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Bird On A Wire

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich bin seit einer Stunde endlich vom sehr anstrengenden Seminar wieder zu Hause. Und auch wenn ich mir gestern Morgen vor dem Gebäude des Seminarraums noch elegant das Außenband angerissen habe, kann ich euch den zweiten Teil der Einführung einfach nicht vorenthalten xD

Ganz unten habe ich auch noch eine Art Gewinnspiel für euch ;) Wer möchte, kann gerne mitmachen :3 Nach diesem Prolog werden dann auch die Kapitel länger ^^

LG und viel Spaß beim 2. Prolog!
Eure yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen,

jetzt geht es endlich richtig los! xD

Es gab ein paar Vermutungen, die ich jetzt nicht vorweggreifen möchte. Darauf werde ich ganz unten eingehen ^^

Ich hoffe, ihr habt weiterhin viel Spaß mit der Geschichte! :3
LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich bin gespannt, was ihr von diesem Kapitel haltet xD Mir ist durchaus bewusst, dass es vielleicht Diskussionen einheizt, aber nun ja, auch wenn es vielleicht nicht so aussehen mag, ich hab alles geplant xD

Teilt mir doch gerne eure Meinung mit xD

Vielen Dank an Maro-pon für das Kommi! *Schokolade da lass*

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Es ist wieder soweit ;) Ich hoffe, ihr startet alle gut ins Wochenende und genießt das bisschen Sonne, soweit sie bei euch scheinen sollte ^^

Vielen Dank an Hakuya für den Kommi <3 *Schokotorte hinstell*

Wie immer freue ich mich über Feedback :3

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich hoffe, bei euch ist ungefähr genauso schönes Wetter, wie hier. Nach so einer arbeitsreichen Woche (Brückentagurlaub musste ich stornieren :| ) tut es gut, mal ein wenig die Sonne zu genießen. Viel unternehmen ist ja wegen meinem Fuß immer noch nicht. Jetzt bin ich schon 3 Wochen mit dieser Schiene unterwegs und gefühlt hat es noch gar nichts gebracht. Abends ist mein Knöchel immer noch rundherum geschwollen, auch wenn ich wirklich wenig gehe (Schrittzähler ist selten über 3.500 Schritte...). Hat jemand von euch Erfahrungen mit Außenbandrissen? xD

Ansonsten möchte ich mich hier einmal herzlichen bedanken für die tolle Unterstützung und den beiden Empfehlungen. Ich freue mich total, dass die Geschichte gut ankommt. Glaubt mir, ich habe noch ein bisschen was mit euch und den beiden (und noch anderen Charakteren ^^) vor :3

An dieser Stelle möchte ich mich auch noch einmal bei BlackLily bedanken, die mich doch tatsächlich seit 2 Jahren als Beta-Lese-Fee begleitet, mir schon einige gute Ideen beschert hat und immer mit Rat, Tat und Motivation zur Seite steht! Ich bin sehr froh, dass sich unsere Wege gekreuzt haben! <3

Und nun: Viel Spaß beim Lesen!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Und schon wieder ist eine Woche vorbei. Für mich fühlt es sich ein wenig komisch an. Pfingsten und ich bin nicht auf Rock am Ring... Aber da mein Mann und ich dieses Jahr noch nach Mexiko fliegen, hatten wir uns dieses Jahr dagegen entschieden. Schon vorab hat sich das als gute Idee gezeigt, nachdem ich Anfang Mai mir ja das Außenband gerissen habe. Falls einer von euch das Wochenende dort verbringt: Ich drücke die Daumen, dass es heute weitergeht und dass auch Rammstein heute noch zu ihrem Auftritt kommt. Außerdem hoffe ich natürlich, dass es allen dort gut geht!

Und nun zum heutigen Kapitel! Ich hoffe, ihr freut euch auf ein bisschen Alltag und interessante Einblicke und Ausblicke ;)

Und nun, viel Spaß beim Lesen und habt ein schönes Wochenende!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Für meine Verhältnisse bin ich heute ein wenig spät dran ^^ Ich war gestern in Frankfurt bei Hans Zimmer. Wir haben uns das Konzert zum zweiten Mal angeschaut (letztes Jahr waren wir in Köln) und es war wieder der Hammer. Ist schon Wahnsinn, was er alles komponiert hat ^^ War vielleicht einer von euch auch da?

Ich bin mal gespannt, was ihr von diesem Kapitel haltet ^^

LG und viel Spaß beim Lesen!
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen,

da wären wir wieder :) Es ist Samstag und ein neues Kapitelchen wartet auf euch. Und ich darf endlich zu Hause ohne Schiene laufen *freu* Aber es ist nicht mehr feierlich, wie sehr die Haut unter 6 Wochen Schiene gelitten hat... xD

Heute gibt es einige Antworten auf Fragen, die ihr euch sicher schon gestellt habt! Ich bin gespannt, was ihr davon haltet ^^ Lasst es mich gerne wissen :3

Und nun, viel Spaß beim Lesen!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Es ist wieder Samstag und ich habe ein weiteres Kapitel für euch. Diesmal erfahrt ihr ein wenig mehr von Yūri! :)

Ich warne lieber schon einmal vor, damit sich später niemand Sorgen machen muss xD (manchmal bekomme ich schon sorgenvolle Nachrichten, wenn ich nicht wie gewohnt morgens hochlade. Das finde ich echt süß :3). Ich habe zwar noch kein Datum, aber ich muss demnächst mal für einige Tage ins Krankenhaus, da meine Galle unbedingt raus will xD Auch wenn ich dann Samstags evtl. wieder zu Hause bin, wirds wahrscheinlich nicht für ein Kapitel reichen. Am Mittwoch weiß ich wohl etwas mehr, aber es wird sicher bald sein, da ich jetzt schon fast 2 Wochen starkes Schmerzmittel nehme.

Man, gibt es in letzter Zeit nur Sachen zum Heulen bei mir? *seufz*

Und noch eine kleine Werbung: Habe mal ein paar Sachen bei mir ausgemistet. Vor allem Sind noch Manga zu haben. Wer Interesse hat: Ab zu Ebay- Kleinanzeigen! ^^

Und dann noch ein riesiges Dankeschön an alle 5 Sternchenverteiler! Ich freue mich riesig! Natürlich auch an Ramtera für das Kommi! Und BlackLily (auf deren Mist der Name des Kapitels gewachsen ist) für deinen unermüdlichen Einsatz an der Front gegen meine Rechtschreibefehler xD *an alle Kuchen verteil*

Jetzt aber genug geschwafelt! Viel Spaß beim Lesen und lasst mir doch ein Kommi da :3

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Morgen!

Hoffe, ihr seid einigermaßen gut durch die Woche gekommen!

Ich bin ja mehr so sehr Wintermensch... Ich hasse das Wetter. Und die Woche war im Allgemeinen so chaotisch und vollgestopft mit Arbeit... Zu allem Überfluss dann gestern noch die Katze gepackt und zum Tierarzt gebracht, weil sie eine Entzündung im Auge hat. Generell bin ich bei der Katze immer überfürsorglich, wegen ihrer Epilepsie. Aber nichts Ernstes und durch die Augentropfen ist es sogar in den letzten 14 Stunden deutlich besser geworden. Ich habe micht tatsächlich mal gefreut, dass sie was 'Normales' hat *hust* Wobei wir damit gerechnet haben, dass unser kleiner Kater der alten Dame mal wieder einen mitgegeben hat in seinem jugendlichen Übermut.


Und dann, viel Spaß beim Lesen :3

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Hoffentlich seid ihr gut durch die Woche gekommen und freut euch nun auf das neue Kapitel :3 Ich glaube, dieses Kapitel hat mich bisher die Meiste Zeit gekostet xD Wenn es gut läuft, schreibe ich ungefähr ein Kapitel am Abend. Für dieses habe ich 3 Abende gebraucht... Ich hoffe, es gefällt euch xD

Und jetzt noch eine ganz wichtige Info zum nächsten Kapitel: Am 22.07. wird es kein Neues Kapitel geben. Am Mittwoch wird endlich meine Galle rausgenommen. Wenn alles gut läuft, ist der Samstag zwar mein Entlassungstag, aber da ich nicht weiß, ob ich bis Dienstag mit der Übersetzung fertig bin und wie es mir am Samstag so geht, fällt das Kapitel leider aus. Am 29.07. ist dann aber wieder alles wie gewohnt!

Liebe Grüße und viel Spaß beim Lesen!
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Mich gibt es wieder, ja! Habe alles verhältnismäßig gut überstanden. An dieser Stelle vielen Dank für die lieben Genesungswünsche :3

Es tut mir wirklich leid, euch mit diesem Cliffhanger alleine gelassen zu haben und hoffe, dass dieses Kapitel ein wenig entschädigt.

Vielen Dank an MuyMariposa für den Kommentar! *Schokoküchlein hinstell*

LG und viel Spaß beim Lesen!
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Wie versprochen bzw. angedeutet: Hier das Ausgleichskapitel *Konfetti werf*

Und nun, viel Spaß beim Lesen ^^

LG
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich hoffe, ihr wurdet bei dem Wetter nicht weggeschwemmt und habt noch eine Möglichkeit gefunden, die Woche dennoch zu genießen! Ich für meinen Teil gehe seit Mittwoch wieder Arbeiten und war gestern Abend fertig wie ein Lachsbrötchen... Nach 3 Tagen Arbeit. Yay... Mal gespannt, wie es nächste Woche mit der ersten vollen Woche nach 3 Wochen Krankschreibung wird... Gestern habe ich mir jedoch einen heimlichen Traum erfüllt: Ich bin mit Jogginghose auf die Arbeit gegangen xD Zwischen den ganzen Anzugträgern ich und meine Jogginghose. Hab mich gefüllt wie der letzte Vollassi, aber war auch lustig xD

Und nun viel Spaß beim Lesen!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Heute bin ich mal ein wenig spät. Der Stress bei mir reißt momentan nicht ab, aber zum Glück nur noch eine Woche arbeiten und dann 3 Wochen Urlaub. Lässt sich sehen... Erst 3 Wochen wegen der Gallensache ausser Gefecht, 2 1/2 Wochen arbeiten und dann wieder 3 Wochen Urlaub *hust*

Das bringt mich gleich zum nächsten Thema... Während meines Urlaubs werde ich nicht in der Lage sein, weitere Kapitel zu Posten. Wir sind 14 Tage in Mexiko und werde somit keine Zeit haben, zu übersetzen. D. h. im Klartext, dass am 26.08. noch einmal ein Kapitel kommt und das nächste Kapitel danach am 23.09. erscheint. Wer möchte, kann mir gerne auf meiner Facebook-Seite folgen, ich habe vor, den ein oder anderen Schnappschuss zu posten.

Vielen Dank an die Kommentarschreiber: DarkRapsody und Grellsutclifffangirl *Apfel-Muffins rüberschieb*

Und nun viel Spaß beim Lesen!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen! *wink*

Da wären wir wieder. Eine, für mich, lange und ereignisreiche Woche ist vorbei und ich kann nicht glauben, dass ich jetzt tatsächlich Urlaub habe *seufz*

Ab Donnerstag bin ich dann weg, also verzeiht mir, wenn ich ggf. keine Kommentare beantworte ;)

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und freue mich, euch alle beim nächsten Kapitel am 23.09. wiederzusehen!

Bis dahin und LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich hoffe, ihr habt es euch in den letzten 3 Wochen gutgehen lassen! Ich hatte einen wundervollen Urlaub (ohne Naturkatastrophen) und auch wenn der Flieger tatsächlich einen Tag Verspätung hatte, kann ich mich nicht wirklich beschweren. Außer dass ich schon die ganze Woche mit einer ordentlichen Bronchitis flachliege... Aber man kann ja nicht alles haben, nicht wahr? xD

Gestern Abend habe ich dann wieder einmal die, noch losen, Enden der Geschichte wieder aufgenommen und weitergeflochten. Im Urlaub hatte ich viele gute Ideen, das meiste leider erst für spätere Kapitel. Bin jetzt schon gespannt, ob ich all das gut einbinden kann oder es überhaupt in der Geschichte landet ^^

Vielen Dank auch noch an aLittleClumsy für den Kommentar <3 *Tacos hinstell*

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Es ist mal wieder soweit! Freut ihr euch schon? :3

Zu dem Kapitel muss ich eine Kleinigkeit vorwegschicken: Da ich die Geschichte ein wenig zeitlich vorantreiben wollte, habe ich einen kleinen Zeitsprung eingebaut. Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse ^^

Vielen Dank an dieser Stelle für die zahlreichen Favoriten-Einträge! Ich stalke meine Stats mehrmals täglich und grinse immer wie ein Trottel, wenn sich da was bewegt xD

Und nun: Viel Spaß beim Lesen!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Da sind wir wieder :) Weil ich heute ein wenig später dran bin, fasse ich mich kurz: Vielen Dank an aLittleClumsy für den Kommentar <3 *Kuchen da lass*

Ich hoffe, dass euch das nächste Kapitel gefällt :3

GlG
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Es ist mal wieder soweit, ein neues Kapitelchen wartet auf euch :3

Vielen Dank an aLittleClumsy und Riccaa für die Kommentare! Durch eine harte Arbeitswoche war ich abends doch schwer erledigt, aber eure Kommentare haben mich dann doch motiviert, das am Wochenende angefangene Kapitel fertig zu schreiben ^^ *Brownies verteil*

Und auch in den letzten zwei Wochen gab es wieder ein Anstieg bei den Favoriten-Einträgen <3 Vielen lieben Dank an alle dafür! Ich gebe mein Bestes, damit euch die Geschichte weiterhin gefällt :3

Und nun viel Spaß beim Lesen!
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Nein, ich habe mich nicht am Tag vertan xD Da ich am Wochenende unterwegs bin, gibt es das Kapitel schon heute ^^

Wer mir auf Facebook ein Däumchen gegeben hat, hat es vielleicht schon mitbekommen... Habe mir eine Verbrennung 2. Grades an der rechten Hand zugezogen... Ich Idiot xD Aber es wird langsam besser. Zum Glück bin ich trotz allem rechtzeitig mit dem Kapitel fertig geworden ^^

Viel Spaß beim Lesen!
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich hoffe, ihr hattet ein paar schöne Feiertage. Ich war die letzten 2 Tage mit Backen beschäftigt, da ich ein Geburtstags"kind" im Hause hatte (nein, nicht ich). Ich musste mal wieder mit einem verrückten Lachen erkennen: Ich habe Monster erschaffen. Mega schokoladige Brownies mit, wer wollte, einem Topping auf Frischkäse und Kokos (und anderen Schweinereien) oder eine Nougattorte, bei der mir vor Süß alleine schon beim Aufschlagen der Nougat-Sahne-Mascarpone-Masse schlecht geworden ist xD Da wir noch jede Menge übrig haben (aus unerfindlichen Gründen haben die Meisten nur ein Stück geschafft xD) könnt ihr euch gerne bedienen *Kuchenteller in die Runde stell*

Ein besonderer Dank geht auch an die fleißige Kommentarschreiberin aLittleClumsy <3

Und nun, viel Spaß beim Lesen :3
LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Brrr... ist das kalt draußen geworden! Ich hoffe, ihr bleibt mir alle gesund ;) Meine Hand ist wieder fast die Alte, sodass ich wohl bald auch wieder mehr tippen kann. Mein Vorsprung ist ein wenig geschmolzen *heul*

Und hier kommt mal wieder eine Dankesbekundung an alle meine Leser <3

- Vielen Dank für alle Kommentare bisher <3
- Vielen Dank an die vielen, die Bird On A Wire als Favorit eingetragen haben <3
- Vielen Dank an meine Beta-Fee für ihren unermüdlichen Einsatz <3
- Vielen Dank an die liebe Schwefel, die sich die Mühe gemacht hat und mich auf einige Fehler hingewiesen hat <3
- Und vielen Dank an alle, die bisher so fleißig mitgelesen haben und es (hoffentlich auch weiterhin tun werden) <3

*Runde Dorayaki ausgeb*

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Morgen zusammen!

Bald fängt schon die Adventszeit an und die Kinder haben sich schon zum Backen bei mir angemeldet... Wo ist bloß die Zeit geblieben? xD

Ich fasse mich heute einfach mal kurz, da das Kapitelchen mal ein wenig länger als sonst ist. Also viel Spaß beim Lesen ^^

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich wünsche euch ein wunderschönes erstes Adventswochenende! Heute morgen Stand das Backen mit Nichte und Neffe im Terminkalender, deswegen ein späteres Kapitel.

Dann noch eine Ankündigung in eigener Sache: Leider hat mein PC letzten Sonntag den Geist aufgegeben. Zum Glück habe ich meinen persönlichen Yūri (also IT-Fachmann), der relativ bald festgestellt hat, dass es mein Mainboard völlig zerledert hat. Da die Teile meines PC gerade mal etwas mehr als ein Jahr alt sind, ist es natürlich ein Garantiefall. Vorteil: Das (nicht gerade günstige) MB wird eingeschickt und repariert. Nachteil: Ich habe so lange nur unseren uralten Laptop, den ich noch nicht einmal gerade auf eine Fläche stellen kann, weil er sonst heiß läuft. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich gebe natürlich mein bestes, aber bitte seht es mir nach, falls doch mal ein Kapitel ausfallen sollte.

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Vielen lieben Dank an euch alle für die Geduld und Treue! Ich habe so viele aufmunternde, motivierende und tolle Nachrichten bekommen, dass ich eigentlich gar nicht in Worte fassen kann, wie dankbar ich euch bin.

Es tut mir wirklich leid, dass es dann am Ende so lange gedauert hat. Aber der PC läuft und falls ich noch einmal Probleme haben sollte, könnte ich theoretisch meinen neuen Arbeitslaptop mit nach Hause nehmen ^^ Also bin ich für den Fall der Fälle gerüstet. Falls der nächste Zusammenbruch nicht gerade in meinem Urlaub passieren sollte *hust*

Gut, genug der Schwarzmalerei! Hier ist das neue Kapitel. Nächste Woche dann wieder gewohnt am Samstag. Viel Spaß beim Lesen und noch einmal vielen Dank!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Heute ein wenig später als gewohnt. Bitte entschuldigt. Letzte Woche lag ich richtig böse flach und ich spüre es immer noch ziemlich. Daher habe ich heute ungewohnt lange geschlafen und so kam ich nicht dazu, zu posten. Zu meinem Glück ist der Samstag lang xD

Vielen Dank an BlackLily für den Kommentar <3 *Dorayaki und Matcha hinstell*

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich hoffe, ich startet alle gut ins Wochenende! Für mich geht es heute in meinen Mangaladen des Vertrauens, Gutschein auf den Kopf hauen xD Also wenn das kein guter Start ins Wochenende ist... xD

Mir wurde tatsächlich eine Frage per PN gestellt, die ich mit euch teilen wollte. Und zwar die Frage, wie lange diese Geschichte noch gehen wird. Tja, es tut mir leid euch das mitteilen zu müssen... Aber ich habe keinen blassen Schimmer xD Ich habe noch einige Ideen, was die beiden angeht, aber keine Ahnung, ob ich das unterbekomme. Ich befürchte/vermute mal, dass ich die 50-Kapitel-Marke locker knacken werde xD

Und nun noch ein Hinweis auf das folgende Kapitel: Als ich das Kapitel getippt habe, habe ich tatsächlich mal ein wenig Eiskunstlauf gesehen. Das hat mich wohl inspiriert, das Thema noch einmal kurz anzuschneiden. Natürlich habe ich deswegen recherchiert, da ich keinen Mist bei so etwas schreiben möchte. Das kann ich allerdings nicht ganz ausschließen, da ich eben einfach ein Laie bin und Theorie und Praxis zwei vollkommen unterschiedliche Dinge sind. Falls es jemanden unter euch gibt, der mein Geschreibsel Lügen trafen kann, weil er es tatsächlich weiß, der möge sich bitte bei mir melden, damit ich es korrigieren kann xD Aber vielleicht ist es ja auch korrekt xD

Und nun: Viel Spaß beim Lesen!
LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Da sind wir wieder! An einem sehr kalten Karnevalssamstag. Also ich habe da tatsächlich mehr das verlangen, mich unter die Decke zu kuscheln und nicht rauszugehen, aber ich wünsche jeden viel Spaß, der Karneval feiert ;)

Ich habe die Woche endlich die Versandbestätigung von meiner Yuri on Ice limited Edition Blu-ray Box aus Amerika bekommen xD Ich würde sagen, das schreit nach einem Filmeabend mit Katsudon und Piroschki xD

Spielt eigentlich hier jemand Summoners War? Bin vor kurzem glücklich 50 geworden und immer noch ein Kacknoob xD

Gut, das war es aus meiner Gefühlswelt! Vielen Dank an Seredhiel für deinen Kommentar! *Tee und Kekse hinstell* Ich warte ja immer ganz neugierig auf Rückmeldungen. Wir sind letzte Woche ausnahmsweise nach dem Hochladen noch einkaufen gefahren (machen wir sonst immer Freitagabend).
Mein Mann genervt im Laden: "Könntest du mal dein blödes Handy weglegen und beim Einkaufen helfen? Du bist doch sonst nicht so auf das Teil fixiert!"
Ich: "Aber... Ich habe eben erst hochgeladen und vielleicht hat mir jemand schon ein Kommentar geschrieben!"
Er: "Dann ist der auch noch in einer Stunde da."
Ich, mit großen Augen: "Aber ich bin doch so neugierig! Ich platze sonst! Es macht 'Puff' und dann regnet es für eine halbe Stunde Teile von mir! Und du als Angehöriger musst die Sauerei weg machen!"
Er hat mich dann genervt anguckt und "Mach, was du willst" gesagt... Hab mich also durchgesetzt xD

Jetzt habe ich auch genug gelabbert ;) Viel Spaß beim Lesen und habt ein schönes Wochenende (ob mit oder ohne Karneval)!
LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen,

da eine Nutzerin von fanfiktion.de mich so "lieb" darum gebeten hat und es tatsächlich zeitlich bei mir ganz gut reinpasste, gibt es heute schon das neue Kapitel :3 Immerhin mache ich mich gleich auf nach Mannheim, um heute Abend beim Metallica-Konzert zu sein xD

Dieses Jahr schaue ich mir das erste Mal richtig aktiv das Eiskunstlaufen bei Olympia an. Ich habe es früher auch geschaut, aber nicht so, dass ich mir extra die Zeitpläne deswegen angeschaut hätte. Gut, ich stehe nicht dafür auf, denn ich brauche meinen Schönheitsschlaf. Sonst kommen so fiese Cliffhanger wie im letzten Kapitel raus :P Aber doch, ich kann behaupten, dass ich mich jetzt mehr dafür interessiere und irgendwie auch mehr zu schätzen weiß xD Geht es euch auch so?
Die Woche ist auch endlich meine Limited Editon von YOI aus der USA angekommen *jubel* Und ich habe mir einen YOI-Schlafanzug bestellt. Da steht im Muster drauf "I'm a tasty pork cutlet!" xD Man... 31 Jahre alt und so bekloppt... *hust*

In diesem Sinne: Vielen lieben Dank an Seredhiel, BlueEyedRaven, Lexischlumpf183 und aLittleClumsy! *Tee und eine große Schachtel Meltykiss hinstell* Mensch... so viele Kommentare... Ich sollte vielleicht öfters Cliffhanger einbauen... *grübel*

Nun viel Spaß beim Lesen!
LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich hoffe, ihr seid alle von der Grippewelle verschont geblieben! Ist ja wahnsinn, wie das momentan grassiert und wie hartnäckig der Scheiß ist...

Einen riesigen Dank an Seredhiel und Lexischlumpf183 für die Kommentare <3 *Tee und Kekse rum reich*

In diesem Sinne wird es nur ein kurzes Vorwort: Viel Spaß beim Lesen ;D

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Wie geht es euch? Ich hoffe, ihr könnt alle halbwegs der Grippe standhalten! Mich für meinen Teil hatte es ja schon letzte Woche ordentlich erwischt, sodass ich diese Woche nicht arbeiten gegangen bin. Ich hatte mir gedacht, dass ich dann schön viel Schreiben kann. Aber irgendwie war ich so platt, dass ich froh war, als ich am Mittwoch dann die Kapitel für diese Woche fertig hatte... Statt zu schreiben, sah es bei mir eher so aus: Link zu Facebook xD

Ich hoffe, dass euch das heutige Kapitel gefällt. Ich zumindest hatte ein wenig Spaß beim Schreiben ^^

Vielen Dank an dieser Stelle auch noch an Seredhiel, Serafina2104 und Lexischlumpf183 für die Kommentare! Es hat mich, wie immer, sehr gefreut! *Matcha Choco Kekse und Tee hinstell*

Viel Spaß beim Lesen!
LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen *wink*

Ich würde euch alle gerne am Liebsten einmal ordentlich durchknuddeln. Dabei bin ich normalerweise nicht so der gefühlsbetonte Mensch xD Letzte Woche Freitag begann bei mir tatsächlich eine kleine Krise, die ich vorher nicht für möglich gehalten hätte. Diese Geschichte hat (für mich überraschend) viele Leser und ich kriege wundervolles Feedback von euch. Vielen Dank noch einmal dafür! Aber nachdem ich an diesem Freitag YOI noch einmal angeschaut habe... Keine Ahnung, es fühlte sich an, als würde ich hier nur Scheiße zusammenschreiben. Ich war irgendwie kein bisschen mehr zufrieden mit dieser Geschichte.

Das Problem habe ich dann natürlich mit meiner wundervollen Beta-Fee geteilt, die auch außerhalb der moralischen Unterstützung einen tollen Job macht und mich immer wieder motiviert bekommt, und sie hat mich dann zumindest soweit aufgerichtet bekommen, dass ich Samstag das Kapitel online gestellt habe. Allerdings wollte ich keinen Mimimi-Post dazu verfassen, weil ich einfach selbst mit mir am Hadern war. Und vielleicht hatte die gute BlackLily recht und es war eh alles meine Grippe xD Und dann kam wieder euer Feedback. Auf Fanfiktion, auf Animexx, per PN und ENS. Und ihr habt mir echt den Arsch gerettet xD Also kann ich euch guten Gewissens sagen: Trotz anhaltender Grippe glaube ich wieder an die Geschichte. Zwar konnte ich letzte Woche nicht weiterschreiben, aber es hat mir in den Fingern gejuckt, wie schon lange nicht mehr. Ich weiß gar nicht, wie ich euch dafür danken soll. Im Nachhinein wollte ich die Situation dann doch mit euch teilen, um euch zu zeigen, wie sehr mir eure Rückmeldungen, egal in welcher Art, helfen. Vielen, vielen Dank! *Kekse da lass*

Und dann hier noch das offizielle Dankschön an die Kommentarschreiber: Lexischlumpf183, Seredhiel, BlueEyedRaven und Serafina2104!

Viel Spaß beim Lesen. Ich hoffe, es gefällt euch ^^
Eure yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Habt ihr auch die Neuigkeiten unter der Woche mitbekommen? Der YOI-Film wird wohl im August erscheinen und neues Material beinhalten. Und zu Staffel 2 habe ich gelesen, dass sie wohl Ende des Jahres starten soll *jubel* Wäre ja toll, wenn das so klappen würde ^^ Ich bin total gespannt, wie es weitergeht *hibbel*

An dieser Stelle mus sich unbedingt wieder den fleißigen Kommentarschreibern danken: Seredhiel, Serafina2104
und BlueEyedRaven! *Schale Milky Sakura Bonbons hinstell*
Ich antworte heute auch noch auf die Kommentare, versprochen! Ich muss nur heute noch weg und werde wohl bis in den Nachmittag hinein unterwegs sein und wusste/weiß nicht, ob ich das noch schaffe, bevor ich los muss ^^ Und ich sollte euch nicht so lange auf das Kapitel warten lassen :)

Also viel Spaß beim Lesen!
LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Es ist wieder Samstag und ich bin für meine Verhältnisse ein wenig spät dran... Das hat unter anderem damit zu tun, dass ich heute einen Abschnitt der Übersetzung abschließen konnte, die ich ja seit nunmehr 3 Jahren mache. Der Reihe habe ich echt sehr viel zu verdanken. Vom Gestalterischen einer Geschichte bis dahin, mir einen relativ flüssigen Schreibstil anzueignen. Wer sich nun aber freut, dass ich mehr Zeit für die Geschichte habe, tut mir leid, die Reihe ist in mehreren Abschnitten untergliedert, ich habe also noch 66 Kapitel vor mir und die Geschichte ist immer noch nicht abgeschlossen xD Wer also lange Geschichten liebt und Bleach kennt (oder zumindest keine Probleme mit Spoilern hat), 204 Kapitel sind schon übersetzt xD

Gut, genug von Bleach, ab zu YOI! Dafür sind wir ja immerhin alle hier, was? xD Und da ich jetzt schon echt genug geschwafelt habe, nur noch ein riesiges Dankeschön an die Kommentarschreiber: aLittleClumsy, Serafina2104 und Seredhiel! *Tee, Kaffee und Kuchen hinstell*

Und kleine Info am Rande: Ich habe unter der Woche endlich mal wieder ein Kapitel geschrieben bekommen! Ich hoffe sehr, dass ich den Vorsprung ein wenig ausbauen kann. Da meine Arbeit und mein Privatleben in letzter Zeit mir aber immer durch alles einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, bleibe ich erst einmal nur vorsichtig optimistisch. Sollte es aber klappen, dann gibt es auch endlich mal eine Bonusrunde unter der Woche!

Und wer guckt eigentlich gerade die WM? Ich liebe ja meine beiden Monitore xD

Viel Spaß beim Lesen!
LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich hoffe, ihr genießt das schöne Wetter und habt ein bisschen Spaß ^^ Ich für meinen Teil bräuchte es ja eigentlich nicht wärmer... *seufz*

Aber da der Garten ruft (und zwar nicht mit leckerem Grillgut sondern mit jeder Menge Arbeit), halte ich mich kurz: Vielen Dank an Seredhiel und Serafina2104 für die Kommentare! *kalten Gerstentee hinstell*

Ich weiß, das letzte Kapitel war etwas arm an Überraschungen, aber nun ja, wenn ich später alles so zusammenflechten kann, wie ich es eigentlich plane, dann versteht ihr, warum ihr euch dadurch 'quälen' musstet. Falls ich es nicht schaffe, werdet ihr es nie erfahren *hust*

Viel Spaß beim Lesen!
LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich falle direkt mit der Tür ins Haus: Es tut mir wahnsinnig leid, aber nächste Woche wird es kein neues Kapitel geben. Ich habe mich in den letzten Wochen mit Händen und Füßen dagegen gewährt, aber ich gerate leider mehr und mehr ins Schlingern, was das Vorbereiten der Kapitel angeht. Hauptgrund ist leider meine Arbeit. Momentan ist es leider keine Seltenheit, dass 12 - 14 Stunden zwischen 'Tür abschließen' und 'Tür aufschließen' vergehen. Dann habe ich zwei Wochen hintereinander große Festivitäten am Wochenende, das erschwert es natürlich auch noch, selbst wenn das natürlich eine positive Sache ist.

Das Thema Arbeit ist momentan eigentlich mein größtes Problem. Aber sicherlich kennen das Einige: Arbeitslasten werden oft ungleichmäßig verteilt. Und da ich nicht so schnell 'Stop' rufen konnte, wie sie mich zugeschmissen haben, sitze ich jetzt gerade mit meinem Arbeitslaptop hier und bin nebenher noch am Arbeiten. Zum ersten Mal in meinem Berufsleben (und ich hatte einige ziemlich miese Chefs und auch den ein oder anderen herausfordernden Job) bin ich soweit, dass ich physisch wie psychisch richtig erschöpft bin. Daher habe ich mich noch einmal für eine Woche Pause entschieden. Dann kann ich noch mal runterkommen, einige Projekte auf der Arbeit abschließen und dort meine Schlachten schlagen. Übernächste Woche habe ich Urlaub. Zum Glück. Dann kann ich mich wieder mit Freude an die Kapitel setzen. Denn das ist etwas, das mir leider kürzlich abhanden gekommen war... Gott... Momentan bin ich echt ein Jammerlappen (das ist übrigens nur halb ernst gemeint ;D)

Vielen Dank an BlackLily, die mir auch immer wieder den Rücken stärkt und mich aufmuntert. Die auch kurzfristig die Kapitel korrigiert und deswegen auch nie meckert. Vielen, vielen Dank! Du bist wirklich die Beste und ich sage dir das viel zu selten!

Jetzt noch zusätzlich vielen Dank an Seredhiel, Serafina2104 und BlueEyedRaven für die Kommentare. Ich schreibe die Tage in Ruhe zurück! *Kalten Gerstentee und Wassermelone hinstell*

Vielen Dank für euer Verständnis, liebe Grüße und bis übernächste Woche!
Eure yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen,

ich hoffe, ihr hattet 2 schöne Wochen! An dieser Stelle möchte ich allen mein Beileid aussprechen, die Heuschnupfen haben. Ich habe das zum Glück nur alle paar Jahre, wenn der Blühzyklus von Kiefern und Fichten besonders krass sind. Wie dieses Jahr. Dann merke ich wieder, wie arm dran die Leute sind, die das jedes verdammte Jahr haben :( Fühlt euch gedrückt! Ich leide mit euch!

Vielen Dank an alle, die mir in der Pause trotzdem die Treue gehalten haben :) Drückt mir für nächste Woche die Daumen, dass sich der Stress auf der Arbeit langsam gelegt hat :3

Und auch ein riesiges Dankeschön an die Kommentarschreiber: Serafina2104 und Seredhiel *Kekse da lass*

Viel Spaß beim Lesen!
LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich bin mal wieder etwas früher unterwegs! Yay! xD

Manchmal hasse ich meinen Kopf. Am Mittwoch bin ich schon relativ spät ins Bett, obwohl ich am nächsten Tag früh raus musste, um meinen Eltern beim Erdbeerpflücken zu helfen. Und was dachte mein Kopf dabei? "Geil, ich habe die Idee für eine neue Victuuri-FF!" Also kreisten meine Gedanken Ewigkeiten umher, bis ich dann man Ende ungefähr 3 Stunden Schlaf hatte und natürlich völlig zerknittert meinen Kadaver ins Feld geschleppt habe xD

Erschwerend kommt hinzu, dass ich zurzeit einfach keine Zeit habe, die Idee abzutippen xD Das ist echt zum Kotzen xD

Nun ja, vielen Dank an Seredhiel und Serafina für die Kommentare! <3 *Schale Erdbeeren da lass*

Viel Spaß beim Lesen!
LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Da wären wir wieder :) Und wir haben Pfingsten *Konfetti werf* Durch die ganzen Feiertage war ich es gar nicht mehr gewohnt, 5 Tage am Stück zu arbeiten xD

Das Projekt, an dem ich die ganze Zeit gearbeitet habe, ist extrem gut angekommen. Als ich dann am nächsten Tag dachte, dass es jetzt ruhiger wird, sind gleich 2 Kollegen ausgefallen und so musste ich ganz schön ranklotzen, um alle notwendigen Arbeiten fertigzustellen. Jetzt hoffe ich, dass es nächste Woche ein wenig ruhiger wird, sodass ich vielleicht auch unter der Woche mal wieder zum Schreiben komme ^^

Außerdem sehe ich momentan aus, als wäre ich einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Dabei habe ich nur die Katze zum Tierarzt bringen müssen. Na ja, aus Sicht der Katze war es wohl ein Verbrechen xD

Vielen Dank an Serafina2104 und Seredhiel für die Kommentare *Tee und Erdbeerkuchen da lass*

LG und viel Spaß beim Lesen :3
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich schreibe jetzt mal ausnahmsweise kein Roman, denn ich muss eigentlich schon wieder unterwegs sein xD Daher vielen Dank an meine Kommentarschreiber/innen! Ich freue mich jedes Mal wie ein Schnitzel, wenn ich was von euch lese! <3

LG und viel Spaß beim Lesen!
eure yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen,

ich hoffe, ihr habt alle die erste richtig warme Woche überlebt und alle Wintermenschen (wie mich) genießen jetzt das kühlere Wochenende.

Vielen Dank an die Kommentarschreiber Serafina2104, Seredhiel und Lexischlumpf183 <3 *Erdbeerkuchen da lass* Aber auch an alle anderen, die diese Geschichte lesen, als Favorit markiert und/oder eine Empfehlung ausgesprochen haben. *Eine Runde Torte ausgeb*

Habe ich eigentlich mal erwähnt, dass ich immer total dämlich Grinse, wenn ich ein Kommentar von euch lese? Ist mir bisher selbst nie aufgefallen, aber mein Mann hat es mir letztens gesagt: "Was grinst du so bescheuert in dein Handy rein? Ach, moment... Es ist Samstag. Du liest Kommentare. Alles klar." Ich wurde also erwischt xD

Ich wünsche euch ein schönes Wochenende!

LG Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Morgen!

Wie jedes Mal hoffe ich, dass es euch gut geht!

Wir waren gestern in 'your name.'. Hach, war der schön xD Ich kannte die Story schon , hatte die Manga gelesen und habe auch noch den Roman im Regal stehen (aber ich komme seit einiger Zeit leider kaum zum Lesen :( )

Vielen Dank an die Kommentarschreiber! Namentlich: Seredhiel, Serafina2104 und Lexischlumpf183! *Schokobrunnen mit Obst aufbau*

Dann gibt es da noch eine Kicktipp-WM-Runde von 'mangasüchtig', bei dir ihr unteranderem gegen mich antreten und diverse Dinge gewinnen könnt (Manga, Anime- und Japanzeugs): https://www.kicktipp.de/mangasuechtig/
Noch ist gar nicht so viel passiert und ein zufälliger Teilnehmer kann auch eines der Pakete gewinnen. Falls also wer Lust hat xD

Und dann noch eine etwas traurige Nachricht in eigener Sache: Arbeit... Überraschung! xD Die nächsten 2 Wochen sind gepflastert mit Meetings und werden dann mit einer Dienstreise gekrönt. Daher werde ich sehr wahrscheinlich übernächste Woche kein Kapitel online stellen können. Hatte eigentlich die Hoffnung, ich könnte im Zug tippen, aber nein, ich muss mir nen Firmenwagen holen und selbst fahren. Narf...
Ich versuche natürlich ein wenig vorzuarbeiten, aber beim aktuellen Stand der Dinge wird das wahrscheinlich nicht hinhauen :(

Ich hoffe, ihr verzeiht mir das!

Und jetzt viel Spaß beim Lesen und lG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Endlich bin ich wieder da. Das Kapitel habe ich für euch in einer Nachtschicht am Donnerstag noch fertiggestellt. Gott sei Dank brühe ich mir mittlerweile Kaffee zu Hause auf (wir haben eine Tassimo und der Kaffee schmeckt überhaupt nicht, daher habe ich jetzt einen Handfilter xD), also habe ich es auf die Arbeit geschafft und mich danach erst einmal eine halbe Stunde unter den Ausschank des Kaffeevollautomats dort gelegt xD

Meine Situation auf der Arbeit verbessert sich leider momentan mal so gar nicht. Ich werde dir da auf jeden Fall mal was einfallen lassen müssen, damit ihr nicht ständig an den Ausfällen zu leiden habt.

Und dann gab es ja noch die YOI-Ankündigung *^* Ich bin mir echt nicht sicher, was für Theorien ich glauben soll. Adolescene heißt ja "Jugend"... Reisen wir also in die Vergangenheit von einem oder beiden? Victor war alleine mit Makkachin zu sehen? Hatte das eine tiefere Bedeutung oder sollte das uns vielleicht sogar auf eine falsche Fährte locken? Ahhhh! Ich hasse so etwas! *tableflip*

Für alle, die auch meine Bleach-Serie lesen: Das nächste Kapitel kommt gegen heute Nachmittag. Ich habe es erst kurzfristig fertigstellen können und BlackLily, meine unermüdliche Beta-Leserin, muss noch drüber schauen. Aber da ich gleich weg bin, muss das noch ein paar Stündchen warten. Aber das Kapitel kommt! Und wie es kommt *grinst breit*

Vielen Dank noch an die vielen Kommentarschreiber! Seredhiel, Serafina2104 und Lexischlumpf183 *Konfetti werf und Kuchen da lass*

Nun, viel Spaß beim Lesen!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Da bin ich wieder. Recht spät, aber ich bin da! xD

Nochmals danke an alle, die mir während der etwas turbulenten Zeit weiterhin die Stange halten. Ich finde es unglaublich toll, dass noch keiner von euch die Geduld mit mir verloren hat und bin wirklich dankbar dafür. Ich gebe weiterhin mein Bestes, damit die Uploads so flüssig wie gewohnt kommen!

Vielen Dank auch für die vielen Kommentare. Gerade in der letzten Woche sind wieder einige tolle Kommentare eingegangen. Riesigen Dank hier an Seredhiel, Lexischlumpf183 und Serafina2104! *Eis und Waffeln da lass*

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ehrlich gesagt bin ich noch ziemlich geschockt. Vermutlich haben es die meisten mitbekommen, aber Denis Ten, die Vorlage für Otabek, ist am Donnerstag gestorben.

Meine Gedanken sind bei seiner Familie und Freunden. Ich verneige mich vor einem großartigen Künstler und Menschen. Und wieder einmal bin ich fassungslos, wie wenig manchen Menschen ein Menschenleben wert ist...

(Die übliche Einleitung findet ihr im Nachwort.) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen,

Vor meinem Sommerurlaub und nach einer Woche aussetzen gibt es endlich das nächste Kapitel! Ich hoffe, euch gefällt es.

Wir sehen uns am 01.09. wieder! Bis dahin werde ich ein wenig wandern gehen und mein Akku ein wenig auffüllen, damit ich euch danach weiter mit neuen Kapiteln füttern kann ^^ Ich plane, das ein oder andere Foto auf Facebook hochzuladen, also wer will, kann da ab und an vorbei schauen ^^

Viel Spaß beim Lesen!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Na? Habt ihr mich bzw. die Geschichte schon vermisst? ;D Ich hoffe, ihr freut euch ungefähr genauso wie ich darüber, dass es wieder weitergeht.

Ich hoffe, euch ist es in den letzten 3 Wochen gut ergangen! Ich persönlich kann mich wenig beschweren, neben meinem wirklich tollen Urlaub (auf den ich noch weiter unten eingehen werde), ist noch ein Album von einer Band erschienen, die ich zurzeit gerne höre (ich weiß immer noch nicht, ob ich meine liebe Betafee BlackLily dafür erschlagen oder knuddeln sollte...) und seitdem läuft über Spotify eigentlich kaum was anderes bei mir... Auf der Arbeit läuft zwar immer noch der gleiche Scheiß (ok, gelogen: Es ist noch mal etwas schlimmer geworden) und aufgrund mehrerer Schulungen im September weiß ich noch nicht, ob ich tatsächlich jeden Samstag zum Update komme, aber ich werde alles geben!

Was mich aber richtig freut: Selbst in meiner Abwesenheit gab es noch einige neue Favoriten-Einträge. Dafür möchte ich mich wirklich herzlich bedanken und heiße alle "Neuen" willkommen! Die Zahlen, die diese Geschichte erreicht, sind für mich wirklich nicht zu fassen und oftmals reicht nur ein Blick in die Statistik, um mich zum Weiterschreiben zu motivieren. Vielen lieben Dank dafür!

Jetzt Urlaub! Ich hatte gesagt, ich würde Bilder bei Facebook hochladen... Das habe ich, ehrlich gesagt, bis eben völlig vergessen... Es tut mir leid. Falls wer schauen will, was ich so in der sächsischen Schweiz getrieben habe, der kann gerne mal auf meinen Instagram-Account vorbeischauen. Ich bin nicht sonderlich aktiv dort, was Bilder angeht, aber vom Wanderurlaub ist ein wenig was drin.

Der Urlaub war wirklich toll und zum ersten Mal kann ich mir vorstellen, an einen Urlaubsort zurückzukehren. Auch wenn ich mir eine fiese Innenbandreizung und Bluterguss im Knie zugezogen habe, die echt hartnäckig ist. Trotz Iontophorese ist es immer noch dick. Das kommt davon, wenn man relativ untrainiert auf Wanderpfaden rumstolpert xD

So, last but not least: Vielen Dank an Seredhiel für den Kommentar! <3 *Streuselkuchen da lass*

Nach dem halben Roman als Vorwort bleibt mir nur noch, euch viel Spaß beim Lesen zu wünschen!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich hoffe, ihr seid gut ins Wochenende gekommen und könnt es genießen. Auch wenn es jetzt morgens wieder kühler wird (endlich! Juhuuu! xD), scheint es dennoch erst einmal noch überwiegend Wetter zum Rausgehen zu geben. Also genießt die Natur noch, so lange es nicht regnet! ;D

Mit diesem Kapitel ist BOAW offiziell die längste, von mir geschriebene Geschichte (anhand der Kapitelzahlen). An Wörtern hat sie sich schön langer auf Platz 1 geschoben. Nur die Bleach-Übersetzungen können dieser Geschichte noch Stand halten xD
Das ist wirklich Wahnsinn. Am Anfang hatte ich damit gerechnet, dass die Geschichte nach dieser Anzahl der Kapitel langsam ein Ende finden wird, wenn nicht sogar schon gefunden hat. Doch das Schreiben hat mir sehr viel Spaß gemacht und das Feedback von euch war toll, also kam immer noch irgendwelche Ideen dazu. Teilweise von euch, teilweise von mir. Im Prinzip ist das Ganze also eine Art Gemeinschaftsprojekt xD

Also vielen lieben Dank, nicht nur an die fleißigen Kommentarschreiber von letzter Woche, Seredhiel und Lexischlumpf183, sondern an euch alle, die hier reinschauen :3

Viel Spaß beim Lesen!
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Es ist dann doch eher Abend als Nachmittag geworden, bitte entschuldigt! Ich war noch ein wenig länger unterwegs als geplant. Aber jetzt gibt es endlich Nachschub.

Vielen Dank and Lexischlumpf183, Serafina2104 und Seredhiel für die Kommentare! *Apfelstrudel mit Vanilleeis hinstell*

Da ich euch heute nicht lange auf die Folter spannen möchte: Viel Spaß beim Lesen!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen,

seid ihr bereit für das nächste Kapitel ;) Es hat dieses Mal wieder die normale Länge, aber ich hoffe, dass es euch dennoch gefällt ;D

Vielen Dank an Seredhiel und Lexischlumpf für die tollen Kommentare :3 Ich habe mich (wie immer) sehr darüber gefreut! *Kuchen und Getränke hinstell*

Nun viel Spaß beim Lesen und habt noch ein schönes Wochenende!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Seid ihr schon bereit für das nächste Kapitel? ;)

Als jemand, der Fotografie mag, ist der Herbst eine wundervolle Jahreszeit. Ich war heute morgen in einem höher gelegenen Wald und habe ein paar tolle Fotos von Wald, Feldern und Nebel gemacht. Irgendwie gibt es kaum etwas, das mehr entschleunigt.

Das heißt aber auch gleichzeitig, es wird kälter (Endlich! Juhuuu! Der Winter naht!). Ich hoffe, ihr kommt alle erkältungsfrei durch die Zeit! Apropos Zeit... der vorletzte Monat des Jahres 2018 hat begonnen. Wo ist diese verdammte Zeit hin?! xD

Und was kommt im Winter noch? Richtig! Die Eiskunstlauf-Saison ist richtig gestartet. Wer hat schon das Kurzprogramm von Yuzuru Hanyu gesehen? Meine Beta-Fee hat mir eben geschrieben und natürlich musste ich es mir sofort angucken, als ich nach Hause kam. Wenn ich überlege, dass wir erst am Anfang der Saison sind... Wo will der noch hin? (So viel von mir, die am Anfang dieser Geschichte behauptet hat, keine Ahnung vom Eiskunstlauf zu haben und daher sich für ein AU entschieden hat... xD).

Nun noch ein großes Dankeschön an Lexischlumpf183 und Seredhiel für die Kommentare :3 *Nussecken und Tee da lass*

Genug geschrieben, ich wünsche euch viel Spaß mit dem nächsten Kapitel!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Abend!

Advent! Weihnachtszeit! Ist es nicht schön? Zwar zeigt sich der Winter noch nicht wirklich (außer bei der Temperatur), aber sicherlich hat der ein oder andere schon die ersten Vorbereitungen getroffen?! Hände hoch, wer die Weihnachtsbäckerei schon aus dem Tiefschlaf geweckt hat! Bei mir ist es morgen soweit. Mit Nichte und Neffe machen wir Ausstechplätzchen. Eventuell auch noch Lebkuchen, damit die Kids noch was zum Anrühren haben, da der Teig für die Plätzchen über Nacht ruhen muss. Ich freu mich schon voll auf die Zeit. Gut, morgen Rolf Zuckowski auf Dauerschleife, darüber kann man diskutieren, aber der Rest wird sicher toll xD

So, jetzt mal zum Kapitel: Da immer mal wieder die Anmerkung kam, dass die wörtliche Rede an einigen Stellen recht schwer ist, auseinanderzuhalten, habe ich sie für dieses Kapitel mal durch Absätze getrennt. Vielleicht hilft es, vielleicht bin ich damit aber auch völlig auf dem Holzweg. Daher brauche ich eure Meinung ^^ Falls ihr kein Kommentar hinterlassen wollt, aber mir trotzdem eure Meinung dazu mitgeben möchtet, könnt ihr das natürlich gerne auch per PN oder Facebook machen. Ich bin auf jeden Fall um jede Rückmeldung dazu (egal ob positiv oder negativ) dankbar!

Vielen Dank an Lexischlumpf183 und Seredhiel für die Kommentare *Hefebrötchen und heißen Kakao da lass*

Nun viel Spaß beim Lesen! An alle, die sich auf den Abend im Restaurant gefreut haben: Es tut mir leid! Ich wollte es wirklich schreiben, aber dann kam ich vom Hölzchen aufs Stöckchen! *setzt sich zum Schämen in die Ecke*

LG und einen schönen 1. Advent!
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Morgen zusammen,

ich bin mal wieder früh mit dem Kapitel :3 Das liegt allerdings hauptsächlich daran, dass mein Mann noch schläft. Böse Weihnachtsfeier ;D Das gibt mir allerdings die Zeit, das Kapitel noch vor dem Einkaufen etc. hochzuladen.

Hände hoch, wer schon fleißig am Backen ist! *Hände heb* Ich war jetzt 1 1/2 Wochen krankgeschrieben. Volles Programm, von Nebenhöhlen- und Stirnhöhlenentzündung zu Mittelohr usw. War prima. Aber gestern habe ich dann endlich mal wieder das Backen aufgenommen. Die Plätzchen machen sich ja nicht von alleine. Habe schon mit Nichte und Neffe Ausstechplätzchen gemacht, Lebkuchen gebacken und jetzt Kakaokugeln. Fehlen nur noch Feenküsse (das sind Toffifee mit Baiser-Haube, meine Familie steht total drauf), Heidesand, Schoko-Kokos-Krapferl und Schokocrossies. *seufz* Ich muss mich langsam echt ranhalten.

Vielen Dank an Seredhiel und Lexischlumpf183 für die Kommentare *Lebkuchen und Kakaokugeln da lass*

Letztes Kapitel hatte ich ja in einem etwas anderen Format (wörtliche Rede durch Absätze getrennt). Da ich dazu kein Feedback bekommen habe, dachte ich mir, dass ich noch einmal ein Kapitel im bisherigen Format einstelle. Falls ihr danach eine Meinung dazu habt, wäre es super, sie mir auf irgendeinem Weg zukommen zu lassen :)

Dann in diesem Sinne: Viel Spaß beim Lesen und einen schönen dritten Advent!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich hoffe, ihr hattet ein paar schöne Feiertage! Eigentlich war geplant, dass ich noch Weihnachtsgrüße da lasse, habe dann aber völlig vergessen, dass vor Weihnachten gar kein neues Kapitel mehr kommt... Tut mir wirklich leid!

Aber diesmal habe ich noch mal auf den Kalender geschaut! Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr, viel Spaß an Silvester und Neujahr, keine Böller-Unfälle für die, die Böllern und euch und euren Familien ein tolles Jahr 2019.

Wir haben dieses Jahr zu Weihnachten ein "Glücksglas" geschenkt bekommen. Das sollen wir 2019 mit Zettel befüllen, auf denen wir unsere Glücksmomente notieren. Nachdem 2017 bei uns echt schwierig war, war 2018 für uns mit vielen tollen Erlebnissen gepflastert. Ich habe noch mehr Spaß an der Schreiberei gefunden (was zu einem Gutteil auch euer verdienst ist), auch wenn die Zeit leider knapper wurde. Ich habe eine alte Freundin wiedergetroffen und unsere Freundschaft wieder aufleben lassen. Meine Betalese-Fee hat mich nach langem Widerstand mit dem K-Pop-Virus infiziert. Wir hatten einen wunderbaren Urlaub in der säschischen Schweiz, der uns so sehr gefallen und entspannt hat, dass wir planen, nächstes Jahr Wiederholungstäter zu werden. Und natürlich nicht zuletzt das kleine Wunder, dass wir zurzeit mit der Schwangerschaft erleben... Da kommt glatt der Pessimist in mir durch, der sich fragt "Wie kann 2019 das noch toppen?" Aber gut, das weiß man eben im Voraus nie, richtig? xD

Danke an alle, die mich in diesem Jahr begleitet haben! Ich hoffe, wir bleibt der Geschichte auch im nächsten Jahr treu :)

Vielen Dank auch noch an meine Betalese-Fee BlackLily und den Kommentarschreibern vom letzten Kapitel: Lexischlumpf183 und Seredhiel.

*Großes Buffet aufbau*

Liebe Grüße, viel Spaß beim Lesen und ein gutes, neues Jahr!
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Abend!

Da ich euch heute so lange warten gelassen habe, werde ich auch weitestgehend ohne Umschweife zum Punkt kommen. Ich möchte nur kurz erwähnen, dass ich nach meinem Besuch im Schokoladenmuseum in Köln und Abendessen in einem brasilianischen Restaurant (inkl. Samba-Vorführung) so vollgefressen bin, dass ich kaum noch Piep sagen kann xD In diesem Sinne hoffe ich, dass ihr auch ein schönes Wochenende habt und es euch gut gehen lasst! Außerdem wünsche ich euch ein spätes 'Frohes neues Jahr'!

Hach und ich freue mich tierisch, dass ich nun langsam auch wieder zu einem Abschnitt komme, den ich schon seid Beginn der Reihe im Kopf habe! xD

LG und viel Spaß beim Lesen
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Morgen!

Da bin ich wieder! Vielen Dank euch allen für euer Verständnis und eure Geduld! Ich ärgere mich immer sehr, wenn ich einen Termin nicht einhalten kann und es hat mir sehr geholfen, die netten Kommentare zu lesen :3

Es gibt auch Neues in Sachen Nachwuchs. Letzte Woche hatte ich den Termin zur Feindiagnostik. Da wird noch mal nach Organen geschaut und das Kind genau vermessen. Es ist ein wenig seiner Entwicklung voraus, aber es ist alles in bester Ordnung. Und wir wissen jetzt auch genau, was es wird *Trommelwirbel* Es wird ein Mädchen :3 Zwar hat mir das schon ziemlich früh mein Gefühl gesagt, aber es ist schön, wenn man das noch mal mit Gewissheit weiß (und man schlussendlich recht hatte xD).

Vielen Dank an Lexischlumpf (dein Kommentar wurde leider mit Löschen des Kapitels entfernt :() und Seredhiel für die Kommentare und die aufmunternden Worte!

Das neue Kapitel ist tatsächlich etwas länger geworden. Ich habe etwas mit reingenommen, was ich eigentlich später thematisieren wollte, aber es hatte recht gut gepasst und eigentlich wollte, aber es passte gut rein und erklärt noch einmal ein wenig... Es ist sozusagen noch mal ein kleiner Gedulds-Bonus ^^

Aber jetzt: Viel Spaß beim Lesen und ein schönes Wochenende!
LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Wie geht es euch? An alle, die feiern: Ich wünsche euch eine schöne Karnevalszeit!

Mein Tag ist heute irgendwie weniger gut. Kreislauf macht mir ein wenig zu schaffen, letzte Woche wurde bei mir Schwangerschaftsdiabetes diagnostiziert und irgendwie ist heute einfach alles doof xD Aber die junge Dame strampelt fröhlich vor sich hin. Also ist in dieser Hinsicht alles in Ordnung und das ist die Hauptsache. Ich zähle die Tage bis zu meinem Urlaub (ganze 18 Tage noch!) und bin wirklich froh, dass ich nicht noch bis zu meinem Mutterschutz (ab dem 24.04.) arbeiten muss. An so Tagen wie heute, wüsste ich nicht, wie ich das durchstehen sollte xD

So, an dieser Stelle wieder ein herzliches Dankeschön an Lexischlumpf183 für den Kommentar. An BlackLily für ihre fleißige und zügige Korrekturen (vor allem, wenn ich mal wieder später fertig werde, als geplant...) und an alle, die diese Geschichte lesen und als Favo eingetragen hatte! *Buffett mit Berlinern aufbau, sich in die Ecke setz und allen sehnsüchtig beim Futtern zu schau* xD

Habt ein schönes Wochenende!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Da bin ich wieder! Vielen Dank für eure Geduld mit mir!

Vielleicht denkt sich der ein oder andere "Aber es ist doch erst Freitag?!" und das stimmt auch. Tatsächlich habe ich vollkommen vergessen, dass wir am Wochenende Freunde besuchen fahren, bevor es dann eine Weile schwieriger mit weiteren Reisen wird ^^
Also stand ich vor der Wahl: Noch einmal verschieben oder früher online stellen? Nachdem ich euch jetzt schon 2 Wochen habe warten lassen, gefiel mir die erste Option überhaupt nicht ;)

An dieser Stelle fragt sich vielleicht auch der ein oder andere, was das Projekt "Arbeitszimmer/Kinderzimmer" macht. Es gibt immer noch viel zu tun und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es nicht mehr wie mein Arbeitszimmer aussehen würde xD Aber wenn erst einmal meine 3 vollbeladenen Bücherregale und der Schreibtisch draußen ist, ist alles andere schnell erledigt. Schränke und Schubladen sind alle leer, auf dem Schreibtisch steht auch nur noch sehr wenig rum. Wir wollen die Wände noch streichen und dann ist alles erledigt. Bis zur Geburt bleiben uns noch knapp 2 Monate, also alles machbar und daher bin ich vom Kopf auch wieder freier.

Genug gelabbert ;) Vielen Dank noch an Lexischlumpf183 für den Kommentar *frisch gemachte Frühlingsrollen hinstell*

Viel Spaß beim Lesen!

LG
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich hoffe, es geht euch allen gut! Bei mir macht der Wetterwechsel so einiges mit meinem Kreislauf. Es hat heute schon geschneit, geregnet und jetzt scheint die Sonne. Somit waren die letzten 3 Tage geprägt von Übungswehen, Kreislaufproblemen und Tritten/Schlägen, sobald der Bauch entspannt war (durch die Wehen wird der richtig hart, da hat die Kleine nicht ganz so viel Platz zum Toben ;D).

Im heutigen Kapitel konnte ich endlich etwas einbauen, was ich schon lange im Hinterkopf hatte. Es geht um etwas, das mir mein Mann mal gezeigt hat und mich ganz schön überrascht hatte. Irgendwie habe ich es dann schon gedanklich auf diese Geschichte ausgebreitet, obwohl ich damals gerade erst in den Grundzügen steckte, was die Storyline angeht. Aber sie war ein super Bindeglied. Am Ende des Kapitels stehen dazu auch noch einmal genauere Informationen, wer sich also dafür interessiert. Ich habe mir diesen Beitrag dazu bestimmt schon 5 Mal angeschaut xD (Da grüßt der Nerd in mir xD).

Da wir uns vor Ostern nicht mehr lesen: Ich wünsche euch allen schöne Feiertage und viel Erfolg bei der Eiersuche ;)

Viel Spaß beim Lesen und ein schönes Wochenenede!
Eure
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen,

ich hoffe, ihr seid alle gut ins Wochenende gekommen und ihr habt besseres Wetter, als wir hier xD

Heute schreibe ich mal keinen Roman zur Einleitung, sondern möchte mich einfach nur bei KathiCel für die Kommentare bedanken *Waffeln hinstell*

Und noch einmal ein kleiner Hinweis in eigener, "kugeliger" Sache: Das nächste Kapitel ist schon recht nahe am Geburtstermin dran. Also falls ihr nichts von mir hört, muss ich euch um Geduld bitten. Auf meiner FB-Seite (findet ihr im Profil), werde ich auf jeden Fall zur gegebenen Zeit ein Update hochladen ^^

LG und viel Spaß beim Lesen!
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo alle zusammen *wink*

Da bin ich wieder! Ich hoffe, euch ist es allen in meiner Abwesenheit gut ergangen! Vielen Dank für eure Geduld und eure Treue! :D

Unsere Tochter Johanna ist am 06.06. um 04:00 Uhr auf die Welt gekommen. 52 cm und 3.560 Gramm hat sie mitgebracht, genauso wie einen prächtigen, dunklen Haarschopf. Ich habe selten bei einem Baby so viele Haare gesehen! xD
Insgesamt war es ein etwas wilder Ritt, aber es ist alles gut verlaufen. Tatsächlich habe ich nur knapp 3 Stunden wirklich in den Wehen gelegen, also kann ich mich nicht beschweren.
Generell ist sie ein wirklich liebes Baby. Schreit nicht viel und ist auch sonst verhältnismäßig pflegeleicht. Aktuell befindet sie sich aber in einer Wachstumsphase, also ist nicht immer alles so leicht ^^

Aber sicherlich seid ihr gespannt, wie es nun mit "Bird On A Wire" (und auch "Scatter and Howl") weitergeht. Ich werde erst einmal aus dem Samstagsrhythmus ausbrechen und die Kapitel mehr oder weniger so posten, wie sie fertig werden. Hintergrund ist, da ich es sehr wahrscheinlich nicht schaffe, jeden Samstag (im Wechsel mit der anderen Geschichte) hochzuladen. Langfristig möchte ich natürlich wieder zu dem Rhythmus übergehen, aber dafür muss der Alltag erst einmal wieder konstanter werden ^^

Nochmals vielen Dank und nun viel Spaß beim Lesen!
Eure
yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Na? Kennt ihr mich noch? *hust*
Tut mir leid, dass ihr so lange warten musstet. Das war nicht geplant und das ist echt doof gelaufen. Es ging in den letzten Wochen ein wenig drunter und drüber. Die Kleine ist wirklich total süß und recht pflegeleicht, aber dennoch benötigt sie einige Zeit für sich ^^ Und wenn ich dann noch ganze 2 Mal mit Ischias-Problemen schon fast keine Treppen mehr hochkomme und dann rumliege wie ein gestrandetes Walross, kommt die Inspiration doch irgendwie zu Kurz... *seufz* Dafür waren wir zwischen den zwei Ichias-Vorfällen im Urlaub. Im Münsterland haben wir uns ein Cottage mit Sauna und eigenem Badesee gemietet und haben es uns da gut gehen lassen. Für den See war es zwar ein bisschen zu kalt, aber die Sauna war super! xD

Auch wenn nächste Woche die ersten Impfungen anstehen, hoffe ich doch sehr, dieses Mal schneller das nächste Kapitel liefern zu können :) Vielen Dank für eure Geduld und Treue! *Kuchenbuffet aufbau*

Viel Spaß beim Lesen und liebe Grüße
Eure yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Erst einmal, auch wenn es schon Februar ist: Ein frohes neues Jahr! Ich hoffe, euch geht es allen gut!

Wer meine andere Geschichte liest, hat es schon mitbekommen: Das Jahr ist bei mir nicht ganz so einfach gestartet. Meine Schwiegermutter hat eine neue Niere bekommen und das ist nicht alles ganz so glatt gelaufen. Sie musste die Reha abbrechen und war dann noch mal eine Weile in der Uniklinik Heidelberg. Das ist nicht unbedingt ein Katzensprung von uns und so war mein Mann viel unterwegs (neben zusätzlichen Hausmeistertätigkeiten im Haus seiner Mutter) und das hat hier für zusätzliche Probleme gesorgt. Johanna ist nämlich in der Phase, in der Papa und Mama so toll sind, dass sie am liebsten niiiiiieeeeee abgelegt werden will *seufz*

So sind jetzt die letzten 2 Monate mit relativ viel Stress und angespannten Nerven vergangen und ich kam immer nur in kleinen Stücken mit dem Kapitel voran. Vor allem, weil ich mich damit echt schwer getan habe... *seufz* Dazu kommt noch, dass ich euch nicht unbedingt auf das nächste Kapitel weitere 3 Monate warten lassen wollte... Den Grund könnt ihr selbst gleich lesen xD

Ich hoffe sehr, dass ich euch nicht wieder so lange warten lassen muss. Das neue Kapitel zur nächsten Geschichte ist schon in der Mache und gefühlt bin ich gut im Schreibfluss, daher habe ich Hoffnung. Aber länger wollte ich euch eben auch nicht mehr warten lassen. Vielen Dank auch noch an Lexischlumpf, Seredhiel und x_Aurora_x für die Kommentare!

So, genug geklagt. Auf geht's! Viel Spaß beim Lesen!
Bis zum nächsten Mal!
Eure yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Huhu!

Schaut, wer da mal wieder aus seiner Höhle gekrochen kommt...

Ich hoffe, euch und euren Familien geht es gut und ihr bleibt gesund!

Vielen Dank für eure Geduld. Mein Tempo zurzeit ist echt unterirdisch... In den letzten 3 Monaten ist wieder so viel passiert. Die Kleine wächst und gedeiht, lernt und lacht und ist mittlerweile wahnsinnig mobil geworden. Bald feiert sie ihren ersten Geburtstag. Wo ist die ganze Zeit geblieben?!

An dieser Stelle auch wieder herzlichen Dank an Lexischlumpf183 für den Kommentar :3

Viel Spaß beim Lesen,
eure yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ähm... *hust*... Hallo?

Ich freue mich, wenn du das hier liest. Denn das bedeutet, dass du der Geschichte die Treue gehalten hast. Es tut mir wirklich leid, dass ich einfach nie die Kurve bekommen habe, hier weiterzuschreiben. Deshalb bedeutet es mir sehr, sehr viel, dass du beim neuen Kapitel, nach einem Jahr Abstinenz, wieder da bist.

Es gab viele Gründe, warum es einfach mit dem Schreiben geklappt hat. Aber - da muss ich einfach ehrlich sein - auch viele Abende, an denen ich wirklich hätte schreiben können, mir nur die Motivation oder auch die Energie gefehlt haben. Vor mehr als 2 Jahren habe ich mir das noch so einfach vorgestellt und dann hat mich doch die Realität eingeholt.

Corona ist die eine Sache - und ich hoffe sehr, dass du und deine Lieben davon verschont geblieben seid! - aber auch meine Gesundheit, insbesondere mit der Hand, mentale Erschöpfung, Stress und mittlerweile auch wieder die Arbeit haben da bei mir eine Rolle gespielt. Und dennoch habe ich immer wieder an diese Geschichte gedacht. Manchmal saß ich abends im dunklen Kinderzimmer, hatte Johanna gerade ihre Geschichte fertig vorgelesen und wartete noch einen Moment ab, bis ich aus dem Kinderzimmer gehen konnte und dachte dabei, was für Abenteuer Victor und Yūri in Japan erleben würde und und und...

