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Seelen des Schicksals

Ein glorreiches Abenteuer des gar finsteren Odin!
von

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Der Ruf des Abenteuers


 

Es ging nichts darüber, den Tag mit einem freudigen „Eureka!“ zu beginnen.

Wirklich, gar nichts.

Die Untoten verschwammen vor seinen Augen und mit ihnen das Falchion in seiner Hand. Grau und violett wurden zu Dunkelheit. Nur der kalte Windzug blies weiter über seine Haut.

Langsam dämmerte ihm, dass es nicht sein freudiger Ausruf gewesen war.

Íñigo blinzelte.

Es blieb finster.

Ein Schwall Wörter prasselte auf ihn ein, wie das permanente Hintergrundrauschen des letzten Herbststurms. Es blieben nur Fetzen davon hängen. Desaströse Ruinen. Machtumwobene Schattenkräuter. Buch der Schrecken. Zephiels Was-auch-immer.

Er stöhnte, doch das wurde überhört.

„Owain. Geh ins Bett“, versuchte Íñigo es noch einmal, dieses Mal verbal. Noch im Sprechen – Murmeln, Fauchen, Gähnen, irgendwas dazwischen – griff er nach seiner Decke, um sie sich über den Kopf zu ziehen. Seine Finger tasteten über sein Lager, über Fell und über die billige Strohmatratze, dann in gähnende Leere.

„Owain … wo ist meine Decke?“

„Decke? Von welcher gräulichen Überwurf sprichst du? Mir dünkt, die nächtlichen Schatten greifen noch immer nach dir!“

Der dumpfe Aufschlag von schwerem Stoff auf Stein, irgendwo am anderen Ende des Raumes, strafte Owains Worte Lügen.

„Entsage dich des nächtlichen Schlummers, mein treuer Gesell!“, fuhr Owain fort und flüsterte dabei so laut, dass man vermutlich noch drei Räume weiter jedes Wort verstand. „Hörst du nicht den Ruf deines Schicksals?!“

Einen Moment lang wägte er ab, ob er nicht einfach nach Owain treten sollte. Doch der stand, das hörte Íñigo, irgendwo beim linken Pfosten seines Bettes. Und der war besonders hart.

„Ich höre nur den alten Hagen aus seinem Bett fallen“, murrte er stattdessen.

Auch die Suche nach seinem Kissen blieb erfolglos. Das war zwar auch nur ein Sack voll schäbiger Wolle, aber es half. Meistens. Zumindest, wenn sein Stahlschwert keine Alternative war.

Und es war keine Alternative.

Allein bei dem Gedanken an Hagen zog sich alles in ihm zusammen. Mit dem betagten Haudegen, der König Garons Rittern vorstand, war nicht gut Kirschenessen. In den letzten zwei Monaten hatte Íñigo sich mit vielen Dingen arrangiert – mit seinem neuen Leben als Getreuer, den kalten Nächten, dem Tomatengulasch und selbst mit Prinz Xanders missbilligendem Starren – doch der Marschall von Schloss Krakenburg gehörte nicht dazu. Seine morgendlichen Strafläufe über die Wehrgänge waren so unerbittlich wie der Nachtfrost, der durch jede Ritze des alten Gemäuers kroch – und er bedachte Íñigo eindeutig zu oft mit ihnen.

Owain schien unbeeindruckt.

„Was fürchtest du eines alten Greises Zorn?“, tönte er. „Es ist ein Abenteuer, das dich erwartet!“

Ein Abenteuer? Wohl kaum. Also außer, Íñigo zählte die Überraschungen dazu, die ihn auf den Läufen erwarteten, seit Niles ihre Uhrzeiten kannte.

„Wenn du weiter so brüllst, werden meine Nachbarn dich hören.“ Er vermisste seine Decke mit jedem Augenblick mehr. „Oder schlimmer noch – Lady Camilla.“

„Die königlichen Prinzessinnen ruhen im Südflügel. Es ist unmöglich, ihren sanften Schlummer zu stören.“

So selbstsicher er auch klingen wollte, Íñigo hörte den Zweifel in Owains Stimme. Er wusste, wenn er dieses Theater beenden wollte, musste er es jetzt tun. Entschlossen kniff er die Augenbrauen zusammen und starrte in die Dunkelheit.

