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Kaze no Uta

Das Lied des Windes
von

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Jimmy (Teil 2)

So, nachdem die Wartezeit mal wieder viel zu lang war, gibt es nun ein Kapitel, das für meine Verhältnisse eigentlich zu kurz ist ^^v. Aber ich hab mich am Ende doch dazu entschieden, es noch einmal zu trennen, denn sonst wären hier auf einmal 24 Seiten (Word) zustande gekommen und das war mir dann doch zu viel. Und die Stelle bot sich zum Teilen an ^-^. Daher jetzt erst mal die ersten acht Seiten und später irgendwann die nächsten 16.

Viel Spaß damit!

...Und wenn ich ein paar Kommis krieg, dann könnte ich sogar überlegen, mich mit dem Posten des nächsten Teils zu beeilen. ^.~
 

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Jimmy (Teil 2)
 

Irgendwie hatte Danny es tatsächlich geschafft, Jimmy nach kurzer Zeit wieder einzuholen. Er hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei dieser Sache. Sein Freund hätte das niemals so offen herausplatzen sollen. Hoffentlich hatte das keine zu schweren Folgen…

„Das hättest du nicht sagen dürfen, Jimmy.“

„Ich weiß… Aber ich war so stinksauer auf ihn! Es ist einfach mit mir durchgegangen.“

Der Blonde schüttelte auf eine für Danny undefinierbare Weise den Kopf.

„Aber jetzt ist es eh zu spät. Wird schon irgendwie gehen.“

„Und wie stellst du dir das vor?“

„…Na ja, bei ihm kann ich jetzt auf jeden Fall nicht mehr wohnen. Ich hatte ja gehofft, dass ich noch lange genug bei ihm bleiben könnte, bis ich einen besseren Job gefunden habe, aber da muss ich jetzt wohl umplanen.“

„Eine bezahlbare Wohnung in London zu finden grenzt an die Unmöglichkeit. Besonders für Schüler.“

„Ich weiß. Ich werde mich halt genau umsehen und informieren müssen. Allerdings habe ich für diesen Fall auch schon mal nachgeforscht. Ich würde etwas staatliche Unterstützung bekommen und damit müsste es gehen. Für viel reicht es dann natürlich nicht, aber es ist ja auch nur eine Übergangslösung.“

„Dann komm doch erst mal zu mir! Meine Eltern haben bestimmt nichts dagegen, sie mögen dich ja auch.“

Danny hatte gehofft, seinem Freund damit einen Teil seiner ohnehin schon kaum tragbaren Last abnehmen zu können, doch dieser schüttelte bestimmt den Kopf.

„Das ist ein nettes Angebot, aber ich möchte dir und deinen Eltern nicht auf der Tasche liegen.“

„Es wäre doch nur für eine Weile! Bis du eine bessere Arbeit gefunden hast und sich alles ein wenig beruhigt hat!“

„Trotzdem nicht. Glaub mir, ich habe in den vergangenen Jahren genug Geld gespart, um eine Weile davon leben zu können, selbst wenn ich nicht mehr arbeiten gehen würde. Das passt schon!“

„…Dann lass mich wenigstens helfen, eine Wohnung für dich zu finden“, lenkte der Halbjapaner resigniert ein.

Endlich zeigte sich ein kurzes Lächeln auf den Jimmys Lippen.

„Ja, das wäre toll. Dann geht es bestimmt schneller.“

„Gut. Wann fangen wir an?“

„Wie wäre es mit jetzt gleich? Noch haben die Büros offen.“

„Okay. Aber heute Nacht bleibst du trotzdem bei mir – und keine Widerrede!“

So drohend, wie Danny diesen Moment dreinblickte, hätte wohl auch der Letzte klein bei gegeben. So hatte auch Jimmy dem nichts mehr entgegenzusetzen.

„Schon gut! Du hast mich ja überredet! Aber nur heute.“

„Solange, bis du eine eigene Wohnung hast. Vorher lass ich dich nicht gehen!“

„…Na gut. Hoffentlich habe ich bald was.“

Damit gab sich Danny zufrieden. Die letzte Bemerkung seines Freundes überhörte er ganz galant. Doch es gab noch eine Frage, die ihn ziemlich beschäftigte:

„Ich ab zigmal versucht, dich anzurufen, Jimmy. Ich wollte dich warnen. Was war denn mit deinem blöden Handy los?“

„Eigentlich ist es in Ordnung...“, antwortete er etwas verwundert und holte das kleine Gerät aus seiner Tasche, um es einer schnellen Inspektion zu unterziehen. Es zeigte ihm, wie gewohnt, seinen Bildschirmschoner und wies ihn außerdem darauf hin, dass er eine SMS erhalten hatte. Mehrere Anrufe in Abwesenheit. Alle von derselben Nummer.