Daher: Ich kann nicht versprechen wann das nächste Kapitel rauskommt. Was ich aber sehr wohl versprechen kann ist, dass ich sie nicht abbrechen werde (dass sie als abgebrochen angezeigt wurde kam von Fanfiktion selbst). Allerdings werde ich mich bemühen, nicht wieder ein Jahr zu brauchen, bis das nächste Kapitel kommt. Auch wenn wir gerade in den Vorbereitungen unseres Umzugs stecken.

Außerdem wurde Bird On A Wire im März für YUAL vorgeschlagen! Vielen Dank dafür! Das war mein erster Vorschlag und ich war total gerührt! Wer auch immer das war, vielen lieben Dank!

Hoffentlich hast du viel Spaß an diesem Kapitel. Alles Gute und Gesundheit für die nächste Zeit!
Deine yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Die Abstände werden kürzer! (Hoffe ich zumindest...)

An dieser Stelle einmal: Vielen, vielen Dank! Ich habe mich total über den Zuspruch gefreut und dass diese Geschichte trotz allem noch so viele Leser hat. Fühlt euch gedrückt!

Viel Spaß beim Lesen und bleibt (oder werdet schnell) gesund!
Liebe Grüße
eure yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

ja... mich gibt es noch... *hust* Komme mir echt blöd vor, euch immer so lange warten zu lassen...

Nicht nur, dass das letzte Kapitel nun schon gute 10 Monate her ist, sondern auch, dass ich euch so über eine wichtige Sache in meinem Leben gar nicht informieren konnte. Zwar wusste ich es vor 10 Monaten schon, wollte aber noch nichts sagen, weil es noch relativ "frisch" war. Und - schwupps - sind 10 Monate rum und unser Sohn Kilian ist bereits 2 1/2 Monate alt. Schande über mein Haupt!

Da ich eine so treulose Tomate gegenüber euch bin und ihr dennoch so fantastisch mir die Treue haltet (ich bin euch unendlich dankbar!), habe ich euch diesmal ein etwas längeres Kapitel mitgebracht. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, endlich wieder hinter der Tastatur zu klemmen. Ich hoffe, dass ich das jetzt langsam wieder öfter schaffe.

Liebe Grüße und bleibt gesund!
eure yezz Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!

Ich hoffe, ihr hattet schöne Feiertage. Sozusagen als nachträgliches Geschenk habe ich hier ein neues Kapitel, das meine liebe Betalesefee BlackLily noch schnell gelesen hat, damit es auch wirklich noch dieses Jahr online gehen kann. Vielen Dank dafür!

Ich wünsche euch von Herzen einen guten Start ins neue Jahr!

Viel Spaß beim Lesen und liebe Grüße
yezz

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Triggerwarnung: In diesem Kapitel erfahrt ihr, was mit Victors Eltern passiert ist. Im Sinne der bisherigen Geschichte verzichte ich hier auf detaillierte Beschreibungen, dennoch kann ich mir vorstellen, dass es ein sehr sensibles Thema sein kann. Da ich mir wünsche, dass ihr diese Geschichte genießen könnt und sie vielleicht sogar als eine kleine heile(nde) Oase betrachtet – was Fluff ja durchaus auch sein kann – spreche ich diese Warnung aus. Themen: Tod der Eltern, Autounfall
Die Stellen sind mit #Beginn und #Ende markiert. Somit können die Stellen bei Bedarf übersprungen werden. Komplett anzeigen

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Fuß fassen (Prolog I)

Nachdem er sein Auto in der Tiefgarage abgestellt hatte, streckte er sich ausgiebig. Mit einem geübten Blick in den Spiegel der Sonnenblende kontrolliere er noch einmal den Sitz seiner stahlgrauen Krawatte. Er fuhr mit der flachen Hand über die Schultern seines maßgeschneidertem Anzug aus aschgrauem, leicht glänzenden Stoff. Es war eine Art Ritual geworden, seit er den Posten bei Feltsman Publishing, einer der renommiertesten Verlagshäuser des ganzen Landes, angetreten war. Man musste schon wirklich gut sein, um direkt nach einem Literaturstudium dort anzufangen. Auf der Uni hatten seine Kommilitonen immer gescherzt, dass ein Job als Hausmeister bei Feltsman beliebter war, als der des Redakteurs bei kleineren Verlagen.
 

Nun ja, das hatten sie zumindest so lange getan, bis herausgekommen war, wer er war. Plötzlich hatte man ihn entweder gemieden oder versucht, sich bei ihm einzuschmeicheln, in der Hoffnung, einen der heiß begehrten Plätze zu erhalten. Aber auch endlich in der Berufswelt angekommen, gab es immer noch diese Neider. Leute, die meinten, er habe den Job nur bekommen, weil er der Neffe des Gründers, und gleichzeitig Leiter des Verlags, sei. Jener Mann, Yakov Feltsman, der in der Szene schon fast verehrt wurde, hatte er doch mit 25 Jahren den Verlag gegründet und innerhalb 45 Jahren daraus das gemacht, was er nun war. Yakov Feltsman hatte immer hart für seinen Erfolg gearbeitet und nie Almosen verteilt. Wer nichts taugte, wurde knallhart ausgesiebt. Niemand wusste das besser als er. Immerhin wurde ihm schon zu Beginn seines Studiums gesagt, er solle sich nicht einmal wagen, einen Fuß vor das Verlagsgebäude zu setzen, wenn er nicht als Jahrgangsbester abschneiden würde.
 

Nicht, dass das erst mit dem Studium angefangen hätte. Früher war sein Onkel einmal im Monat bei seiner Tante vorbeigekommen. Doch statt warmer Worte hatte er nur gehört, er solle in der Schule lernen und sich nicht wagen, nur mit einem mittelmäßigen Zeugnis nach Hause zu kommen. Doch Victor hatte nicht wirklich etwas dagegen gehabt. Hatte die Trauer um den Unfalltod seiner Eltern schnell in Schulbüchern und schlussendlich auch in anderen Büchern ertränkt. Alles, was sein Onkel mitgebracht hatte, wurde förmlich verschlungen. Die Bücher zogen ihn in ihre eigene, heile Welt. Retteten ihn vor dem langweiligen Alltag außerhalb der Schule und der strengen Hand seiner Tante. Und so war es kein Wunder, dass er nicht nur die Schule, sondern auch die Eliteuniversität mit Bestnote abschloss.
 

Seufzend griff Victor nach dem Becher Kaffee, den er sich vorher noch in seinem Stammkaffeehaus geholt hatte. Es war 07:55 Uhr. Zeit für das Büro, Zeit für die Neider der unteren Etagen, Zeit für das Gerede hinter seinem Rücken von denen, die es nicht geschafft haben. Scheiterte er, lachten sie höhnisch. Hatte er Erfolg, zerrissen sie sich ihre Mäuler. Aber irgendwann würde er sicher Fuß fassen. Er war ein Kämpfer und ihm machte es nichts aus, was die Leute auf seiner Arbeit über ihn sagten. Er war auf der Arbeit um zu arbeiten, nicht um Freunde zu gewinnen. Wobei Victor zugeben musste, dass bei Weitem nicht alle so waren. Die Kollegen, die direkt unter ihnen arbeiteten oder die, mit denen er zusammenarbeitete, hatte er bald von seiner Kompetenz überzeugen können. Und das reichte ihm auch voll und ganz. Er wusste, dass er es packen konnte und diejenigen, die sich jetzt noch die Mäuler über ihn zerrissen, konnten ihm gestohlen bleiben.
 

Er stieg aus dem Auto und ging festen Schrittes zum Treppenhaus. Eine Hand am Kaffeebecher, die andere an seinem Handy. Er überprüfe schnell seinen Terminkalender, den er immer in seinem Handy abgespeichert hatte. Victor mochte Überraschungen, doch in der Berufswelt musste er erfahren, dass diese meist eher einen negativen Beigeschmack hatten. Daher überließ er nichts dem Zufall. Als sein Blick an einem Termin hängen blieb, seufzte er theatralisch. Heute hatte er noch einen Termin mit dem Bestseller-Autor des Unternehmens. Er war ein begnadeter Kerl, doch... wenn man Victor um eine Einschätzung bitten würde, würde ihm wohl nur das Wort 'speziell' einfallen. Das war noch nicht einmal besonders positiv oder negativ gemeint. Er war halt nun einmal einfach wortwörtlich 'speziell'.
 

Aber auch er war ein Grund, warum Victor von Anfang an einen schweren Stand im Verlag gehabt hatte. Als Neueinsteiger direkt nach noch nicht einmal einem halben Jahr direkt den Bestseller-Autor zugewiesen zu bekommen? Ja, das war damals eine Überraschung gewesen. Eine dieser Überraschungen, die erst einmal mit einem besonders negativen Beigeschmack daher kam. Da waren direkt die Neider, die hinter seinem Rücken tuschelten, was für ein privilegiertes Muttersöhnchen er doch sein. Doch sie hätten nicht verkehrter liegen können. Nicht nur, dass er rein technisch gesehen, gar kein Muttersöhnchen sein konnte, war es nicht unbedingt ein Privileg, mit dieser Person zu arbeiten. Tatsächlich sogar hatte der vorherige Redakteur, der ihn 2 Jahre lang betreut hatte, offensichtlich Luftsprünge gemacht, als er diesen Kerl abgeben konnte. Zusätzlich war er in Victors Büro gekommen, welches er sich mit 2 anderen Redakteuren geteilt hatte und hatte ihm sein aufrichtiges Beileid gewünscht, nun mit dem 'gestörten Drecksack' arbeiten zu müssen. Das hatte Victors Freude doch einen herben Schlag versetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er diesen Redakteurswechsel als Anerkennung seiner bisherigen Leistung gesehen. So kann es gehen – wie gewonnen, so zerronnen.
 

Als Victor auf seiner Etage ankam, wurde er bereits von der Sekretärin begrüßt. „Dir auch einen guten Morgen, Sara. Irgendwas, was ich jetzt schon wissen muss?“, fragte er lächelnd. Sara war eine der Personen, die sich meist neutral ihm gegenüber verhielt. Sie nahm ihn weder in Schutz, noch sprach sie hinter seinem Rücken. Doch noch wichtiger für Victor war: Sie versuchte sich auch nicht bei ihm einzuschleimen. Damit hatte die junge Frau sofort einen Bonus bei Victor. „Bisher ist noch alles ruhig, Victor“, kam es fröhlich zurück. „Du weißt aber, dass heute der Termin wegen dem neuen Manuskript mit...“, fing sie an, doch er winkte ab. „Wie könnte ich das vergessen? Sollte ich den Termin mit ihm jemals vergessen, wäre das mein Todesurteil“, sagte er zwinkernd und ging zu seinem Büro.
 

Er schloss die Tür hinter sich und genoss die Stille. Nach einigen Sanierungsarbeiten und einem Anbau, hatten die Redakteure seit Neustem eigene Büros, was er persönlich als Luxus empfand. Aber wer war er, sich zu beschweren. Heimlich vermutete er, dass Emil seine Finger im Spiel hatte, nachdem er sich irgendwann angewöhnt hatte, kurz vor den Terminen mit Herrn Bestseller-Autor aufzuspringen und hektisch den Raum zu verlassen. Meist war das verbunden mit einem recht leicht zu durchschauenden „Ach? Wer hat bloß an der Zeit gedreht?“ oder „Was? Schon so spät? Ich muss unbedingt weg!“. Ganz zufällig dauerte das, was er dann ganz dringend machen musste auch genauso lange, wie sein Termin. Aber natürlich hatte das rein gar nichts damit zu tun, dass – und da zitierte Victor Emil gerne – 'der größte Spinner der Erde' zu Besuch kam.
 

Er setzte sich an den Schreibtisch und schaute die Manuskripte durch, die er noch zu lesen hatte. Er lag gut in der Zeit. Auch der Stapel mit Probemanuskripten von Autoren, die sich darum bewarben, dass ihre Bücher von ihnen verlegt wurden, waren nicht mehr sonderlich hoch. Je nachdem, wie gut er heute durchkam, konnte er vielleicht auch Hisashi oder Emil noch etwas abnehmen. Also startete er motiviert mit einem letzten Schluck aus seinem Kaffeebecher in den Tag, mit dem Wissen, dass je nach Laune eines gewissen Herrn, ab 14:00 Uhr sein Tag schlagartig kippen konnte.

Arsch hochkriegen (Prolog II)

"Yūri! Es wird Zeit!", erklang eine Stimme bis in Yūri Schlafzimmer. „Ich will aber noch nicht, es ist so schön warm!“, maulte er zurück und drehte sich in seinem Bett um, damit er sein Gesicht ins Kissen drücken konnte. Gleichzeitig zog er die Decke über den Kopf und hoffte, dass man ihn heute einfach in Ruhe lassen würde. Er driftete schon wieder langsam ins Reich der Träume ab, als die Tür zu seinem Schlafzimmer aufgerissen wurde. „Yūri! Du müsstest eigentlich seit 5 Minuten unterwegs sein. Wenn du noch weiter trödelst, kommst du zu spät!“
 

Das ließ ihn nun doch mit einem Mal hellwach werden. „Waaaas?“, kreischte er schon fast, während er aus dem Bett sprang. „Warum hast du nichts gesagt?“, jammerte er, während er hektisch seine Kleidung zusammensuchte. „Nichts gesagt? Willst du mich auf den Arm nehmen? Seit ich von der Arbeit zurück bin, versuche ich dich zu wecken. Du bist echt eine Schlafmütze!“ „Du musst mich eben richtig wecken! Ich habe gestern noch lange an der Arbeit gesessen!“, jammerte Yūri weiter, während er im Laufschritt aus dem Zimmer hechtete, um ins Bad zu gelangen.
 

„Ja ja, ich weiß genau, was dein 'an der Arbeit gesessen' bedeutet“, kam es zurück und Yūri konnte daraufhin nur mit den Augen rollen. „Wenn das Geld für die Miete da ist, hast du dich noch nie beschwert!“, erwiderte er dem Anderen durch die Tür des Bads, während er sich nur darauf beschränkte, schnell die nötigsten Stellen zu waschen, bevor er in seine Kleidung schlüpfte. „Aber du lenkst vom Thema ab. Unser Thema war, dass du ein miserabler Wecker bist.“ „Hey, jetzt mach mal halblang. Ich komme vom Nachtdienst! Ich habe dich geweckt, als ich zur Tür reinkam. Wenn der Herr meint, mich ignorieren zu müssen, ist das wohl nicht mein Problem!“
 

„Und ob das dein Problem ist, wegen dir kann ich mir kein Kaffee auf dem Weg mehr holen. Und du weißt, wie der Kaffee da schmeckt!“, beklagte sich Yūri und riss die Tür zum Bad auf. Phichit stand vor ihm und hielt ihm einen Becher hin. „Medium geröstet, zwei Mal Milch, ein Mal Zucker. Ich kenne dich doch, wie lange wohnen wir zusammen?“, fragte er grinsend als er Yūris erleichterten Gesichtsausdruck sah. „Du bist echt der Beste! Danke!“, lachte dieser, drückte sein Gegenüber kurz, bevor er den Becher nahm. Während er den Autoschlüssel aus dem Körbchen fischte, in dem sie ihre Schlüssel aufbewahrten, nahm er einen tiefen Schluck. „Ach, jetzt auf einmal. Ich merke mir das alles, irgendwann zahle ich dir die morgendlichen Anschuldigungen heim“, murrte Phichit halb im Scherz, während er sich an die Wand lehnte und zuschaute, wie sich Yūri die Schuhe band.
 

„Vergiss deine Tasche nicht. Da sind alle deine Unterlagen drin“, erinnerte er ihn noch, als dieser gerade aus der Tür hinausstürmen wollte. Yuri schlug sich mit der freien Hand gegen die Stirn, verschwand kurz in seinem Schlafzimmer. „Wenn ich dich nicht hätte“, lachte Yūri. „Dann hättest du entweder wen anderes oder müsstest endlich mal lernen, deine Gedanken zusammenzuhalten“, schnaubte Phichit belustigt, als er sah, dass Yūri wieder einmal ein wenig rot wurde. „Dann schlaf mal gut“, Yūri winkte über die Schulter. „Ach, könntest du auf dem Rückweg noch Futter für die Hamster mitbringen?“, grinste Phichit, noch bevor der Andere die Tür schließen konnte. „Geht klar, bis heute Abend!“
 

Damit rauschte Yūri die Treppenstufen des Wohnhauses hinunter, übersprang immer die letzten paar Stufen. Wenn er Pech hatte, würde sich heute Abend wieder eine der älteren Nachbarn beschweren, dass er beim Verlassen des Hauses manchmal so einen Lärm machte, aber in diesem Moment war ihm wirklich wichtiger, nicht zu spät zu kommen. Mit ein bisschen Glück, würden sie sich auch gleich einfach bei Phichit beschweren und ihn so von seinem wohlverdienten Schlaf abhalten. Und wenn dieser ganz viel Pech hatte, würden sie ihn wegen irgendwelcher Wehwehchen belästigen. Seit sie herausgefunden hatten, dass er Medizin studierte und gerade seinen vierjährigen Studiengang zum Doktor absolvierte, war er der Liebling der älteren Herrschaften im Haus. Manchmal stellte man ihm sogar Kuchen, selbstgemachte Marmelade oder andere Leckereien vor die Tür.
 

Er dagegen wurde da wohl eher als der nutzlose, junge Freund des Überfliegers angesehen. Jemand, der zu schnell zunahm, wenn er mal wieder seine faule Phase hatte und generell doch fast nur im Haus blieb. Die alten Leute konnten eben nichts damit anfangen, was er so machte. Doch Yūri war das eigentlich egal. Immerhin nervte man ihn dann auch nicht. Nur zum Schneeschaufeln war er im Winter dann doch wieder gut genug. Er schnaubte, als er am Auto ankam. Wie immer betete er, dass sein altes Gefährt ansprang und ihm nicht den Dienst verweigerte. Nicht, dass es unzuverlässig wäre, aber bei einem 12 Jahre alten Auto waren Zickereien auf Dauer einfach vorprogrammiert. Außerdem würde es zu einem solchen Tag einfach hervorragend passen.
 

Er richtete ein Stoßgebet Richtung Himmel, bevor er den Schlüssel umdrehte. Der Motor schnurrte auf und erleichtert machte er sich auf den Weg. Er lenkte das Auto durch die bekannten Straßen, bis an sein Ziel. Mit einem Blick auf die Uhr stellte er erleichtert fest, dass wenn er nun schnell einen Parkplatz bekommen würde, er noch schnell einen Zwischenstopp bei einem Bäcker machen konnte, um sich noch etwas zu Essen zu besorgen. Denn langsam knurrte sein Magen doch ein wenig und das würde ihm später nur peinlich sein.
 

Aber auch hier war ihm tatsächlich ausnahmsweise einmal das Glück hold, er fand einen freien und auch noch kostenlosen Parkplatz, der nur ein paar Meter von einer seiner Lieblingsbäckereien der Stadt entfernt war. Schnell parkte er ein, schnappte sich seine Tasche, trank den Kaffee aus und sprang aus dem Auto, wobei er allerdings nicht den Verkehr beachtet hatte und nur mit Glück nicht die Tür von einem heranfahrenden Fahrzeug abgerissen bekommen hatte. Mit hochrotem Kopf entschuldigte er sich bei dem schimpfenden Fahrer und trat die Flucht an.
 

„Um dich muss man sich wirklich immer Sorgen machen“, lachte Yūko, als er die Bäckerei Nishigori betrat. Mittlerweile war Yūri dunkelrot im Gesicht und rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Hehe, ja... Irgendwie nicht mein Tag heute“, stammelte er verlegen. Es war ihm wirklich peinlich, dass sie das auch noch so mitbekommen hatte. „Das Übliche?“, fragte sie mit gewohnt fröhlicher Stimme und er nickte, bezahlte und nahm dann die Tüte entgegen. Als er sich verabschiedete, dachte er, dass der Tag wirklich nur noch besser werden konnte.

Termine

Der Vorteil an seinem Job als Redakteur war eindeutig, dass er jede Menge Manuskripte zu lesen bekam. Der Nachteil hingegen war, dass er jede Menge Manuskripte zu lesen hatte. Manche wollte er sofort wieder auf Seite legen, aber wie sollte er dem Autor eine fundierte Rückmeldung zu seinem Werk geben? Gerade bei Erstlingswerken empfang es Victor als seine Pflicht, diese sorgfältig durchzulesen und dem Autor vielleicht ein paar Tipps zu geben. Und sei es nur, dass er einen Kurs für Storytelling, wie es mittlerweile genannt wurde, empfahl. Das war dann auch gar nicht abwertend von ihm gemeint. Immerhin hatte dann der Verfasser zumindest eine Hürde überwunden: Die Idee hatte unter Umständen genug Potential, nur die Weise, wie sie erzählt wurde, war dann noch nicht so, wie es sein sollte.
 

Diese Fälle waren mit das Schlimmste bei dieser Art von Manuskripten, zumindest in Victors Augen. Es war schon schlimm, wenn die Idee hanebüchen, oberflächlich oder auch einfach nur langweilig war. Aber wenn er ein Thema auf dem Tisch hatte, welches er selbst spannend fand, aber von der Erzählungsweise zerrissen wurde... da hatte ihm schon so manches Mal das Herz geblutet. Er schrieb den Autoren dann immer einen besonders gutgemeinten Brief, aber dennoch war es eine Ablehnung. Noch wartete er darauf, dass sich einer dieser Autoren noch einmal mit der überarbeiteten Fassung an ihn wendete. Doch wenn er ehrlich mit sich selbst war, rechnete er nicht damit. Das war manchmal eine echte Schande.
 

Dieses Manuskript war wieder so etwas. Ein Steampunk-Szenario, in dem die Welt eher eine riesige Art Uhr war. Ihm gefiel die Atmosphäre und auch die bildhafte Sprache des Autors, aber irgendwie fehlte da noch etwas. Dieser Funke, der übersprang und fesselte. Er war zwischenzeitlich von seinem großen Schreibtisch auf die Ledercouch gewechselt, die noch in seinem Büro stand. Er hatte die Schuhe ausgezogen und die Füße überkreuz auf den kleinen Couchtisch abgelegt. Eine Hand war an seine Stirn gelegt, während er eine Passage zum Dritten Mal durchlas. Dann legte er das Manuskript in seinen Schoß und markierte den Teil mit einem blauen Post-It-Streifen, den er an der Seite etwas rausschauen ließ. Er hatte sich da eine spezielle Methode zurecht gelegt. Er verwendete immer blaue, grüne und gelbe Post-Its. Alle hatten eine andere Bedeutung. Nur die Pinken verwendete er äußerst ungern: Das bedeutete, dass für ihn eine Handlung unerklärlich war.
 

Er haderte mit diesem Manuskript. Gerne würde er es den Anderen vorstellen, doch war er sich noch nicht ganz sicher, ob die Geschichte auch bei seinen Kollegen entsprechend ankommen würde. Andererseits hatte er die Befürchtung, dass wenn er um Überarbeitung bat, der Autor das vielleicht in den falschen Hals bekam und die Idee verwarf oder ein anderer Verlag sie dann doch annahm. Natürlich war ihm klar, dass dieses Manuskript nicht zwangsläufig die endgültige Fassung war – wann war das schon einmal so? - aber dennoch blieben da restliche Zweifel, auch nachdem er die Seiten fertig gelesen hatte. Also schnappte er sich den Brief und das Manuskript, schlüpfte wieder in seine dunkelbraunen Lederschuhe und ging aus dem Büro.
 

"Sara? Hast du einen Moment für mich?", fragte er und war mit 4 langen Schritten am Schreibtisch der Sekretärin. "Was gibt es Victor?", sie schaute von ihrem Bildschirm auf. Victor legte das Anschreiben und das Manuskript auf ihren Schreibtisch. "Könntest du bitte mit diesem Autor einen Termin machen? Ich möchte gerne das Manuskript durchgehen. Es hat was, aber mir fehlt noch etwas. Doch bevor man uns das vor der Nase wegschnappt, möchte ich schauen, was sich da noch machen lässt", er zwinkerte ihr verstohlen zu und sie kicherte leise. "Natürlich. Noch diese Woche oder nächste?" "Lieber nächste Woche und dann mittags. Ich dürfte am Mittwoch noch etwas frei haben, oder?", er legte den Kopf schief und einen Finger an die Lippen, während er überlegte. Mit flinken Fingern schaute sie im Terminkalender und nickte. "Ja, da hast du noch einen Puffer von 3 Stunden. Falls das für den Autor nicht funktioniert, biete ich Donnerstag zur gleichen Zeit an, in Ordnung?", sie schaute ihn fragend an. Victor nickte und schaute dann auf die Uhr. "Klingt gut. Ich sollte mich jetzt seelisch und moralisch auf unseren Besucher einstellen."
 

Sara blickte schnell auf die Uhr. "Oh, es ist ja schon so spät!", rief sie verwundert aus, worüber er lachen musste. "Ja, die Zeit verfliegt. Gibt es sonst noch etwas?", sein Blick glitt dabei auf einen Stapel Manuskripte, die er am Morgen dort noch nicht hatte liegen sehen. "Ah! Ja! Die hat Mila eben vorbeigebracht. Die Neuankömmlinge. Ich wollte sie gleich sortieren und verteilen. Für dich wieder nichts mit Außerirdischen?", lachte sie. "Himmel, nein!", erwiderte Victor theatralisch. "Willst du, dass ich heute Nacht nicht schlafe?", er stimmte in ihr Lachen ein, aber es war tatsächlich so. Thriller mit feindlich gesinnten Alien ließ aus irgendeinem Grund Victors Fantasie durchdrehen. Das Thema schien bei ihm irgendwelche Synapsen durchknallen zu lassen. Also hatte er mit Hisashi einen Handel abgeschlossen: Er übernahm die historischen Romane von ihm und er nahm das ganze Alien-Zeugs an sich. Victor war damit durchaus zufrieden. Nur sehr wenige junge Autoren wagten sich an die Genre 'Historisch', also musste sich Victor zumindest nicht mit schlechter Wortwahl und ernsteren Rechtschreibung- sowie Grammatikfehler herumschlagen.
 

Die Tür, welche zum Flur mit dem Aufzug führte, schwang auf und es hallten Schritte durch den großzügigen Vorraum. Victor blickte auf und ging dem Neuankömmling entgegen. "Wenn das nicht unser Besucher des Tages ist", sagte er fröhlich und schenkte ihm ein warmes Lächeln. "Ich freue mich, dass du es heute hattest einrichten können." Er überlegte noch, ob er seinen Bestseller-Autor gleich umarmen oder lieber nur die Hand geben sollte. Bei ihm war das leider immer abhängig von der Tagesform. "Victor, zieh deinen Kopf aus meinem scheiß Arsch und lass uns anfangen. Ich habe nicht ewig Zeit für den Mist", knurrte sein Gegenüber. Gut, die Hand war es also, beschloss Victor und ließ sich nichts anmerken. "Dann lass uns doch gleich mal in mein Büro gehen. Sara? Ich hole die Manuskripte dann später bei dir ab", erklärte er noch überflüssigerweise, als er in Richtung seines Büros ging, um seinem Gast die Tür aufzuhalten.
 

Der trat kommentarlos ein und ließ sich sofort auf den weichen Stuhl gegenüber von Victors Schreibtisch fallen. Doch als Victor an ihm vorbei gehen wollte, drückte er ihm eine Zeitschrift gegen die Brust. Verdattert hielt er in der Bewegung inne und blickte auf das Magazin und die Hand, die es weiter gegen seine Brust drückte. "Du solltest dir mal ein vernünftiges Hobby suchen", erklärte der Mann. Zögernd fasste er nach dem Magazin und hob es von seiner Brust, während er sich an seinem Schreibtisch setzte. "Also...", er war immer noch etwas perplex, als er blinzelnd auf das bunte Titelbild schaute. "Hey, ich hab mir extra Mühe gegeben, ja? Da sind Männer und Frauen drin, da ich ja nicht weiß, worauf du stehst", ein kleines, boshaftes Grinsen schlich sich auf das Gesicht des Autors. "Ich...", begann Victor, doch sofort wurde ihm das Wort abgeschnitten: "Ich will gar nicht wissen, worauf du stehst, Victor! Aber dass du mein erstklassiges Manuskript nicht einfach so durchwinkst, kann ich mir nur damit erklären, dass du sexuell frustriert bist!"
 

Victor seufzte tief und lehnte kurz den Kopf in seine Hand. "Ich habe schon bessere Manuskripte von dir gelesen. Und seitdem hat sich an meinem Sexualleben, welches dich, mit Verlaub, nichts anzugehen hat, nicht sonderlich viel verändert", stellte er klar, doch am Gesicht des Anderen konnte er genau erkennen, dass er ihn genau da hatte, wo er ihn wollte. "Mit anderen Worten: Nicht vorhanden und jämmerlich. Alles klar. Aber wenn sich das Ganze aufstaut, wird das auch nicht besser, mein Junge. Wedelst du dir denn zumindest ab und an mal einen von der Palme? Dabei kann das Heftchen hier auch ganz gut helfen", lachte er hinterlistig, während Victor tief durchatmete und langsam bis fünf zählte. "Alan Aaronovitch, wir sind hier, um dein Manuskript zu besprechen und nicht, damit du deine aufgestaute Frustration ablassen kannst, weil deine Frau dich schon wieder auf dem Sofa hat übernachten lassen", schoss er zurück.
 

Der Autor verzog das Gesicht zu einer Grimasse und hielt sich beide Hände an die Brust. "Oh Victor! Du verletzt mich. Ich, der es doch nur gut mit einem so jungen Mann wie dir meint! Du hast dein ganzes Leben noch vor dir! Versauer nicht hinter angestaubten, zweitklassigen Totschlägern!", rief er theatralisch. "Ich hasse es, wenn du diese Laune hast...", seufzte Victor und kämpfte mit der aufsteigenden Verzweiflung. "Willst du einen Kaffee oder Tee?", fragte er nur, um sich selbst ein wenig zu beschäftigen. "Hast du Genmaicha da?", fragte Alan. Victor nickte knapp. "Wenn du ihn nicht verhunzt, nehme ich einen. Wehe, du schüttest kochendes Wasser darüber", grummelte er. "Was denkst du von mir, Alan?", echauffierte sich Victor gespielt. "Ich, mein Lieber, bin ein Mann mit Geschmack!"
 


 

Yūri kämpfte immer wieder mit der Müdigkeit während seiner Vorlesung. Er hatte bis spät in die Nacht gearbeitet, was er normalerweise unter der Woche nie tat. Er hatte einen geregelten Tagesablauf, er hasste Überraschungen. Phichit war für ihn schon genug Unbeständigkeit in seinem Leben. Immer wechselnde Arbeitszeiten wegen der gleichzeitigen Ausbildung in Krankenhaus und Uni und lautstarke Telefonate mitten in der Nacht mit seinen Eltern in Thailand waren nicht immer das, was sich Yūri unter einem angenehmen WG-Leben vorgestellt hatte. Aber vermutlich konnte Phichit von ihm das Gleiche sagen. Er deckte seine Kosten mit zwei Jobs und hatte Phasen, in denen man ihn zwingen musste, überhaupt aufzustehen. Aber unterm Strich war er zufrieden mit seinem Leben und bereute nicht, von Japan hierher gezogen zu sein. Auch, wenn er manchmal seine Familie vermisste. Doch Phichit machte es erträglich, durch ihn fühlte er sich nicht allzu einsam.
 

„Yūri?“, eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und er schaute auf. Eine Kommilitonin stand vor ihm und schaute ihn mit schief gelegtem Kopf an. „Die Vorlesung ist vorbei“, kicherte sie und ging zurück zu ihren Freundinnen. Er seufzte. Tagträumerei mitten in der Vorlesung war ungefähr genauso schlimm wie einschlafen. Zumindest schien der Professor nichts mitbekommen zu haben. Scheinbar hatte er doch manchmal noch Glück. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein Handy blickte. Der Bildschirm zeigte ihm 2 Anrufe in Abwesenheit und 6 Nachrichten an. Ein Blick auf den Absender sagte ihm, dass es eine seiner Kundinnen war, deren Rechner er nebenbei aufgesetzt hatte. Als Informatikstudent bot es sich ja immerhin an, anderen Leuten mit ihren Computer-Problemen zu helfen. Und Yūri musste feststellen, dass je wichtiger die Daten auf dem PC waren, die Besitzer auch bereit waren, ihm freiwillig mehr Geld zu geben.
 

Er neigte immer dazu, sich unter Wert zu verkaufen. Gerade bei Fähigkeiten, die er einfach hatte. Es war nichts besonderes für ihn, ein Betriebssystem zu installieren oder eine Festplatte einzubauen. Aber seitdem er den Leuten gesagt hatte, sie sollen geben, was ihnen seine Dienste wert waren, konnte er sich wirklich nicht mehr beschweren. Doch leider reichte es nicht, um alleine damit über die Runden zu kommen. Dafür hatte er einen anderen Job, den er von zu Hause aus erledigen konnte. Es war oftmals anstrengend, aber mit ein bisschen Übung hatte er plötzlich den Dreh raus und der Knoten war geplatzt. Seitdem konnte er davon ziemlich gut leben, auch wenn er lieber weiter den IT-Kram machen würde. Aber das Leben war ja kein Pony schlecken oder so ähnlich halt...
 

Er drückte auf den grünen Hörer und hielt sich sein Handy ans Ohr. Es klingelte nur 2 Mal, dann wurde das Telefonat angenommen. „Gott sei Dank, Yūri! Ich habe wohl einen Virus auf dem Computer! Keine Ahnung, wie das passiert ist, Kenjirō hatte nur Animes im Internet geguckt und jetzt das! Kannst du dir das mal ansehen?", flehte die weibliche Stimme am Ende der Leitung. Er musste sich ein Lachen verkneifen. Mit Sicherheit hatte sich der Junge nur Animes angeschaut. Wo konnte man denn sonst noch auf einen Virus treffen? Vor allem, wenn man ein Junge von 17 Jahren war. "Beruhigen sie sich, Frau Minami. Ich habe ihnen eine gute Viren-Software installiert. Da sollte eigentlich nichts passiert sein, wenn regelmäßige Updates durchgeführt wurden", begann er ihr ruhig zu erklären. "Ich habe da nichts mehr dran geändert, seit du mir den PC überarbeitet hast", warf sie direkt ein. "Aber sie haben doch sicherlich Updates gemacht, wenn das Programm sie danach gefragt hat, oder?", zu diesem Zeitpunkt ahnte Yuri allerdings schon nichts mehr Gutes. "Danach gefragt? Also wenn so ein Fenster aus dem Nichts erscheint, klicke ich immer auf 'Nein'. Woher soll ich denn wissen, dass mir nicht jemand eine Waschmaschine verkauft oder sonst irgendwelche Daten von mir will?"
 

Indem man liest, was in diesem Fenster steht, seufzte Yūri innerlich. Doch warum beschwerte er sich eigentlich? Immerhin würde ihm das Geld einbringen, auch wenn er heute eigentlich anderes vorgehabt hätte, zumal er heute mit dem Kochen dran war. „Alles klar, Frau Minami. Ich bin hier eh fertig und komme gleich vorbei. Fahre nur noch einmal kurz nach Hause und hole ein paar Sachen und muss meinen Mitbewohner sagen, dass er das Kochen heute übernehmen soll“, sagte Yūri und verließ dabei schon das Universitätsgebäude. „Ach, das ist nicht nötig! Ich bin ja froh, dass du so schnell kommst. Ich koche einfach für euch mit. Was hältst du von Chanchan Yaki?“, er hörte die pure Erleichterung aus der Stimme der jungen Mutter. Der Gedanke alleine an gegartem Lachs mit Miso, Pilzen und Kohl ließ Yūri das Wasser im Mund zusammenlaufen. „Das wäre natürlich wunderbar. Ich bin in einer halben Stunde da“, grinste er freudig in den Hörer, während er seine Schritte beschleunigte. Mit gutem Essen konnte man ihn immer Ködern und das wussten leider viel zu viele.

Feierabend

Das Treffen mit Alan, seinem Bestseller-Autor hatte ihn deutlich mehr Zeit und Nerven gekostet, als er damit gerechnet hatte und so hatte er danach eine Pause einlegen müssen, um sich kurz die Beine zu vertreten und frische Luft zu schnappen. Die frische Luft hatte Wunder gegen seine stechenden Kopfschmerzen gewirkt, doch kaum war er wieder im Büro gewesen, war ihm am Grinsen von Sara klar geworden, dass irgendetwas im Busch war. „Also Victor. Ich meine, du bist ja auch nur ein Mensch. Selbst wenn du hier mit Abstand wohl am meisten arbeitest. Aber mal so unter uns... Dass du solche Heftchen hast und auch so öffentlich rumliegen lässt... Du solltest sie zumindest wegräumen, wenn du damit fertig bist“, zwinkerte sie ihm verstohlen zu, als wäre sie nun der Hüter eines der größten Firmengeheimnisse.
 

Er legte die Stirn ein wenig in Falten und legte sich einen Finger an die Lippen, während er den Kopf etwas schief hielt. Ganz schlau wurde er von Saras Kommentar nicht, bis ihm plötzlich wieder das Geschenk von Alan einfiel. Kurz wurden seine Augen größer, bevor er abwehrend die Hände vor seinem Körper schüttelte. „Sara, da hast du etwas falsch verstanden. Alan... Dieser Dreckskerl. Er hat mir das wieder mit einem dummen Spruch untergejubelt“, rechtfertige er sich, woraufhin Sara zu lachen anfing. „Sag mal, für wie blöd hältst du mich?“, fragte sie und beäugte Victor, während sie sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel wischte. Victor schien nicht ganz zu wissen, was er erwidern sollte. „Natürlich ist das von Alan. Glaubst du ernsthaft, ich hätte das nicht sofort gewusst, als ich es auf deinem Schreibtisch gesehen habe? Du solltest es nur nicht so offensichtlich auf deinem Schreibtisch liegen lassen. Was wäre, wenn Satan oder ihr Höllenhund das gesehen hätte?“, bei dem letzten Satz wurde ihre Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, wussten sie doch beide, dass es ein riesiges Donnerwetter geben würde, sollte die Chefredakteurin oder ihre Sekretärin von den Spitznamen erfahren, die sie für die beiden kreiert hatten.
 

Erleichtert atmete Victor aus. „Ich habe es völlig vergessen. Alan hat mir wieder den letzten Nerv geraubt“, gestand er mit einem schiefen Grinsen. Sara winkte ab. „Der Typ ist Schuld, dass Adam das Handtuch geworfen hat. Und der war kurz vor dem Ruhestand. Adam hast du nicht mehr kennengelernt, oder? Der war noch vor deiner Zeit, wenn ich mich Recht entsinne. Danach hatte ja Stéphane das Vergnügen und einen ausgegeben, als er ihn los war...“, sinnierte sie über den Redakteurswechsel von diesem besonderen Autor. „Wenn du mich fragst, ist es ein gutes Zeichen, dass ihr beide noch beim Verlag angestellt und noch lebendig seid“, grinste sie. „Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll“, zwinkerte Victor. „Und nein, diesen Adam habe ich nicht kennengelernt. Wir haben uns dann wohl nur um ein paar Monate verpasst. Immerhin bin ich jetzt auch schon etwas mehr als 4 Jahre hier und betreue Alan seit gut 20 Monaten. Ich hab schon ganz graue Haare von dem Typen“, scherzte Victor, Sara verdrehte dagegen nur die Augen. „Der Witz war schon beim ersten Mal nicht lustig.“
 

Victor zuckte mit den Achseln. „Vielleicht ist der Witz wie ein unbekanntes Lied. Je öfter man es hört, desto besser findet man es“, schlug er zwinkernd vor. „Wenn der Witz wie ein Lied ist, dann ist er 'Last Christmas' von 'WHAM!'. Da versuche ich selbst während der Fahrt, mein Autoradio auszubauen und aus dem Fenster zu werfen“, konterte sie. Daraufhin schob er schmollend die Unterlippe vor. „Ich fühle mich gerade nicht wertgeschätzt“, stellte er mit theatralisch-weinerlichen Stimme fest. „Ich ziehe mich jetzt in mein Büro zurück und tue so, als würde ich arbeiten, dabei weine ich aber bitterliche Tränen, weil meine Sekretärin mir in den Rücken fällt. Reiß mir doch gleich mein Herz raus!“, nach dem letzten Satz zog er etwas die Nase hoch, um seine Betroffenheit noch weiter zu untermalen. „Da ist heute jemand aber mit einem Krönchen aufgewacht“, grinsend kam Emil um die Ecke und händigte Sara ein paar Manuskripte aus. „Ja und? Immerhin hatte ich eben fast 2 Stunden Alan im Büro, der mich erst einmal gefragt hat, wie ich auf die Idee komme, an seinem Manuskript – ich zitiere – 'herumzustümpern' und ich hätte meine 'dreckigen Wurstfinger' davon zu lassen“, Victor hob dabei vielsagend eine Augenbraue und blickte in die Runde.
 

„Doch so gut?“, Emil schüttelte den Kopf, doch Victor winkte ab. „Ach, keine Sorge. Am Anfang ist es immer ein wenig Kräftemessen, Alan lotet immer seine Grenzen aus. Am Ende sind wir immer auf einen Nenner gekommen. Aber man muss eben bei dem Querkopf standhaft bleiben, sonst hat man verloren“, erklärte er seine Erfolgsstrategie und schaute dann auf seine Uhr. „Wenn mich die Herrschaften jetzt entschuldigen würden? Ich gehe in mein Büro und lecke meine Wunden“, während die beiden Anwesenden lachten, zwinkerte er und drehte sich in Richtung Büro um. Je nachdem wie er nun voran kam, würde er in ein oder zwei Stunden Feierabend machen.
 


 

Victor atmete tief durch, während er durch die übriggebliebenen Manuskripte durchschaute. Er nahm eines von einem Autor heraus, der einen Verlag suchte und dessen Zusammenfassung nach einer netten Abendlektüre klang. Doch vorsichtshalber packte er noch das Manuskript zur Fortsetzung einer Reihe mit, dessen Autorin er bereits seit Beginn betreute. Rebecca Prange war eine ruhige und freundliche Person, die spannende Mittelalter-Romane schrieb. Sie schaffte es immer wieder, dass er in ihre Welt abtauchte. Victor liebte solche Bücher. Genau das war es, was seine Leidenschaft in Literatur erweckt hatte.
 

Er war natürlich wieder einmal viel länger geblieben, als beabsichtigt. Der Verlag konnte sich manchmal wirklich glücklich schätzen, dass sie im Arbeitsvertrag die Passage „erforderliche Überstunden sind mit dem Monatsgehalt abgegolten“ eingefügt hatten. Aber so hart es auch klang, Victor machte es immerhin freiwillig. Er könnte auch, wie die meisten seiner Kollegen, einfach zum Feierabend nach Hause gehen. Aber er musste immer noch das erledigen, was er angefangen hatte. Das war eine Marotte von ihm. Ganz oder gar nicht, er machte eben keine halben Sachen.
 

Er stopfte sich die beiden Manuskripte in seine Arbeitstasche, als sein Blick auf das Heft von Alan fiel. Seufzend griff er danach und steckte es ebenfalls ein. Im Büro würde er das sicherlich nicht entsorgen, sonst wüsste spätestens morgen früh die Hälfte der Belegschaft, dass er offenbar Schmuddelheftchen während seiner Arbeitszeit las. Das wiederum würde mit Sicherheit den Satan und seinen Onkel auf den Plan rufen. Zwei Dinge, auf die er in dem Kontext locker verzichten konnte. Er schaltete das Licht in seinem Büro aus und ging Richtung Aufzug, vorbei an dem, nun leeren, Arbeitsplatz von Sara. Dort legte er noch schnell das fertig gelesene Manuskript ab, mit einer Notiz, das Werk abzulehnen. Es war schade, da der Schreibstil an sich gut war, doch im Prinzip las es sich wie ein Mix aus den Top 6 der Fantasy-Reihen.
 

Victor hatte gut 20 Minuten Fahrweg bis zu seiner Wohnung am Rande der Stadt. Es war eine noch recht belebte Gegend, ohne diesen richtigen Großstadttumult zu haben. Es gab ein paar Grünanlagen, die sich besonders dafür eigneten, mit seinem Hund spazieren zu gehen. Dieser erwartete ihn schon freudig an der Tür, bellte und sprang an ihm hoch, bis sich Victor erbarmte und ihn ordentlich am Kopf kraulte. Danach nahm er sofort die Leine vom Haken neben der Tür und führte Makkachin aus. Vor der Tür traf er die Tochter der Nachbarin und bedankte sich, wie bei jeder Gelegenheit, dass sie mittags nach der Schule für ihn mit Makkachin eine Runde ging. Der Teenager lachte fröhlich und bedankte sich überschwänglich für die handsignierte Ausgabe von Alan Aaronovitch neustem Bestseller. Manchmal war es praktisch, an der Quelle zu sitzen. Auch wenn Victor Blut und Wasser geschwitzt hatte, bis Alan die Ausgabe nur mit 'Für Katya – vielen Dank für deine Unterstützung' und seiner Unterschrift signiert hatte. An diesem Tag war Alan ausgesprochen kooperativ gewesen.
 

Als er wieder zurück war, packte er die Manuskripte aus. Dabei fiel das Heft heraus und blieb aufgeschlagen auf dem Holzboden liegen. „Exotische Schönheiten, rund um die Uhr für dich da“, las Victor halb laut und belustigt vor. Er lachte schnaubend, während er das Heft ein wenig durchblätterte und schlussendlich wieder auf der Seite landete. Er ging zum Sofa hinüber und angelte nach dem Telefon. Er glaubte nicht, dass er der Typ für so etwas war, aber das konnte man doch eigentlich nicht wirklich sagen, bis man es einmal ausprobiert hatte, oder? Grinsend wählte er die Nummer, neugierig, was ihn da erwarten würde.
 


 

Yūri lehnte sich seufzend zurück. „Das war gut“, meinte er zufrieden grinsend. Phichit nickte und lachte. „Wenn das immer so schmeckt, kannst du öfters 'kochen'“, er machte die Anführungszeichen mit den Fingern. „Bitte nicht“, Yūri rollte mit den Augen. „Es hat mich 2 Stunden gekostet, bis ich den PC wieder am Laufen hatte. Keine Ahnung, wo Kenjirō sich herumgetrieben hat, aber ich hoffe, er lässt es jetzt bleiben. Außerdem habe ich ihr gezeigt, wie man die Virus-Software aktualisiert. Das war ein Tag, sag ich dir.“ „Ein Kollege hat mir einen Film ausgeliehen. Ich habe ihm erzählt, dass du auf schlechte Katastrophenfilme stehst und er hat sich erst kürzlich verkauft. Wir können uns den heute Abend angucken. Der Film heißt Sharknado“, schlug Phichit vor, doch Yūri schüttelte bedauernd den Kopf. „Tut mir leid, aber ich muss noch arbeiten.“
 

„Heute Abend? Das machst du aber schön in deinem Zimmer! Ich habe keinen Bock, dass du das wieder alles im Wohnzimmer machst! Ich schwöre bei allem was mir heilig ist...!“, Yūri hob bereits abwehrend die Hände. „Beruhige dich, Phichit. Ich werde gleich lieb und brav in mein Zimmer gehen, die Türe schließen und dann haben wir beide unsere Ruhe. Du stellst dich manchmal echt an. Ist doch nichts dabei“, lachte er. „Außerdem beschwerst du dich am Monatsende nie“, er streckte seinem Freund die Zunge raus, als er aufstand, um das Geschirr abzuräumen und zu spülen. Phichit murmelte nur noch etwas, was er nicht verstehen konnte, wobei er sich schon denken konnte, was das war.
 

Nachdem er sich eine Flasche Wasser und einen Energy Drink aus dem Kühlschrank genommen hatte, ging er in sein Zimmer und schloss die Tür. Er fuhr seinen PC hoch und öffnete ein Programm. Während es startete, holte er ein Buch, das er aktuell las, aus dem Regal und legte es neben die Tastatur. Er blickte sich kurz um, ob alles bereit war, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und grinste schelmisch. Dann machte es sich dann auf seinem Stuhl bequem und setzte das Bluetooth-Headset auf. Er stellte sich in dem Programm auf 'verfügbar' und sofort hörte er das Klingeln auf den Ohren. Per Knopfdruck nahmer das Telefonat an. „Hallo?...“, er spielte mit seiner Stimmlage, sodass seine Stimme etwas tiefer und wärmer klang. „... und mit wem habe ich heute Abend das Vergnügen?“
 

Der Anrufer blieb stumm, doch im Hintergrund war leise Musik zu hören. Yūri schätze, dass es eine voluminöse Filmmusik war, doch so leise, war es nicht genau zu erkennen. Doch zumindest konnte er so erkennen, dass die Verbindung nicht unterbrochen war. Der Anrufer war wohl nur etwas zögerlich. Oder schüchtern? Yūri grinste. Er war voll in seinem Element. Die unsichtbare Mauer durch das Telefon gab ihm Selbstvertrauen. Etwas, das er nie hatte, wenn er den Personen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Doch am Telefon wusste niemand, wer er war und er konnte sie alle verführen. Ob weiblich oder männlich war ihm da, wie auch in seinem 'echten' Leben vollkommen egal.
 

Doch mit schüchtern konnte er umgehen. Er hatte schon einige Kunden, die still begonnen hatten, doch stille Wasser sind meist tief und dreckig. Es würde ihm eine Freude machen, ihn zum Sprechen zu bekommen. Er befeuchtete etwas seine Lippen und setzte dann wieder im warmen Ton an: „Hmm... ein mysteriöser Anrufer? Gefällt mir irgendwie... Außer, dass ich mir nicht sicher sein kann, was du möchtest, wenn du mir nicht sagst, was du willst.“ Doch auch das brachte nicht den gewünschten Erfolg in Form einer Antwort auf der anderen Seite der Leitung. Yūri lehnte sich im Stuhl zurück und war einmal mehr froh, dass die Lehne nicht quietschte.
 

„Wie wäre es, wenn wir langsam starten. Nur mit einem Namen. Du musst mir noch nicht einmal deinen echten Namen sagen, wenn du es nicht willst... Aber ich denke, du wirst wollen, dass ich deinen Namen rufe, wenn ich...“, er ließ seine Stimme leiser, etwas heiser werden, „...komme, oder?“ Er grinste, während er sprach, mittlerweile darin geübt, seine Emotionen während des Telefonats aus seiner Stimme zu halten. Immerhin machte er das bereits seit Anfang seines Studiums. Er schloss die Augen und ließ den Kopf zurückfallen und fragte sich, ob das Spielchen wirklich etwas brachte, als er endlich eine Stimme hörte.
 

„Victor.“
 

Es war nur dieses eine Wort, gesprochen in einer weichen Stimme, die wie eine wundervolle Melodie in seinen Ohren klang. Durch das Headset fühlte es sich an, als hätte er es direkt in sein Ohr geflüstert bekommen und Yūri erschauderte unwillkürlich. Sofort kam der Wunsch in ihm auf, dem Anrufer noch mehr Worte zu entlocken. Er hatte seinen Namen noch nicht einmal in einer besonders verführerischen Art gesagt. Es hatte eher wie bei einem normalen Gespräch geklungen, daher war er sich schon fast sicher, dass es tatsächlich sein echter Name war. Doch die Stimme traf einen Nerv bei Yūri.
 

„Uh... entschuldige bitte. Ich habe nicht damit gerechnet, einen Mann zu sprechen“, ertönte der Anrufer wieder. Yūris Herz setzte aus. Wollte er etwa lieber mit einer Frau sprechen? „Nun ja, ich kann hier leider nicht mit einer Frau dienen, wenn du es bevorzugst. Aber ich kann dir versprechen, dass sich dieser Anruf lohnen wird, wenn du es versuchen willst“, säuselte er in einem verführerischen Ton und hoffte dabei inständig, dass der Anruf nicht schon vorbei war, bevor er richtig angefangen hatte. „Ich habe nicht gesagt, dass es schlecht sei“, hörte er die Stimme wieder direkt auf seinen Ohren, sie klang amüsiert.
 

„Also gut, in diesem Fall: Hallo Victor“, grinste er und schnurrte in das Mikrofon. „Mein Name ist Yūri.“

Zurück in den Alltag

"Na ja, jedenfalls läuft es darauf hinaus, dass meine Arbeitszeiten sich wieder komplett geändert haben und den Rest kennst du ja", beendete Phichit seine Erklärung über die aktuelle Situation im Krankenhaus. "Und deswegen muss auch unser heutiger Filmabend ausfallen", schob er seufzend hinterher. "Aber vielleicht kannst du ja deine Arbeit auf heute legen und dafür morgen Abend dafür Zeit einplanen?", fragte er hoffnungsvoll, als Yūri weiter still blieb. Dieser legte nur den Kopf in den Nacken und starrte zur Decke. Es verging eine Weile, bis sich Phichit wieder zu Wort meldete. „Ach, Yūri! Sei doch nicht so. Es tut mir doch leid! Das habe ich eben schon gesagt!“
 

Das riss Yūri aus seiner Starre. „Entschuldige Phichit. Ich bin nur etwas müde heute. Arbeit geht ja vor, das ist kein Problem. Wegen morgen muss ich mal schauen, ich habe keine Ahnung...“ … ob er vielleicht morgen wieder anruft?, kam ihm wieder in den Sinn. Er schüttelte vehement den Kopf, um den Gedanken loszuwerden. „Ich versuche es zu klären. Ich glaube, ich sollte mal eine Runde laufen, habe seit der letzten Vorlesung irgendwie Kopfschmerzen“, log er und war sich gleichzeitig ziemlich sicher, dass Phichit ihn durchschaut hatte, denn er hob nur fragend eine Augenbraue. Doch sein bester Freund kannte ihn gut genug, um das Thema nicht weiter anzuschneiden. Er nickte. „Dann solltest du bald los. Heute Abend soll es noch regnen“, gab Phichit ihm den Tipp. „Ich räume ab, wenn du sofort los willst“, schlug er vor und deutete dabei auf den gedeckten Tisch.
 

„Das wäre super. Dann gehe ich mich umziehen“, dankbar nahm Yūri das Angebot an und stand auf. Innerhalb von wenigen Minuten stand er so im Flur vor der Haustür und band sich seine Laufschuhe. „Bist du schon weg, wenn ich wiederkomme?“, fragte er in die Wohnung hinein. „Ja, ich mach mich so in 20 Minuten auf den Weg“, Phichits Kopf tauchte hinter der Ecke auf, die den Flur und das darin mündende Wohnzimmer von der Küche abtrennte. „Dann einen ruhigen Dienst!“, wünschte er ihm. „Danke, das werde ich brauchen. Aber so viel Glück habe ich sicher nicht“, maulte er heiter zurück. Sie beide wussten, auch wenn er viele Gründe hatte, sich zu beschweren: Arzt zu sein, war für Phichit kein Beruf, es war eine Berufung.
 

Kurz darauf verließ Yūri die Wohnung und wäre beinahe über 2 Gläser Marmelade gestolpert, die eine Nachbarin seinem Mitbewohner hingestellt hatte. Er rollte die Augen und stieg darüber. Sollte Phichit das doch aufsammeln. Bevor er die Tür zuzog, prüfte er noch einmal, ob er den Schlüssel mitgenommen hatte und steckte sich dann die Kopfhörer in die Ohren, um sich ausreichend beim Laufen zu motivieren. In seiner Heimat hatte er das nie gemacht. Er hatte es geliebt, mit den Leuten auf seiner Runde kurz ein paar Worte auszutauschen und irgendwie kannte auch jeder jeden. Hier genoss er die Anonymität und wollte sie auch gerne Aufrecht erhalten. Er war auch eh nie der Typ, der Unbekannte von sich aus Ansprach und es irritierte ihn immer, wenn Unbekannte ihn nach mehr als nur den Weg fragten.
 

Als Phichit und er nach einer Wohnung gesucht hatten, war eine der Vorgaben gewesen, dass es ein ruhigerer Teil der Stadt sein musste. Das hatte den Nachteil, dass er einen weiteren Weg zur Uni hatte. Aber da er eh mit dem Auto fuhr, da er wenn möglich Bus, U- oder S-Bahn mied. Das war für ihn generell sehr praktisch, da er so auch flexibler zu den Leuten fahren konnte, wenn mal wieder jemand ein Problem mit seinem PC oder Internet- und Telefonanschluss hatte. Gerade wenn er so flexibel sein konnte, waren die Betroffenen am Spendabelsten. Das hatte er schnell gemerkt. Und sein Zweitjob nahm er in der Regel abends wahr. Er hatte da selten feste Arbeitszeiten, nur 2 bis 3 feste Termine im Monat. Bei dieser Hotline wurde man nach angenommenen Anrufen und deren Dauer bezahlt. Damals, als er den Job angenommen hatte, war er wirklich verzweifelt gewesen. Niemand wollte seine Dienste für Computer-Reparaturen etc. in Anspruch nehmen und seine Ersparnisse, um Phichit auf diese Uni bzw. in diese Stadt zu folgen, waren langsam aufgebraucht. Außerdem hatte er das Auto ohne Winterräder gekauft gehabt und es war schon August gewesen.
 

Unter normalen Umständen, hätte er sich das wohl nie getraut. Doch nachdem er ein paar anonyme Gespräche mit Kollegen geführt hatte und ein paar Kniffe erzählt bekommen hatte, merkte er, dass es Spaß machen konnte, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Den Verführer zu spielen und andere zu ihrem Höhepunkt zu bringen. Wenn er allerdings so genau außerhalb seiner Arbeitszeit darüber nachdachte, schoss ihm direkt die Röte ins Gesicht. Und nicht nur das, unweigerlich wanderten seine Gedanken wieder zu diesem einen Kunden am vorherigen Abend. Es hatte langsam und schüchtern angefangen, doch er war dann schnell aus sich herausgekommen. Und diese wundervoll sanfte Stimme. Und wie er seinen Namen ausgesprochen hatte...
 

Yūri schüttelte wieder den Kopf als er um die Ecke in einen Park einbog. Er hörte Rufe durch seine Kopfhörer, doch ignorierte sie. Doch als ihn was von der Seite traf, schrie er auf. Er schloss die Augen fest, während er rückwärts auf den Fußgängerweg fiel und etwas fast die Luft aus seiner Lunge presste. Die kleinen Kopfhörer fielen ihm bei dem Aufprall aus den Ohren. Er wollte sich etwas zur Seite bewegen, doch der Druck wollte nicht von seinem Körper weichen und er spürte etwas nasses, warmes über sein Gesicht... Blinzelnd öffnete er ein Auge und sah etwas Rosanes vor seinem Auge baumeln. Plötzlich nahm er ein hechelndes Geräusch war und als er das zweite Auge öffnete, erkannte er einen bräunlichen, großen Pudel, der ihn mit purer Verzückung anschaute. „Makkachin!“, hörte er eine entsetzte Stimme näherkommen.
 

Yūri lachte leise und richtete sich auf, während er den Hund am Kopf kraulte. Dieser bellte aufgeregt und schaute ihn an. „Na, da ist einer verschmust“, lachte Yūri und nahm nun auch die zweite Hand dazu, während er immer noch auf dem Boden saß. „Ist alles in Ordnung? Es tut mir ja so leid! Ist ihnen etwas passiert? Ich habe einen Moment nicht aufgepasst und dann ist Makkachin losgelaufen. Oh mein Gott, haben sie sich verletzt?“, die Stimme war schon leicht hysterisch, als er seinen Kopf zur Quelle hin wandte. Das Mädchen war vielleicht 15 oder 16 Jahre, aber kreidebleich vor Schreck. „Mir geht es gut, keine Sorge“, Yūri lachte, während er weiter den Hund kraulte. „Ist das deiner?“, wollte er wissen, doch das Mädchen schüttelte sofort den Kopf. „Von unserem Nachbar, aber der ist tagsüber immer arbeiten und dann gehe ich mit ihm raus“, sie grinste schief. „Na, dann solltest du aufpassen, nicht dass dein Nachbar noch Ärger bekommt, weil sein Hund wie wild durch die Gegend rennt und Leute umwirft“, zwinkerte er ihr zu.
 

Doch das schien völlig seine Wirkung zu verfehlen. Sie schaute ihn mit großen Augen an und schlang sofort die Arme um den Hals des Hundes, zog ihn etwas von ihm weg. „Nein! Bitte nicht! Das würden sie mir doch nicht antun, oder? Meine... meine Mutter ist fast den ganzen Tag nicht zu Hause. Makkachin ist der einzige Grund für mich mittags nach der Schule nach Hause zu kommen. Wenn er... wenn er...“, sie fing an zu stammeln und kämpfte sichtlich mit den Tränen. „Grundgütiger, nein! Es tut mir leid, das war ein Scherz“, es tat Yūri furchtbar leid, dass er dem Mädchen einen solchen Schrecken eingejagt hatte. „Mir ist ja nichts passiert. Ich wollte nur... Es war ein dummer Spruch, damit du besser auf ihn aufpasst. Es kann ja auch sonst was passieren oder er auf die Straße rennen“, nun kämpfte er mit den Worten, er war fassungslos, dass ein solch unbedarfter Spruch so nach Hinten hatte losgehen können.
 

Das Mädchen nickte und vergrub ihr Gesicht ins wollige Fell des Pudels, der immer noch fröhlich hechelnd da saß und auf mehr Streicheleinheiten wartete. Yūri rappelte sich auf und bot dem Mädchen seine Hand an. „Komm steh auf. Ich bin Yūri und du?“, stellte er sich im freundlichen Ton vor. „Katya

“, nur zögerlich nahm sie die Hand an und ließ sich beim Aufstehen helfen. Die Hundeleine dabei aber fest im Griff. „Und das ist Makkachin“, stellte sie den Pudel noch einmal vor. „Freut mich“, lachte Yūri. „Stürmische Art des Kennenlernens, aber auch mal was anderes.“ Nun stimmte sie auch ins Lachen mit ein. „Wir wohnen gleich da vorne“, Katya deutete mit ihrer Hand auf einen teuer aussehenden, freistehenden Wohnkomplex. „Willst du dir vielleicht das Gesicht waschen?“, sie grinste schief. „Oh ja, das wäre göttlich.“
 


 

„Victor“, rief Katya fröhlich aus, als sie ihm die Tür öffnete. „Was führt dich hierher?“ Victor streckte den Arm aus und hielt ihr eine Tüte unter die Nase. „Du warst beim Red Dragon?“, fragte sie, mit vor Begeisterung, glänzenden Augen. Victor nickte. „Einmal Nummer 37 mit extra Erdnuss-Sauce. Deine Mutter hat mir geschrieben, dass es bei ihr etwas später wird und gefragt, ob ich dafür sorgen könnte, dass du auch ordentlich zu Abend isst. Angeblich hast du in der Vergangenheit immer mal wieder Mahlzeiten übersprungen, junge Dame“, der mahnende Ton war nur halb ernst gemeint. „Victor“, maulte sie ähnlich theatralisch zurück. „Ich mag einfach nicht alleine kochen.“ „Na, dann kochen wir eben gemeinsam. Makkachin freut sich über Besuch“, er bedeutete ihr, ihm in seine Wohnung zu folgen und sie gehorchte ihm, zog die Tür hinter sich zu und schloss die Wohnungstür ab.
 

„Und? Ist irgendetwas passiert?“, fragte er über die Schulter. „EskönnteseindasMakkachinabgehauenistundjemandenumgerannthat“, murmelte die leise vor sich her. „Was hat Makkachin?“, Victor blieb abrupt stehen und Katya zog den Kopf ein. „Ist etwas passiert?“, wollte er sofort wissen. Sie schüttelte vehement den Kopf. „Ein junger Mann hat eine ordentliche Gesichtswäsche bekommen, aber mehr nicht“, sie traute sich Victor nicht in die Augen zu gucken. „Puh. Gott sei Dank. Aber pass das nächste Mal auf. Auch wenn er meist lieb und brav ist, er hat erstaunlich viel Kraft“, Victor zwinkerte ihr über die Schulter zu und schloss seine Wohnungstür auf. Makkachin begrüßte ihn überschwänglich, sodass sich Victor nur mit Mühe und Not auf den Beinen halten konnte. Er drückte ihr die Tüte mit dem Essen in die Hand und beugte sich zu seinem Hund hinab. „Da hat jemand aber Kuscheleinheiten nötig“, säuselte er, während er den Kopf des Hundes kraulte. „So lange war ich doch gar nicht weg, mein Junge. Tu doch nicht immer so, als würde man dich vernachlässigen. Was sollen die Leute von mir denken?“ Katya fing an zu lachen. „Selbst bei deinem Hund ziehst du die theatralische Nummer ab!“, stellte sie fest und drückte sich an den beiden vorbei, um in die Küche zu gehen. Der Teenager war oft genug in der Wohnung, um zu wissen, wo sie Teller und Besteck finden konnte.
 

„Das verletzt mich jetzt aber“, schniefte Victor und hielt nur kurz mit dem Kraulen inne, um sich mit der freien Hand ans Herz zu fassen. „Aber wie du siehst, habe ich hier einen hervorragenden Lehrmeister, der mich immer noch um Klassen schlägt“, damit begann er, Makkachins Ohren zu kraulen. „Aber erzähl mal“, setzte er an, als er sich wieder aufrichtete und seinen Mantel auszog. Direkt danach entledigte er sich seiner dunkelgrauen Anzugsjacke und lockerte sich ein wenig die maigrüne Krawatte. Er krempelte sich die Ärmel seines weißen Hemdes etwas hoch und strich den Stoff seiner Weste glatt. „Du bist heute so schick.“, stellte nun auch Katya fest. „Ich meine, du trägst ja immer Anzug, aber einen Dreiteiler sieht man dann doch nicht so häufig an dir.“ Victor winkte ab. „Meeting mit dem anderen Bereichen und dem Vorstand. Zahlen für Auflagen besprechen und so weiter...“, erklärte er und rollte dabei mit den Augen. „Aber ist dein Onkel nicht Geschäftsführer? Macht es das nicht einfacher?“, wollte sie wissen. Victor lachte, es klang eine Spur bitterer, als er es vorgehabt hatte.
 

„Das denken viele. Aber eher ist es andersrum der Fall. Mein Onkel erwartete nichts anderes als Perfektion von mir. Vermutlich darf ich mir auch morgen anhören, was ich alles falsch gemacht habe“, er setzte sich an den Tisch, den Katya bereits gedeckt hatte und nahm eine von den Wasserflaschen, die er dort immer stehen hatte. Wortlos schenkte er ihr ein Glas ein und dann sich selbst. „Klingt nach Spaß“, sie zog eine mitleidige Grimasse. „Oh ja, wenn man zu der Sorte Mensch gehört, die auch auf Schmerzen stehen“, doch als ihm wieder einfiel, dass er mit einer Minderjährigen sprach, wurden seine Augen kurz groß und er presste die Lippen aufeinander. „Erzähl mir doch einfach von dem jungen Mann, den du getroffen hast!“, lenkte er vom Thema ab.
 

