohl er schon mehr schlief als wach zu sein.

Erschöpft und trotzdem immer noch hübsch, auf eine Art, die Kais Herz krampfen ließ und ihm das Schlucken schwer machte. Wenn er nur helfen könnte! Aber er konnte kaum etwas tun, außer, soweit er Zeit hatte, nach seinem kleinen Freund zu sehen, ihm Gesellschaft zu leisten. (Kochen war nicht wirklich sein Ding. Klar, er tat es, aber Aoi und Yoru waren so viel besser darin, etwas zuzubereiten, das einem kranken Kerlchen auch gut bekam.)

Behutsam ließ er sich auf der Bettkante nieder, strich sanft über Ruis Wange. Sie war warm; ob vom Fieber oder Schlaf, das konnte er nicht sagen.
 

Er hasste Krankheit einfach. Selbst, wenn es nur eine simple, typische winterliche Erkältung war. Wenigstens war es keine Sommergrippe.
 

"Werd bald wieder gesund, Rui."
 

"...Kai?"
 

Flatternde Wimpern, trüb gefärbte Augen, die verschlafen blinzelten. Eine Zunge, die über spröde Lippen leckte. Wirklich wach wirkte Rui nicht, aber es reichte, dass er nach einigem desorientierten Blinzeln die Augen aufbehalten konnte. Der Anblick des Jungen entlockte Kai ein Lächeln und er stupste sanft gegen seine blasse Stirn.

"Ich bin hier."

Rui runzelte die Stirn. Er richtete sich ein Stück weit auf, eine Bewegung, die unfassbar mühevoll aussah, fixierte Kai mit einem unnachgiebigen Blick. Er wusste, was jetzt kommen würde - seit Rui krank geworden war, führten sie diese Unterhaltung täglich.

"Geh", krächzte er, schluckte, hustete. "Du steckst dich sonst an."
 

Kai konnte und wollte nicht gehen. Er strich behutsam das wirre Haar aus Ruis Stirn, ordnete die Strähnen in längst vertrauter Routine. Es war seltsam beruhigend, irgendetwas tun zu können, und sei es nur so eine Banalität. Jede Ausrede, nützlich für seinen kleinen Freund zu sein, war ihm eine gute Ausrede. Seine Fingerspitzen strichen etwas länger als nötig durch das hübsche Haar, aber schließlich zog er die Hand zurück und grinste Rui breit an.

"Ich bin robust! Ich werd nicht krank."

Und es stimmte! Kai war niemand, der schnell krank wurde. Er konnte an zehn Fingern abzählen, wie viele heftige Erkältungen er in seinem Leben gehabt hatte, und er hatte am Ende immer noch einige Finger übrig.

Rui sah aus, als wollte er widersprechen, doch er blieb still; er wusste vermutlich selbst, wie fruchtlos es war. Wozu dann seine Stimme strapazieren? Er stieß die Luft aus in einem Laut, der halb Schnaufen, halb Seufzen war, und ließ sich wieder zurück in seine Kissen sinken. Drehte Kai dann demonstrativ den Rücken zu; es entlockte ihm ein Schmunzeln. Statt den Wink mit dem Zaunpfahl anzunehmen und zu gehen, beugte er sich vor und hauchte einen Kuss in Ruis warmen Nacken.

"...Idiot."
 

Hoffnungslos, schalt Nagi in seinem Kopf.
 

Kai wollte etwas erwidern, aber ehe ihm ein Konter eingefallen wäre, der nicht wieder mit Idiot quittiert würde, war er längst wieder abgelenkt worden.

Es regnete.

Dicke, schwere Tropfen klatschten gegen Ruis Fenster, ganz plötzlich. Nicht nur er bemerkte es: Er sah, wie Rui aufhorchte, sah es an der Art, wie er die Schultern hochzog. Vor seinem inneren Auge sah er, wie der Junge gerade die Wand traktierte, unzufrieden, die Augenbrauen kaum merklich zusammengezogen. Er wollte im Bett bleiben, aber er wollte dem Regen lauschen, und seit sie eingezogen waren, hatte er dazu ein Fenster im Gemeinschaftsraum zu seinem Stammplatz auserkoren.