„Verdammt… Im Zug war bestimmt der Empfang weg und ich habe nichts mitbekommen.“

Genervt ließ er das Handy wieder verschwinden.

„Aber jetzt darüber zu lamentieren bringt mir auch nichts mehr. Ich muss halt das Beste draus machen.“

So optimistisch wie sein Freund sah Danny die ganze Sache nicht, doch er entschied sich dafür, jetzt lieber den Mund zu halten und nicht noch mehr negative Gedanken zu verbreiten.
 

Zwei Stunden später saßen die beiden Freunde in einer abgelegenen Ecke des Hyde Parks und verglichen die einzelnen Wohnungsangebote, die sie von drei verschiedenen Wohnungsagenturen in der Nähe einholen konnten. Entschieden hatten sie sich noch lange nicht, doch einige Angebote würden sie sich wahrscheinlich genauer ansehen. Dass die Wohnungssuche in London nicht einfach war, hatten sie von vornherein gewusst und sich auch dementsprechend viele Angebote besorgt, doch das meiste war entweder zu teuer, zu weit von der Schule weg oder beides. Außerdem gab es zu den preiswerteren Angeboten kaum Fotos, sodass ihnen wohl nichts anderes übrig bleiben würde, als sich selbst noch einmal auf den Weg und sich vor Ort ein eigenes Bild zu machen.

Kaum dass alle Wohnungsanzeigen durchgearbeitet waren, machten sich Danny und Jimmy auf den Weg zur U-Bahn-Station, um im Südosten und Süden Londons, in Kidbrooke, Lewisham, North Dulwich, Camberwell, Brixton und Clapham, einige Wohnungen zu begutachten, die infrage gekommen waren. Die meisten stellten sich als Fehlschläge heraus, befanden sich in hoffnungslos heruntergekommenen Ecken und machten den Eindruck, als hätte man diese Hütten seit dem letzten Krieg einfach vergessen.

Niedergeschlagen kamen die beiden Freunde gegen abends halb elf bei Danny zu Hause an. Da Danny seine Mutter bereits darüber informiert hatte, dass er heute später kommen und Jimmy mitbringen würde, erwartete diese die beiden Jungen bereits mit ein paar belegten Broten und hatte eine weitere Schlafgelegenheit für die Nacht bereitgestellt. Sie hatte gar nicht weiter nachgehakt, als ihr Sohn gefragt hatte, ob der Blonde erst einmal bei ihnen schlafen könnte. Durch die langjährige Freundschaft der beiden hatte auch Dannys Mutter längst von den Spannungen, die zwischen Jimmy und dessen Vater herrschten, mitbekommen, auch wenn sie bei weitem keine Ahnung hatte, wie weitreichend diese waren. Aber genauer wollte sie es gar nicht wissen. Sie kannte Jimmy praktisch genauso lange wie ihr Sohn, denn seit sich beide in der Schule kennen gelernt hatten, war der Blonde ein häufiger Gast im Hause Willis gewesen. Auch seinen Vater hatte Frau Willis bereits mehrmals gesehen und er war ihr von vornherein unsympathisch gewesen – seit der Sache mit der Trennung sowieso. Daher war sie umso glücklicher, wenn sie Jimmy hin und wieder mal ein bisschen helfen konnte.

Nachdem die Jungen ihr spätes Abendessen vertilgt und sich gewaschen hatten, ging auch Dannys Mutter zu Bett. Der Halbjapaner und Jimmy hatten damit die Möglichkeit, noch ein wenig im Internet nach Wohnungsangeboten zu suchen, was sich allerdings als unnütze Zeitverschwendung herausstellte, denn bis auf 4 weitere Angebote hatten sie nichts Passendes finden können. Anschließend hatten sie bis spät in die Nacht hinein Dannys neuestes Autorennspiel auf der Sony Playstation® ausgetestet.
 