Katya kicherte, doch ließ sich darauf ein. Immerhin hatte Victor ihr etwas zu essen von ihrem Lieblingsrestaurant mitgebracht. „Ähm... Also lass mich überlegen. Er war Asiate und trug eine Brille. War etwas kleiner als du, aber schien Sport zu machen. Er war am Joggen, als Makkachin ihm einmal durch das Gesicht geschlabbert hat“, erzählte sie und schaufelte sich einen Löffeln in den Mund. „Also einmal quer durchs Gesicht?“, hakte Victor nach und Katya nickte kauend. Victor seufzte und fasste sich kurz an die Stirn. „Ich habe ihn mit nach Hause genommen, damit er sich das Gesicht waschen konnte.“, erzählte sie weiter, als sie ihren Bissen hinuntergeschluckt hatte. „Du hast was?“, Victor fiel alles aus dem Gesicht. „Du warst alleine! Es hätte weiß Gott was passieren können! Du kannst doch nicht einfach einen Fremden in die Wohnung lassen!“ Victor war fassungslos und erschüttert. Gleichzeitig aber auch unendlich dankbar, dass offensichtlich nichts passiert war. „Ach, das war nicht so einer. Der sah ganz lieb aus. Wahrscheinlich irgend so ein Nerd, der alle Schaltjahre mit einem Mädchen spricht“, tat sie das einfach so ab.
 

„Mach. Das. Nie. Wieder.“, meinte Victor ernst. „Du kannst den Leuten nur vor den Kopf gucken, Katya. Das musst du mir versprechen, sonst kann ich dich niemals mehr guten Gewissens mit Makkachin rauslassen. Du kanntest doch noch nicht einmal seinen Namen!“ „Doch! Er hat sich mir vorgestellt. Wie war er noch gleich... Jaromir? Nein... Jurij... Nein, das war es auch nicht. Yusri? Ja, ich glaub es war Yusri oder so ähnlich“, überlegte sie laut. Victor stützte seinen Ellbogen auf dem Tisch ab und legte seine Stirn in der Hand ab. „Versprich mir nur einfach, dass du niemals mehr einen Fremden in die Wohnung lässt, wenn niemand da ist. Und das schließt auch diesen Yusri mit ein, verstanden?“, er hob seinen Kopf, um sie mahnend anzublicken. „Ja, Mama“, maulte sie wieder und schob sich einen weiteren Löffel in den Mund.

Traute Zweisamkeit

"Da bist du ja, alter Freund. War die Runde schön?", fragte Victor seinen Hund, als dieser bellend auf das Sofa zugestürmt kam und sich sofort auf seinen Schoß setzte. Das führte natürlich dazu, dass er nicht mehr an das Manuskript auf dem Couchtisch kam, doch das störte ihn für den Moment nicht. "Danke, dass du noch einmal mit ihm draußen warst. Ich muss ein wenig was nachholen", lachte er und winkte Katya zum Abschied. Die junge Frau hatte es nun eilig, da irgendeine Sendung im Fernsehen kam, die sie immer schaute. Victor hingegen schaute eigentlich kaum fern. Früher hat er gerne mit seinem Ziehbruder schlechte Katastrophenfilme geschaut. Das war eigentlich nur witzig, weil sie sich zu zweit darüber lustig gemacht hatten. Aus dieser Zeit hatte er noch eine beachtliche Sammlung, doch die verstaubte langsam, da sein Bruder noch in der Stadt war, in der er aufgewachsen war. 4 Stunden Autofahrt war etwas zu lang, um sich regelmäßig zu sehen, vor allem, da Victor sich mit allem was er hatte ins Berufsleben stürzte.
 

Das hatte natürlich zur Folge, dass er, außer der Nachbarsfamilie, keine wirklichen Freunde in der Stadt hatte. Manchmal kam ihn ein alter Freund von der Uni besuchen, allerdings führte er als neureicher Immobilienmakler ein Jetset-Leben, war gefühlt jeden Tag in einem anderen Land, genoss das Leben in vollen Zügen. „Tja, bleiben nur wir beide, was Großer?“, lachte Victor das aufkommende Gefühl von Einsamkeit weg. Doch es war wieder einmal einer dieser Tage, an dem ihm seine Wohnung zu groß für eine Person vorkam. Gut, im Grunde war sie tatsächlich zu groß für ihn. Er hatte neben einem großen Wohnbereich mit angrenzender Küche, einem großen Bad mit Dusche und Badewanne, auch ein angemessenes, helles Schlafzimmer inklusive begehbarem Kleiderschrank und noch zwei weitere Zimmer. Das eine verwendete er mehr oder weniger als Bibliothek und das andere Zimmer war ein provisorischer Sportraum, seitdem er Crossfit für sich entdeckt hatte.
 

Er schob den Couchtisch etwas näher ran und legte sich komplett auf das Sofa. Makkachin kommentierte seine Bewegungen mit einem Schnauben, passte sich der neuen Situation doch wieder schnell an. Sobald sich Makkachin wieder hingelegt hatte, er lag nun mit Kopf und Vorderbeinen quer über Victors Bauch, angelte er an dem Manuskript und dem Block mit den farbigen Post-Its. „Drei Viertel geschafft, den Rest kriege ich heute auch noch hin“, versuchte er sich abzulenken und zückte keine Minute später seufzend ein pinkes Post-It. Kurz schaute er sich den Rand den Manuskripts an und zählte die farbigen Zettel, die herausragten. „5 unerklärliche Herleitungen...“, murmelte er dabei, klappte das Manuskript zu und ließ es wieder auf den Tisch fallen. „Das bringt nichts mehr.“ Blind tastete er nach seinem Handy und öffnete die App seiner Soundanlage. Das war eines von Victors Spielzeugen. Er hatte Boxen in der ganzen Wohnung installieren lassen und konnte die Musikauswahl mit Handy oder Tablet steuern. Und wenn er die Wohnung verließ, stellte sich die Musik automatisch aus. Und wenn er nach Hause kam, war sie automatisch an, es sei denn, er hatte sie vor dem Gehen manuell ausgeschaltet.
 

Victor hatte eine Schwäche für Swing, Jazz und epischen Kompositionen, wie von Two Steps from Hell oder Hans Zimmer. Soundtracks von Filmen oder einfache Pianostücke hörte er sich sehr gerne beim Manuskripte lesen an, da ihn Gesang doch oft ablenkte. Vor allem, wenn er die Worte verstand. Dann konnte er selten die Gedanken zusammenhalten und las Dinge, die gar nicht auf dem Papier standen oder verrutschte in den Zeilen. Das führte dann zu einem Teufelskreis, da er immer unzufriedener mit sich wurde. Daher war er irgendwann zu instrumentaler Musik übergegangen, denn auch hier hatte er ein ähnliches Gefühl, wie bei den Büchern. Die richtige Musik zum richtigen Moment konnte ihn in eine andere Welt entführen.
 

Er schloss die Augen und kraulte Makkachins Rücken, während er der Musik lauschte. Wieder einmal wünschte er sich, er könnte diese Momente mit jemanden Teilen. Nicht nur Makkachins warmen Körper an seinem zu spüren, sondern zusätzlich noch den einer Person, die ihm die Welt bedeutete. Ein Mensch, der ihm wichtiger war als die Arbeit. Bisher hatte er eine solche Person noch nicht kennenlernen dürfen. Natürlich hatte er die ein oder andere Beziehung geführt, er dachte immer, Liebe ist etwas, das mit der Zeit kam. Er las in den Romanen oft von Liebe auf den ersten Blick, doch wie konnte man behaupten, eine Person zu lieben, die man gar nicht kannte? Victor fand das ein wenig oberflächlich. Aber so lange sich so etwas gut verkaufte, würden auch weiter kitschige Romane geschrieben werden von 2 Personen, die sich plötzlich, ganz zufällig trafen und plötzlich färbte sich die Welt rosarot und Geigen hingen im Himmel. Victor war da doch mehr Realist, doch das hieß nicht, dass er sich nicht diese eine wahre Liebe in seinem Leben wünschte.
 

Dabei konnte Victor den potentiellen Kreis noch nicht einmal eingrenzen. Wo Kommilitonen oder Freunde sagten, dass Brünette mit blauen Augen oder was auch immer, voll ihr Typ waren, waren es eher andere Dinge, die Victor interessierte. Die Augen zum Beispiel. Da war es egal, welche Farbe sie hatten, er wollte nur darin versinken können. Er wusste, dass diese Beschreibung hoffnungslos romantisch und völlig kitschig klang, deshalb behielt er es auch immer für sich. Ein anderer Punkt waren die Lippen. Da allerdings konnte er nicht mit dem Finger drauf zeigen, was ihn da ansprach. Er konnte es nur sagen, wenn er es sah. Er mochte große, aber sanfte Hände. Außerdem war er jemand, den man über Geruch locken konnte. Roch sein Gegenüber gut, gab es schon einmal Pluspunkte. Und trotz all dieser vagen Kritikpunkte hatte er noch nicht den Menschen gefunden, mit dem er alt werden wollte. Vielleicht war es ihm nicht vergönnt, jemanden an seiner Seite zu haben?
 

Seufzend wandte er seinen Kopf zur Seite und blickte auf die Uhr seines Handys und er fuhr erschrocken hoch. Makkachin winselte protestierend und sprang dann vom Sofa hinunter. Victor rieb sich die Augen und griff nach dem Handy, um es in die Hosentasche zu stecken. „Verbringe ich den halben Abend mit Tagträumen...“, schüttelte er über sich selbst fassungslos den Kopf, während er in die Küche ging, um Makkachin Futter hinzustellen. „Dein Herrchen wird alt oder was meinst du?“, grinste er seinen Hund an, der ihn genau beobachtete, wusste er doch, dass es jetzt etwas zu essen gab. Als Victor den Napf hingestellt und die leere Dose entsorgt hatte, ging er ins Bad, um sich zum Schlafen fertig zu machen. Da er zu der Sorte von Menschen gehörte, die morgens duschen, stand er nach 10 Minuten in seinem Schlafzimmer und starrte nun auf das Heftchen, das noch auf seinem Nachttisch lag. Sofort kamen die Gedanken an diesen Yūri zurück. Eben diesen Yūri, den er den ganzen Tag auf der Arbeit versucht hatte zu verdrängen und es dann doch erst in den letzten 3 Stunden zu Hause geschafft hatte.
 

Doch hier war er nun, die Erinnerungen brachen wieder über ihn hinein, wie eine Flutwelle. Er war sehr überrascht gewesen, mit einem Mann zu telefonieren. Er hatte fest mit einer Frau gerechnet, doch Victor musste zugeben, dass die Überraschung durchaus positiv gewesen war. Mehr als das. Nicht, dass er eine besondere Präferenz bei den Geschlechtern hatte, aber diese Stimme. Er hatte es genossen, mit einem forschen jungen Mann zu sprechen. Normalerweise übernahm er immer die Führung, doch es war durchaus angenehm gewesen, einmal derart verführt zu werden. Victor blickte sich im Raum herum, auf der Suche nach Makkachin. Als er sich sicher war, dass er ihm noch nicht gefolgt war, schloss er schnell die Tür. Keine Chance, dass er das, was er nun vorhatte, unter den Augen seines geliebten Hundes tat!
 


 

Yūri genoss die Tatsache, dass Phichit außer Haus war. Denn das bedeutete, dass er sich während der Arbeit in der Wohnung ausbreiten konnte, wie er wollte. Für gewöhnlich saß er nur an seinem Schreibtisch und las zwischendurch. Bei besonders anspruchslosen Kunden, las er auch einfach zwischendurch weiter. Manchmal wünschte er sich, Spiele am PC oder Konsole spielen zu können, doch das Klackern der Tastatur, Maus oder Controller wurden vom Headset übertragen. Also verschlang er seitdem Buch um Buch und sein Schlafzimmer war immer aufgeräumt. Nun jedoch lag er ausgebreitet auf dem Sofa und gähnte ausgelassen. Natürlich hatte er seinen festen Dienst tauschen können. Donnerstag war der schwächste Tag in der Woche, also hatte Tomáš mit Freuden getauscht. Dafür hatte Yūri aber einen freien Freitagabend. Das war auch ganz nett.
 

Die einzige Sache, die ihn unsicher machte war, ob Victor noch einmal anrufen würde. Diese sanfte Stimme, wie er das 'u' in seinem Namen lang gezogen hatte und das 'r' über seine Zunge rollen ließ... Alleine die Erinnerung, wie die Stimme aus dem Headset in sein Ohr flüsterte, bereitete ihm Gänsehaut. Noch nie hatte er mit jemandem gesprochen, der eine solch attraktive Telefonstimme hatte. Victor hätte glatt bei der Hotline arbeiten können. Klang seine Stimme auch in echt so? Oder gehörte er zu den Leuten wie Yūri, dessen Stimme am Telefon irgendwie anders klang? Yūri fragte sich, wie er wohl aussah. Er war sich fast sicher, dass er seinen Ursprung nicht in Amerika hatte, aber es war schwer zu sagen, da er sonst eigentlich akzentfrei sprach. Zumindest, soweit es Yūri beurteilen konnte, allerdings hatte er manchmal Schwierigkeiten mit der Sprache. Vielleicht Ire? Sofort kam Yūri das Bild von einem Rotschopf mit Sommersprossen in den Kopf und irgendwie wollte das so gar nicht zu der Stimme passen.
 

Er blickte auf die Uhr. Es war 23:15 Uhr. In 45 Minuten endete seine Bereitschaft. Und Victor hatte sich noch nicht gemeldet. Er fragte sich, ob er zum ersten Mal von dieser Durchwahlnummer hätte Gebrauch machen sollen. Die Nummer war für Stammkunden, sodass sie sofort bei Yūri rauskamen, wenn er verfügbar war, ohne ihn beim Sprachcomputer zu verlangen. Aber irgendwie war ihm das immer zu blöd gewesen. Vorher wollte er das nie sagen, wer weiß, was für ein Idiot es werden würde? Und nachher? Als ob jemand, der sich gerade einen runtergeholt hatte, sich noch Stift und Papier irgendwo her nehmen würde... Alleine die Vorstellung, ließ ihn den Kopf schütteln.
 

„Ach, zum Teufel mit Victor!“, mit einem Ruck zog er sich vom Sofa hoch. „Was machst du hier eigentlich?! Du hast noch nie einem Kunden so hinterher getrauert. Außerdem sind sie genau das: Kunden! Die wollen sich mit Anregung einen von der Palme wedeln und dann ist die Nummer schon wieder vergessen!“, meckerte er sich selbst an, während er vor dem Sofa auf und ab ging. Er entschloss sich, etwas kaltes Wasser im Gesicht würde Wunder bewirken, zog sich beim Gang in Bad das Headset aus und legte es in den Schrank daneben.
 

Er hatte sich gerade eine Handvoll kühles Nass ins Gesicht geklatscht, als ein Geräusch seine Ohren spitzen ließ. Panisch griff er nach seiner Brille und dann direkt nach dem Headset. Er fummelte ein wenig ungeschickt, doch hatte es dann endlich am Platz. Wie oft hatte es schon geklingelt? Würde der Anrufer umgeleitet werden? Er drückte an den Kopf auf der Seite. „Guten Abend, hier ist Yūri. Mit wem habe ich das Vergnügen?“ Er wusste, dass er etwas atemlos klang, doch hoffte, dass er genug Sex in die Stimme gelegt hatte, dass der Anrufer ihm verzieh. „Yūri! Du klingst gehetzt. Hab ich dich irgendwo her geholt?“ Victor. Es war Victor! Yūri konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sein Spiegelbild im Badezimmer sagte ihm, dass er grinste wie ein liebestolles Schulmädchen. Ja, bravo.
 

Er lachte leise. „Ich freue mich, dass du anrufst, Victor“, beim Namen des anderen ließ er seine Stimme etwas tiefer werden. „Und nein, mein Headset hat nur nicht so gewollt, wie ich“, schob er mit einem leisen Lachen hinterher. „Was ein unartiges Headset“, stellte Victor amüsiert fest und aus irgendeinem Grund ließ es Yūris Herz schneller schlagen. [style type="italic"]Jetzt oder nie![/style], sagte eine Stimme in ihm. „Nun, da du schon zum zweiten Mal anrufst... Wie wäre es, wenn ich dir meine direkte Durchwahl gebe? Dann kommst du direkt bei mir raus und musst dich nicht mit dem Sprachcomputer abgeben“, schnurrte Yuri wieder in das Mikrofon. „Das wäre toll. Warte, lass mich nur mein Handy holen... Oh verdammt, wo habe ich es hingelegt...?“ Yūri musste sich ein Grinsen nicht verkneifen. Victor schien gerade ein wenig verplant zu sein. Bisher hatte er von dem Andern das Gefühl gehabt, dass er ziemlich durchorganisiert war. Aber das war nun irgendwie schon fast niedlich. Er konnte hören, wie Victor vor sich hin murmelte und etwas, wie das Knarzen einer Matratze erklang.
 

Dann hörte er das Geräusch von nackten Füßen auf dem Boden. „Wir können das auch verschieben und direkt zum anregenden Teil übergehen“, schnurrte nun Yūri in den Hörer. Er wollte vermeiden, dass Victor danach nicht mehr in Stimmung war. „Nein, schon gut. Ich würde sehr gerne diese Nummer haben“, Victors Stimme war tief, irgendetwas schien sein Angebot ihn im ausgelöst zu haben. Er hörte das Öffnen einer Tür und ein Bellen. „Das ist jetzt nicht dein Ernst“, schnaubte Victor ins Telefon. „Was?“, Yūri war nun verwirrt. „Ach, tut mir leid... Mein Hund hat gerade das Schlafzimmer gestürmt. Schien wohl eifersüchtig auf dich zu sein“, es war ein kleines, aber auch etwas genervtes Lachen. „Ah, da ist es ja.“ Er hatte das Gefühl, ein wenig Hall in Victors Stimme zu hören. Hatte er ihn auf Lautsprecher oder war er in einem Raum, mit nicht ganz so vielen Möbeln? Er überlegte. Dann beschloss er, einfach mal ins Blaue hinein zu raten: „Hmm, Badezimmersex. Gefällt mir“, wisperte er heiser und hörte ein leises, genießerisches Seufzen von Victor. „Aber vielleicht sollte ich dir jetzt erst einmal die Nummer geben. Danach können wir uns ja um das andere kümmern.“

Wochenendplanung

"Oh yeah, Baby... genau so. Daddy mag das...", knurrte Yūri. „Bist du heute ein artiges Mädchen?“ Als Phichit um die Ecke schaute, saß sein Mitbewohner am Frühstückstisch mit Müsli, Orangensaft und der Zeitung vor ihm. Er versuchte das vulgäre Vokabular zu ignorieren, welches so einfach aus Yūris Mund kam, dass man es kaum glauben mochte, wenn man die Person kannte. Die Laute, die Yūri von sich gab, gingen ihm in Mark und Bein und er hörte noch nicht einmal einen Bruchteil von diesem verdammten Gespräch!
 

Yuri blickte auf und winkte Phichit, fragte ihn mit einer Handbewegung, ob er in sein Zimmer verschwinden wollte. Phichit winkte ab und deutete, dass er lieber erst einmal duschen gehen würde. Die Nachtschicht war hart für ihn gewesen und er musste seine Gedanken sortieren. Seine letzte Liebschaft war auch schon eine Weile her und jetzt, überarbeitet in dieses Szenario zu platzen, ging gerade gar nicht. „Heb dein Kleidchen noch ein wenig für Daddy, ja?... Hmmm, so ist es gut... Würdest du dich für mich über den Tisch beugen, Süße?“
 

Das war's! Phichit warf ihm einen angewiderten Blick zu. Also wirklich, er wusste nicht ob er lachen oder das Jugendamt anrufen sollte... denn das war einfach nur so falsch...
 


 

Yūri ignorierte Phichits Blick und schlug die Seite der Zeitung leise um, damit die Laute ihn nicht verrieten. Interessiert blickte er durch die Job-Anzeigen und markierte sich rot, was ihn interessieren könnte. Dabei stöhnte und keuchte er ins Telefon, während er hörte, wie Phichit davon stampfte. Kurz danach war das Telefonat beendet und er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder seinen, nun weich gewordenen Knuspermüsli zu. „Himmel. Es ist kurz nach 7 und du telefonierst schon mit Perversen“, echauffierte Phichit, der mit Bademantel und nassen Haaren in die Küche kam. „Was zum Teufel, Yūri? Kannst du deine...“, er suchte nach Worte. „Arbeit vielleicht nicht machen, wenn ich nach Hause komme? Das nächste Mal kotze ich dir bei diesem perversen Mist vor die Füße!“
 

„Perverse zahlen gut, Phichit“, zuckte Yūri die Schultern. „So lange ich mit dem IT-Kram nicht über die Runden komme, muss ich mir so eben auf die Sprünge helfen. Außerdem kann ich nicht riechen, wann du nach Hause kommst.“ Phichit rollte mit den Augen. „Und warum bist du so früh am Telefon?“ „Na ja, gestern war ziemlich mau und auch wenn ich einen Pauschalbetrag als Aufwandsentschädigung zusätzlich für die festen Tage bekomme, hänge ich ein bisschen hinterher“, erklärte er und steckte sich einen Löffel weiches Müsli in den Mund und verzog das Gesicht. „Geschieht dir recht“, meinte Phichit nur. „Mal was anderes. Ich habe dir doch von diesem Kongress und diesem Austausch mit der Klinik in New York erzählt, bei dem ich aufgrund meiner Forschungsgruppe mitmachen darf, oder?“ Yūri nickte, also fuhr Phichit fort. „In 4 Wochen ist es soweit. Ich werde also für 3 Monate dort sein.“ Yūri fiel die Kinnlade runter. „So lange? Das ist echt krass. Also, ich freu mich für dich, aber es wird verdammt langweilig ohne dich“, gestand er.
 

Phichit grinste. „Kommt davon, wenn du nie vor die Tür gehst. Du hättest dich mal wenigstens mit Frau Miller von nebenan anfreunden können.“ Yūri rollte die Augen. „Nein, danke. Ich kann darauf verzichten, mit einer 76 Jahre alten Frau über Verdauungsstörungen zu sprechen. Über mich beschwerst du dich, aber du bist nicht viel besser!“, stellte Yūri klar und zeigte mit den Finger auf seinen Mitbewohner. „Was? Das sind ganz natürliche, körperliche Prozesse!“, verteidigte sich Phichit lachend. „Meins doch wohl auch!“, Yūri sah ihn herausfordernd an. „Du solltest besser los, Uni beginnt bald“, lenkte Phichit ab und deutete auf die Uhr.
 


 

Victor blickte aus dem Fenster von seinem Büro. In seinen Gedanken das sinnliche Schnurren und die verführerische Stimme am anderen Ende des Telefons an den vergangenen beiden Tagen. Yūri. Die Stimme war anregend. Ich kann sein, wer du möchtest, Victor... Er konnte immer noch nicht ganz sagen, was ihn da geritten hatte, tatsächlich diese Nummer zu wählen. Neugierde? Angestauter, sexueller Frust? Er hatte sich noch nicht einmal bewusst für eine Nummer entschieden, seine Finger hatten einfach nur gewählt.
 

Du klingst wie ein Mann, der immer alles unter Kontrolle hat... möchtest du, dass ich dir die Kontrolle abnehme? Dieser Satz hatte ihn verwundert. Victor liebte Überraschungen und liebte es, andere zu überraschen. Sei es mit Gegenständen oder Taten. Aber es war tatsächlich so, dass sein Leben mehr und mehr in eine Bahn geriet, ohne Neuerungen. Er hatte alles im Griff, aber war das nicht langweilig? Und hier war Yūri, merkte es scheinbar nur an seiner Stimme und nahm ihn die Last. Er konnte sich zurücklehnen und auf der Welle schwimmen, die Yūri ihm vorbereitete. Doch er konnte auch seine Fantasien gegenüber einer Stimme ausleben, die er nur in der Nacht hörte. Hmmmm... das war wunderbar... Ruf mich wieder an... Victor.
 

Er war Alan schon fast dankbar, dieses ansonsten recht geschmacklose Heftchen mitzubringen. Und wenn man schon davon sprach, konnte Victor das Spiegelbild seines Erfolgautors in der Fensterscheibe ausmachen. „Na? Beobachtest du die Damen im Fitness-Studio nebenan?“, kam es zur Begrüßung. „Nein, ich versuche nur gerade ein bisschen Ruhe zu tanken, bevor ich den Termin mit einem vorlauten Widerling habe“, gab er zurück ohne sich umzudrehen. „Wie? Kommt noch jemand?“, grinste Alan zurück. Victor seufzte und legte die Hand gegen die Stirn. „Selbstreflektion gehört wohl nicht zu deinen Stärken, was?“ Das brachte das Grinsen des Autors nicht zum Wackeln. „Warum sollte ich mir ständig sagen, dass ich großartig bin? Das weiß ich doch.“
 

Victor drehte sich kopfschüttelnd um. Doch bevor er antworten konnte, sprach Alan wieder. „Und, hattest du Spaß mit dem Heft?“, wollte er grinsend und mit erhobenen Augenbrauen wissen. „Ich habe es weggeschmissen“, stellte Victor kühl klar. Das war nicht falsch, immerhin hatte er es heute morgen mit dem Papiermüll rausgebracht. Er wollte vermeiden, dass er es vergaß und irgendwann jemand fand, der es nicht sehen sollte. „Meinst du das ernst? Noch nicht einmal reingeguckt?“, Alan spielte den fassungslosen, doch da Victor kurz zögerte, fing er sofort wieder an zu grinsen. „Aber du hattest vorher eine schöne Nacht damit, was? Erzähl mal, was fandest du besser? Die Kerle oder die Fra...“ „Alan Aaronovitch. Kein Wort mehr oder das Manuskript geht ohne die, von mir geforderten, Änderungen nicht in den Druck“, beendete Victor entschlossen das Thema. Er hatte keinen Nerv auf die großspurige Art des Anderen und noch weniger hatte er die Zeit dazu.
 

Er beendete in Rekordzeit das Meeting und als Emil vorsichtig seinen Kopf durch seine Bürotür steckte, hatte er bereits die E-Mail an die Kollegin fertig, die das Cover des Buches gestaltete. Natürlich hatte ihn Alan da noch einiges an Nerven gekostet, aber am Ende hatte er sich mehr oder weniger durchgesetzt. „Ach, ich sehe schon, Alan hat dir wieder graue Haare bereitet“, lachte sein Kollege und kam herein. „Aber ich kann diese Farbe wenigstens tragen“, gab Victor im gespielt beleidigten Ton zurück. „Sicher, Victor. Wenn jemand diese Farbe tragen kann, dann du“, grinste Emil zurück und setzte sich auf dem Stuhl gegenüber von Victor. „Ach, Emil. Habe ich dir schon einmal erzählt, dass du mein Lieblingstscheche bist?“, fragte Victor ohne vom Bildschirm aufzuschauen. „Kommt wahrscheinlich daher, dass ich der Einzige mit tschechischer Abstammung bin, den du kennst, was?“, lachte Emil, als Victor aufblickte. „Führt dich etwas Bestimmtes hierher?“ Emil kratzte sich am Kinnbart. „Du meinst, außer die übliche Prokrastination und um zu sehen, ob mein Lieblingsrusse sein Meeting überstanden hat?“ „Lieblingsrusse? Jetzt fühle ich mich aber geschmeichelt“, grinste Victor. „Ich streite natürlich alles ab, wenn ich deinen Onkel treffe. Und was Satan und Lilia angeht, die sind weiblich, da trenne ich strikt.“
 

Victor rollte mit den Augen und drehte sein Bildschirm, damit Emil einen Blick drauf werfen konnte. „Anderes Thema. Alan möchte diese Änderungen für das Cover. Meinst du, ich habe mich da verständlich genug ausgedrückt?“ Er wartete, bis Emil die Zeilen seiner E-Mail und die Markierungen auf dem Entwurf begutachtete. „An wen geht das?“, wollte dieser wissen. „Michele“, antwortete Victor und Emil nickte. „Der kriegt das auf die Kette, ansonsten kann er auch fragen. Nicht so wie diese... Eva? Nein, Ava! Ich vergesse nie, wie sie bei der Weihnachtsfeier einen Aufstand gemacht hat, weil sie nicht neben dir sitzen wollte. Das war echt schon peinlich“, Emil schüttelte den Kopf, doch Victor winkte ab. Die Szene hatte er noch allzu deutlich, als sie sich echauffiert hatte, dass eine verdiente, langjährige Angestellte neben einem Stümper sitzen sollte, der nur durch Vitamin B in die Firma gekommen ist. Um das Ganze möglichst schnell zu beenden, hatte Emil dann mit Victor den Platz getauscht. Doch im Nachhinein hatte Ava noch einen Einlauf von ihrer Vorgesetzten kassiert, was ihre Meinung über ihn natürlich nicht gebessert hatte. Im Gegenteil, wann immer sie zusammenarbeiten mussten, tat Ava immer nur genau so viel, damit es nicht auffiel und verzögerte die Arbeiten absichtlich so weit es ging. Es raubte Victor manchmal den letzten Nerv.
 

„Hör mal, Sara hat doch morgen Geburtstag. Wir waren am Überlegen, alle gemeinsam Essen zu gehen und dann noch um die Häuser zu ziehen. Bist du mit dabei?“ Victor legte einen Finger an die Lippen und überlegte, ob er irgendetwas für das Wochenende geplant hatte. Außer einige Manuskripte lesen hatte er allerdings nichts im Kopf. Vorsichtshalber schaute er noch einmal auf seinem Handy in den Terminkalender. Dann schielte er kurz auf den Stapel Manuskripte. „Und nein, dass du dir wieder Arbeit mit nach Hause nimmst, zählt nicht als Ausrede“, stellte Emil klar. „Na, dann hast du ja schon deine Antwort“, seufzte Victor theatralisch und hob kapitulierend die Hände. „Schuldig im Sinne der Anklage. Wann muss ich wo genau sein?“ „21 Uhr bei Parks. Gil hat uns schon einen Tisch reserviert“, damit stand Emil auf. „Parks klingt tatsächlich ziemlich gut. Haben wir ein gemeinsames Geschenk für Sara?“, grinste Victor doch sein Kollege rollte nur mit den Augen und schüttelte den Kopf. „Wäre ich nicht so ein herzenguter Kerl, Victor, könnte ich dich glatt über den Tisch ziehen. Du hast mir letzte Woche einen Fuffi gegeben. Sie kriegt einen Wellnessgutschein. Klingelt da was?“
 

Victors Blick ging nach oben und sofort tippte der Finger wieder gegen die Lippe. „Ah! Als ich wegen dem Manuskript über die marodierenden Todesgötter bei dir war!“, erinnerte er sich. „Natürlich erinnerst du dich an das Buch. Manchmal frage ich mich, ob wir dir als Kollegen irgendetwas bedeuten, es geht immer nur um Bücher bei dir, such dir mal ein anderes Hobby“, lachte Emil und ging in Richtung Tür. Er winkte noch einmal zum Abschied über die Schulter und war dann verschwunden. Victor legte den Kopf schief. Ein anderes Hobby außer Bücher? Er machte doch etwas Crossfit und las ab und an mal einen Manga. Und ansonsten nahm er sich so viel Zeit wie möglich für Makkachin. Reichte das nicht? Schulterzuckend drehte er den Monitor wieder zu sich und versendete die E-Mail. Emil hatte recht, falls Michele Fragen hatte, würde er schon auf ihn zukommen.
 


 

„Ja, der Film war wirklich grottig“, lachte Phichit und streckte sich im dunklen Wohnzimmer. „So schlecht, dass er wieder gut war“, nickte Yūri und schob sich noch eine Handvoll Chips in den Mund. Doch Phichit schüttelte vehement den Kopf. „Nein. Das ist faktisch gar nicht möglich. Schlecht bleibt schlecht. Da helfen auch deine blöden Kommentare nicht mehr. Wobei, doch. Die waren eigentlich ziemlich unterhaltsam. Aber wer kommt auf so eine bescheuerte Idee? Haie die durch einen Tornado nach Los Angeles gebracht werden?“, Phichit konnte immer noch nicht fassen, was er da gesehen hatte. „Vergiss das Meerwasser nicht! Sonst hätten die Haie nicht überlebt!“, lachte Yuri. „Und die Motorsäge!“ „Ohja“, Phichit rollte mit den Augen. „Die Motorsäge war besonders wichtig.“
 

Yūri streckte sich und sammelte Gläser und die Schalen mit den verbliebenen Chips-Krümeln ein. „Sag mal, wollen wir uns morgen mal mit ein paar Leuten treffen? Leo ist wieder in der Stadt und Guang Hong kann seit Anfang des Jahres auch abends in eine Kneipe. Vielleicht bekommen wir auch JJ dazu überredet, mit den uncoolen Kids abzuhängen“, schlug Phichit lachend vor. „Du sabotierst meinen Gehaltszettel, das ist dir schon bewusst, oder?“, antwortete Yūri ihm „Ach komm schon. Ich hab das erste Mal in diesem Jahr ein Wochenende frei! Das will ich mit meinen Freunden genießen!“, entgegnete sein Mitbewohner. „Ich schaue, wie es morgen läuft und komme dann nach, ok?“, schlug er vor, doch Phichit schob seine Unterlippe schmollend vor. „Ohne dich ist es nicht das Gleiche!“ „Ja, ich weiß. Aber ich komme gegen 22 Uhr nach. Versprochen“, antwortete Yūri über die Schulter, während er zur Spüle ging um den Abwasch zu machen.
 

„Gut, aber dann geht die erste Runde nach deinem Eintreffen auf dich“, beschloss Phichit eigenmächtig. „Moment mal. Ich komme später, weil ich meine Finanzen für nächsten Monat aufbessern möchte und du schröpfst mich noch weiter?!“, fassungslos blickte Yuri von der Küche ins Wohnzimmer. „Deine Wahl, mein Freund. Du hast noch bis morgen Abend Zeit dich zu entscheiden. Ansonsten musst du bluten“, grinste Phichit böse. „Fein, was auch immer. Hilf mir lieber mal beim Abtrocknen, wenn ich mich bald für 3 Monate um deine Hamsterplage kümmern muss!“, rief Yūri aus der Küche. „Plage!? Das nimmst du zurück, Katsuki! Ich verkupple dich morgen mit dem hässlichsten Mädchen im ganzen Lokal!“, drohte Phichit, der blitzschnell in die Küche geeilt war und drohte ihm nun mit dem Handtuch, während er eine der gespülten Schüsseln nahm. „Oder noch besser: Ich verkupple alle mit süßen Mädels, nur du kriegst keine ab“, grinste er.
 

Yūri zuckte mit den Achseln. „Kein Problem, dann such ich mir halt einen knackigen Kerl. Guter Sex ist eben guter Sex“, scherzte er. „Sagt die Jungfrau unter uns“, Phichit streckte ihm die Zunge raus. „Aber trotzdem geht der Punkt an dich“, lenkte er ein, als er es förmlich in Yūris Gesicht sah, dass er das, doch mehr peinliche, Intermezzo mit einer abendlichen Errungenschaft hervor kramen wollte. Alle hatten ihn gewarnt, doch er wollte einfach nicht hören. Nun ja, am Ende war es glücklicherweise nur sein Portemonnaie und ein Teil seines Vertrauens in die Ehrlichkeit der Menschen, das bei der Nummer verloren gegangen war. Immerhin war er schlau genug gewesen, zu verhüten. Wer weiß? Vielleicht hätte es später als Andenken an diesen einen Abend irgendeine exotische Geschlechtskrankheit oder ein Brief mit Forderung für Alimente erhalten? Da waren die 200 Dollar noch verkraftbar gewesen, die dabei draufgegangen waren.

Verhängnisvoller Abend

Tief in Gedanken versunken stand Victor in seinem begehbaren Kleiderschrank. Der Kopf war zur Seite geneigt, sein Zeigefinger lag an seiner Lippe und sein Blick war unschlüssig. Es war Samstagmittag und Victor Nikiforov hatte keine Ahnung, was er zur Überraschungs-Geburtstagsfeier von Sara anziehen sollte. Bisher hatten er sich mit seinen Kollegen immer nach der Arbeit getroffen, wenn ein Geburtstag gefeiert wurde oder etwas Ähnliches angestanden hatte. Nun würden wohl alle in Freizeitkleidung dort eintreffen. Aber so etwas hatte Victor in diesem Sinne eigentlich nicht. Er hatte 25 maßgeschneiderte Anzüge, die fein säuberlich und nach Farbe sortiert, vor ihm hingen. Jeder einzelne in einer Schutzhülle. 20 Alltagsanzüge und 5 für besondere Anlässe. Er hatte 2 große Schubladen mit Krawatten, in allen Größen, Mustern, Farben und Ausführungen. Sogar eine hellblaue mit beige-braunen Pudeln im Cartoon-Look, die sein bester Freund ihm einmal lachend überreicht und gesagt hatte, dass er sie gesehen und direkt an ihn hatte denken müssen. Victor hatte sich geschworen, dass er sie eines Tages einmal anziehen würde. Vielleicht mal im Büro, wenn er keine Termine hatte? Vor allem keine Termine mit Alan.
 

Aber eine Krawatte würde er heute besser nicht anziehen. Egal wie lustig sie auch sein mag. Sein Blick blieb an dem Regalboden hängen, auf dem seine Jeans lagen. Das ist doch schon einmal ein Anfang, dachte er und zog die beiden Hosen raus und betrachtete sie. Die eine warf er direkt in Richtung Eingang, um sie später wegzuschmeißen. Seine verbliebene Wahl war eine nicht zu eng anliegende, etwas dunklere Jeans ohne irgendwelche Verwaschungen. Er entschied sich dafür, eines der weißen T-Shirts mit V-Ausschnitt anzuziehen, die er sonst höchstens unter seinen Hemden trug und nahm noch das Jackett eines nachtblauen Anzuges dazu. Victor empfand es nicht als Ideal, aber es war sicher besser als nichts. Dennoch machte er sich eine Erinnerung ins Handy, dass er irgendwann einmal nach ein paar Kleidungsstücken gucken würde, die etwas Alltagstauglicher waren. Vielleicht konnte er ja auch seinen besten Freund überreden, wenn er mal wieder in der Gegend war. Zum ersten Mal seit seinem Auszug bereute er es ein wenig, den Großteil seiner Klamotten nicht mitgenommen zu haben. Wobei er sich nicht sicher war, ob ihm die Oberteile noch passen würden, hatte der dürre Hering von damals doch mittlerweile ein bisschen mehr Kreuz und generell ein paar Muskeln zugelegt.
 

Er nahm die Kleidung mit in sein Schlafzimmer und hing sie dort an seine Tür. Dann hielt er inne. Hatten sie überhaupt ein Geschenk für Sara? Angestrengt dachte er nach, bis es ihm wieder einfiel: Ah! Wellnessgutschein! Das war es! Zufrieden ging er ins Wohnzimmer, um noch ein wenig über ein Manuskript zu brüten, bis er Makkachin ausführen musste. Im Vorbeigehen nahm er sich noch einen Apfel aus der Schale Obst, die er immer auf dem Küchentisch stehen hatte und kaute darauf rum, während er Seite für Seite durchblätterte. So vertieft in seiner Arbeit, wurde ihm erst klar, wie spät es war, als Makkachin lauthals auf sich aufmerksam machte. Er räumte seine Utensilien zusammen und stand stöhnend auf. Dann streckte er erst einmal seine Glieder bevor er zu seinem Hund hinüberging, der bereits ungeduldig an der Wohnungstür wartete.
 

„Ist ja gut, alter Freund. Wir gehen ja jetzt“, sagte Victor leise, als er die Leine am Halsband festmachte. Nur zu gerne, würde er Makkachin ohne Leine laufen lassen, aber in der ganzen Stadt war Anleinpflicht und er hatte keine Lust, Ärger deswegen zu bekommen. Schnell tastete er noch in seiner Tasche, ob er noch Kotbeutel dabei hatte und öffnete dann die Tür. Makkachin riss ihn schon fast mit, so eilig hatte er es. Doch so aufgeregt ihr Spaziergang begonnen hatte, so ereignislos blieb er auch. Victor hatte schon die unmöglichsten Szenarien auf Spaziergängen erlebt. Einmal wurde er gefragt, ob er seinen Hund für ein Date verleihen würde. Der Mann habe bei einer Singlebörse angegeben, einen Hund zu haben und wäre nun mit einer besonders tollen Frau verabredet. Natürlich hatte er abgelehnt. Ein anderes Mal war ein Auto voller gröhlender Männer, Victor hatte sie so Angang bis Mitte 20 Jahre alt geschätzt, mit vulgärer Musikauswahl auf voller Lautstärke und Gummipenissen in den Händen vorbei gefahren. Es geschahen wirklich die kuriosesten Dinge. Würde er sie in einem Manuskript lesen, würde er vermutlich den Autor fragen, woher er diese bescheuerten Ideen nahm.
 

Als die beiden wieder in der Wohnung angekommen waren, ging Victor sofort unter die Dusche. Er ließ sich ein wenig Zeit, genoss mit geschlossenen Augen, wie das warme Wasser gegen seinen Rücken und Nacken prasselte. Jedes Mal lobte er sich selbst für die Idee, eine große Regendusche installieren zu lassen. Doch als er nun aus der Dusche trat, wurde ihm klar, dass er immer noch fast 2 Stunden Zeit hatte und mit dem Taxi würde er maximal 20 Minuten bis zum Restaurant brauchen. Er hatte nicht wirklich Lust, sich noch einmal auf das Manuskript zu stürzen, da kam ihm ein Gedanke. Zwar würde ihm seine Telefonrechnung um die Ohren fliegen, aber irgendetwas hatte diese Form von Unterhaltung schon an sich.
 


 

Yūri hatte sich natürlich dafür entschieden, noch ein paar Telefonate entgegen zu nehmen. Allerdings musste er sehr schnell feststellen, dass der Abend nicht sonderlich ereignisreich war. Vielleicht sparten die Leute langsam für Weihnachten und gaben dann nicht mehr so viel Geld für Telefonsex aus?, überlegte Yuri. Doch im Grunde konnte ihm das Gleich sein, immerhin konnte er eh nichts daran ändern. Er lag auf seinem Bett und döste etwas vor sich hin. Allerdings nannte er es eher 'Kraft tanken für den bevorstehenden Abend'. Das letzte Mal, als er mit Phichit und den anderen aus gewesen war, war es am Ende dazu gekommen, dass er am nächsten Morgen am anderen Ende der Stadt wachgeworden war und Mitten auf der Straße lag. Er konnte von Glück reden, dass ihm nichts passiert war und er auch noch alle Halbseligkeiten gehabt hatte. Jedenfalls hatte er daraus gelernt. Er trank direkt am Anfang ein Bier, im Verlauf vielleicht noch ein Weiteres, aber er blieb nicht nüchtern, noch ließ er sich volllaufen.
 

Das war nämlich der nächste Punkt, bei dem man auf der Hut sein musste, wenn man mit Phichit, Leo, Guang Hong und JJ wegging. Wobei JJ eigentlich immer sofort irgendwohin verschwand und dann den Mittelpunkt des Geschehens darstellte. Das war ihm jedoch egal, so lange er ihn nicht damit hineinzog. Gequält richtete er sich auf und ging zu seinem Kleiderschrank. Was sollte er bloß heute Abend anziehen? Er ging durch die spärliche Auswahl und entschied sich schlussendlich für eine schwarze, gut sitzende Jeans und ein weinrotes T-Shirt mit V-Ausschnitt. Dazu würde er einfach seine schwarzen Sneaker anziehen. Das würde sicherlich vollkommen ausreichen. Immerhin war ein gemütlicher Abend geplant. Die Anderen warteten in einer Kneipe auf ihn, nicht in einer Disco. Das war ihm auch ganz recht, denn in Discos war es ihm Meist zu laut und eng.
 

Er knöpfte seine Jeans, die er gerade trug auf und begann, sie auszuziehen. Er konnte nun genauso gut duschen gehen und sich fertig machen. Doch ein Klingeln riss ihn aus seinem Vorhaben. Er tastete nach dem Telefon auf dem Nachttisch hinter ihm. „Ja?“ Doch alles was er hörte, war das Freizeichen. Er zog die die Stirn in Falten. „Was...?“ Das Klingeln ging weiter. Oh, Scheiße! Das Headset! Sofort war Yūri nun restlos wach und drehte sich zu seinem PC um. Doch seine Beine steckten noch in der halb ausgezogenen Jeans und er verhedderte sich. Er knallte vorne über auf den Boden, doch war fest entschlossen, wenigstens noch ein bisschen was zu verdienen, immerhin hatte er noch eine Runde ausgeben.
 

Mit ausgestrecktem Arm fischte er das Headset vom Schreibtisch und streifte es sich über, drückte gleichzeitig den Knopf, um das Gespräch anzunehmen, in der Hoffnung, dass er es vor dem sechsten Klingeln geschafft hatte. Denn nach dem sechsten Klingeln wurde der Anruf an einen anderen, verfügbaren Mitarbeiter weitergereicht. „H-hallo?“, schnaufte er leicht in das Mikrofon und versuchte seinen Atem zu beruhigen. „Habe ich... dich zu einem ungünstigen Zeitpunkt erwischt?“ Da war die Stimme, die er in den letzten Tagen so oft und doch viel zu wenig gehört hatte. Wie warme Schokolade, die über Erdbeeren gegossen wurde. Ein angenehmer Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Das Warten hatte sich gelohnt.
 


 

„Oh, Victor“, grummelte eine Stimme neben ihm schmerzerfüllt. „Sag mir bitte, dass das nicht passiert ist.“ „Du weißt genau, dass das passiert ist“, gähnte Victor. „Wie spät ist es überhaupt?“, er griff über die Person neben ihm im Bett nach dem Wecker. „Noch Mitten in der Nacht“, verkündete der Andere wehleidig und zog die Decke über den Kopf. „Es ist 11 Uhr. Ich weiß ja nicht, was du für ein Leben führst, aber ich bin um diese Zeit immer schon wach“, Victor richtete sich langsam auf und fasste sich dabei an den schmerzenden Kopf. „Du bist ja auch ein Spießer und lebst nur für die Arbeit“, kam es unter der Bettdecke hervor. „Und du solltest am Morgen danach viel besser drauf sein, wenn du so etwas ständig machst“, gab Victor zurück und blickte sich im Zimmer um. Ihre Kleidung lag überall im Raum verstreut. „Ich hätte wenigstens mein Jackett aufhängen sollen. Die werden mir in der Reinigung was erzählen“, murmelte er vor sich hin. „Sag ich doch! Spießer! Du hast noch nicht einmal richtige Kleidung zum Ausgehen. Wobei ich dir natürlich sagen muss, dass du echt alles tragen kannst. Dir würde auch ein Hühnchenkostüm stehen. Ich beneide dich darum“, grünliche Augen lugten unter der Decke hervor. Victor hatte wirklich Probleme, sich vorzustellen, wie er in einem Hühnchenkostüm aussah. Noch schwieriger war es zu glauben, dass er darin attraktiv sein könnte.
 

„Aber du hast meine Frage nicht beantwortet“, nun richtete sich auch sein Besucher langsam auf. „Haben wir das gestern wirklich getan?“ „Lass mich überlegen“, zog Victor seine Antwort in die Länge und legte seinen Kopf schief und seinen Finger an die Lippe. „Was von dem möchtest du wissen? Ob wir wirklich in einem Schwulenclub waren? Ob wir uns Hochprozentigen vom Barkeeper direkt in den Mund haben kippen lassen? Oder möchtest du auf deinen Poledance mit einem Fremden in Unterhose hinaus?“, grinste Victor schelmisch. Sein Gegenüber seufzte und hob die Decke an. „Na, wenigstens trag ich den engen Schwarzen. Ich muss eine Augenweide gewesen sein“, grinste er schief. „Du bist mein bester Freund, Chris, also bin ich ehrlich zu dir. Der junge Mann mit dem du getanzt hast, hat mich mehr interessiert. Allerdings habe ich keine Ahnung mehr, wie er aussah“, Victor sah aus, als wäre ihm etwas wieder eingefallen.
 

Doch Chris hatte ihn gar nicht angesehen. Er hatte die Augen geschlossen und theatralisch den Handrücken auf die Stirn gelegt und den Kopf nach hinten gebeugt. „Ich bin zutiefst verletzt! Mein bester Freund interessiert sich nicht mehr für mich“, dann richtete er sich wieder auf und blickte Victor stirnrunzelnd an. „Du hast doch Fotos gemacht! Zeig sie mir!“ Jetzt zog Victor die Stirn in Falten und schaute Chris durchdringend an. „Würde ich gerne. Aber jemand in diesem Bett hat mein Handy zerstört“, er zog eine Augenbraue hoch. „Ich? Was soll ich denn gemacht haben?“, Chris schaute unschuldig, doch Victor hatte das Gefühl, dass er sich wirklich nicht mehr dran erinnern konnte. „Wir waren heute früh noch mit Makkachin draußen“, setzte er an und Chris deutete ihm an, dass die Erinnerung immer noch nicht zurückgekommen war. „Und du wolltest die Bilder sehen. Also habe ich sie dir gezeigt“, wieder deutete Chris an, dass ihm immer noch kein Licht aufgegangen war. „Plötzlich hast du mich aus heiterem Himmel gefragt, ob Makkachin auch apportieren könnte. Ich meinte 'Natürlich, mein Makkachin kann alles' und du reißt mir das Handy aus der Hand und wirfst es mit einem lauten 'Makkachin! Hol das Stöckchen' im hohen Bogen in den River Rouge. Ich konnte das Ding zum Glück noch rausziehen, aber was zum Teufel Chris? Mein Handy ist nicht wasserdicht, im Gegensatz zu deinem!“
 

Chris hatte während Victors Schilderungen, die immer aufgeregter wurden, angefangen zu lachen. „Tut mir echt leid“, begann er und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. „Ich kauf dir heute ein Neues, versprochen!“ Victor verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte. „Das ist das Mindeste! Und jetzt werde ich nie erfahren, wer der junge Mann war!“, schmollte er. „Aber jetzt erzähl mir noch mal von dieser Hotline“, wechselte Chris schnell das Thema. „Du hast den ganzen Abend gegrinst wegen diesem Typen! Ich will auch seine Nummer!“ Victor schaute ihn entsetzt an. „Vergiss es. Dir gebe ich die Nummer ganz bestimmt nicht!“ Er würde es Chris zwar nicht so direkt sagen, aber Yūri würde er ganz sicher nicht mit ihm teilen. „Wir sollten aufstehen und lüften. Die ganze Bude stinkt wie eine Kneipe am nächsten Morgen“, damit stand Victor auf und hoffte, dass das Thema erledigt war.
 


 

„Kann einer mal das Licht ausmachen?“, stöhnte Phichit und vergrub das Gesicht weiter in das Material unter ihm. „Mach mal die Glubscher auf, das ist die Sonne“, gab Leo genervt zurück. „Geht nicht!“, wimmerte Phichit. „Sonst explodiert mein Kopf!“ „Dein Kopf explodiert gleich so oder so, wenn du mir weiter auf den Rücken sabberst“, maulte Guang Hong und drehte sich weg, sodass Phichit unsanft mit dem Kopf auf dem Wohnzimmerteppich landete. „Au! Sei nicht so grob! Mein Kopf ist bestimmt doppelt so groß!“, jammerte Phichit. „Ihr solltet leiser sein, sonst wird JJ wach und ihr dürft euch den ganzen Vormittag anhören, dass ihr seinen Schönheitsschlaf gestört habt“, kam es von Yūri, der mit einer Schüssel Müsli am Esstisch saß. „Verräter!“, wimmerte Phichit. „Wie kannst du am frühen Morgen, nach der Nacht so fit sein und schon feste Nahrung zu dir nehmen? Bist du ein entflohenes Versuchsobjekt der Alkoholindustrie?“ Yūri zuckte nur mit den Schultern. „Ich kann mich an genauso wenig erinnern, wie ihr. Nur mit weniger Kopfschmerzen“, er streckte den Dreien auf dem Wohnzimmerboden die Zunge raus.
 

„Dann erleuchte uns mit deiner Weisheit, oh ehrenwerter Yūri. Warum zur Hölle schlafen wir auf dem Boden?“, in Leos Ton schwang Sarkasmus mit. „Weil JJ schneller war und sich in Phichits Zimmer eingeschlossen hat. Und mein Zimmer ist für euch tabu. Ihr stellt nur Unfug an“, verkündete er. Phichit war der Einzige, der von seinem zweiten Job etwas wusste und Yūri würde alles dafür tun, dass dies so blieb. Daher verbannte er jeden aus seinem Zimmer, damit aufgrund des zweiten Telefons und des Headsets erst gar keine Fragen aufkamen. Er war ein schlechter Lügner und alle Ausreden, die er erfinden könnte, würden sofort als solches enttarnt werden. Daher hatte er ganz einfach beschlossen, es gar nicht erst soweit kommen zu lassen. Er meinte, von Guang Hong noch ein leises „Kameradenscahwein“ gehört zu haben, doch das war ihm egal. „Steht auf, ich hab euch schon Frühstück und frischen Orangensaft besorgt. Wenn ihr euch beeilt, könnt ihr den Anteil von JJ unter euch aufteilen.“ Yūri wusste, dass das ziehen würde. Etwas ungeschickt und unter wehleidigen Stöhnen standen die Drei auf und gesellten sich zu ihm an den Tisch.

Verfluchter Alkohol

"Tja und so endete es, dass du dich langsam vor seinem Begleiter ausgezogen und ihm gesagt hast, dass er die Augen ja nicht von dir nehmen sollte", endete JJ seine Schilderung amüsiert, während Yūri noch ein wenig mehr auf dem Stuhl zusammensank. Er hatte schon seit Beginn der Erzählung die Hände vor dem immer roter werdendem Gesicht zusammengeschlagen. „Und dann warst du auch schon mit dem anderen an der Stange. Ihr wart beide ganz schön grazil, wenn man euren Alkoholpegel bedenkt“, führte JJ weiter aus, nur damit Yūri die Sache nur noch peinlicher wurde. „Wir sollten mal schauen, sicher gibt es Videos im Internet!“, rief Leo begeistert, während Yūri die Farbe aus dem Gesicht wich. „Grundgütiger, bitte nicht“, flehte er mit verzweifelter Stimme. Ihm war mit einem Mal schlecht.
 

„Ach Yūri, nimms nicht so schwer. Das ist eine große Stadt. Auch wenn es ein Video gibt, wird dich keiner erkennen. Außerdem hast du wieder die übliche Nummer abgezogen. Niemand wird erkennen, dass der besoffene, vor Selbstvertrauen strotzende Typ mit zurück gegelten Haaren du bist“, versuchte Phichit ihn aufzumuntern. „Richtig! Du warst wieder voll im Eros-Mode“, lachte Guang Hong. „Eros-Mode?“, kam es von Yūri verzweifelt. „Ja, du weißt schon! Mode wie Modus! Wenn du so besoffen bist, dass du alle Hemmungen verlierst. Dann bist du wie ein anderer Mensch! Das passiert dir nur, wenn du zu viel getrunken hast“, erklärte Guang Hong weiter. „Aber das stimmt nicht. Das ist auch beim Telefons...“, Phichit unterbrach sich und hätte sich am liebsten die Hand über den Mund geschlagen. „Also generell beim Telefonieren. Als meine Eltern ihn bei ihrem Besuch kennengelernt haben, konnten sie kaum glauben, dass dieses schüchterne Etwas vor ihnen der gleiche Yūri ist“, rettete Phichit die Situation hektisch.
 

Yūri, der zwischendurch kreidebleich geworden war, schob es auf den Kater, dass keiner der 3 noch groß nachhakte. „Aber sag mal, JJ“, setzte nun Phichit an, in der Hoffnung, das Thema weiter von seinem beinahe Ausrutscher zu lenken. Er wusste doch, dass Yūri nicht wollte, dass jemand von diesem Job erfuhr. Immerhin hatte er ihn ja auch nur aus lauter Verzweiflung angenommen, weil seine Ersparnisse langsam knapp geworden waren und er seine Eltern nicht belasten wollte. „Du warst plötzlich weg. Wo warst du?“ Seine Rechnung ging auf, denn JJ richtete sich etwas in seinem Stuhl auf und reckte sein Kinn empor. „Wisst ihr, warum ich immer so gerne mit euch weggehe? Der Vollbluthengst kommt unter Ponys nur noch besser zur Geltung. Während ihr eure Einsamkeit in Cocktails ersäuft habt, habe ich eine Frau am Club vorbeigehen sehen, die meiner Attraktivität würdig war und habe mich mit ihr unterhalten.“
 

„Er ist wie ein panierter Biber aufgesprungen und ist aus der Tür gerannt. Ich habe nur darauf gewartet, dass er mit irgendwem zusammenstößt und eine Schlägerei anzettelt“, übersetzte Leo für sie und erntete einen bösen Blick von JJ. „Warst du erfolgreich?“, wollte nun Yūri wissen, der Angesprochene sah ihn fassungslos an. „Das ist eine rhetorische Frage, oder? Natürlich! Sie war ganz hin und weg und hat sich mir förmlich an den Hals geworfen!“, prahlte JJ. Alle blickten zu Leo, der jedoch abwehrend die Hände hob. „Keine Ahnung, konnte die beiden vom Tisch aus nicht sehen.“ „Nur weil ihr Loser seid, muss das nicht heißen, dass ich es auch bin“, schnaubte JJ und stand auf. „Ich denke, ich werde mir mal von Isabella bestätigen lassen, wie toll ich bin“, grinste er selbstgefällig und warf sich seine Jacke über die Schulter. „Immerhin haben wir heute Abend ein Date. Bis dann“, er winkte noch locker über die Schulter und verschwand dann durch die Haustür.
 

Die zurückgebliebenen seufzten. „Wäre er manchmal nicht so ein Arsch, würde ich mir schon mal gerne Tipps geben lassen, wie man bei Frauen besser ankommt“, seufzte Guang Hong. „Ach, das kommt schon noch“, ermutigte Yūri ihn. „Sagt der, der erst einmal 3 Moscow Mule braucht, um 4 Wörter am Stück rauszubringen, wenn der Kellner ihn anbaggert“, Guang Hong zog eine Augenbraue hoch. „Und wenn dann noch 4 Silver Sky Mountains danach kommen, um seinen Frust zu ertränken, dass man vorher kein Wort rausgebracht hat, endet man mit einem Fremden beim Poledance“, schloss Leo lachend, während Yūri wieder feuerrot geworden war. „So lustig das auch alles ist, ich glaube, wir sollten jetzt besser alle in den Tag starten. Yūri und ich müssen noch einkaufen und die Wohnung wieder aufräumen und Leos Flieger geht doch schon heute Abend. Ihr solltet euch also auch langsam auf den Weg machen, wenn ihr noch seine Sachen bei dir holen wollt“, begann Phichit und schaute bei den letzten Worten Guang Hong auffordernd an. „Ja ja, du hast recht“, kam es von den beiden unisono.
 

„Wir müssen einkaufen?“, jammerte Yūri. Kurze Einkäufe waren für ihn kein Problem. Doch einmal in der Woche gingen sie das Nötigste für die kommende Woche kaufen und Yūri kam jedes Mal genervt davon zurück. Gerade wenn sie samstags einkaufen gingen und der Andrang im Laden zu groß war, lagen seine Nerven blank. Und dann kam noch dazu, dass Phichit im Supermarkt immer wie ein großes Kind war. Er wollte bei jeder Verkostung probieren und alles, was ein Hamster auf der Verpackung hatte, wollte er kaufen. Seit eine Firma für Küchen- und Toilettenpapier einen Hamster zu ihrem Maskottchen gemacht hatte, musste er jedes Mal mit ihm diskutieren, dass er entweder die 2 Euro Differenz zu dem günstigen Produkt selbst zahlte oder er darauf verzichten musste. Meistens gewann natürlich die Vernunft, aber alleine, dass sie die Diskussion immer wieder aufs Neue führen mussten, nervte ihn.
 

„Schon verstanden, das alte Ehepaar braucht Zeit für sich alleine“, lachte Leo und stand auf. Phichit rollte die Augen, während Yūri sich damit beschäftigte, das Geschirr wegzuräumen. Diese Spitzen kommentierte er schon gar nicht mehr. Kurz darauf verabschiedeten sie sich an der Tür und Yūri holte seufzend Einkaufstaschen aus der Vorratskammer. Phichit beäugte bereits den Einkaufszettel, der mit einem Magnet am Kühlschrank befestigt war. „Brauchen wir noch etwas?“, wollte er von Yūri wissen. „Shampoo“, meinte dieser knapp, als er bereits in seine Schuhe schlüpfte. „Da habe ich letztens eins in der Werbung gesehen! Da waren so...“ „Ich warne dich. Wenn wir jetzt schon zu Hause diese Diskussion führen, gehe ich zukünftig alleine!“, unterbrach ihn sein Mitbewohner. Phichit schob die Unterlippe schmollend nach vorne, während er selbst seine Schuhe anzog.
 


 

Victor saß auf der Couch und drehte ratlos sein neues Handy in der Hand herum. Wenigstens hatte er alle wichtigen Daten auf seiner SIM-Karte gespeichert. Nur die Fotos waren weg. Das ärgerte Victor schon ein wenig, daher hatte sich Chris wirklich nicht lumpen lassen und das neuste Modell seiner bevorzugten Marke gekauft. Nicht, dass es sich Victor nicht hätte leisten können, aber solange es einen Terminkalender, Anruf- und Nachrichtenfunktion hatte, war es ihm eigentlich egal, ob das Handy einen Tag oder 4 Jahre alt war. Er gab für so etwas kein Geld aus. Generell gab er nicht viel unnötiges Geld für sich aus. Ab und zu mal ein Anzug vielleicht. Die Anschaffung seiner Soundanlage war da eine große Ausnahme. Doch ansonsten sparte er gerade seine Bonuszahlungen am Ende des Quartals eisern. Man wusste nie, wofür es mal gut war. Es konnte höchstens passieren, dass er für Makkachin Sachen kaufte, die eigentlich vollkommen bescheuert waren, aber er liebte seinen Hund einfach. Doch wenn Victor ehrlich war, war das mehr als Liebe.
 

In Momenten wie diesem war es wichtig, die Wärme seines alten Freundes auf seinem Schoß zu spüren. In diesen Momenten, wenn sein bester Freund für unbestimmte Zeit wieder unterwegs war und er zurückblieb, kroch an ihm die Einsamkeit kalt den Körper hoch. Jedes Mal musste er den Drang widerstehen, Chris darum zu bitten, noch etwas zu bleiben. Manchmal fragte er sich, warum er nicht einfach bei seiner Tante und seinem Cousin geblieben war. Dort hatte er wenigstens Menschen um sich. Aber er kannte die Antwort. Wäre Victor nicht bereit gewesen, in die Fußstapfen seines kinderlosen Onkels zu treten, hätte man wohl seinen Cousin gezwungen. Seinen Cousin, der Bücher schon immer als Zeitverschwendung angesehen hatte. Victor hingegen hatte schon immer zwei Leidenschaften gepflegt. Dazu haben die Bücher gehört, die ihn nach dem Tod seiner Eltern immer wieder in eine Welt ohne Trauer und Einsamkeit geführt hatten. Also wandte er sich den Büchern zu, nicht zuletzt auch aus Liebe zu seinem Cousin, der doch eigentlich wie ein Bruder für ihn war.
 

Victor zog Makkachin näher an sich. „Hmm, mein alter Freund? Dein Herrchen ist wieder melancholisch. Sollen wir vielleicht eine Runde spazieren gehen und den Kopf frei bekommen?“, murmelte er in die weichen Locken des Hundes, der sich an ihn schmiegte. Sie blieben noch eine Weile so, bis Victor seine Beine ausstreckte und sich langsam aufrichtete. Makkachin sprang mit einem kurzen, aufgeregten Bellen ebenfalls vom Sofa und folgte ihm zur Tür. Dort nahm er die Leine vom Haken, befestigte sie am Halsband und schlüpfte noch kurz in eine dünne Jacke, falls es regnen sollte. Dann schlug er mit Makkachin, von der kleinen, parkähnlichen Grünfläche vor dem Gebäude, die Richtung eines kleinen Stadtwaldes ein. Er wurde nicht wirklich gepflegt und es gab nur Trampelpfade, die um die Bäume herum führten, doch Victor empfand es als eine kleine Flucht aus der städtischen Gegend. Er musste auch keinen Menschen ausweichen und somit war der Ort perfekt, wenn er mal nicht ständig auf seine Mitmenschen aufpassen wollte.
 

Auch wenn Makkachin ein sehr braver Hund war, der seinem Herrchen eigentlich nie von der Seite wich, bevorzugte es Victor, ihn in der Stadt immer an der Leine zu lassen. Es war ein Albtraum-Szenario für ihn, wenn Makkachin vor ein Auto laufen würde oder er ihn aus irgendeinem anderen Grund verlieren würde. Bei seiner Tante war es etwas anders. Da waren viele große grüne Flächen und weit und breit keine Straße in Sicht. Vielleicht sollte er an einem Wochenende mal wieder einen Abstecher dorthin unternehmen. Schauen, wie es seinem Cousin ging und ob seine Tante immer noch mit eiserner Hand das Familienidyll tyrannisierte. Er sollte sich auch mal wieder von seinem Cousin seinen Wettkampfplan schicken lassen. Zumindest, dass er ihm ein paar nette Worte per E-Mail oder Textnachricht schicken konnte.
 

Es versetzte ihm noch heute einen Stich, doch mittlerweile ist er sich nicht mehr sicher, ob es Reue ist, weil er mit dem Eiskunstlauf aufgehört hatte oder weil er es bis heute nicht geschafft hatte, einen Wettkampf von seinem Cousin anzusehen. Er hatte ihm mehrfach versprochen gehabt, mit ihm Musik und Choreografie zu besprechen, doch schlussendlich hatte Victor immer irgendwelche fadenscheinige Ausreden erfunden. Vielleicht hasste ihn Yuri deswegen mittlerweile. Er könnte es dem Teenager noch nicht einmal verdenken. Dagegen ins Feld zu führen, dass er für ihn aufgehört hatte, um in Onkel Yakovs Fußstapfen zu treten, klang auch für Victor wieder nur wie eine billige Ausrede. Doch was brachte es, sich mit der Vergangenheit herumzuquälen? Er hatte den Weg nun einmal eingeschlagen, was anderes war jetzt nur noch schlecht möglich.
 

Makkachin machte einen Satz nach vorne, als ein Eichhörnchen über den Weg lief. Victor wurde etwas nach vorne gerissen und kämpfte mit der Schwerkraft, nachdem er derart abrupt aus seinen Gedanken gerissen worden war. „Makkachin“, jammerte er theatralisch und fand sein Gleichgewicht wieder. „Willst du mich umbringen?“ Doch er nahm das zum Anlass, sich etwas mehr mit seinem Hund zu beschäftigen, während sie draußen waren. Sie kamen an eine kleine Lichtung und Victor entschloss sich, eine Weile mit ihm Stöckchen werfen zu spielen. Makkachin wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, als er die Leine vom Halsband löste. Kurze Zeit später hechtete er auch schon dem Stock nach, den Victor geworfen hatte. So verloren sie beide das Gefühl für die Welt um sich herum, bis dem Pudel langsam die Luft ausging. Lachend kraulte Victor seinen Kopf und stellte erstaunt fest, dass sie bereits 3 Stunden unterwegs waren.
 

