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Frozen Feelings

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Der in diesem Kapitel verwendete Songtext könnte dem einen oder anderen von euch bekannt vorkommen. Es handelt sich dabei um die (ein wenig angepasste) Musicalversion von "Arabische Nächte". Komplett anzeigen

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Familienbande


 

I

ch denke wirklich, dass es so nicht weitergehen kann“, erklärte sein Bruder in der gleichen monotonen Stimmlage, die er sonst dafür verwendete, seine Geschichtsbücher zu zitieren. „Dieser Schneeball hätte ihn fast umgebracht.“

 

Er dagegen, blickte weiter zu Boden, vermied es tunlichst aufzusehen und die Enttäuschung in den Augen seiner Mutter wahrzunehmen. Diese ließ sich mit ihrer Antwort Zeit und tigerte durch das Zimmer, als wüsste sie nicht so recht, wohin mit sich. Sie wollte nichts entscheiden, das wusste er nur zu gut. „Hast du das mit deinem Vater besprochen?“, wollte sie wissen, als sie etwa auf Höhe des Fensters angekommen zu sein schien.

 

Lars schnaubte abfällig. „Was soll das bringen?“

 

Er hörte Schritte. Sie waren schwerer als die seiner Mutter. Lars schien zu ihr ans Fenster getreten zu sein. „Du weißt, was er von ihm hält“, erklärte er stoisch, „Selbst wenn ich ihm davon erzähle, würde es ihn höchstens amüsieren. Er erkennt nicht, wie ernst die Sache eigentlich ist.“

 

„Also denkst du, du kannst ihn übergehen?“ Die Stimme seiner Mutter klang hoch. Zu hoch in seinen Ohren. Sie hatte Angst.

 

„Ich denke, es ist die Aufgabe einer Königin, sich für den Frieden ihres Landes einzusetzen. Du bist unsere Königin. Du kannst in dieser Sache entscheiden, genau wie Vater es normalerweise tut.“

 

Er starrte weiter auf den Teppich und wünschte sich, er könnte zwischen den bunten Mustern verschwinden. Unsichtbar werden, damit er nicht hören musste, wie Lars versuchte, bei ihrer Mutter Gehör zu finden. Gehör in einer Sache, die er sich ganz und gar selbst zuzuschreiben hatte.

 

„Willst du riskieren, dass er unter dem nächsten Schneeball stirbt?“

 

Es wurde still im Zimmer. Vermutlich sahen sie ihn an.

Er rührte sich nicht.

 

Diese Entscheidung war nicht seine.

 

Endlich schien wieder Bewegung in seine Mutter zu kommen. Schwere Stoffe raschelten, ein Hauch von Parfüm streifte seine Nase. Dann erklang ein Seufzer, leise, unendlich schwer und doch zustimmender als jedes Wort, das er je von ihren Lippen hatte kommen hören.

 

„Du solltest packen“, hauchte sie ihm zu, bevor sie auf dem Absatz kehrt machte und förmlich aus dem Zimmer floh. 
 

Ein perfekter Plan


 

D

as ist so lecker!“, verkündete Anna, das Gesicht voller Pfannkuchen. Eine schmale Sirupspur hing in ihrem Mundwinkel und brachte Elsa gegen ihren Willen zum lächeln. Eigentlich sollte sie die Tischmanieren ihrer Schwester tadeln, aber uneigentlich -

„Weißt du, wer auch tolle Pfannkuchen macht?“, plapperte Anna fröhlich weiter, „Tahvo.“

Elsa rollte mit den Augen. Sie hatte in den letzten zwei Wochen mehr über diesen Tahvo gehört, als sie je hatte hören wollen und wusste, worauf das hinauslief.

 

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, du willst mir erklären, dass dieser Tahvo toller ist, als dein Kristoff“, behauptete sie.

 

Für einen Augenblick guckte Anna sie mit großen Augen an, dann fing sie sich und begann eilig wieder zu kauen. „Besser würde ich nicht sagen“, platzte sie heraus, kaum das sie schließlich das letzte Stück Pfannkuchen herunter geschlungen hatte, „Ich denke nur, du könntest ihn mögen. Du könntest ihn kennenlernen, wenn du heute mit uns zum Eislaufen kommst. Das würde Spaß machen. Ach bitte, El-“

 

Anna hatte ihren Namen noch nicht einmal ganz ausgesprochen, da öffnete sich die Tür zum Speisesaal. Ein Dienstbote – Kai – eilte herein, auf einem silbernen Tablett einen dicken Brief.

„Ich würde ja gerne“, ergriff Elsa die Gelegenheit beim Schopfe, „aber du siehst ja, es gibt viel zu tun. So ein Königreich regiert sich nicht von selbst. Ich muss die Post beantworten, die Ausgaben berechnen und irgendjemand muss herausfinden, was mit der Vase im zweiten Stock geschehen ist.“

 

„Wasch für eine Vasche?“, fragte Anna, schon wieder kauend, die Augen verdächtig starr auf die Reste ihres Frühstücks gerichtet. Elsa hätte es nicht gewundert, hätten ihre Ermittlungen irgendwann ergeben, dass ihre Schwester die Vase auf dem Gewissen hatte, doch für den Augenblick beschloss sie das Thema ruhen zu lassen.

Kai erforderte ihre Aufmerksamkeit.

 

Mit einem Nicken nahm sie ihm den Umschlag ab, drehte ihn in geübter Routine herum und brach das leuchtend rote Siegel.

 

„Von wem ist der?“, wollte Anna wissen, während sie den Brief entfaltete.

Es war dickes, teures Papier, in der warmen Farbe eines Sonnenuntergangs. Schön, groß und ausladend beschrieben mit rabenschwarzer Tinte. Elsas Augen flogen über die Seite. Einmal, zweimal und schließlich noch ein drittes mal. Erst dann blickte sie wieder auf.

 

Ihr gegenüber legte Anna den Kopf schief. „Elsa?“, fragte sie, während die gerade gelesenen Sätze in ihrem Kopf langsam anfingen, einen Sinn zu ergeben. Sie blinzelte.

„Geht es dir nicht gut?“, wollte ihre Schwester wissen. Und nein, es ging ihr wirklich nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie glauben – Elsa hob ein viertes Mal den Brief, um ihn zu lesen. Nein, hier stand es, schwarz auf weiß. Sie hatte sich das nicht eingebildet. Hier stand – Oh Gott! Hier stand …

 

Langsam ließ sie das Schreiben wieder sinken.

 

„Anna, ich glaube, wir haben ein Problem.“

 

❄❄❄❄

 

„Erklär mir noch mal, warum wir das mitmachen“, bat Anna, als sie eine knappe Stunde später den Thronsaal betraten. Auch Kristoff guckte sie an, als würde ihn die Antwort darauf brennend interessieren.

Elsa seufzte. „Wir machen das“, erklärte sie den Beiden, „weil ich den ausdrücklichen Wunsch einer Königin schlecht ignorieren kann. Nachdem ich ihren Sohn in Schimpf und Schande heim geschickt habe, sind unsere Wirtschaftsbeziehungen in einer neuen Eiszeit angekommen. Der König hat meine letzten beiden Handelsvorschläge abgelehnt. Wir haben bereits das Herzogtum Weselton verloren, wir können nicht auch noch auf die südlichen Inseln verzichten. Wenn wir der Königin hier entgegenkommen, kann sie vielleicht in den nächsten Verhandlungen ein gutes Wort für uns einlegen. Das ist Politik.“

 

Kristoff nickte, wenngleich er immer noch nicht wirklich überzeugt aussah. Anna dagegen verzog unglücklich den Mund. „Gibt es wirklich keinen anderen Weg?“, wollte sie wissen, während sie nervös an einem ihrer beiden Flechtzöpfe herumspielte.

Elsa konnte ihre Bedenken verstehen. Ihr selbst wurde auch ganz anders bei dem Gedanken daran, dass er ihr Land ein zweites Mal betreten würde. Sie schauderte ob der Vorstellung, dass er unbeobachtet in ihrem Palast herumlaufen und über Wochen an ihrem Tisch essen sollte -

 

Doch halt! Das würde so nicht passieren.

 

Natürlich nicht! Schließlich hatte sie inzwischen einen Plan. Einen, den sie eigentlich sogar ganz gut fand. Sie würde der Königin entgegenkommen, gerade soweit, damit diese sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlen konnte. Er wollte seine Schuld begleichen? Bitte, dann sollte er das tun. Es musste ja nicht in ihrem Thronsaal geschehen!

Vorsichtig streckte sie die Hand nach Annas Arm aus, legte ihre Finger auf den weichen Stoff ihres Ärmels. „Mach dir keine Sorgen“, bat sie sie, „Du wirst sehen, noch bevor die ersten Polarlichter am Himmel leuchten, ist er weg und wir werden ihn nie wieder sehen.“

 

❄❄❄❄

 

Elsa ballte die Hände zu Fäusten, während sie beobachtete, wie sich das Objekt ihrer gemeinsamen Abneigung dem Thron näherte. Prinz Hans sah genauso aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Er trug immer noch die gleiche alberne Uniform, die ihn als Mitglied der Familie Westergaard kennzeichnete, sein Haar war akkurat geschnitten, seine Bewegungen präzise und doch war etwas anders an ihm.

Elsa konnte den Finger nicht darauf legen und sie wollte es auch gar nicht. Was sie wollte, war ihn möglichst schnell wieder loszuwerden.

 

„Prinz Hans, welch unerwartetes Vergnügen“, eröffnete sie das Gespräch, doch ihre Miene strafte ihre Worte lügen. Sie wusste, dass er wusste, dass er in Arendelle nicht willkommen war. Ein Blick zu Anna reichte, um die Wut in ihren Zügen zu erkennen, ein Blick zu Kristoff gab ähnliches preis und das Zimmer hatte unter ihrem eigenen Gemüt bereits einige Grad an Wärme verloren. Trotzdem riss sie sich zusammen.

 

Sie hatte ihren Plan.

 

Prinz Hans verneigte sich, bevor er stumm den Blick auf sie richtete und einfach abwartete. Sicher hatte er die Spannungen im Raum bemerkt. Es wäre schwer gewesen, das nicht zu tun. Elsa räusperte sich.

 

„Deine Mutter hat sich in ihrem Brief recht deutlich ausgedrückt“, erklärte sie, „Sie hält es für unabdingbar, dass du deine Schuld an unserem Land begleichst.“ Sie machte eine Pause, neugierig darauf, ob ihr ungebetener Gast es für nötig halten würde, den Mund zu öffnen, um etwas beizutragen, doch dieser zog es vor, weiterhin zu schweigen.

Die Luft um sie herum wurde noch einmal kälter. Sie tauschte einen Blick mit Anna, dann setzte sie fort, „Ich akzeptiere ihre Bitte, wenngleich es mich überrascht, dass sie uns erst jetzt erreicht. Und ich erwarte, dass du meinen Befehlen ab sofort Folge leistest. Ein Fehler und du nimmst das nächste Schiff aus diesem Land. Egal welches Ziel es haben mag.“

Ihre Stimme war schneidend und anscheinend hatte das eine gewisse Wirkung auf ihn. Für einen Augenblick schien Prinz Hans zu schaudern, dann neigte er den Kopf. Offensichtlich war ihre Warnung angekommen.

 

Elsa lehnte sich zurück. „Da wir das jetzt geklärt haben, kommen wir am besten gleich zur Sache“, setzte sie fort, und spürte wie die Blicke aller Anwesenden sich fester auf sie richteten. Prinz Hans verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das Andere. Er mochte diese Entwicklung nicht.

 

Hervorragend!