Der nächste Tag verlief relativ ruhig. Beim 11:00 Uhr-Frühstück (denn früher waren die beiden Jungen nicht aus den Betten zu bekommen) erzählte Jimmy auch Dannys Eltern ein wenig über seine derzeitigen Probleme mit seinem Vater, sogar dass er vorhatte, sich eine eigene Wohnung zu suchen, was zur leichten Verwunderung beider Jungen nicht einmal auf großen Protest der Erwachsenen stieß. Die Frage, auf die dieses Gespräch hinauslief, nämlich ob der Blonde vielleicht noch ein paar Tage länger bei ihnen wohnen könnte, brauchte letztendlich nicht einmal mehr ausgesprochen zu werden, denn Dannys Mutter unterbreitete diesen Vorschlag ganz von selbst.

Nachdem dieses Thema geklärt war, machten sich Danny und Jimmy wieder auf den Weg, um sich noch ein paar Wohnungen und Gegenden anzusehen, in denen die Preise verhältnismäßig niedrig waren, doch noch immer konnten sie nichts finden.

Am Nachmittag musste Jimmy auf Arbeit. Danny begleitete ihn und half gelegentlich aus, wenn es an der Kasse des kleinen Supermarkts gerade zu voll wurde. Keiner von beiden hatte es laut ausgesprochen, doch ihre innere Anspannung war an diesem Tag deutlich zu spüren. Sie wussten nicht, wer und wie viele Leute den Zwischenfall vom Vortag mitbekommen hatten, doch ihnen war klar, dass sich die Nachricht, sollte auch nur einer ihrer Bekannten unter den Zuschauern gewesen sein, wie ein Lauffeuer ausgebreitet hätte. Doch in den ganzen sechs Stunden, die beide in dem kleinen Laden verbrachten, wurde das Thema nicht einmal angeschnitten, was sie ungemein beruhigte.

Bevor sie wieder zurück nach Hause gingen, machten Jimmy und Danny noch einen Abstecher zur Wohnung des Blonden, um einige von Jimmys wichtigsten Sachen mitzunehmen. Der Moment war günstig, denn in der Regel war sein Vater um diese Zeit nicht zu Hause. Glücklicherweise war auch heute einer der Regelfälle, wie die beiden Jungen schnell feststellen konnten, sodass sie ganz ohne Stress Jimmys Schulsachen, einige Fotos, Briefe und andere Sachen, die der Blonde vor seinem Vater versteckt hatte, einpacken und mitnehmen konnten. Zu Hause bei Danny wurden dann notdürftig die Hausaufgaben für den nächsten Tag gemacht und über Gott und die Welt diskutiert, bevor sie schließlich von Dannys Mutter ins Bett geschickt wurden.
 

„Mensch, Danny, jetzt hör schon auf so ’nen Flunsch zu ziehen! Das ist ja schlimm!“, beschwerte sich Jimmy.

Seit Dannys Mutter ihnen vor einer halben Stunde beim Frühstückstisch mitgeteilt hatte, dass Hikawa-Sensei angerufen und Bescheid gegeben hatte, dass er heute zum Training kommen „konnte“, war die Stimmung des Halbjapaners praktisch gleich null.

„Ist doch wahr! Einen unpassenderen Zeitpunkt hätte er sich wirklich nicht aussuchen können! Wo wir doch nach der Schule wieder auf Wohnungssuche gehen wollten.“

„Hey, ich kann das auch mal allein machen, keine Sorge! Heute Abend sag ich dir dann, wie es gelaufen ist.“

„Mir ist schon klar, dass du das allein schaffst. Ich wäre einfach gern mitgekommen.“

„Dann sag deinem Meister doch einfach, dass du keine Zeit hast.“

„Davon versteht der doch nichts. Du glaubst ja nicht, wie nachtragend er beim letzten Mal war, als ich nicht kommen konnte.“

Verständnislos schüttelte Danny den Kopf, als könnte er die Erinnerung damit einfach wieder abschütteln.

„Dann musst du wohl durch. Mein Beileid.“

„Danke…“, entgegnete der Halbjapaner mit einem abwertenden Schnauben.

Ja, ihm würde wirklich nichts anderes übrig bleiben. Doch genau das war es ja auch, was ihn so störte: Sein Meister war sturer als ein Maulesel und ließ selbst in Notfällen nicht mit sich reden. Woher der diese Lebenseinstellung hatte, wollte Danny lieber gar nicht erst wissen.

„Entschuldigung“, unterbrach sie plötzlich jemand von der Seite her. Es war ein hoch gewachsener Mann in den frühen 30ern, gekleidet in eine schlichte Bluejeans und ein weißes Hemd mit schwarzen Nadelstreifen, dessen oberste beide Knöpfe offen gelassen waren. Mit Stift und Notizblock bewaffnet grinste er die Jungen schleimig an.