„Na komm, wird Zeit nach Hause zu gehen“, lachte Victor und hakte die Leine wieder ein. „Oder was hältst du davon, wenn wir dir noch was Leckeres besorgen?“ Als hätte Makkachin jedes einzelne Wort verstanden, zog er ihn schon fast aus dem Wäldchen. Der Laden für Tiernahrung, den Victor bevorzugte, lag fast auf ihrem Rückweg, sodass sie keinen größeren Umweg machen mussten. Die meiste Zeit verbrachten sie eher damit, aus den verschiedenen Sorten und Marken ein paar Dinge herauszusuchen. Natürlich gab es eine Marke, auf die sie sich beide hatten einigen können. Victor war es wichtig, hochwertiges Futter ohne künstliche Zusätze zu holen. Natürlich hatte er sich auch schlau gemacht, ob irgendein Hersteller wegen Tierversuchen in Verruf gekommen war. Alleine die Bilder von kleinen Makkachins, die in kleinen Käfigen oder Ähnlichem gehalten wurden... Nein, das konnte er einfach nicht unterstützen. Makkachin hatte hingegen auch klare Vorlieben: Rind und Wild fand er toll, Fisch dagegen wurde selten mit Appetit verdrückt. Lachs und Makrele bildeten da jedoch eine Ausnahme. Victor musste über die Essgewohnheiten seines Hundes lachen. Liebevoll kraulte er ihn hinter dem Ohr. „Bist ein ganz schöner Gourmet geworden. Aber wer will schon ständig beim Imbiss um die Ecke essen? Ich kann dich schon gut verstehen, mein Lieber.“
 

Die Ladenbesitzerin erwartete ihn wie immer schon an der Kasse. Sie hatte einen Narren an den beiden gefressen, da war sich Victor schon fast sicher. Oder zumindest an Makkachin, denn ihre Augen leuchteten, als sie ihm ein Stück getrocknetes Hirschfleisch hinhielt, das er mit Begeisterung annahm. „Guter Junge“, sprach sie dabei fröhlich und streichelte ihm kurz über den Rücken. Makkachin hingegen würde vermutlich gerade alles mit sich anstellen lassen. Dieser Laden war für das Sortiment an natürlichen Kausnacks für Hunde bekannt und genau das war auch der Grund, warum Victor ihn meistens auch ansteuerte. „Du verwöhnst ihn. Immer wenn mir jemand was für ihn mitgibt und ich ihm das hinhalte, schaut er mich an, als wollte ich ihn vergiften“, jammerte Victor spielerisch und schmollte, doch sie lachte nur. „Kannst du mir irgendwas heute empfehlen?“, wollte er nun wissen. „Wir haben getrocknete Entenhälse frisch reinbekommen. Ansonsten hätte ich noch Serrano Schinkenknochen da oder gepuffte Schweinenasen.“
 

Victor legte kurz den Finger an die Lippe, aber eigentlich war ihm schon klar, was er nehmen wollte. „Ich nehme einen Serrano-Knochen. Da kommt der Feinschmecker auf seine Kosten“, lachte er dann fröhlich und die Verkäuferin nickte. Sie legte einen vakuumverpackten Knochen auf den Tresen und tippte den Betrag in die Kasse ein. „Aber der ist nicht...“ „...zum kompletten Verzehr geeignet“, unterbrach Victor sie und legte seine Hand aufs Herz. „Was denkst du denn von mir?“, fragte er theatralisch. „Bezahl lieber und geh nach Hause den armen Makkachin füttern. Er hat das Stück ja fast inhaliert“, gab sie scherzend zurück, was Victor wieder seufzen ließ. „Siehst du Makkachin? Wenn du das immer machst, glauben die Leute, ich würde dich nicht füttern!“ Wie zur Bestätigung bellte Makkachin freudig mit wedelndem Schwanz. „Wie der Hund, so das Herrchen“, lachte die Besitzerin. „Beide neigen zur Übertreibung.“
 

Victor wollte noch zu einem Konter ansetzen, doch Makkachin drängte nach draußen. Also lief er es mit einem eingeschnappten „Pffff“ gut sein und schlug den schnellsten Weg nach Hause ein. Nur kurz hielt er Inne, als er an einem neu geöffneten japanischen Imbiss vorbeikam. Es roch so gut, dass sein Magen anfing zu knurren. Allerdings hatte er noch ein paar Sachen im Kühlschrank, die er aufbrauchen musste, also rang er seinen Impuls nieder, sich spontan etwas zum Mitnehmen zu bestellen. Trotzdem behielt er sich das im Hinterkopf, vielleicht würde er darauf in Kürze zurückkommen. Nun wartete erst einmal noch ein Manuskript von einer Nachwuchsautorin auf ihn.
 

Kurze Zeit später waren sie im Treppenhaus zu seiner Wohnung. Als er an der Tür seiner Nachbarn vorbeikam. Das Schild mit 'Aida und Katya Tursunbaj' sprang wie immer direkt ins Auge. Was aber anders war, war der junge Mann vor der Tür. Er kannte ihn nicht, doch sofort kam Victor die Geschichte von Katya in den Sinn, als Makkachin einen Jogger umgenietet hatte. „Yusri?“, fragte er ins Blaue hinein, doch sofort fiel ihm ein, dass Katya ihn mehr als 'Nerd' bezeichnet hatte. Der hier war doch eher mehr ein Rebell oder Biker. „Was?“, kam es von ihm und braune Augen fixierten ihn. Sein Ton klang ein wenig angriffslustig.

Liebe, Tod und Erwachsenenliteratur

"Yūri! Weißt du wo meine Unterlagen sind?“, rief Phichit hektisch, während er im Wohnzimmer herum marodierte. „Woher soll ich das denn wissen?“, rief der Angesprochene aus dem Badezimmer zurück und schob verdrießlich die Zahnbürste zurück in seinen Mund. Das Wochenende steckte noch ein wenig in seinen Knochen und daher gefiel ihm die Lautstärke und das Chaos, welches Phichit bei seiner Suche hinterließ, überhaupt nicht. Er spuckte den Schaum in das Waschbecken, spülte seinen Mund aus und nutzte das laufende Wasser, um sich noch schnell das Gesicht zu waschen, bevor er es dann mit seinem Handtuch trocken rubbelte. Ein dumpfer Knall und auch Fluch ertönte aus dem Wohnzimmer. Yūri tippte darauf, dass sich Phichit gerade den Fuß am Couchtisch gestoßen hatte.
 

Sein Mitbewohner hatte sich schon immer schnell in blinde Hektik versetzen können, sobald er sich Konsequenzen ausmalte. Für gewöhnlich übertrieb er damit jedoch schnell. „Dr. Cialdini wird mich umbringen!“, jammerte Phichit jetzt. „Ach, Quatsch. Der hat doch eh einen Narren an dir gefressen“, Yūri kam ins Wohnzimmer und reichte, dem auf dem Boden sitzenden, Phichit eine Hand, um ihn hochzuziehen. Er hatte Phichit bei einem Juniorenwettbewerb im Eiskunstlauf kennengelernt und trotz anfänglicher Sprachbarriere, waren sie schnell zu besten Freunden geworden. Am letzten Wettkampftag war Yūri dann gestürzt und hatte sich das Außen- und Innenband gerissen. Dr. Cialdini war als Sportmediziner vor Ort gewesen und hatte den jungen Yūri mit Geduld und viel Einfühlungsvermögen behandelt. Doch es war für sie beide ein Wendepunkt gewesen. Der 14-Jährige Yūri hatte auf einmal vor Augen gehabt, wie schnell er vor den Trümmern seiner Karriere stehen konnte, auch wenn diese Verletzung vergleichsweise harmlos war. Und der 11-Jährige Phichit verehrte Dr. Cialdini als seinen Helden. Durch ihn hatte er die Motivation gefunden, anderen Menschen helfen zu wollen.
 

Gemeinsam hatten sie Pläne geschmiedet, das wettbewerbsorientierte Eiskunstlaufen schweren Herzens aufgegeben, um eine sicherere Zukunft anzusteuern. Phichit hatte dabei immer seine Zukunftspläne, irgendwann einmal zum Ärzte-Team von Dr. Cialdini zu gehören, fest im Blick. Yūri hatte... nur den Wunsch, einen anständigen Beruf zu ergreifen und ein eigenständiges Leben führen zu können. Die Idee, Informatik zu studieren, war irgendwann einfach so gekommen, als Phichit ihm erzählt hatte, dass Dr. Cialdini sich in Detroit niedergelassen hatte und dort in einem Krankenhaus unter Anderem alternative Behandlungsmethoden zur Behandlung von Sportverletzungen erforschte. Sie hatten schon früh den Entschluss getroffen, sich gegenseitig bei ihren Träumen unterstützen zu wollen, also informierte sich Yūri, welcher Studiengang in Detroit generell hoch angesehen war. Denn ihm war auch klar gewesen, dass er mit einem drittklassigem Studium wieder vor dem Problem stand, nicht unbedingt eine gesicherte Zukunft zu haben.
 

Getrieben von den Existenzängsten hatte er noch während seiner Schulzeit in Hasetsu alle möglichen Gelegenheitsjobs erledigt und jeden Yen eisern gespart. Doch das Leben in Detroit war teurer gewesen, als gedacht und so hatte er sich nicht lange mit seinen Ersparnissen über Wasser halten können. Mittlerweile lief zwar sein kleiner IT-Service wesentlich besser als zu Anfang, aber das deckte im besten Falle gerade die Miete. So war er verzweifelt genug gewesen, einen Job in einer Telefonsex-Hotline anzunehmen und musste feststellen, dass er gut darin war. Phichit war sich sicher, dass es sich hierbei um das gleiche Phänomen handelte, das er auch beim Trinken hatte. Sobald er nicht (mehr) in der Lage war, das Gesicht und somit die Reaktionen seines Gegenübers genau zu studieren, ließ er sich nicht mehr so schnell einschüchtern und fand Vertrauen. Ein Stück weit hatte Phichit damit wohl recht. Er machte sich einfach immer viel zu viele Gedanken. Wer wusste es schon? Vielleicht wäre er jetzt, wenn er die Schlittschuhe nicht an den Nagel gehangen hätte, einer der großen Stars im Eiskunstlauf? Vielleicht hätte er sich auch bei einem Sturz nach einem Quad Flip das Genick gebrochen. Das hörte sich jetzt vielleicht etwas hart an, aber irgendwie war sich Yūri sicher. Entweder hätte er es total vergeigt oder wäre richtig gut gewesen. Doch lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach. Natürlich könnte man sagen, er hätte es wenigstens versuchen können, aber davon konnte man sich kein Essen und kein Dach über dem Kopf leisten.
 

„Hattest du die Mappe am Freitag nicht noch auf dem Wohnzimmertisch, bevor wir den Film geschaut haben? Danach hast du schnell den Tisch freigeräumt. Ist sie vielleicht in der Schublade vom Couchtisch?“, ließ Yūri den Moment Revue passieren, als er die Mappe zum letzten Mal gesehen hat. Phichits Gesicht hellte sich schlagartig auf und er nahm Yūris angebotene Hand. „Du bist mein Held, Yūri! Ciao Ciao wird mich doch nicht umbringen!“, lachte er und drückte seinen Freund kurz an sich, bevor er zum Tisch ging und triumphierend seine Mappe, natürlich mit Hamstern drauf, herauszog. Er hielt sie kurz, schon fast wie ein Pokal, in die Höhe, bevor sein Blick zur Uhr ging. „Oh mein Gott! Ich komme zu spät!“ Hektisch packte er alles in seine Tasche und hechtete zur Tür. „Warte, ich fahr dich“, Yūri hatte bereits seine Tasche geschultert und schlüpfte in seine Schuhe. „Was wäre ich nur ohne dich?!“, seufzte Phichit dankbar und hielt ihm bereits die Tür auf.
 


 

„Und ich sage es dir noch einmal. So geht das nicht in die Korrektur. Ohne wenn und aber. Das kannst du nicht tun, Alan“, mittlerweile war Victor dazu übergegangen, seine Stirn in seiner Handfläche abzulegen. Er brauchte gar nicht erst ins Gesicht des Autors zu blicken, um zu wissen, dass er fast vor Wut schäumte. „Mensch Victor! Ein bisschen Drama ist doch immer gut. Fantasie gepaart mit einem Hauch Liebesdrama. Das Ding geht weg wie warme Semmeln, sag ich dir!“, kam es zurück. „Erstens ist Liebesdrama überhaupt nicht dein Ding. Die 5 Bände vorher sind auch gut ohne klar gekommen. Jetzt brauchst du mit so etwas nicht anzufangen. Zweitens, damit machst du dir deine Leser böse. Und Drittens...“ „Es ist immer noch meine verdammte Geschichte“, unterbrach ihn Alan. „Ich entscheide, was ich damit tue. Und wenn ich mit 180 km/h gegen die Wand fahre, ist es dein einziger Job danach, die Grabrede zu halten. Aber dann bitte eine Monumentale.“ Unter normalen Umständen konnte Victor den schwarzen Humor von Alan Aaronovitch gut vertragen, doch nun würde er ihm am liebsten einen Eimer Wasser ins Gesicht schütten. Wenn es möglich gewesen wäre.
 

„Alan, ich beende gleich dieses Gespräch. Das ist den Strom nicht wert, den der PC deswegen frisst. Entweder du schreibst es um oder es geht nicht in den Druck. Denn das passt überhaupt nicht zu der resoluten Heldin, die du sonst immer so beschrieben hast“, stellte Victor entnervt klar. „Wie viele Beziehungen hast du geführt, dass du da mitreden kannst?“, Alans Lachen klang über die Internetverbindung blechern. „Entgegen deiner Erwartungen, habe ich sehr wohl schon Beziehungen geführt“, stellte Victor klar, auch wenn die Mehrzahl nicht ganz zutraf. Zumindest, wenn man nur feste Partnerschaften zählte. „Als hättest du ein Privatleben“, spottete Alan. „Wenn die Liebe deines Lebens stirbt, macht man so etwas.“ „Dann lass ihn nicht sterben!“, donnerte Victor, der langsam aber sicher die Fassung verlor. „Nikiforov, ich bin der Autor. Ich entscheide.“ „Und ich muss zusehen, dass sich dein Schrott verkauft. Also sieh zu, dass du das in Ordnung bekommst. Sonst. Geht. Nichts. In. Die. Korrektur. Haben wir uns da verstanden, Aaronovitch?“, neben der Kamera ballte Victor seine Faust. Am liebsten würde er jetzt auf das Dach des Gebäudes rennen und sich die Seele aus dem Leib schreien. „Lass deine sexuelle Frustration nicht an Anderen raus, Nikiforov. Schaff dir ein Privatleben an. Würde dir mal gut tun. Schönen Abend noch.“ Und damit war ihr Gespräch beendet.
 

„Dieser....“, er wurde wieder unterbrochen. Dieses Mal durch sein Telefon. Er holte tief Luft und nahm dann den Hörer. „Ja?“ „Lilia hat gerade angerufen, Herr Feltsmann möchte dich sehen. Sofort. Hast du was ausgefressen?“, erklang Saras Stimme in seinem Ohr. Victor rieb sich kurz mit der Hand über das Gesicht. „Vielleicht. Kommt drauf an, was es ist. Ich gehe besser direkt. Komme später mal vorbei, auch wegen den Manuskripten“, Victor wartete nicht auf Saras Antwort, sondern stand sofort auf und nahm sich sein Jackett vom Kleiderständer. Er schlüpfte rein und prüfte kurz sein Spiegelbild in der Fensterfront, vor der sein Schreibtisch stand. Da er zufrieden war, ging er geradewegs aus dem Büro, ohne ein weiteres Wort an Sara vorbei zu den Aufzügen und drückte das oberste Stockwerk. Lilia erwartete ihn bereits mit ihrem gewohnt strengen Blick und da sie ihn nicht aufhielt, wusste Victor, dass er direkt durch gehen konnte. Geradewegs ins Büro seines Onkels. Das bedeutete gleichzeitig, dass er auf ihn wartete. Folglich war es eine dieser Überraschungen, die Victor ganz und gar nicht mochte. „Victor“, das und ein Nicken war alles an Begrüßung, die sein Onkel für ihn hatte. Spätestens jetzt war ihm klar, dass er nicht zum Kaffeekränzchen hergerufen wurde.
 

Yakov saß an seinem wuchtigen, antiken Schreibtisch aus Mahagoni, der Ausblick aus dem 15. Stock hinter ihm, als liege die Stadt ihm zu Füßen. Das musste Victor ihm lassen, er wusste immer, wie er sich inszenieren musste, um Eindruck zu schinden. Jedem normalen Angestellten würde wohl jetzt die Knie schlottern. Victor war zwar auch nicht in bester Verfassung, doch er hatte schon von klein auf mit diesem imposanten Menschen zu tun gehabt, daher war ein Teil der Wirkung bereits vor Jahren verflogen. Dennoch stand er hier, vor seinem Chef. Sein Chef, der gerade aufgrund ihrer Verwandtschaft und eventuellem Erbe, ihn besonders hart anpackte und nie weniger als das Optimum von ihm verlangte. „Ich höre, die Loch-Leven-Saga kommt in Verzug“, kam Yakov sofort zum Punkt. Victor bis die Zähne zusammen. Wer konnte ihn verpetzt haben? „Herr Aaronovitch und ich haben abweichende Vorstellungen von Ablauf. Er ist dabei, einen großen Fehler zu machen. Ich habe ihm eben noch verdeutlicht, dass er die Änderung unverzüglich vorzunehmen hat“, erklärte Victor.
 

„Und das hat er sich so sagen lassen?“, hakte Yakov nach. „Nein, natürlich nicht“, Victor schnaubte und ihm wurde plötzlich nur allzu sehr bewusst, dass er immer noch, mit 2 Meter Entfernung zum Schreibtisch seines Onkels, im großzügigen Büro stand. Er fühlte sich schlagartig wie ein Bittsteller. „Aber ihm bleibt nichts anderes übrig.“ „Und was ist der große Fehler?“, wollte sein Chef nun wissen. „Er möchte zwei sehr beliebte Nebencharaktere auf grausame Weise töten“, Victor wollte ihn nicht mit unnötigen Details nerven. „Fantasie gepaart mit etwas Drama, vor allem wenn es um die Liebe geht, verkauft sich gut. Was spricht also dagegen?“ Victor kämpfte den Drang nieder, wie ein trotziges Kind mit den Augen zu rollen. „Dagegen spricht, dass es vollkommen mit dem bisherigen Verlauf kollidiert. Nicht nur, dass bisher auf die Liebe kein großer Fokus gelegt wird, sondern auch, dass die Handlung nicht den bisherigen Aufbau der Charaktere entspricht“, erklärte er. „Nun gut, wenn du dir da so sicher bist. Ich dulde aber keine Verzögerung mehr. Am Freitag bis spätestens 12:00 Uhr ist das Manuskript von dir abgenickt, sonst haben wir später Probleme beim Drucken. Ich gehe davon aus, dass das Cover fertig ist?“, Yakov fixierte Victor mit einem durchdringenden Blick.
 

„Ich habe noch 2 kleine Änderungen beauftragt, die heute Mittag erledigt werden.“ Yakov nickte. „Setz dich, Vitya“, er deutete auf den Sessel ihm gegenüber. Victor musste kurz blinzeln, um den Wechsel in Atmosphäre und Stimme zu realisieren. Dennoch nahm er sofort Platz und blickte seinen Onkel neugierig an. „Wie lange ist es her, dass du zu Hause warst?“, wollte Yakov nun wissen. Normalerweise würde Victor antworten, dass er von zu Hause auf die Arbeit gekommen war, aber natürlich wusste er, was sein Onkel meinte und auch, wenn die Stimmung nun deutlich entspannter war, hatte er nicht den Eindruck, dass er im Moment Scherze zu schätzen wusste. „Viel zu lange nicht mehr“, seufzte Victor ein wenig theatralisch. „Ich habe gestern noch darüber nachgedacht, dass ich bald wieder dorthin fahren sollte.“
 

„Das trifft sich hervorragend. Yuri hat nächste Woche einen Wettkampf und ich wollte am Wochenende mich auf dem Weg machen und bei der Gelegenheit gleich eine Woche bleiben. Du kommst mit“, die Entscheidung fiel wie ein Hammer auf Victor herab. Er schluckte. „Aber... ich kann nicht einfach so frei nehmen. Die Manuskripte und...“ „Deine Arbeit am neuen Band zu Loch Leven ist am Freitag beendet. Wichtige Dinge kannst du zur Not auch von dort machen. Dafür haben meine Angestellten Laptops bekommen“, auch diese Antwort von Yakov klang nach beschlossener Sache. „Aber Makkachin, ich glaube nicht, dass meine Nachbarn Zeit haben. Sie haben zurzeit Familienbesuch“, wandte Victor noch schwach ein, erinnerte sich dabei an den jungen Mann namens Otabek. Für Victor sah er wie ein Halbstarker aus, aber Katya liebte ihren Cousin wie einen Bruder und er vertraute eigentlich auf ihre Menschenkenntnis. Zumindest, wenn es nicht um Wildfremde ging, die Makkachin im Park anfiel. „Dann nimmst du ihn mit. Das war doch sonst auch nie ein Problem.“ Spätestens jetzt war Victor klar, dass es keine Ausrede mehr für ihn gab. „Also gut. Ich rede gleich mit den Anderen und mache die nächste Woche frei“, gab er nach. Yakov lächelte kurz und nickte. „Dunjascha wird sich freuen“, verkündete er. Victor bevorzugte eher, über seine Tante mit ihrem richtigen Namen, Jewdokija, zu denken. Doch natürlich verwendete er auch im Umgang mit ihr ihren Kosenamen. Auch wenn dort nicht sonderlich viel Liebe mit rüberkam. Für sie war er immerhin auch nur 'Victor', wobei er dafür recht froh war, so versaute sie ihm wenigstens nicht eine der wenigen Koseformen seines Namens, die ihm gefiel.
 

Er verabschiedete sich schnell von seinem Onkel mit dem Vorwand, seinen Urlaub schnellstmöglich abzuklären. Erleichtert trat er im Stockwerk seines Büros aus dem Aufzug und wurde direkt von neugierigen, violetten Augen angeschaut. „Irgendwer hat gepetzt, dass ich mit Alan im Verzug bin“, winkte Victor ab. Sara sah erst etwas verwirrt und dann zornig aus. „Ava!“, brach sie nur heraus. „Woher soll die das denn wissen?“, Victor schüttelte den Kopf. „Ich rede mal mit Emil und Hisashi und dann...“, Victor hob abwehrend die Hände. „Ist egal. Ich hab alles geklärt. Ich muss Alan nur dazu bringen, seine Charaktere nicht umzubringen.“ Sara schlug die Hände vor dem Mund zusammen. „Wen will er töten?“ „Liest du die Bücher? Soll ich dich jetzt wirklich spoilern?“, fragte Victor etwas ungläubig, denn wer wollte eine dramatische Wendung in einem noch nicht erschienenen Buch wissen? Doch Sara nickte. „Alasdair soll vom feindlichen Clan entführt und aufgehangen werden. Catriona ersticht sich dann unter seiner Leiche“, erklärte er knapp. „Nein! Nein, das geht nicht! Das würde Cat nie tun! Sie würde Dairs Andenken pflegen und neue Allianzen schmieden, um dann zurückzuschlagen! Das kann er nicht tun!“, Sara klang mindestens fassungslos, eher schon hysterisch.
 

„Meine Rede, Sara. Meine Rede. Aber jetzt mal etwas anderes, kann ich nächste Woche Urlaub haben?“, fiel er mit der Tür ins Haus. Sara blinzelte. „Hast du seitdem du hier bist jemals so lange am Stück Urlaub gehabt? Was ist los?“, wollte sie wissen. „Mein Onkel möchte, dass ich mit zu meiner Tante fahre“, er machte eine wegwischende Bewegung mit der Hand, da er nicht wirklich drüber reden wollte, während Sara im Terminkalender nachschaute. „Du hast nächste Woche noch einen Termin mit Rebecca Prange, aber sonst gibt es nichts, was nicht auch jemand anderes übernehmen kann“, schloss sie und riss dann die Augen auf. „Ah! Emil bittet dich, dass hier zu lesen. Er sagt, er komme da nicht mit klar und meinte, du schuldest ihm noch einen Gefallen.“ Skeptisch nahm Victor das Manuskript in die Hand. Wenn Emil schon so sehr auf den Gefallen pochte, dann stimmte da etwas nicht. Er blickte auf die kurze Zusammenfassung, die sie von jedem Autor verlangten, welche sich um die Erstveröffentlichung bewarben. Bei den späteren Titeln schrieb der Redakteur immer den Klappentext.
 

Er las halblaut vor: „'Matt Calgari kämpft gegen den unersättlichen Hunger, der immer mehr an ihm zehrt. Doch da er nicht in der Lage ist, den Vampir in sich zu unterdrücken, isoliert er sich, um niemanden zu verletzen.' Toll, ein Vampirroman. Will ich das wirklich noch jemand lesen?“, er rollte theatralisch mit den Augen, bevor er weiter las. „Doch dann wird er in eine Falle gelockt und von General Tarek – einem verführerischen Incubus, der sich von sexueller Energie ernährt - gefangen genommen. So gerät Matt im Krieg der Incubi zwischen die Fronten und wird als Waffe gegen seine eigene Art benutzt. Auch, wenn er sich nichts sehnlicher als seine Freiheit wünscht, ist er nicht in der Lage, das brennende Verlangen zu leugnen, welches er gegenüber dem Incubus-General empfindet, den er nun Herr nennt.' Was zum Teufel? Was soll das sein?“, Victor blickte mit großen Augen zu Sara, die nur mit den Achseln zuckte. „Ich glaube, das nennt man Erwachsenenliteratur.“

Katzenmensch

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Am Kern der Wahrheit

"Nein, Yakov, ich habe einfach total vergessen, dass ich noch den Termin zur Impfung hatte", maulte Victor gerade zum 3. Mal in den Hörer. "Komm vorbei und überzeuge dich." Makkachin sprang auf das Bett und kuschelte sich an seine Seite. "Nein, ich mache das nicht mit Absicht. Ich habe noch nie mit Fieber auf eine Impfung reagiert!" Er rollte sich ein wenig zur Seite, um besser seine Arme um seinen Hund schlingen zu können. Auch, wenn ihm gerade der Schweiß vom Fieber auf der Stirn stand, empfand er es als tröstlich, die flauschige Wärme zu spüren. „Ja, danke. Dir auch eine gute Fahrt“, sagte er in den Hörer und legte dann auf. Er vergrub sein Gesicht in das flauschige Fell. „Jetzt habe ich die Woche geackert wie ein Pferd, nur um krank zu sein“, seufzte er. „Ich bin zwar auch etwas froh, dass ich nicht mit muss, aber... krank sein ist doof.“ Makkachin winselte leise, wie zur Bestätigung.
 

Das nächste Mal riss ihn ein Klopfen aus dem Schlaf. „Victor? Ich habe Suppe für dich gemacht!“, kam es aus dem Wohnbereich. Es war Aida, Katyas Mutter. Eigentlich wollte er das einfach ignorieren und weiterschlafen, doch dann ertönte das Klopfen wieder. „Victor? Brauchst du noch irgendetwas? Wie geht’s dir?“, die Tür wurde ein Spalt geöffnet. „Ich sterbe, Aida!“, verkündete Victor mit schwacher, leidender Stimme. „Ja, genau, Victor. Nebenwirkungen von Impfungen sind bei Männern immer tödlich. Ich bin auch nur gekommen, um zu fragen, welche Farbe dein Sarg haben soll“, ihre Stimme war voller Sarkasmus. „Kannst du nicht ein bisschen feinfühliger sein? Mir geht es so schlecht und du machst noch Witze über mich. Wie hält Katya das aus, wenn sie krank ist?“, Victor schniefte.
 

„Wie alle Frauen. Sie macht sich was zu essen und ruht sich dann weiter aus. Von ihr höre ich nie irgendwelche übertriebenen Klagen. Aber du solltest vielleicht tatsächlich mal aufstehen, etwas essen und vielleicht auch noch duschen. Dann fühlst du dich bestimmt etwas besser. Soll ich dein Bett frisch beziehen?“, nun war die Stimme doch deutlich sanfter. Stöhnend richtete sich Victor auf. „Nein, nein. Ich komm schon klar. Danke für die Suppe“, er lächelte schief und auch etwas gequält, doch Aida nickte. „So ist es gut. Sag Bescheid, wenn du noch irgendetwas brauchst. Soll Katya später mit Makkachin raus?“, fragte sie. Victor schüttelte nur den Kopf. „Die frische Luft tut mir bestimmt ganz gut. Ich darf mich nur nicht am Arm stoßen“. Er schob den Ärmel seines T-Shirts, das er zum Schlafen angezogen hatte, hoch und entblößte eine fiese, hochrote Beule am Arm. „Das solltest du schon besser kühlen“, schlug Aida vor. „Das sieht tatsächlich schmerzhaft aus. Aber jetzt übertreib bloß nicht gleich wieder, nur weil ich dir mal zustimme!“ Aida brachte ihm ein Kühlpad aus dem Gefrierfach, bevor sie sich wieder verabschiedete.
 

Als er das nächste Mal aufwachte, beherzigte er den Rat seiner Nachbarin. Mit einem gequälten Stöhnen richtete er sich auf, Makkachin sprang sofort vom Bett und wartete erwartungsvoll auf ihn. „Das ist mein Zeichen für ein Spaziergang, was?“, lachte Victor leise. Also zog er sich an, trank noch 2 Gläser Wasser und führte seinen Hund aus. Kurz spielte er mit der Überlegung, sich bei diesem neuen japanischen Imbiss etwas zu holen, doch erinnerte sich dann an Aidas Suppe. Er musste gestehen, dass er sich darüber sehr freute. Es war schon viele Jahre her, dass jemand mal etwas für ihn gekocht hatte. Es war eine Geste, die ihm warm ums Herz werden ließ und er beschloss, dass er sich noch richtig bedanken und revanchieren musste. Er merkte, dass die frische Luft ihm tatsächlich gut tat, atmete tief durch und genoss die Sonne auf seinem Gesicht.
 


 

„Na warte! Wie kannst du mir so in den Rücken fallen?! Ich mach dich alle!“, presste Yūri zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. Gleichzeitig teilte er mit dem Fuß nach Phichit aus, der geschickt auswich. „Yūri! Nun sei doch nicht so!“ „Doch, genauso bin ich! Wenn du so bist, musst du mit so einer Reaktion rechnen! Ich werde dich in Grund und Boden stampfen!“ Phichit fing an zu lachen. „Das ist doch nur ein Spiel!“, lachte er. „Spiel?! Das ist bitterer Ernst, mein Freund. Dir wird das Lachen noch vergehen!“, drohte Yūri. Die beiden lieferten sich einen erbitterten Kampf, bis am Ende der Sieger feststand: Yūri. „Man, du wirst viel zu emotional bei Mario Kart“, grummelte Phichit. „Wenn du mir so in den Rücken fällst!“, konterte Yūri. „Aber so geht das Spiel! Du hast mich doch auch abgeschossen!“ „Das ist was vollkommen anderes. Die Pizzen sind fertig“, damit beendete Yūri die Diskussion. Das lag nicht nur daran, dass er generell nicht gut verlieren konnte, sondern auch, dass er es wirklich ungern gesagt bekam. Wenn er einmal verlor, gab es immer nur zwei Möglichkeiten: Entweder kratzte es sehr an seinem Selbstbewusstsein oder, gerade wenn er bei irgendwelchen Spielen verlor, waren die anderen schuld und er fing an zu maulen. Nicht, dass er diese Seite besonders an sich mochte, aber so war er eben.
 

Ein Blick in den Ofen verriet ihm, dass sie sich doch besser einen Wecker hätten stellen sollen. Phichits Pizza war eindeutig zu schwarz oben und Yūri vermutete, dass seine Pizza unten schwarz war. Seufzend stellte er den Ofen aus und öffnete ihn. In dem Moment kam auch Phichit herein. „Oh, Röstaromen“ grinste er. „Angebranntes soll doch krebserregend sein, oder hab ich da was Falsches im Kopf?“, fragte Yūri. Doch Phichit winkte ab. „Nicht mein Gebiet. Kann sie also noch mit Appetit essen!“ Er holte das Besteck aus der Schublade, während Yūri mit Tellern und Pfannenwender bewaffnet, die Pizzen aus dem Backofen holte. Nachdem Phichit auch noch zwei Gläser und eine Flasche Wasser geholt hatte, gingen sie zum Esstisch.
 

„Und? Was planst du für die Woche?“, wollte Yūri noch wissen. „Nun ja, hauptsächlich Vorbereitungen für New York. Wir sichten aktuell noch einmal alle Unterlagen und machen eine Kurzfassung aus den Ergebnissen. Neben unserem Alltag, natürlich“, Phichit rollte ein wenig mit den Augen, doch auch ohne diese Geste wusste Yūri, dass es aktuell anstrengend für ihn war. Sein Mitbewohner machte zurzeit mehr Überstunden als sonst und fiel auch oft direkt nach Ankunft ins Bett. Das hatte zur Folge, dass der Haushalt und das Kochen fast komplett an ihm hängen blieb. Das wiederum hatte zur Folge, dass er in der letzten Woche seinem Nebenjob nicht wirklich viel nachgekommen war. Zwar hatte er eigentlich nicht viel dagegen, doch spätestens am Ende des Monats würde er sich dafür in den Hintern beißen wollen. Nicht, dass er sich Sorgen machte, dass er einen Anruf von Victor verpassen würde, denn auch außerhalb seiner Zeiten konnte er die Durchwahl freigeben, sodass es geklingelt hätte. Aber Victor hatte nicht angerufen. Yūri wollte es sich nicht eingestehen, aber es wurmte ihn ein wenig. Hatte er beim letzten Mal etwas Falsch gemacht?
 

„Erde an Yūri! Bitte kommen!“, riss ihn Phichits Stimme aus den Gedanken. Er blinzelte kurz. „Ähm... was?“, fragte er irritiert. „Du hast mit dem Glas in der Luft inne gehalten und abwesend geguckt. Ist dir gerade eine Synapse durchgeknallt oder so etwas?“, Phichit grinste breit, was Yūri erröten ließ. Dass er so aus der Bahn geworfen wurde, war ihm mehr als peinlich. „Ich habe mich nur gerade gefragt, was dein Krankenhaus macht, wenn ihr alle weg seid“, log Yūri, da er nicht wollte, dass sein Freund nach dem Grund für seinen Aussetzer fragte. „Es sind nur Dr. Celestino, ein weiterer Kollege und ich, die fahren. Also sind noch genug andere Ärzte da. Aber glaube nicht, dass ich nicht bemerkt habe, dass du mir ausweichst. Nur weil ich so ein toller Freund bin, bohre ich nicht genauer nach. Du kommst schon zu mir, wenn du reden willst“, Phichit fixierte ihn mit seinem Blick. Yūri nickte. Das war ihm nur noch unangenehmer. Aber sollte er ihm wirklich erzählen, dass er sich Hals über Kopf in einen seiner Kunden verknallt hatte? Ohne zu wissen, wie er überhaupt aussah? Er könnte doch ein alter, fieser, verschrumpelter Perverser sein! Warum musste so etwas ausgerechnet immer ihm passieren? Warum nicht wem anders?
 

„Und was hält deine Woche so für dich bereit?“, wollte Phichit zwischen zwei Bissen Pizza wissen. „Ich habe ein Bewerbungsgespräch bei einer IT-Firma, die auf Stundenbasis bezahlt. So, wie ich es verstanden habe, kann ich mir über eine Homepage mit Zugangsdaten Aufträge zuordnen und die erledigen. Aber wie genau das läuft, kann ich dir noch nicht sagen. Aber sie scheinen gut zu bezahlen und im Internet liest man viel Gutes von ihnen. Sie scheinen auch mit größeren Firmen zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel mit dem Verlag hier, Feltsman oder so, richtig? Ich denke, das macht sich recht gut im Lebenslauf und vielleicht komme ich so auch in eine der Firmen später unter“, schloss Yūri seine Erklärung und Phichit nickte kauend. „Und was ist mit deinem... du weißt schon welchen Job ich meine“, fragte er, nachdem er fertig gegessen hatte.
 

„Den werde ich wohl an den Nagel hängen. Ich meine, besonders gesellschaftsfähig war er nie, aber ich bin froh um das Geld gewesen. Ich konnte wieder ein wenig sparen und möchte bald versuchen, auch ohne auf festen Beinen zu stehen. Außerdem meckerst du ja eh immer“, Yūri lachte, als Phichit ihm die Zunge rausstreckte. „Aber mal ehrlich, wenn du jemanden findest, mit dem du dir was vorstellen kannst und er oder sie fragt dich, was du arbeitest... Das kann schon echt peinlich sein, Yūri“, grinste Phichit und Yūri musste lachen. „Warum? Für eine Fernbeziehung kann diese Fähigkeit doch ziemlich nützlich sein.“ „Ja, für eine Fernbeziehung. Aber dafür musst du erst einmal eine Beziehung haben. Außerdem wolltest du doch auch nicht, dass dein Partner ein Professioneller ist, oder?“, fragte Phichit. „Na, das ist ja schon ein bisschen was anderes. Ich lass ja keinen wirklich ran“, Yūri schüttelte den Kopf. „Dennoch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dein zukünftiger Partner oder zukünftige Partnerin glücklich wäre zu hören, dass du nebenbei bei einer Telefonsex-Hotline arbeitest.“
 

„Schon klar. Aber ist trotzdem was anderes“, murmelte Yūri und biss von seiner Pizza ab. „Oh? Warum auf einmal so verlegen? Gibt es da jemanden?“, sein Mitbewohner war plötzlich aufmerksam. Yūri winkte ab, doch Phichit ließ nicht locker. „Also so läuft der Hamster hier! Du hast dich verliebt. In wen? Wie heißt er? Wie alt? Wie sieht er aus? Studiert er oder arbeitet er? Ist er heiß? Oder ist es doch eine Frau? Wobei du bisher doch eher mehr für Männ...“ „Phichit. Halt einfach die Klappe“, unterbrach Yūri ihn. „Ok, Mann. Also?“, jetzt ließ er nicht mehr locker. Das war auch Yūri klar. Phichit war so lange ruhig und geduldig, bis er irgendwie an den Kern der Wahrheit gelangt war. Und danach gab es kein Stopp mehr. Würde er jetzt nicht alle Karten auf den Tisch legen, würde er ihn bis in alle Ewigkeiten nerven.
 

„Ok. Er heißt Victor“, fasste Yūri alle, nicht sexuellen, Fakten zusammen, die er hatte. Außerdem war er bei den vermeidlich sexuellen Fakten auch nicht sicher, was davon wirkliche Vorlieben und was Experimentierlust war. Phichit sah ihn erwartungsvoll an, als müsse da noch mehr kommen. Yūri überlegte. „Und er hat einen Hund.“ Nun wünschte er sich, dass er noch etwas Pizza übrig hätte, damit er irgendwie um weiteres Gerede herumkommen würde. Phichit legte den Kopf ein wenig schief und blickte ihn weiter erwartungsvoll an. „Mehr Details bitteschön“, meinte er, als Yūri nicht weitersprach. „Er hat einen leichten, ausländischen Akzent. Wenn ich raten müsste, würde ich vielleicht auf Russland tippen“, das war nun das Einzige, was ihm noch einfiel. Das verstand nun auch Phichit. „Mehr weißt du nicht? Dann rede mit ihm! Ist er ein Kommilitone von dir?“ Doch Yūri schüttelte nur den Kopf und wurde wieder rot. „Heilige Scheiße, Yūri! Das ist doch nicht etwa ein Kunde von dieser.. Hotline?“, Phichit ließ vor Schreck seine Hände auf den Tisch knallen und Yūri zuckte zusammen.
 

„Das ist nicht dein Ernst?!“, begann Phichit von Neuem, als zwischen ihnen einige Minuten betretenes Schweigen geherrscht hatte. Yūri war ein wenig im Stuhl zusammengesunken und blickte auf seine Hände. „Ich weiß, es ist Schwachsinn. Mach dir da bitte keine Sorgen. Er ist ein Kunde, mehr nicht. Nur seine Stimme... bereitet mir diese wohlige Art von Gänsehaut. Es ist... verrückt. Einfach verrückt“, er rieb sich mit den Händen durch das Gesicht und richtete danach seine Brille wieder. „Ja, das ist es auch. Versprich mir, dass du dich niemals mit ihm treffen wirst! Das ist mit Sicherheit so ein ekliger Perverser. Wer weiß, was er mit dir anstellen wird?!“, Phichits Augen waren groß, doch Yūri wedelte sofort abwehrend mit den Händen. „Wo denkst du hin? Ich treffe mich ganz sicher nicht mit ihm! Soll ich mir meine Tagträume versauen? Dieser Kerl kann einfach optisch mit seiner Stimme nicht mithalten. Ganz und gar unmöglich!“ Dass es ihn schon einmal reizen würde, den Mann hinter dieser Stimme zu sehen, behielt er für sich. Phichit würde nicht nur ausflippen sondern auch dafür sorgen, dass er niemals mehr alleine das Haus verlässt. Er hatte seinen Eltern hoch und heilig versprochen, auf ihn aufzupassen. Und das nahm er mehr als ernst.
 

„Schau mal, Phichit. Ich finde seine Stimme toll, ja. Aber ein Typ, der regelmäßig bei einer solchen Hotline anruft, muss irgendeinen riesengroßen Haken haben. Also halte ich weiter Abstand und sobald ich einen anderen Job habe, ist das Thema eh durch. Also brauchst du dir keine Gedanken zu machen. So einer kann nichts für mich sein“, erklärte er mit schiefem Grinsen. „Richtig! Der kann nicht ganz sauber sein! Das ist wahrscheinlich ein Stubenhocker, Mitte 40, der immer noch bei Mama zu Hause wohnt!“, Phichit begann gerade, richtig aufzudrehen. Er beschrieb immer weiter Worst-Case-Szenarien, wie Victor sein könnte. Yūri musste wirklich lachen, wie viel Energie sein Mitbewohner darauf verwendete. Doch er war tatsächlich von seiner Aussage überzeugt. Victor konnte niemals äußerlich so attraktiv sein, wie es seine Stimme war.

Bewerbungsgespräch

Als Victor das nächste Mal wach wurde, war ihm sogar noch heißer als zuvor. Sein Brustkorb fühlte sich wie zugeschnürt an und er bekam nur schlecht Luft. Das Schlimmste aber war diese Hitze. Diese unglaubliche Hitze. Vielleicht sollte ich den Notdienst anrufen?, ging es kurz durch seinen schmerzenden Kopf. Sein Gehirn versuchte gegen den Nebel zu arbeiten, den das Fieber mitbrachte und er brauchte einen Moment, bis er sein Umfeld wahr nahm. „Makkachin! Ich liebe dich wirklich, aber runter von mir! Ich sterbe, mir ist doch schon warm genug!“, jammerte er und versuchte kraftlos, den großen Pudel von sich zu schieben, der mit der ganzen vorderen Hälfte auf seinem Brustkorb lag. Nun wunderte sich auch nicht mehr darüber, dass ihm so heiß war.
 

„Bitte! Makkachin... Mein lieber Junge“, ächzte er, während er ihn von sich schieben wollte. Aber sein Hund war wohl fest davon überzeugt, dass die Wärme seinem erkrankten Herrchen gut tun würde. Gerade als er sich mit dem Gedanken abgefunden hatte, dass er wohl aufstehen musste, hörte er, wie seine Wohnungstür aufging. „Victor?“, leise erklang Katyas Stimme im Wohnzimmer. Begeistert bellend sprang Makkachin auf und nahm die Abkürzung aus dem Zimmer direkt über Victors Bauch. „Uff!“, keuchte er. „Makkachin! Erst möchtest du mich ersticken und nun trampelst du auf mir rum?! Was habe ich dir getan?“, wimmerte Victor theatralisch. Die Form der Nachbarstochter erschien im Türrahmen, doch Victor konnte erkennen, dass die junge Frau vermied, in sein Zimmer zu schauen.
 

„Ich gehe mit Makkachin eine Runde. Nehme es bitte nicht persönlich, Victor, aber du musst hier mal lüften. Es riecht nach Mamas Suppe und abgestandener Luft.“ Ihre Worte ließen Victor blinzeln. Runde mit Makkachin gehen...? „Wie spät ist es?“, fragte Victor müde. „Halb 9“, meinte sie kurz. „Dann musst du nicht gehen. Ich war eben erst“, sagte Victor unwirsch. Hatte er wirklich gerade mal 2 Stunden geschlafen? „Halb 9 morgens, Victor.“ Es war schon Sonntag? Er hatte so lange schlafen? „Oh“, war alles, was Victor dazu einfiel. „Ja. Oh“, imitierte Katya ihn. „Ich bin dann mal weg“, kurz danach hörte Victor, wie die Tür ins Schloss fiel. Seufzend richtete er sich auf und schwang die Füße über die Bettkante, um aufzustehen. Katyas Rat beherzigend, ging er los und kippte alle Fenster in seiner Wohnung. Das waren nicht wenige, aber Victor hatte bei der Wohnungssuche darauf geachtet, dass die Wohnung möglichst hell war. Eine zu dunkle Wohnung würde ihn nur depressiv machen.
 

Er drehte sich in Richtung Küche und sah eine Tüte auf dem Esstisch. Daneben war ein Becher von dem Café, welches in der Nähe war. Er nahm den Becher in die Hand und öffnete den Deckel. Der Geruch war unverkennbar. Karamell Macchiato. Katya war ein Engel. In der Tüte war einer der Brownies mit gesalzenem Karamell, die das Café manchmal neben anderen Backwaren zum Verkauf anbot. Selig lächelnd nahm er die Tüte und stellte den Brownie in den Kühlschrank. Den würde er sich für später aufbewahren. Er nahm sich ein paar Minuten, um den Kaffee zu genießen, bevor er dann ins Bad ging. Eine Dusche würde ihm sicher wieder gut tun. Kurz kam ihm der Gedanke, wie schön es wäre, jemanden in seinem Leben zu haben, der in solchen Situationen für einen sorgte. Direkt danach glitten seine Gedanken zu Yūri. Er hielt kurz inne und schüttelte den Kopf. Er bezahlte den Kerl im Prinzip, um ihm schöne Worte in den Hörer zu stöhnen. Der Gedanke war einfach nur lächerlich.
 


 

Yūri war noch nie gut in so etwas gewesen. Und an einem Montagmorgen sogar noch weniger. 'Wo liegen ihre Stärken und Schwächen?', 'Wo sehen sie sich in 5 Jahren?' und sein besonderer Favorit: 'Warum sollten wir ausgerechnet sie nehmen?' Was sollte er denn auch sagen? 'Ich habe kein Selbstbewusstsein' war eine genauso schlechte Antwort wie 'Bitte nehmen sie mich, ich habe keinen Bock mehr auf die Telefonsex-Hotline'. Kaum saß Yūri im Auto, lockerte er die Krawatte, die Phichit ihm gegeben hatte. Sein Mitbewohner hatte darauf bestanden, dass er nicht 'das hässliche blaue Ding' trug, sondern eine von seinen nahm. Nur mit Mühe hatte er ihm ausreden können, seine Glückskrawatte zu tragen. Da fragte sich Yūri generell, welcher halbwegs seriöse Arzt mit einer Krawatte rumlief, auf der Cartoon-Hamster abgebildet sind. Aber so war Phichit.
 

Ob er die Stelle nun hatte oder nicht, würde er im Laufe des Abends oder des nächsten Tags erfahren. Er war sich nicht wirklich sicher, wie er abgeschnitten hatte. So unwohl, wie er sich bei dem persönlichen Gespräch gefühlt hatte, genauso war er bei dem praktischen Test in seinem Element. Für ihn war kein Problem, Hardware in einem PC zu tauschen, auch wenn sie sich natürlich ein paar kleine Kniffe hatten einfallen lassen. So hatten sie zum Beispiel den PC auf Standby geschaltet gehabt. Wenn man nervös war, könnte man das vielleicht übersehen, dabei wusste jedes Kind, dass man die Komponenten nur bei ausgeschalteten Geräten tauschte. Doch das war kein Problem für ihn gewesen.
 

Sollte er genommen werden, hatte er sich alles gedanklich schon zurecht gelegt. Er würde versuchen, mit dem Betreiber der Telefonsex-Hotline zu sprechen, damit er am Anfang vielleicht zweigleisig fahren konnte. Dafür musste aber sein fester Dienst wegfallen. Er hatte einfach Sorgen, dass er am Anfang nicht genügend Aufträge bekam. Er musste auf jeden Fall erst einmal das nehmen, was so möglich war. Wenn er dann in einer Firma guten Eindruck hinterlassen hat, konnten diese ihn auch direkt anfordern. Aber die Auftragsannahme übernahmen Mitarbeiter in der Kunden-Hotline. Diese tragen die Aufträge mit Zieltermin und Anforderungen in eine Datenbank und jeder Mitarbeiter konnte sich diese sogenannten Supporttickets zuweisen. Man musste nur erledigen, was man sich nahm. Das barg gleich zwei Gefahren. Wenn man sich zu viele Tickets auf einmal zuwies und es irgendwo länger dauert, konnte er ganz schnell in Schwierigkeiten geraten. Wenn er aber immer nur ein Ticket nahm, konnte es auch sein, dass er kaum Aufträge und somit auch weniger Lohn bekam.
 

Aus diesem Grund machte sich Yūri nichts vor. Der Anfang würde holprig werden. Er hatte zwar wieder einige Rücklagen, aber was würde er tun, wenn irgendetwas passierte? Die Waschmaschine kaputt ging oder so etwas? Und schon wären seine Reserven aufgebraucht. Natürlich wurde Phichit ihn auffangen, aber er wollte auf eigenen Beinen stehen. Er war alt genug, um sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Im Prinzip würde er auch lieber in einer eigenen Wohnung leben, aber seine Existenzängste ließen das zurzeit einfach nicht zu. Aktuell fühlte er sich mit dem doppelten Boden, auch als Phichit bekannt, noch wohler. Es war damals schon ein riesiger Schritt für ihn gewesen, das heimische Nest hinter sich zu lassen und Phichit ins Unbekannte, nach Detroit zu folgen.
 

Er seufzte, legte den Gang ein und fädelte sich in den Verkehr ein. Für das Bewerbungsgespräch hatte er heute die Uni sausen gelassen, aber das war auch nicht weiter tragisch, da heute aufgrund Krankheit auch nur 2 Vorlesungen für ihn gewesen wären und das in Fächern, in denen er besonders gut war. Vielleicht würde er noch ein paar Anrufe entgegennehmen und dann dafür sorgen, dass wenn Phichit nach Hause kam, sie direkt essen konnten. Er konnte einfach Nudeln mit Tomatensauce machen, dann brauchte er auch nicht mehr einkaufen. Zufrieden mit seinem Plan machte er sich so auf dem Weg nach Hause.
 


 

Victor fühlte sich rastlos. Er lag ausgebreitet auf seiner Couch, Makkachin schnarchte leise und zufrieden an seinen Füßen vor sich hin. Er selbst hatte einen kalten Waschlappen auf seiner Stirn, doch das Fieber war fast weg und er fühlte sich zumindest wieder halbwegs wie ein Mensch. Trotzdem war er heute nicht auf die Arbeit gefahren. Das hatte gleich zwei Gründe: So würde sein Onkel auf jeden Fall verstehen, dass er tatsächlich krank war und sich nicht nur gedrückt hatte. Der zweite, noch viel wichtigere Punkt war jedoch, dass er heute definitiv nichts mit seinem Star-Autor zu tun haben wollte. Alan war schon gesund anstrengend genug. Sara war total überrascht gewesen, als er sich krank gemeldet hatte. Er konnte es ihr nicht verübeln, es war das erste Mal, seit er in dem Unternehmen arbeitete.
 

Das lag aber nicht daran, dass Victor immer krank auf die Arbeit gehen würde, sondern einfach und alleine daran, dass er nie ernsthaft krank wurde. Vielleicht mal ein leichter Schnupfen, aber selbst das war innerhalb kürzester Zeit abgehakt. Wenn man Victor fragen würde, wäre das vielleicht eine seiner liebsten Eigenschaften an ihm selbst. Passt ja auch zu jemanden, der sich immer in die Arbeit stürzte und von dem man sagte, dass er kein Privatleben hatte... Er seufzte und griff nach dem Manuskript auf dem Couchtisch. Er wollte wenigstens ein bisschen was machen, so lange er sich danach fühlte.
 

Für heute hatte er sich fest vorgenommen, den neuen, japanischen Imbiss auszuprobieren, den er letztens auf einem Spaziergang mit Makkachin gesehen hatte. Seine Mutter hatte früher immer gesagt, dass das Gesundwerden immer mit einem guten Essen begann und dass man essen sollte, was man wollte und worauf man Lust hatte. Das hatte zwar mehrfach dazu geführt, dass Victor schon einmal Borschtsch und Piroggen erbrochen hatte, aber irgendwie war es das auch auf eine seltsame Weise wert gewesen. Nur Rassolnik, eine salzig-saure Suppe bei der Salzgurkensole als Basis verwendet wurde, hat er nie wieder vorgeschlagen... Victor erschauderte beim bloßen Gedanken daran. Er warf das Manuskript wieder auf den Tisch und legte sich zurück. Mit geschlossenen Augen lauschte er der Musik, die er sich angemacht hatte. Der Soundtrack zu Cloud Atlas.
 

Die Idee hinter diesem Buch und somit auch dem Film fand er sehr faszinierend. Vielleicht auch deswegen, weil es schlichtweg nahezu unmöglich war, alleine die Komplexität der Geschehnisse zu verstehen und miteinander zu verbinden. Chris hatte ihn damals mit auf die Premiere geschleppt. Irgendwie hatte er Karten für die große Premierenaufführung bekommen und sie hatten in Sichtweite der Schauspieler gesessen. Victor hatte vermutet, dass Chris etwas mit einem dieser Schauspieler am Laufen hatte, doch dieser hat nur vehement dementiert. Bis heute war sich Victor nicht sicher, ob Chris so heftig reagiert hatte, weil es nicht stimmte oder weil er es auf keinen Fall sagen wollte. Normalerweise hatte er keine Probleme damit, Chris zu lesen, aber da war es schwierig gewesen.
 

Doch Victor war froh gewesen, dass er vor dem Film noch das Buch gelesen hatte. So empfand er den Film als leichter verständlich. Ob das nur daran gelegen hatte, dass er mit dem Thema vertraut war oder ein anderer Grund da mitspielte, konnte er allerdings nicht sagen. Doch die Idee hinter alledem hat ihn bis heute nicht losgelassen. Es gab immer Personen, die miteinander verknüpft waren und im nächsten Leben in irgendeiner Art und Weise wieder miteinander zu tun hatten. Es war irgendwie ein tröstlicher Gedanke. So würde er wohl in einem neuen Leben seine Eltern wiedersehen. Und sie alle würden eine neue Rolle im Leben einnehmen. Vielleicht würde er in seinem nächsten Leben tatsächlich Eiskunstläufer? Oder Dachdecker! Victor lachte. Natürlich gab es Menschen, die er im nächsten Leben nicht mehr unbedingt brauchte. Seine Tante zum Beispiel. Aber es gab auch Leute, die er niemals missen wollte. Zählte Makkachin dazu? Er hoffte doch. Liebevoll schaute er zu seinem Hund, der immer noch eingerollt zu seinen Füßen lag. Aida und Katya. Yakov. Aber auch einige seiner direkten Kollegen. Sein Cousin und Ziehbruder Yuri. Yūri...
 

Waren ihre Lebensstränge tatsächlich miteinander verwoben? War es ihr Schicksal, sich zu treffen? Oder spielte das Schicksal ihr nur eins seiner grausam-aberwitzigen Spielchen? Victor wusste es nicht und hoffte doch, dass dem nicht so war. Kurz hielt er mit seinen Gedanken inne, als die Musik ausging. Dann richtete er sich auf. Was war er denn für ein Idiot? Warum benahm er sich so? Für Yūri, wenn das überhaupt sein richtiger Name war, war er nur eine Zugabe auf dem Gehaltszettel. Er sollte langsam anfangen, im hier und jetzt zu leben, statt ständig diese Hotline anzurufen. Vielleicht sollte er lieber Makkachin mehr Leckereien kaufen oder Aida und Katya als Dankeschön für die Pflege zum Essen einladen, statt sein Geld damit zu verschwenden.
 

Essen war ein gutes Stichwort. Er stand auf und ging in sein Ankleidezimmer. Er würde ich jetzt erst einmal was Leckeres gönnen, danach das Manuskript fertig lesen und dann ins Bett gehen, immerhin wollte er morgen wieder halbwegs fit auf der Arbeit erscheinen. Als er das Wohnzimmer wieder betrat, streckte sich Makkachin gerade genüsslich, doch als er die Leine nahm, ging der Pudel in helle Aufregung über. Aus diesem Grund entschied sich Victor für eine längere Runde. Er genoss die Wärme der Mittagssonne auf seinem Gesicht, während Makkachin ausgelassen wie ein junger Welpe durch die Gegend sprang und somit mal wieder die Reichweite der Leine auf die Probe stellte. Victor lachte fröhlich. So konnte es immer sein!
 

Als er schlussendlich Makkachin vor dem kleinen Laden anband und noch einmal liebevoll seinen Kopf tätschelte, hatte sich der Himmel ringsherum ein wenig zugezogen. Er hoffte, dass sie beide es noch trocken nach Hause schafften. Er studierte die Tafel, doch ihm wurde schnell bewusst, dass er keine Ahnung hatte, was das alles war. Auch wenn kleine Beschreibungen unter den einzelnen Namen stand, fühlte er sich ein wenig überfordert. Es gab Ramen, das sagte ihm was. Tempura war, so glaubte er, Frittiertes in einer bestimmten Panade. Es überraschte Victor, dass viel Aal auf der Speisekarte stand. Aber irgendwo hatte er einmal gelesen, dass Aal in Japan sehr beliebt war, also machte es wohl Sinn. Interessant fand er die Gerichte mit Buchweizennudeln, hier Soba genannt. Er mochte die Buchweizen-Blinis der russischen Küche. Aber auch Yakitori mit verschiedenem Gemüse hörte sich sehr interessant an. Er legte seinen Finger an den Mundwinkel und überlegte angestrengt.
 

Gerade, als er die Bedienung nach einer Empfehlung fragen wollte, ertönte eine Stimme hinter ihm. „Also ich kann ihnen hier vor allem das Katsudon sehr empfehlen.“

Begegnung

Victors Augen flogen über die Karte. "Paniertes Schweinefleisch mit Soja-Sauce, Ei, Frühlingszwiebeln und Reis", las er halblaut vor. "Klingt mächtig", damit drehte er sich zu der Person hinter ihm um und war überrascht. "Jaaa...", lachte dieser. "Mein Mitbewohner steht total darauf. Danach geht er dann bestimmt eine Stunde joggen, um seine Gewissensbisse loszuwerden. Aber seine Mutter in Japan macht das beste Katsudon der Welt. Nichts für ungut, Kohta!", den letzten Satz rief er in Richtung des Kochs, der an der Seite stand. Dieser winkte lachend ab. "Ich denke, das ist so eine Art Bewältigung des Heimwehs oder so", er zuckte mit den Achseln.
 

Ja, das konnte Victor nachvollziehen. Victor kochte auch immer eines der Rezepte seiner Mutter nach, wenn er seine Eltern besonders vermisste. Ein klein wenig beneidete er den Mitbewohner dieses jungen Mannes. Immerhin konnte er nach Hause fliegen und konnte so wieder auf seine Eltern treffen. Dennoch musste Victor schmunzeln. Das musste eine durchaus interessante WG sein. Ein Thailänder und ein Japaner. Die Stadt war eben multikulturell, da war es doch kein Wunder. "Und kannst du mir auch etwas empfehlen, was nicht so auf die Hüfte schlägt?", fragte ihn Victor grinsend. Sein Gegenüber nickte. "Das Yakisoba ist hier sehr lecker. Oder das Tori Teri Don. Also Hühnchen mit Teriyaki-Sauce. Karē Raisu, wenn du Curry-Gerichte magst oder einfach nur Oden. Die Ramen-Gerichte kannst du hier aber auch alle sehr gut essen. Und auf jeden Fall musst du Gyōza als Vorspeise bestellen! Ähm...", er unterbrach sich und schaute Victor fragend an.
 

Victor merkte erst jetzt, dass er ihm mit offenen Mund fragend anstarrte. Gut, er musste zugeben, dass das vielleicht ein wenig zu viel Input auf einmal war. Er schloss den Mund wieder und lachte. „Du kennst dich ja aus“, sagte er zwinkernd. Dann setzte er sein Lächeln wieder auf und legte den Kopf schief. Sein Gegenüber lachte und winkte hektisch ab. „Wir... arbeiten beide viel und bei Kohta schmeckt es eben mit am Besten. Als der Laden noch ein paar Blöcke weiter war, war es ein echter Geheimtipp, aber bei der Größe kann man das wohl nicht mehr Geheimtipp nennen“, lachte er, vielleicht eine Spur nervös. Warum nervös?, fragte er sich kurz, aber ein anderer Gedanke kam sofort hinterher. Der Laden war gar nicht neu, er hatte ihn vorher nur nicht entdeckt! Die Bedienung lachte und nickte fröhlich. „Soll ich schon einmal deine Bestellung aufnehmen?“, fragte sie und er nickte. „Einmal Katsudon und das Karē Raisu für mich. Und zwei Mal die Gyōza“, sagte er. „Also das Übliche“, der Koch drehte sich rum und verschwand in einem Raum, der vermutlich die Küche war. „Hey! Ich esse auch gelegentlich Ramen oder Tempura“, rief er ihm hinterher.
 

Victor hingegen legte wieder den Kopf schief, legte seinen Finger an den Mundwinkel. Eine Geste, die er immer machte, wenn er nachdachte. Er merkte es schon gar nicht mehr. „Ich nehme die Miso-Ramen mit Schweinefleisch und Gemüse zum Mitnehmen“, bestellte er dann halbwegs entschlossen. Die Bedienung nickte und schrieb das auf. Der andere Gast neben ihm schaute ihn, mit erwartungsvoll hochgezogenen Augenbrauen an. Was wollte er bloß. Die Erkenntnis traf Victor kurze Zeit später wie ein Blitz. „Und bitte einmal die Gyōza, natürlich", fügte Victor hinzu. Die Frau grinste und nickte. "Natürlich." Seine mehr oder weniger hilfreiche Essensberatung in Person schien zufrieden und nickte.
 


 

Phichit hatte schon nach 2 Stunden Arbeit gewusst, dass das heute nicht sein Tag werden würde. Natürlich hatte er nichts an den Forschungsunterlagen für ihre Reise nach New York arbeiten können. Da es auf der Notaufnahme drunter und drüber ging, hatten sie ihn zur Hilfe dorthin geschickt. Dr. Celestino war etwas ungehalten darüber gewesen, aber zur Not würde Phichit einfach am Wochenende noch etwas länger bleiben. Und nächste Woche hatte er 3 Nachtschichten, wenn alles gut lief, konnte er so auch ein wenig Arbeit nachholen oder vielleicht sogar vorarbeiten. Aber das hatte nichts daran geändert, dass er den Tag mit überbesorgten Eltern und quengelnden Kindern zu tun hatte. Doch das Schlimmste war eigentlich gewesen, dass er sich im Nachhinein mit einer Mutter hatte anlegen müssen, da er ein Kleinkind vorgezogen hatte, das offensichtlich kurz vor einem allergischen Schock gestanden hatte. Natürlich war der Bienenstich ihres 13-jährigen Jungen wichtiger. Auch wenn sie bereits bei der Krankenschwester gesagt hatte, dass er nicht allergisch darauf reagierte. Warum kam man mit einem Bienenstich ins Krankenhaus?
 

Das Ganze ist sogar eine Befehlsebene höher gegangen und Phichit hatte kurz mit dem diensthabenden Leiter der Notaufnahme sprechen müssen. Natürlich hatte er Recht bekommen, aber das waren 15 Minuten, in denen er wieder jemanden hätte helfen können. Nicht zu sprechen von den 20 Minuten, die ihn diese Mutter aufgehalten hatte...Trotzdem hatte er pünktlich Feierabend machen können, was ihn ein wenig milde stimmen konnte. Gegen Abend wurde es selbst in der Notaufnahme ruhiger und er hatte die Gunst der Stunde genutzt und sich schnell aus dem Staub gemacht. Immerhin war er neugierig darauf gewesen, wie Yūris Vorstellungsgespräch gelaufen war. Doch als er nach Hause kam, erwartete ihn bereits die nächste Überraschung. Es hatte angebrannt gerochen. Und zu allem Überfluss hat er Yūri putzend vorgefunden, während er schmutzige Dinge in sein Headset geschnurrt hatte.
 

Er hörte es immer noch vor sich. „Ja, Süße. Genau so. Hörst du, wie du mich außer Atem bringst?“ So im Nachhinein darüber nachgedacht war es wohl eher nicht die Kundin, sondern das Entfernen vom Angebrannten auf dem Ceranfeld, was Yūri so atemlos machte. Phichit hatte keine Ahnung, wie Yūri das angestellt hatte... Oder doch, eigentlich hatte er eine ziemlich genaue Vorstellung davon, aber so genau wollte er nicht darüber nachdenken. Natürlich war ihm genau das wieder in den Sinn gekommen, als der Gast vor ihm mit ihm gesprochen hatte. 'Wir arbeiten beide hart'... An Doppeldeutigkeit war dieser Satz kaum zu überbieten. Er hoffte inständig, dass er nicht Rot wie eine Tomate geworden ist. Dass sein Kopfkino ihm da aber auch immer einen Streich spielen musste.
 

Und aus irgendeinem Grund kam ihm dieser Mann auch bekannt vor. Diese grauen Haare... Phichits Augen weiteten sich vor Schreck. Das war der Typ, mit dem sie Letztens was zu tun hatten. Er war doch der Freund von demjenigen, mit dem Yūri halb nackt an der Stange getanzt hatte! Und später auch mit ihm... Es war unübersehbar gewesen, dass Yūri total fasziniert von ihm gewesen war. Oh mein Gott! Phichit war kurz davor, zu hyperventilieren. Er betete zu allen verfügbaren Göttern, dass er ihn nicht erkennen würde. Aber wenn er ihn erkennen würde, dann hätte er das bereits getan, oder? Hatte er sich etwa, ähnlich wie Yūri und die anderen so sehr betrunken, dass er keine Erinnerungen mehr hatte? Oh, Gott sei Dank. Wenigstens eine Sache würde am heutigen Tag halbwegs gut verlaufen.
 

„Ich bin übrigens Victor“, stellte er sich vor. „Phichit, nett dich kennenzulernen“, kam die Floskel fast schon automatisch über seine Lippen. Doch dann rutschten plötzlich alle Puzzleteile zusammen und sie passten erschreckend gut. Victor. Akzent, vermutlich russisch. Tolle Stimme. Konnte das? Nein, das war nicht möglich. Die Hotline konnte man von überall in den USA anrufen. Das war einfach nicht möglich. Außerdem gab es sicherlich viele Russen in Amerika, die Victor hießen. Das war ein schön universeller Name, russisch aber auch gut für Amerikaner auszusprechen. Das war ganz sicher nur ein lustiger Zufall. Das konnte einfach nicht sein. Und dann hatte Yūri auch noch mit ihm getanzt!!!! Langsam wurde Phichit wirklich panisch. Das war nur ein Zufall. Nur ein Zufall. Das ist nicht Yūris Victor. Das kann gar nicht sein. Von den ungefähr 321,4 Millionen Einwohnern in der USA soll ausgerechnet dieser eine Victor auch in Detroit leben und er traf ihn gerade mal einen Katzensprung von ihrer Wohnung entfernt? Unwahrscheinlich. Das war so unwahrscheinlich, dass es sich noch nicht einmal lohnte, eine Wahrscheinlichkeitsrechnung deswegen aufzumachen.
 