 

Elsa erlaubte sich ein Lächeln. „Wie dir sicherlich bekannt ist, liebt meine Schwester nichts so sehr wie Sonnenblumen“, erklärte sie ihm, „Also wirst du ihr eine beschaffen.“

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Anna die Hand vor den Mund schlug, um nicht zu lachen. Eine Sonnenblume in Arendelle zu finden, war fast genauso unmöglich, wie das Nordlicht in Flaschen zu füllen. Nur ein einziges Mal hatte so eine Blume den Weg in ihr Königreich gefunden. Als hübsch dekorierter Teil eines Geburtstagsblumenstraußes, den ihre Cousine Rapunzel ihnen aus Corona mitgebracht hatte. Doch der war längst abgeblüht und kompostiert.

 

Prinz Hans schluckte schwer. „Eure Majestät, das ist -“

„Eine hervorragende Idee“, fiel Anna ihm ins Wort, „Ich liebe Sonnenblumen.“

 

Ungläubig starrte Prinz Hans erst Anna und dann sie an. Dann öffnete er den Mund, doch es kam kein weiteres Wort heraus. Elsas Lächeln vertiefte sich.

„Hübsch arrangiert wäre nett“, setzte sie noch einen drauf und Anna beeilte sich ein amüsiertes „Gerberas passen gut dazu“, zu ergänzen.

„Sven mag Gerberas“, warf nun auch Kristoff ein und besiegelte damit das Schicksal ihres ungebetenen Gastes.

 

Zufrieden klatschte Elsa in die Hände.

„Damit ist es dann wohl beschlossen“, legte sie einfach fest, „Das Beschaffen einer Sonnenblume soll deine erste Aufgabe an meinem Hofe sein.“ 
 

Ein hoffnungsloses Unterfangen

Das Beschaffen einer Sonnenblume soll deine erste Aufgabe an meinem Hofe sein“, äffte er die Stimme von Königin Elsa nach, während er Sitron die schwarz-weiße Mähne kämmte. Er wusste, dass außer ihnen niemand im Stall war, ansonsten hätte er sich so ein respektloses Verhalten nicht erlaubt. Doch hier waren nur er, sein Pferd und die einmalige Chance sich all das von der Seele zu reden, was sich in den letzten Wochen in ihm aufgestaut hatte.

 

Fast war es ihm, als wäre es erst wenige Tage her, seit ihn dieser Schneeball getroffen hatte.

Der Schneeball, der alles verändert hatte.

Er war aus dem Nichts gekommen, völlig unerwartet und eigentlich hatte er nicht mal richtig wehgetan. Er hätte es ignorieren können, hätte nicht ausgerechnet Lars in diesem Moment aus dem Fenster geguckt und so alles mit angesehen.

 

Der Schnee, der Pferdemist …

Er hatte seinen Bruder selten so wütend gesehen.

 

Hans seufzte, während er einen Haarknoten aus Sitrons Mähne löste.

„Da sind sie schon so kurz und du verknotest sie dir immer noch“, tadelte er das Tier.

 

Der Hengst schnaubte, offenkundig deprimiert.

 

„Ich weiß.“ Vorsichtig fuhr Hans mit den Fingern durch das Haar, um schließlich auch die letzte Strähne aus dem Haarknäul zu befreien. „Jetzt sollte es gleich besser sein.“

 

Ein Pferdemaul stupste aufmunternd seine Schulter. Offensichtlich war es wirklich besser so.

 

„Wenn nur alles so einfach zu lösen wäre, wie deine Haare“, scherzte Hans.

 

Das Pferd schenkte ihm einen skeptischen Blick.

 

„Nein, schau mich nicht so an. Ich werde garantiert keinen Brief nach Hause senden, damit Mutter mir eine Sonnenblume schickt. Ich habe ihr wahrlich schon genug Kummer bereitet. Vielleicht sollte ich -“ Hans schüttelte den Kopf. „Nein, das ist sinnlos“, erklärte er dem Pferd, „Arendelles Schneeeinbrüche haben sicher dafür gesorgt, dass nirgendwo im Land mehr eine Blume zu finden ist. Zumindest keine Sonnenblume. Wenn ich wirklich eine beschaffen will, muss ich sie vermutlich importieren.“

 

Sitron nickte zustimmend.

 

„Ich könnte natürlich Franz schreiben.“

 

Sein Pferd erstarrte in der Bewegung, nur um gleich darauf nach Kräften seinen Kopf zu schütteln. Hans tätschelte ihm den Hals. „Ich weiß“, gab er zu, „das würde uns nichts nützen. Selbst wenn Franz Sonnenblumen in seinem Garten hat, würde er sie mir nicht schicken. Im Gegenteil. Er würde mitsamt Brief zu Caleb rennen und wenn der herausfindet, dass ich keine Ställe mehr putze...“ Er seufzte noch einmal. „Weißt du, in dem Punkt hat Lars ja recht. Es kann so nicht mehr weitergehen. Ich kann nicht ewig Ställe schrubben und sein wir ehrlich … Dieser Plan mit Arendelle war wirklich nicht meine beste Idee.“

 

Erneut sah er Sitron nicken.

 

„Ich verstehe immer noch nicht, warum er mir so dermaßen aus dem Ruder laufen konnte, aber ich sehe ein, das hätte nicht passieren dürfen. Königin Elsa hat wirklich allen Grund, mir böse zu sein.“

 

Noch ein Nicken.

 

„Weißt du“, stellte Hans trocken fest, „du bist gerade nicht sehr aufbauend.“

 

Sitron schnaubte. Dieses Mal empört.

 

„Schon gut. Du kannst ja nichts dafür, dass es nichts Aufbauendes zu sagen gibt. Die Wahrheit ist eben: Ich hab's vermasselt.“

 

Sitron schnaubte erneut, dieses Mal versöhnlicher, und Hans nutzte die Chance seinem Pferd noch einmal den Hals zu tätscheln. Da war er nun, noch keine zehn Stunden im Land und schon wieder in Schwierigkeiten.

Für ein paar Tage würde die Königin sicher ignorieren, dass er nichts vorzuweisen hatte, doch dann würde sie anfangen nachzufragen und er bezweifelte, dass sie ihm viel Geduld entgegenbringen würde. Klar, er konnte versuchen sich herauszureden, sie zu beschwichtigen, doch wie gut das klappte, sah er ja an seinen Brüdern.

Er brauchte diese Blume. Nur, woher sollte er die nehmen und nicht stehlen? Er seufzte. Vielleicht hatte Lars ja einen Rat für ihn.

 
 

❄❄❄❄

 

Einen Brief an seinen Bruder aufzusetzen, gestaltete sich erschreckend schwierig. Zwar kannte Hans die kurzen Briefe, die sein Bruder Caleb zu verschicken pflegte, doch die waren kaum mehr als schriftliche Befehle und so etwas konnte er Lars nicht senden.

Also saß er nun seit geschlagenen zwei Stunden vor einem Bogen Briefpapier und überlegte, was er schreiben sollte.

Lieber Lars?“ - Nein, der Brief ging an seinen Bruder und wie konnte er mit „lieber Lars“ eröffnen, wenn er nicht einmal wusste, ob sein Brief überhaupt willkommen war? Vielleicht sollte er formeller sein? Seinen vollen Titel nutzen? Oder vielleicht sollte er auf die Einleitung auch ganz verzichten und stattdessen einfach anfangen zu berichten, als wäre es ein Militärreport?

 

Doch über was?

 

Sollte er von dem Schnee schreiben, der seit seiner Ankunft sanft vom Himmel fiel, oder von der Schiffsreise, die die meiste Zeit über erschreckend ereignislos verlaufen war?

 

Nein, besser nicht. Briefe, die sich mit langweiligen Schiffsreisen befassten, waren Lars sicher nicht recht, dann doch lieber Schnee und eine kurze Anmerkung, dass sein Boot nicht unterwegs gesunken war. Ja, genau, das konnte er machen. Und dazu vielleicht eine Erklärung, was Königin Elsa von ihm verlangte und die möglichst belanglose Frage, ob Lars vielleicht eine Idee hatte, woher er auf die Schnelle eine Sonnenblume nehmen sollte.

So würde es gehen. jetzt noch ein paar Grüße an Lars' Frau Helga und dann musste er nur warten und hoffen, dass sein Bruder ihm bald eine brauchbare Antwort schicken würde.

 

❄❄❄❄

 

Über eine Woche war ins Land gegangen, ohne das er eine Antwort bekommen hatte und Hans wurde langsam nervös. Lange würde es nicht mehr dauern, bis Königin Elsa Resultate verlangen würde, das wusste er, auch wenn er sie seit jenem Tag im Thronsaal nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Ein Stück weit war das sicherlich auch seine Schuld. Er verschanzte sich in seinem Zimmer, wann immer er nicht über den örtlichen Markt streifte, angetrieben von der irrwitzigen Hoffnung, dass einer der Händler vielleicht eine Blume hatte, die sein Problem zu lösen vermochte.

Doch obwohl er jeden Tag die Waren begutachtete und jeden Händler, der Saatgut verkaufte, nach Sonnenblumen fragte, schien es aussichtslos.

 

In Arendelle war der Blumennotstand ausgebrochen und niemand wusste genau, für wie lange er anhalten würde. Traurig musterte er die Schiffe, die fein säuberlich am Kai lagen und Matrosen und Waren aus aller Welt mit sich brachten. Warum nur transportierte keines von ihnen Sonnenblumen?

Hans senkte den Kopf. Wenn das so weiter ging, würde er noch versuchen, eine Sonnenblume aus Schnee zu bauen. Ein Unterfangen, welches ihm bestimmt keine Pluspunkte einbringen würde. Oder vielleicht -

 

„Du siehst aus wie sieben Tage Regenwetter“, erklang es hinter ihm und er beeilte sich sofort wieder Haltung anzunehmen. Ein Prinz schaute nicht trübsinnig zu Boden, ein Prinz verbreitete stets den Eindruck alles fest im Griff zu haben, selbst wenn die Wahrheit eigentlich eine andere war. Langsam und bestimmt drehte er sich um.

 

 

„Lars?“

 

Sein Gegenüber musterte ihn abschätzig. „Das hast du schon mal schneller erkannt“, bemerkte er.

 

Einen Moment lang starrte Hans ihn einfach an. „Was tust du hier?“, wollte er dann wissen.

Konnte es sein? Konnte es wirklich sein, dass Lars wegen seinem Brief gekommen war? Das er ihm helfen wollte? Nein, das war unmöglich. Seine Brüder versuchten nicht ihm zu helfen. Das hatten sie noch nie getan.

 

Lars schob sich die Brille auf der Nase zurecht. „Ich fülle hier meine Vorräte auf“, erklärte er, „Aber eigentlich bin ich auf dem Weg nach Corona. Die letzten Berichte von dort waren recht widersprüchlich.“

 

„Widersprüchlich?“, fragte Hans.

 

„Es heißt, die verlorene Prinzessin, die nicht mehr verloren ist, habe über Nacht meterlanges, blondes Haar bekommen und keiner weiß warum.“

 

„Und das willst du ergründen?“

 

Lars schenkte ihm ein seltenes Lächeln, das von „ja, natürlich“ bis „auf keinen Fall“ alles bedeuten konnte. Vermutlich hatte er Pläne und doch – Einen kurzen Augenblick lang hatte Hans gehofft …

„Hast du meinen Brief bekommen?“, fragte er, um sich von dem unangenehmen Gefühl abzulenken, das sich in ihm auszubreiten begann.