„Ihr seid doch die zwei, die letzten Samstag auf dem Bahnhof waren. Dürfte ich euch ein paar Fragen stellen?“

Danny war von diesen zwei Sätzen wie vom Donner gerührt. Gedankenfetzen rasten durch seinen Kopf, Möglichkeiten, wie er jetzt in etwa reagieren müsste, Fragen, wie dieser Mann – eindeutig ein Reporter – hier her in diese Gegend kam, wieso er ausgerechnet auf sie stoßen musste, warum er an besagtem Tag am Bahnhof war. Doch all diese Dinge waren nur vage Geister, die kurz aufflackerten und gleich wieder verschwanden, wenn man versuchte, sie zu entdecken und festzuhalten. Jimmy reagierte glücklicherweise schneller und besser als er und ergriff nach einigen Augenblicken, in denen auch er den Schrecken erst einmal verarbeiten musste, das Wort.

„Am Samstag waren viele Leute auf dem Bahnhof. Keine Ahnung, was Sie uns da noch für Fragen stellen wollen.“

Kaum dass er diese kurze Erwiderung ausgesprochen hatte, warf er Danny einen Blick zu, der ihm bedeutete, dass sie hier fertig waren, drehte sich um und ging, dicht gefolgt von seinem Freund, wieder seines Weges.

Als sie sich sicher waren, wirklich allein zu sein, verringerten die Jungen ihr Schritttempo und setzten erneut zu einer Unterhaltung an.

„Verdammt, ich hätte nicht gedacht, dass sogar die Presse davon Wind bekommen würde“, grummelte Jimmy halblaut.

„Wenn selbst die sich dafür interessieren, haben wir wirklich ein Problem“, stimmte Danny zu. Ein dicker Kloß hatte sich plötzlich in seinem Hals gebildet, der immer größer zu werden schien, je mehr er versuchte, ihn herunterzuschlucken. In seinem Kopf manifestierten sich bereits die schlimmsten Vorstellungen, die nun über ihnen hereinstürzen konnten, nachdem klar war, dass ein Reporter von der Sache Wind bekommen hatte, denn dass der Kerl, wenn er erst einmal eine Story gewittert hatte, nicht mehr locker lassen würde, war klar, genauso wie die Tatsache, dass solche Leute immer irgendwie an ihre Informationen kamen, selbst wenn es nicht die allerbesten waren. Und das verschlimmerte die Sache noch. Wer weiß, was für Spukgeschichten am nächsten Tag in der Zeitung stehen würden, wenn der wahllos Außenstehende fragte und den Rest selbst ergänzte?

Doch das sprach Danny lieber nicht laut aus. Die Stimmung war düster genug und außerdem war er sich sicher, dass sein Freund ähnlichen Gedanken nachging. Er nahm zwar vieles auf die leichte Schulter und war nicht der Typ, der gleich den Teufel an die Wand malte, doch eine so augenscheinliche Gefahr konnte selbst ihm nicht verborgen geblieben sein. Aber was konnte man dagegen tun?

Als hätte Jimmy seine Gedanken gelesen, durchbrach er ihr Schweigen mit der passenden Antwort:

“Im Grunde ist es wohl egal, was ich jetzt mache. Solange ich nicht weiß, was genau da auf mich zukommt, kann ich mich eh nicht darauf einstellen und mich jetzt schon deswegen fertig zu machen, ist noch weniger sinnvoll. Am besten warten wir erst mal ab und überlegen dann, wie man am besten reagieren könnte.“

„…Ja, du hast wohl Recht.“
 

Als Danny am Abend erschöpft von seinem Training nach Hause kam, erwartete ihn ein bis über beide Ohren grinsender Jimmy, der ihm triumphierend einige zusammengeheftete Blätter unter die Nase hielt.

„Schau mal, was ich hier habe!“

Von der Neugier besiegt, vergaß der Halbjapaner seine ihn bis eben noch plagende Müdigkeit, stellte seine Sachen zur Seite und nahm seinem Freund die Zettel aus der Hand. Je weiter er las, desto erfreuter wurde sein Gesichtsausdruck.