Der Tag wollte ihn einfach nur noch weiter ärgern. Das war alles. Heute hatte er einfach schlechtes Karma. Das konnte auch nicht Yūris Telefonsex-Victor sein. Immerhin sah er recht gut aus und anhand des Anzugs, den er trug, konnte er sich vorstellen, dass er ordentlich verdiente. So jemand würde sich nicht mit Telefonsex begnügen, richtig? Phichit musste über sich selbst lachen. Kurzzeitig war er nahe dran gewesen, vollkommen auszuflippen, aber jetzt hatte er sich wieder unter Kontrolle. „Ihre Ramen“, hörte er die Stimme von Aiko, der Bedienung. Er war froh, dass sich dieser Victor etwas bestellt hatte, das schnell ging. Er wusste nicht, ob er es noch länger ausgehalten hätte. Victor verabschiedete sich und ging hinaus. Dort hockte er sich kurz hin und... Ernsthaft? Er hatte einen Hund? War es vielleicht doch Zeit, auszuticken? Eins stand fest, er durfte Yūri erst einmal nichts über ihn sagen.
 


 

Manchmal hatte sich die ganze Welt gegen ihn verschworen. Er hatte doch tatsächlich nicht nur die Tomatensauce anbrennen lassen, sondern auch noch halb in die Küche gekippt, als er den Topf mit einer Hand in die Spüle schieben wollte. Er hatte vergessen sein Headset aufzuladen und so hatte er seinen ersten Kunden für den Tag mit Telefon in der Hand absolvieren müssen. Immerhin war er zurzeit um jeden Kunden froh, er wollte ja schließlich schnellstmöglich von dieser Hotline wegkommen. Dass seine Kundin nichts von seinem Fauxpas mitbekommen hatte, zeigte Yūri ganz deutlich, wie abgebrüht und routiniert er mittlerweile bei der Sache war. Und das gefiel ihm eigentlich gar nicht.
 

Als wäre das alles nicht genug gewesen, war in dieses Szenario auch noch Phichit geplatzt. Ein sehr erschöpft aussehender Phichit, der nicht nur das ganze Chaos und den fürchterlichen Geruch von Angebrannten wahrnahm, sondern auch noch seinen Dialog in voller Peinlichkeit mitbekam. Es sah resigniert aus, als er seine Tasche absetzte, einen Zettel nahm und schrieb: 'Ich geh zu Kohta, das Übliche für dich?' Yūri nickte erleichtert. 'Bist der Beste!' schrieb er schnell darunter. Phichit schenkte ihm noch ein schiefes Lächeln und verschwand dann. Ließ Yūri mit dem Chaos und seiner Kundin alleine. Er war seinem Mitbewohner unendlich dankbar, dass er so rücksichtsvoll war. Und doch fühlte er sich schlecht, dass er mit so etwas auskommen musste. Als sein Handy auf dem Esstisch vibrierte, sprang er auf und hastete dorthin. Es war die Firma vom Vorstellungsgespräch. „Yūri Katsuki?“, meldete er sich, während sein Herz bis zum Hals schlug. „Ja. Ja, ich verstehe. Alles klar. Vielen Dank.“
 

Er hatte gerade aufgelegt, als Phichit zur Tür hereinkam. Er sah aus, als hätte er einen Geist gesehen. „Phichit? Alles ok mit dir?“, fragte er besorgt und kam ihm entgegen, um die Tüte vom Imbiss abzuholen. „Ja, ja. Nur ein heftiger Tag“, winkte Phichit ab, doch er wirkte ein wenig eigenartig. Yūri überlegte gerade noch, ob er nachhaken sollte oder nicht, als Phichit schon fragte: „Wie war dein Bewerbungsgespräch?“ Yūri schnaubte. „Ich habe das Gespräch selbst ziemlich verhauen, wurde mir eben am Telefon bestätigt. Aber praktisch war ich gut. Sie wollen es mit mir versuchen“, Yūri grinste schief, während Phichit jubelte und ihm um den Hals fiel. „Gott sei Dank! Ein Licht am Ende des Tunnels! Mein Mitbewohner wird bald einen normalen, bodenständigen Job nachgehen. Kein Sex Talk mehr am Frühstückstisch!“, lachte er heiter.
 

Yūri stimmte mit ein. „Ach komm, du wirst es vermissen!“, neckte er und stellte die Tüte auf den Tisch. „Soll ich dir vielleicht noch ein paar Mitschnitte machen? So ein Best Of oder so?“ „Nein! Das brauche ich echt nicht. Nein, danke!“, Phichit schüttelte vehement den Kopf und lachte dennoch weiter. Er wirkte jetzt viel heiterer, als noch vor 2 Minuten. Vielleicht war es doch die Arbeit, dachte Yūri erleichtert. Stress konnte viel mit Menschen machen, das wusste er aus Erfahrung. „Ich gehe noch schnell die Hotline abschalten“, fiel es Yūri ein und er verschwand in seinem Zimmer. „Ich bitte darum!“, rief ihm Phichit nach. „Beim Frühstück ist es schon schlimm genug!“
 

Zufrieden und satt saßen sie sich etwas später gegenüber und erzählten sich gegenseitig von ihrem Tag. Phichit schüttelte den Kopf über das Vorstellungsgespräch und Yūri ärgerte sich für Phichit mit, was sein Tag anging. „Bald bist du in New York“, seufzte Yūri dann. „Ich habe keine Ahnung, was ich ohne dich in der Zeit machen soll.“ „Du kannst mit den Anderen weggehen. Übertreibs nur nur nicht, hast ja keinen, der dich nach Hause bringt“, zwinkerte Phichit. „Ich habe eigentlich überlegt, all die schlechten Filme zu gucken, bei denen du dich weigerst. Hatte ich dir gesagt, dass es von Sharknado noch 3 weitere Teile gibt und 'Sharknado 5: Global Swarming' bald in die ?" "Oh Gott... Nicht ernsthaft. Nein, Yūri. Ich habe dich echt gern, aber das geht zu weit!“, jammerte Phichit direkt. Yūri schüttelte lachend den Kopf. „Vielleicht sollte ich mir in deiner Abwesenheit einen neuen Kumpel für schlechte Katastrophenfilme suchen.“
 

Phichit spielte den Entsetzten. „Oh mein Gott, Yūri. Du willst mich ersetzen? Einfach so? Das verletzt mich ernsthaft“, sagte er, doch konnte sich nicht zusammenreißen und fing mittendrin an zu lachen. Das half natürlich nicht dabei, das glaubhaft rüberzubringen. Yūri nickte. „Ich brauche jemand, der die schlechten Stellen mit mir kommentiert!“, beschwerte er sich. „Du solltest einfach vernünftige Filme gucken“, konterte Phichit. „Tue ich doch auch. Ich gucke auch gerne Actionfilme und Komödien, wenn sie nicht gerade 'romantisch' davor stehen haben. Wir haben auch schon einige Horrorfilme zusammen geguckt“, verteidigte sich Yūri. „Du hast dich die Hälfte von 'Insidious' unter der Decke versteckt und bei 'Get Out' hast du dich geweigert, ihn im Kino zu sehen. In Horrorfilmen bist du nicht gut", lachte Phichit. "Die waren ja auch echt heftig. Der Trailer von 'Get Out' geht schon unter die Haut. Und so schlimm ist es doch auch nicht, wenn wir uns den später ausleihen und in Ruhe zu Hause gucken", maulte Yūri. Phichit grinste, da er genau wusste, dass er wieder einen wunden Punkt bei Yūri getroffen hatte.

Arbeit

Es hatte dann tatsächlich bis Mittwoch gedauert, bis er wieder ins Büro gekommen war. Zwar war das Fieber weg gewesen und er war im Allgemeinen fitter, aber er hatte sich dennoch ziemlich ausgelaugt gefühlt. Die Diskussion mit seinem Arzt über die Länge der Krankschreibung hatte es nicht besser gemacht, hatte dieser doch gewollt, dass er sich mindestens noch bis einschließlich Mittwoch ausruhte. Manch einer würde sagen, dass ein Tag mehr oder weniger nicht tragisch sei, aber Victor wusste, dass jeder Tag, den er nicht im Büro war, die Menge an Arbeit anstieg. Natürlich vertraten ihn seine Kollegen, aber manche Dinge konnte eben nur er regeln. Und manche Dinge sollte auch besser nur er regeln. Zum Beispiel wusste er ganz genau, dass niemand ihm die Entscheidung über Alans Korrekturen abnahm. Das wäre nur bei einem längerfristigen Ausfall passiert, wobei sich Victor diese wohl eher hätte nach Hause schicken lassen, als das an jemanden anderen abzuwälzen. Zumal dann immer die Gefahr bestand, dass etwas freigegeben wurde, dass Victor nicht freigegeben hätte.
 

Als die Türen des Aufzugs in seinem Stockwerk aufgingen und er in den Flur hinaustrat, schaute ihn Sara mit einer Mischung aus Erleichterung und Sorge an. "Ist bei dir wirklich alles wieder in Ordnung?", wollte sie direkt wissen, noch bevor Victor überhaupt in Reichweite ihres Arbeitsplatzes gekommen war. "Ich weiß nicht, was du als 'in Ordnung' bezeichnest, aber ich bin wieder fit genug, um zu arbeiten. Außerdem war das ja auch nichts Ansteckendes, sondern eine heftige Reaktion auf die Impfung", erklärte Victor und Sara nickte. "Übertreib es aber nicht, hörst du? Ein paar Tage ohne dich sind schon schlimm, aber wenn du länger ausfällst...", sie ließ den Satz unbeendet im Raum stehen und schüttelte mit dem Kopf. "War Alan so schlimm?", Victor zog eine Augenbraue hoch und legte seinen Finger auf die Unterlippe, während er überlegte, was der kleine Tyrann schon wieder alles angestellt haben mag.
 

"Es ging", sagte Sara langsam und kramte auf ihrem Schreibtisch herum, bis sie einen Zettel fand. "Ich soll dir ausrichten: 'Im Alter wird man anfälliger. Lass dich mal in der Apotheke über Nahrungsergänzungmittel für Senioren beraten. Vielleicht haben die auch was gegen Haarausfall.' Das hat Alan gesagt! Nicht ich!""Alan ist manchmal ein richtiges Arschloch, vor allem weil er dich dazu bringt, so etwas zu sagen", Victor gab das nicht zu, aber dennoch wussten es alle: Victors Haare, oder auch im Allgemeinen sein Aussehen, waren ihm sehr wichtig und deswegen auch sein wunder Punkt. Als es vor zwei Jahren damit anfing, sich Geheimratsecken anzudeuten, war für ihn fast eine Welt untergegangen. So schnell wie möglich war er zum Friseur gegangen und hatte sich bestimmt über eine Stunde beraten lassen, was er tun konnte, um das Ganze zu kaschieren. Als dann aber die Haare zu Boden fielen, war das ein einschneidender Moment gewesen. Auch wenn er zugeben musste, dass er mit kurzen Haaren männlicher und vielleicht sogar etwas seriöser aussah. Doch seitdem waren jegliche Scherze über den Verlust seiner Haarpracht unangebracht. Die Scherze über die Haarfarbe hingegen machte selbst Victor immer noch gerne.
 

Manchmal behauptete er, er leide am Marie-Antoinette-Syndrom, nur um die Reaktion der anderen Leute zu sehen. Wenn er besonders gute Tage hatte, führte er die Geschichte weiter aus und meinte, dass er am Tag nachdem man ihm gesagt worden war, er würde ab sofort für Alan Aaronovitch zuständig sein, er mit grauen Haaren aufgewacht sei und ein Arzt ihm dann erklärt hatte, dass dieses Syndrom unter anderem nach einen schweren Schicksalsschlag auftreten würde. In der Regel reagierten die Leute ähnlich fassungslos, wie Alan selbst, nachdem er Victor kennengelernt hatte und direkt meinte, ihm einen dummen Spruch wegen seiner Haarfarbe drücken zu müssen. Doch die Rechnung hatte er damals ohne Victor gemacht. Aber vielleicht war das auch der Anfang ihrer verbalen Zweikämpfe geworden. Emil hatte die These aufgestellt, dass je strammer die Zügel für Alan waren, er sich umso mehr dagegen auflehnte. Aber Victor war ehrgeizig und hatte dank seiner Tante ein dickes Fell.
 

"Erwartet der Allmachtsdackel eine Antwort von mir?", fragte Victor etwas entnervt. Sara schüttelte den Kopf. "Nein, er hat für Freitag einen Termin. Aber Allmachtsdackel?", fragte sie verwundert. "Denkt, er wäre der Größte, Beste und Schönste, ist aber eigentlich nur klein und aggressiv. Dazu hat er noch viel zu große Ohren und zu kurze Beine“, zwinkerte Victor und Sara lachte lauthals los. „Woher hast du eine solche Bezeichnung?“, wollte sie wissen, nachdem sie sich wieder gefangen hatte und sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischte. „Mein Cousin ist äußerst kreativ, was Beleidigungen angeht“, seufzte er und schüttelte theatralisch den Kopf. „Ich fürchte, dass wird ihn eines Tages bei unserer Tante das Genick brechen. Die hasst es, wenn man flucht.“ Mehr als einmal hatte Victor eine Ohrfeige alleine für das Wort 'Scheiße' kassiert. Aber Yuri war auch nicht dumm, er würde das schon hinbekommen.
 


 

„Ich bin wieder da“, rief Yūri in die Wohnung hinein. Er wusste, dass Phichit eigentlich zu Hause sein musste, immerhin hatte er einen Tag frei im Ausgleich zu seinem Wochenend- und Spätdienst, bevor er wieder in die Frühschicht wechselte. Doch die Wohnung schien leer, alle Lichter waren aus und auch gekocht war nicht. Er drehte sich um und schloss die Tür, da sprang ihm ein Post-It ins Auge, der auf der Rückseite der Tür angeklebt war. 'Habe noch eine Besprechung. Bis 20:00 Uhr sollte ich wieder da sein. Schreib mir, wenn ich etwas Essbares auf dem Weg nach Hause besorgen soll! - P'. Yūri wusste nie, warum Phichit auch immer noch seinen Anfangsbuchstaben und einen Hamster unter solche Notizen malte, aber so war er nun mal. Außerdem brachte es Yūri immer zum Schmunzeln. Wieder einmal wurde ihm bewusst, was für ein Glück er hatte, einen solch tollen Freund und Mitbewohner zu haben. Als er in den Raum hineinging, sah er ein paar Briefe auf dem Esstisch, die vermutlich für ihn waren. Ein Brief war von seiner Familie in Japan.
 

Seine Mutter beschrieb wie immer den Alltag im familieneigenen Onsen. In letzter Zeit waren wohl überdurchschnittlich viele Besucher da, weshalb sie überlegten, vielleicht noch etwas anzubauen oder den Bereich der heißen Quelle auszubauen. Yūri lächelte stolz, es tat ihm gut zu lesen, dass zu Hause alles in Ordnung und seine Familie gesund war. Mari hatte ebenfalls einen kurzen Brief in den Umschlag gesteckt. Ein paar halb ernst gemeinte Schimpftiraden und die Bitte, sich bald mal wieder sehen zu lassen. Das war typisch für seine Schwester. Außerdem richtete sie noch liebe Grüße von Minako aus. Yūri wurde warm ums Herz bei dem Gedanken, wie viele schöne Stunden er mit seiner Familie und seiner damaligen Balletttrainerin hatte. Manchmal wünschte er sich, die Bemühungen seiner Umgebung hätten mehr Früchte getragen und er hätte den Mut gehabt, mit dem Eiskunstlauf weiterzumachen. Doch im Prinzip hatte es mit der relativ leichten Bänderverletzung bei einem Wettbewerb angefangen und innerhalb der nächsten zwei Jahre kamen neben dem Mangel an Selbstvertrauen auch noch die Angst hinzu, sich und seine Familie in den Ruin zu treiben, wenn er nicht erfolgreich wäre.
 

Sein Mangel an Selbstvertrauen hat ihm gesagt, dass er niemals das Zeug zum Profi hätte und seine Existenzangst hat dafür gesorgt, dass er sich zurückzog und nach anderen Perspektiven in seinem Leben suchte. Dass Phichit ebenfalls einen anderen Weg, abseits vom Eiskunstlauf, gesucht und gefunden hatte, hatte seine Entscheidung dann noch vereinfacht. Dennoch schaute er auch mit positiven Gefühlen auf die Zeit zurück, denn wenn er seinen noch Zweitjob außer Acht ließ, war er eigentlich recht zufrieden mit seinem Leben. Natürlich musste da noch etwas kommen, er wollte immerhin nicht für immer in einer WG mit Phichit leben und irgendwann auf eigenen Beinen stehen. Vielleicht in ein paar Jahren wieder zurück nach Hause und sich dort selbstständig machen. Aber auf jeden Fall wollte er einen Menschen an seiner Seite, den er liebte. Unweigerlich glitten seine Gedanken wieder zu Victor. Yūri... Was machst du nur mit mir?, hauchte Victor in seinen Gedanken und sofort bekam er Gänsehaut.
 

Vehement schüttelte er den Kopf und versuchte die Gedanken an Victor zu verbannen. Er stellte seine Tasche in seinem Zimmer ab und ging mit frischer, gemütlicher Kleidung in Richtung Badezimmer. Eine heiße Dusche und ein anschließendes Bad würden seine Gedanken wieder richten. Der Blick auf sein Handy sagte ihm, dass Phichit erst in knapp zwei Stunden da sein würde. Schnell tippte er ihm eine Nachricht, dass er gerne etwas zu Essen besorgen könne und legte sein Handy dann mit seiner Kleidung ab. Schnell war er geduscht und ließ sich Badewasser ein, während er in einem der Schränke nach Badezusatz suchte. Das Einzige, was er noch fand war eine verstaubte Flasche mit Honig-Vanille-Duft, aber das war besser als nichts.
 

Während er in der Wanne entspannte, ging er eine Checkliste durch. Er hatte mit der Firma, in deren Hotline er arbeitete vereinbart, vorerst nur noch nach Anzahl der entgegengenommenen Anrufe bezahlt zu werden. Das war für maximal zwei Monate möglich, danach müsse er entweder wieder in den normalen Rhythmus wechseln oder er kündigen. Er musste also in spätestens 6 Wochen gekündigt haben. Sein neuer Job gefiel ihm eigentlich recht gut. Da er sich dämlich im mündlichen Teil des Vorstellungsgesprächs angestellt hatte, hatte er die letzten 3 Tage mit einem langjährigen Mitarbeiter der Firma gearbeitet. Er hatte ihm alles erklärt und sie hatten gemeinsam Aufträge abgearbeitet. Es war eine Art Probearbeit gewesen und heute hatten sie ihm den Arbeitsvertrag ausgehändigt. Zwar durfte er erst einmal nicht die großen Aufträge annehmen, doch das war in der Firma generell nicht üblich. Wer würde sich schon im schlechtesten Fall Aufträge bei Großkunden von Neulingen kaputt machen lassen, wenn es auch anders ging?
 

Wann er dann auch an die Großkunden durfte, war von seinen Leistungen mit den anderen Aufträgen abhängig. So konnte er heute die große Werkzeugtasche, die als Grundausrüstung in der Firma galt, mit nach Hause nehmen. Natürlich wurde aber über alles Buch geführt, nicht das etwas wegkam. Stellenweise gab es auch Kästchen mit Feinmechanikerwerkzeug, wobei sich Yūri nicht sicher war, wann er das benutzen sollte. Allerdings vermutete er auch, dass die Firma wusste, was man brauchte oder nicht und bevor der Mitarbeiter beim Kunden saß und kein passendes Werkzeug hatte, war das sicher die bessere Alternative. Er hoffte wirklich, dass sich das alles auszahlen würde und er von der Hotline wegkommen würde. Allerdings spürte er auch einen leichten Stich. Natürlich würde er dem Job keine Träne nachweinen, aber Victor... Sollte er ihm das sagen, falls er noch einmal anrufen würde? War das nicht unprofessionell? Und was erwartete er dann eigentlich von ihm? Sie würden ja kaum Telefonnummern austauschen und Privat weitermachen...?
 

Obwohl dieser Gedanke Yūri gar nicht einmal zu unlieb wäre. Im nächsten Augenblick hätte er sich am liebsten geohrfeigt. Was dachte er da für einen Mist? Phichit hatte vollkommen recht. So etwas war nicht nur potentiell gefährlich, die Gefahr war real. Wie viele Menschen wurden Opfer von Perversen? Yūri musste nicht auch noch einer davon werden. Wäre Victor ein gutaussehender und freundlicher Mann, hätte er es vermutlich nicht nötig, so oft bei einer Telefonsex-Hotline anzurufen. Yūri versuchte sich zu erinnern, wie oft er bereits in den letzten Wochen mit ihm telefoniert hatte. Manchmal hatte er jeden bis jeden zweiten Tag angerufen. Doch momentan war es ungewöhnlich Still um ihn geworden. Vielleicht hatte er Yūri auch einfach vergessen? Oder hatte angerufen, während er nicht verfügbar gewesen war und hatte jemanden Neues gefunden? So unwahrscheinlich war das nun wirklich nicht.
 

Mit einem Seufzen stand Yūri auf und spülte sich den Schaum vom Körper. Nachdem er sich trocken gerubbelt hatte, schlüpfte er in seine Jogginghose und in ein T-Shirt, bevor er das Handy wieder aufnahm und seine Brille aufsetzte. Phichit hatte ihm geschrieben, dass es vermutlich eine Stunde später werden würde, daher überlegte er kurz, ob er noch eine Runde joggen sollte. Aber eigentlich war er zu müde dafür. Aus der kleinen Schale Obst, die sie auf dem Küchentisch stehen hatten, holte sich Yūri einen Apfel, um seinen Hunger bis Phichits Ankunft zu überbrücken. Er schaute sich kurz in der Wohnung um und überlegte. Im Prinzip hatte Yūri keine Zeit verloren, Phichit würde aufgrund der Verzögerung immer noch ungefähr zwei Stunden benötigen, bis er nach Hause kam. Spontan fuhr er seinen PC hoch und öffnete das Programm der Hotline. Er setzte das Headset auf und nahm wieder das Buch über das Eintauchen einer virtuellen Welt auf und legte sich damit ins Bett. Er war noch nicht wirklich weit gekommen, vor allem, da noch immer der Funke nicht übergesprungen war. Aber er sah es auch nicht ein, das Buch ungelesen weiterzugeben.
 


 

Victor streckte sich auf dem Sofa, er hatte beide Hände in die Luft und wiegte seinen Oberkörper erst nach links und dann nach rechts. Seine Schultern knacksten, er hatte zu lange über dem Manuskript gekrümmt gesessen. Doch er war zufrieden. Alan hatte alle Kritikpunkte gut umgesetzt und so konnte er es guten Gewissens für die nächsten Arbeitsschritte freigeben. Wenn nun nichts mehr schief ging und keine gröberen Fehler mehr zurückgemeldet wurden, würden sie das Erscheinungsdatum einhalten können. Das gab Victor wiederum die Möglichkeit, sich noch ein paar Werbemaßnahmen einfallen zu lassen. Vielleicht konnte er Alan dieses Mal dazu überreden, die ein oder andere Autogrammstunde oder sogar eine Lesetour zu machen. Im Umgang mit seinen Fans war er erstaunlicherweise nämlich immer nett und zuvorkommend. Vermutlich musste er deswegen alle Gemeinheiten an Victor rauslassen.
 

Auch mit der Autorin der 'Erwachsenenliteratur' hatte er heute einen Termin vereinbart. Er war gespannt, was für eine Person dahinter steckte. Vor allem war er aber auch auf die Geschichte hinter diesem Werk gespannt. Beim Lesen hatte er das Gefühl, als wären sehr oft einzelne Abschnitte geändert worden, ohne groß einen Zusammenhang hinunterzuschreiben. Vermutlich hatte sie schon einige Verlage das Manuskript vorgelegt und anhand ihrer Änderungswünsche angepasst, nur um dann doch eine Absage zu erhalten. So war das Geschäft heutzutage und Victor war sich sicher, dass gerade im Bereich Erotik, und dann noch bei gleichgeschlechtlicher Erotik, das Budget der Verlage knapp bemessen war. Victor musste schmunzeln, denn waren nicht immer mehr diese 'Boys Love'-Manga im Kommen? Er hatte einmal gelesen, dass sie in Japan schon seit Ewigkeiten beliebt waren und vornehmlich für weibliche Leser gemacht wurden. Und nun schwappte diese Welle mehr und mehr auch in andere Länder über. Tatsächlich hat er den ein oder anderen dieser Manga gelesen. Eine sehr fachkundige Verkäuferin hatte ihm sogar einige 'Bara'-Titel gezeigt, die tatsächlich mehr von und für Männer waren, die Männer liebten. Er fand jedenfalls beides unterhaltsam.
 

All die Gedanken brachten Victor wieder zu einem Thema, das immer wieder ungefragt in sein Gedächtnis kam. Ungebeten und hartnäckig, krallte es sich in seinem Kopf fest und blieb dort, wie ein penetranter Ohrwurm. Eigentlich war es ja kein Thema, sondern eher eine Person. Yūri. Ein kleines Lächeln stahl sich auf Victors Lippen, als er fast hörte, wie er seinen Namen aussprach. Es war nicht rein amerikanisch, soweit war er sich sicher. Etwas Asiatisches vielleicht? Er war sich da nicht sicher, da er diese Akzente selten hörte. Vielleicht sollte er Hisashi mal fragen? Doch er lebte schon zu lange in Amerika, sodass er nur noch unsauber sprach, wenn er betrunken war. Aber vielleicht war das die Idee? Victor lachte über sich selbst. Vielleicht sollte er Yūri einfach noch einmal ansprechen und fragen? Immerhin hatte er sich schon viel zu lange nicht mehr gemeldet.

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus

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Ankunft

"Hey, hast du das auch schon von Leo gehört?", fragte Yūri und legte sein Handy auf den Tisch, nachdem er die Nachricht gelesen hatte. „Nein, was?“, Phichit blickte kurz vom Block auf, auf dem groß 'Checkliste' stand. „Am Wochenende ist ein Juniorenwettbewerb außerhalb der Wertung. Deswegen wird er wieder in der Stadt sein und fragt, ob wir zuschauen wollen“, erklärte Yūri. „Am Wochenende? Ich muss mal schauen. Habe zwar keinen Dienst, aber ich muss mein Zeug ja noch alles fertig gepackt bekommen und so.“ „Phichit, die fliegst erst in 12 Tagen! Bis dahin wirst du doch wohl alles zusammen bekommen!“, Yūri schüttelte fassungslos den Kopf. „Ich darf nichts vergessen! Das wäre das Ende! Außerdem sind es am Wochenende nur noch 10 Tage!“, echauffierte sich sein Freund und hob die Hände. „Die Unterlagen wird doch dein Chef zusammenpacken. Du musst nur deine Sachen packen“, Yūri wusste, dass Phichit jemand war, der ungefähr eine Woche vor Abreise schon auf gepackten Koffern saß. Das fand er auch irgendwie lustig, aber dass er bereits Tage zuvor hektisch durch die Gegend lief, war die Kehrseite der Medaille.
 

„Aber was ist, wenn ich nicht genug Hemden einpacke? Und dann stehe ich am letzten Tag im T-Shirt auf der Matte?! Das wäre eine Katastrophe“, Phichit schüttelte vehement den Kopf, während er 'Unterwäsche' auf seine Checkliste schrieb. „Phichit?! Du wirst Monate da bleiben! Du kannst gar nicht für jeden Tag ein Kleidungsstück mitnehmen, weil das dein Kleiderschrank gar nicht hergibt! Außerdem kannst du das immer noch waschen!“, Yūri wusste mit einem Mal nicht, ob er lachen oder weinen sollte. „Schau mal, wenn du etwas vergisst oder noch brauchst, kann ich dir das ja auch einfach per Post schicken. Das dauert maximal zwei Tage, dann ist es da. Du bist ja nicht in Bhutan! New York ist pratkisch um die Ecke.“ Phichit schaute ihn mit großen Augen an. „Das würdest du tun?“, fragte er, worauf Yūri die Augenbrauen zusammenzog. „Nenne mir einen guten Grund, es NICHT zu tun.“
 

Phichits Mine hellte sich merklich auf, als er förmlich auf die Füße sprang und Yūri an sich drückte. „Du bist zu gut für mich! Wie eine Mutter, nur ohne Brust!“, lachte er. „Pass auf, dass ich dir gleich nicht den Arsch versohle“, brummte Yūri wegen der ganzen übertriebenen Art. „Also kommst du am Wochenende mit?“ „Klar, stand doch nie etwas anderes zur Debatte. Ich wollte nur ein wenig Jammern“, lachte Phichit, während Yūri versuchte gegen den Drang, seinen Kopf gegen den Küchentisch zu hämmern, zu kämpfen. „Irgendwann werfe ich dich mal raus. Ehrlich“, schnaubte Yūri und stand auf, nachdem ihn Phichit losgelassen hatte, wohl in der Angst, gekniffen zu werden oder ähnliches. „Ich liebe dich auch, Yūri. Bin mal in meinem Zimmer, einige Sachen zusammenpacken. Immerhin fehlen mir am Wochenende zwei wichtige Tage. Tu zwischenzeitlich nichts, was ich nicht auch tun würde. Es sei denn, du willst noch etwas Geld verdienen. Dann mach...“, Phichit suchte nach Worten. „Viel Erfolg dabei. Ich will nichts hören!“ Yūri lachte, während sein Mitbewohner durchs Wohnzimmer in Richtung seines Zimmers ging. „Keine Sorge, ich wollte mich noch ein wenig mit dem System der IT-Firma vertraut machen, damit ich meinen ersten Einsatz morgen nicht versaue.“ Daraufhin erschien Phichits Kopf wieder im Türrahmen. „Gute Einstellung. Überlass die Perversen sich selbst, die können sich auch anderweitig beschäftigen!“ Damit war er endgültig verschwunden.
 

Kopfschüttelnd setzte Yūri die Brille ab und rieb sich mit der freien Hand über das Gesicht. In solchen Momenten wünschte er sich manchmal, alleine zu wohnen. Andererseits wäre es alleine vermutlich viel zu langweilig. Er konnte nicht behaupten, dass er sich auf die Zeit alleine freute, aber auf der anderen Seite hatte er auch nichts gegen ein wenig Ruhe einzuwenden. Er konnte seinen Tag selbst planen und musste auf niemanden Rücksicht nehmen. Außer, dass er Phichits Hamster füttern musste. Er konnte kochen, was er wollte und generell das machen, wonach ihm der Sinn stand. Das hieße auch, dass er mehr joggen gehen konnte, da Phichit nicht rummaulte, dass er nicht alleine zu Abend essen wollte. Auf der Schattenseite war jedoch, dass er alleine essen musste. Das war eine Sache, die Yūri mit der Zeit wirklich zu schätzen gelernt hatte, auch wenn es manchmal mit ihren Tagesplanungen kollidierte. Sein Handy klingelte wieder und als er die kurze Nachricht gelesen hatte, musste er unweigerlich grinsen. Mari hatte für ihre Eltern einen Computer herrichten lassen, sodass sie über Skype reden und sich auch sehen konnten. Vielleicht sollte er einfach das Kennenlernen des Ticket-Portals seiner neuen Firma hinten anstellen und seiner Familie 'Hallo' sagen.
 


 

Genießend lehnte sich Victor in seinem Bürostuhl zurück. Er ließ die reichhaltige Schokolade auf seiner Zunge zergehen, suchte nach dem gesalzenen Karamell und stieß ein wohliges Seufzen aus, als er die salzige Süße schmeckte. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er versuchte, den Moment soweit wie möglich hinauszuzögern, die zerkaute Masse hinunterzuschlucken. Als er wieder die Augen öffnete, fuhr er ein wenig zusammen, als er einem breiten Grinsen erblickte. „Ist das so ein Karamell-Muffin, von dem du erzählt hast?“, fragte Emil. „Brownie. Mit gesalzenem Karamell, ja“, korrigierte Victor, doch er ahnte schon, was kommen würde. „Darf ich ein Stück?“ Victor unterdrückte ein Seufzen und das „Nein“, welches schon auf seiner Zunge kribbelte. Emil hatte während seiner Krankheit das Meiste seiner Arbeit aufgefangen. Es wäre unkollegial, wenn er das nun ablehnen würde, richtig? „Klar, weil du es bist“, Victor stand auf und ging zu einem niedrigen Schrank am Eingang seines Büros. Dort war neben einer Kaffeemaschine, einem Teekocher und allen möglichen Zubehör, den er zum Kaffee- oder Teezubereiten benötigte, auch einige Löffel.
 

Mit dem Löffel teilte er den Brownie in der Mitte und noch bevor er ihn aus der Hand gelegt hatte, griff Emil schon nach seinem Stück und bis einen ordentlichen Teil ab. Dann begann er mit großen Augen an zu kauen. Und zu kauen. Und zu kauen. Victor grinste schelmisch, stand erneut auf, um seinem Kollegen ein Glas Wasser zu holen. Es dauerte eine Weile, bis er seinen Mund leeren konnte und trank danach direkt seinen großen Schluck. „Heilige Scheiße, ist der mächtig. Was ist da alles drin?“, wollte er wissen. „So genau kann ich dir das auch nicht sagen, aber auf ein halbes Backblech kommt wohl je eine Tafel mit 50 und 70 % Kakao und noch einmal Backkakao und ein Päckchen Butter oder so. Ich habe mal nach dem Nährwert gefragt, als ich noch etwas intensiver Sport gemacht habe. Die Antwort von der Besitzerin des Cafés war 'so genau möchten sie das gar nicht wissen, glauben sie mir'. Und ich glaube, sie hat vollkommen recht“, er lachte. „Aber verdammt gut, auch das Karamell“, nickte Emil begeistert. „Ich würde mich nicht beschweren, wenn es weniger Schokolade und mehr Karamell wäre“, grinste Victor und Emil lachte. „War ja klar.“ Victor zuckte mit den Achseln, denn was sollte er schon sagen? Immerhin wusste auf dieser Etage jeder, dass man ihn jederzeit mit gutem Karamell ködern konnte.
 

„Und was gibt es Neues?“, fragte Emil, bevor er noch einen, diesmal kleineren, Bissen vom Brownie nahm. „Keine Lust auf Arbeit?“, stellte Victor eine Gegenfrage und erntete darauf nur ein schiefes Grinsen. „Mein Ziehbruder kommt heute. Er hat einen Wettkampf in der Stadt. Bin mal gespannt, wie wir klar kommen“, mehr wusste Victor eigentlich nicht zu erzählen. „Dein Ziehbruder? Ich dachte, du hast nur noch einen Cousin?“, fragte Emil verwirrt. „Er ist beides. Sein Opa hat ihn eigentlich aufgezogen, aber der hat es schon eigentlich immer mit dem Rücken und so war das nicht immer einfach für ihn. Da der Sport auch hier ganz gut unterstützt wird, hat meine Tante sich angeboten, ihn auch aufzunehmen. Ich denke, sie hatte auch die Hoffnung, dass er den Weg seines Onkels folgen und ebenfalls zum Verlag kommen würde.“ Emil nickte verstehend, fragte dann jedoch: „Macht er aber nicht?“
 

„Gut erkannt. Ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Schon alleine deswegen, weil es der Wunsch unserer Tante ist. Aber reicht schon, wenn nur einer von uns die eigenen Träume begraben musste“, seufzte er. „Das heißt, das ist nicht dein Traumberuf?“, die Frage war neugierig, aber auch überrascht. Vielleicht sogar ein wenig geschockt. Victor winkte ab. „Für mich waren Bücher schon immer toll. Ich konnte mich in Fantasiewelten zurückziehen, wenn ich wollte und alles drum herum vergessen. Auch wenn es nicht mein Traum ist, ist es dennoch ein Privileg, das machen zu dürfen. Außerdem sind manche Träume einfach nicht realistisch. Soll mein Cousin sich daran versuchen“, Victor lächelte, doch er schaffte es nicht ganz, die Wehmut zu überdecken. „Realistisch oder nicht, das weiß man oft nur, wenn man es versucht hat“, sinnierte Emil. „Aber wenn du mich so fragst, es wäre auch nicht mein Traum, Redakteur für Alan Aaronovitch zu sein“, lachte er nun und Victor stimmte mit ein. „Wohl wahr.”
 

Emil war kaum gegangen, als seine Tür aufgerissen wurde und ebenso brachial wieder ins Schloss fiel. Victor schaute von seinem Monitor auf um zu sehen, wer ihn da derart unhöflich aus der Arbeit riss. „Yuri!“, freute er sich. „Du bist früh dran“, er stand auf und breitete die Arme aus, doch Yuri trat nur an ihm vorbei und ließ sich auf das weiche Ledersofa fallen, das auf der Längsseite des Raumes stand. Sofort legte er seine Füße auf den gläsernen Couchtisch. „Hab's keine Sekunde länger ausgehalten, bei der blöden Schlampe“, brummte Yuri verstimmt. Victor stützte seine Stirn ein wenig mit der Handfläche ab und seufzte tief. „Würdest du mich bitte erst einmal vernünftig begrüßen und deine Füße vom Tisch nehmen?“, seine Stimme klang schon deutlich genervt. „Du bist echt ein alter Spießer geworden.“ „Nein, es sind nur Büromöbel und für gewöhnlich serviere ich dort Autoren Tee oder Kaffee. Also haben deine Füße da nichts zu suchen“, erklärte Victor so geduldig, wie es ihm möglich war. „Fein“, schnaubte sein Cousin, doch von einer ordentlichen Begrüßung fehlte weiterhin jede Spur.
 

Victor blieb noch eine knappe Minute dort stehen, aber die Stille zog sich zwischen den beiden. Schlussendlich drehte sich Victor wieder zum Schreibtisch und begab sich wieder an die Arbeit. Yuri hingegen starrte weiter die Wand an, als könnte alleine sein Blick Löcher in die Wand reißen. „Was hältst du davon, kurz Onkel Yakov zu grüßen? Ich mache hier noch etwas fertig und dann kann ich in einer halben Stunde Feierabend machen“, schlug er ungefähr eine halbe Stunde später vor. „Schön“, Yuri stand auf und ging aus dem Raum, noch bevor Victor fragen konnte, ob er den Weg kannte. Aber es war nicht das erste Mal, dass er im Verlag war, erinnerte sich Victor, daher begab er sich direkt wieder an die Arbeit. Pünktlich auf die Minute, eine halbe Stunde später, stand Yuri wieder im Raum. „Bist du endlich fertig?“, fragte er ungeduldig. „Hast du es so eilig?“, fragte Victor, der gerade noch zwei Manuskripte in seine Tasche gestopft hatte. Doch er bekam nur ein Schulterzucken als Antwort.
 

Das konnte ja heiter werden, seufzte er innerlich. Dass ihre Beziehung seit seinem Auszug deutlich abgekühlt war, wusste er ja, aber dass Yuri es ihm so schwer machen würde, hatte er nicht erwartet. „Meine Nachbarin hat uns heute Abend zum Essen eingeladen“, plauderte Victor im Aufzug. Er hatte die Hoffnung, dass er so vielleicht ein wenig lockerer wurde. „Ah. Bloß keine Zeit mit mir verbringen. Abschieben war schon immer eine Kunst von dir“, murrte dieser. „Du weißt ebenso gut wie ich, dass das nicht wahr ist. Was sollte ich machen? Zum Studieren konnte ich nicht da bleiben und jetzt zum Arbeiten noch weniger“, rechtfertigte sich Victor kopfschüttelnd. „Du wolltest bloß weg“, kam es bitter von Yuri. „Es war ein positiver Nebeneffekt, ja. Aber auch wenn ich es nicht gewollt hätte, es gab keine andere Lösung“, er blickte seinen Ziehbruder von der Seite aus an. „Du hättest einfach weiter Eiskunstlaufen können“, sagte er, ohne ihn anzuschauen. „Ja, hätte ich. Und mit was für einem Ergebnis? Seit dem Tag an dem jeder von uns zu Jewdokija gekommen war, haben wir gesagt bekommen, dass einer von uns in Onkels Fußstapfen treten muss, ob wir wollen oder nicht. Sag bloß, du hättest den Job gewollt?“, schnaubte Victor und blickte Yuri scharf an. Yuris Blick war immer noch auf die Aufzugstür geheftet. „Yakov redest du mit Onkel an, Jewdokija aber nicht mit Tante“, bemerkte Yuri. „Als würdest du sie so nennen. Nicht, dass mir nicht auffallen würde, dass du sie nicht 'Dunjascha' nennst“, bemerkte Victor. Keiner der beiden hatte sie je mit ihrem Kosenamen angesprochen. Das wurde auch nur von dem verächtlichen Schnauben von Yuri unterstrichen.
 

Die Aufzugstür ging mit einem 'Bling' auf. „Jedenfalls kocht Aida wesentlich besser als ich. Und sie hat eine nette Tochter, die ungefähr in deinem Alter ist. Außerdem ist momentan auch Aidas Neffe da. Der ist vielleicht 2 Jährchen älter als du. Vielleicht versteht ihr euch?“, fragte Victor hoffnungsvoll. Immerhin fände er es nett, wenn er direkt ein wenig Anschluss hätte. Dass er insgeheim die Hoffnung hatte, dass Yuri vielleicht öfters mal zu Besuch kommen würde, konnte und wollte er noch nicht aussprechen, immerhin hatte er im Augenblick keine Ahnung, ob sie die Kluft zwischen ihnen jemals wieder kitten konnten. Vielleicht war es aber auch nur eine spätpubertäre Phase von ihm. Zumindest hoffte er das inständig.
 

Die Autofahrt verlief komplett schweigend. Victor wollte hier und da mal zu einem Gesprächsversuch ansetzen, aber unterbrach sich immer kurz davor. Nachdem er den dritten Versuch abgebrochen hatte, bevor er wirklich begonnen hatte, nahm er sich vor, in Ruhe zu Hause mit ihm zu reden. Im Auto konnte er sich immerhin auch nicht vollständig auf seinen Cousin konzentrieren. Als er die Wohnungstür aufschloss und Yuri hineinließ, blickte sich dieser missmutig um. „Wow. Was eine Bonzenhütte“, sagte er mit gelangweilter Stimme, doch dann blickte er sich suchend um. „Was?“, fragte Victor mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Wo ist Makkachin?”
 

“Ah, vermutlich hat ihn Katya ausgeführt. Aber sicher kommen sie gleich wieder. Möchtest du was trinken? Dein Zimmer ist den Flur entlang und die letzte Tür links”, erklärte Victor nun wieder fröhlicher, da es ihn freute, dass Yuri nach Makkachin gefragt hatte. “Wasser reicht”, meinte er und ging in das Gästezimmer, um seine Tasche abzustellen. Als er es jedoch scheppern hörte, kam er wieder zurück, nur um Victor kniend in der Küche anzutreffen. “Was machst du da?”, murrte er. Victor wollte gerade antworten, doch da klingelte es an der Tür. Yuri rollte mit den Augen. “Ich geh ja schon.” Mürrisch überbrückte er die wenigen Meter zur Eingangstür und öffnete diese. Makkachin kam ihm schon fröhlich bellend entgegen und sprang an ihm hoch. Victor beobachtete mit einem kleinen Grinsen, dass Yuri einen Moment brauchte, um seine Aufmerksamkeit auf die Person an der Tür zu lenken. “Ähm…”, er drehte sich fragend zu Victor um. “Das ist jetzt aber nicht diese Katya, oder?”

Kennenlernen

Während Otabek Yuri verwirrt anblickte, musste Victor lachen. Makkachin ließ von Yuri ab und lief fröhlich zu ihm, ließ sich ordentlich beschmusen. „Kannst du das glauben, alter Freund? Müssen wir jetzt noch unserem Ziehbruder beibringen, was Männlein und Weiblein ist“, kicherte er, während er Makkachins Ohren kraulte. „Das weiß ich sehr wohl!“, brauste Yuri auf. „Außerdem war ich mir nicht sicher, ob 'Katya' vielleicht irgendwo auch ein Name für Männer sein könnte oder Katya vielleicht eine Kampflesbe oder so ist“, rechtfertige er sich und wurde zum letzten Teil hin immer leise. „Was?“, fragte Otabek deutlich irritiert. „Nichts! Andrea ist ja auch in Italien ein Männername.“
 

Für Victor war es interessant zu sehen, wie Yuri gerade scheinbar ein wenig kleinlaut war. So hatte er ihn schon eine Weile nicht mehr erlebt. Ob das von der generellen, etwas einschüchternden Art von Otabek kam?, fragte sich Victor kurz. „Na, jedenfalls ist das Essen in 20 Minuten fertig, soll ich noch ausrichten. Ihr könnt also rüberkommen, wann ihr wollt“, damit ließ Otabek sie zurück. Yuri blinzelte verdattert, während er die Tür schloss und blickte zu Victor. Dieser hatte sich im Schneidersitz auf den Boden niedergelassen und kuschelte mit Makkachin, fast schon als hätte er ein übergroßes Plüschtier im Arm. „Was war das jetzt?“, wollte er wissen. Seine Stimme verriet immer noch Verwirrung, doch ist auch sein leicht aggressiver Unterton wieder zurückgekehrt. „Das war Otabek. Der Neffe von Aida und Cousin von Katya. Er wohnt während seinem Studium bei ihnen. Es gibt hier scheinbar eine sehr gute Uni für Musik. Wenn du mehr wissen willst, musst du ihn selbst fragen“, er kraulte nachdenklich Makkachin den Kopf, legte dann aber einen Finger an seine Lippen. Makkachin winselte im leisen Protest, als Victors Hand seinen Kopf verließ.
 

„Ach, Moment! Er meinte, er sei 'eher so der Katzenmensch'. Kannst du dir das vorstellen? Er wollte erst nicht mit Makkachin gehen! Aber jetzt, wo er den tollsten Hund der Welt kennt, sieht er das natürlich sicher anders! Nicht wahr?“, er wandte sich wieder Makkachin zu, blickte dann aber noch einmal auf. „Du solltest dich also zumindest da gut mit ihm verstehen. Vielleicht findest du hier einen neuen Freund“, grinste Victor und zwinkerte Yuri zu. Yuri hingegen entglitten wieder einmal alle Gesichtszüge. „Du gehst mir auf die Nerven. Ich geh jetzt mal duschen. Danach können wir zu denen gehen. Ich habe Kohldampf“, grummelte er, während er zu seinem vorläufigen Zimmer ging. Victor überlegte, ihn noch irgendwie aufzuziehen, aber verwarf die Idee dafür, sich selbst ein wenig frisch zu machen, bevor sie sich zum großen Abendessen aufmachten.
 

Es roch herrlich, als sie 15 Minuten später in der Wohnung von Aida, Katya und Otabek standen. „Es ist vielleicht ein wenig zu Klischeehaft, aber ich habe Boeuf Stroganoff gemacht“, sagte Aida nach der Vorstellung. „Es riecht fantastisch und gutes Essen ist gutes Essen. Danke, dass du dir so viel Mühe gemacht hast“, winkte Victor ab und war schon fast erleichtert, dass er beim Rausgehen noch die Idee hatte, eine Flasche von einem teuren Weißwein mitzunehmen, den er einmal von einem seiner Autoren geschenkt bekommen hatte, nachdem er einen Bestseller gelandet hatte. „Es gibt Kartoffeln oder Bandnudeln dazu, ich wusste nicht, was ihr lieber mögt. Wenn beides nichts ist, kann ich aber noch...“ „Aida, alles gut. Wir essen beides gerne. Oder Yuri?“, unterbrach Victor sie, da er nicht wollte, dass sie noch mehr Aufwand betrieb, nur weil ein Zögern ihrerseits falsch ausgelegt wurde. „Ja. Danke für die Mühen“, murrte Yuri, doch wesentlich freundlicher, als Victor es von ihm gewohnt war. Er grinste fröhlich. „Katya, Aida? Kann ich euch in der Küche helfen? Otabek und Yuri können sich weiter um den Tisch kümmern“, fragte er fröhlich und begann bereits, seine Hemdärmel hochzurollen. Seine Anzugsjacke hatte er schon zu Hause gelassen und trug nur noch die zum Anzug passende Weste.
 

Als er um die Ecke in die Küche kam, wuselten die beiden Frauen im relativ kleinen Raum umher. Er blieb im Türrahmen stehen, da er die beiden nicht behindern wollte, wollte aber auch gleichzeitig, dass Otabek und Yuri sich ungestört kennenlernen konnten, denn Victor wünschte sich tatsächlich, dass sie sich ein wenig anfreunden konnten. Vielleicht konnte er so auch ein wenig die Wogen zwischen ihm und seinem Cousin glätten. Er hatte zwar von Yakov erfahren, dass es Yuris Wunsch gewesen war, während des Wettbewerbs bei ihm zu wohnen, aber Victor argwöhnte, dass er einfach die besser Wahl zwischen Pest und Cholera gewesen war. Man konnte sich an zwei Fingern ausrechnen, dass es bei Victor lockerer zuging, als bei dem Onkel und Familienoberhaupt. „Bist du so gut und rührst den Salat um, Victor?“, Aidas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Victor stieß sich strahlend vom Türrahmen ab. „Aber natürlich! Gerne.“
 


 

Yūri hasste solche Abende. Abende, an denen er ein wenig sentimental war und niemand außer ihm in der Wohnung war. So ging es ihm oft, wenn er mit seiner Familie zu Hause gesprochen hatte. Zwei bis drei Tage danach hatte er immer ein wenig Heimweh, sehnte sich nach der heimischen, heißen Quelle und dem langen, entspannenden Bad. Damit konnte einfach nichts hier mithalten. Er hoffte wirklich, dass er durch seinen Job genug verdienen würde, dass er bald mal wieder einen Heimatbesuch machen konnte. Er wusste, dass seine Eltern ihm das Flugticket auch bezahlen würden, doch das wollte er nicht. Sie arbeiteten viel, um sich irgendwann einmal zur Ruhe setzen zu können. Seine Mutter wollte auch einmal die Welt sehen, wie sie ihm verraten hatte, als er seinen Eltern eröffnet hatte, dass er in Amerika studieren wollte. Sie war so stolz auf ihn, dass er den Schritt in die weite Welt wagte, auch wenn die mütterliche Sorge ihr natürlich ins Gesicht geschrieben war. Allerdings hatte sie immer ein unerschütterliches Vertrauen in Yūri gehabt. Mehr Vertrauen, als er je selbst in sich gehabt hätte. Aber das war vielleicht typisch für Mütter, wobei Yūri das nicht mit Sicherheit sagen konnte.
 

Nicht zum ersten Mal seit dem Gespräch mit seinen Eltern kam ihm der Gedanke, ob er vielleicht seinen Job an der Hotline weiterführen sollte. So könnte er sich die Reise sicherlich schneller leisten. Andererseits kamen auch bald wieder Prüfungen auf ihn zu und irgendwann war auch seine Belastbarkeitsgrenze erreicht. Außerdem würde er hier und da sicherlich noch die privaten Anfragen zu Computerproblemen bekommen, auch wenn er dann wahrscheinlich nicht mehr so flexibel sein konnte. In Gedanken hörte er schon, wie Phichit ihn ausschimpfte, er solle mehr auf sich achten. Yūri lachte über sich selbst. Phichit würde jetzt auch sagen, dass er sich einfach mal weniger Gedanken machen und alles auf sich zukommen lassen sollte. Er war froh, dass er einen Freund hatte, der ihn so gut durchschauen konnte. Sie kannten sich schon lange und durch seine Art hatte Yūri schnell das Gefühl bekommen, dass er sich nicht über seine Sorgen lustig machen würde. Zumindest nicht, wenn er merkte, dass Yūri das wirklich ernst meinte. Manchmal jedoch war Pichit, gerade wenn er darüber lachte, weil er dachte, dass es nicht ernst gemeint wäre, eine Hilfe für Yūri. Er machte sich einfach schon über Schritte 5, 6 und 7 Gedanken, bevor er den Ersten überhaupt gewagt hatte.
 

Doch im Moment konnte Phichit ihm nicht helfen. Er war noch auf der Arbeit und Yūri wollte ihn auch nicht stören. Er blickte sich ratlos im Zimmer um, in der Hoffnung etwas zu finden, mit dem er sich beschäftigen konnte. Sein Buch lag auf dem Bett, doch hatte momentan nicht sonderlich viel Anziehungskraft auf ihn. Er war zwar bereits im letzten Drittel, aber das Thema und der Schreibstil hingen ihm langsam zum Hals raus. Sein Blick blieb am Kleiderschrank hängen, dann blickte er zum Fenster. Es war noch hell genug und trocken. Kurzentschlossen stand er auf, zog seine Laufsachen an und war keine 5 Minuten später aus der Tür hinaus. Er schlug die altbekannte Strecke ein, während seine Playlist mit dem Titel Motivation durch seine Kopfhörer plärrte. Als er um die nächste Ecke bog, kam er an der kleinen Grünanlage vorbei, in der vor nicht allzu langer Zeit ein wirklich süßer Hund ihn für Streicheleinheiten angefallen hatte. Makkachin war sein Name, erinnerte sich Yūri mit einem kleinen Lächeln. Er mochte Hunde und diesen Pudel fand er besonders toll. Sollte ich vielleicht mal bei ihr klingeln und fragen, ob sie mal wieder gemeinsam Spazierengehen sollten?, fragte er sich kurz, schüttelte dann aber vehement den Kopf. Wie sah das denn aus? Das wäre wohl ein wenig zu peinlich.
 

Yūri durchquerte die parkähnliche Anlage und kam nicht umhin, sich zu fragen, wie viel Geld wohl eine Wohnung dort kostete. Phichit hatte mal gesagt, dass dort nur Eigentumswohnungen waren und kein einzelner Vermieter dahinter steckte. Das sprach ja wiederum dafür, dass die Bewohner dieses großzügigen Gebäudekomplexes nicht gerade am Hungertuch nagen sollten. Neugierig näherte er sich dem Gebäude und zählte die Klingelschilder. Es war ungewöhnlich, dass ein so breites Gebäude nur sechs Schilder hatte. Also mussten sich auf jeder Etage zwei Wohnungen befinden, denn er glaubte nicht, dass eine über zwei Etagen ginge. Katyas Wohnung war zumindest auf einer Etage und der Hauptwohnraum, eine Kombination aus Esszimmer und Wohnzimmer war groß, hell und geräumig gewesen. Einen Flur hatte er ebenfalls gesehen und war im großzügigen Bad gewesen. Eine große Badewanne, eine überdurchschnittlich große Dusche und zwei Waschbecken waren auch heutzutage in einer Standardmietwohnung eher selten vorzufinden.
 

Neben dem Namen den Yūri bereits an der Wohnung von Katya gesehen hatte, sprang ihm noch ein Name ins Auge: Nikiforov. Eigentlich fiel ihm der Name nur wegen den kyrillischen Schriftzeichen daneben auf. Nun fragte er sich, ob der Name 'Tursunbaj' russisch war und ob kyrillische Schriftzeichen in mehr Ländern als nur Russland verwendet wurden. Doch da er die Anlage schon wieder verlassen hatte, schob er die Gedanken weg. Er konnte nicht so verträumt durch die Gegend laufen, schließlich fuhren auf der Straße Autos und auf dem Gehweg konnten noch andere Leute außer ihm sein. Stattdessen lenkte er seine Gedanken auf unverfänglichere Dinge. Samstag am späten Nachmittag würde der erste Wettkampf von Leo anfangen. Er war gespannt, wie sein Freund im Wettkampf gegen andere Eiskunstläufer abschnitt. Außerdem freute er sich auf die Eishalle. Er war lange nicht mehr dort gewesen und fühlte ein leichtes Kribbeln der Aufregung, selbst wenn er nicht auf dem Eis stehen würde. Vielleicht sollte er mit Phichit mal wieder in die Eishalle gehen? Dann sollte er allerdings noch einmal neue Schuhe dafür kaufen, denn er konnte sich kaum vorstellen, in solche Mietschuhe zu schlüpfen.
 


 

Victor war fasziniert von der Wendung. Auch wenn Yuri und Otabek während dem Essen nur ein wenig über Musik gesprochen hatten, waren sie später in Otabeks Zimmer verschwunden, um irgendein Multiplayer-Spiel zu spielen. Auch während Victor am Vortag noch auf der Arbeit waren, hatten sie wohl irgendetwas unternommen. Und nun stand er in Victors Wohnung und sah... nun ja, nicht direkt interessiert aus, aber dennoch nicht ganz so genervt, wie Victor befürchtet hatte. Er konnte sich noch lebhaft daran erinnern, dass Otabek nicht sonderlich davon begeistert gewesen war, dass er mit zu einem Eiskunstlauf-Wettbewerb geschleppt wurde. Er hatte zwar gemeint, dass das an sich ein netter Sport sei, aber er besseres an dem Tag zu tun hatte. Und nun stand er dort, hatte noch ein paar Worte mit Yuri gewechselt, hauptsächlich so etwas wie 'viel Glück' und 'du packst das schon', und wartete nun darauf, dass sie losfuhren.
 

Yuri hatte gerade noch einmal seine Sachen durchgeschaut, um sicherzustellen, dass er alles dabei hatte und wollte gerade seine große Tasche schultern. Doch Otabek packte die Tasche und warf sie sich über die Schulter. „Ich mach das, schon deine Kräfte für den Wettkampf“, erklärte er knapp auf Yuris fragenden Blick hin. Dieser nickte, so etwas wie Dankbarkeit lag in der Geste. Victor war sich sicher, dass er das bei ihm nicht zugelassen hätte. Vermutlich hätte Victor irgendwelche dummen Sprüche sein Alter betreffend an den Kopf geklatscht bekommen. Yuri war ein überraschend ausgeprägtes Großmaul geworden mit einem reichhaltigen Wortschatz unterschiedlichster Schimpfwörter. Manche waren amüsant, manche gingen mehr als nur unter die Gürtellinie und Victor hoffte inständig, dass sein Ziehbruder seine Zunge in der Anwesenheit ihrer Tante zu zügeln wusste. Er zumindest hatte noch lebhafte Erinnerungen daran, als er seine Tante einmal als 'Arschloch' betitelt hatte. Seine Tante hatte ihm mit einem Teppichklopfer vermöbelt und dann für einen Tag in sein Zimmer gesperrt. Danach war er lieber raus in den Wald gegangen und hatte Bäume angeschrien, wenn er sich von seiner Tante ungerecht behandelt gefühlt hatte. Irgendwann war er sogar dazu übergegangen, bei trockenem Wetter auch ein Buch mitzunehmen und so lange wie möglich wegzubleiben.
 

Ein Gutes hatte das Ganze jedoch. Da seine Tante nicht wollte, dass Victor sich ewig lange alleine in den Wäldern herumtrieb, hatte er irgendwann von einem Züchter im Dorf einen Pudel bekommen. Makkachin. Der einzige Grund, warum seine Tante so viel Geld für einen Pudel ausgegeben hatte, war, dass diese nicht haarten und mit einer Fellschneidemaschine die Länge selbst kontrolliert werden konnte. Da Makkachin schon immer ein überdurchschnittlich braver Hund war, war das zum Glück nie ein großes Problem gewesen, denn Victor bezweifelte, dass seine Tante lange geduldet hätte, wenn das jedes Mal eine größere Nummer gewesen worden wäre oder sie für einen Hundefrisör, wie ihn Victor mittlerweile besuchte, hätte bezahlen müssen.
 

Als sich Yuri und Otabek zur Tür wandten, stand Victor von der Couch auf. Katya folgte aufgeregt seinem Beispiel, ebenso wie Aida, die leise über die Aufregung ihrer Tochter lachte. „Kind, du bist ja aufgeregter als Yuri“, stellte sie fest. „Ich war noch nie bei einem solchen Wettbewerb! Das wird so toll“, sie klatschte aufgeregt in die Hände, worauf auch Victor in Aidas Lachen einstimmen musste. Er warf einen Blick zu den beiden an der Tür und glaubte, aus den Augenwinkeln Yuri mit den Augen rollen zu sehen. Doch da es niemand sonst mitbekommen zu haben schien, sparte sich Victor die Ermahnung wegen der doch recht unhöflichen Geste. Trotz seiner anfänglichen Skepsis freute er sich mittlerweile auf den Wettbewerb. Vor allem mit so einer illustren Gruppe, würde ihm nicht langweilig werden. Er hatte das Gefühl, dass das Wochenende ihn mal ein wenig aus seiner doch ziemlich eingefahrenen Routine holen konnte.

Wettbewerb

Otabek trug auch nach Ankunft Yuris Tasche, hatte aber auch Katyas Rucksack über den Rücken geworfen. Katya hatte sich wiederum bei ihm untergehakt und pfiff fröhlich vor sich hin. „Erkläre mir noch einmal: Warum muss ich deine Tasche tragen?“, fragte Otabek etwas genervt, vermutlich von ihren etwas überdrehtem Verhalten. Yuri hingegen schaute schon seitdem sie vom Parkplatz losgegangen sind, als könnte er mit bloßem Blick Löcher ins Gebäude bohren. „Weil du mich mindestens genauso liebst, wie ich dich“, flötete Katya, was Yuris Blick nur noch finsterer werden ließ. Victor vermutete, dass es seinem Cousin gar nicht so recht war, die Aufmerksamkeit seines neugewonnen Freundes teilen zu müssen. Sie waren gerade durch die Türen der Eishalle gegangen, da schnappte sich Yuri schon seine Tasche von Otabek und verkündete, dass er jetzt los müsse. Es hatte gerade noch so gereicht, dass sie ihm noch einmal 'Viel Glück' hatten hinterherrufen können, ehe sie dann etwas ratlos da standen. „Gehen wir mal rein und suchen Plätze“, schlug Victor in die ratlose Stille hinein vor.
 

In dem Moment, in dem Victor den Vorraum verlassen und in die eigentliche Eishalle getreten war, atmete er tief durch. Er fand, dass Eishallen einen besonderen Geruch hatten und es roch irgendwie nach Zuhause. Auch die Kälte, die für andere eventuell etwas unangenehm war, fühlte sich für ihn irgendwie richtig an. Er konnte es nicht richtig in Worte fassen, aber er vermutete, dass es daran lag, dass er als Junge so viel Zeit auf dem Eis verbracht hatte. Als er zur Seite blickte, lächelte ihn Aida an. "Man könnte meinen, du fühlst dich hier heimisch. Warst du oft hier?" Victor schüttelte den Kopf. "Hier noch gar nicht. Aber ich bin früher auch gelaufen", erzählte er ihr. "Und warum hast du aufgehört? Nach 'keine Lust mehr' sah mir zumindest deine Reaktion eben nicht aus", schmunzelte sie. Victor musste über so viel Auffassungsgabe und Menschenkenntnis selbst schmunzeln. "Ja, stimmt", doch dann zuckte er mit den Achseln und steckte die Hände in die Taschen seines silbergrauen Anzugs. "Einer muss in die Fußstapfen meines Onkels treten."
 

"Ah und das wolltest du Yuri ersparen, ja? Du bist echt ein guter Kerl“, lächelte Aida mütterlich und erneut musste Victor sich über so viel Durchblick wundern. „Wo sollen wir uns hinsetzen?“, wechselte Victor das Thema und schaute sich in der Halle um, in der erst wenige Besucher waren. „Ich würde vorschlagen, dass wir uns auf die lange Seite der Bahn setzen und da ziemlich mittig, falls die Plätze nicht für irgendwelche Leute reserviert sind“, schlug Victor vor und erhielt ein Nicken von seinen Begleitungen. „Dann auf die Nordtribüne?“, er deutete auf eine der Tribünen. Hintereinander bahnten sie sich den Weg durch die Reihen aus Sitzschalen, bevor sie sich genau mittig von der Eisbahn niederließen. Sofort zog Aida eine Decke aus ihrer großen Handtasche und breitete sie über die Beine von Katya und ihr aus. Während Otabek augenrollend mit den Kopf schüttelte, lachte Victor vergnügt.
 

„An welcher Position startet Yuri?“, wollte Katya wissen. Victor nahm das Programm aus der Innentasche seines Sakkos und entfaltete die Broschüre. „An fünfter Stelle. Direkt hinter einem Amerikaner namens Leo de la Iglesia", las er vor, bevor er das Programm wieder sorgsam zusammenfaltete und einsteckte. Katya nickte und nahm ihren Rucksack ab, öffnete ihn und zog eine Kamera heraus. "Dann habe ich ja ein paar Läufe, um die Kamera zu justieren", lächelte sie. "Soll ich dir einen Platz an der Bande freihalten?", überraschte Otabek sie alle mit der Frage. Katya blinzelte ein paar Mal verwirrt, schüttelte aber dann mit dem Kopf: "Das kann ich nicht von dir verlangen." "Ach, das ist kein Problem. Ich würde dich auch um ein paar Bilder bitten", gab er murmelnd, aber doch für alle hörbar zu. Victor fiel alles aus dem Gesicht und Aida schaute ihn fassungslos an. Katya jedoch fand als erstes Worte. "Du willst Bilder von Yuri beim Eiskunstlauf?!", fragte sie ungläubig. "Ähm... Ja. Yuri und ich haben darüber gesprochen, dass er bald neue Lieder für seine Läufe braucht. Also habe ich meine Hilfe angeboten, aber da ich wenig Ahnung vom Eiskunstlauf habe, hilft mir vielleicht Bildmaterial", erklärte er.
 

„Aber deine Mutter hatte mir mal erzählt, dass du zumindest als Kind immer begeistert Eiskunstlauf im Fernsehen angeschaut hast und das unbedingt auch machen wolltest. Sie war unglaublich traurig, dass sie dir den Traum nicht erfüllen konnte“, überlegte Aida und Otabek sah tatsächlich kurz so aus, als sei er verlegen. „Das ist doch Ewigkeiten her“, winkte er schnell ab und schaute sich dann in der Halle um. Seine Geste sah für Victor so ablenkend aus, als wäre ihm das Thema wirklich unangenehm. Er musste sich ein Grinsen verkneifen. Er freute sich wirklich, dass Yuri jemanden gefunden hatte, mit dem er scheinbar recht gut klar kam. Sonst hätte sich Otabek sicher nicht zum Helfen bereit erklärt und andersherum hätte Yuri seine Hilfe nicht angenommen. Victor seufzte zufrieden. Er freute sich, wenn wenigstens mal ein Teil seines Plans funktionierte. Das war in letzter Zeit doch echt selten geworden.
 


 

Neugierig und voller Vorfreude blickte sich Phichit in der Halle um. „Yūri! Schau dich mal um!“, er hing fröhlich am Arm seines Freundes. „Ist das nicht schön, wieder in einer Eishalle zu sein?“ Yūri, der gerade die Augen geschlossen hatte, um den Geruch der Halle in sich aufzunehmen, wurde so jäh aus seinen eigenen Gedanken gerissen. „Ähm, ja. Dabei ist es gar nicht so weit. Wir hätten echt mal eine Runde hier drehen sollen“, sagte Yūri etwas schwermütig. „Und in die Fußpilz verseuchten Dinger vom Verleih steigen?“, Phichit zog eine angewiderte Grimasse. „Jetzt stell dich mal nicht so an, die werden gereinigt und desinfiziert“, seufze Guang Hong neben ihnen genervt. „Weißt du das? Und wie gründlich sind die?“, warf Phichit ein. „Ich hole mir bestimmt nicht irgendeine Krätze, nur weil irgendwer seinen Job nicht richtig macht!“ Yūri musste lachen, weil es ihm schon ein wenig aus der Seele sprach, aber auch, weil Phichit mal wieder alles überdramatisierte. „Also das mit der Krätze kann ich nicht beurteilen, du bist hier der Arzt, Dr. Chulanont“, scherzte Yūri und Phichit grinste bei dem Titel. „Aber abgesehen von alldem, wir haben alle mal auf Wettkampfniveau auf dem Eis gestanden. Ich glaube nicht, dass uns die Mietschlittschuhe wirklich Spaß machen würden“, seufzte er und sprach die Erkenntnis aus, die er bereits vor Kurzem beim Joggen gehabt hatte.
 