 

Lars nickte langsam. „Das habe ich in der Tat“, bestätigte er, während er die Hände in den Taschen seines Mantels vergrub. „Ich fürchte nur, ich habe dir nichts Gutes mitzuteilen. Eine Sonnenblume benötigt eine gewisse Umgebungstemperatur und in Anbetracht der ständigen Temperaturschwankungen hier, bezweifle ich, dass es diese Blume in Arendelle zu finden gibt.“

 

Hans erlaubte sich ein Seufzen. „Das hatte ich befürchtet“, murmelte er, „Der Befehl der Königin ist nicht zu erfüllen. Wir haben Mitte Oktober und die Händler aus warmen Ländern, wie Agrabah, handeln nicht mit Blumen. Die versuchen einem höchstens irgendwelche Lampen zu verkaufen.“

 

Einen Moment lang sah Lars aus, als wollte er etwas sagen, doch dann wandte er sich ab.

„Begleite mich zum Pier“, forderte er und Hans beeilte sich, zu ihm aufzuschließen. Seinen Bruder ließ man nicht warten, vor allem dann nicht, wenn man immer noch hoffte, einen Rat von ihm zu bekommen.

 

„Würdest du mich mitnehmen? Nach Corona?“, fragte Hans, während sie sich der „Titus“ näherten, einem kleinen, schnellen Schiff, das sich äußerlich kaum von den anderen am Kai unterschied.

 

Lars schüttelte den Kopf. „Du hast hier eine Schuld zu begleichen“, erinnerte er ihn, „Außerdem, wenn ich dich mitnehmen würde, was dann? Arendelle hat gute Beziehungen zu Corona. Königin Elsa könnte dich einfach zurückschaffen lassen und selbst wenn sie es nicht tut, Vater würde es irgendwann befehlen.“

 

„Weiß er inzwischen, dass ich gegangen bin?“

 

Lars schnaubte abschätzig. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Zumindest hat er nichts erwähnt und ich bin nicht so dumm, ihn danach zu fragen. Wie dem auch sei, wir müssen weiter, und du, du musst das hier zu einem zufriedenstellenden Ergebnis bringen. Vater würde dir das nie verzeihen, wenn du aus dieser Chance nichts machst.“

 

Hans nickte stumm. Die Fakten waren ihm wohl bekannt, er wusste nur nicht, wie er die gestellten Forderungen umsetzen sollte und scheinbar war Lars keinesfalls bereit, ihm dabei zu helfen, das herauszufinden.

„Wir legen gleich ab“, erklärte der kühl und winkte nebenbei einen seiner Matrosen heran. „Hubert, bring mir das Geschenk von meiner Frau.“ Der Matrose machte auf dem Absatz kehrt und Lars wandte sich wieder Hans zu.

„Ich werde bis zur Schneeschmelze in Corona bleiben“, berichtete er ihm und wirkte für einen Augenblick noch steifer als normal, „Solltest du vorhaben, mir noch einmal zu schreiben, solltest du das bedenken.“ Er drehte sich ruckartig um und machte sich daran, an Bord zu gehen. Erst auf halbem Wege blieb er nochmal stehen.

 

„Ach, Hans?“, rief er, während er sich ein weiteres Mal die Brille richtete, „Ich denke, du solltest Helga schreiben. Möglicherweise willst du dich bei ihr bedanken.“ Dann verschwand er auf dem Schiff und Hubert kam ihm mit einem großen Topf entgegen.
 

Reue, Rat und Reaktion


 

E

lsa hastete den Flur entlang. Ihr Atem ging schwer, doch sie wusste, sie durfte jetzt nicht stehenbleiben. Sie musste verschwinden und das am besten sofort! Sie musste – Elsa prallte gegen etwas Hartes. Sie taumelte zurück. Einen Moment lang verschwamm die Welt vor ihren Augen.

 

„Euer Majestät?“, hörte sie eine besorgte Stimme, dann wurden die Umrisse klarer und sie

sah –

 

Eine Sonnenblume?

Elsa blinzelte ein paar Mal. Die Blume blieb. „Euer Majestät?“, wiederholte sie. Doch, nein, halt. Das war ja gar nicht die Blume, das war -

 

„Königin Elsa!“, erklang es in der Ferne und ihr wurde siedend heiß bewusst, dass sie ja hatte verschwinden wollen. Instinktiv griff sie nach ihrem Gegenüber. „Hier lang“, befahl sie, dann eilte sie weiter den Flur hinunter. Eine Sonnenblume auf den Fersen.

 

❄❄❄❄

 

„Was war das?“, fragte Prinz Hans, während er sich mit dem Rücken gegen die Tür des Zimmers stemmte. In den Armen immer noch diesen dummen Blumentopf. Elsa beschloss ihn zu ignorieren. Sie konzentrierte sich lieber auf die Tür, ließ ihre Kräfte walten und überzog die Scharniere mit einer glänzenden Schicht aus Eis. Hier würde er nicht reinkommen, egal wie sehr er es versuchte.

Sie atmete erleichtert auf. Endlich war sie sicher. Sie stockte überraschend. Ihr Blick glitt von der Tür zu Hans und von ihm weiter zu der Sonnenblume.

 

Das hatte sie jetzt nicht bedacht.

 

Prinz Hans schien einen Augenblick zu zögern, dann stellte er den Topf mit der Pflanze ab. „Ich habe Eure Sonnenblume“, erklärte er überflüssiger Weise, bevor er zögerlich zur Tür guckte. „Ähm... Habt Ihr uns gerade eingesperrt?“

 

Elsa nickte, krampfhaft um ein wenig Souveränität bemüht. „Es ist nur vorübergehend“, erklärte sie, doch der skeptische Blick ihres Gegenübers blieb. Sie konnte es ihm nicht einmal verübeln. Sie hätte ihn wohl auch so angeguckt, hätte er sie in ein leeres Gästezimmer gezerrt.

 

„Vor was verstecken wir uns?“ fragte er misstrauisch, während Elsa sich prompt auf einen der Stühle sinken ließ. Er war härter als die in ihren Gemächern, doch für den Moment würde es gehen.

 

„Tahvo“, entgegnete sie, weil sie den Eindruck hatte, Hans die Information irgendwie schuldig zu sein, doch der verwirrte Ausdruck in seinem Gesicht blieb. Elsa seufzte.

„Annas Freund, Tahvo“, präzisierte sie.

 

„Der Blonde aus dem Thronsaal?“

 

„Nein, das ist Kristoff. Tahvo ist auch blond, ohne Thronsaal.“

 

Hans nickte, obwohl Elsa sich fast sicher war, dass er mit der Beschreibung nicht viel anfangen konnte. „Und warum verstecken wir uns vor ihm?“

 

Sie seufzte noch einmal. „Weil irgendjemand Tahvo verraten hat, dass ich Schokolade mag.“

 

Und da war er wieder, dieser skeptische Blick, der nach den tieferen Beweggründen zu fragen schien. Elsa legte ein Stück Schokolade auf den Tisch.

„Versuch sie“, forderte sie und beobachtete, wie Hans vorsichtigen Schrittes näher kam. Langsam streckte er die Hand nach der Schokolade aus und schnüffelte zunächst an ihr. Möglicherweise sprach es für ihn, dass er sie sich nach ihrer Erklärung nicht direkt in den Rachen warf. Erst als er mit der äußeren Untersuchung fertig war, verschwand das Stück in seinem Mund.

 

Zunächst kaute er einfach nur, dann verzog er angewidert das Gesicht. „Oh Gott, was ist das denn?“, entfuhr es ihm, „Das schmeckt ja, als hätte es vor mir schon Jemand gegessen.“

Elsa nickte. „Und davon hat er einen ganzen Teller voll.“

 

Hans wurde grün im Gesicht. „Ich verstehe die Dringlichkeit eurer Flucht“, gab er zu, „Aber, wieso habt Ihr nicht einfach „Nein“ gesagt? Ihr seid die Königin, Ihr könntet ein Gesetz dagegen erlassen. Wobei, ich glaube, es gibt schon eines, welches das Vergiften anderer Leute verbietet. Ihr könntet ihn dafür verurteilen.“

 

Elsa schüttelte den Kopf. „Das kann ich eben nicht“, erklärte sie, „Tahvo ist Annas Freund. Ich kann keinen Freund meiner Schwester verurteilen.“

 

Einen Augenblick lang sah Hans aus, als wollte er „Warum nicht?“ fragen, doch er hielt sich tapfer zurück und versuchte lieber den Geschmack von seiner Zunge zu bekommen. Elsa entspannte sich ein bisschen. „Vermutlich ist es nicht einmal Tahvos Schuld“, gab sie zu.

 

Hans runzelte die Stirn.

 

„Ich bin mir sicher, Anna hat ihm eingeredet, dass ich einen Freund bräuchte. Sie will mich schon seit Wochen verkuppeln.“

 

„Aber Ihr wollt das nicht?“

 

Elsa nickte. „Es genügt mir voll und ganz, mich auf Arendelle und meine Schwester zu konzentrieren.“

 

„Habt Ihr ihr das gesagt?“

 

„Etwa 20 mal.“

 

„Oh.“ Für einen Moment stand Hans etwas verloren im Raum herum, dann erbarmte sich Elsa und deutete auf einen Stuhl.

 

„Meine Brüder hören auch nie auf mich“, erzählte er, während er sich setzte, „Sie denken, weil ich der Jüngste bin, ist meine Meinung nicht von belang. Ich habe mir angewöhnt, das zu ignorieren. Man kann ohnehin keine zwölf Meinungen auf einmal vertreten.“

 

Elsa sah ihn skeptisch an. Natürlich hatte er recht damit. Man konnte keine zwölf Meinungen auf einmal vertreten, aber eigentlich … „Sollte es nicht reichen, wenn du eine Meinung vertrittst?“, hörte sie sich fragen, „Zum Beispiel deine eigene?“

 

Hans lächelte versonnen. „Als ich das das letzte mal versucht habe, haben drei von ihnen angefangen mich wie Luft zu behandeln. Hat zwei Jahre angehalten. Nachträglich betrachtet, war das eine sehr schöne Zeit.“

 

„Das ist schrecklich!“, entfuhr es Elsa, doch Hans schüttelte den Kopf.

 

„Brüder sind so“, versicherte er ihr, „Außerdem, was ich eigentlich damit sagen wollte, war: Geschwister hören nicht zu. Sie nehmen auch keine Rücksicht und manchmal sind ihre Ideen zum schreien schlecht, aber letztlich gibt es nur zwei Möglichkeiten mit Ihnen umzugehen. Entweder man gehorcht, oder man setzt sich gegen sie durch. In Eurem Fall würde ich letzteres empfehlen. Immerhin könnt Ihr Euch nicht dauerhaft vor Tahvo verstecken.“

 

„Ich kann's versuchen“, entgegnete Elsa, obwohl sie wusste, dass das Unsinn war. Hans hatte recht. Sie konnte sich nicht ewig verstecken. Sie war Arendelles Königin. Sie wurde gebraucht. Sie konnte nicht vor ein paar Schokoladenhappen wegrennen. Zumindest nicht auf lange Sicht.

„Was schlägst du vor?“, gab sie schließlich nach.

 

Einen Moment lang musterte Hans sie überrascht, dann hüstelte er eilig. „Ihr könntet es mir überlassen. Anna hasst mich ohnehin schon, da ist es egal, ob ich ihrem Freund sage, er soll verschwinden. Und wenn es Euer Wunsch ist, dann formuliere ich es auch angemessen freundlich. Ich kann angemessen freundlich sein.“

 

„Anna hasst dich nicht“, beeilte sich Elsa zu widersprechen, doch Hans sah sie einfach nur sehr lange an, bevor er schließlich den Kopf schüttelte.