„Ein Kaufvertrag! Du hast also wirklich was gefunden!“

„Ja, und es sieht nicht mal schlecht aus! Die Wohnung liegt im Südosten von Camberwell. Das Stadtviertel ist zwar nicht das schönste, aber es geht einigermaßen. Mein Zimmer könnte mal einen neuen Anstrich gebrauchen, aber wenigstens sind noch ein Bett und ein kleiner Schrank drin. Mein Vormieter ist wohl in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einfach verschwunden und der Vermieter hatte alle Mühe, ihn wieder zu finden. Die Suche und das alles haben ihn wohl einiges gekostet, so wie ich das von einigen Mitbewohnern gehört habe, und daher sucht er jetzt dringend einen neuen Nachmieter. Außerdem ist das eine reine Studentenwohnung, sodass sie ein bisschen preiswerter ist als die meisten anderen. Ich zahle nur ₤35 pro Woche! Genial, was? Ich wette, so ein Angebot gibt es in ganz London nicht noch mal! Und von der Schule ist es auch nicht sehr weit weg. Da kann ich sogar hinlaufen…“

„Das klingt ja echt toll, was du da so sagst, aber willst du mich nicht erst mal ausziehen lassen und nachher weitererzählen, wenn wir mehr Ruhe haben?“, unterbrach Danny den Redeschwall seines Freundes. So euphorisch hatte er ihn schon lange nicht mehr erlebt.

„Okay. Sorry“, entschuldigte sich dieser und half, noch immer grinsend, die Sachen des Halbjapaners zu verstauen.

Nachdem Danny sich geduscht und umgezogen hatte, ging das Gespräch über Jimmys neue Wohnung bei einem warmen Abendbrot in seinem Zimmer weiter. Der Halbjapaner erfuhr, dass noch 20 weitere Studenten in dem Haus wohnten, die sich zwei Küchen und vier Badezimmer teilten. Damit es, besonders morgens nach dem Aufstehen, nicht zur Bildung zeitraubender Warteschlangen kam, gab es einen Plan, der genau festlegte, von wann bis wann jeder in die Küche und ins Bad durfte. Die Studenten, die er bisher kennen gelernt hatte, hatten ihm alle versichert, dass das bis jetzt immer gut gelaufen war, was nicht zuletzt daran gelegen hatte, dass sich auch alle miteinander verstanden. Auch Jimmy war sofort freundlich in ihren Kreis aufgenommen worden.

Der Umzug sollte am nächsten Tag gleich nach der Schule beginnen und Danny versprach, ihm dabei zu helfen (zumal sich ja immer noch einige seiner Sachen in der Wohnung von Jimmys Vater befanden) und ihn von da an jeden Morgen abzuholen und gemeinsam mit ihm zur Schule zu gehen. Es war kein allzu großer Umweg für den Halbjapaner, da er selbst in Lambeth wohnte und Jimmys neue Wohnung in etwa auf seinem Schulweg lag.
 

Das Erste, was Danny und Jimmy am nächsten Morgen taten, nachdem sie ihren Schulweg angetreten hatten, war ein kurzer Zwischenstopp beim Zeitungskiosk, wo sie sich die aktuelle Tageszeitung kauften, um sie auf eventuelle Schlagzeilen zu überprüfen. Zwar hatte Dannys Mutter die regionale Zeitung abonniert, doch diese kam meist erst gegen Mittag.

Danny hatte eigentlich schon fest damit gerechnet, in dieser Ausgabe irgendwo einen mehr oder weniger ausführlichen Artikel zu dem Ereignis am vergangenen Samstag zu finden (zumal einige Klassenkameraden ihnen erzählt hatten, dass sie von einem Reporter angesprochen worden waren, der sie über beide hatte ausfragen wollen), doch da er selbst nach mehrmaligem Durchblättern der gesamten Zeitung nichts finden konnte, gestand er sich erleichtert ein, dass sie heute wohl noch nichts von diesem Vorfall hören würden.

„Vielleicht haben sie ja inzwischen ein paar spannendere Storys gefunden und das Interesse an der Sache verloren“, vermutete Jimmy, doch dem konnte sein braunhaariger Freund nicht so recht Glauben schenken.
 

Dannys Vater, der seit Montag Urlaub hatte, erklärte sich gern bereit, den beiden Jungen beim Umzug zu helfen, indem er Jimmys Sachen in seinem Kleintransporter mitnahm und zu dessen neuer Wohnung brachte. Da der Blonde eh nicht viele Habseligkeiten hatte, reichte eine Fahrt bereits aus, um alles hinüber zu bringen.