„Was, wenn nicht? Was, denkst du, wird Camilla mit dir machen, wenn ihre geliebte, kleine Elise mit Augenringen beim königlichen Frühstück erscheint? Weil sie von desaströsen Ruinen und Zephiels Irgendwas geträumt hat?“

„Eckesachs, Íñigo. Zephiels allmächtiges Eckesachs!“

Íñigo rollte mit den Augen.

„Und was genau ändert das an meiner Frage?“

Einen Moment lang, da war er sich sicher, starrten sie einander an. So gut, zumindest, wie sie einander in absoluter Dunkelheit anstarren konnten.

Über das Pfeifen des Windes konnte er Owain atmen hören. Es war ein schwerer Atem, wie er für einen hoch gelegenen, klammen Ort wie Windmire typisch war. Vermutlich fror er auch. Wäre zumindest kein Wunder, wenn man bedachte, dass irgendein Idiot beim Hineinschleichen die Tür offen gelassen hatte.

Zähne schlugen aufeinander, nicht Íñigos. Ob vor Kälte oder Sprachlosigkeit, vermochte er nicht zu sagen. Auffordernd starrte Íñigo noch etwas finsterer.

Keine Antwort.

Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Owain konnte sich wenigstens eingestehen, dass er recht hatte, verdammt. Doch nichts. Nur Schweigen und Atmen und das leise Rascheln einer Maus, die über den Strohboden seines Zimmers huschte.

Íñigo seufzte.

„Was willst du, Ow-“, er stockte. Die Tür stand immer noch offen. Er räusperte sich. „Was willst du, Odin?“

Das war die falsche Frage und Íñigo wusste es.

Owain holte Luft–

„Kurzfassung oder Camilla! … Bitte.“

Der erwartete Wortschwall blieb aus. Aus dem nächsten Atemzug wurde ein Schnauben. Für den Moment war Íñigo froh, Owains – Odins – Blick nicht sehen zu müssen. Er konnte sich auch so vorstellen, wie sein Freund in der dramatischen Geste erstarrte, die Hand nur Zentimeter von dem Bettpfosten entfernt, ein unheilverkündendes Funkeln in den Augen, der Stern von Rigel bedeutungsschwanger an seinem Gürtel–

Der Anflug war so schnell vorbei, wie er gekommen war. Das Holz ächzte, als Odin sich zu ihm aufs Bett warf und Odin ächzte mit. Stoff glitt über Íñigo Knie. Etwas, das vermutlich Owains Hintern war, fiel wie ein nasser Sack neben seine Oberschenkel. Einer seiner Ellbogen bohrte sich neben Íñigos Rippen in die Matratze. Vermutlich war es nur Glück, das verhinderte, dass er dabei irgendwas wichtiges traf.

„Die ist ja noch härter, als meine!“

Íñigo schüttelte den Kopf. Kurz überlegte er, seinem Freund Platz zu machen, doch letztendlich gewann die Wärme, die der Körperkontakt bedeutete, über die Vernunft.

„Auf einem harten Lager schläft ein harter Geist“, murrte er schließlich. „Hagens Worte, nicht meine.“

„Wenn er schläft, meinst du.“

Íñigo schnaubte, halb belustigt, halb verärgert.

„Ich habe geschlafen. Bis du mich geweckt hast, heißt das. Also, was war so wichtig, das es nicht bis nach dem Frühstück warten kann?“

„Du erinnerst dich an die Mission, von überaus wichtiger Dringlichkeit, die Prinz Leo mich zu erfüllen bat?“

Íñigo unterdrückte ein Stöhnen.

„Natürlich“, murrte er.