 

„Mit Verlaub, das tut sie“, entgegnete er, „Und es scheint mir durchaus angebracht. Ich hätte sie nicht in diesem Zimmer einschließen dürfen. Nicht nachdem, was sie mir über Türen erzählt hat.“

 

„Ich glaube nicht, dass es ihr darum geht“, widersprach Elsa noch einmal, „Ich denke eher, sie ist sauer, weil du ihr die große Liebe vorgegaukelt hast.“

 

„Hab ich nicht!“

 

Elsa starrte Hans an. Einerseits ärgerte es sie über alle maßen, dass Hans die Unverfrorenheit besaß, diesen Fakt zu bestreiten. Andererseits, wieso sollte er lügen? Er konnte doch nicht annehmen, dass sie ihm mehr glauben schenken würde, als ihrer eigenen Schwester. Oder doch?

„Erklär's mir“, forderte sie, während die Temperatur im Raum zu sinken begann.

 

Hans schluckte. „I-Ich habe ihr gesagt, dass das mit uns eine Zweckgemeinschaft ist“, beteuerte er, „Eine offene Tür. Wir haben es sogar gesungen. Als Duett.“

 

Elsa klappte den Mund auf, doch die Worte wollten einfach nicht so recht aus ihr heraus kommen. „Duett?“, krächzte sie schließlich und ihre Stimme klang verblüffend rau in ihren Ohren.

 

Hans nickte. „Liebe öffnet Tür'n“, erklärte er, „Ich kann es Euch vorsingen. Inzwischen kann ich den Text. Auch wenn ich glaube, als Solo verliert es etwas an Reiz.“

Elsa blinzelte mehrfach. So richtig konnte sie es nicht glauben. Doch wenn man bedachte...

 

„Ich habe dabei auch ein paar Mal vielsagend auf Euer Schloss gedeutet. Ich schwöre, ich war mir sicher, es wäre klar gewesen. Und dann, dann war sie weg, ich habe mich um alles gekümmert und plötzlich war sie wieder da und erzählte was von „Kuss“ und „wahrer Liebe“.“ Aber ich- Ich hab sie nie geliebt. Ich hätte ihr nicht helfen können und dann … Dann habe ich mich wohl von der günstigen Gelegenheit verleiten lassen. Ich dachte, sie stirbt so oder so und Ihr wart eine gefährliche Hexe, die das Land bedrohte. Da hab ich die Chance einfach genutzt. Es tut mir leid. Wirklich …“

 

Stille legte sich über sie. Irgendwo tickte eine Uhr, doch Elsa nahm das nur am Rande wahr. Sie musste das alles erst verdauen. Hans hatte es Anna wirklich gesagt. Und Anna, ihre freundliche, naive Anna, hatte die Metapher offensichtlich ziemlich missverstanden.

 

„Vielleicht solltest du mit Anna reden“, würgte sie schließlich hervor.

 

Hans blickte auf den Tisch. „Wahrscheinlich“, stimmte er ihr zu, „Sobald ich es selber richtig verstanden habe.“

 

„Denkst du, das wird bald geschehen?“

 

Er blickte immer noch nicht wieder auf und langsam bekam Elsa den Eindruck, dass das Absicht war. Vorsichtig lehnte sie sich über den Tisch.

„Ich kann mich für nichts entschuldigen, was ich nicht verstehe“, verteidigte Hans sich eilig.

 

Elsa hielt in der Bewegung inne. „Aber du hast dich bei mir entschuldigt“, erinnerte sie ihn und endlich hob er wieder den Kopf.

 

„Ich habe mich entschuldigt, weil es mir leid tut“, stellte er klar, „Es tut mir leid, dass ich Euch hinrichten wollte, es tut mir leid, dass ich die falschen Schlüsse gezogen habe und es tut mir leid, dass ich versucht habe, Euer Königreich zu übernehmen. Ich verstehe, dass das falsch war und ich möchte es wieder gutmachen. Aber die Sache mit Anna... Die verstehe ich halt noch nicht.“

 

„Dann brauchst du Zeit?“

 

„Vermutlich.“

 

Elsa ließ sich wieder zurücksinken. Ja, sie konnte das verstehen. Hans hatte ja schlecht wissen können, wie abgeschottet sie und ihre Schwester aufgewachsen waren. Wie wenig Ahnung Anna gehabt hatte, als sich die Tore des Palastes zum ersten Mal geöffnet hatten und wie wichtig ihr eben jene Türen gewesen waren, die er für seine Metapher verwendet hatte.

 

„Anna wird eine ehrliche, späte Entschuldigung lieber annehmen, als eine vorschnelle, falsche“, erklärte sie schließlich, „und was mich betrifft, ich bin dir schon nicht mehr ganz so böse.“

 

Hans schenkte ihr ein dünnes Lächeln. „Danke“, murmelte er, doch Elsa schüttelte eilig den Kopf.

„Ich muss mich bedanken“, stellte sie klar, „schließlich hast du dir meinen ganzen Ärger mit Tahvo angehört.“

 

„Und ich werde mein möglichstes tun, um ihn zu beenden.“
 

Arbeit und Vergnügen


 

E

s war Abneigung auf den ersten Blick, doch Hans gab sich alle Mühe sie einfach weg zu lächeln. Nach Elsas Erzählungen hatte er sich vieles unter dem Namen Tahvo vorgestellt. Allem voran einen durchgedrehten Giftmischer, der sich kein Stück für seine Umgebung interessierte. Das der sich letztlich als junger Mann entpuppte, der genauso falsch lächelte wie er … Nun, das mochte Schicksal sein.

 

„Würdest du mich ein Stück begleiten?“, fragte Hans und beäugte sein Gegenüber kritisch. Er wusste, was jetzt im Kopf des Anderen vorging. Sicher überlegte Tahvo, ob er es sich leisten konnte, seinen Wunsch auszuschlagen, doch anscheinend traute er sich nicht so recht, denn nachdem er seine Uniformjacke einen Augenblick länger als nötig gemustert hatte, nickte er schließlich.

 

Der Gleichschritt kam automatisch, genauso wie er immer zu kommen pflegte, wenn man in Gesellschaft von einem Ort zum anderen marschierte, doch Hans war das relativ egal. Er versuchte lediglich, sich auf sein Gegenüber einzustellen.

„Hör zu“, begann er schließlich, gerade als sie an einem Bild mit einer hübschen, jungen Frau vorbeikamen, unter dem der elegante Name „Belle“ prangte.

 

Tahvo beäugte ihn misstrauisch.

 

„Königin Elsa fühlt sich von deinem Interesse sehr geschmeichelt, aber sie ist vielbeschäftigt und möchte die wenige Zeit, die ihr bleibt, mit ihrer Familie verbringen.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause, doch wenn Tahvo seine Aussage verstanden hatte, zeigte er es nicht. Im Gegenteil, sein Pokerface wurde starrer und starrer, bis es Hans irgendwann an den Ausdruck erinnerte, den Caleb immer aufsetzte, wenn etwas Bedeutsames einfach nicht in seinen Schädel wollte. „Du gehörst nicht dazu“, erklärte er also ein wenig schroffer und legte damit die Karten auf den Tisch.

 

Tahvo schnaubte beleidigt „Wenn dem so wäre, würde sie's mir selber sagen“, behauptete er prompt, „Wir stehen uns nämlich ziemlich nahe.“

 

Hans verdrehte die Augen, „Sie ist die Königin“, erklärte er weiter, „Du kannst froh sein, dass sie überhaupt die Zeit findet, Jemanden damit zu beauftragen, dir die Tür zu zeigen.“

 

Tahvo blinzelte. „Du willst mir die Tür zeigen?“, echote er ungläubig.

 

Hans nickte. „Sie ist die Treppe runter und dann geradeaus. Kaum zu übersehen.“

 

Tahvo blinzelte noch einmal. „Fein“, schnappte er dann, „Wenn es das ist, was ihr wollt, werde ich gehen, aber die hier könnt ihr behalten!“ Es gab ein ekelhaft klatschendes Geräusch, als ein Teller voller Schokoladenhappen gegen Hans' Brust gedrückt wurde. Dann ließ der Druck plötzlich nach und das Porzellan fiel scheppernd zu Boden. Tahvo drehte auf dem Absatz um und stolzierte von dannen. Und er?

Er starrte den dunkelbraunen Fleck auf seiner Weste an und fragte sich, ob es das war, was Menschen bekamen, die versuchten einfach nur nett zu sein.

 

❄❄❄❄

 

Eigentlich hätte ihn sein Weg direkt in sein Zimmer führen sollen, damit er seine Sachen ausziehen und versuchen konnte, die Schokolade zu entfernen, doch irgendwie hatten seine Füße einen anderen Plan gehabt. Nun stand er vor der Tür zum königlichen Arbeitszimmer und rang mit sich selbst. Konnte er es sich erlauben einfach anzuklopfen?

 

Sein Vater war schon immer sehr streng gewesen, auch was sein Arbeitszimmer betraf und Caleb machte es ihm in bester Tradition einfach nach. Hans wusste nur zu gut, wie sie die Diener anbrüllten, wenn sie es wagten, unerlaubt an ihre Türen zu klopfen.

Lars dagegen war anders. Er verschanzte sich zum arbeiten bevorzugt in der Bibliothek und bedachte dort jeden mit bösen Blicken, der sich nicht angemessen zu verhalten wusste. Auch das war anstrengend, aber wenigstens fühlte man sich nicht so ausgesperrt.

 

Unsicher musterte er die Tür.

 

Zu welcher Art Mensch wohl Königin Elsa gehörte?

 

Würde es sie ärgern, dass er sie störte, oder war es in Ordnung, weil er ihren Befehl ausgeführt und Tahvo zur Räson gebracht hatte? Er schluckte. Eigentlich hätte er schon gerne einmal etwas richtig gemacht.

Zögerlich hob er die Hand. Noch konnte er gehen und versuchen sie vor dem Abendessen abzupassen, wenn sie auf dem Weg zum Speisesaal war. Nur ob der Bericht so lange warten konnte? Und was wenn er sie verpasste? Oder sie Gesellschaft hatte?

 

Hans atmete tief durch, dann schlugen seine Fingerknöchel gegen das weiß bemalte Holz. Ein leises Klopfen erklang, doch es ging ihm durch Mark und Bein. Jetzt war es zu spät um umzukehren. Jetzt musste er sich seinen Ängsten stellen.

 

❄❄❄❄

 

„Was ist denn mit dir passiert?“, entfuhr es Elsa, als er zögerlich das Zimmer betrat. Es war groß, hell und sah eigentlich nicht viel anders aus, als die anderen Räume, die er vom Schloss bereits kannte. Einzig der massive Schreibtisch wies darauf hin, dass hier eben auch gearbeitet wurde.

 

Unwillkürlich verzog er das Gesicht. „Tahvos Schokoladenteller ist passiert“, gestand er ihr.

 

Elsa schlug sich die Hand vor den Mund. „Nein!“

 

Er nickte. „Doch. Aber zu Eurer Beruhigung, ich habe ihm im Gegenzug ganz höflich die Tür gezeigt.“

 

Elsa grinste. „Das hat ihm nicht gefallen oder?“, riet sie mit einem weiteren Blick auf den überdimensional großen Schokoladenfleck. „Du solltest das ausziehen, bevor sich die Schokolade weiter durch das Gewebe drückt und dir am Ende auch noch das Hemd ruiniert.“

 

Hans sah an sich hinab. Sie hatte recht, aber bei seinem Glück war es wahrscheinlich schon zu spät dafür. „Ich wollte Euch nur davon berichten, für den Fall, dass er das „Raus“ nicht ganz verstanden hat.“

 

„Du hast nicht wirklich „raus“ zu ihm gesagt, oder?“, fragte Elsa prompt und veranlasste ihn dazu, eilig seinen Kopf zu schütteln.