Der besorgten Frau Willis versicherte Jimmy, mit seinem Vater über den Umzug gesprochen und dessen Einverständnis erhalten zu haben – was zumindest fast die halbe Wahrheit war. Ja, er hatte ihn über seinen Umzug unterrichtet, aber nicht in Form eines Gesprächs, sondern mittels Notizzettel, auf den er das Nötigste geschrieben hatte, bevor er ihn auf den Küchentisch gelegt hatte, kurz nachdem er und Danny seine letzten Sachen in einer geräumigen Reisetasche verstaut hatten. Anscheinend war dem Blonden zumindest in dieser Hinsicht das Glück hold geblieben, denn er war seinem Vater nicht ein einziges Mal begegnet, wann immer er sich in die Wohnung geschlichen hatte, um einige seiner Sachen abzuholen – auch wenn es einmal ziemlich knapp geworden war.

Da Danny an diesem Abend eh nichts mehr zu tun hatte, blieb er noch ein wenig bei seinem Freund und half diesem beim Einräumen. Seinem Vater hatte er kurz vor dessen Abfahrt versichert, vor um zehn wieder zu Hause zu sein. Damit hatte er noch jede Menge Zeit, auch Jimmys neue Mitbewohner ein wenig kennen zu lernen, die bereits nach dem besten Termin für eine Willkommensparty suchten. Der Abend wurde so lustig, das alles andere für beide in den Hintergrund trat…was sie bereits am nächsten Tag mit voller Wucht wieder einholen sollte.
 

Misstrauisch sah sich Danny auf dem Schulhof um. Irgendetwas war heute anders als sonst, die Grundstimmung, die ganze Atmosphäre stimmte einfach nicht, egal, wohin er und Jimmy auch kamen. Am auffälligsten waren die seltsamen Blicke, verwirrte, schockierte, unglaubhafte, sogar herablassende und abstoßende, die zwischen allen ausgetauscht und ungewöhnlich häufig auf den Blonden gerichtet wurden sowie das kaum noch zu überhörende Getuschel, das durch alle Schülergrüppchen ging. Aber auch sonst verhielten sich alle ein wenig anders als sonst. Ruhiger, zaghafter – bis sich einer auszusprechen traute, was sie alle so sehr mitnahm.

„Hey, Jimmy“, sprach ihn ein Junge aus der Klassenstufe über ihm an, „Stimmt es, was heute in der Zeitung steht?“

„Kommt drauf an, WAS da steht“, entgegnete er lässig.

Es war klar, worauf dieser Schüler hinaus wollte, es hatte sich längst überdeutlich an den Verhaltensweisen der gesamten Schule angekündigt, und trotzdem war allein diese Frage wie Messerstiche für Danny. Er spürte, wie sich langsam eine Gänsehaut auf seinem Nacken ausbreitete und seine Hände unruhig wurden, obwohl er vom jahrelangen Kendotraining darin geübt war, seinen Körper unter Kontrolle zu halten. Wie konnte sein Freund da nur so ruhig bleiben, wo es ihn doch noch viel stärker betraf?

„Wie jetzt? Du hast noch nicht davon gehört? Liest du keine Zeitung?“, erwiderte der Schüler mit halb gespielter Empörtheit.

„Das mache ich schon, aber erst am Nachmittag.“

Diese zweite Antwort war nicht weniger sachlich als die erste, obwohl man nun schon förmlich spüren konnte, wie sich die Lage langsam zuspitzte. Die anderen Schüler, anfangs noch unbeteiligt, desinteressiert tuend, zeigten nun immer mehr ihr Interesse am Ausgang dieser Unterhaltung und konzentrierten sich immer stärker auf die Gesprächspartner.

„Hat zufällig irgendwer eine Zeitung dabei?“, fragte der ältere Schüler in die Runde hinein. Aus irgendeiner Richtung wurde eine nach vorn gereicht und dann an Danny und Jimmy übergeben. Die entsprechende Seite war bereits aufgeschlagen. Lange brauchten beide nicht zu suchen, der große Artikel war kaum zu übersehen:
 

„Das Ende unserer gepflegten Zivilisation?

von Peter Bark
 

Am vergangenen Samstag hat sich auf dem Londoner Hauptbahnhof kurz nach 18:00 Uhr ein Zwischenfall ereignet, der alle sich in der Nähe befindenden Fahrgäste in Aufruhr versetzt hat. Bei einer Auseinandersetzung zwischen dem 17-jährigen Schüler Jim Taylor und dessen Vater ist eine ungeheuerliche Wahrheit ans Licht gekommen: Der sonst so normal wirkende, bei seinen Freunden beliebte, stets gut gelaunte Junge hat ein dunkles Geheimnis, das allen Moralvorstellungen widerspricht – er hegt ein intimes Verhältnis zu seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Joan Taylor, die seit geraumer Zeit mit ihrer Mutter in einen Vorort am anderen Ende Londons gezogen ist, um den Kontakt der Geschwister zu unterbrechen.