Vernünftig wäre es gewesen, Rui zu ermutigen, im Bett zu bleiben, statt sich im Wohnzimmer auf ein Sitzkissen am Boden zu pflanzen.

Kai war nicht vernünftig.

Kai war verliebt, und er wollte, dass der kleine, kranke Kerl da im Bett zumindest ein bisschen zufrieden sein konnte.

"Ich gehe Tee kochen", verkündete er. Als er das Zimmer verließ, ließ er die Tür offen.
 

Er kochte Tee. Während das Wasser erhitzte, holte er die Bettdecke aus seinem Zimmer und legte sie sorgfältig gefaltet neben das himmelblaue Sitzkissen vor dem Fenster. Yamato tappte zu ihm, um das fremde Objekt interessiert zu beschnuppern. Er sah Kai mit schiefgelegtem Kopf an, blinzelte, dann wandte er sich ab und huschte davon, wohin auch immer es kleine Katzen an solchen Tagen eben zog.

In der kurzen Zeit, bis Kai den Tee fertig gemacht hatte und ins Wohnzimmer zurückkehrte, hatte Rui sich auf seinem Stammplatz breitgemacht. Eingewickelt in seine und Kais Decken sah er ein bisschen aus wie ein schmelzender Marshmallow.
 

Er sah zufrieden aus.
 

Kai hockte sich neben ihn, schweigend. Wie immer. Rui zuckte nicht einmal mit den Wimpern, sah einfach weiter hinaus, auf den Regen, der Schlieren übers riesige Fenster zog, in den diesigen, grauen Großstadtnachmittag.

Kein Protest.
 

Wie auch? Es war längst ein gemeinsames Ritual geworden, so gut es zeitlich ging.
 

Eine Weile saßen sie so da. Es dauerte nicht lange, bis Kai in die alte Gewohnheit verfiel, zu erzählen. Zu erzählen von dem Vocal-Coaching, das er als Sängerlaie über sich ergehen lassen musste, über Sachen, die ihm in der Stadtmitte aufgefallen waren, besonders hübsche Weihnachtsdekoration. Über seine letzten Telefonate mit seiner Familie.

"Nagi hat mich gestern erst gefragt, ob ich ein Weihnachtsdate habe", erzählte er irgendwann amüsiert seufzend. Seine Schwester konnte anstrengend sein - aber er liebte sie trotzdem. Und auch wenn das sie nicht wirklich viel anging; letztlich war die Frage ja nicht einmal so dumm. Er sah zu Rui hinüber, hob die Augenbrauen.

"Hab ich eins?"

"...zu kalt."

Kai lachte. Er rückte ein Stück näher und legte einen Arm um den Deckenknubbel neben sich. Rui machte einen protestierenden Laut, lehnte sich aber gleichzeitig gegen seine Schulter.

"Wir können drinnen bleiben. Uns einen Film besorgen und Yoru fragen, ob er Pudding kocht. Gibt doch bestimmt Weihnachtspudding, oder? Und Weihnachtskuchen kaufen."

Rui brummelte nur.

"Hast du einen Film, den du sehen möchtest? Wir können gucken, was du willst - meinetwegen auch einen von deinen Horrorfilmen."

Der Gedanke ließ Kai herzlich lachen. Kein sehr datetauglicher Film, aber sollte ihn das stören?