 

„Nein, natürlich nicht. Ich habe schließlich versucht, nett zu sein. Allerdings fürchte ich, der Teller hat die ganze Nettigkeit nicht ganz so gut vertragen.“

 

„Das ist nicht schlimm“, versicherte Elsa, „Teller haben wir ohne Ende. Hauptsache, dir ist nichts passiert.“

 

Für einen Augenblick starrte Hans sie an, dann stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. „Es war nur Schokolade“, wiederholte er, überrascht, dass sie das überhaupt zu interessieren schien, „Furchtbare Schokolade, aber Schokolade.“

 

Elsa lachte und es war ein ungewohnt angenehmes Geräusch. „Da bin ich beruhigt“, gluckste sie, dann wurde es still zwischen ihnen.

Hans nahm an, dass Elsa wohl erwartete, dass er etwas sagte. Dass er sich verneigte und wieder ging, um seine Sachen auswaschen, und doch – Unschlüssig schaute er sich im Zimmer um, bis er mit dem Blick an etwas hängen blieb. Die einfache Gestaltung, die Farben. Das war doch …

 

„Ihr spielt Schach?“, hörte er sich fragen und erregte so ein weiteres mal Elsas Aufmerksamkeit.

 

„Eigentlich ist es mehr Deko“, gestand sie ihm nach einem langen Blick auf das Brett, „Ich war früher oft alleine, da hatte ich kaum Gelegenheit mich in Brettspielen zu üben, aber ich kann die Theorie.“

 

„Dann spielt Ihr also Theorieschach?“, verbesserte er sich, „Hättet Ihr Lust zu testen, ob Ihr in einem normalen Spiel bestehen könnt?“

 

„Lust schon, aber leider -“ Ihr Blick glitt zu ihrem Schreibtisch, auf dem sich diverse Papiere stapelten. Sie sagte nichts weiter, doch das musste sie auch gar nicht. Hans verstand die Geste auch so.

 

„Schade“, entgegnete er, überrascht, wie ernst es ihm mit dieser Floskel war. Er hätte schon gerne gegen sie gespielt. Aber Arbeit war Arbeit und wenn sie so viel davon hatte -

„Kann ich Euch vielleicht behilflich sein?“, rutschte es ihm heraus.

 

Elsa sah ihn skeptisch an. „Du willst was?“, fragte sie.

 

„Ich will Euch helfen. Von Steuern und Abgaben habe ich nicht wirklich eine Ahnung, aber wenn Ihr etwas habt, was mit der Schifffahrt oder dem Hafen zusammenhängt …“

 

Die Königin musterte ihn immer noch. „Es kommt selten vor, dass mir Jemand mit dem Papierkram helfen will“, erklärte sie, „Du weißt, dass er zu großen Teilen ziemlich fade ist, oder?“

 

Hans nickte. „Ich bin fade Aufgaben gewohnt. Meine Brüder vergeben die besonders gerne. Gleich nach Stall ausmisten und das ist auch nicht sonderlich erbaulich. Außer in der einen Woche, wo die Pferde alle zum Training am anderen Ende der Insel waren. Da hatte ich viel Spaß allein im Stall. Aber da gab es auch nichts auszumisten.“

 

Elsa schüttelte den Kopf, bevor sie nach ihren Papieren griff. „Ich glaube, ich habe da vorhin einen Bericht zu den Schiffszöllen gesehen“, erzählte sie, während sie blätterte, „Du könntest ihn lesen. Vielleicht verstehst du, warum einige Schiffe ihn zahlen, die Anderen aber nicht.“

 

Hans sah ihr einen Augenblick beim suchen zu, dann räusperte er sich. „Vermutlich hängt es davon ab, unter welcher Flagge sie segeln“, wagte er eine Prognose, „Ich weiß, dass unsere Schiffe verpflichtet sind, einen Zoll zu entrichten, wenn sie über Arendelle fahren und vermutlich haltet Ihr es auch mit den anderen Ländern so. Eure eigenen Boote zahlen natürlich keinen Zoll und wenn es noch weitere gibt, die nicht zahlen, müsste das in den jeweiligen Handelsabkommen niedergeschrieben sein.“

 

„Dann muss ich also zunächst herausfinden, aus welchem Land die jeweils aufgeführten Boote stammen?“

 

Hans nickte. „Das kann ich übernehmen, wenn Ihr wollt.“

 

Elsa hörte auf zu blättern. Einen Moment lang hielt sie den Bericht einfach nur in der Hand, dann schob sie ihn über den Tisch. „Ich bin gespannt, zu welchen Ergebnissen du kommen wirst“, erklärte sie, als er seinerseits nach den Papieren griff.

 

Hans atmete tief durch. Es war ungewohnt, dass ihm Jemand etwas anvertraute. Und das es ausgerechnet Elsa war, machte ihn schon ein wenig stolz. Immerhin, hatte sie ihn von seiner schlechtesten Seite kennengelernt. Sie wusste, zu was er fähig war und doch vertraute sie ihm genug, dass er ihr helfen durfte. Und das sogar bei etwas wirklich wichtigem.

 

Langsam blätterte er durch die Seiten. Egal wie fade dieser Bericht sein würde, er würde ihn lesen und er würde alle Ungereimtheiten finden, die es darin zu finden gab. Er würde Elsa beweisen, dass ihr Vertrauen gerechtfertigt war und vielleicht, nur vielleicht, würde sie ihn dann wieder so anlächeln wie sie es vorhin getan hatte.
 

Von Qual und Wa(h)l


 

I

ch denke, ich setzte meinen Springer auf E3“, erklärte Hans, aber Elsa war mit ihren Gedanken nicht bei der Sache. In ihrem Kopf schwirrte immer noch seine Geschichte über den Stall herum. Zunächst war es ihr kaum aufgefallen, doch dann hatte sie bemerkt, dass fast alle Erwähnungen von Hans' Brüdern negativ belegt zu sein schienen.

Sie ignorierten ihn, schoben unangenehme Aufgaben auf ihn ab und schienen sich kein Stück für das zu interessieren, was Hans wirklich beschäftigte. Das ärgerte sie. Familie war so kostbar und seiner schien das irgendwie vollkommen egal zu sein.

 

„Königin Elsa?“

 

Der Gedanke daran, dass sie ihn zu ihnen zurückgeschickt hatte, machte es nicht besser. Ja, er hatte eine Bestrafung verdient gehabt. Aber so hatte sie sich das nicht vorgestellt. Eine Strafe war eine Strafe, sie verdiente einen Anfang, eine Mitte und ein Ende.

 

„Elsa?“

 

Etwas Warmes streifte ihre Hand und ließ sie prompt aus ihren Gedanken schrecken. Hans zog eiligst seine Finger zurück. „Verzeiht. Ihr wart nur so abgelenkt“, erklärte er. „Ihr wisst, Ihr müsst nicht mit mir spielen. Wenn ich Euch langweile -“

 

„Nein, Nein. Ich spiele wirklich sehr gern mit dir“, fiel Elsa ihm ins Wort und erntete dafür ein dünnes Lächeln. Vorsichtig griff sie, an den Spielfiguren vorbei, nach seiner Hand. „Es ist in Ordnung, wirklich“, beteuerte sie noch einmal. Seine Haut fühlte sich warm unter ihren Fingern an. Nicht so warm, wie Annas, aber immer noch warm genug, um sie daran zu erinnern, was sie hier eigentlich tat.

 

Was tat sie hier eigentlich?

 

Elsa blickte Hans an, doch der schien genauso überfragt zu sein wie sie. Kurz überlegte sie einfach wieder loszulassen, sich wieder auf das Spiel zu konzentrieren, doch irgendwie … Ein Finger strich unsicher über ihren Handrücken und hinterließ ein leichtes Kribbeln auf ihrer Haut.

Wer war eigentlich dran gewesen? Sie wusste es nicht mehr. Sie wusste nur –

 

Die Tür flog auf und beendete krachend was auch immer das gerade gewesen war.

 

„Elsa, es ist eine Katastrophe! Im Hafen da- Was macht er hier?“ Verständnislos starrte Anna Hans an und der starrte peinlich berührt zurück.

 

„Er zeigt mir, wie man Schach spielt“, antwortete Elsa, obwohl sie sich da nicht so sicher war. Das was gerade passiert war, gehörte bestimmt nicht zur üblichen Schachroutine. Trotzdem beeilte sich Hans zustimmend zu nicken.

„Ich kann es dir auch zeigen, wenn du magst. Dann könnt ihr zusammen spielen“, schlug er vor, doch Anna hörte ihm gar nicht zu.

 

„Was ist aus deinem Plan geworden?“, fragte sie, „Wieso ist er überhaupt noch hier?“

 

Elsa blickte von Hans zu Anna und wieder zurück. „Er hat die Sonnenblume beschafft“, erklärte sie lahm.

 

Anna verschränkte die Arme vor der Brust. „Und warum weiß ich davon nichts?“

 

„Weil“, begann Elsa und kam sich auf einmal ziemlich dämlich vor, „ich einfach noch keine Zeit hatte, es dir zu erzählen.“

 

„Du spielst hier Schach mit ihm“, entgegnete Anna trocken und Elsa wusste, eigentlich hatte sie recht. Hätte sie es ihrer Schwester erzählen wollen, sie hätte es problemlos tun können. Sie hätte ihr auch einfach die Blume schicken können und doch hatte sie es nicht getan. Sie hatte die Sache für sich behalten und gedacht, es würde sich schon irgendwie klären.

Und nun -

 

„Es tut mir leid, Anna“, murmelte sie betroffen.

 

Anna atmete tief durch. „Schon gut“, entgegnete sie, „Aber so geht das nicht. Es ist nicht mehr viel Zeit bis zu den ersten Polarlichtern und du weißt, was du mir versprochen hast.“

 

Elsa schluckte. Natürlich hatte sie das nicht vergessen. Bis zu den Polarlichtern hatte sie ihn endgültig loswerden wollen. Aber -

 

„Du musst ihm eine neue Aufgabe geben“, forderte ihre Schwester.

 

Elsa schüttelte den Kopf. „Mir fällt gerade keine ein“, behauptete sie. Gut, wahrscheinlich wäre ihr eine eingefallen, hätte sie ein Weilchen darüber nachgedacht, aber sie wollte ihm keine neue Aufgabe geben. Sie wollte ihn nicht mehr loswerden.

Sie wollte -

 

„Mir aber“, unterbrach Anna sie energisch. „Der Grund, warum ich eigentlich gekommen bin. Im Hafen wurde ein Wal angespült. Das arme Tier kommt da nicht mehr weg. Er kann ihn zurück ins Meer schieben.“

 

Elsa machte große Augen. „Einen Wal?“, wiederholte sie langsam, „Anna, das ist vollkommen unmög-“

 

„Ich mach's.“

 

„Was?“, entfuhr es Elsa und auch Anna sah reichlich überrascht aus.

 

„G-Gut“, entgegnete sie dann, bemüht souverän, „Aber wenn du es nicht schaffst, wirst du mit dem nächsten Schiff verschwinden.“

 

Hans nickte. „Gut“, echote er.