‚Früher waren wir eine sehr glückliche Familie. Meine Frau und ich haben uns stets bemüht, unsere Kinder anständig zu erziehen und gesittete Menschen aus ihnen zu machen. Wir hätten niemals erwartet, dass es irgendwann so kommen könnte’, erzählte uns der Vater des Jungen, Bryan Taylor. In der Familie habe, so Herr Taylor, eine sehr harmonische Atmosphäre geherrscht, bis der Junge angefangen habe, seine Schwester zu verführen und mit in seine dunklen Abgründe zu ziehen. Seither hatte es immer häufiger Streit zwischen allen Familienmitgliedern gegeben, man habe verzweifelt versucht, Lösungen für dieses Problem zu finden, blieb jedoch erfolglos. Nicht einmal, als die Familie zerbrochen war, habe Jim sich besinnen und zum Guten wenden können, sondern versuchte weiterhin mit allen Mitteln, seinen krankhaften Trieben nachzugehen. Inzwischen ist das Gewissen des Jungen sogar soweit abgestorben, dass er sich selbst in aller Öffentlichkeit damit brüstet, Inzest zu betreiben, wie über 100 Augenzeugen vom letzten Samstag bestätigen können.

Doch als ob es nicht schlimm genug wäre, dass ein so junger Mensch bereits derart verdorben ist, gibt es sogar noch Leute, die dieses gotteslästerische Fehlverhalten tolerieren. Ein Freund des Jungen, Danny W., der an besagtem Samstag ebenfalls in den Zwischenfall verwickelt war, unterstützte ihn sogar, als dessen verzweifelter Vater versuchte, seinem Sohn zum wiederholten Mal ins Gewissen zu reden.

‚Ich habe schon immer geahnt, dass dieser Danny da irgendwie mit drinstecken muss. Jedes Mal, wenn ich versucht habe, mit meinem Sohn darüber zu reden, hat er abgeblockt und ist zu diesem seltsamen Jungen gegangen. Und am Samstag hat er versucht, Jim zu unterstützen, da bin ich mir sicher! Vielleicht ist es sogar seine Schuld, dass mein Junge so vom rechten Weg abgekommen ist. Immerhin kennen sich beide schon seit der Grundschule.’

Erschreckende Tatsachen, die uns Herr Taylor wehmütig bei einer Tasse Tee offenbart hat, doch er wollte sie der Öffentlichkeit nicht länger vorenthalten, denn ihm ist, genau wie jedem von uns, klar, dass dies kein familiäres Problem mehr ist, sondern die Gesellschaft insgesamt gefährdet. Bitte passen Sie, liebe Leser, gut auf, mit welchen Freunden ihr Kind in der Schule oder Freizeit verkehrt, damit solch erschreckende Beispiele sich nicht wiederholen.

Wir halten Sie weiterhin über den Vorfall auf dem Laufenden.“
 

Mit zittrigen Händen und angespannten Gesichtszügen starrte Jimmy noch eine Weile auf das Papier vor sich, überflog einige Passagen noch einmal. Plötzlich zerriss er es mit einer Wut, die alle Umstehenden, Danny eingeschlossen, für einen Moment zusammenzucken ließ.

„So ein Schwachsinn! Was bildet der Fatzke sich ein?!“, brüllte der Blonde über den ganzen Hof.

„Dann…“, fragte einer der Schüler nach einer Weile kleinlaut nach, „stimmt es also nicht, was sie da geschrieben haben?“

„Ich habe noch nie so viel Lug und Trug auf einmal gesehen!“, empörte er sich weiter, allerdings ein wenig leiser als zuvor.

„…Und das mit deiner Schwester haben sie sich auch nur ausgedacht?“, fragte eine weitere halblaute Stimme.

Eine Weile war es ruhig. Alle Augen ruhten auf Jimmy, der mit noch immer angespannten Gesichtszügen durch die Menge blickte. Er suchte nach den richtigen Worten.