Sofort kamen ihm wieder die Gedanken in den Sinn, die er vor dem Gebäude von Katya gehabt hatte. Dabei musste er feststellen, dass einfach der Hund es ihm angetan hatte. Makkachin war wirklich ein sehr fröhlicher und aufgeweckter Hund. Er würde gerne mal einen längeren Spaziergang mit ihm machen. Unwillkürlich kam die Frage bei ihm auf, was für ein Hund Victor wohl hatte? Er erinnerte sich an die Situation, als Victor sein Handy holen wollte, um seine Durchwahl aufzuschreiben und sein Hund sich dann an ihm vorbei ins Schlafzimmer gedrückt hatte. Am Ende war eine wirklich schmutzige Badezimmerfantasie daraus geworden. Yūri lachte leise vor sich hin. Er versuchte sich die Situation vorzustellen. Welche Hunderasse würde wohl zu so einem Mann passen? Wie würde er Victor einschätzen? Er vermutete, Victor hatte immer alles unter Kontrolle und lebte ein sehr strukturiertes Leben. Doch irgendwas sagte ihm, dass er damit nicht unbedingt zufrieden war. Vielleicht kam das daher, dass es Victor immer zu erregen schien, wenn Yūri ihn mit der ein oder anderen Fantasie überraschte? Hatte er ihm nicht auch gesagt, dass er gute Überraschungen liebte?
 

Bevor Yūri noch ein peinliches Erlebnis mit seiner Hose mitten in einer Eishalle bei einem Wettkampf eines guten Freundes hatte, lenkte er seine Gedanken wieder auf die Frage, was für ein Hund Victor haben konnte. Leider wusste er nicht, ob sein Hund einfach nur vorbei gehuscht war oder ob er sich mit Kraft den Weg freigemacht hatte. So konnte er sich nicht auf kleine oder große Hunderassen beschränken. Aber irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass Victor einen Chihuahua hatte. Oder einen Malteser. Andererseits vermutete Yūri, dass Victor sehr modebewusst war. Waren nicht diese Nackthunde beliebt? Chinese Crested oder wie sie hießen? Yūri schüttelte sich. Er hoffte nicht, dass das der Fall war. Daher schloss er einfach mal aus, dass Victor einen kleinen Hund hatte. Da sie in Amerika waren, hatte er vielleicht einen amerikanischen Cocker Spaniel? Oder war er dieser Typ Mensch, der einen Labrador hatte? Vielleicht lebte er aber auch in einer der kälteren Regionen Amerikas. Vielleicht in Alaska und er hatte einen Husky? Als Russe würde er sich zumindest von der Temperatur dort wohlfühlen.
 

Vielleicht mochte er es aber auch eher extravagant und hatte eine dieser Windhunderassen. Saluki oder Galgo Espanol, glaubte er, hießen sie. Letztens hatte er erst einen Bericht über Windhunde gesehen. Irgendwie hatte er da immer das Bedürfnis, Futter zu spenden. Oder es war ein Neufundländer. Yūri musste lachen, als er sich vorstellte, wie man mit einem solchen Hund im Bett umgehen musste. Da musste man sicherlich ein riesiges Bett haben, um nicht auf dem Boden zu landen. Aber es gab doch auch eine russische Rasse von Großhunden. Er überlegte angestrengt. Barsoi. So war der Name. „Yūri, schau! Es geht los“, wurde er von Phichit erneut aus den Gedanken gerissen und zuckte zusammen. Erst jetzt stellte er fest, dass er bereits auf den Rängen saß. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er einfach nur noch mitgelaufen war. Das war ihm jetzt tatsächlich etwas peinlich. „Wie viele Eiskunstläufer treten heute an?“, wisperte Yūri zu Phichit, während die Musik des ersten Läufers begann. „Insgesamt sind es Sechs. Nach dem 3. Läufer machen sie noch einmal die Bahn und es gibt eine kleine Pause mit Rahmenprogramm. Dann kommt Leo und danach ein russischer Läufer, der hier in Amerika trainiert. Und dann noch wer, den ich nicht kenne“, lachte Phichit.
 

„Ist das mittlerweile normal? Also die Pause? Kann mich gar nicht daran erinnern… War ich zu nervös, um das mitzubekommen?“, Yūri runzelte die Stirn. „Nein, aber der Wettbewerb dieses Wochenende ist ja auch mehr Schaulaufen und so. Das ist ja kein ernstzunehmender Wettkampf. Angeblich dient das mehr zur Nachwuchsgewinnung“, Phichit zuckte mit den Achseln. „Und dann treten Läufer aus anderen Ländern an?“, fragte Yūri ungläubig. „Nun ja, hier leben auch viele Menschen aus anderen Nationen. Und die anderen Läufer können schauen, wo sie vor der neuen Saison stehen“, argumentierte Phichit, ohne die Augen von dem Läufer zu nehmen. „Ja, du hast wohl recht“, damit fokussierte er sich auf den Eiskunstläufer, der kurz vor dem Finale seines Auftritts war. In Situationen wie diesen vermisste er das Eis unglaublich. Er fragte sich, was passiert wäre, wenn er sich den Schritt doch getraut hätte. Gab es vielleicht eine andere Welt oder eine andere Zeit, in der er das Zeug dafür gehabt hätte, um den Sieg mitzulaufen?
 


 

Victor verspürte Freude und Leid gleichermaßen. Sich in der Musik und den fließenden Bewegungen der Läufer zu verlieren, machte ihm nach wie vor Spaß. Er fragte sich, ob er es besser gemacht hätte und ob er diese Musik oder jene Figur so verwendet hätte. Er fragte sich, ob er glücklicher geworden wäre, wenn er nur an sich gedacht und mit dem Sport weiter gemacht hätte. Hätte er vielleicht jemanden gefunden? Oder wäre mit sich im Allgemeinen eher im Reinen? Andererseits, hätte er so Chris kennengelernt? Oder Yūri? Wobei, galt das überhaupt? Hatte er Yūri wirklich kennengelernt? Er gab sich gerne der Illusion hin, denn immerhin hatten sie Momente geteilt, über Dinge geredet, die vielen Paaren zu schmutzig waren, um sie vor einander auszusprechen. Wobei das Victor wirklich schade fand. Er sprach nur allzu gerne darüber, was er mit seinem Partner anstellen würde. Nicht, dass er bisher sonderlich viele Gelegenheiten dazu hatte, denn seine bisherigen Beziehungen, wenn man sie so nennen durfte, hatten nie wirklich lange gehalten.
 

Das Einzige, was relativ lange hielt, war das mit Chris. Und das war eigentlich nur so eine Freundschaft-Plus-Geschichte. Keiner von den beiden hatte das damals richtig ernst gemeint, aber sie hatten viel Spaß miteinander gehabt, denn Chris war ähnlich experimentierfreudig gewesen, wie es Victor war. Doch nach der Uni hatte er seine körperlichen Bedürfnisse weitestgehend hinten angestellt. Zwar hatte die ein oder andere Frau oder auch Mann ihn mal angetestet, aber gerade er wollte Berufliches und Privates strikt trennen. Neider gab es immer schnell und sein Partner würde das wohl voll abbekommen. Außerdem würde nach einer Trennung so vermieden, dass man schmutzige Wäsche wusch. Nicht, dass Victor der Typ dafür war. Immerhin war eine Trennung meist hässlich genug, aber die Verbitterung ließ manche Menschen komische Dinge tun. Und die Liebe erst recht. Zwei Dinge, die Victor nur allzu gut kannte. Das Einzige, was den Charakter von Menschen noch mehr vermieste, war Geld. Und als vermutlicher Verlagserbe war das auch noch ein ganz großes Thema. Wer wollte da nicht ein Stück vom Kuchen, wenn er die Möglichkeit hatte.
 

Victor seufzte und bedauerte, fast den kompletten Auftritt des zweiten Läufers verpasst zu haben. Er blickte kurz nach links und stellte fest, dass seine drei Begleiter wie gebannt auf das Eis starrten. Victor musste lächeln. Er fand es wundervoll, wenn man die Macht hatte, Menschen mit dem, was man tat, berühren zu können. War es nicht wunderbar, Menschen ein Lächeln auf die Lippen zaubern zu können, während man das tat, was man am Liebsten machte? Natürlich war soetwas mit viel Arbeit, Anstrengungen und oftmals auch Entbehrungen und Schmerzen verbunden. Aber machten nicht genau diese Momente soetwas wert? Victor beschloss, bei der nächsten Veröffentlichung Alan zu Signierstunden oder einer kleinen Lesetour zu verdonnern. Es wäre gute Werbung und auch Victor konnte endlich mal wieder ein wenig von diesem Gefühl tanken, an etwas gearbeitet zu haben, dass andere Menschen berührte. Nicht, dass es seine Ideen waren und er war sich auch fast sicher, dass er absolut ersetzbar war...

Wiedersehen

Als Otabek und Katya wieder auf ihre Plätze kamen, grinste zumindest Katya vergnügt. Otabek hatte einen doch recht grimmigen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Das riss Victor schlagartig aus seinen düsteren Gedanken. "Was schaust du so glücklich?", fragte Aida fröhlich, die den Wettkampf sichtlich genoss. Victor hatte sie selten mit so leuchtenden Augen gesehen. "Die Kamera ist eingestellt und alles passt. Nach der Pause können wir dann schöne Fotos von Yuri machen!", freute sie sich schon beinahe wie ein kleines Kind. „Was war da unten los?“, hakte nun Victor nach, da er gesehen hatte, wie Otabek mit einem anderen Fotografen diskutiert hatte und vermutete, dass dessen grimmige Miene darauf zurückzuführen war. „Ach, dieser Affe hatte mehr als genug Platz und war am Meckern, dass Katya dazu kam. Er meinte, das wäre kein Kindergarten und sie soll sich wieder dorthin verziehen, wo sie hergekommen ist“, grummelte er immer noch etwas aufgebracht. „Ich habe ihm dann mal Kindergarten gegeben“, schob er hinterher.
 

„Beka-Schatz!“, setzte Aida halb mahnend, halb bestürzt an und Otabeks Mundwinkel schoben sich noch ein Stück weiter hinunter bei diesem Spitznamen. Victor hingegen hatte alle Mühe, nicht drauflos zu lachen. „Du warst doch nicht ausfallend oder so?“, fragte sie. „Nein, nein, Mama! Er hat ihm nur klar gemacht, dass genug Platz wäre und er mir doch einfach einen Platz zuweisen soll, damit wir ihn nicht stören“, beschwichtigte Katya. „Seine pure Präsenz und sein Gesichtsausdruck haben gereicht. Als er die Arme vor der Brust verschränkt hat, war er ganz kleinlaut“, lachte Katya, Aida seufzte nur und rieb sich die Schläfen. „Wir haben Yuri Fotos versprochen, also bekommt Yuri Fotos“, schloss Otabek in einem Tonfall, der keinerlei Diskussionen mehr zuließ. „So amüsant das Gespräch auch ist, ich hole uns was zu trinken. Was möchtet ihr?“, fragte Victor mit einem schiefen Grinsen und stand auf. Nachdem er die Bestellungen aufgenommen hatte, sprang auch Katya auf. „Ich muss auf Toilette. Also begleite ich dich ein Stück! Dann kann ich dir auch gleich tragen helfen!“, bot sie in bester Laune an.
 

So gingen sie nebeneinander aus dem Innenraum der Halle. Es war recht viel los, aber die Schlangen an Toilette und Getränkestand waren nicht allzu lang. Also trennten sie sich und verabredeten als Treffpunkt den Durchgang, um wieder zu den Zuschauerrängen zu gelangen. Victor hing seinen Gedanken ein wenig nach, während er in der Warteschlange stand. Er überlegte, wann er das letzte Mal etwas Derartiges unternommen hatte. Wenn Chris in der Stadt war gingen sie schon immer mal wieder weg, aber dass er einen Wettkampf, Museum oder etwas anderes in der Richtung besucht hatte, kam ihm gerade nicht in den Sinn. Zumindest nicht seit Ende seines Studiums. Mit Chris war er oft noch abends oder am Wochenende in Ausstellungen gegangen. Da die Eltern von Chris in der Schweiz lebten, konnte er nie übers Wochenende nach Hause fahren und Victor hat das oft genug als Grund genommen, dass er nicht nach Hause fahren konnte. Nur ein paar Mal hatte seine Tante darauf bestanden, dass er nach Hause fuhr und einmal hatte er Chris mitgenommen. Das war grandios in die Hose gegangen, da sie mit seiner Art überhaupt nicht klar kam. Immerhin war sie eine erzkonservative ältere Frau. Engstirnigkeit war eine der vielen schlechten Eigenschaften bei dieser Frau.
 

Aber zu einem Eiskunstlaufwettbewerb waren auch sie nicht gegangen. Zwar hatte Chris auch den Sport in seiner Kindheit und Jugend ausgeübt, aber keiner der beiden hatten je den Wunsch geäußert, einen Wettkampf anzuschauen. Doch Victor konnte nicht sagen, ob Chris das selbst nicht gewollt hatte oder einfach gemerkt hatte, wie tief der Stachel vor allem damals gesteckt hatte, sodass der Gedanke für Victor teilweise zu schmerzhaft gewesen war. Er fragte sich, wie es wohl wäre, einen Partner zu haben, der auch diese Interessen teilte. Konnte er vielleicht irgendwann mal mit dem Menschen, den er liebte, zu einem solchen Wettbewerb fahren? Vielleicht sogar zu einem echten Grand Prix? Vielleicht Yuri unterstützen? Interessiert sich Yūri für Eiskunstlauf?, schoss es Victor plötzlich durch den Kopf und er wurde wirklich neugierig. Sollte ich ihn mal fragen? Versuchen, ein Gespräch bei einem ihrer Telefonate anzufangen? Durfte er das überhaupt? Andererseits konnte es doch der Firma eigentlich egal sein, so lange ich dafür zahle, oder?
 

„Ihre Bestellung bitte“, riss ihn die Stimme der Dame am Getränkestand aus den Gedanken. Schnell hatte Victor sich erholt und gab die Bestellung ab und blickte zur Seite, in die andere Schlange, die parallel zu seiner verlief. Geweitete, dunkle Augen starrten ihn von der anderen Seite aus an.
 


 

„Ach, Victor! Das ist ja ein Ding! Was machst du denn hier“, lachte Phichit etwas nervös. Verdammte Scheiße! Was macht der denn hier?, schoss ihm gleichzeitig durch den Kopf. Seine Augen glitten hastig umher. Yūri ist bestimmt noch auf Toilette. Bitte Gott, wenn es dich gibt, jetzt brauche ich dich! Gib alles!, sendete Phichit ein Stoßgebet in den Himmel. Victor legte den Kopf schief und schaute ihn fragend an. „Mein Cousin nimmt heute an dem Wettbewerb teil“, erklärte er. Die Art, wie Victor sprach, machte Phichit klar, dass er etwas über seine Art verwundert war. „Ach! Das ist ja stark. Ein Freund macht heute auch mit. Man! Ich glaube ich bin nervöser als er!“, lachte Phichit eine Spur zu laut und hoffte inständig, dass Victor ihm glaubte. Wieder blickte er an ihm vorbei zu den Toiletten, aber er hatte keinen freien Blick auf die sanitären Einrichtungen.
 

„Ach so!“, strahlte Victor. „Dann sind wir also zurzeit so etwas wie Konkurrenten“, er lachte und stemmte eine Hand in die Hüfte. Phichit nickte erleichtert. „Meine Begleitung macht Fotos. Soll sie auch Fotos von deinem Freund machen?“, fragte Victor und legte den Kopf schief. Begleitung? Victor war in Begleitung hier? War es dann wirklich der Victor? Ein Victor, der mit Begleitung auf ein Eiskunstlaufturnier ging, konnte unmöglich jemand sein, der regelmäßig bei einer Telefonsex-Hotline anrief, oder?, Phichits Gedanken drehten sich und er wusste nicht mehr, was er von der ganzen Sache halten sollte. „Ich kann sie dir dann gerne vorbeibringen. Du wohnst ja vermutlich nicht weit weg von mir?“, bot nun Victor weiter an. Das holte Phichit schnell aus den Gedanken. „Nein, nein! Nicht nötig! Wir haben selbst ein Fotoapparat dabei“, lehnte er hektisch ab. Unter keinen Umständen darf ich zulassen, dass er Yūri zu nahe kommt. Wie könnte ich ihn dann beruhigt alleine lassen? Victor lachte. „Du bist ja wirklich total aufgeregt“, zwinkerte er und Phichit konnte mit einem Mal nicht sagen, ob der andere ihm die Nummer abkaufte oder nicht.
 

Inzwischen hatten beide ihre Getränke bekommen, Victor in einem Becherhalter, damit er die 4 Getränke auch tragen konnte. Sie gingen langsam zu dem Durchgang, der am Nächsten zum Getränkestand, aber fast direkt vor den Toiletten, war. Phichits Herz hämmerte ihm bis zum Hals und er musste mehrfach schlucken. Er wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, als ihm ein fröhlichen „Victor! Hier bin ich!“ zuvor kam. Schnell kam eine junge Frau in Sichtweite. Phichit runzelte die Stirn. Es war schlecht zu schätzen, wie alt sie war, aber dennoch vermutete er, dass sie noch minderjährig war. Phichit schluckte. War das etwa einer dieser Typen? Er hatte doch schon die ganze Zeit gewusst, dass etwas mit diesem Kerl nicht stimmen konnte! Und wie recht er doch hatte. Vermutlich gehörte er auch zu dieser Sorte von Perversen, die darauf standen 'Daddy' genannt zu werden. Und gerade deswegen mit Mädchen ausgingen, die ungefähr halb so alt waren. „Ah, Katya! Du hast aber lange gebraucht“, stellte Victor lächelnd fest und bei Phichit drehte sich, wegen diesem väterlichen Lächeln, halb der Magen um.
 

„Tut mir leid! Ich habe noch jemanden getroffen, den ich kenne!“, lachte sie und hob eines der Getränke aus dem Halter. „Du scheinbar auch. Jemand vom Verlag?“, fragte sie und reichte ihm die Hand. „Hallo, ich bin Katya!“ „Nein, kein Kollege. Ich kenne auch Leute außerhalb der Arbeit“, lachte Victor leise. „Freut mich, ich heiße Phichit“, er nahm ihre Hand, wenn auch ein wenig widerwillig. Armes Ding, dass du auf so jemanden reinfällst, dachte er mitleidig. „Wir müssen los. Deine Mutter hat sicher Durst“, lachte Victor und verabschiedete sich von Phichit, der zurückblieb und seine Gedanken ordnen musste. Hatte er gerade Mutter gesagt? War Victor vielleicht Gerontophil? Färbte er sich die Haare grau, um für ältere Damen attraktiver zu sein? Phichit kam es jetzt nicht so vor, als wäre Victor ein typischer Boy Toy oder 'Opfer' eines Cougars. Allerdings würde das unter Umständen erklären, warum Victor regelmäßig bei Yuri anrief. Oder hatte er etwa was mit Mutter UND Tochter? Er wirkte wie ein schelmischer Kerl, vielleicht hatte er es faustdick hinter den Ohren?
 

„Tut mir leid, dass ich los lange gebraucht habe“, erklang Yūris Stimme hinter ihm und holte ihn aus seinen Gedanken. „Alles ok?“, fragte er danach, als er Phichits Gesichtsausdruck sah. „Ja, klar! Ich bin nur noch durchgegangen, ob ich auch alles auf meine Checkliste eingetragen habe“, lachte er und sah, wie Yūri mit seinen Augen rollte. Er hatte gewusst, dass das ziehen würde und der andere ganz schnell das Thema wechselt würde. Manchmal hatte es Vorteile, sein Gegenüber genau zu kennen, dachte Phichit erleichtert und setzte sich in Bewegung.
 


 

„Hatte ich dir davon erzählt gehabt, dass ich letztens von einem Hund umgeworfen wurde?“, lachte Yūri und blickte Phichit an, während sie in Richtung ihrer Sitzplätze gingen. Phichit nickte nur. „Ich habe sie eben vor der Toilette wiedergetroffen. Sie ist mit ihrer Mutter, Cousin und ihrem Nachbarn da, also dem, dem der Hund gehört. Er hat sie eingeladen als Dankeschön, dass sie immer mit dem Hund spazieren geht“, erzählte er. „Echt?“, fragte Phichit und Yūri merkte, dass einige Regungen durch das Gesicht seines Freundes gingen. Erleichterung, Verwirrung, Misstrauen? „Das ist aber nett!“, da war wieder Phichits gewohnt fröhliches Gesicht. „Du bist heute echt komisch“, schloss Yūri stirnrunzelnd. „Ich stehe unter Stress! Die ganze Packerei, die Arbeit und jetzt noch mit Leo mitfiebern! Das ist zu viel für meine zarte Seele“, scherzte Phichit. Das machte in Yūris Augen Sinn, immerhin stand viel für Phichit auf dem Spiel. Würden sie gut in New York abschneiden, hatten sie vielleicht die Möglichkeiten, mehr Forschungsgelder für das Krankenhaus zu erhalten.
 

Sie kamen gerade rechtzeitig bei ihren Plätzen an. „Man, was habt ihr so lange gebraucht?“, maulte Guang Hong. „Ich dachte schon, wir müssen euch ausrufen“, schob JJ ein. „Auch schon da, JJ“, stellte Phichit mit hochgezogener Augenbraue fest. „Sorry, ich musste immerhin noch arbeiten. Im Gegensatz zu euch, bin ich nicht ersetzbar auf der Arbeit und musste meine Kundinnen glücklich machen“, erklärte er mit breitem Grinsen. „Mensch, das hört sich auf so vielen Ebenen falsch an“, erklärte Guang Hong mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Nur weil ich Frauen beglücke und du nicht?“, konterte JJ. „Du machst es echt nicht besser“, Guang Hong hielt sich die Ohren zu und richtete seinen Blick fest auf die noch leere Eisbahn. JJ lachte laut und Yūri wusste mit einem Mal wieder, warum er nur Phichit von seinem Nebenverdienst erzählt hatte. Es gab wirklich nur zwei Szenarien, die er sich vorstellen konnte, die geschehen konnten, wenn es rauskam. Entweder würde sie, vor allem JJ, lachend auf dem Boden liegen und Yūri kein Wort glauben oder jeder würde Anmachsprüche von ihm verlangen und er wäre der neue Ansprechpartner für Liebesangelegenheiten jeglicher Art.
 

Beide Vorstellungen waren nicht nach Yūris Geschmack. Alleine die Vorstellung, mit einem Freund von Angesicht zu Angesicht über seine Arbeit zu sprechen, ließ ihm die Schamesröte ins Gesicht steigen. Selbst Phichit gegenüber sprachen sie die Sache nie direkt an. Wäre ja auch noch schöner, wenn Phichit reinkommen würde mit den Worten 'Na? Spielst du wieder Wichsvorlage für einen Perversen?' „Yūri? Alles ok? Du bist plötzlich so rot“, fragte Guang Hong. Spielerisch klopfte Phichit ihm auf den Rücken. „Unser kleiner Yūri hier hat eben eine hübsche Frau getroffen“, lachte er und Yūri riss die Augen auf. Doch JJ winkte ab. „Kann nicht sein, dass er deswegen rot ist. Oder war das ein Crossdresser? Das würde wieder Sinn ergeben“ Alle drei lachten und Yūri vergrub nur das Gesicht in den Händen. Zu seinem Glück wurden in diesem Moment die Lichter etwas gedimmt und der Wettkampf wurde fortgeführt.
 

Sie feuerten ihren Freund lautstark an und jubelten über jeden gestandenen Sprung, nur einmal hatte er auf das Eis greifen müssen, um einen Fall abfangen zu müssen. Doch im Großen und Ganzen sah er zufrieden aus, als er vom Eis ging und die Leute waren offensichtlich sehr zufrieden mit der Leistung des Lokalmatadors, der sich auf den ersten Platz geschoben hatte. „Jetzt kommt dieser Yuri Plit... Plisch... Verdammt“, kam es von Guang Hong. „Plisetsky“, korrigierte Phichit geduldig. „Der soll im Übrigen richtig gut sein“, erklärte er danach. Und er sollte Recht behalten. „Scheiße, so jung und schon so gut“, staunte Guang Hong bereits kurz vor dem Ende und erhielt nur ein Nicken der anderen. Tatsächlich war es ein fehlerfreier Lauf gewesen, womit er sich die vorübergehende Führung gesichert hatte. Mit fast 10 Punkten Vorsprung auf Leo.
 

„Jetzt muss Leo morgen Gas geben und dem blonden Bengel zeigen, wo der Hammer hängt!“, stellte Guang Hong klar. „Wir sollten ihn mehr anfeuern“, schlug Phichit vor. „Dann setze ich mich aber auf die andere Tribüne. Das wird mir zu peinlich“, murrte JJ. „Das ist die Chance, ihn loszuwerden!“, lachte Phichit und erntete nur ein Schnauben von JJ. Sie foppten sich gegenseitig und mussten dann feststellen, dass sie den letzten Läufer gar nicht wirklich mitbekommen hatten. Er reihte sich 2 Punkte hinter Leo in die Top 3 ein. „Kenjirō Minami“, wiederholte Yūri den Namen des Läufers noch einmal und überlegte. Doch dann fiel es ihm wieder ein. „Für seine Mutter repariere ich hin und wieder den PC“, sagte er, wie zu sich selbst. „Der Junge, der immer auf-“, setzte Phichit an, doch Yūri hielt ihm schnell die Hand vor dem Mund. „Nein, das war wer anderes“, sagte er etwas steif und seine Freunde fingen an zu lachen. Phichit klopfte ihm beschwichtigend auf die Schulter. „Lügen kannst du immer noch nicht.“

Die Zeit fliegt

Erschöpft ließ sich Yūri auf die Couch im viel zu stillen Wohnzimmer fallen. Nur eine kleine Lampe neben dem Fernseher brannte, sonst war es dunkel und still in der Wohnung. Wie die Zeit vergangen war. Gefühlt saß er eben noch neben seinen Freunden und hatte den Auftritt von Leo in der Detroiter Eishalle gesehen und nun saß er alleine in ihrer Wohnung. Er hatte gestern nach seiner Landung kurz mit Phichit telefoniert, seitdem aber nichts mehr von ihm gehört. Vermutlich hatte er in New York alle Hände voll zu tun. Trotzdem fühlte es sich komisch an, denn seit sie zusammengezogen waren, war keiner von den beiden mal alleine für eine Weile weg gewesen. Klar, Phichit hatte auch Nachtschichten gehabt, aber zu wissen, dass er erst einmal nicht nach Hause kam, und das für einige Monate, war eben doch irgendwie anders.
 

Yūri lachte leise über sich selbst. „Ich höre mich schon an, als wären wir ein altes Ehepaar...“, seufzte er grinsend und erhob sich. „Hamster füttern, duschen, gegessen habe ich schon...“, zählte er für sich selbst auf. Vor etwas mehr als einer Woche hatte er angefangen, auch alleine Aufträge anzunehmen. Während der Einarbeitung war sein neuer Kollege und Mentor sehr zufrieden mit ihm gewesen, was er auch an seinen Chef weitergegeben hatte. So konnte Yūri dann etwas früher als geplant auch alleine losziehen. Und trotz ein wenig Lampenfieber zu Beginn, war er schnell mit der Arbeit warm geworden. Tatsächlich so warm, dass er bereits seine frühere Stelle gekündigt hatte. Es war nun die erste Woche ohne seinen anrüchigen Nebenberuf und es fühlte sich eigenartig an, nicht abends noch zu arbeiten, wenn 'normale' Leute sich das Abendprogramm im Fernsehen ansahen.
 

Es ging sogar soweit, dass Yūri abends eher rastlos war. Das Fehlen von Phichit machte es nun nur noch schlimmer. Er wollte schon häufiger seine Freunde anrufen, vielleicht noch ein kleines Treffen organisieren, aber hatte immer wieder davon abgesehen, da sie ja auch zur Schule gingen und auch noch arbeiteten. Es fühlte sich einfach nicht richtig für ihn an, ihnen deswegen zur Last zu fallen. Doch was ihn am meisten beschäftigte, obwohl er sich das noch nicht ganz eingestehen wollte, war, dass er keine Chance gehabt hatte, sich von Victor zu verabschieden. Er hatte es sich fest vorgenommen. In diesen zwei Wochen hatte er es ihm sagen und warten wollen, was der andere aus dieser Information gemacht hätte. Er hatte von verschiedenen Szenarien geträumt. Hatte geträumt, wie Victor es abtat, als ginge es ihn nichts an oder auch, wie er ihn bat, sich doch einmal zu treffen. Es waren die wildesten Ideen dabei herausgekommen, doch schlussendlich blieb die Realität: Victor hatte nicht mehr angerufen.
 

Schon wieder lachte Yūri leise, doch nun war es eine Spur bitterer. Was hatte er sich denn auch gedacht? Ich könnte dich nicht vergessen... Yūri, hallte Victors Stimme in seinem Kopf. Ja, natürlich. Er war der professionelle Mitarbeiter in der Telefonsex-Hotline gewesen. Warum hatte ausgerechnet er sich etwas vorgemacht? Das war doch lächerlich. Yūri hätte sich für seine Gedanken am liebsten geohrfeigt. Stattdessen rieb er sich frustriert den Nacken, während er den Hamsterkäfig wieder verschloss und noch einmal nachschaute, ob auch tatsächlich keiner der drei Insassen ausbrechen konnte. Yūri nahm das Ganze zum Beweis, dass er für diesen Job von Anfang an nicht geeignet gewesen war. Immerhin war ihm das passiert, was normalerweise die Mitarbeiter mit ihren Kunden machen sollten. Nur hatte Yūri dafür Geld bekommen, in seinen Fantasien mit Victor einzutauchen. Auch nicht das Schlechteste, das musste er zugeben, aber dennoch – jetzt am Schluss – wahnsinnig unbefriedigend. Denn er hatte nichts, was er greifen konnte. Ihm blieben lediglich die Bilder in seinem Kopf. Kein Gesicht, an das er sich erinnern konnte, nur eine Stimme, die er dafür jedoch für immer in seinem Kopf abspeichern wollte.
 

Er hatte sogar mehr als einmal überlegt, den Job wieder anzufangen. Aber zwei Jobs parallel laufen zu lassen? Nein, da wusste er schon vorher, dass er das nicht schaffen würde. Doch manchmal erwischte er sich bei der Frage, ob Victor in der Zwischenzeit einmal angerufen und festgestellt hatte, dass Yūri nicht mehr dort arbeitete. Hatte er es überhaupt gemerkt? Oder hat er sich einfach mit dem nächstbesten ehemaligen Kollegen verbinden lassen? Hatte er genauso viel Spaß mit einem anderen? Vielleicht sogar mehr? Oder hatte er dann einfach aufgelegt? War er traurig gewesen? Oder hatte er bei einem anderen Trost gesucht? Mit Sicherheit, so oft wie er angerufen hatte... Es gab so viele Kollegen, wahrscheinlich hatte er sich einfach jemanden empfehlen lassen oder probierte sich jetzt fröhlich durch die Mitarbeiterschar. Vielleicht machte er sich auch eine Liste, um herauszufinden, wer sein Ersatz werden sollte?
 

Nun war Yūri wirklich kurz davor, sich zu ohrfeigen. Er wusste schon aus Erfahrung, dass wenn er noch länger die Gedanken zuließ, er unweigerlich in eine Spirale schlechter Gedanken versank. Am liebsten hätte er sich betrunken, denn für eine Runde Joggen war es nun schon viel zu spät. Er hatte Phichit versprechen müssen, im Dunkeln nur noch belebte Straßen zu betreten und da wollte er ganz sicher nicht durch joggen. Und obwohl Yūri wusste, dass Alkohol nie eine Lösung war, zumindest wenn man im nicht chemischen Sinne dachte, aber manchmal wollte er einfach seinen blöden Kopf mit den dazugehörigen Gedanken ausschalten. Doch dieses Vorhaben konnte er direkt schon wieder streichen, immerhin hatten sie kein Alkohol im Haus. Böse Zungen würden an dieser Stelle vielleicht behaupten, dass es daran lag, dass Yūri betrunken etwas... Munterer als sonst war. Und da sich Yūri dann am nächsten Tag immer wegen den Geschichten schämte, die seine Freunde ihm natürlich brühwarm unter die Nase rieben, war das für Yūri normalerweise auch vollkommen in Ordnung.
 

Normalerweise. Doch was war an seiner Situation aktuell schon normal? War es normal, dass sein Mitbewohner mindestens 3 Monate in New York war? War es normal, dass er sich nach jemandem verzehrte, den er beim Telefonsex kennengelernt hatte? Wobei er NICHT der Kunde gewesen war? Und was war schon normal...? Eine kalte Dusche war normal. Und dann würde er hoffentlich nicht mehr so viel Unfug denken. Er nickte vehement, als wollte er seinen Entschluss damit noch einmal unterstreichen und ging in Richtung Badezimmer. Wenn er fertig war, konnte er einmal versuchen, per Skype seine Familie anzurufen, immerhin waren sie ja 13 Stunden voraus und somit schon im Morgen. Ansonsten würde er sie einfach mal über das Festnetz anrufen. Ein Telefonat mit seiner Mutter hatte ihn schon so manche Sorgen vergessen lassen.
 


 

Während Makkachin fröhlich ins Wohnzimmer sprang, warf Victor elanlos die Leine über den Haken. Sein Handy verband sich automatisch wieder mit seinem Musiksystem in der Wohnung und die nächste melancholische Schnulze dudelte vor sich hin. Er war nicht in der Laune gewesen, eine seiner Playlists auszusuchen, stattdessen hatte er aus einer Laune raus die vorgeschlagene Playlist „Stimmung: Melancholie“ ausgewählt. Und so plärrten momentan Ry X, Damien Rice, Coldplay und Konsorten durch seine Lautsprecher auf ihn ein. Für seinen Geschmack viel zu laut, aber viel leiser ging auch nicht mehr und die Stille machte ihn noch wahnsinniger.
 

Dabei war am Anfang alles so gut gewesen. Yuri war bei dem Wettbewerb Erster geworden. Mit einigen Punkten Abstand sogar. Victor war so stolz gewesen, dass er sie alle noch zum Essen eingeladen hatte und sie hatten einen schönen Abend miteinander verbracht, hatten viel gelacht und geredet. Es hatte sich angefühlt, als seien sie alle eine normale, große Familie und das hatte Victors Herz warm werden lassen. Er hatte sogar gesehen, wie Yuri und Otabek heimlich ihre Nummern ausgetauscht hatten, was Victors Grinsen nur noch größer hatte werden lassen. Doch seit Yuri am Montag bereits wieder, sehr zum Widerwillen beider, abgereist war, fühlte sich Victors große Wohnung viel zu leer und viel zu leise an. Makkachin gab natürlich sein Möglichstes, um Victors Laune zu bessern, aber auch er stieß da an seine Grenzen.
 

Also hatte sich Victor in die Arbeit gestürzt. Alan Aaronovitchs nächstes Meisterwerk war an den Druck übergeben worden und er musste mit dem Exzentriker wieder einmal die Promotion seines Werkes ausdiskutieren. Es war immer wieder eine Kunst Alans Meinung 'Der Schinken verkauft sich so schon gut genug und wofür sollten wir eine 5. Fortsetzung bewerben? Wenn wer den ersten Band nicht hat, interessiert ihn die Fortsetzung einen feuchten Furz' und die des Verlags 'Bei dem Gehalt und den Prämien muss das Buch auf sämtlichen Bestsellerlisten auf Platz 1 stehen' unter einen Hut zu bringen. Natürlich wussten sie alle, die Wahrheit lag irgendwo dazwischen. Doch wenn man direkt an der Schmerzgrenze ansetzte, hatte man keine Möglichkeit, sich runterhandeln zu lassen, ohne dass es wirklich weh tat.
 

Doch die erhoffte Lesetour hatte sich Victor direkt abschminken können. Am Ende hatten sie sich darauf einigen können, dass der Laden, der die meisten Ausgaben innerhalb der ersten Woche verkaufte, eine exklusive Autogrammstunde gewinnen würde. Das würde alles relativ kurzfristig ablaufen, denn so etwas machte natürlich wenig Sinn, wenn dann das Buch bereits seit einem halben Jahr im Verkauf war. Und doch war es eine ziemlich gute Motivation für die Buchhandlungen, das Buch möglichst prominent zu platzieren, selbst zu bewerben und das Personal darauf aufmerksam zu machen. Immerhin wusste man, dass Alan Aaronovitch so gut wie keine öffentliche Auftritte absolvierte und somit konnte man sich denken, dass Fans aus dem ganzen Land zu diesem einen Laden gepilgert kamen. Zumindest hoffte das Victor. Alan hingegen, da war er sich ziemlich sicher, hoffte das genaue Gegenteil, damit er Victor mit seinem 'Hab ich es dir nicht gesagt?'-Blick anschauen konnte und ihm zukünftig bei allen Vorschlägen diesen einen Tag unter die Nase reiben konnte. Er konnte nicht in Worte fassen, wie sehr er sich den Erfolg dieser Aktion wünschte. Schon allein, um mit einem selbstzufriedenen Grinsen Alan anschauen zu können.
 

Aber nicht nur die Fortsetzung der Loch-Leven-Saga hatte ihn ziemlich eingespannt. Eine Grippewelle hatte gefühlt die halbe Redaktion ins Bett verfrachtet und so hatte er neben seiner eigenen, nicht geringen Arbeit, auch noch einige Dinge seiner Kollegen übernommen. Über zwei Wochen war er der Erste morgens auf der Etage und abends der Letzte geworden. Aus Mitleid hatte ihm Sarah sogar ab und an einen Caramel Macchiato vom nächsten Coffeeshop mitgebracht. Das war immer ein kleiner Lichtblick für ihn gewesen. So hat er sich durch Manuskripte, Designvorlagen, Autorenbesprechungen und Verlagsmeetings gekämpft und war abends total erschöpft ins Bett gefallen. Noch ehe er es wirklich verstanden hatte, waren 2 Wochen vorbei gewesen und plötzlich, als hätte jemand den Schalter umgelegt, waren alle wieder da gewesen und der Alltag war bei Feltsman Publishing eingekehrt.
 

Er hatte sich heute Abend zufrieden vor sich her summend in die Dusche geworfen, hatte sich mit ungefähr genauso guter Laune ein Abendessen zubereitet und dann war sein Blick kurz zum Telefon gewandert. Natürlich hatte er in den letzten zwei Wochen hier und da an Yūri gedacht. Er hatte schon einige wundervolle und vor allem befriedigende Momente geteilt, wie konnte er ihn da vergessen? Und auch 'hier und da' war sicherlich ein wenig untertrieben gewesen. Doch das war immer sein Bonbon gewesen. Sein Leckerli. Seine Belohnung, wenn er den ganzen Trubel durchgestanden hatte. Und dieser Tag, diese Belohnung hätte heute sein sollen. Wäre da nicht die Bandansage gewesen, dass diese Nummer nicht vergeben sei. Verwirrt und mit zusammengezogenen Augenbrauen hatte er die Hauptrufnummer gewählt und da war diese Auskunft, die ihm ein wenig den Boden unter den Füßen weggezogen hatte: „Bitte entschuldigen sie, aber Yūri steht nicht mehr zur Verfügung. Soll ich sie mit jemanden anderen verbinden? Ich könnte ihnen Gravin empfehlen.“ Gravin... Wer hieß schon Gravin?! Vor allem, wer wollte diesen komischen Gravin? Victor ganz sicher nicht. Er hatte einfach aufgelegt.
 

Wie im Schock hatte er sich erst versucht, mit Musik und Arbeit zu betäuben, doch dann war er mit Makkachin rausgegangen. Er wusste nicht, was ihn mehr ärgerte oder verwirrte, dass Yūri dort nicht mehr arbeitete oder es ihn so sehr beschäftigte. Und was war nun das Gefühl, das er nun hatte? Wut, Enttäuschung, Verwirrung? Doch noch bevor er seine Gefühle deuten konnte, kam ihm ein Gedanke, der alles nur noch schlimmer machte: Was ist, wenn Yūri ihn blockiert hatte? Immerhin hatte die Dame in der Zentrale 'nicht mehr zur Verfügung' und nicht 'arbeitet nicht mehr bei uns' oder so etwas ähnliches gesagt. Konnte das wirklich sein? Hatte er etwas falsch gemacht? Eine Grenze unbewusst überschritten? Angestrengt versuchte er sich das letzte Gespräch noch einmal in Erinnerung zu rufen. Doch ihm fiel nichts ein. Beim letzten Mal war Yūri selbst für ihn überdurchschnittlich aktiv gewesen. Das ganze Szenario war seines gewesen, Victor hatte sich nur allzu gerne, geschwächt von der Gegenreaktion der Impfung, fallen gelassen und hatte genossen. Und wie er genossen hatte.
 

Er konnte sich noch genau die Bilder vorstellen, wie Yūris Hände über seinen Körper gefahren waren und die schmutzigen Dinge, die er ihm ins Ohr geflüstert hatte. Ein erregtes Schaudern ging durch Victors Körper. Irgendwie fühlte sich Victor betrogen, doch auch die Sorge, dass er irgendetwas falsch gemacht hatte, nagte an ihm. Hatte er in der Ekstase des Höhepunktes etwas Unangemessenes oder Beleidigendes gesagt? Eigentlich war er nicht der Typ für so etwas, aber wenn man nicht ganz Herr seiner Sinne war, wie konnte man es wissen? Wie würde er es jetzt noch jemals herausfinden können? Er machte sich keine Illusionen. Er konnte vielleicht noch einmal in der Vermittlung der Hotline anrufen. Aber würden sie ihm eine Auskunft geben? Durften sie das überhaupt? Oder würden sie ihm vielleicht nur eine Lüge auftischen, damit er aufgab?
 

Die Gedanken hatten ihn den ganzen kurzen Spaziergang begleitet, an den er sich im Nachgang kaum erinnern konnte. Nun saß er auf seinem Sofa, das ihm in diesem Moment zu weich vorkam, in seiner Wohnung, die ihm bereits seit 2 Wochen zu leer und still war und fragte sich, wo er tatsächlich im Leben stand. Bisher war er der Meinung gewesen, dass er ein ziemlich erfülltes Leben hatte und gut klar kam. Natürlich hatte er zwischendurch oft genug bemerkt, dass er sich eigentlich nur etwas vorgemacht hatte, doch nun, mit einem Schlag, traf ihn die Wahrheit hart und unvermittelt. Im Grunde lebte nur für die Arbeit, sonst hatte er nichts.

Nicht sein Tag

Schon als der Wecker geklingelt hatte, war es Victor klar gewesen: Das würde nicht sein Tag werden. Doch auch wenn er es bereits geahnt hatte, wenn er gewusst hätte, was das Schicksal tatsächlich für ihn vorbereitet hatte, dann wäre er im warmen Bett geblieben. Doch er war völlig übermüdet aufgestanden, hatte sich zwei Finger beim Kaffee zubereiten verbrüht, sich beim Rasieren geschnitten, beim Kaffee trinken sein Hemd versaut, sich wieder umgezogen und dann viel zu spät auf den Weg zur Arbeit gemacht.
 

Natürlich konnte Victor nicht behaupten, dass nicht ein gewisser Mitarbeiter – oder Ex-Mitarbeiter – einer Telefonsex-Hotline der Grund dafür war. Eher im Gegenteil. Jeder, der auch nur ein klein wenig von dieser Tatsache abgewichen wäre, hätte gnadenlos gelogen. Aber Victor hatte es auch nicht geschafft, sich zusammenzureißen. Eigentlich war seine Hoffnung gewesen, seinen einzigen Termin am Morgen abzuwickeln und sich dann mit Arbeit nach Hause zu verdrücken, aber das hatte sich mit einem lauten Knall und Scheppern in Wohlgefallen aufgelöst. Stattdessen dröhnten seine Ohren und er blickte verwirrt in den Nebel. Er hatte ein Pfeifen auf den Ohren und alles lief wie in Zeitlupe ab. Und er hatte immer über die langsamen Bilder in Kriegsfilmen oder nach Explosionen in Actionfilmen die Augen gerollt. Nun wusste er, es ist real.
 

Seine Augen erfassten einen Schatten im Nebel, aber er konnte ihn nicht mit einem Blick fixieren. Sein Körper fühlte sich taub an und er hatte völlig die Orientierung verloren. Er nahm etwas am Rande seines Blickfeldes wahr und drehte schwerfällig seinen Kopf dorthin. Da stand jemand, doch Victor konnte keine Details des Gesichts ausmachen. Er kniff kurz die Augen zusammen, doch er erkannte nur, dass er die Lippen bewegte. Dann hörte er ein dumpfes Klacken und einen Schwall frischer Luft. Kalte Hände an seinem Gesicht holten ihn aus seinem Dämmerzustand und mit einem Ploppen war auch sein Gehör wieder da. "... ihnen gut? Hören sie mich? Geht es ihnen gut?", hörte er eine unbekannte und doch irgendwie vertraute Stimme. Er blinzelte und dann war er wieder da. "Ja. Tut mir leid. Ich war wohl kurz weg", dabei rieb er sich selbst mit einer Hand über das Gesicht.
 

Die kalten, aber wohltuenden Hände verließen sein Gesicht und beinahe hätte er 'Nicht' gewimmert. Die Berührung hatte gut getan. Endlich ging seine Hand an den Öffner seines Sicherheitsgurtes und er wandte sich zu der Person um, die ihm zur Hilfe gekommen war. Sofort sprangen die geweiteten, braunen Augen in den Blick. Victor meinte Sorge darin zu sehen, aber auch noch etwas anderes zu sehen. Oder spielte da sein durchgeschütteltes Gehirn einen Streich mit ihm? Der zweite Blick ging zu den Lippen, wie sein Gegenüber sich diese mit der Zunge befeuchtete und sie zum Sprechen teilte. All das und auch seine Stimme, hatten für Victor etwas Sinnliches, ohne auch nur den Grund dafür genau nennen zu können. Es war irgendwie Musik in seinen Ohren. Wie eine Melodie, nach der er schon eine Weile gesucht hatte. "Tut... tut ihnen etwas weh?", fragte der junge Mann vor ihm zögerlich. "Nein, bei mir gehts", winkte Victor ab und warf einen Blick aus der Windschutzscheibe heraus. Beim Wagen vor ihm war ebenfalls die Tür der Fahrerseite geöffnet, doch außer ein paar wenigen Schaulustigen war niemand zu sehen.
 

"Bin ich ihnen reingefahren?", fragte er und blickte wieder zu seinem Helfer, der nur nickte. "Bei ihnen auch alles ok?", wollte er nun wissen, auch wenn er sich sicher, war dass er zumindest nichts Ernstes haben könnte, wenn er ihm zur Hilfe kam. Es dauerte ein wenig, bis die Antwort kam, doch dann hörte er ein kleines, wenn auch unsicheres Lachen. "Sie haben mein Auto nur leicht erwischt, sind aber dafür mit Schwung in die Poller gefahren. Das hätte böse für sie ausgehen können", sorgenvoll schob er die Augenbrauen zusammen und musterte ihn. Victor konnte nicht behaupten, dass er etwas dagegen hatte, dass diese wunderschönen Augen nur auf ihm ruhten. "Soll ich vorsichtshalber einen Sanitäter rufen?", doch Victor schüttelte nur mit dem Kopf und drehte sich auf den Sitz, um seine Füße auf die Straße zu setzen. Behutsam richtete er sich auf und ging mit noch leicht unsicheren Schritten zur Front seines Autos. Er merkte, dass der junge Mann ihm unsicher gefolgt war, während er seufzte, seinen Kopf beugte und die Stirn in die Hand legte. "A-alles ok?", ertönte wieder diese wohlig-warme Stimme neben ihm.
 

Eigentlich nur um den anderen zu beweisen, dass es ihm gut ging, kniete er sich auf den Asphalt. Die Bewegung war für den Anderen scheinbar so abrupt gekommen, dass dieser beinahe überrascht einen Satz machte und sich dann besorgt zu ihm hinunterbeugte, bevor er merkte, dass er nur einen Blick unter sein Auto werfen wollte. Amüsiert hatte Victor das aus den Augenwinkeln wahrgenommen. "Wenigstens läuft kein Öl oder Kühlflüssigkeit aus", stellte er erleichtert fest und drehte sich dann zu der Reihe Poller um, gegen die er gefahren war. "Möchtest du den Unfall von der Polizei aufnehmen lassen? Weißt du, ob man das nicht eh machen muss, wenn man Eigentum der Stadt beschädigt hat?", grinste Victor schief. Sein Gegenüber blickte ihn wieder in die Augen, doch der Rotschimmer auf den Wangen war Victor nicht entgangen. Er fand sogar, dass es ihm ausgezeichnet stand und eine schelmische Seite an ihm wünschte sich, den Anderen möglichst häufig in Verlegenheit zu bringen. Wobei sich Victor nicht sicher war, warum er hätte verlegen sein müssen, aber er vermutete, dass ihm die ganze Situation unangenehm war. Wer konnte es ihm verdenken?
 

"Ähm, nein", der junge Mann räusperte sich. "Also nein, ich bestehe nicht auf die Polizei und ich glaube, wenn man sich bei der Stadt meldet und seine Daten und den Unfallort angibt, dann reicht das. Man bekommt dann den Kostenvoranschlag per Post", erklärte dieser und errötete wieder ein wenig. Ungewollt verzog sich Victors Grinsen beim Wort Kostenvoranschlag. Sicherlich würde ihn die Stadt ordentlich bluten lassen, aber es ließ sich nicht ändern. Und vielleicht war dieses kleine Kennenlernen die Sache am Ende ja auch wert gewesen, dachte er schelmisch. „Ich fahre mal mein Auto auf den Parkplatz“, der junge Mann deutete auf einen Parkplatz direkt gegenüber. „Da stehe ich niemandem im Weg und hole dann meine Unterlagen wegen der Versicherung und so.“ Victor nickte. „Ja und ich rufe mal besser einen Abschleppdienst an, was?“, lachte er noch etwas zittrig. Und rufe auf der Arbeit an, dass es später wird, ergänzte er in Gedanken.
 


 

Es gab Situationen, in denen Yūri seinen Mitbewohner nicht vermisste. Was er jedoch eindeutig vermisste war, dass er niemanden hatte, der ihn morgens mein Trödeln ertappte und Feuer unterm Hintern machte. So kam es, dass sich Yūri eine gute halbe Stunde später auf den Weg zur Uni gemacht hatte, als er es normalerweise tat. Er war sich schon ziemlich sicher gewesen, dass er keinen Parkplatz mehr bekommen würde und er so eine ziemlich weite Strecke zu Fuß zurücklegen musste, aber das geschah ihm ganz recht, entschied er selbstkritisch. Erfreut musste er jedoch feststellen, dass um diese Uhrzeit nicht mehr ganz so viel Verkehr herrschte und er relativ gut durchkam. Plötzlich rannte eine Katze über die Straße und er bremste etwas stärker ab. Ein Ruck ging durch das Auto, es knallte und durch den Rückspiegel sah er, wie ein Auto hinter ihm in die Metall-Poller knallte, die die Straße von einem größeren, fast menschenleeren Platz abgrenzten. Weißer Nebel stieg aus der Front auf. Wahrscheinlich der Kühler, schoss es Yūri durch den Kopf und war froh, dass es kein Anzeichen auf ein Feuer gab. Natürlich wusste er, dass Autos nicht explodierten, aber mit Feuer war generell nicht zu spaßen.
 

Wie in Trance stieg Yūri aus, nahm das Warndreieck aus dem Kofferraum und lief einige Meter hinter das verunfallte Auto. Es war ein seltsames Gefühl gewesen, an der offensichtlich benommenen Person vorbei zu gehen. Fast als würde er ihr die Hilfe verweigern. Doch in der Fahrschule hatte er immer gelernt: Erst die Unfallstelle absichern, das schützt dein und auch das Leben der anderen Personen. Er ärgerte sich schon beim Zurückgehen, dass andere Autofahrer einfach auf der anderen Spur an ihnen vorbeizogen, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, ebenfalls zu helfen. Schnell war er an der Fahrertür und klopfte kurz, doch es war deutlich zu erkennen, dass der Fahrer des Wagens benommen war. Doch es war eine große Erleichterung für ihn, dass er nirgendwo Blut sah. Entschlossen griff er nach dem Türöffner und zog die Tür mit einem Ruck auf. Durch den Einschlag hatte sich die Karosserie scheinbar ein wenig verzogen, denn er war sich sicher, dass bei einem Auto dieser Preisklasse die Türen normalerweise sanft ins Schloss glitten und normalerweise eben so leicht auch zu öffnen waren.
 

Er versuchte, die Aufmerksamkeit des Fahrers zu bekommen. „Sind sie ok? Geht es ihnen gut? Hören sie mich?“, immer wieder wiederholte er die Worte, doch der Andere schaute ihn nur benommen aus so unglaublichen blauen Augen an, wie sie Yūri noch nie gesehen hatte. Er zögerte kurz, doch legte seine Finger an das Gesicht des Anderen in der Hoffnung, dass er nun seine Anwesenheit realisierte. Beinahe wäre er zurückgezuckt, als er merkte, wie warm er war. Doch dann fiel ihm auf, dass es nicht an dem Herrn vor ihm lag, sondern seine eigenen Hände eiskalt waren. So viel zum Schock, was?, dachte er sich, während er weiter versuchte, die Aufmerksamkeit des Fahrers auf sich zu ziehen. Doch als dieser mit einem Mal blinzelte und er richtig zusehen konnte, wie sich die Benommenheit auflöste und er seine Frage beantwortete, durchfuhr Yūri ein Schock. Seine Nackenhaare stellten sich auf, sein Herz setzte einen Schlag aus und sein Magen drehte sich. Victor?, ging es ihm durch den Kopf. Die Stimme! Der Akzent! Was, wenn er mich erkennt? Aber konnte das sein?
 

Dieser Gedanke ließ die Röte in seine Wangen schießen. Panik kam in ihm auf, während seine Beine leicht anfingen zu zittern. In Gedanken schimpfte er sich aus, weil er Gespenster sah. Seine Vernunft sagte ihm, dass das einfach nicht realistisch war. Wahrscheinlich waren die Stimmen nur annähernd ähnlich, nur weil er sich solche Gedanken gemacht hatte und wegen dem Akzent möchte sein Unterbewusstsein weiß machen, das sei Victor. Denk doch mal rational!, schimpfte er in Gedanken weiter. Die Frage, die er in der Zwischenzeit gestellt bekam, hörte er nur halb. Er brauchte kurz einen Moment, um sich zu sammeln.

“Sie haben mein Auto nur leicht erwischt, aber sind dafür mit Schwung in die Poller gefahren. Das hätte böse für sie ausgehen können", erst als er es sagte, realisierte er, wie recht er damit hatte. Ein Kleinwagen oder ein Auto ohne größere Sicherheitsstandards hätte sicherlich den Aufprall nicht so gut abgefangen. Natürlich hatte auch der Airbag viel abgehalten. Er war froh, dass er bei einem Unfall einer gehobenen Mittelklassenlimousine dabei gewesen war. Phichit hatte da so ein paar gruslige Geschichten über Unfälle mit verrostete Kleinwagen erzählt, bei denen er niemals Ersthelfer sein wollte. Aber das suchte man sich ja nicht aus.
 

Das ihn die blauen Augen weiterhin so anstarrten, machte Yūri ein wenig nervös und er spürte wieder die Hitze in seinem Gesicht. Nur um seine Verlegenheit zu kaschieren, fragte er, ob er einen Sanitäter rufen sollte, doch sein Gegenüber verneinte und stieg, für kurz nach einem Unfall, überraschend elegant aus dem Auto. Erst jetzt fiel Yūri die Kleidung auf. Es war ein silbergrauer Dreiteiler, wobei er nur die Weste trug und Yūri die Jacke an einem Kleiderbügel am Griff vom Rücksitz hängen sah. Zum weißen Hemd hatte Yūri eine Krawatte gesehen, die in einem sehr ähnlichen Blau gehalten war, wie die Augenfarbe seines Trägers. Die Schuhe waren von einem so tiefen dunkelbraun, dass sie schon fast schwarz wirkten. Ein Blick auf die Rückseite verriet, dass der Anzug maßgeschneidert war. So, wie die Weste die schlanke Taille umarmte und die Hose am Hintern saß... Yūri schluckte. Es sollte verboten werden, so herumzulaufen. Es war schon fast unverschämt, wie gut er aussah und wie elegant er sich bewegte.
 

Unentschlossen folgte er ihm um sein Auto herum und begutachtete aufmerksam jede Bewegung. Wie sich der Stoff spannte und wieder lockerer fiel, wie die grauen Strähnen im Wind tanzten. Er fühlte sich ein wenig schlecht, dass er gerade den Fremden anschmachtete, während er den, nicht gerade geringen, Schaden an seinem Auto begutachtete. Als er jedoch in die Knie ging, fuhr Yūri zusammen. Kurz kam die Panik wieder hoch, ob er sich zu viel zugemutet hatte und zusammengesackt war. Dann begriff er jedoch, dass er nur unter sein Auto schaute und atmete erleichtert durch. "Wenigstens läuft kein Öl oder Kühlflüssigkeit aus", ertönte wieder die Stimme, die ihm viel zu vertraut zu sein schien, als er es wirklich wahrhaben wollte. Er nickte nur stumm, traute seiner Stimme keinen Ton und seinem Hirn keinen vernünftigen Satz zu. Doch die Rechnung hatte er nicht mit seinem Gegenüber gemacht, denn er meldete sich gleich wieder zu Wort: "Möchtest du den Unfall von der Polizei aufnehmen lassen? Weißt du, ob man das nicht eh machen muss, wenn man Eigentum der Stadt beschädigt hat?"
 

Zögerlich schaute Yūri wieder zu ihm. Wieder in diese unglaublich blauen Augen und befürchtete schon fast, sich darin zu verlieren. Sein Gesicht fühlte sich mittlerweile an, als würde es jeden Moment in Flammen aufgehen und seine Stimmung lag irgendwo zwischen 'Gott, habe ich ihn wirklich gefunden? Und überhaupt, warum sieht er so unverschämt gut aus?' und 'Wärst du heute Morgen bloß im Bett liegen geblieben!'. Aber wollte er die Polizei holen? Konnte man ihm vertrauen? Ja. Ja, irgendwas ihn ihm sagte ihm, dass er ihm vertrauen konnte. Er hoffte nur, dass er nicht auf die Schnauze fiel. Auf die zweite Frage fiel ihm wieder ein, wie sie einmal morgens die Stadtverwaltung angerufen hatten, weil Phichit felsenfest davon überzeugt gewesen war, dass die Straßenlaterne noch gebrannt hatte, bevor er aus Versehen dagegen gerannt war. Yūri war zwar der Meinung gewesen, dass die einzige Lampe, die zu diesem Zeitpunkt noch brannte, die in Phichits Kopf war, aber er war nicht davon abzubringen.
 

"Ähm, nein", räusperte Yūri sich, als er bemerkte, dass er ihm noch eine Antwort schuldig war. "Also nein, ich bestehe nicht auf die Polizei und ich glaube, wenn man sich bei der Stadt meldet und seine Daten und den Unfallort angibt, dann reicht das. Man bekommt dann den Kostenvoranschlag per Post.“ Langsam merkte Yūri, wie seine Hände schwitzten. Er musste sich zumindest für ein paar Minuten Luft verschaffen, beschloss er. Er blickte sich um. „Ich fahre mal mein Auto auf den Parkplatz. Da stehe ich niemandem im Weg und hole dann meine Unterlagen wegen der Versicherung und so“, er deutete dabei zu dem Parkplatz an der Seite. Erleichtert nahm er Victors Antwort zur Kenntnis und setzte sich in Bewegung. Er musste sich wirklich zusammenreißen, dass es nicht nach Flucht aussah.

Mit einem Knall

Hallo zusammen!
 

Ich hoffe, ihr seid gut ins Wochenende gekommen. Ich meinerseits hatte eine furchtbare Woche und muss gleich auch noch mal die restliche Kürbisernte einholen xD

Unser Bad wird langsam wieder, was eine enorme Erleichterung ist. Wenn wir Glück haben, haben wir Ende des Monats (nach fast 3 Monaten) endlich wieder ein voll nutzbares Bad. Hätte niemals gedacht, dass zu Hause Wäsche zu waschen ein Luxus werden könnte xD
 

Nun denn, vielen Dank an aLittleClumsy und Riccaa (dir antworte ich auch heute noch! Sorry!) für die Kommis *großes Blech Apfelkuchen abstell*
 

Und nun werdet ihr erfahren, dass das vorherige Kapitel nur ein Traum war *hust* Nein, Spaß :P
 

Liebe Grüße

yezz

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Mit wild klopfendem Herz saß Yūri im, mittlerweile geparkten, Auto. Jedes Mal, wenn er sich halbwegs beruhigt hatte und sein Blick auf die andere Straßenseite ging, fuhren seine Gedanken Achterbahn. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt, schwindelig und sein Magen drehte sich. Doch er wusste auch, dass er auch nicht mehr viel länger im Auto rumsitzen konnte.
 

Ganz-bestimmt-nicht-Victor, wie Yūri ihn mittlerweile in Gedanken nannte, war mittlerweile ins zweite Gespräch vertieft und lief vor seinem Auto auf und ab. Gemessen daran, dass das erste Telefonat nur von kurzer Dauer war, ging Yūri davon aus, dass er zuerst den Abschleppwagen gerufen hatte. Telefonierte er also gerade mit der Arbeit oder mit der Stadt?, fragte er sich, während sein Herz wieder bis zum Hals hämmerte. Entschlossen öffnete er das Handschuhfach und holte seine Mappe mit den Versicherungsunterlagen heraus. Sein Blick ging wieder zur anderen Seite der Straße. Er musste zugeben, dass er durchaus attraktiv war, wie er dort im passgenauen Anzug stand und nachdenklich in die Ferne schaute, während er mit einer Hand sein Handy ans Ohr hielt und die andere Hand in der Hosentasche hatte.
 

Nach dem er noch einmal durchgeatmet hatte, stieg er aus seinem Auto, fotografierte noch die in Mitleidenschaft gezogene Stoßstange und machte sich auf dem Weg zum Unfallort. Jetzt erst hatte er die Nerven, sich das Auto genauer anzuschauen. Vor ihm stand ein Ford Fusion, natürlich in der amerikanischen Version. Er war schwarz und, zumindest der unbeschadete Teil, glänzte, als wenn sich jemand gut um den Wagen gekümmert hatte oder er erst frisch vom Händler als Gebrauchtwagen übernommen worden war. Yūri würde sagen, dass der Wagen vielleicht 3 oder maximal 4 Jahre alt war. Dennoch konnte er jetzt schon sagen, dass es ein Totalschaden war, da die Fahrertür, und somit der Rahmen der Karosserie, verzogen gewesen war. Allerdings wollte er sich nicht ausmalen, wie sein 16 Jahre alter Subaru Outback mit einem solchen Einschlag umgegangen wäre. „Da bist du ja wieder“, holte ihn die Stimme des Anderen aus den Gedanken. Er strahlte Yūri an, als wäre er ein alter Freund, den er gerade wiedergetroffen hatte und es brachte Yūri völlig aus dem Konzept. Yūri stellte fest, dass er wegschauen musste, um nicht noch weiter zu erröten, wobei er sich sicher war, dass er bereits die Farbe einer Tomate angenommen hatte.
 

„Ich bin übrigens Victor“, hielt er Yūri die Hand hin. „Es tut mir wirklich leid, dass ich dir solche Umstände bereite. Ich glaube, dass ist heute wirklich nicht mein Tag“, lachte er. Yūri musste schlucken und er hatte das Gefühl, dass sich alles vor seinen Augen zu drehen begann. Victor. Er heißt Victor. Er IST Victor... Jetzt war er sich wirklich sicher. Die Stimme, das Lachen, die Ausdrucksweise. Alles passte. Verlegen gab er ihm die Hand und konnte ihm kaum in die Augen schauen, als er sagte. „I-ich bin Yūri. Und das ist auch irgendwo blöd gelaufen, ich musste einer Katze ausweichen und...“, begann er kleinlaut, doch Victor unterbrach ihn. „Das mag ja sein, aber ich bin zu dicht aufgefahren, Yūri. Das sollte ich zwar vermutlich wegen meiner Versicherung nicht sagen, aber der Fehler lag eindeutig bei mir. Ich bin nur froh, dass dir nichts passiert ist“, schon wieder das Lächeln, dass Yūris Herz bis zum Hals schlagen ließ. Unweigerlich kam ihm Phichits Aussage in den Sinn: Irgendeinen Haken musste er haben. Er dachte aber auch an seine Worte, dass er optisch niemals an seine Stimme heranreichen könnte und wenn er nun seinen Blick kurz anhob... er war von dieser Art Attraktivität, dass es schon einschüchternd war. Und ihre gemeinsame, sogar erst kürzliche, Vergangenheit half da kein bisschen weiter.
 

Es half ihm auch nicht, dass Victor ihn scheinbar nicht erkannte. Nicht, dass er es ihm übelnehmen konnte, denn am Telefon hatte er seine Schüchternheit ablegen können. Er sprach dort immer mit einer wesentlich festeren Stimme und neigte auch nicht so dazu, sich einschüchtern zu lassen. Doch ein wenig enttäuscht war er trotzdem. Aber die Erleichterung behielt eindeutig die Oberhand. Er wäre auf der Stelle im Boden versunken oder hätte sich vor ein vorbeifahrendes Auto geworfen, wenn Victor auf einmal mit „Bist du nicht der Yūri von der Sex-Hotline?“ angekommen wäre. Alleine der Gedanke ließ seine Hände zittern. „Sollen wir uns lieber setzen?“, holte ihn Victor wieder aus seinen Gedankengängen und deutete auf eine Bank in der Nähe. Als Yūri hochschaute, hatte er besorgt die Augenbrauen zusammengezogen und fixierte ihn mit seinen himmlischen, blauen Augen. „Ja, sitzen klingt gut“, brachte es Yūri nur heraus.
 

Yūri erkannte, dass Victor mittlerweile eine Tasche in der Hand hatte. Kaum saßen sie, begann er auf einem Block zu schreiben. Yūri konnte nicht anders, als seine saubere, gleichmäßige Handschrift zu bewundern und zuckte schon fast erschrocken zusammen, als er den Füller zur Seite legte. Erst jetzt bemerkte Yūri, dass er mit einem Füller schrieb. Wer tat so etwas zur heutigen Zeit noch? Zudem sah er auch recht teuer aus. Wobei das Yūri beim zweiten Nachdenken gar nicht so überraschend vorkam, immerhin saß er in einem Maßanzug neben ihm. „Das sind meine Daten von der Versicherung. Schreibst du mir bitte noch deine auf?“, er schob die Mappe mit dem eingeklemmten Block zu ihm rüber und Yūri überlegte zweimal, ob er wirklich mit einem solchen Füller schreiben sollte. Was, wenn er ihn kaputt machte? Doch der Duft der Ledermappe in der Mischung mit dem Duft, den Victor mit sich brachte. Der Geruch, der echtem Leder anheftete, hatte schon immer eine wohltuende Wirkung auf Yūri, doch in Kombination mit dem seltsam würzig-orientalischen Duft, der von Victor ausging, war es schon fast betörend. Eigentlich hatte er wenig Ahnung und noch weniger Interesse an Parfums, aber egal wonach Victor roch, er wollte am liebsten darin baden.
 