 

Elsa schüttelte den Kopf. „Das kannst du doch nicht machen. Das ist ein Wal! Hans, weißt du, wie groß so ein Wal werden kann?“

 

Er nickte ein weiteres Mal. „Ich weiß, aber Jemand muss das Tier zurück ins Wasser schieben. Wenn nicht, wird es sterben. Und außerdem -“

 

„Außerdem?“

 

„Es haben schon genug Menschen Kummer wegen mir und ich will nicht, dass es Euch am Ende auch so geht.“

 

Elsa seufzte. „Können wir dann nicht wenigstens mit etwas Schaffbarem beginnen?“, fragte sie, obwohl sie glaubte, die Antwort darauf bereits zu kennen. Anna hatte die Aufgabe vermutlich nicht einmal ganz ernst gemeint. Wahrscheinlich hatte sie nur gewollt, dass sie versuchten, dem armen Tier zu helfen. Und nun? Nun meinte Hans etwas beweisen zu müssen und riskierte dabei, dass ihre Freundschaft ein Ende fand, noch bevor sie richtig begonnen hatte.

 

Das gefiel ihr nicht.

Das gefiel ihr ganz und gar nicht

 

Aber sie konnte ihn auch nicht bitten, es nicht zu tun.

 

Mit flauem Magen schob sie ihren Stuhl zurück. „Na schön“, gab sie nach, „Wenn es das ist, was du willst, dann werden wir es so machen, aber du wirst nicht alleine gehen. Dieses Mal werde ich dich begleiten.“

 

❄❄❄❄

 

Der Wal ragte wie ein großes, dunkelgraues Gebilde am Kai auf und hatte bereits eine Menge Schaulustiger angezogen. Händler und Seeleute starrten das Tier an und schienen zu überlegen, was damit zu tun war. Elsa schluckte. Sicher würden die Menschen eine Lösung von ihr erwarten.

 

Als sie den Wal noch nicht gesehen hatte, hatte sie halb gehofft, dass ein oder zwei ihrer Schneemänner in der Lage sein würden, ihn zurückzuschieben, doch jetzt bezweifelte sie das. Sie konnte das Tier höchstens einfrieren und das würde seinem Überleben sicher nicht zuträglich sein.

 

Neben ihr hielt Hans für einen Augenblick die Luft an. Vermutlich hatte er sich das Tier auch ein bisschen kleiner vorgestellt. Elsa schenkte ihm einen vorwurfsvollen Blick. Fast war sie versucht, ihn zu fragen, ob er seine Behauptung von vorhin zurücknehmen wollte, doch er ballte die Hände zu Fäusten und trat noch etwas näher an den Wal heran. Einen Moment lang glaubte Elsa, er wolle das Tier näher betrachten, doch dann drehte er sich herum und holte tief Luft.

 

„Männer! Wir haben ein Problem“, verkündete er in einer Lautstärke, die ihm die Aufmerksamkeit aller Anwesenden einbrachte, „Ein Wal liegt auf unseren Ankerplätzen.“

Ein paar der Anwesenden begannen zu tuscheln, doch Hans ignorierte es gekonnt.

„Solange er hier liegt, können keine Schiffe ankern und wenn er hier stirbt, werden auch die Plätze mit mehr Abstand beeinträchtigt sein. Toter Wal stinkt!

Kein Mensch kauft Gewürze, wenn der Geruch nach Tod in der Luft liegt! Kein Mensch kann auf seinem Schiff in Ruhe schlafen! Und Stoffe mit Wal-Aroma bringen keinen guten Preis!

Aber es gibt einen Weg das zu verhindern! Einen Weg, der auch dem Wal gefallen wird! Wir schieben ihn zurück ins Meer!“

 

Das Getuschel wurde lauter. „Das Tier ist dafür viel zu groß!“, rief Jemand aus der Menge. „Das schaffen wir nie!“, stimmte ein Anderer zu und insgeheim gab Elsa ihnen recht. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass sie es schaffen würden, einen Wal zurück zu schieben. Klar, die Matrosen waren stark, aber -

 

„Er hat recht! Wir müssen es versuchen!“, kam es von der anderen Seite, wo sich ein junger Mann durch die herumstehenden Leute drängte. Er hatte pechschwarzes Haar, das einen starken Kontrast zu seinem weißen Hemd bildete.

 

„Wartet! Wartet!“, erklang es hinter ihm, doch er ging gar nicht weiter darauf ein.

 

„Meine Crew und ich werden Euch auf alle Fälle helfen“, verkündete er, während sich sein Begleiter, ein dürrer, älterer Mann, zu ihm durch die Menge schob.

 

„Oh Eric!“, entfuhr es ihm, doch der schenkte ihm nur ein breites Lächeln.

 

„Jetzt schimpf nicht wieder, Grim. Du weißt doch genau, wie böse meine Frau wäre, würde ich nicht wenigstens versuchen, ihrem Freund zu helfen.“

 

Grim seufzte. „Es ist doch überhaupt nicht klar, ob sie wirklich mit diesem Wal bekannt ist“, murrte er, aber offensichtlich war die Sache bereits entschieden.

 

Eric reichte Hans die Hand. „Ich habe 38 Männer. Und ich bin mir sicher, ich kann noch ein paar Andere überzeugen“, erklärte er.

 

Hans nickte angetan. „Wir wären Euch wirklich sehr verbunden.“

 

„Sven und ich helfen auch“, rief Kristoff aus der anderen Ecke und stapfte mitsamt seinem Rentierkumpel auf ihre kleine Gruppe zu. Grim starrte das Geweih groß an, sagte aber nichts, während Elsa sich um ein Lächeln bemühte.

 

„Danke, Kristoff. Danke, Sven“, verkündete sie erleichtert. Hans nickte den Neuankömmlingen zu. „Danke“, schloss er sich ihren Worten an, doch Kristoff winkte ab. „Wir können das Tier doch nicht sterben lassen“, erklärte er bescheiden.

 

„Das können wir wirklich nicht“, kam es aus der Menge und Tahvo stapfte an ihnen vorbei. Er schenkte Elsa keinen Blick, aber dafür grinste er Kristoff an, wie Jemand, der sich wirklich freute, einen guten Freund zu sehen. Elsa warf einen Blick zu Hans und der schaute überrascht zurück.

 

„Danke, Tahvo“, presste er irgendwie heraus.

 

Dieser schnaubte abwertend. „Ihr habt da Schokolade“, stellte er nüchtern fest, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf Kristoff richtete. Offensichtlich war er ihnen immer noch böse. Nicht böse genug, um nicht helfen zu wollen, aber doch so böse, dass er es nicht lassen konnte, wenigstens ein bisschen zu provozieren.

 

„He!“, erklang es in der Menge. „Au!“, fauchte es, dann krabbelte Anna aus der Masse heraus. Einen Moment lang hockte sie vor den gaffenden Leuten, dann sprang sie eiligst auf und richtete sich ihren Rock. „Ich will dem Wal auch helfen“, erklärte sie, während sie auf die Gruppe zu marschierte. Elsa schenkte ihr ein Lächeln und bot ihr ihre Hand an. Sie mochten sich bezüglich Hans nicht einig sein, aber wenn es darum ging, etwas Gutes zu tun, dann waren sie wieder ein Herz und eine Seele.

 

Schwestern eben, die alles für einander taten und bereit waren, einander alles zu verzeihen. Selbst wenn es eigentlich gar nichts zu verzeihen gab.
 

Der Wunschverkäufer

Erics Stimme schallte vom Kai bis zu ihnen herüber, aber Hans hörte nicht weiter zu. Sie hatten verabredet, dass Eric die übrigen Seeleute überzeugen würde, während er die Händler zusammentrommelte. Und das hatte bislang auch ganz gut geklappt. Drei von ihnen waren beim Anblick seiner hübschen Begleitung sofort bereit gewesen, die Ärmel hochzukrempeln, drei weitere hatten nach einem kurzen Kosten-Nutzen-Gespräch ihre Zusage erteilt.
 

Und Elsa? Die schien von den Fortschritten durchaus angetan zu sein.

 

Zumindest wirkte sie nicht mehr ganz so steif, wie in dem Moment, in dem sie den riesigen Wal das erste Mal gesehen hatte. Und vielleicht hoffte sie ja sogar – Hans schlug sich den Gedanken aus dem Kopf. Sie hatte wirklich keinen Grund darauf zu hoffen, dass er bleiben durfte.

Obwohl …

Ihr Schachspiel schoss ihm durch den Kopf. Die Erinnerung an kühle Finger auf seiner Haut.

Nein, das war Unsinn. Sie mochte ihn nicht. Nicht so. Wie könnte sie auch? Die Sache hatte er bereits vor langer Zeit vermasselt.

 

Hans räusperte sich leise. „Nächstes Zelt?“, fragte er und Elsa nickte zustimmend, bevor sie langsam auf ein schlichtes, blaues Zelt zusteuerte. Hans meinte sich erinnern zu können, dass der Mann hier mit Kerzen und Lampen handelte, aber eigentlich war es ihm egal.

Was sie brauchten, war seine Muskelkraft.

 

Sie hatten das Zelt noch nicht einmal ganz erreicht, da tönte ihnen bereits ein lautes „Salam“ entgegen. Der Händler, ein kleiner Kerl mit einem Turban, der fast größer war, als er selbst, sprang hinter der Plane hervor und winkte sie begeistert näher. „Was kann ich für Euch tun, meine Freunde?“, fragte er neugierig.

 

Hans atmete tief durch. „Sicher hast du schon den Wal im Hafen bemerkt?“, entgegnete er.

 

Der Händler nickte und für einen Augenblick befürchtete Hans, der Turban würde dadurch vielleicht Übergewicht bekommen. Er warf einen knappen Blick zu Elsa, die bemüht unbeeindruckt neben ihm stand.

 

„Wir wollen ihn zurück ins Wasser schieben“, erklärte sie sanft.

 

Der Händler hielt inne. „Warum?“, erkundigte er sich, „Aus dem Walfett könnte man doch tolle Sachen machen. Eine Kerze zum Beispiel, die sieben Tage ohne Pause brennt. Oder eine Füllung für eine meiner Lampen.“

 

Hans schüttelte den Kopf. „Das Tier leidet, der Hafen ist nur halb nutzbar und wenn er hier stirbt, wirst du keine Kunden mehr finden, die noch eine Lampe kaufen wollen. Außer vielleicht, sie überdeckt den Walgeruch. Bitte, wir brauchen deine Hilfe.“

 

Er schenkte dem Händler einen langen Blick. Ob er wirklich etwas bewegen konnte? Hans hatte ernste Zweifel. Der Mann war winzig und hatte sicher nicht viel Kraft. Ihn zu fragen war mehr eine Frage der Höflichkeit als alles andere.

Trotzdem freute es ihn, als der Händler nachgiebig seufzte. „Nun gut, wie Ihr wünscht, Efendi“, räumte er ein, „Ich habe hier genau das Richtige für einen Mann mit großen Plänen.

 

 

Oh, ich komm von weit fort,

einem sehr fernen Ort

mit Palästen voll Prunk und Stolz,

seine Wüsten so weiß und die Luft glühend heiß,

echt die Hölle doch he was soll's?

 

 

Wenn der Wind leise weht

und die Sonne zergeht,

und der Mond strahlend hell erwacht.

Kommt und folgt der Musik,

nehmt den Teppich und fliegt

in den Rausch der arabischen Nacht.“

 

 

Hans warf einen skeptischen Blick zu Elsa. Eigentlich hatte er angenommen, dass der Andere jetzt schieben gehen würde, stattdessen tat er das, was die Menschen in Arendelle ohnehin viel zu gerne taten. „Ist es normal, dass er jetzt singt?“, flüsterte er Elsa ins Ohr.

 

Die lächelte erhaben. „Ich mag die Melodie“, raunte sie zurück, während der Händler bereits bei der nächsten Strophe angekommen zu sein schien.

 

Tretet ein, in mein Zelt

von unglaublicher Pracht,

wo man stündlich ein Wunder sieht.