Von Rui kam wieder nur ein vages, nichtssagendes Geräusch. Er nahm das positiv; würde Rui es so gar nicht in Erwägung ziehen wollen, würde er es sagen. Er war direkt. Also redete er weiter, sponn die Geschichte von ihrem Date, schmückte sie aus, so viel ihm einfiel. Wie Shun jammern würde, weil er kein Date hatte. Obwohl er täglich versuchte, Hajime zu überzeugen, dass sie dringend auf ein Weihnachtsdate gehen sollten. Dass Yamato ihnen bestimmt beim Filmgucken Gesellschaft leisten würde. You würde irgendwann von seinem eigenen Date zurückkommen und vermutlich klagen, dass es nicht halb so großartig gewesen war wie geplant.

Irgendwann kehrten seine Gedanken zu allgemeinen Weihnachtsgeschichten zurück. Koi hatte ausgerufen, er wolle hässliche Weihnachtspullover an alle verteilen. Einfach, weil er es so lustig fand. Es war ein guter Zeitvertreib, sich vorzustellen, was jemand, der so einen schrillen Kleidungsstil hatte wie Koi, als hässlich empfinden mochte.
 

Als Kai das nächste Mal innehielt und zur Seite sah, bemerkte er, dass Rui eingeschlafen war. Er sah entspannt aus, zufrieden, und - das mochte Wunschdenken sein - auch ein bisschen gesünder als vorhin noch. Er lächelte still, beugte sich vor, küsste den schlafenden Jungen flüchtig.

"Zeit, ins Bett zu gehen. Du warst lange genug wach."

Inzwischen hatte der Regen auch wieder deutlich nachgelassen. Schon seit einer Weile, ging Kai auf, während er Rui behutsam samt Deckenhaufen hochhob und in sein Zimmer bugsierte.
 

Es hatte gut getan. So viel Zeit mit Rui verbringen zu können. Er hatte es unglaublich vermisst.
 

Er war zufrieden. Rui sah auch zufrieden aus. Dafür, dass der kleine Kerl krank war, war es ein überraschend angenehmer Tag gewesen.
 


 

***
 

Die Quittung für seine Anhänglichkeit bekam Kai am nächsten Morgen, als er mit Halsschmerzen und heiser aufwachte. Rui, als er Stunden später aus dem Bett krabbelte, sah ihn ohne jedes Mitgefühl an.

"Ich hab es dir gesagt", konstatierte er nur, bevor er sich dem Frühstück zuwandte, das Yoru ihm aufgetischt hatte.

"Du siehst schon viel besser aus", kommentierte der sanft. Rui nickte nur stumm. Es stimmte; er sah wieder viel munterer aus, viel weniger krankhaft blass. Weniger erschöpft.

Und jetzt war Kai krank.
 

Er hasste krank sein. Untätig im Bett liegen, sich auskurieren... es war schrecklich.
 

Aber eigentlich konnte Kai es gar nicht so schlimm nehmen, als er, das nächste Mal, dass er kopfschmerzengeplagt und verschnupft ins Bett fallen wollte, auf dem Kopfkissen eine DVD fand, die eindeutig Ruis Handschrift trug.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Aphrodi
2017-12-19T22:00:27+00:00 19.12.2017 23:00
Wir können es nur bestätigen. Er sollte gehen, sonst steckt er sich an (und wir wissen, dass er natürlich nicht geht. Dummer Kerl!)
Rui hat alles Recht, ihn einen Idioten zu nennen. û__u
Woah, es ist unfassbar, wie idiotisch verliebt der Kerl ist. Un-fass-bar. XD
Der schmelzende Marshmallow ist super. Ich fühle mich noch mehr wie Rui XD
Aber das Weihnachtsdate!!!!! Omg XD Immerhin verneint er nicht so wie Yaku immer...
Koi und die ugly sweater, huh? Ugly.... XD

Uuuuuund am Ende hat er sein Weihnachtsdate bekommen, so ein glücklicher, aufdringlicher Kerl. Ehrlich. Lev möchte sein Leben XD
Zugegeben, hatte ich am Anfang gedacht, die FF dreht sich um einen kränkelnden, dramatischen Kai, aber das war auf jeden Fall unerwartet süß und angenehm untragisch XD ♥


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