Mit zittrigen Händen schrieb er seinen Namen, Adresse und die Kontaktdaten seiner Versicherung auf, während er versuchte, zu ignorieren, wie ihn Victor interessiert von der Seite musterte. Natürlich machte ihn das nur noch nervöser und trotz der relativ kühlen Morgenluft hatte Yūri das Gefühl, dass er in seiner dünnen Jacke am Schwitzen wäre, wie nach einem Marathon. Er hatte gerade fertig geschrieben, da kam auch schon der Abschleppwagen. Mit einem Mal realisierte er etwas, das über diese Begegnung gehangen hatte, wie ein Damokles Schwert: Sobald das Auto aufgeladen war, würde Victor wieder aus seinem Leben verschwinden. Dann wäre die zweite Chance, die er auf wundersame Weise bekommen hatte, wieder vertan. Als Victor aufsprang, um zum Abschleppwagen zu gehen, nahm er also allein Mut zusammen. „Victor!“, rief er ihm hinterher und sein Blut hämmerte so in seinen Ohren, dass er von der Außenwelt nichts mehr hörte.
 


 

Er hatte gerade aufgelegt, als der Fahrer des anderen Wagens über die Straße kam. Er freute sich, nach einem nicht wirklich erfreulichen Gespräch mit seiner Chefin und einem noch weniger erfreulichen Telefonat mit der Stadt wieder das fein geschnittene Gesicht des noch Unbekannten wiederzusehen. Irgendetwas an diesem jungen Mann fesselte Victor, er schien im Gesamtpaket wirklich einzigartig zu sein. Und dann war noch seine neu entdeckte Vorliebe, ihn erröten zu lassen. Normalerweise würde es Victor wahrscheinlich schnell langweilig werden, da es zu einfach war, aber bei ihm... Er konnte es nicht genau benennen, aber irgendwie stand ihm das gut. „Ich bin übrigens Victor. Es tut mir wirklich leid, dass ich dir solche Umstände bereite. Ich glaube, dass ist heute wirklich nicht mein Tag“, stellte er sich vor und musste lachen, als seinem Gegenüber wieder eine leichte Röte ins Gesicht stieg.
 

„I-ich bin Yūri“, hörte er ihn leicht verlegen stottern und Victor hätte ihn am liebsten sofort gedrückt. Doch gleichzeitig hob er überrascht eine Augenbraue, doch er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder zu den Worten des Anderen. „Und das ist auch irgendwo blöd gelaufen, ich musste einer Katze ausweichen und...“ Gab er sich jetzt etwa eine Teilschuld?, kam es Victor verblüfft in den Sinn. Jeder andere hätte ihn vermutlich sofort beschimpft, nachdem klar war, dass ihm nichts passiert wäre. Manchen wäre es wahrscheinlich auch egal gewesen, ob ihm was passiert wäre. Das konnte Victor nicht so stehen lassen. „Das mag ja sein, aber ich bin zu dicht aufgefahren, Yūri. Das sollte ich zwar vermutlich wegen meiner Versicherung nicht sagen, aber der Fehler lag eindeutig bei mir. Ich bin nur froh, dass dir nichts passiert ist“, erklärte er und musste feststellen, dass der Name Balsam auf seiner Zunge war. Zwei Yū/uris verschwinden aus meinen Leben und einer kommt mit einem Knall hinzu, dachte er und musste dabei schief grinsen.
 

Doch direkt fiel ihm auf, dass Yūris Körper bebte. Der Schock, stellte Victor besorgt fest. „Sollen wir uns setzen?“, fragte er besorgt, nachdem er eine Bank in der Nähe ausgemacht hatte. Als Yūri zustimmte, schnappte er sich seine Arbeitstasche, die er während einem der Telefonate noch aus dem Auto geholt hatte, und ging leicht versetzt hinter ihm, um ihn notfalls zu stützen. Er wollte ihm ein wenig Zeit zum Ausruhen gönnen, also holte er seine Ledermappe, in dem er Stifte, Post-Its und einen Notizblock aufbewahrte, aus der Tasche und begann, seine Daten aufzuschreiben. Sie saßen still beisammen, so nah, dass Victor die Wärme spüren konnte, die von Yūris Körper kam. Er bedauerte es, als er alle auch nur annähernd notwendigen Daten aufgeschrieben hatte, den stillen Zauber zwischen ihnen brechen zu müssen. „Das sind meine Daten von der Versicherung. Schreibst du mir bitte noch deine auf?“, erklärte Victor und schob die Mappe zu Yūri hinüber. Es kostete ihn alle Willenskraft, nicht seine Hand 'aus Versehen' auf seine zu legen, doch Yūri wirkte in diesem Moment so verschreckt und zerbrechlich, dass es Victor einfach nicht riskieren wollte.
 

Wir haben noch viel Zeit, sprach er sich in Gedanken zu. Immerhin dauert es, bis so ein Abschleppwagen kommt, dachte er und betrachtete dabei Yūris Gesicht von der Seite. Er trug eine Brille, die halb umrandet war. Ein Modell, das Victor niemals auch nur in Erwägung gezogen hätte aber an Yūri aussah, als wäre sie für ihn gemacht worden. Seine Augen waren ausdrucksstark, von der Sorte, in die man stundenlang schauen konnte, ohne das es einem zu langweilig wurde. Seine schwarzen Haare waren ein wenig zerzaust und ließen sich Victor fragen, wie Yūri wohl am Morgen aussah, wenn er noch verschlafen war. Noch müde von einer Nacht voller leidenschaftlichem... Quietschende Bremsen und das dunkle Brummen eines Motors holten Victor aus seinen Tagträumen. Der Abschleppwagen.
 

Seufzend stand Victor auf. Der Wagen kam viel zu früh. Hätte er ihm nicht noch ein paar Minuten lassen können? Innerlich schmollte Victor und war fest entschlossen, seine Enttäuschung an dem Fahrer auszulassen, als er Yūri hinter sich seinen Namen rufen hörte. Er drehte sich langsam auf dem Absatz um und sah, dass Yūri aufgesprungen war, seine Ledermappe und den Füller aber fest in den Händen hielt. Als sich Yūri scheinbar seiner ungeteilten Aufmerksamkeit bewusst wurde, verstärkte sich die Röte noch weiter. In Victor rührte sich das Verlangen, alle Rottöne kennenzulernen, die Yūris Gesicht hervorbringen konnte. „I-ich... ähm“, dann ein Räuspern. „Also... Da vorne ist ein gutes Kaffeehaus“, brachte er hervor und Victors Herz hüpfte vor Freude. Wollte Yūri tatsächlich mit ihm ein Kaffee trinken gehen? Aber hatte er dafür noch Zeit? Oder machte er sich gerade völlig umsonst Hoffnungen? Yūri blickte auf den Boden. „Sollen wir dort noch alles weitere besprechen, wenn du hier fertig bist?“, brachte er dann so schnell hervor, dass Victor verwirrt blinzelte, bevor er die Worte richtig erfassen konnte.
 

Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Aber natürlich, Yūri. Sehr gerne. Willst du schon einmal vorgehen? Ich klären hier alles und komme gleich nach“, schlug er vor. Yūri nickte und blickte zu Victors Tasche. „Lass die ruhig da stehen, nimm nur die Mappe mit. Geht das?“, fragte er und Yūri nickte, bevor er sich in Richtung Kaffeehaus abwandte. Das Grinsen in Victors Gesicht war kein bisschen weniger geworden, als er sich zu dem Mitarbeiter vom Abschleppdienst umdrehte. Glück gehabt, mein Freund, dachte er noch zufrieden.
 


 

Mit zitternden Händen legte Yūri die Mappe auf den Tisch. Er hatte einen Platz am Fenster, jedoch relativ weit hinten gewählt. Er wollte nicht den Durchgangsverkehr der Kunden haben, wenn er mit Victor noch alles Weitere klärte. Und hoffentlich ein wenig mehr. Er setzte die Brille ab und vergrub das Gesicht in seine Handflächen. Es ist Victor. Victor Nikiforov, wie er auf dem Blatt Papier las. Nikiforov? Seine Augen waren groß und er blickte noch einmal auf das Blatt Papier. Da stand es, Dunkelblau auf weißem, karierten DIN A4-Block. Und dann die Adresse! Das war die Adresse von Katya. Er hatte sie kennengelernt, als ihr Hund ihn angesprungen hatte. Nein, nicht ihr Hund, der Hund des Nachbarn. Hund. Nachbar. War Makkachin etwa Victors Hund? All die Zeit hatten sie nur wenige Minuten von einander weggewohnt und doch...?
 

Yūri wollte am liebsten schreien. Oder seinen Kopf gegen die Tischplatte hämmern. Oder beides gleichzeitig. Er blickte kurz nach draußen und konnte erkennen, dass Victor und der Fahrer des Abschleppwagens noch mitten im Gespräch waren. Das demolierte Auto wurde langsam, vom hydraulischen Arm des Abschleppers, in die Luft gehievt. War es ok, in der Mappe rumzustöbern?, fragte er sich neugierig. Doch schnell siegte seine Neugierde und er blätterte durch die Notizen und fand sogar ein Bild von Makkachin als kleiner Welpe mit einem jugendlichen Victor daneben. Das Bild brachte alle Herzen zum Schmelzen. „Na, was gefunden, was dich interessiert?“, riss ihn Victors Stimme aus seiner Faszination und Yūri sprang schuldbewusst auf. „I-ich... Ich wollte nicht... Es tut mir leid... ich habe nur... das Bild... Makkachin... Wie geht’s ihm?“, brachte Yūri nur hektisch Wortfetzen zustande, doch sofort hellte sich Victors Mine auf.
 

„Makkachin geht es wunderba... Moment, woher kennst du meinen Makkachin?“, fragte er nun verwundert und ließ sich auf den Stuhl neben Yūri fallen. Er ließ sich auch wieder tief durchatmend auf seinen Platz fallen. „Ich hatte mal eine etwas stürmische Begegnung mit ihm und Katya“, lachte er und dachte mit Zuneigung an diese Szene. Makkachin war sofort in seinem Herz gewesen. „Ach, du warst das“, Victor machte große Augen. „So ein Zufall aber auch. Scheint ja fast, als wäre es Schicksal, dass wir uns noch einmal treffen“, lachte er. Oh Gott, wenn du wüsstest, Victor. Wenn du wüsstest..., dachte Yūri fast schon verzweifelt. „Wir sollten mal etwas bestellen“, schlug Yūri vor, um das Thema auf eine unverfänglichere Ebene zu führen. Sie beide standen auf und stellten sich vor die Theke, begutachteten die große Tafel, die darüber montiert war.
 

Victor hatte seinen Zeigefinger gegen die Lippe gelegt und hielt den Kopf ein wenig schief, während er nachdachte. Yūri war sich sicher, dass wenn er sich nicht schon Hals über Kopf in den anderen verliebt hätte, es spätestens jetzt der Fall gewesen wäre. Diese Geste hatte etwas Süßes, aber auch gleichzeitig auch einen Hauch von Dämlichkeit. Süße Dämlichkeit. Yūri hoffte inständig, dass er das niemals in Worte fassen musste, denn gerade bei dieser Beschreibung wurde ihm klar, wie sehr ihm die Worte dafür fehlten. „Warst du schon einmal hier? Kannst du was empfehlen?“, fragte Victor nun. „Nun, ich war hier ein oder zwei Mal, aber ich denke, du kannst hier alles nehmen. Hast du schon was in die engere Auswahl genommen?“, wollte Yūri wissen.
 

„Also entweder den Caramel Macchiato oder den Cappuchino mit gesalzenem Karamell“, überlegte er und da war wieder der Finger am Mundwinkel und der schief gelegte Kopf. Unweigerlich musste Yūri grinsen. „Ah, du bist also ein ganz Süßer, was?“, entfuhr es ihm, ohne dass er wirklich nachgedacht hatte. Als ihm auffiel, was er da gerade gesagt hatte, riss er die Augen auf und legte die Hände auf den Mund. Victor blinzelte ein paar Mal, ehe er laut anfing zu lachen. „Nun ja, ich gebe zu, ich habe eine Schwäche für Karamell“, zwinkerte er. „Eine Schwäche, ja?“, hakte Yūri mit ein wenig mehr Selbstvertrauen nach. Er wollte das Thema noch ein wenig kitzeln, in der Hoffnung, Victor noch einmal lachen zu hören. „Ok, ich gebe zu: Ich würde alles für Karamell tun“, sagte er und blickte Yūri dabei fest in die Augen. War seine Stimme plötzlich ein wenig tiefer?, fragte er sich, während sein Herz wieder wie wild klopfte.

Kaffee

Amüsiert sah Victor, wie sich Yūri mit hochrotem Kopf abwendete. Doch mittlerweile fragte er sich, ob nur er diese Wirkung auf ihn hatte oder ob er immer so leicht aus der Fassung zu bringen war. Der Gedanke, der Einzige zu sein, der diese Wirkung auf Yūri hatte, gefiel ihm. Andererseits gefiel ihm gar nicht, dass ihm dieser Gedanke gefiel. Er hatte ihn eben erst kennengelernt, dazu noch unter solch widrigen Umständen und schon fing er an, besitzergreifende Tendenzen an den Tag zu legen? Das ging ihm eindeutig zu schnell. Doch er erklärte sich das Ganze damit, dass Yūri vom Akzent und der Stimmfarbe her Ähnlichkeiten zu 'seinem' Hotline-Yūri hatte. Wobei sich Victor das wiederum damit erklärte, dass es vermutlich daran lag, dass sie beide Landsleute sein mussten.
 

Sie bestellten, einen Cappuccino für Yūri und einen Caramel Macchiato für Victor. Dann stritten sie sich, wer die beiden Kaffees bezahlen würde. Als sie an ihrem Tisch saßen, lachte Victor immer noch. Nicht nur über seinen Sieg bei der Bedienung, sondern auch über das süße Schmollen, dass er danach auf Yūris Gesicht gesehen hatte. Sie besprachen noch ein paar Details zur Abwicklung mit der Versicherung. „Du bist sicher, dass an deinem Auto nicht viel dran ist?“, hakte Victor noch einmal nach. Yūri nickte. „Du hast mich kaum erwischt. Ich habe zwar den Ruck gespürt, aber es scheint nur die Stoßstange etwas abbekommen zu haben“, er wischte über sein Handydisplay und zeigte Victor das Bild, das er vorher gemacht hatte. Victor pfiff durch die Zähne. „Ich sag es ja, die alten Autos sind noch viel stabiler gebaut. Alles was unter 10 Jahre alt ist, geht schon kaputt, wenn man es nur falsch anschaut“, lachte Victor wieder. „Dafür muss man jedes Jahr irgendetwas reparieren lassen, weil die Teile langsam zu alt werden“, konterte Yūri und seufzte. Victor vermutete, dass er gerade an seine letzte Werkstattrechnung dachte.
 

Sie fielen in ein angenehmes Schweigen und tranken von ihrem Kaffee. Doch nach kurzer Zeit blickte Yūri ihn an. „Darf ich fragen, was du beruflich machst?“, wollte er von ihm wissen. „Klar, ich bin Redakteur für Literatur. Und du?“, seine Neugierde war geweckt, auch wenn er vermutete, dass Yūri noch Student war. Zum einen sprach das Auto dafür, zum anderen war es einfach so ein Gefühl. „Ich studiere und arbeite nebenher für eine IT-Firma“, erklärte Yūri. Victor überlegte gerade, ob er den anderen mit einem fadenscheinigen Problem an seinem Laptop dazu bringen könnte, dass sie sich noch einmal treffen könnten, da vibrierte sein Handy in der Hosentasche. Seufzend nahm er es heraus. Seine Chefin. „Da muss ich kurz dran gehen. Kleinen Moment“, zwinkerte er und erhob sich. Noch im Rausgehen nahm er das Gespräch an.
 

„Ja?“ „Victor, wo bleibst du? Ein Unfall ist ja schön und gut, aber das dauert doch keine Ewigkeit, das zu klären“, fuhr sie ihn direkt zusammen. Victor kniff sich mit der freien Hand in den Nasenrücken zwischen den Augen. „Ich beeile mich ja schon, Anya. Aber leider ist es so, dass ich Eigentum der Stadt dabei beschädigt habe und du weißt ja, wie die Bürokratie ist. Aber ich habe eben noch einmal dort angerufen, mir wurde versichert, dass jemand unterwegs ist, um den Schaden zu begutachten“, log er eiskalt. „Dann beeile dich. Du hast bereits einen Besucher“, kam es entnervt zurück. Da lang lief der Hase also. „Ich rufe Sara an und gebe ihr etwas, womit sie Alan beschäftigen kann und versuche innerhalb der nächsten Stunde im Büro zu sitzen. In Ordnung?“, bot Victor an. „Mach das. Aber wenn du in 45 Minuten nicht in deinem Büro sitzt, werde ich mir was anderes ausdenken müssen, Victor. Und du weißt, dass meiner Fantasie als deine Vorgesetzte wenig Grenzen gesetzt sind“, drohte sie unverhohlen. Victor biss sich auf die Zunge, um ihr nicht eine patzige Antwort zurückzugeben. Es gab eben einen Grund, warum sie unter vorgehaltener Hand 'Satan' genannt wurde. „Ja. Dann bis später“, sagte er und legte auf.
 

Direkt danach suchte er die Nummer von Saras Telefon heraus. „Sara? Hier ist Victor. Tyrannisiert Alan euch wieder?“, scherzte er matt. Noch bevor Sara ihn richtig begrüßen konnte, hörte er Alan im Hintergrund zetern. „Ich weiß nicht was er hat, eigentlich haben wir erst in einer Stunde den Termin. Aber gut, im obersten Fach von meinem Schreibtisch habe ich den Plan zur Promotion des Buchs liegen. Er soll sich das einfach schon mal anschauen, dann ist er beschäftigt“, schlug Victor vor. „Victor, du bist ein Engel“, flüsterte Sara ins Telefon, offensichtlich darauf bedacht, dass Alan nicht mitbekam, dass sie womöglich irgendetwas gegen ihn gesagt hatte. Victor lachte und sie verabschiedeten sich. Dann drehte sich Victor eilig um, denn er wollte noch so viel Zeit wie möglich mit Yūri verbringen. Wer wusste denn schon, wie oft er dazu noch die Möglichkeit hatte?
 

Yūri blickte ihm schon entgegen und hob fragend eine Augenbraue. „Alles in Ordnung. Nur einer meiner Autoren ist zu früh dran und er kann etwas Anstrengend sein“, zwinkerte er ihm zu. „Inwiefern anstrengend?“, wollte er wissen. „Ach, er ist eigentlich ein ganz Netter. Das darf man ihm allerdings nicht sagen. Wenn du mich fragst, macht er nur immer so ein Zirkus, um in Ruhe gelassen zu werden und Praktikanten und Azubis zu verschrecken. Wenn man weiß, wie man ihn behandeln muss, kommt man eigentlich ziemlich gut mit ihm aus“, fasste Victor grob seine Meinung über seinen Starautor Alan Aaronovitch zusammen. „Jedenfalls ist er gut in dem, was er macht. Sehr gut sogar.“ Yūri nickte verstehend. „Klingt aber trotzdem nicht nach einem angenehmen Zeitgenossen“, stellte er fest. Victor lachte. „Ich hatte vor dem ersten Termin die Hosen gestrichen voll, nachdem ich alle möglichen Horrorgeschichten von meinen Kollegen gehört habe. Aber dann haben wir einfach über die Vorstellungen und Pläne gesprochen und plötzlich war die Stimmung total entspannt. Problematisch wird es nur, wenn die Vorstellungen zu weit auseinander gehen. Aber dafür muss man auch Verständnis haben. Er muss von seinen Romanen leben und ich muss sie meinem Arbeitgeber gegenüber anpreisen können. Da gibt es eben manchmal ein paar Konflikte. Außerdem möchte man doch nicht ein Leben lang mit einem Werk assoziiert werden, hinter dem man nicht wirklich steht, oder?“
 


 

Die Argumentation leuchtete Yūri ein. Er hatte zum Beispiel schon von vielen Musikern gehört, die das ein oder andere Lied nicht mehr spielten, auch wenn es ein Hit geworden war. „Da hast du wohl recht. Ich wollte auch nicht ewig über meine Arbeit in der...“, er biss sich auf die Zunge. Seit wann war er so redselig geworden und hätte sich beinahe verplappert? War es, weil seine Gedanken immer noch zu ihren ersten, wirklichen 'Begegnungen' abdrifteten? „... also generell mit meiner Arbeit definiert werden“, rette er sich schnell. Victor schien es nicht wirklich aufzufallen, er nickte einfach nur und trank von seinem Kaffee. Der süße Duft des Karamells wehte immer wieder zu ihm herüber und er fragte sich, wie der Kaffee wohl von Victors Lippen schmecken würde. Als das leere Glas auf den Tisch abgestellt wurde, riss das Yūri aus seiner Tagträumerei. „Ich muss jetzt leider los“, verkündete er und Yūri sah den Widerwillen in Victors Haltung. Er schlug noch einmal seine Ledermappe auf und überflog die Zeilen, die Yūri geschrieben hatte, dann blickte er auf. „Könntest du mir noch deine Handynummer notieren? Ich würde gerne in Kontakt bleiben“, fragte er und Yūris Herz hüpfte vor Freude. „Bis die Versicherung den Schaden reguliert hat. Nicht, dass du da noch irgendwelche Probleme mit denen hast“, erklärte Victor und Yūris Herz sank. „Natürlich. Bei Versicherungen weiß man nie“, sagte Yūri und er war sich nicht einmal sicher, ob es nicht ein wenig traurig klang.
 

Doch wenn das so war, ließ sich Victor nichts anmerken. Er verabschiedete sich fröhlich von ihm und Yūri schaute ihm so lange nach, bis er um die nächste Ecke verschwunden war. Dann seufzte er tief und vergrub das Gesicht in den Händen. Du hast seine Adresse. Du kannst auch mal unter einem Vorwand vorbei gehen. Makkachin besuchen oder so etwas. Aber wäre das nicht zu lächerlich? Und wenn er ihm auf die Nerven ging? Aber wir haben uns gut miteinander unterhalten und hatten Spaß. So schlimm wird das dann nicht sein. Aber wusste er es? Vielleicht war es nur aus Höflichkeit, weil er auf die Polizei verzichtet hatte? Er trank den Cappuccino aus und verließ das Kaffeehaus. Die Uni würde er für heute sausen lassen und den Unfall vorschieben. Er konnte ja sagen, er wäre noch wegen Verdacht auf Schleudertrauma im Krankenhaus oder so gewesen. Nicht, dass es irgendwen wirklich interessierte. Er schrieb Phichit noch eine Nachricht und setzte sich dann ins Auto. Vielleicht würde ihm eine Runde joggen die Gedanken aus dem Kopf jagen.
 

Das Klingeln seines Handys holte Yūri aus dem Halbschlaf. „Ja?“, seine Stimme klang noch heiser vom Schlaf. „Hallo Yūri! Hab ich dich geweckt?“, erklang eine Stimme, die er nur allzu gut kannte. Sofort kam Panik in ihm auf. Was, wenn er seine Stimme erkannte? Wäre das gut oder schlecht? Und wie sollte er sich ihm gegenüber jetzt verhalten? „V-v-victor!“, seine Stimme bebte und klang selbst in seinen Ohren ein wenig fremd. „Ähm, ja. Ich hatte mich eben kurz hingelegt“, lachte er dann verlegen. Vielleicht auch mit einer Spur Hysterie. „Geht es dir gut? Ich meine, manchmal entwickelt sich ein Schleudertrauma erst ein paar Stunden später. Ich wollte sicher gehen, dass alles mit dir in Ordnung ist“, fragte Victor. Yūris Herz schlug schneller. Machte er sich etwa Sorgen um ihn? Oder wollte er nur sicher gehen, dass er keinen Ärger wegen unterlassener Hilfeleistung oder so bekam? War das überhaupt machbar oder vernebelte ihm seine Panik jetzt schon die Gedanken? Yūri war nun vollkommen verwirrt.
 

„Yūri?“, kam es wieder aus dem Handy. „M-mir geht es gut. Dir auch?“, fragte Yūri unwirsch zurück und Victor lachte. Für Yūri war es ein wundervoller klang, der seinem Herzen allerdings nichts Gutes tat. „Bei mir ist alles gut, keine Sorge. Ich habe mir eben noch einen Leihwagen organisiert und mache mich schon einmal über den aktuellen Markt schlau“, plauderte er munter drauf los und Yūri konnte nicht anders, als zu grinsen. „Hast du schon irgendetwas ins Auge gefasst?“, wollte Yūri nun wissen, auch wenn es in einem anderen Preissegment gewesen war, hatte Yūri vor nicht allzu langer Zeit vor dem gleichen Problem gestanden. „Aaaach, ich weiß nicht“, seufzte Victor theatralisch. „Das Auto sollte zu mir passen. Modern aber auch elegant. Also wahnsinnig gutaussend“, Yūri konnte sich ein Lachen nicht verkneifen und Victor stimmte mit ein.
 

„Tatsächlich spiele ich mit dem Gedanken, ein Elektroauto zu holen. Ich habe einen festen Parkplatz, auch wenn ich mit dem Vermieter wegen der Installation für die Ladestation sprechen müsste. So ein Auto ist sparsam, gut für die Umwelt und symbolisiert die Zukunft“, nahm er das Thema nach einer kurzen Pause wieder auf. „Aber sie sind teuer. Es sei denn, du überlegst, dir einen Renault Twizy anzuschaffen und da müsstest du elegant definitiv streichen“, neckte Yūri, der langsam sein Selbstbewusstsein wiederfand. Als er nur ein verächtliches Schnauben auf der anderen Seite hörte, bot er an: „Aber wie wäre es mit einem Hybrid? Einige Hersteller bieten ja diese Plug-In-Hybriden an.“ „Das ist nichts Halbes und nichts Ganzen, Yūri“, maulte Victor. „Entweder machte ich etwas oder ich lasse es bleiben.“ „Hat man ja an deinem Auto gesehen. Bisschen kaputt fahren war auch keine Option, was?“, konterte Yūri. „Yuuuuuri! Du kannst doch nicht so gemein zu mir sein! Ich habe heute mein geliebtes Gefährt verloren“, jammerte Victor übertrieben und Yūri konnte vor seinem inneren Auge sehen, wie er sich in einer dramatischen Geste zusammensacken ließ, als sei er schwer getroffen worden.
 

Yūri wollte gerade ansetzen, da ertönte ein Bellen im Hintergrund. „Ja ja, Makkachin. Du bekommst gleich deine Aufmerksamkeit, keine Sorge“, lachte Victor. Yūri überlegte gerade, ob er fragen sollte, ob sie gemeinsam keine Runde spazieren gehen sollten. Doch Victor kam ihm zuvor: „Also dann Yūri. Gute Nacht.“ „Ähm... Ja. Ja, gute Nacht, Victor“, stammelte er, nicht in der Lage, etwas gegen das drohende Ende zu unternehmen. „V-victor! Warte!“, doch als er gerade seinen Mut zusammengenommen hatte, war das Gespräch bereits beendet. Seufzend hielt Yūri sein Handy vor sich und starrte es an, als würde sich die Verbindung dadurch wiederherstellen. Sollte er ihn noch einmal anrufen? Aber mit welcher Begründung? Das würde doch nur komisch aussehen. Seufzend ging er in sein Schlafzimmer und ließ sich auf sein Bett fallen. Dabei landete er halb auf dem Buch, mit dem er sich schon eine Weile abkämpfte. Ein Geistesblitz traf ihn. Mit zitternden Händen schrieb er:
 

> Hast du vielleicht am Wochenende Zeit? Ich könnte den ein oder anderen guten Buchtipp gebrauchen. Mein letzter Kauf war eher ein Reinfall. Gruß, Yūri <
 

> Kommt drauf an. Fragst du nach dem Redakteur Victor oder dem Privatmenschen Victor? - V <
 

Yūri überlegte. War das jetzt eine Fangfrage oder vielleicht schon eine Absage durch die Blume? So etwas wie 'Mit Büchern möchte ich an meinen freien Tagen nichts zu tun haben' oder so? Aber was hatte er auch zu verlieren?
 

> Den privaten Victor. Gruß, Yūri <
 

> Trifft sich gut, der Andere ist am Wochenende nämlich nicht verfügbar. Möchtest du irgendwo Bestimmtes hin? - V <
 

> Passt dir Barnes & Noble? Um 10:00 Uhr? Ich kann dich auch gerne abholen. Gruß, Yūri <
 

> Abholen klingt gut. Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen ist mir nämlich mein Auto abhanden gekommen. Ich stehe dann um 10:00 Uhr vor der Tür. Bis dahin, -V <
 

Yūri befürchtete langsam, dass er noch einen Herzinfarkt bekommen könnte. Dennoch konnte er nichts gegen sein Grinsen tun. Er hatte eine Verabredung mit Victor. Er konnte es nicht glauben. Mithilfe seines Kissen erstickte er seinen Freudenschrei. Yūri konnte es nicht fassen, dass er es gewagt hatte. Schnell speicherte er die Rufnummer in seinem Handy ein und erst jetzt fiel ihm auf, dass er auch hätte schauen können, ob Victor bei What's App war. Mit einem Grinsen stellte er sich vor, welches Profilbild er hatte. Er tippte ja auf ein unglaublich goldiges Foto von Makkachin. Doch seine Mühe wurde nicht belohnt, offensichtlich nutzte er diese App nicht. Dankbar, ein weiteres Gesprächsthema zu haben, legte Yūri sein Handy auf sein Nachttisch und hoffte, bald zur Ruhe zu kommen.

Hilfe

Für Yūri war es wirklich schwer nicht mit einem dauerhaften, dümmlichen Grinsen durch die Gegend zu laufen. Natürlich hatte er Panik. Jedes Mal, wenn er an diese atemberaubenden Augen und dem strahlenden Lächeln dachte, setzte sein Herz aus, nur um danach viel schneller weiterzuschlagen. Dabei war es sich nicht sicher, ob es wirklich ein Grund war, gut gelaunt zu sein. Einerseits hatte er das Gefühl, dass ihn Nicholas Sparks höchstpersönlich auf den Kopf gekotzt hatte, so schmalzig, wie sich ihre Geschichte anhörte, andererseits wusste Yūri, dass noch gar nichts passiert war.
 

Natürlich schienen sie sich zumindest gut zu verstehen. Victor sah das wohl auch so, denn sonst hätte er nicht zugesagt. Oder hatte er ihn auch erkannt? Dachte er vielleicht, dass er leicht zu haben wäre? Dass er vielleicht nicht nur mit Telefonsex sein Geld verdiente, sondern auch...? Nein, das glaubte Yūri nicht. Oder vielmehr wollte er das nicht wahrhaben. Victor schien ein aufrichtiger Mensch zu sein. Er schien auch vielbeschäftigt zu sein mit seiner Arbeit, vielleicht war das der Grund, warum er seinen Ausgleich beim Telefonsex gesucht hat? Immerhin war es doch besser, als One Night Stands in der nächsten Bar abzuschleppen oder ins Bordell zu gehen?! Yūri schüttelte seinen Kopf. Er musste dringend seinen Kopf frei bekommen. Doch er saß gerade am Rechner in einem kleinen Büro bei einer übernervösen Floristin und versuchte, den PC wieder in Gang zu bekommen.
 

„Und? Haben sie schon was gefunden?“, hörte er eine Stimme hinter sich. Wenn man vom Teufel spricht, seufzte er innerlich. „Der PC ist schon sehr alt und die Geräusche, die die Festplatte macht, klingt mehr als ungesund. Das Problem liegt aber am Mainboard. An der Taktrate vom CPU-“, begann er, doch die Floristin fiel ihm ins Wort: „Ich habe keine Ahnung davon, daher brauchst du mir das nicht so genau erklären. Bekommst du den PC wieder flott?“ Doch Yūri schüttelte den Kopf. „Ich kann das Mainboard austauschen, aber die Festplatte ist als Nächstes dran und dann sind alle Daten weg. Das ist nur noch eine Frage der Zeit“, er sah sie ernst an. „Was heißt 'eine Frage der Zeit'?“, hakte sie nach. Doch Yūri konnte nur mit den Schultern zucken. „Tage, mit viel Glück vielleicht noch ein oder zwei Monate. Aber ich weiß nicht, ob sie das Risiko eingehen wollen, ohne eine Datensicherung. Ich kann ihnen anbieten, dass ich die Daten sichere. Ich habe eine externe Festplatte dabei und kann sie ihnen auch für den Notfall hier lassen. Gleichzeitig telefoniere ich rum, ob irgendjemand ein gebrauchtes, passendes Mainboard günstig abgibt. Dann schauen wir, wie lange es dieser PC noch macht und sie können sich ggf. schon einmal nach einem geeigneten Ersatz umschauen“, bot er ihr an. Mehr fiel ihm beim besten Willen nicht mehr ein und er machte sich bereits auf Gezeter gefasst.
 

Doch die Floristin nickte und seufzte erleichtert. „Das klingt nach einem Plan. Vielen, vielen Dank. Aber könnte ich sie darum bitten, nach etwas Geeignetem für mich zu schauen? Wie schon gesagt, ich habe keine Ahnung, was für mich ausreicht und mich könnte jeder damit über den Tisch ziehen. Natürlich können sie mir die Zeit, die sie bei der Suche benötigen, mir in Rechnung stellen. Ich vertraue ihnen da“, sie lächelte schief, wenn auch völlig hilflos. Yūri war ein wenig gerührt. Sie kannten sich gerade 20 Minuten und schon vertraute sie ihm so sehr, dass sie ihm freie Hand gab. Er zog einen Block und Kugelschreiber heraus und reichte es ihr. „Alles klar, dann schreiben sie mir doch mal auf, was für Programme sie bisher genutzt haben und behalten wollen. Falls sie noch irgendwelche anderen Programmwünsche haben, können sie das auch gerne notieren, falls sie den Namen nicht kennen, können sie es auch beschreiben. In der Zwischenzeit gehe ich mal vor die Tür und telefoniere mit der Firma, ob sie ein passendes Teil im Lager haben. Ansonsten habe ich noch ein paar Nummern von Händler für gebrauchte Geräte und Computer-Fachgeschäften.“
 

Es hatte Yūri fast eine halbe Stunde gekostet, aber er hatte ein Mainboard gefunden. Zufrieden mit sich selbst kehrte er in den Laden zurück. Hoffnungsvoll richteten sich die Augen der Ladenbesitzerin auf ihn. „10 Dollar für das neue Mainboard und im gleichen Laden gibt es eventuell noch einen guten, gebrauchten PC. Falls sie mit der Liste fertig sind, würde ich die direkt mitnehmen und dort mit den Daten des Computers abgleichen. Bis der dann allerdings aufgesetzt wäre, also mit Betriebssystem und so weiter, dauert es eventuell noch. Das kommt auf ihre Wünsche an.“ Sie nickte eifrig. „Wenn der erst einmal wieder läuft, ist das alles kein Problem. Dann können sie sich Zeit lassen. Ich brauche nur die Daten morgen für die Bestellungen“, erklärte sie ihm mit flehenden Blick. „Ja, das ist kein Problem. Lassen sie uns noch kurz über ihr Budget für den neuen PC reden und dann gehe ich zumindest das Mainboard holen.“
 

Als Yūri auf dem Weg war, musste er immer noch ungläubig lachen. Er hatte damit gerechnet, dass er günstig Teile zusammenstellen müsste, doch sie hat ihm genug finanziellen Spielraum gegeben, um ihr einen PC zu besorgen, mit dem man aktuellere Spiele mit moderater Grafikeinstellung spielen konnte. Da es allerdings nur ein PC zum Arbeiten sein soll, hatte Yūri noch ein wenig Spielraum und eine Idee, wie er seiner Kundin vielleicht noch ein wenig helfen konnte. Zum Laden war es nicht weit, also hatte er die Idee noch nicht bis zum Ende durchdacht, aber er konnte sich sicher noch ein wenig mit dem Verkäufer austauschen und eventuell einen Testlauf für die Floristin arrangieren.
 


 

Unschlüssig stand Victor vor dem Spiegel und war langsam von der Lache im Hintergrund genervt. „Du musst mir noch einmal helfen, Victor. Wie alt bist du?“, brachte die Stimme zwischen Kichern und Schnauben hervor. Victor presste genervt die Lippen aufeinander. „Hilf mir lieber mal, bevor du mich auslachst“, brachte er mürrisch hervor, doch er täuschte seinen besten Freund mit der Tonlage nicht. Das wussten sie beide. „Helfen? Da ist Hopfen und Malz verloren! Wir gehen zusammen shoppen. Was hältst du von übermorgen Abend? Ich hole dich bei deiner Firma ab und kleiden dich richtig schön ein“, danach brach Chris wieder in Gelächter aus. Victor hingegen seufzte und legte seinen Kopf gegen seine Hand. „Muss ich erst auflegen, bevor du mich ernst nimmst?“, fragte er in Richtung seines Handys, das mit aktivierter Lautsprecherfunktion auf einem Hocker vor der Reihe Anzügen lag.
 

„Ich nehme dich doch ernst. Du kannst unmöglich zum ersten Date im Anzug aufkreuzen. Wenn er wirklich so schüchtern ist, wirst du ihn so in die Flucht schlagen. Vor allem nach dem Spruch mit dem 'privaten Victor'“, das Zitat von Victors Nachricht an Yūri betonte Chris besonders. „Ich kann doch einfach die dunkle Jeans, ein T-Shirt und das Jackett anziehen. So sind wir letztens auch zusammen weg“, rechtfertige er sich. „Ich konnte ja auch schlecht verlangen, dass du dich noch einmal umziehen gehst. Aber damit ist jetzt Schluss, mein Lieber. Du musst mindestens drei Pullover und zwei Jeans im Kleiderschrank haben. Ich wäre auch noch dafür, dass du dir noch eine Chino und eine ordentlichen Daunenjacke zulegst? Kapuzenpullis stehen dir sicher auch gut. Ach Mensch Victor, dir steht doch eh fast alles. Gönn mir den Spaß. Bitte!“, bettelte Chris nun fröhlich und Victor hatte eine böse Vorahnung.
 

„Chris, es ist nicht notwendig, mich komplett neu einzukleiden. Ich brauche eh fast nur Anzüge. Und außerdem brauche ich keine Modeberatung. Ich wollte lediglich deine Meinung, ob das nicht zu dick aufgetragen ist für eine erste Verabredung. Es ist auch nur eine Verabredung, kein Date“, langsam wünschte er sich, er hätte Chris niemals angerufen. „Richtig und ich habe dir meine Meinung gesagt. Außerdem bin ich ein toller Freund und biete dir direkt und völlig selbstlos meine Hilfe an, die du übrigens nicht abschlagen kannst. Es ist schon viel zu lange her, dass wir mal gemeinsam shoppen waren“, klang die Stimme fröhlich aus dem Handy. Victor legte den Finger an die Lippen und überlegte. „Wir waren noch nie gemeinsam shoppen, Chris“, erklärte er dann. Chris atmete theatralisch durch. „Noch schlimmer! Also keine Widerrede. Übermorgen um 17:00 Uhr vor deiner Firma. Wenn du nicht da bist, marschiere ich in den Laden und zieh dich da eigenhändig raus.“ Victor unterdrückte ein 'Ja, Mama' und verabschiedete sich von seinem besten Freund.
 

Er freute sich zwar schon auf einen Abend mit Chris, aber es würde auch anstrengend werden und er würde nicht nur viel Geld ausgeben müssen, sondern auch durch hunderte Läden geschleppt werden, um gefühlt tausende Kleidungsstücke anzuprobieren. Schon während ihrer gemeinsamen Zeit an der Universität wollte Chris Victor immer einkleiden und hat darauf gepocht, dass er als angehender Designer den richtigen Riecher für Victors Look hätte. Mittlerweile war Victor froh, dass Chris fast nur pompöse Kleidung designte. So würde der Kelch an ihm vorübergehen, seine Klamotten anziehen zu müssen. Immerhin wollte er beim zweiten Aufeinandertreffen mit Yūri nicht den Eindruck machen, als wäre er ein eitler Exzentriker.
 


 

„Und wenn sie jetzt mit dem Finger darauf tippen – ja, genau so – dann haben sie alle Daten direkt hier auf dem Tablet“, beendete Yūri seine Erklärung. „Wow“, hauchte die Floristin fassungslos. „So einfach?“, sie schaute Yūri mit einer Mischung aus Faszination und Misstrauen an. „Ja, sie müssen nur den PC eingeschaltet haben, dann können sie jederzeit auf die Daten zugreifen.“ „Ich weiß nicht, was ich sagen soll... Das ist mehr, als ich erwartet habe. Sie sind ein Goldstück“, Yūri hatte schon gemerkt, dass sie ihn plötzlich viel höflicher ansprach, seitdem sie bemerkt hatte, dass Yūri nicht nur ein kleiner Student war, der einfach einen Nebenjob hatte, sondern ihr tatsächlich auch helfen wollte. „Gerne. Ich habe ihnen auch meine Handynummer an die Pinnwand gehängt. Wenn etwas ist, rufen sie mich direkt an, so geht es dann schneller für sie und ich kenne mich mit allem hier aus. Das Ticket können wir ja dann später erstellen“, bot Yūri an und sie nickte dankbar. „Möchten sie vielleicht noch ein paar Blumen mitnehmen?“, fragte sie dann, doch er schüttelte mit dem Kopf. „Ich bin kaum zu Hause, das wäre schade um die schönen Blumen.“ Sie nickte verstehend, ließ jedoch nicht locker: „Und für ihre Mutter zum Beispiel? Oder Partnerin?“ „Meine Familie lebt in Japan. Also nein. Und eine Partnerin habe ich nicht“, antwortete er.
 

„Oh je, das ist sicher schwer für sie. Familie ist so wichtig“, seufzte die Floristin. „Ich telefoniere oft mit ihnen, vor allem übers Internet, also ein Videochat. Manchmal ist es komisch, gerade an besonderen Festtagen, Geburtstagen oder so etwas. Aber ich glaube dennoch, dass der Schritt, hierher zu kommen, der Richtige war“, sagte Yūri und war überrascht, wie fest seine Stimme dabei klang. Immerhin fragte er sich im Schnitt mindestens einmal in der Woche, ob seine Entscheidung tatsächlich die Richtige war. Doch seine Worte schienen die Floristin, Yūri schätzte sie auf Mitte bis Ende 30, zu beruhigen. „Wenn ich mich irgendwie doch noch erkenntlich zeigen kann, lassen sie es mich wissen“, sagte sie, als sie ihn zum Ladenausgang begleitete. „Nun ja, in erster Linie bezahlen sie mich ja für diese Arbeit“, lachte Yūri verlegen und rieb sich mit einer Hand über den Hinterkopf. „Ja, das mag schon sein, aber bisher hat sich noch nie jemand so Gedanken darüber gemacht. Bisher wurde der PC immer irgendwie repariert und ich wurde belächelt. Ich weiß, dass ich keine Ahnung davon habe, deswegen wende ich mich ja an Spezialisten. Ehrlich gesagt, wollte ich ihrer Firma eine letzte Chance geben, da das alles so einfach ist. Man ruft an, die netten Damen nehmen das Problem auf und dann kommt jemand. Aber bisher... Na ja, jetzt sind sie ja für mich da. Das werde ich auch im Feedback-Fragebogen so weitergeben“, sie lächelte ihn breit an und Yūri fiel ein Stein vom Herzen.
 

Fröhlich stieg er in seinen Wagen. Heute war noch der Termin mit einer Werkstatt, die ein Gutachten seines Schadens erstellen sollten. Yūri glaubte nicht, dass sonderlich viel kaputt war, aber die Versicherung beharrte darauf. Zusätzlich hatte Yūri Glück, dass die Werkstatt nur knappe 10 Minuten Fahrt entfernt war, sodass er schnell auf dem Gelände angekommen war. Kaum war er ausgestiegen, kam ihm ein Mitarbeiter entgegen. „Sie sind Herr Katsuki und das ist das gute Stück?“, fragte er, zog einen Handschuh aus und hielt ihm seine Hand hin. Yūri schlug ein und versuchte sein Gesicht nicht zu verziehen, als der Gutachter übertrieben fest zupackte. „Ja“, antwortete er knapp und fragte sich, wie ernst er 'das gute Stück' meinte. „Na, dann wollen wir ihn mal auf die Hebebühne fahren, was? Sie können schon einmal in die Werkstatt gehen, wenn sie möchten“, er deutete hinter sich und Yūri nickte.
 

Natürlich hatte Yūri vermutet, dass er eine Weile dumm rumstehen würde. Dass er sich aber dermaßen Fehl am Platz fühlte, hatte er nicht erwartet. Immerhin hat er mittlerweile herausgefunden, dass er kein unabhängiger Gutachter war, sondern Mechaniker der Werkstatt. Das reichte wohl den meisten Versicherungen. „Also, ich bin ehrlich zu ihnen“, kam der Gutachter/Mechaniker nach guten 20 Minuten zurück und Yūri musste schlucken. „Da kann man nicht viel rausholen, der hat sie ja kaum berührt. Ich könnte ihnen die ganze hintere Partie neu machen. Bezahlt ja eh die Versicherung und der Unfallverursacher“, er sprach mit solch einer Gleichgültigkeit, dass Yūri sich zusammenreißen musste, um nicht unfreundlich zu werden. „Wie lange müsste ich dann auf das Auto verzichten?“, wollte er wissen.
 

„Zwei bis drei Tage, mehr nicht“, gab der Fachmann zurück. „Kann ich ihnen dann morgen sagen, ob ich das annehme? Ich müsste mich in der Zeit um ein Ersatzfahrzeug kümmern und das sollte mir die Versicherung auch zahlen“, gab er zurück. „Sicher, sicher“, nickte er verstehend und lächelte. „Ein bisschen Geld rausschlagen ist immer eine feine Sache. Immerhin sind sie ja der Leidtragende von dem Unfall“, er zwinkerte ihm verschwörerisch zu und Yūri hoffte inständig, dass sein Grinsen so schelmisch wirkte, wie er wollte. „Richtig. Ich rufe sie dann morgen früh an“, verabschiedete er sich, stieg ins Auto und schaffte es gerade noch so bis um die nächste Ecke, bevor er mit diversen Beschimpfungen auf den Lippen die Nummer von Victors Versicherung wählte, um einen drohenden Betrug zu melden. Er würde einen Teufel tun und Victor ausnutzen.

Von Psychothrillern zu Liebeskomödien

Victor stand an der Straße und starrte die Straße hinunter. Natürlich wusste er, dass er eine viertel Stunde zu früh nach draußen gegangen war, aber drinnen hatte er es auch nicht mehr ausgehalten. Da Makkachin bereits dazu übergegangen war, sein Schläfchen nach einem langen Spaziergang zu genießen, hatte Victor auch keine Möglichkeit mehr gehabt, sich abzulenken. Getreu nach dem aufgeplusterten Ausspruch, dass der Redakteur nicht am Wochenende zur Verfügung stünde, hatte er weitestgehend darauf verzichtet, sich Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Tatsächlich hatte Victor das nur gesagt, um sicherzustellen, dass Yūri auch tatsächlich so eine Art Date mit ihm haben wollte.
 

Aber Date... War er da nicht zu übereilig? Am liebsten würde er ja mit der Tür ins Haus fallen, die arme um Yūri schlingen, ihn fest an sich drücken und seine Lippen auf seine pressen. Wie sich seine Lippen wohl anfühlten? Waren sie weich oder eher etwas rauer? Wie sie sich wohl anfühlten, wenn er seine Fingerspitzen über sie gleiten ließ? Wie sich sein Körper wohl anfühlte, wenn er... Um seine Gedanken wieder in die Realität zurückzuholen, zupfte er ein wenig unschlüssig an seinem Pullover herum. Yūri schien eher von der schüchternen Sorte zu sein, daher sollte er es ein wenig ruhiger angehen lassen. Schon alleine der Gedanke daran, ließ Victor eine kleine Grimasse ziehen. Geduld war nicht seine Stärke, besonders nicht, wenn er etwas wirklich wollte. Aber manchmal war es das auch wert, wenn man zurücksteckte und mehr auf den Anderen achtete. Vielleicht war es Zeit, dass er noch mehr auf die Bedürfnisse seines Gegenübers achtete?
 

Oder verwirrte ihn da nur das Gerede von seinem besten Freund? Chris war mit ihm losgezogen, um ein paar Kleidungsstücke zum 'Ausgehen', wie Chris es genannt hatte, einzukaufen. Nicht, dass Victor das nicht auch alleine gekonnt hätte. Aber so war er eben, gab man ihm einen Anlass, jemanden neu einkleiden zu können, war Chris Feuer und Flamme. Vermutlich wäre er nur noch aus der Nummer rausgekommen, wenn er todkrank in einem Krankenhaus gelegen hätte. Natürlich hatte es auch Spaß gemacht, aber zwischen Chris' Vorstellung davon, was im Kleiderschrank eines Mannes in ihrem Alter zu finden sein sollte und den Sachen, die Victor tatsächlich hatte, klaffte eine riesige Lücke. So kam es, dass sie drei Mal vollbeladen zu dessen rot-metallisch glänzenden Maserati Grandturismo Cabrio gegangen waren. Eben jenes Auto hatte tatsächlich Sitze, die mit Highlights in Leopardenmuster versehen war. So nett Chris auch war, Victor hatte sich sofort eine gedankliche Memo gemacht, seinen besten Freund beim Autokauf außen vor zu lassen.
 

Nun hatte Victor einen Haufen Klamotten, von denen er nicht wusste, wann er sie anziehen sollte. Schon alleine deswegen hoffte er, dass das Treffen mit Yūri nicht ihr Letztes gewesen sein würde. Natürlich nur, weil er dann auch alle anderen Kleidungsstücke anziehen konnte. Und vielleicht ausziehen, setzte er gedanklich mit einem schiefen Grinsen hinzu. Doch sofort schüttelte er den Gedanken wieder ab. Du willst es ruhig angehen lassen, erinnerte er sich seufzend. Wie hatte nicht schon Konfizius gesagt? 'Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern.' Verdammt sei Konfizius! Mit Sicherheit hatte dieser alte Drecksack hellseherische Fähigkeiten und hatte das nur gesagt, um ihn in genau dieser Situation zu ärgern! Schmollend schob er die Hände in die Jeans und blickte sich um. Dann schaute er wieder auf die Uhr und bemerkte, dass er gerade einmal fünf Minuten überbrückt hatte.
 

Seufzend fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare. Das würden mit die längsten 15 Minuten seines Lebens werden, wenn es so weiterging. Er versuchte sich damit abzulenken, diverse Bücher aufzuzählen, die er Yūri empfehlen könnte. Welche Genre er wohl gerne las? Spontan würde er Science Fiction sagen, aber vielleicht war Yūri auch eher der Krimi-Typ? Vielleicht war er auch eher ein Verfechter dieser martialischen Mittelalter-Epen mit Tausenden von Namen und ebenso vielen Handlungssträngen, die es selbst am Ende dem Autor schwer machten, die Schicksale der Charaktere wieder miteinander zu verweben? Spontan musste er da wieder an Alan denken und das minderte seine gute Laune etwas ab. Zwar war ihr Termin schlussendlich gut verlaufen, aber danach hatte er noch ein Gespräch mit der Chefredakteurin Anya, unter vorgehaltener Hand auch Satan genannt, gehabt.
 

Seine Vorgesetzte war im Prinzip allen ein Dorn im Auge und sie hofften inständig, dass sie bald einen Kerl finden würde, der bereit war, sie zu schwängern. Aber von dem, was sie wussten, stand sie wohl mehr auf etwas, was in die Kategorie 'Boytoys' fiel und nicht nur Victor bezweifelte, dass sie sich von so einem schwängern lassen würde. Sara hatte mal im Internet Pillen gesehen, die angeblich die Fruchtbarkeit steigern sollten und hatte scherzhaft in ihrer Abteilung gefragt, ob sie zusammenlegen sollten. Die Verlockung war wirklich groß gewesen. Doch andererseits würde Victor auch ihr 'Spielzeug' leid tun, wenn er plötzlich von so einer Frau ein Kind aufgedrängt bekommen würde. Der Gedanke alleine bereitete Victor Gänsehaut. Ein Geräusch ließ Victor aus seinen Gedanken hochschrecken. Da stand der alte, rot-braune Subaru Outback vor ihm und Yūri winkte ihm ein wenig schüchtern zu. War er etwa schon wieder rot im Gesicht? Wie sollte er da die Finger von ihm lassen können? Seufzend ging er die Straße hinüber, um in das Auto zu steigen.
 


 

Yūri hatte die halbe Nacht nicht geschlafen, im Laufe des Morgens drei Mal geduscht und sich mindestens genauso oft umgezogen. Kein Bissen hatte er essen können und auch ein Gespräch mit seiner Mutter hatte nicht geholfen, wieder runterzukommen. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, Phichit anzurufen oder zu schreiben, allerdings würde er sich sicherlich viel zu viele Gedanken machen. Vor allem wenn er ihm erzählt, dass es DER Victor ist. Yūri konnte es immer noch nicht fassen und sofort schlug sein Herz wieder in einem Tempo, das beim besten Willen auf Dauer nicht gesund sein konnte. So hatte er sich 20 Minuten zu früh zum Auto begeben und nachdem er noch fünf Minuten im Rückspiegel versucht hatte, seine Haare zu richten und im Endeffekt es in seinen Augen nur noch schlimmer gemacht hatte, war er losgefahren.
 

Victors Wohnung lag nur zwei Häuserblocks weiter, sodass es eine wirklich kurze Fahrt war. Als er um die Ecke bog und Victor, knapp 10 Minuten zu früh, am Straßenrand sah, schlug sein Herz schon wieder wie verrückt. Es sollte verboten sein, so gut auszusehen, schoss es Yūri durch den Kopf. Er trug eine schwarze Jeans, die sich unglaublich gut um diese langen Beine schmiegte. Dazu einen blaugrauen, dünnen Pullover, der aber auch gleichzeitig total weich aussah. Seine strahlenden, blauen Augen blickten in seine und sofort schoss ihm die Röte ins Gesicht. Unbeholfen hob er seine Hand und winkte, denn irgendetwas musste er ja tun. Als ihn Victor dann noch breit angrinste, wusste er nicht, wie er diesen Tag überstehen sollte. Sie waren nun für die nächsten Stunden zusammen unterwegs. Victor würde mit ihm reden, ihm nahe sein, so sehr, dass Yūri sicher wieder seinen Duft einatmen konnte. Wie sollte er das überleben?
 

Yūri war so in Gedanken vertieft, dass er sich fast erschreckte, als die Beifahrertür aufging. „Hey! Wie geht es dir?“, wollte Victor fröhlich wissen. „Selber hey“, murmelte Yūri verlegen und Victor lachte, dann wartete er mit hochgezogener Augenbraue und schief gelegten Kopf. Aber worauf? „Ähm... Ja... Mir geht es gut, denke ich...“, Yūri wurde zum Ende immer leiser. „Denkst du?“, fragte Victor ein wenig irritiert. „Nein, nein. Weiß ich, entschuldige. Wie geht es denn dir?“, wollte Yūri nun hastig wissen und fuhr mit dem Wagen an. „Mir geht es gut. Auch wenn mich Makkachin die letzte halbe Stunde vollkommen ignoriert hat“, schmollte er und Yūri musste trotz seines leichten Unbehagens lachen. Er riskierte einen Blick zur Seite und sah, dass Victor seine Unterlippe ein wenig vorgeschoben hatte. So wirkte er eher wie ein bockiges Kind als ein adrett gekleideter Erwachsener.
 

„Wie geht es ihm denn? Ist er nicht einsam, wenn du heute Mittag weg bist?“, wollte Yūri wissen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Victor seine Hände auf Höhe seines Herzens legte. „Ich erzähle dir davon, wie tief mich sein Verhalten verletzt hat und du möchtest auch noch wissen, wie es ihm geht? Ich bin schwer verwundet, Yūri“, schniefte er theatralisch mit weinerlicher Stimme. „Das tut mir furchtbar leid, Victor. Meine Mutter hat mir früher ein Küsschen auf die Stelle gegeben, wo es mir weh getan hat. Vielleicht wäre das ja auch eine Methode für dich“, plapperte er einfach heraus und merkte erst zu spät, was er da vorgeschlagen hatte. Er spürte sofort wieder die Hitze in sein Gesicht zurückkehren und wollte sich gerade schon hastig entschuldigen, doch Victor kam ihm zuvor: „Ja? Das wäre eine Behandlungsmethode, die ich durchaus interessant finden würde“, säuselte Victor amüsiert. Yūri war nicht mehr in der Lage darauf zu antworten. Mit hochrotem Kopf konzentrierte er sich auf die Straße. Ihm war so heiß, dass er Stoßgebete in den Himmel schickte, dass sein Deo nicht versagen würde und suchte krampfhaft nach einem anderen Gesprächsthema.
 

Vergebens. Die restlichen 15 Minuten Fahrtzeit hatte sich Yūri nach einem Gesprächsthema bemüht, doch sein Hirn wollte einfach nichts Zusammenhängendes hervorbringen. Doch ihr Schweigen war alles andere als unangenehm gewesen. Dennoch völlig fix und fertig parkte er sein Auto am Straßenrand. Noch bevor er reagieren konnte, war Victor aus dem Auto gesprungen, um das Parkticket zu zahlen. „Ich kann doch nicht zulassen, dass du mich durch die Gegend kutschierst und dann auch noch die Parkgebühren zahlst“, zwinkerte Victor mit breitem Grinsen, als er ihm das Ticket überreichte. Yūri legte es auf das Armaturenbrett und trat dann neben Victor auf den Bürgersteig. Sein Blick ging nach unten. „Oh, Victor. Dein Schuh ist auf“, bemerkte er dabei.
 

Victor blickte nach unten. „Tatsache“, lachte er und bückte sich. Nun war plötzlich Victors Scheitel in Yūris Blickfeld. Die grauen Haare tanzten und schimmerten im Sonnenlicht. Sie sahen unbeschreiblich weich aus und Yūri fragte sich, wie es wohl sein würde, seine Finger durch die Strähnen gleiten zu lassen. Noch bevor er gemerkt hatte, was er da tat, berührte ein Finger den Scheitel. Sie fühlen sich wirklich so seidig an, wie sie aussahen. Dann schluckte er. Panik kam auf. Was zum Teufel machte er da eigentlich? Völlig perplex hielt er inne. „Huch?“, schreckte er dann plötzlich auf, als er vollständig realisierte, was er da gerade tat. Sein Herz raste, während er wieder rot anlief. Auch Victor war in der Bewegung erstarrt. „Entschuldige. Das war keine Absicht“, entschuldigte sich Yūri hektisch und wedelte damit übertrieben vor seiner Brust herum. Victor hingegen griff sich langsam mit einer Hand an die Stelle, die Sekunden zuvor Yūri noch berührt hatte. „Werden sie etwa so dünn?“, fragte er mit ernster Stimme, das Gesicht immer noch nach unten gerichtet.
 

„Nein! Nein! Nein! Alles in Ordnung“, Yūri schüttelte vehement den Kopf. Diese wundervollen Haare und dünn werden? Sie waren perfekt! „Das ist zu viel für mich. Davon kann ich mich nicht mehr erholen“, er sackte ein wenig zusammen und Yūri befürchtete, dass er sich jeden Moment auf den dreckigen Boden legen würde. Victor spielte also wieder mit ihm, verstand Yūri die Situation plötzlich. Das Spiel können zwei spielen, dachte er schelmisch und warf sich vor Victor auf die Knie, warf die Arme in die Luft, um sie danach wieder auf den Boden zu legen und wiederholte diese Bewegung mehrfach. „Entschuldige! Bitte stehe wieder auf“, flehte er dabei so theatralisch, wie er nur konnte. Er wusste, dass er Victor dabei nicht das Wasser reichen konnte, aber er fand seinen Auftritt gar nicht mal so schlecht.
 


 

Victor war von Yūris spontanem Kniefall mehr als überrascht. Lachend richtete er sich auf und reichte Yūri eine Hand, um ihn wieder auf die Beine zu helfen. Kurz spielte er mit dem Gedanken, zu sagen, dass er ihm nur verzieh, wenn er ihm einen Kuss auf den Scheitel gab, aber offensichtlich war ihm diese Schilderung total unangenehm gewesen und er wollte nicht immer alle Möglichkeiten mitnehmen, ihn in Verlegenheit zu bringen. So verführerisch das auch war. Sie schlenderten nebeneinander und immer noch leise lachend die paar Meter zum Buchladen entlang. Dabei guckten sie einige Passanten irritiert an, die wohl das Schauspiel mitbekommen hatten. Auch Yūri schien es zu merken, denn er hatte wieder einen leichten Rotschimmer auf den Wangen und blickte mehr nach unten, als geradeaus.
 

Eigentlich fand das Victor schade. Er wünschte sich, dass Yūri das Selbstvertrauen hatte, geradeaus und mit einem breiten Grinsen, die Straße entlang zu gehen. Immerhin hatten sie nichts Verwerfliches getan und mit einem strahlenden Lächeln gefiel er Victor fast genauso gut wie errötet. Er musste sich selbst noch sicher werden, was von beiden er lieber mochte, aber beides hatte auf jeden Fall einen ganz besonderen Reiz für ihn. „Wir sind da“, stellte Victor fest, öffnete die Eingangstür und hielt sie für Yūri auf. Yūri nickte und ließ seinen Blick über die Regale gleiten.
 

Victor liebte den Geruch von Bücherhandlungen oder Bibliotheken. Sie gingen durch die Reihen aus Bücherregalen aus Kirschbaumholz. Auf Tischen und auf einer kleinen Plattform vor den Regalen waren die Bücher teilweise kunstvoll arrangiert. Da Yūri sich besser in diesem Bücherladen auskannte, gab er ihm eine kleine Führung. Schlussendlich standen sie in der Mitte des Verkaufsraumes. Victor war in Gedanken verloren, hatte einen Finger an seine Lippe gelegt und starrte die blassen marmorfarbenen Fliesen auf dem Boden an. „Zuerst muss ich wissen, was für Genre du gerne liest. Dann kann ich die Auswahl ein wenig einschränken“, grinste er Yūri dann an.
 

Er beobachtete, wie Yūri seine Stirn nachdenklich runzelte, als müsse er überlegen, was ihm gefällt. Seine Augen folgten dem Finger, der gegen Yūris Kinn tippte und als sich sein Gesicht mit einem Mal aufhellte, wusste Victor, dass er zu einer Entscheidung gekommen war. Victor musste grinsen, da er das einfach süß fand. „Nun ja, ich mag Spannung und Krimis. Psychothriller können echt gut sein, aber ich hatte auch schon ein paar, die zu viel für mich waren. Ich glaube, das hängt sehr vom Thema ab. Aber mein Favorit...“, er hielt inne und errötete wieder ein wenig. „Was ist dein Favorit?“, hakte Victor neugierig nach. Jetzt war er neugierig. Kam er jetzt etwa mit romantischen Komödien oder so etwas?
 

Yūri zögerte immer noch. „Versprichst mir bitte, dass du mich nicht für kindisch oder dämlich hältst, ja?“, bat er leise. „Natürlich werde ich das nicht. Warum sollte ich dich dafür verurteilen, was du gerne liest?“, fragte Victor und lächelte ihn aufrichtig an. Dann also Liebeskomödien, dachte er innerlich und fand diese Seite an ihn schon fast zuckersüß, auch wenn er diese Vorliebe nicht verstehen konnte. Es war aber schön, wie er es ihm gesagt hatte. Es gab so viele gute Bücher. Da konnte jeder selbst entscheiden, was er gerne las. „Ich lese wirklich gerne Science Fiction und Fantasy. Ich kann mich richtig in diese Welt verlieren, besonders bei Fantasy. Wenn ich ein gutes Buch lese, ist es wie ein Film, der in meinem Kopf spielt...“, dann hielt er inne und blickte weg. „Aber ich bin mir sicher, dass du das nicht hören willst. Du denkst jetzt sicher, dass ich ein echter Nerd oder so bin.“
 

„Nein, das denke ich nicht, Yūri. Das ist super! Es zeigt doch deine Leidenschaft für die Geschichte und deine eigene Fantasie. Außerdem ist das ein großes Kompliment an den Autor, denn dann muss das Buch wirklich gut geschrieben sein. Wenn sich der Leser in die Welt hineinversetzen kann, erschafft das Erinnerungen, die immer im Kopf bleiben. Ich liebe es, wenn ich das schon bei einem Manuskript habe. Wenn das einen zu einem Nerd macht, dann sind wir schon einmal zwei. Das passiert mir recht häufig“, lachte Victor und hoffte, dass seine Worte Yūris Unbehagen wegwischen oder zumindest lindern konnte. Er wurde mit einem breiten Lächeln und funkelnden Augen belohnt. Diesen Ausdruck hatte Victor noch nicht gesehen. Definitiv Lachen. Viel, viel besser als Verlegenheit, war ihm sofort klar.
 

„Gut, dann wollen wir mal in die richtige Ecke gehen, oder?“, forderte Victor Yūri auf, ihn dorthin zu führen. Yūri nickte und drehte sich rum, begann in den entsprechenden Bereich des Buchhandels zu gehen. Victor ließ sich ein paar Schritte zurückfallen, beobachtete die fließenden und verlockenden Bewegungen seines Körpers. Das war ein viel besserer Ausblick als am Anfang der Woche, als Yūri zu seinem Auto ging, musste Victor mit einem schiefen Grinsen feststellen. Mit Mühe riss sich Victor aus seinem Tagtraum, als Yūri vor ihm stehen blieb. Dieser Mann würde ihn wirklich noch umbringen.

In seinem Element

Widerwillig riss sich Victor vom Anblick von Yūris Kehrseite. Er blickte über seine Schulter die Regale an und nickte. „Dann fangen wir mal mit Science Fiction an?“, lachte Victor eine eher rhetorisch gemeinte Frage und machte schon zwei Schritte auf das Regal zu. Yūri stand jedoch weiterhin wie angewurzelt, noch einige Meter vom Regal entfernt, stehen. Warum denn so scheu?, fragte Victor sich, während seine Augen die Bücherrücken scannten. Die Auswahl war definitiv zu gebrauchen, stellte er zufrieden fest. Da Yūri immer noch nicht näher gekommen war, drehte er sich wieder zu ihm um. „Was hat dir denn in den Genre bisher gefallen? Und was nicht?“, versuchte er ihn wieder in ein Gespräch zu verwickeln.
 