Wo Fakire schockieren

und der Zauber erwacht,

Sesam öffne dich und es geschieht.

 

Kommt nur her, kommt heran,

sie fängt gerade erst an,

eine magisch arabische Nacht.“

 

 

Neben ihm summte Elsa die, zugegebenermaßen recht eingängige, Melodie mit, während der winzige Händler von einer Kiste zur nächsten hüpfte, fröhlich weiter trällerte und Hans anfing sich zu fragen, wieso in Arendelle wirklich jeder sein eigenes Solo zu kriegen schien.

 

 

Arabische Nächte,

wie die Wüste am Tag,

sind wie jeder weiß,

oft heißer als heiß,

auf die Art die man mag.

 

Arabische Nächte,

trüben manchen Verstand.

Nicht jeder meint's gut,

drum seid auf der Hut,

im ewigen Sand.

 

An dem magischen Ort,

dieser mystischen Macht

steckt ein Dschinni in jedem Gefäß.

 

Er erfüllt Eure Träume,

Euer Wunsch sei Befehl,

wie ein Sklave,

doch he ich versteh's.

 

Arabische Nächte,

trüben manchen Verstand.

Nicht jeder meint's gut,

drum seid auf der Hut,

im ewigen Sand.“

 

 

Eine Hand schob sich vor seine Nase. „Das macht dann fünf Goldstücke, Efendi“, erklärte der Händler mit einem breiten Grinsen, „Vier für die Ware und eins für die Warnung.“

 

Hans legte den Kopf schief. „Aber, ich wollte keine -“

 

„Tzz, tzz, tzz“, fiel ihm der Händler ins Wort, „Das habt Ihr bei Eurer Jagd nach der Blume auch schon gesagt. Aber vertraut Eurem neuen Freund, Efendi. Fünf Goldstücke und all Eure Sorgen werden Geschichte sein.“

 

Hans griff in seine Tasche.

„Willst du ihm wirklich Gold für eine Ware geben, die du noch nie gesehen hast?“, flüsterte Elsa ihm ins Ohr, doch er war bereits dabei, fünf glänzende Münzen in die Griffel des Händlers zu zählen.

 

„Ehrlich gesagt zahle ich dafür, dass er nicht noch eine Reprise singt“, raunte er zurück, als der kleine Mann die Münzen seinerseits in seinen Geldbeutel fallen ließ.

 

„Es war mir eine Ehre mit Euch Geschäfte zu machen“, erklärte er angetan, dann reichte er ihm ein billiges, braunes Tuch, das um einen harten Gegenstand gewickelt war.

Neugierig schlug Hans den Stoff zurück, bis stumpfes, schwarzes Metall zum Vorschein kam. Es war – natürlich – eine Lampe.

 

„Kriege ich mein Gold zurück, wenn die mir nicht dabei hilft, den Wal loszuwerden?“, fragte er spitz, doch eine Antwort des Händlers bleib aus. Elsa zog an seinem Ärmel.

„Hans?“, flüsterte sie leise und brachte ihn so dazu, von seinem unfreiwilligen Einkauf aufzusehen.

 

Die Hauswand vor ihnen war nichtssagend und kahl. Der Händler und das Zelt waren verschwunden.

 

Hans zog die Stirn kraus. „Ich würde ja sagen, das ist typische Rückgabepolitik“, scherzte er schwach, „aber das finde sogar ich extrem.“

 

„Ehrlich gesagt, finde ich das ein wenig unheimlich. Ein Händler, der von einem Moment auf den Anderen verschwindet und dann dieses Ding ...“

 

„Es ist eine Lampe“, verbesserte Hans und hob sie endgültig aus ihrer Verpackung. „Sie ist ziemlich düster, aber wenn wir sie ein bisschen putzen, könntet Ihr sie vielleicht -“ Weiter kam er nicht, denn noch während er probeweise mit dem Lumpen über das Metall gefahren war, war Bewegung in die Sache gekommen.

 

Roter Rauch stieg aus der Lampe auf, wurde dicht und dichter und formte sich schließlich zu einer riesigen, dunkelroten Gestalt. Die Hühner in den Käfigen eines nahen Standes begannen aufgeregt zu gackern, Pferde wieherten nervös und der Himmel schien sich schlagartig zu verdunkeln.

 

Blitze zuckten, ein körperloses Lachen erklang.

 

„Ich bin frei!“, schrie die Gestalt über ihnen, „Frei, mich an jenen zu rächen, die mich in diese Lampe gesperrt haben!“ Dann sauste sie los, doch weit kam sie nicht.

Ein dumpfes Klirren erklang, fast so, als wären die Armbänder des Wesens gegen eine unsichtbare Mauer geprallt, die, egal wie sehr das Wesen auch zog und zerrte, einfach nicht nachgeben wollte.

 

„Diese verdammte Lampe“, grollte es, „Alle Macht des Universums und sie wird gebunden durch die Gesetze der Dschinni! Ich kann nichts dagegen tun, aber... Ich habe ja Jemanden, der es für mich tun kann!“

 

Kalte, rote Augen richteten sich auf Hans und langsam begann der zu ahnen, dass die letzte Goldanlage vielleicht wirklich nicht seine Beste gewesen war.
 

Wünsch dir was


 

B

ring mich nach Agrabah!“, brüllte die Kreatur und für einen Moment glühte die Lampe in Hans' Händen dunkelrot. Elsa schluckte. Was auch immer das für ein Wesen war, sie fand es mehr als unheimlich.

In der Ferne hörte sie Eric etwas rufen. Sicher würden die Anderen ihnen gleich zu Hilfe kommen. Nur, was tat man gegen so ein Ungetüm?

 

„I-In Ordnung“, brachte Hans irgendwie heraus und der Dschinni – Es war bestimmt ein Dschinni – hielt in seiner Wut inne. „Ich bringe dich nach Agrabah“, wiederholte Hans ein wenig fester, „allerdings kann ich es nicht sofort tun.“

 

„DU WAGST ES?!“, schrie der Dschinni und seine Stimme schallte unangenehm in Elsas Ohren. Hans hob beschwichtigend die Hand.

„Es ist nicht meine Schuld“, versicherte er leise, „Sieh, ich würde ja Segel setzen, aber solange dieser Walfisch im Hafenbecken liegt, kann keines der Schiffe hier auslaufen und zu Fuß brauche ich bis nach Agrabah länger, als meine Lebensspanne es erlaubt. Das wäre natürlich alles kein Thema, wenn ein großes, mächtiges Wesen diesen Wal zurück ins Meer befördern würde.“

 

Der Dschinni starrte ihn an und Hans starrte faszinierend unbeeindruckt zurück. Elsa rang sich zu einem vorsichtigen Nicken durch. „D-Das ist wahr“, stimmte sie ihm zu, „Der Wal lebt noch und wenn ein Schiff zu nah an ihn heran kommt, was im engen Hafen schnell passieren kann, dann -“

 

„Ist dies dein erster Wunsch?“

 

Elsa verstummte. Sie mochte es nicht, dass dieses Wesen ihr ins Wort fiel und sie mochte auch nicht, wie es Hans anstarrte, doch das jetzt zu sagen, hätte niemandem geholfen. Stattdessen legte sie erneut die Hand auf seinen Arm.

 

„Wie viele habe ich denn?“, erkundigte sich Hans und brachte den Dschinni damit zum knurren.

 

„Drei Wünsche, reine Formsache, aber dafür bringst du diese verdammte Lampe nach Agrabah!“

 

Hans nickte. „Einverstanden“, entgegnete er, „Dann wünsche ich mir, den Wal da drüben zurück ins Meer, damit die Schiffe wieder auslaufen können.“

 

Der Dschinni schnipste mit den Fingern. Orangefarbene Blitze stoben in alle Richtungen. Plötzlich zischte es gewaltig und der Wal flog rückwärts auf das Meer hinaus.

„Erledigt“, verkündete der Dschinni scheinbar gelangweilt und Hans nickte anerkennend.

 

„Wirklich sehr eindrucksvoll“, lobte er, „Es muss toll sein, wenn man derart mächtig ist.“

 

Der Dschinni schwebte über ihn hinweg. „Das ist wahr“, stimmte er zu. „Weißt du, ich kann Dinge vollbringen, die für Gewürm wie dich völlig unmöglich sind. Reichtum, Macht, ich kann dir alles geben. Eine hübsche Prinzessin, ein Königreich ... Du musst es dir nur wünschen.“

 

„Nur wünschen“, wiederholte Hans und lächelte versonnen dabei, „Das klingt wirklich gut.“ Elsa lief es eiskalt den Rücken hinunter. Ein Königreich … Das war es, was Hans immer gewollt hatte und jetzt – Mit diesem Wesen an seiner Seite - würde er es auch bekommen.

Unwillkürlich wurde ihr Griff fester. Er würde gehen. Irgendwo, irgendein Reich übernehmen, oder vielleicht sogar … Elsa drehte sich der Magen um.

 

Was wenn er immer noch Arendelle wollte?

Was wenn -

 

„Ich weiß schon was ich will“, verkündete Hans in just diesem Augenblick und der ernste Ton in seiner Stimme machte ihr gleich noch mehr Sorgen.

 

Über ihrem Kopf lachte der Dschinni als wollte er sie verhöhnen. „Hört, hört“, gluckste er, „Nun, dann lass mich deine Pläne doch mal hören.“

 

Ein Raunen ging durch die Menge und Elsa musste überrascht feststellen, dass sie nicht mehr alleine waren. Sie konnte Anna zwischen den Händlern erkennen, das Gesicht leichenblass. Kristoff war bei ihr, doch er sah kaum besser aus. Sie befürchteten tatsächlich das Schlimmste und vielleicht hatten sie sogar recht damit.

 

„Ich will“, begann Hans und Elsa schluckte schwer, „zunächst einmal mit etwas einfachem beginnen und wünsche mir, dass der König der südlichen Inseln und seine Söhne – Mich und Lars ausgenommen – an einer seltenen, nicht erblichen und nicht ansteckenden Form von Haarausfall erkranken.“ Der Dschinn legte den Kopf schief und auch Elsa war ein wenig fassungslos.

 

„Hans?“, entfuhr es ihr, doch der lächelte nur unschuldig.

„Wir sind Brüder, Brüder sind so“, versicherte er.

 

Der Dschinni schnipste mit den Fingern. „Gewährt“, donnerte er, „Können wir dann endlich gehen?“

 

Hans nickte. „Das können wir, ja“, stimmte er zu und setzte sich langsam in Bewegung. Der Dschinni folgte ihm, während er gemächlichen Schrittes durch die Menge marschierte. „Weißt du, ich glaube, ich weiß auch schon, was ich mir als drittes wünsche“, erklärte er beiläufig. Das dumpfe Gefühl in Elsas Magen wurde wieder stärker.

 

Würde er jetzt vielleicht …

 

Der Dschinni musterte ihn amüsiert. „Noch mehr Haarausfall?“, donnerte er.

 

Hans schüttelte den Kopf. „Nein. Ich dachte eher an etwas, was uns Beiden zu Gute kommt“, klärte er die Kreatur auf. „Etwas, was unser Vorhaben um ein vielfaches erleichtert.“

 

Der Dschinni beugte sich zu ihm herab. „Ich bin ganz Ohr“, knurrte er.

 

Hans atmete tief durch. „Ich wünsche mir“, begann er, „deine Lampe in die Wüste von Agrabah, und das ich dich nie wiedersehe.“

 

Der Dschinni blinzelte drei mal. „W-Was?“, entfuhr es ihm.