Die Wahrheit war – er hatte keine Ahnung. In den vergangenen Monaten hatte Odin mehr Missionen aufgetragen bekommen, als Severa und er zusammen. Zu viele und zu sinnlose, um darüber den Überblick zu behalten. Nur vage erinnerte er sich an mit Dunkelheit erfüllte Magnete und Geister in irgendwelchen Wäldern, an Schwärme goldener Krähen und uralte Äxte, deren Namen Íñigo sich nie hatte merken wollen.

„Ich habe die letzten Nächte die königlichen Bibliothek durchforscht. Heute endlich fiel mir die Lösung in die Hände.“

„Und warum weckst du dann mich und nicht deinen Herren?“, fragte Íñigo. Ihm schwante nichts Gutes.

Tatsächlich seufzte Owain einen Augenblick später theatralisch.

„Mein Herr ruht gegenwärtig in der Nördlichen Festung. Zudem offenbarten die düsteren Schriften mir lediglich den Weg. Sie selbst sind nicht das Ziel.“

Íñigo ließ seinen Kopf zurück auf die Matratze fallen.

„Du willst meine Hilfe.“

„Ja.“

Die Aussicht, in eine von Odins haarsträubenden Sonderaufgaben hineingezogen zu werden, war so reizvoll wie die – und hier sprach Íñigo aus Erfahrung – auf Hagens faltigen Hintern. Odin mochte behaupten, was er wollte: Entweder der junge Prinz hatte eine allzu blühende Phantasie oder er wollte seinen Getreuen loswerden.

Und Íñigo hatte nicht vor, sich loswerden zu lassen.

Das war ihm zu endgültig. Und es lief ihrer eigentlichen Mission zuwider. Leider – und das versprach ihm nicht nur Odins Gewicht, dass mollig warm gegen seinen Oberschenkel drückte – hatte er kaum eine Wahl. Nicht, wenn sein Freund ihn mitten in der Nacht aus dem Bett holte.

Er seufzte geschlagen.

„Was soll ich tun?“

„Nicht viel, mein bester Freund, sei unbesorgt. Es sind nur ein paar Stängel des Raskovnikkrautes vonnöten, um das Ritual zu beschwören, das mein Herr sich ersehnt. Jedoch …“

Odin verlagerte sein Gewicht. Der Druck gegen Íñigo Oberschenkel ließ nach – dafür bohrte sich sein Ellbogen jetzt in seine Rippen.

„Jedoch was?“, fragte er, während er nach Owains Odins Arm tastete. Auffordernd zog er an der dünnen Stoffschicht, die er zu greifen bekam – kein Erfolg. Nur die Gewissheit einer Gänsehaut unter seinen Fingern.

„Nun“, noch mehr Herumgerutsche, noch mehr Ellbogen, „es bedarf einer Jungfrau in Nöten, um es zu find-“

„Bitte was?!“

Vergessen war der Ellbogen. Vergessen war auch der alte Hagen drei Zimmer weiter. Íñigo schreckte hoch, knallte gegen etwas, das Owains Kinn sein musste und ignorierte selbst das.

„Owain! Ich bin keine– Nur, weil ich manchmal einen Korb bekomme, heißt das nicht, dass ich– Es gibt Mädchen, die mich nicht komplett schrecklich und unnütz und– Argh!“ Jede neue Formulierung machte es nur noch schlimmer! „Warum fragst du nicht Sev- Warum fragst du nicht Selena, verdammt?!“

„Au! Ich, nun …“, immerhin hatte Owain den Anstand, zu stottern. „Sie schläft in Prinzessin Camillas Gemächern?“

Das war ein plausibler Grund, das wusste Íñigo, irgendwo zwischen den Kopfschmerzen, die nicht ausschließlich von Owains Granitschädel stammen konnten, aber über plausible Gründe war er längst hinweg.

„Ich werde nicht durch die nohrische Pampa robben und irgendwelche Gänseblümchen für dich pflücken! Hörst du, Ow- Odin? Und ich bin keine Jungfrau!“

„Also …“

„Owain!“

„Was? Teekränzchen zählen nicht.“
 



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