„Es stimmt, dass ich in sie verliebt bin, aber alles andere ist erlogen und erstunken“, antwortete er schließlich wahrheitsgemäß.

Diesmal war Danny nicht einmal mehr geschockt. Höchstens noch ein wenig deprimierter. Diese Lawine konnten sie nicht mehr aufhalten, sie war viel zu groß für sie. Es blieb nur noch abzuwarten und zu hoffen, dass sie lebendig wieder herauskamen, wenn die Massen sie vollends verschluckt hatten.

Jimmy hatte sich jetzt für einen Weg entschieden. Er würde dazu stehen, allen zeigen, wie ernst er es meinte, und hoffen, dass wenigstens einige ihn irgendwann verstehen könnten. Doch der Großteil der Gesellschaft würde ihn verurteilen, das war unausweichlich. Daher wollte der Halbjapaner seinem Freund so gut es ging zur Seite stehen.

Die Antwort des Blonden schien alle Schüler gleichermaßen schockiert und verunsichert zu haben. Irritiert sahen sie von einem zum nächsten, keiner wusste so recht, was zu tun war. Viele wichen einige Schritte zurück, um Abstand zu ihm zu bekommen. Nur Jimmys Freunde schienen noch genug Courage zu haben, um ihm in die Augen sehen und direkt ansprechen zu können.

„Warum, Jimmy? So was ist doch…krank!“

Angesprochener schüttelte resigniert den Kopf.

„Ihr versteht das nicht. Ich weiß ja selbst nicht wieso. Ich liebe sie einfach.“

„Aber sie ist deine SCHWESTER!“

„Ach nee, oder? Das wäre mir jetzt nicht aufgefallen! Aber warum versuche ich überhaupt, es zu erklären? Ihr versteht mich doch eh nicht!“

Beleidigt stapfte er aus den Schülermassen, die hektisch eine Gasse bildeten, als er sich ihnen näherte, heraus. Danny wollte seinem Freund folgen, doch er wurde von einigen seiner Mitschüler zurückgehalten und dadurch von ihm getrennt.

„Danny, warte mal kurz! Du weißt, dass Jimmy was mit seiner Schwester hat, und es stört dich überhaupt nicht?“

„Na ja, es war schon komisch, als ich es erfahren habe“, antwortete er wahrheitsgemäß, „aber irgendwann habe ich verstanden, dass das nicht nur irgendeine kranke Spielerei, sondern todernst ist. Und ich bewundere Jimmy dafür, dass er trotz seiner vielen Probleme den Mut hat, zu seinen Gefühlen zu stehen.“

„Das ist nicht dein Ernst, oder?“

„Doch, mein voller Ernst.“

Dannys Blick machte den anderen eindeutig klar, dass er keinerlei Zweifel daran hatte. Als seine Freunde dies verstanden hatten, änderte sich ihr Blick ihm gegenüber plötzlich.

„Wenn das so ist…“

Der Satz wurde nicht vollendet, doch die abweisende Haltung, die plötzlich alle einnahmen, und ihre kalten Blicke machten jedes weitere Wort überflüssig. Enttäuscht und verärgert drehte Danny sich weg und verließ den Schulhof, steuerte geradewegs das Dach des Hauptgebäudes an, wo er seinen Freund vermutete.
 

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Eigentlich gefällt mir dieses Kapitel ganz gut. Der jetzige Teil noch nicht so, aber der nächste, der euch erwartet. Da hab ich beim Schreiben richtig mit Leib und Seele drin gesteckt! Ist mir auch noch nie passiert...

Lg und bis dann!

Lady_Ocean



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2006-07-03T18:30:28+00:00 03.07.2006 20:30
Wow! Wirklich en schönes Kapitel! ^-^ Mich hat's gewundert, dass ich nach all der Zeit noch in der Story drin war. *gg* Die Konflikte und Lösungsversuche, die du da aufbaust sind allesamt logisch und wirklich gut gemeistert. Bin ja mal gespannt, worauf diese Rückblende (ne ganz schön lange, ne? ^^") noch so alles hinausläuft und wann es mit den eigentlichen Schuckies weiter geht. ^-^ Denn da steht ja auch ncoh eine Konfliktlösung aus, wenn ich mich recht erinnere.
Wie schon gesagt, es ist ein tolles Kapitel geworden und du kannst völlig zurecht zufrieden damit sein. ^-^

lg
lycidas


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