 

Hans lächelte unschuldig. „Ich sagte, ich wünsche mir deine Lampe in die Wüste von Agrabah und das wir uns nie wiedersehen.“

 

Grelles Licht begann von der Lampe auszugehen. Der Dschinn schrie ohrenbetäubend, dann wurde er in die Lampe gesaugt. Es donnerte. Es blitzte. Plötzlich war die Lampe verschwunden und Arendelles Hafen sah wieder aus wie immer.

 

Elsa wagte einen vorsichtigen Blick zu Anna, die Hans mit offenem Mund anstarrte und am liebsten hätte Elsa einfach mitgemacht. „D-Du hast“, stotterte sie, „du hast ihn reingelegt?“

 

Hans nickte. „Natürlich.“

 

„Du hast ihn reingelegt“, wiederholte sie noch einmal.

 

Hans sah sie verwundert an. „Euer Majestät?“, fragte er verunsichert und das war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Die Leute begannen zu jubeln, Menschen stürmten auf sie ein. Jeder schien ihm mindestens einmal auf die Schulter klopfen zu wollen. Und Hans? Der schien das alles noch gar nicht richtig zu verstehen.

 

Ungläubig schüttelte er die vielen Hände, ließ sich von Eric gegen den Oberarm boxen und schaffte es sogar zu lächeln, als Anna ihm ein leises „Gut gemacht“ entgegen raunte.

Elsa freute sich für ihn. Sie tat es wirklich. Immerhin hieß Annas Lob, dass sie ihn nicht mehr nach Hause schicken wollte, dass die Polarlichter kommen konnten und das die Zwei die Chance hatten, sich miteinander auszusöhnen.

 

Und doch …

 

❄❄❄❄

 

Als sie endlich auch den letzten Gratulanten abgeschüttelt hatten, war es bereits dunkel geworden. Hans sonst so gepflegte, äußere Erscheinung hatte sichtlich gelitten und Elsa hätte darauf wetten können, dass er nichts lieber wollte, als in ein warmes, weiches Bett zu fallen.

Trotzdem hüstelte sie leise.

 

„Hans?“, fragte sie und wartete geduldig, bis er seine schwindende Aufmerksamkeit auf sie richtete.

 

„Hmm?“, machte er, nicht ganz dem Hofprotokoll entsprechend, doch sie nahm es ihm nicht übel. Sie wusste, dass er inzwischen ziemlich müde sein musste.

 

„Darf ich dich etwas fragen?“

 

„Hmm“, wiederholte er noch einmal und strich sich in dem verzweifelten Versuch wenigstens seine Frisur zu retten, noch einmal durch die Haare. Leider war da spätestens seit der Abschieds-Strubbelattacke Erics nichts mehr zu machen, so dass seine Versuche nur dazu führten, dass es, wenn möglich, noch schlimmer wurde.

 

Sie lächelte trotzdem. „Wieso hast du es nicht genommen?“

 

Hans hielt in der Bewegung inne. „Ihr meint -“

 

„Das Königreich, die Prinzessin …“

 

Er seufzte. „Dafür gibt es viele Gründe“, erklärte er, „Der Erste war wohl, dass ich diesem Ding nicht trauen konnte. Er wollte, dass ich für ihn den Boten spiele. Hätte ich mir etwas gewünscht, was ihm nicht gefallen hätte, wer weiß, was dann geschehen wäre.“

 

„Und die Anderen?“, hakte Elsa weiter nach.

 

„Nun, das mit der Prinzessin hat schon beim letzten Mal nicht richtig funktioniert, nicht wahr? Hätte ich mir eine gewünscht, hätte ich irgendein Mädchen an mich gebunden, dass mich mit Pech nicht einmal gemocht hätte. Das will ich nicht. Ich will, dass man mich für das mag, was ich bin. Nicht dafür, dass ich eine hässliche Lampe habe.“

 

„Du willst also gemocht werden, obwohl du eine hässliche Lampe hast?“, fragte Elsa lächelnd.

 

Hans nickte. „Fakt ist, mit Prinzessinnen bin ich durch. Das ist mir zu viel Musik, Tanz und große Liebe. Der perfekte Prinz, das bin ich nicht. Und außerdem -“

 

„Außerdem?“

 

„Wenn ich irgendwo ein Königreich übernehme, wer hilft Euch dann hier in Arendelle?“
 

Aurora borealis


 

S

ie sind wunderschön“, bemerkte Hans und starrte in den Himmel hinauf, wo sattgrüne Bänder die Sterne überdeckten.

 

„Ich habe dir ja gesagt, dass die Polarlichter hier etwas ganz besonderes sind“, erinnerte Elsa ihn. Hans nickte. Mit diesem Schauspiel vor seinen Augen, konnte er nun verstehen, warum Anna sie unbedingt mit Kristoff hatte ansehen wollen.

Sie waren wirklich schön. Fast so schön, wie …

 

Er warf einen Blick zu Elsa, die sich neben ihm gegen die Brüstung der Terrasse lehnte und fasziniert nach oben sah.

 

„Ist dir kalt?“, rutschte es ihm heraus.

 

Langsam löste sie ihren Blick von den Lichtern.

„Mir wird niemals kalt“, erklärte sie.

 

Hans trat unbehaglich von einem Fuß auf den Anderen. Das hätte er sich eigentlich denken können. Es war dumm, eine Schneekönigin zu fragen, ob sie auf einer winterlichen Terrasse fror. Es war nur …

 

„Du kannst es gerne trotzdem tun.“

 

Einen Moment lang zögerte er, dann legte er stumm den Arm um sie. Wer war er schon, dass er seiner Königin einen Wunsch abschlug? Vor allem dann, wenn es so ein schöner war.

 

„Wolltest du mich nicht bis zu den ersten Polarlichtern loswerden“, flüsterte er ihr amüsiert ins Ohr.

 

Elsa lachte. „Nun, das habe ich Anna jedenfalls versprochen. Allerdings habe ich nie dazu gesagt, bis zu den ersten Polarlichtern welchen Jahres.“

 

Hans schüttelte den Kopf. „Manchmal glaube ich, ich habe keinen guten Einfluss auf dich.“

 

„Gut möglich“, stimmte Elsa ihm zu, „Ich werde es das nächste Mal bedenken.“

 

„Sag bitte nicht, du machst eine Liste.“

 

Sie lachte. „Und wenn es so wäre?“

 

„Dann wüsste ich gerne in welche Spalte „hat versucht die Königin zu küssen“ kommt.“

 

„Hmm, das kommt drauf an.“

 

„Worauf?“

 

„Darauf, ob du es jetzt endlich tust.
 



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von: abgemeldet
2018-02-10T18:50:53+00:00 10.02.2018 19:50
(Hat er die Sonnenblume von seinem Bruder Lars bekommen - war mein erster Gedanke!)
Hey, er hat die Sonnenblume! Elsa rennt vor Tahvo davon wegen der Schokolade, falls es wirklich Schokolade ist, sperrt sich zusammen mit Hans im Zimmer ein und führen ein sehr interessantes Gespräch. Besser hätte es nicht läufen können XD (Jeder Absatz schenkte mir ein Schmunzeln auf den Lippen) So offen über Gefühle und Familie zu reden, fällt niemanden so leicht. Vor allem Hans bedauerte wieder seine Taten und Elsa verzeiht ihm tatsächlich. Ein Schritt in die richtige Richtung. Ach Ann! Deine Naivität und Freundlichkeit ist sehr bekannt XD Das führt schon mal zu merkwürdigen Problemen. Hier beschiebst du die Situation zwischen Elsa und Hans unfassbar schön. Ein reumütiger und ehrlicher Hans (daran muss man sich erst mal gewöhnen) und eine Elsa, die für ihn ein offenes Ohr hat. Ich fand das so süß! Und ihre Reaktion über Anna und Hans, mit dem Lied „Liebe öffnet Tür'n“, war schon toll. (Ab da habe ich mich gefragt, wie und wann dieses Gespräch zwischen Hans und Anna kommt) Awww! Du hast wirklich mit dem Thema meinen Geschmacl getroffen, also über Reue und Ratschläge. Wie immer war es ein klasse Kapitel!
Von: abgemeldet
2018-02-10T18:13:37+00:00 10.02.2018 19:13
Das Beschaffen einer Sonnenblume soll deine erste Aufgabe an meinem Hofe sein", äffte er die Stimme von Königin Elsa nach
Ha ha ha ha! XD (Das war meine erste Reaktion auf den ersten Satz)
Ach ich liebe dieses Kapitel, vor allem wie sehr Hans leidet *hust hust* hat er auch verdient, aber er scheint auch seine Aktionen zu bereuen - irgendwie. Sein einziger Freund, sein Pferd Sitron und er hat auch keine Glück, eine Sonnenblume zu bekommen. Er überlegt wirklich viel darüber nach und schribe sogar seinen Bruder Lars einen Brief, was ihm sehr schwer viel und zu guter Letzt trifft er ihn noch am Hafen. Nicht mal die Händler haben eine Sonnenblume XD Du hast seine Situation aus Verzweiflung ziemlich gut beschrieben und er knabbert wirklich sehr an dieser wahrscheinlich unmöglichen Aufgabe. (Als Lars vor Hans auftauchte, dachte ich mir so, jetzt kommt ein Streit - doch es war nur ein kleiner Auftritt seinerseits) Das Kapitel ist super!
Von: abgemeldet
2018-02-10T16:00:56+00:00 10.02.2018 17:00
Ho Ho No!
Das war mein erster Gedanke zum Kapitel "Ein perfekter Plan". Es stimmt schon, das Hans viel Unglück verursachte, aber der Plan geht 100% nach hinten los, dies war mein zweiter Gedanke. Ich liebe Annas fröhliche und kindliche Art, während Elsa etwas reifer wirkt, also du hast du die Schwestern wunderbar beschrieben. (Ich bekomme auch gerade Hunger auf Pfannkuchen XD) Als der Brief ins Spiel kam, dachte ich mir so: Das heißt nichts Gutes! Jetzt soll Hans wirklich im Königreich Arendelle seine Schuld begleichen. (Da habe ich so dämlich geguckt, war aber auch sehr neugierig XD) Ach Elsa, ich hoffe sehr, das du bei diesen Plan sehr vorsichtig bist. (An der Stelle musste ich wirklich schmunzeln. Der Plan ist so ... gemein XD) Anna und Kristoff machen natürlich mit. Also eine Sonnenblume! (Ich habe wirklich Hans and er Stelle viel Glück gewünscht) Ihm war es auch sehr unangenehm, wieder dort zurück zu kehren. Vor allem die Tentstelle mit >>an meinem Hofe<< spürte ich die innere Schadenfreude Elsas, sich an Hans auf "königlicher" Art zu rächen. Mir hat das Kapitel sehr gefallen :3
Von: abgemeldet
2018-02-10T15:41:17+00:00 10.02.2018 16:41
Oh man! Die Anspannung im Prolog spüre ich immernoch beim Lesen. Der große Bruder Lars und deren Mutter schienen überhaupt nicht gut auf ihn zu sprechen, sowie bedrückend die Atmosphäre war. Allerdings hatte der Prolog alleine schone meine Neugier und Lust auf diese wundervolle Wichtelstory. Kurz, aber spannend für den Anfang.
Von: abgemeldet
2018-02-07T13:31:44+00:00 07.02.2018 14:31
MEINS *-*
Ich werde die Story nachher mit Kommis bombandieren und meine Dankbarkeit für diese wundervolle Story ausdrücken.
LG^^Alien^^
Antwort von:  _Delacroix_
07.02.2018 14:34
Ich setz mir schon mal nen Helm auf. XD

Die Kapitel, die noch fehlen, lad ich jetzt so stückchenweise hinterher.


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