Yūri zuckte ein wenig zusammen und wurde rot. „Ähm... Tut mir leid, ich war gerade in Gedanken“, lachte er und rieb sich verlegen den Nacken. Konnte dieser Kerl noch goldiger werden? Victor war wieder einmal fassungslos, wie gerne er ihn einfach nur in die Arme schließen und nicht mehr loslassen wollte. „Mit 'Perry Rhodan' konnte ich mich bisher nicht anfreunden. Aber ich habe vor Kurzem 'Der Marsianer' gelesen und fand den wirklich gut“, überlegte er. Victor nickte und schaute dann wieder zum Regal. „Kennst du die ‘Hyperion-Gesänge’ oder die 'The Expanse'-Reihe?“, fragte er zum Regal hin. Er hörte, wie Yūri näher kam, bis er schließlich aus den Augenwinkeln sehen konnte, dass er den Kopf schüttelte. Sofort holte er zwei Bücher hervor und drückte sie Yūri in die Hand. „'Hyperion-Gesänge' kannst du schon als Klassiker ansehen. Viele behaupten, dass es ein Muss für jeden Science-Fiction-Fan ist. Die 'The Expanse'-Reihe ist auch sehr gut, wurde vor nicht allzu langer Zeit sogar verfilmt. Davon gibt es aktuell sechs Bände.“
 

Yūri nickte und fing an, die Beschreibung zu lesen. „Setz dich doch“, lachte Victor und winkte ihn zu einer kleinen Leseecke, die in der Nähe war. Langsam kam er herüber und ließ sich neben Victor nieder, der ihn neugierig von der Seite aus anschaute. Er bemerkte, wie Yūris Lippen sich ganz leicht bewegten, während er las und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er legte den Kopf schief und wartete. „Klingt beides interessant. Hast du beide Bücher gelesen oder kannst du eins besonders empfehlen? Bist du auch der Meinung, dass 'Hyperion' ein Muss ist?“, fragte Yūri Victor und hielt dabei die genannte Ausgabe ein wenig hoch. „Hmmm“, Victor überlegte und legte einen Finger an die Lippe. „Beide sind durchaus spannend und ich würde dir auf jeden Fall empfehlen, beide irgendwann mal zu lesen. Aber ein Muss... Soweit würde ich mich bei den meisten Büchern nicht aus dem Fenster lehnen. Wenn du kein Fan der Thematik bist, kann dich ja niemand dazu zwingen“, lachte er, Yūri nickte nur. Sie schwiegen einen Moment, bevor Victor noch einmal ansetzte: „Lass uns doch einfach mal nach Fantasy-Büchern gucken. Entscheiden kannst du dich ja immer noch.“
 

Damit stand er auf und ging zurück zum Regal. Dabei freute er sich, dass Yūri ihm ziemlich direkt folgte. Kurz schaute er sich auch hier die Auswahl wieder an und drehte sich dann um. „'Herr der Ringe' hast du bestimmt gelesen, oder?“ „Klar und auch 'Der Hobbit' und so ziemlich alle anderen Sachen von Tolkien“, lachte Yūri. Zufrieden nickte Victor. „Das Lied von Feuer und Eis?“, fragte Victor nun, auch hier nickte Yūri. Nachdenklich legte Victor den Kopf schief. Eigentlich hatte er ihn jetzt genau da, wo er ihn haben wollte. Aber so direkt wollte er die Katze nicht aus dem Sack lassen... Ach, was soll's. „Kennst du die 'Loch-Leven'-Saga?“, fragte er nun neugierig. „Nein, noch nie etwas davon gehört. Warum geht es?“, gab Yūri zurück. Victor musste zugeben, dass es ihm einen kleinen Stich versetzte. Aber man konnte ja nicht erwarten, dass jeder die Bücher seiner Autoren kannte, oder? „Na ja, grundlegend spielt es in den schottischen Lowlands, also dem Gebiet zwischen den Highlands. Loch Leven ist ein großer See mit einigen Inseln, auf einem steht sogar Loch Leven Castle, aber die ist heutzutage nur noch eine Ruine. Und im Prinzip geht es um Clans, Intrigen und Kriege. Natürlich auch noch etwas Tiefgründiger und so, aber das ist es im Groben“, Victor zuckte mit einem schiefen Grinsen mit den Achseln. Er wollte nicht zu viel verraten.
 

„Du scheinst diese Saga recht gut zu kennen, bist du ein Fan von ihr?“, wollte Yūri wissen. Victor lachte. „Ja... Ja, sozusagen.“ Er wollte unbedingt, dass Yūri ein Buch las, an dem er beteiligt war, aber er wollte auch ebenso Yūris ehrliche Meinung. Daher wollte er ihm, nach Möglichkeit, noch nichts verraten. Der erste Band dieser Reihe war auch gleichzeitig sein erstes Buch als Co-Redakteur. Zu diesem Zeitpunkt hatte er Emil über die Schulter geschaut und hatte nach und nach alle Arbeiten mit Alan übernommen. Das war auch der Auslöser, warum schlussendlich er auf Alan sitzengeblieben war. Fluch und Segen zugleich, dachte Victor und schob Yūri nun zurück in die Leseecke. Dort schaute er wieder gebannt den leichten Bewegungen seiner Lippen zu. „Ja, ich glaube, ich nehme das hier“, nickte Yūri und blickte Victor mit einem kleinen Lächeln an. „Wunderbar! Du musst mir unbedingt sagen, wie du es fandest“, strahlte Victor und Yūri wurde wieder rot.
 


 

Das Buch klang wirklich interessant und dann noch die Aussicht darauf, dass sie sich über die Reihe austauschen konnten, fand Yūri wirklich verlockend. Er freute sich tatsächlich wie ein kleines Kind darauf. „Ja“, er nickte dabei eifrig und spürte wieder, wie die Hitze in seine Wangen stieg. Sollte er noch eines der anderen Bücher mitnehmen? Oder vielleicht schon den zweiten Band dieser 'Loch-Leven'-Saga? Doch seine Vernunft riet ihm davon ab, außerdem konnte er ja jederzeit wiederkommen. Noch mehr beschäftigte ihn die Frage, ob es hier vielleicht ein Buch gab, an dem Victor als Redakteur mitgewirkt hatte. Aber ihm war es unangenehm zu fragen, immerhin hatte Victor direkt bei ihrer Verabredung gefragt, ob er den Redakteur oder die Privatperson wollte. Er hatte sich für die Privatperson entschieden, also sollte er die Arbeit wohl komplett außen vor lassen.
 

Er nahm die anderen beiden Bücher auf, aber Victor nahm sie ihm aus der Hand. „Geh du schon an die Kasse, ich räume das hier weg“, bot er ihm mit diesem Strahlen an, dass Yūris Herz schneller schlagen und seine Knie weich werden ließ. Nickend stand er auf und verfluchte dabei alle ihm bekannten Gottheiten, dass man zugelassen hatte, dass so ein attraktiver Mensch existierte. Es war für ihn schon einschüchternd, neben so einem Mann zu stehen. Er trug teure, ausgewählte Kleidung, konnte sich gut ausdrücken, sah gut und sportlich aus und schien obendrein auch sonst keinen größeren Makel zu haben. Er dagegen war das glatte Gegenteil. Seltsamerweise half seine Erfahrung mit ihm in der Telefonsex-Hotline einerseits, dass er für ihn nicht so unerreichbar war. Immerhin kannte er einige von Victors schmutzigsten Fantasien. Aber andererseits machte das den Umgang mit ihm umso schwieriger. Ständig hatte er Fragmente von ihrem Intermezzo im Kopf, besonders wenn Victor ihm in die Augen sah und mit ihm sprach.
 

„Wollen sie eine Tüte?“, riss ihn die Verkäuferin aus seinen Gedanken und Yūri erschrak. Unbewusst hatte er ihr das Buch gegeben und auch schon sein Portmonee in der Hand. Er schimpfte innerlich mit sich, so in Gedanken zu sein. „Ja, gerne“, antwortete er und blickte sich verstohlen um, doch Victor stand noch am Regal. Was machte er da? Sprach er mit einer Frau? Schnell bezahlte er, bedankte sich und nahm die Tüte. Er hörte das unverkennbare Lachen von Victor und ein glockenhelles Kichern, das ihm irgendwie schon jetzt nicht passte. Neben Victor stand eine, fast schon dürre, Frau, Yūri schätzte sie ungefähr in seinem Alter, mit rotblonden Haaren und jeder Menge Sommersprossen, die sie versuchte, mit viel zu viel Make-up zu überdecken. Sie trug ähnlich teure Kleidungsstücke wie Victor, nur mit viel weniger Stil. Geschmack kann man halt nicht kaufen, dachte sich Yūri wieder mit Blick auf Victor. Irgendwie musste er sich dazwischen drängen und seinen Anspruch auf ihre Verabredung geltend machen. Er würde sich sicherlich nicht von so einer Frau Victor wegschnappen lassen.
 

„Also ich sage dir, die Typografie ist das Wichtigste. Die Diktion ist zwar schön und gut, aber die orthotypografische Korrektheit ist das Optimum, nach dem man streben sollte. Akzidenzsätze sind zwar ganz charmant, aber damit weit zu kommen ist reine Utopie. Mit dieser Genese gehe ich nicht d'Accord“, nicht nur ihre komisch schrille Stimme zehrte an Yūris nerven, sondern auch ihre Ausdrucksweise ging ihm tierisch auf den Keks. Es hörte sich unglaublich hochtrabend an, aber irgendwas sagte ihm, dass sie nur Stuss redete. Sie wollte Victor offenbar beeindrucken. Schaffte sie es? Ergaben ihre Worte vielleicht für jemanden, der in dem Gebiet arbeitete, Sinn? Konnte sie ihn tatsächlich beeindrucken? Panik stieg in Yūri hoch und er ging nun geradewegs auf die beiden zu. Und da fiel es ihm auf. Von dem strahlenden Lächeln, das er ihm schenkte, war nichts zu sehen. Es wirkte aufgesetzt und einfach nur notgedrungen höflich. Als Victors Blick zu ihm glitt, sah er schon fast erleichtert aus. „Yūri! Du hast ja schon bezahlt. Tut mir so leid, ich habe dich warten lassen“, Victors Gesicht hellte sich auf und Yūri kam neben ihm zum Stehen.
 

Doch plötzlich spürte er Victors Hand an seiner Taille und wie er ihn näher an seine Seite zog. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals und er dachte, er müsse sich jeden Moment vor Panik übergeben. Doch gleichzeitig fühlte sich die Wärme an den Stellen, die sich berührten, so wahnsinnig gut an. Natürlich nur, um das Spiel mitzuspielen, glitt seine freie Hand auch zu Victors Taille. Nein, Yūri war ehrlich genug zu sich selbst um sich einzugestehen, dass er es nur tat, weil er die Chance nicht verstreichen und ihr dann hinterher trauen wollte. Eigentlich wollte er Victor ein fröhliches Lächeln zuwerfen, aber er wusste, dass es scheu und verlegen aussah. Victors Lächeln war dafür umso strahlender. „Ah, bitte entschuldige. Darf ich dir-“, setzte Victor an, doch die Frau warf ihnen beide einen vernichtenden Blick zu, drehte sich dann mit wehenden Haaren auf ihren hochhackigen Schuhen um und stürmte davon.
 

Yūri hörte, wie Victor etwas amüsiert gluckste und ihn dann losließ. Mit Bedauern tat er es ihm gleich und merkte erst dann, dass er den Atem angehalten hatte. Keuchend holte er Luft, sein Kopf – wieder einmal – knallrot. „Yūri! Du hast mich gerettet! Ich hatte keine Ahnung, wie ich sie höflich wieder los werde“, erleichtert sah Yūri wieder das echte Lächeln im Gesicht des Anderen. „Na ja, höflich würde ich das jetzt nicht nennen“, schnaubte er verlegen. „Liebe hat nichts mit Höflichkeit zu tun“, zwinkerte Victor und setzte sich, in Richtung Ausgang in Bewegung. Wie versteinert stand Yūri da. Liebe? Hatte er das jetzt wirklich gesagt? Victor drehte sich wieder um und grinste ihn an. „Bei dieser schauspielerischen Meisterleistung kann sie ja nicht wissen, dass wir kein Paar sind“, zwinkerte er dann.
 

War er enttäuscht? Natürlich war er enttäuscht. Andererseits war er auch froh, denn so zwischen Tür und Angel ein Liebesgeständnis zu bekommen, hätte ihn mehr als nur überfordert. Dennoch könnte er sich im Augenblick nichts Schöneres vorstellen, als ein Liebesgeständnis von Victor. Aber sollte er ihn davor nicht besser kennenlernen? Vielleicht war da irgendwo ja doch ein Haken? Aber wie soll sich so ein Mann, wie Victor es war, in so einen wie Yūri verlieben? Er musste dringend mal wieder mehr Sport machen und beruflich hatte er noch rein gar nichts erreicht. Victor hingegen stand mitten im Leben. Außerdem würde so ein Mann sicherlich Frau und Kinder wollen. Bei einer Telefonsex-Hotline nur mit Männern anzurufen war wahrscheinlich nur eine Befriedigung bisexueller Neugierde. Und da Yūri nicht schlecht darin gewesen war, hat er der Einfachheit halber eben nur noch bei ihm angerufen. Ja, so musste es sicher sein.
 

Langsam hatte er sich wieder beruhigt, auch wenn sein Kopf immer noch so heiß war, als könnte man darauf Spiegeleier braten. Victor stand am Eingang und beäugte ihn aufmerksam. Yūri atmete kurz durch und ging dann zu ihm. Wie bei der Ankunft schon hielt Victor ihm die Tür auf, so trat Yūri als Erstes auf die Straße. Direkt stieg ihm ein verlockender Essensgeruch in die Nase und sein Magen knurrte. Victor neben ihm blieb stehen und schnüffelte auch. „Vkusno!“, rief er aus und blickte sich um. "Sollen wir etwas zu Mittag essen? Ich lade dich ein", strahlte er ihn wieder an. "Du musst mich nicht einladen", wehrte Yūri peinlich berührt ab. "Nein, nein. Ich bestehe darauf. Das habe ich schon geplant. Ehrlichkeit muss belohnt werden, Yūri, also lass mich dich verwöhnen! Ich war ganz schön überrascht, als mir der Herr von meiner Versicherung von dem versuchten Betrug erzählt hat!“, zwinkerte Victor. „Ach... Das war doch selbstverständlich. Du musst wirklich nicht“, murmelte Yūri verlegen und schaute zu Boden. „Yuuuuuuuri“, brummte Victor langgezogen und als Yūri aufschaute, sah er, dass er seine Auge zu schmalen Schlitzen verengt hat. „Keine Widerrede, haben wir uns verstanden?“ Yūri nickte. „Ja, in Ordnung. Ich nehme die Einladung an“, Yūri war immer noch verlegen, doch sofort hatte Victor wieder sein breites Grinsen im Gesicht. „Super! Dann lass uns los!“, damit umfasste er sein Handgelenk und zog ihn die Straße entlang.

Sauber beschriftete Tupperdosen

Schlussendlich hatte er sich einfach mitziehen lassen. Eigentlich hätte er sich ja in Form eines Mittagessens bei Victor bedanken wollen. Nun saßen sie aber bei einem doch eher hochpreisigen Perser und aßen etwas, das Yūri nicht ansatzweise aussprechen konnte. Am Anfang war alles noch gut gewesen. Yūri hatte sich gut herauswinden können, indem er dem Kellner einfach sagte, er wolle das Gleiche wie Victor. Nun saß er da und schaute ein wenig verträumt zu, wie eine Gabel nach der anderen in diesen verführerischen Mund wanderte. „Yūri? Schmeckt dir dein Gheymeh Khoresht nicht?“
 

Yūri blinzelte verwirrt. „Bitte?“, fragte er. „Dein Essen“, Victor deutete leicht mit der Gabel auf seinen, fast unangetasteten Teller. „Nein, nein“, wehrte er schnell ab. „Ich habe mich nur gerade gewundert, wie es heißt und woher du weißt, wie man es ausspricht“, lenkte Yūri schnell von dem wahren Grund ab. Auch wenn er die Hitze in seinen Wangen spürte, war er der Meinung, dass seine Ablenkung mehr als überzeugend war. Victor hob eine Augenbraue und blickte ihn durchdringend mit seinen blauen Augen an. Yūris Herz schlug schneller. „Ich war hier schon ein paar Mal und habe eben gefragt, wie man es richtig ausspricht“, lächelte ihn Victor an. Hatte er ihn durchschaut? „Und wenn man weiß, wie man es aussprechen soll, ist es eigentlich ganz einfach: Chei-me Choh-resch. Also ein kratziges 'ch' statt einem 'Gh' und 'Kh'.“
 

Yūri lachte und versuchte, es ihm nachzusprechen. „Na siehst du? Wird doch schon besser“, Victor belohnte ihn mit einem strahlenden Lächeln. Ein bisschen unwillig riss Yūri seine Augen von dem Anblick und begann nun auch zu essen. Man konnte ihn normalerweise beim Essen nicht sonderlich experimentierfreudig nennen, doch es schmeckte ihm ziemlich gut. Der Reis war von der Konsistenz her, wie er ihn mochte, nur nicht klebrig genug. Dafür aß man dieses Gericht auch eher mit Gabel oder Löffel. „Um unser Gespräch von Letztens noch einmal aufzunehmen“, fing Victor nach einer Weile an. „Ich könnte jemanden gebrauchen, der mich beim Autokauf begleitet.“ Yūri blickte auf und sah Victor an. Ein Reiskorn an Victors Unterlippe fing seine Aufmerksamkeit ein und wollte sie auch nicht mehr loslassen. „Ähm... Meinst du mit jemanden etwa mich?“, Yūri schluckte, seine Augen immer noch auf das Reiskorn gerichtet. „Sonst hätte ich das nicht angesprochen“, lachte Victor, dabei tanzte das Reiskorn auf und ab.
 

Konnte er einfach so seine Hand ausstrecken und Victor das Reiskorn wegwischen? Seine Lippen einfach so berühren? Waren sie so sanft, wie sie aussahen? Yūri nahm einen Schluck Wasser, um sich vom Fantasieren abzulenken. „Aber so gut kenne ich mich nicht mit Autos aus, als dass ich dir eine wirkliche Hilfe sein könnte“, gab Yūri zu bedenken. „Ach was. Der Verkäufer soll die Beratung übernehmen. Um ehrlich zu sein, brauche ich jemanden bei mir, der mir auch mal auf den Fuß tritt“, gab Victor grinsend zu. Nun verstand Yūri gar nichts mehr. „Auf den Fuß treten? Warum?“, fragte er mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Hmm... Wie soll ich das ausdrücken?“, überlegte Victor und legte seinen Kopf schief. Er hatte sein Besteck abgelegt und legte einen Finger an die Lippe. Eine Bewegung, die er immer machte, wenn er überlegte. Das war Yūri schon mehrfach aufgefallen. Irgendwie war es dämlich und unglaublich süß zugleich. Es sah vielleicht auch ein klitzekleines Bisschen dämlich aus. Doch an Victor hatte es irgendetwas, was Yūri nicht in Worte fassen konnte.
 

„Ich bin ziemlich begeisterungsfähig. So kann man es nennen“, erklärte Victor dann mit einem Grinsen und erhobenem Finger. „Ist das so?“, nun hob Yūri die Augenbraue neckend. „Du lässt dir also schnell etwas Aufschwatzen?“, grinste er. „Yuuuuuuri!“, schmollte Victor empört, doch ein weiterer Einspruch blieb aus. „Ich begleite dich gerne. Wann soll es losgehen?“, kam nun Yūri auf das eigentliche Thema zurück. Er konnte nicht behaupten, dass es nicht etwas guttat, Victor ein wenig ärgern zu können. „Am liebsten so schnell wie möglich, wenn ich ehrlich bin. Hättest du nächste Woche irgendwann Zeit?“, Victor hatte wieder sein Besteck aufgenommen und aß die letzten Reste von seinem Teller. Yūri tat es ihm gleich, während er überlegte, ob irgendetwas anstand.. „Meine Arbeitszeiten kann ich mir frei einteilen. Von da ist es mir eigentlich egal. Hast du denn schon das Geld von der Versicherung?“, Yūri war überrascht, denn Versicherungen ließen sich für gewöhnlich Zeit.
 

Victor schüttelte mit dem Kopf. „So lange kann ich nicht warten. Ich muss flexibel bleiben und momentan bin ich von Kollegen oder dem öffentlichen Verkehrsnetz abhängig. Ehrlich gesagt nervt mich das ein wenig“, gab er etwas schlecht gelaunt zu. „Kann ich verstehen“, nickte Yūri verständnisvoll. „Wir können von mir aus direkt Montag los. Soll ich dich wieder abholen und wenn ja wo?“, bot er an. Victors Gesicht hellte sich wieder auf. „Yūri! Du bist meine Rettung! Was würde ich ohne dich bloß tun?“ Da war wieder Victors bekannte Theatralik, dachte Yūri, wurde aber dennoch wieder rot. „Ja, klar. Wegen mir ist dein Auto kaputt, dann kann ich dir auch gerne ein wenig aushelfen“, winkte er dann ab. „Yūri! Mein Auto ist wegen meiner eigenen Dummheit kaputt gegangen, hör auf, dir die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben!“, mahnte Victor ernst, doch sprach dann fröhlich weiter: „Kennst du den Parkplatz hinter dem Speedway Gemischtwarenladen in Bricktown? Ich glaube, da haben wir am wenigsten Probleme mit dem Feierabendverkehr. Ab wann könntest du denn?“, fragte Victor. Yūri nickte. „Ja, kenne ich. Ich habe bis 14:00 Uhr noch Vorlesungen, aber dann wäre ich so in 20 Minuten da“, bot er Victor an.
 

Dieser legte wieder einen Finger an die Lippe und überlegte. „Montag sollte ich früher Feierabend machen können. Das sollte also klappen. Wäre das ok, wenn ich dir Montag noch einmal schreibe, ob es tatsächlich klappt?“, fragte Victor mit einem Lächeln. „Natürlich“, sagte Yūri nur eine Spur zu enthusiastisch und schluckte ein 'Du kannst mir immer schreiben!' gerade noch rechtzeitig hinunter. Immerhin wollte er ja nicht verzweifelt klingen. Tatsächlich aber fand er es schon schade, dass sie bereits vor ihren leeren Tellern saßen. Hatte er hier nach noch einmal das Glück, dass sich ihre Verabredung noch weiter ausdehnte? „Möchtest du auch einen persischen Mokka zum Abschluss?“, holte ihn Victor aus seinen Gedanken. „Ähm... Ich habe noch nie einen persischen Mokka getrunken“, sagte Yūri ein wenig unsicher. „Das musst du probieren! Aber egal was, rühr nicht um!“, lachte Victor.
 


 

„Makkachin! Ich bin wieder zu Hause“, flötete Victor fröhlich und sofort kam sein Pudel angerannt und sprang an ihm hoch. „Nicht so schnell, alter Junge! Wir sind beide nicht mehr die Jüngsten“, lachte er und tätschelte liebevoll den Kopf seines Hundes. „Du möchtest bestimmt wissen, wie die Verabredung mit Yūri war, was?“, sprach er weiter im Plauderton, während er seine Schuhe auszog und dann in Richtung Schlafzimmer ging, um seine Kleidung in eine gemütliche Trainingshose zu tauschen. „Weißt du, Yūri ist wirklich toll. Er ist toll, wenn er verlegen wird, aber umwerfend, wenn er lacht“, schwärmte er gedankenverloren, blieb dann jedoch mit einem Mal stehen.
 

„Weißt du, mein alter Freund? Eigentlich bin ich ganz schön eifersüchtig auf dich. Wir müssen mal ein ernstes Wörtchen miteinander reden“, sprach er dann ernst zu Makkachin. Er erhielt ein Winsel als Antwort, als wüsste Makkachin ganz genau, dass er was falsch gemacht hatte. „Ich kann das nicht lange auf mir sitzen lassen“, stellte Victor klar. „Es geht einfach nicht. Ich liebe dich, das weißt du ganz genau, aber ich werde deinen Vorsprung aufholen, hörst du?“, er erhob dabei mahnend einen Finger. „Es geht einfach nicht, dass du vor mir Yūri einen Kuss gegeben hast!“, Makkachin versteckte seine Augen unter den Pfoten und winselte erneut. „Wenigstens siehst du es ein, alter Freund! Dann ist ja alles geklärt“, lachte Victor wieder und hockte sich hin, um Makkachin mit beiden Händen den Kopf ausgiebig zu kraulen.
 

Er war sich gerade am umziehen, als sein Handy klingelte. Ohne hinzuschauen nahm er den Anruf an und stellte auf Lautsprecher. „Ja?“, fragte er während er das T-Shirt, das er unter seinem Pullover getragen hatte, über den Kopf zog. „Victor, mein Freund! Wie war dein Date?“, ertönte eine wohlbekannte Stimme aus dem Hörer. „Chris“, stellte Victor fest. „Es war kein Date, nur eine Verabredung. Aber es lief gut. Wir waren noch im Schandis essen“, erzählte er seinem besten Freund. „Ja ja. Du kannst mir viel erzählen. Aber alleine die Tatsache, dass du mit mir Klamotten einkaufen warst, zeigt, dass es dir wirklich ernst ist. Ich beknie dich seit unserer College-Zeit, dass ich dich mal einkleiden darf und erst jetzt hast du mein Angebot angenommen!“, wenn einer in Sachen Theatralik mit Victor mithalten konnte, dann Chris.
 

„Nicht, dass ich das auch alleine geschafft hätte“, schmollte Victor ein wenig. „Du wärst mit einem halben Anzug dahin gegangen, so wie ich dich kenne“, konterte Chris. „Und das ist schlimm, weil...?“, wollte er wissen. „Es ist gar nicht schlimm. Aber du solltest dich einfach von deiner Schokoladenseite zeigen, Victor! Du wirst nicht jünger!“, lachte Chris und Victor schnaubte. „Und? Was hast du angezogen? Hast du auf mich gehört und die rote Hose mit dem hellblauen Pullover angezogen?“ „Nein, habe ich nicht. Ich wollte nicht aussehen wie ein Papagei“, gab Victor mürrisch zurück. „Aber Color Blocking ist wieder voll im Trend! Ich wusste, ich hätte heute noch einmal vorbei kommen sollen! Dich kann man echt nicht alleine lassen!“, zeterte Chris. „Ich hatte die schwarze Jeans an und den blaugrauen Pullover an. Das war auch nicht zu dick aufgetragen für das erste Date“, widersprach Victor. „Ha! Jetzt hast du es selbst gesagt!“, jubelte Chris und pfiff dann aber durch die Zähne. „Du gehst direkt aufs Ganze, was? Nicht erst das verspielte Outfit, der Herr geht direkt zur 'Ich-bin-ein-seriöser-Fang'-Nummer über, was?“, neckte Chris.
 

Victor rollte nur mit den Augen, wurde dann aber ernst. „Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, Chris. Aber diesmal wünsche ich mir wirklich sehr, dass es was wird. Er ist irgendwie anders und ich habe das Gefühl, als würden wir uns schon länger kennen“, gab er zu, doch von seinem besten Freund erntete er nur Schweigen. Er lehnte sich gegen die Spiegelwand seines Kleiderschranks, ließ den Kopf nach hinten fallen, bis er mit einem dumpfen Laut auf den Spiegel traf. „Ich hoffe nur, dass ich es nicht verbocke.“ Jetzt war es raus. Es aus seinem eigenen Mund zu hören, machte es irgendwie besser und auch gleichzeitig schlimmer. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, denn immer wenn er bisher etwas haben wollte, hatte er es auch ohne größere Anstrengungen bekommen. Bei den meisten seiner, zugegeben kurzen, Bekanntschaften hatte sein Aussehen oder sein Geld eine große Rolle gespielt. Vielleicht war das auch der Grund, warum er wollte, dass sich Yūri in den Victor hinter all dem verliebte und nicht in die Fassade, die Victor in der Öffentlichkeit gerne zur Schau trug.
 

„Soll ich ehrlich sein?“, holte die Stimme von Chris ihn wieder zurück in die Realität. „Hm?“, eigentlich war er sich nicht sicher, ob er das hören wollte. „Ich bin erleichtert, dass du endlich was gefunden hast, was du ernsthaft angehst. Also außerhalb der Arbeit, natürlich“, setzte Chris an. „Natürlich“, wiederholte Victor schnaubend, halb belustigt und halb irritiert. „Es wurde auch echt mal Zeit, dass dir ein Kerl mal so richtig den Kopf verdreht und du nicht ihm! Und wenn wir schon beim Ehrlichsein sind, ich glaube, wenn du dich so gibst, wie du wirklich bist, verbockst du nichts. Du bist ein prima Kerl und man kann sich immer auf dich verlassen. Ich hätte nie gedacht, dass mal ausgerechnet zu dir zu sagen, aber hab mehr Vertrauen in dich. Du machst das schon.“ „Wie kommt es, dass du immer weißt, was du sagen musst, damit man sich besser fühlt?“, lachte Victor leise. „Ich kenne dich lange genug, Mon Chéri“, lachte Chris und warf einen Kuss durch den Hörer, Victor schüttelte aber nur grinsend den Kopf. „Und jetzt zu der wirklich wichtigen Frage: Habt ihr schon einen Termin für die nächste 'Verabredung' ausgemacht?“, das Wort 'Verabredung' betonte Chris dabei besonders.
 

„Ja, er holt mich am Montag ab und begleitet mich beim Autokauf“, Victor freute sich schon alleine beim Gedanken daran. Nur noch 2 Tage. „Autokauf? Victor, willst du das wirklich? Soll er dich direkt von deiner schlechtesten Seite sehen?“, spottete Chris nun wieder lachend. „Ich brauche jemanden, der verhindert, dass ich über die Stränge schlage. Und ich kenne da einen sogenannten besten Freund, der lieber nach Ibiza fliegt, statt mir zu helfen“, warf Victor ihm in gespielter Ernsthaftigkeit vor. „Ach ja? Ich würde eher sagen, dank deinem selbstlosen, besten Freund hast du am Montag ein weiteres Date mit deinem Schwarm. Ich wusste, dass du es anders gar nicht erst auf die Kette bekommen würdest, also habe ich mich selbst mit dieser Reise geopfert! Sei gefälligst dankbar!“, echauffierte sich Chris, bevor beide in Gelächter ausbrachen.
 


 

Yūri kam gerade aus der Dusche, als sein Handy klingelte. Aufgeregt lief er zum Couchtisch, um zu sehen, dass Phichit ihn via Videochat anrief. „Phichit! Wie geht es dir?“, fragte er fröhlich, nachdem er auf das grüne Symbol getippt hatte. „Yūri! Mir geht es gut! Aber ich vermisse dich und meine Babies! Wie geht es dir und den Drei?“, wollte er gut gelaunt wissen, doch Yūri fand, er sah müde aus. „Uns geht es allen Vier gut! Wirklich gut, Phichit. Aber du siehst müde aus“, antwortete er. „Viel zu tun und irgendwie arbeite ich mehr, als alles andere. Aber es lohnt sich. Ich habe jetzt schon viele neue Erfahrungen und Eindrücke gewonnen. Eventuell verlängern wir sogar noch den Aufenthalt. Aber dann komme ich erst einmal für zwei bis drei Wochen heim“, erzählte er und das Strahlen in Phichits Augen kam zurück. Yūri war beruhigt, auch wenn der andere Teil der Neuigkeit ihm nicht ganz so schmeckte. Die Wohnung fühlte sich ohne seinen besten Freund viel zu leer an.
 

„Gibt es was Neues? Was macht der Job?“, wollte Phichit nun wissen. Yūri konnte nur schwer ein Grinsen unterdrücken. Er musste es ihm sagen, sonst würde er noch platzen. „Der Job läuft wirklich gut, ich habe auch schon mehr oder weniger eine Stammkundin gewonnen“, beschränkte er sich kurz auf das Berufliche. „Und dann habe ich noch jemanden kennengelernt“, jetzt brach das Grinsen in Yūris Gesicht aus. „Echt? Erzähl mehr! Spann mich nicht auf die Folter!“, forderte ihn Phichit mit großen Augen auf, er lehnte sich sogar, vor lauter Neugierde, etwas nach vorne. „Du wirst es nicht glauben, Phichit. Ich habe es auch nicht wahrhaben wollen. Aber mir ist da dieser Kerl ins Auto gefahren. Also mehr in die Begrenzungspoller am Straßenrand und so haben wir uns kennengelernt“, es bereitete Yūri irgendwie eine diebische Freude, seinen besten Freund ein wenig hinzuhalten. „Oh mein Gott! Bist du in Ordnung? Wie groß ist der Schaden?“, Phichit sah nun wirklich besorgt aus, doch Yūri winkte ab. „Die Reparatur kostet 300 Dollar, also nicht der Rede wert. Er ist ausgewichen und eben in die Poller rein. Sein Auto ist ein Totalschaden.“
 

„Zum Glück. Warum hast du nicht sofort etwas gesagt? Ich hätte sicher ein oder zwei Tage zurückkommen können und -“, doch Yūri schnitt ihm die Worte ab. „Weil alles in Ordnung ist, Phichit. Er hat abends sogar noch angerufen, um sicher zu stellen, dass ich nicht doch ein Schleudertrauma habe“, erklärte er ihm. Das schien Phichit zu beruhigen. „Wenigstens einer von euch beiden scheint vernünftig“, schnaubte er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber du kennst noch nicht das Unglaublichste an dieser Geschichte“, behauptete Yūri und Phichit hob fragend beide Augenbrauen. „Ich wollte es erst auch nicht glauben, ich meine, wie könnte es denn auch sein?“, Yūri schüttelte selbst ungläubig den Kopf, obwohl er genau wusste, dass es wahr war. Phichit machte nur eine ungeduldige Geste mit der Hand, damit Yūri weiter redete. „Es ist Victor, Phichit!“, platzte es nun aus Yūri heraus und Phichit fiel alles aus dem Gesicht. „Ist das dein Ernst?“, hakte er nach.
 

„Hundert Prozent. Das ist Victor. Und er sieht so wahnsinnig gut aus, dass er dafür eigentlich verhaftet werden müsste“, lachte Yūri ein wenig hysterisch. „Aber du triffst diesen Kerl nicht noch einmal, oder?“, hakte Phichit mit ernster Stimme nach. „Was? Doch, natürlich! Wir waren heute gemeinsam nach Büchern gucken und am Montag fahre ich ihn zu einem Autohändler“, Yūri war über die plötzliche Vehemenz in Phichits Stimme irritiert. „Sag das ab, Yūri. Du weißt nicht, was er mit dir vor hat“, Phichit schüttelte den Kopf. „Was? Victor ist in Ordnung. Warum unterstellst du ihm so etwas, wenn du ihn doch gar nicht kennst?“, Yūri war fassungslos. „Er war bei dir Stammkunde. Bei einer Sexhotline! Da brauch man nicht viel für, um zu merken, dass da was nicht stimmt“, zischte Phichit. „Er hat mich ja noch nicht einmal erkannt, glaube ich“, gestand Yūri ihm. „Umso besser! Deine Chance, noch da rauszukommen! Yūri, ich möchte nicht, dass mein bester Freund in einer Tiefkühltruhe in kleinen Scheiben in sauber beschrifteten Tupperdosen endet“, Phichit war schon fast verzweifelt.
 

„Hab ein bisschen mehr vertrauen! Das ist ein menschliches Bedürfnis und ich finde es besser, als irgendwo einen One Night Stand abzuschleppen“, Yūri kam nicht aus dem Kopfschütteln heraus. „Eben! Ein menschliches Bedürfnis. Wer sagt denn, dass er sein menschliches Bedürfnis nicht endlich mal an einem menschlichen Objekt auslassen möchte?“, konterte Phichit. Yūri wusste, dass es jetzt eher kontraproduktiv war, Phichit zu sagen, dass er nichts dagegen hätte. Zumindest nicht, wenn sie sich erst einmal näher kennenlernen würden und er wusste, dass auch Victor in ihn verliebt war. Aber würde es denn jemals so weit kommen? „Phichit, bitte vertraue mir. Aber damit du beruhigt bist, nehme ich das Pfefferspray mit, ok?“, bot Yūri an. „Meinetwegen. Aber du schreibst mir währenddessen Nachrichten und rufst an, wenn du wieder zu Hause bist, hörst du? Und ich möchte wissen, wo du gerade bist, falls etwas ist. Hast du verstanden?“, forderte Phichit mit erhobenem Zeigefinger. „Ja, Mama“, maulte Yūri und rollte mit den Augen. „Das habe ich genau gesehen, junger Mann“, lachte Phichit, der wohl endlich seinen Humor wiedergefunden hatte.

Kaugummi

Hallo zusammen!
 

Ich hoffe, dass wenigstens irgendwer, dass das hier ließt, gerade nicht so ein trübes Mistwetter hat, wie bei mir gerade ist xD Ich möchte endlich Schnee haben *seufz* Und beim nächsten Schnee-Verkehrschaos schimpfe ich dann wieder mit mir xD Im letzten Winter standen da wirklich 100 Meter Auto an einem Berg und alle kamen nicht hoch. Ein hoch auf gute Winterreifen! Habe alle überholt. In meinem treuen Honda namens 'Elmo' xD
 

Heute gibt es mal wieder ein etwas humorvolleres Kapitel ^^ Ich hoffe, dass ich euch damit den Tag ein wenig versüße.
 

Apropos 'Tag versüßen': Vielen Dank an Nokori und Wurzelgemuese, die mir mit ihren Kommentaren wieder mehr als nur einen Tag versüßt haben :3 *Lebkuchen da lass*
 

Viel Spaß beim Lesen!
 

LG

yezz

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"Sara? Ich mache heute schon so gegen 13:45 Uhr Feierabend, ja?", Victor streckte seinen Kopf aus seiner Bürotür heraus in den Flur. Sara blickte ihn mindestens genauso überrascht an, wie Emil, der vor Sara mit einem kleinen Stapel Briefe stand. Langsam blickten sie sich an. "Meinst du, das sind Spätfolgen vom Unfall?", fragte Emil und runzelte die Stirn. "Das ist gut möglich", Sara legte nachdenklich den Kopf schief. "Oder er wurde am Wochenende von Aliens entführt und ausgetauscht", schlug sie dann vor. "Oh ja. Das ist auch möglich", er musterte Victor von Weitem. "Aber haben sie gut hinbekommen, die Kopie. Sogar die langsam lichter werdenden Haare haben sie berücksichtigt", lachte Emil dann.
 

Theatralisch schnaubend kam Victor aus seinem Büro und ging auf die beiden zu. "Und siehst du? Er hat sogar keine Anzugsweste an! So leger ist unser Victor nicht. Wer bist du und was hast du mit unserem Victor gemacht?", lachte Emil und hielt ihm, wie zur Selbstverteidigung, den Brieföffner von Saras Schreibtisch unter die Nase. Victor rollte mit den Augen und blickte genervt. "Wo ist euer Problem? Ich will einfach mal früher Feierabend machen", fragte er mit verschränkten Armen. "Ja, genau das ist das Problem. Victor hat noch nie früher Feierabend gemacht", lachte Sara. "Gar nicht war, ich war letztens auch früher weg, als ich die Impfung bekommen habe", korrigierte Victor so mit einem belehrenden Blick. "Nein, Victor. Du bist nur pünktlich gegangen. Das gilt nicht als früher, auch wenn es für dich schon fast früher gehen ist. Aber Victor, bei anderen Menschen ist das normal", konterte sie. "Also Victor? Was hast du? Du kannst mit uns über alles sprechen", mischte sich nun wieder Emil ein.
 

"Kein Auto habe ich", seufzte Victor theatralisch. "Ich fahre heute Mittag in ein Autohaus." Jetzt sahen die beiden neugierig aus. "Wird es wieder ein Ford?", fragte Emil, doch Victor schüttelte mit dem Kopf. "Ich denke, es wird ein Elektroauto." "Gibt es doch von Ford. Den Mondeo, wenn ich mich richtig erinnere", sagte Emil. "Ein vollelektrisches Auto", konkretisierte Victor. Emil pfiff durch die Zähne. "Nett. Wie kommst du hin? Soll ich dich fahren?", bot er dann an. "Nein, ein... Freund fährt mich", er zögerte nur einen Augenblick, als er überlegte, wie er Yūri bezeichnen sollte. Aber Emil sprang sofort darauf an. „Ein Freund oder dein Freund?“, grinste er frech und Sara blickte ihn mit großen Augen an. „Ein Freund, Emil“, antwortete er genervt, doch Emil ließ sich davon nicht einschüchtern. Er wandte sich sofort an Sara. „Nicht, dass er abgestritten hätte, dass er auf Männer stehen würde“, flüsterte er noch gerade laut genug, dass es auch Victor hören konnte, dann blickten sie wieder verstohlen zu Victor, Sara hielt eine Hand vor den Mund und kicherte leise.
 

Victor legte eine Hand an seine Stirn und rieb dann über die Augen. „Schön. Ja. Gut. Ich stehe auf Männer und Frauen. Und?“, jetzt war Victor tatsächlich genervt. Nicht nur, weil er das Thema auf der Arbeit vollkommen unangebracht fand, er wollte auch eigentlich gar nicht, in so einer Lage über seine sexuelle Orientierung sprechen. Doch jetzt blinzelten sie ihn beide verwirrt an. „Nichts, Victor. Lass dich doch ruhig ein wenig aufziehen“, grummelte Emil ein wenig, doch Sara war tatsächlich überrascht. „Ich hatte gewettet, dass du schwul bist“, sagte sie frei heraus. „Bitte was?“, das hatte Victor völlig kalt erwischt. Sara lächelte entschuldigend. „Als wir zu deinem Einstand weggegangen sind“, begann sie zu erklären. „Nun ja, als dieser Chris dazu stieß wurde es relativ feucht fröhlich und wir haben irgendwann gewettet... Ich war mir so sicher, dass du mit ihm zusammen bist oder da zumindest mehr ist“, erklärte sie und ihr war es deutlich unangenehm.
 

„Ähm... Nun ja“, Victors Mine wurde daraufhin vollkommen ausdruckslos und seine Bewegungen froren ein. Das konnte er ja nun schlecht abstreiten, oder? Also atmete tief durch. „Jedenfalls mache ich heute früher Feierabend und muss daher noch ein bisschen was erledigen“, er drehte sich um und ging zurück in sein Büro. Hinter ihm hörte er die beiden nur lachen. Er wusste, dass sie ihn nicht auslachten sondern nur die Situation komisch fanden. Er selbst musste sich auch ein Grinsen und ungläubiges Kopfschütteln zumindest so lange verkneifen, bis er wieder ungestört in seinem Büro war.
 


 

Yūri saß ihm großen Hörsaal und trommelte ungeduldig mit seinen Fingern auf seinem Notizblock herum. Dabei blickte er zwar noch vorne, aber weder sah noch hörte er den Dozenten. Das Einzige, was er wirklich bewusst war nahm, was die Uhr, die langsam vor sich hin tickte und ihn zu verspotten schien, indem sie extra langsam war. Natürlich hörte Yūri das Ticken nicht wirklich. Es war eher in seinem Kopf. Es war wie früher in seiner Kindheit, wenn jemand ein Countdown gezählt hatte und absichtlich verlangsamte... 5... 4....... 3............. 2.......... 1 ½................. 1 ¼........... 1........... ½................................................... Los! Eigentlich hieß es unter den Studenten immer, dass der Dienstag am Langsamsten verging, weswegen er auch Kaugummi-Dienstag genannt wurde. Aber das heute war eindeutig ein Kaugummi-Montag. Und was für einer. Yūri seufzte.
 

Schon gestern war er den ganzen Tag in Gedanken bei ihrem heutigen Treffen gewesen. Auch wenn das Gespräch mit Phichit ihn ein wenig genervt hatte. Yūri war klar, dass er sich nur Sorgen machte. Natürlich war es auch sehr komisch, wie sie sich kennengelernt hatten. Also über seinen Job, nicht bei dem Autounfall. Man könnte wirklich meinen, Phichit habe zu viele, schlechte Krimis gesehen. Oder Splatter, korrigierte er sich, als ihm das mit den Tupperdosen wieder einfiel. Er wünschte sich wirklich, dass er sich das Buch mitgebracht hätte, das Victor mit ihm ausgesucht hatte. Ein wenig lesen würde ihn ablenken. Außerdem hatte er gestern die ersten 100 Seiten verschlungen, bevor er sich dann noch einmal auf eine Runde joggen begeben hatte und nach ein bisschen Hausarbeit dann schlussendlich müde in sein Bett gefallen war.
 

Doch Victor hatte nicht zu viel versprochen. Der Autor hatten einen interessanten, aber flüssigen Schreibstil und das gewünschte Kopfkino hatte sich schon auf Seite 5 angeschaltet. Die Hauptcharaktere, oder zumindest die, die er als Hauptcharaktere vermutete, waren gut beschrieben und Yūri konnte jetzt schon erkennen und verstehen, warum es zu diese Geschichte mehrere Bände gab. Sie bot einfach auch sehr viel Potential während die Zeit in der Geschichte voranschritt. Er musste Victor auf jeden Fall ein wenig dazu ausquetschen. Wie viele Bände es dazu gab und ob es immer um die gleichen Personen ging. Als plötzlich die Leute um ihn herum aufstanden, begriff er, dass die Vorlesung zu ende war. Er warf der Uhr noch einmal einen Blick zu. Tatsächlich. Es war soweit. Sein Herz begann, wie wild in seiner Brust zu hämmern, während er hektisch seine Sachen in seine Tasche warf. Gleichzeitig brach ein breites Grinsen in seinem Gesicht aus, das er einfach nicht unterdrücken konnte. So schnell es ging, quetschte er sich durch die Leute hindurch, um möglichst bald an seinem Auto anzukommen.
 


 

Zum dritten Mal stand Victor vor dem Spiegel und strich sich seine Anzugsjacke glatt. Er musste zugeben, dass er ein wenig nervös war. Den ganzen Tag über war alles gut gegangen, doch dann fiel ihm etwas auf, was er bisher noch nicht bedacht hatte. Gestern beim Telefonat mit Chris hatte er noch schwer getönt, dass er Yūri mit seinem Charakter für sich gewinnen wollte und nun ging er mit ihm ein Auto kaufen. Noch dazu wollte er ein Elektroauto und, wie er nun mal war, wollte er sich nicht mit einem mittelklassigen Modell zufriedengeben, sondern er wollte ein Auto vom Marktführer dieser Sparte. Das war natürlich nicht ganz billig und unterm Strich würde Yūri also bemerken, dass er nicht gerade am Hungertuch nagte. Gut, natürlich hatte er sich das so oder so schon denken können, aber trug er vielleicht nicht ein bisschen viel auf? Es war nicht so, sodass er befürchtete, dass so jemand wie Yūri auf sein Geld aus war, eher würde es ihn abschrecken, oder? Wäre es ihm unangenehm? Würde er sich vielleicht distanzieren?
 

Wenn Victor ehrlich zu sich war, bereitete ihm das ganz schönes Kopfzerbrechen. So sehr, dass er überlegte, ihr Treffen abzusagen und Emils Angebot anzunehmen. Dann jedoch würde er sich schlecht gegenüber Yūri fühlen und so hatte er doch alles so gelassen wie es war. Er setzte einfach darauf, dass die technischen Spielereien, die das Auto zu bieten hatte, Yūri so sehr faszinierten, dass er nicht richtig mitbekam, wenn der Händler anfing, mit den Preisen, um sich zu werfen. So weit der Plan, dachte Victor, warf seinen Mantel über den Arm und hob seine Tasche vom Boden auf. Natürlich hatte er auch heute wieder zwei Manuskripte mit nach Hause genommen. Je nachdem wie früh er nach Hause kam, konnte er dann immer noch ein wenig Arbeit aufholen. Doch er würde lieber morgen ein wenig mehr unter Druck arbeiten, als heute früh nach Hause kommen. Er musste unweigerlich grinsen. Vielleicht konnte er ihn noch zum Essen einladen? Das war ja schließlich das mindeste, was er für Yūris Anstrengungen tun konnte!
 

Der kleine Spaziergang an der frischen Luft tat ihm gut. Er ging den Block herum und dann einen Block weiter zu dem Parkplatz, an dem sie sich verabredet hatten. Es war gut, dass in der Gegend ein paar Verlage ihren Sitz hatten, sodass sich Victor damit noch nicht als Redakteur von Feltsman Publishing, dem renommiertesten Verlag der Stadt und eines der größten Verlagshäuser in Amerika, erkennen geben musste. Das würde er frühestens dann tun, wenn Yūri ihm seine ehrliche Meinung zum ersten Band von Alans Reihe gegeben hatte. Zwar war er sich noch nicht sicher, was Yūri dazu sagen würde, aber es würde bestimmt eine riesige Überraschung werden.
 

Als er um die letzte Ecke bog, sah er Yūris Auto schon. Yūri hatte sich gegen die Motorhaube gelehnt und schien die Sonnenstrahlen zu genießen, die auf das Herbstlaub an den Bäumen schienen und alles in ein fast goldenes Licht tauchten. Yūri hatte ein blaues T-Shirt mit V-Ausschnitt an und dazu eine einfache Jeans, doch so wie er dort stand, mit lässig gekreuzten Beinen, war es ein Anblick, den Victor gerne noch länger genossen hätte. Doch Yūri wandte den Kopf und sah ihn direkt an. Dann lächelte er ein wenig scheu und selbst von einigen Metern Entfernung konnte Victor den Rotschimmer auf Yūris Wangen sehen, als er ihm zuwinkte. Er grinste und winkte zurück, während er mit langen Schritten näher kam. „Hey“, grüßte Victor mit einem Lächeln, als er kurz vor Yūri stand. „Selber hey“, antwortete Yūri und Victor bemerkte, dass es fast die gleiche Begrüßung war, wie zwei Tage zuvor. Bekamen sie schon so etwas wie eine Routine?
 

„Wie geht es dir, Yūri?“, wollte er nun mit einem strahlenden Lächeln wissen. „Mir geht es gut. Und dir? Arbeit gut überstanden?“, fragte Yūri zurück. „Ja, heute gab es ausnahmsweise keine Katastrophen“, zwinkerte er und lachte dann. „Sollen wir los?“, fragte Victor, denn je schneller sie den Autokauf abgeschlossen hatten, desto mehr Zeit könnte er wohl noch mit Yūri verbringen. Yūri nickte und sie beide stiegen ein. „Weißt du, mein Mitbewohner befürchtet, dass du mich in Scheiben schneiden und in die Tiefkühltruhe legen könntest“, plauderte Yūri drauf los und Victor runzelte darüber die Stirn. Doch dann musste er wieder grinsen. „Ach, quatsch. Das wäre viel zu schade, dich würde ich nur am Stück vernaschen“, dabei wandte er sich Yūri zu und beobachtete das Farbenspiel in seinem Gesicht, während er zusätzlich noch in den falschen Gang schaltete. „Tut mir leid“, Victor warf sofort entschuldigend die Hände nach oben. „Keine dummen Sprüche mehr, während du Auto fährst, versprochen!“, fügte er mit einem kleinen Lachen hinzu. „Aber was hältst du davon, wenn du ihm gleich einfach ein Foto von uns schickst und meine Adresse? Dann ist er doch sicher etwas beruhigter?“, bot Victor nun an, während sein Handynavi sie nach links dirigierte.
 

„Darf ich ihm denn deine Adresse schicken? Ich glaube, das würde ihn wirklich beruhigen. Er ist momentan in New York auf einer Art Kongress und Ärzteaustausch“, erklärte ihm Yūri. „Natürlich, kein Problem. Du wohnst also in einer WG?“, fragte Victor, dankbar für den Aufhänger, um etwas mehr über Yūris Privatleben zu erfahren. „Ja, sozusagen mit meinem besten Freund seit Kindheitstagen, Phichit. Er hatte irgendwann einmal den Traum, Arzt zu werden und hatte ein Idol, deswegen ist er nach Detroit gekommen. Und da hier die Uni für IT sehr gut ist, dachte ich mir, dass das nicht schaden kann“, Yūri zuckte mit den Achseln. Doch Victor war erleichtert zu hören, dass es sich wohl wirklich nur um gute Freunde handelte. Er wollte keinen Rivalen und vor allem keinen Keil zwischen einem guten Freund von Yūri und Yūri treiben müssen, falls er nicht akzeptiert werden würde.
 

„Sie haben ihr Ziel erreicht“, sprach die Frauenstimme seines Navis und Yūri machte große Augen. Da haben wir es schon, seufzte Victor gedanklich. „Victor? Ist das dein ernst?“,fragte er. „Natürlich. Ich sagte doch, ich möchte ein modernes Elektroauto, das zu mir passt. Und du hast nun wirklich nicht geglaubt, dass ein Renault Twizzy für mich in Frage kommt?“, lachte Victor und überdeckte somit ein wenig seiner Nervosität. „Ja... Nein. Also nicht wirklich. Aber Tesla? Die Autos sind doch total teuer“, wandte Yūri ein, doch Victor zuckte nur mit den Achseln. Was konnte er denn auch anderes tun? Immerhin wusste Yūri scheinbar Bescheid und er konnte jetzt nur noch mit offenen Karten spielen. „Weißt du, ich habe ein paar Reserven und ich sehe so ein Auto als Investition. Ich fahre ihn, bis er kaputt ist und das wird hoffentlich lange sein und sich somit rechnen. Also, falls ich nicht schon wieder auf die Idee komme, den Airbag meines Autos auszutesten“, zwinkerte er. Das Eis war gebrochen und Yūri lachte. „Gut, dann wollen wir mal hoffen, dass das Auto möglichst lange hält.“

Ein unangenehmes Abendessen

Yūri wollte gerade in das Gebäude eintreten, als Victor ihn zurückhielt. „Wir wollten deinem Mitbewohner doch noch ein Foto und meine Adresse schicken, damit er dich findet, nachdem ich dich eingefroren und an Makkachin verfüttert habe, oder?“, grinste er. Yūri rollte mit den Augen. „Du gibst Makkachin also Futter von minderwertiger Qualität?“, fragte er halb ernst und halb belustigt zurück. Doch Victors Grinsen wankte nicht. „Minderwertiger Qualität?“, hauchte er ihm schon fast ins Ohr, als er sich neben Yūri stellte, der gerade sein Handy in die Hand genommen und entsperrt hatte. Dabei legte sich seine warme Hand auf Yūris Schulter, während Yūri Gänsehaut bekam und die Röte ins Gesicht schoss. „Für Makkachin gibt es nur das Beste“, stellte er dann mit einem Grinsen klar und nahm ihm das Handy aus der Hand.
 

Nun schlang er den anderen Arm um Yūris Schulter und zog ihn enger an sich. Der würzig-herbe Duft, der immer von Victor auszugehen schien, ließ sein Herz schneller schlagen. Wie soll ich das bloß überleben?, dachte er leicht panisch und blickte nervös in die Kamera seines Handys. „Lächeln, Yuuuuuri!“, rief Victor fröhlich und drückte ihn noch ein wenig enger an sich. Yūri wollte das Bild schon gar nicht sehen, als Victor ihm sein Handy wiedergab und strahlte. Aber natürlich schaute er drauf, immerhin musste er es Phichit ja schicken. Wie befürchtet hatte er einen hochroten Kopf und blickte scheu in die Kamera, während Victor – ganz Platzhirsch wie er war – in die Kamera strahlte. Doch Victor sah wirklich fröhlich aus und das wiederum gefiel Yūri doch sehr. Gerade nach der Entdeckung im Bücherladen, dass Victors Lächeln, wenn er es nicht ehrlich meinte, seine Augen nicht erreichten.
 

„Fertig?“, fragte er nun, gleichzeitig als Yūri auf den Pfeil für das Senden der Nachricht drückte. „Ja“, nickte Yūri, doch er war immer noch ein wenig unsicher. „Wovon genau soll ich dich eigentlich abhalten?“, fragte er noch einmal. „Nun ja, sobald du eine Ausstattung oder so unsinnig findest“, Victor zuckte mit den Achseln und grinste schief. „Und das kannst du nicht, weil...?“, fragte Yūri nun noch einmal nach, denn er wollte keinen Fehler machen, wenn sich Victor auf ihn verließ. „Weil ich zu begeisterungsfähig bin?“, meinte Victor und Yūri war sich nicht sicher, ob es eine Antwort oder Frage war. „Habe ich das richtig verstanden, dass ich darauf achten soll, dass dir der Händler nichts aufschwatzt?“, hakte Yūri ein wenig belustigt nach. „Nein, du sollst mich nur ein wenig ausbremsen, wenn ich zu begeistert aussehe“, plötzlich sah Victor so unschuldig wie ein kleiner Schuljunge aus. Yūri musste kichern. „Ist das nicht das Gleiche?“, fragte er nun. „Nein! Ist es nicht! Und jetzt komm schon“, maulte Victor, hielt Yūri die Tür auf und bedeutete ihm mit einer Hand, das Gebäude zu betreten.
 


 

Fröhlich und erleichtert saß Victor in Yūris Auto. Er war nicht nur fündig geworden, sondern konnte das Auto auch schon am Freitag abholen. Dann würde er endlich wieder flexibler werden. Obwohl er es auch durchaus genoss, von Yūri durch die Gegend gefahren zu werden. Ihm war eigentlich jede Ausrede recht, um Zeit mit Yūri verbringen zu können. „Musstest du wirklich das leistungsstärkste Modell nehmen?“, seufzte Yūri neben ihm, als er vom Hof des Händlers fuhr. „Natürlich! Von 0 auf 100 in 2,7 Sekunden!“, strahlte Victor. „Die mittlere Ausführung hatte aber eine größere Reichweite“, bemerkte Yūri. „Ich habe schon bei dem Spoiler und dem Schiebedach nachgegeben“, versuchte Victor abzulenken. „Aber der Spoiler und das Schiebedach zusammen haben nicht so viel gekostet wie die Differenz zwischen den beiden Antriebsarten“, Yūri klang ein wenig fassungslos. Victor war klar, dass Yūri bei den Summen ein wenig der Kopf geraucht hatte. Selbst er war dann doch ein wenig überrascht bei den Preisen gewesen und er schimpfte auch ein wenig mit sich selbst, sich nicht genauer über die Preise informiert zu haben. Oder besser gesagt, dass die Preise, die er gesehen hatte, auch zu dem Modell gehört hatten, auf das er ein Auge geworfen hatte. So viel zu seiner Begeisterungsfähigkeit.
 

„Aber trotzdem danke für deine Hilfe, Yūri“, grinste Victor ein wenig schuldbewusst. „Mhmm...“, machte Yūri nur. „Ich hoffe nur nicht, dass du dich finanziell irgendwie übernommen hast.“ Ah, jetzt kam es. Er blickte Yūri von der Seite an und versuchte auszumachen, wie besorgt er darüber war. Doch Yūris Gesicht sprach Bände. Victor seufzte und rieb sich den Bereich zwischen seinen Augen. „Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen“, sagte er schlussendlich und hoffte, dass es Yūri überzeugte. Doch ein Blick verriet ihm, dass dem nicht so war. „Halte doch mal da vorne an und wir essen noch zu Abend, ja? Oder hast du noch was vor?“, schlug Victor vor. Yūri nickte einfach nur und stellte das Auto auf dem großen Parkplatz ab, auf den Victor gedeutet hatte. „Kennst du hier ein Restaurant?“, fragte Yūri und blickte sich um. „Ja, ist nur ein kleines Stück“, Victor deutete mit dem Kopf in eine Richtung. Langsam dämmerte es schon und bald würden sicherlich die Laternen angehen. Victor blickte kurz in den rot-rosa-blauen Himmel und fragte sich, wie weit er die Katze aus dem Sack lassen musste, damit sich die kleinen Sorgenfalten auf Yūris Stirn auflösten. Denn nichts wollte Victor mehr, als dass er wieder lachte.
 

Sie überquerten die Straße und Victor ging ein wenig schneller, um Yūri wieder die Tür auf zu halten. „Ähm, Victor? Bist du sicher?“, fragte Yūri ein wenig zurückhaltend. „Los, rein mit dir!“, scheuchte er Yūri ein klein wenig, da er nicht ewig herumstehen wollte. „Oh, hallo! Ähm, Yu... Victor! Du bist auch hier?! Ihr kennt euch?“, Katya machte große Augen und Victor lachte. Er hatte die Hoffnung, dass Katya heute arbeiten musste und setzte sogar ein wenig darauf, dass Yūri dadurch das eigentliche Thema vergaß. Er blickte sich in dem großen Raum um. Die Wände waren grün und es hingen diese neumodischen Blumenbeete für die Wände überall herum. Das Chartreuse Kitchen & Cocktails war genauso, wie er es sich von Katyas Erzählungen vorgestellt hatte. Die großen Sofas in zwei Grüntönen und die Holztische und Stühle, genauso wie die lange Theke mit den Barhockern.
 

Da Yūri zu überrascht war, um etwas zu sagen, ergriff Victor das Wort. „Erinnerst du dich an meinen Unfall letzte Woche? Sein Auto habe ich erwischt“, grinste er schief. „Und ich weiß auch schon, dass es der Yūri war, den Makkachin so überschwänglich begrüßt hatte. Jetzt wo ich ihn kenne, kann ich es sogar verstehen“, sein Grinsen wurde breiter, während er von hinten beobachtete, wie Yūris Ohrenspitzen rot wurden. Katya kicherte. „Also Victor“, schüttelte sie dann den Kopf. „Hast du einen Tisch für uns? Vielleicht etwas Ruhigeres?“, fragte nun Victor, da sie langsam ein wenig dumm herumstanden. Katya blinzelte, als würde sie sich plötzlich daran erinnern, auf der Arbeit zu sein. „Ja, natürlich! Kommt mit!“, sie drehte sich um und ging in die Richtung, in der weniger Gäste saßen. „Victor, das ist hier zu teuer“, wisperte Yūri, doch Victor schüttelte mit dem Kopf. „So teuer nun auch wieder nicht und ich würde dich gerne ein bisschen verwöhnen, wenn du schon deinen ganzen Nachmittag und Abend damit vergeudest, mit mir ein Auto zu kaufen.
 

Katya hatte ihnen einen Tisch in der Ecke zugewiesen. Da der Laden um diese Zeit noch recht leer war, hatten sie den Bereich so ziemlich für sich. Katya überreichte ihnen die Speisekarte und ließ sie erst einmal alleine, doch Victor bemerkte, dass Yūri sie gar nicht öffnete. „Ich brauche nur ein Wasser“, erklärte er, als sich ihre Augen trafen. Victor seufzte und klappte die Karte wieder zu. Muss das wirklich sein?, fragte er sich. Aber was sollte er ihm nun sagen? ‘Hey, ich bin gut bezahlter Redakteur und das Buch, das ich dir empfohlen habe, kommt von einem meiner Autoren’ oder noch besser ‘Wenn mein Onkel erst einmal den Verlag an mich übergibt, dann kauf ich ganz Tesla, dann ist das nur ein Klacks!’... Nein, er blieb dabei, es war eine schlechte Idee, Yūri von seinem Beruf zu erzählen. Also blieb nur noch eine Option, aber damit würde er den Abend wohl für sie beide zerstören, oder? Er seufzte. Er musste sich schnell entscheiden, das wusste er. Je länger er zögerte, desto unglaubwürdiger würde seine Antwort werden. Und eine fadenscheinige Ausrede würde es nur noch schlimmer machen. ‘Ach weißt du, Yūri… Ich habe im Lotto gewonnen’, Victor musste sich ein Grinsen verkneifen. Sowohl der Spruch als auch ein Grinsen wäre für ihre Situation absolut kontraproduktiv.
 

Also musste er ihm reinen Wein einschenken. Aber von welcher Seite aus? Er hatte nur die Auswahlmöglichkeit ‘dunkles Geheimnis’ und ‘Karriere dank Vitamin B’. Denn Victor machte sich nichts vor, sobald er ausgesprochen hatte, dass er im Verlag seines Onkels, ausgerechnet Feltsman Publishing, arbeitet, wäre er der reiche Erbe, der ohne jegliches Können an einen Job gekommen ist, wofür sich andere Arme und Beine ausreißen würden und ab sofort mit dem Mund weiter schreiben würden. Und wenn er da ehrlich zu sich selbst war, war er viel zu stolz auf seine eigenen Leistungen, dass er sich da ins schlechte Licht rücken lassen wollte. „Du machst dir Sorgen, dass ich das Auto mit meinem Gehalt nicht zahlen kann. Damit hast du nicht ganz unrecht. Allerdings kann ich dich trotzdem beruhigen. Ich habe einige Ersparnisse“, versuchte er es noch einmal. „Nicht überzeugend“, gab Yūri knapp zurück. Victor seufzte. „Auch auf die Gefahr hin, dass ich die Stimmung heute Abend vollends ruiniere... Ich habe bis heute das Geld von der Lebensversicherung meiner Eltern immer aufgespart und keinen Cent ausgegeben. Jetzt habe ich einen festen Job und kann das Geld nach und nach wieder reinholen. Jetzt zufrieden?“, ein wenig genervt klappte er wieder die Speisekarte auf. „Lebensversicherung?“, sprach Yūri und plötzlich wurden seine Augen groß. Er hatte es wohl verstanden.
 

Womit Victor jedoch nicht gerechnet hatte, war dass Yūris Hand sich plötzlich auf seine legte. Er zuckte ein wenig überrascht bei der Berührung zusammen, doch genoss gleichzeitig die Wärme, die in dieser Berührung lag. „Tut mir leid“, hörte er leise von Yūri und Victor nickte. Eigentlich würde er gerne fragen, was ihm leid tat. Dass er ihn mehr oder weniger dazu gezwungen hatte, das zu sagen oder der Tod seiner Eltern an sich. Vermutlich beides, dachte Victor und zwang sich zu einem Lächeln. „Danke. Aber das ist schon lange her. Und jetzt tu mir bitte den Gefallen und iss mit mir zu Abend, ja?“
 


 

Yūri fühlte sich wirklich schlecht. Eigentlich hatte er es nur gut gemeint, aber nun empfand er sein Verhalten als unmöglich. Victor war alt genug, um zu wissen, ob er sich ein solches Auto leisten konnte oder nicht. Er hatte kein recht, das in Frage zu stellen. Und Schlussendlich hatte er ihn dazu gezwungen, über so etwas Unangenehmes zu sprechen. Eigentlich sollte er sich auch nicht in so etwas einmischen, doch Victors Enthusiasmus beim Autokauf hatte ihn wirklich überrumpelt. Sie hatten 20 Minuten darüber diskutiert, ob ein Spoiler an das Auto kommen sollte oder nicht. Eigentlich war er kurz davor gewesen, nachzugeben, als der Händler meinte, dass ein Auto ohne Spoiler bei einem anderen ihrer Autohäuser schon stand und nicht erst gebaut werden müsse. Auch das hatte Yūri gezeigt, wie wenig Victor sich informiert hatte, denn der Hersteller hatte eine Wartezeit von knapp 3 Monaten. All das hatte dazu beigetragen, dass Yūris Gedanken immer negativer geworden waren und nun fühlte er sich richtig schlecht.
 

Er nickte und öffnete mit einer Hand die Speisekarte, weigerte sich einfach, seine Hand von Victors zu nehmen. Auch wenn er seinen Puls im Innenohr hämmern hörte und er das Gefühl hatte, vor Hitze gleich zu zerfließen. Er konnte nicht behaupten, dass er sich nicht für diese Geste schämen würde, aber sein Bedürfnis, Victor zu berühren war einfach zu groß. Doch als Katya mit einem strahlenden Grinsen an ihren Tisch trat, zog er schnell seine Hand weg und blickte mit hochrotem Kopf auf die Speisekarte. Kurz herrschte Stille, bis Victor bestellte. Yūri musste unweigerlich grinsen, als er aufblickte. „Das nehme ich auch“, damit gab er Katya die Speisekarte wieder und blickte Victor ins Gesicht, der ihn etwas mürrisch anschaute. Was sollte das nun bedeuten?, fragte er sich, doch dann hatte er eine Vermutung. „Ich wollte das wirklich essen!“, verteidigte er sich dann. Gleichzeitig hob er abwehrend die Hände. Daraufhin hellte sich Victors Gesicht ein wenig auf und er grinste leicht.
 

Er überlegte fieberhaft, wie er das Gespräch wieder auf fröhlichere Themen lenken konnte, aber irgendwie fiel ihm nichts ein, was ihn nicht viel zu fadenscheinig vor kam. Das Vibrieren seines Handys holte ihn aus den Gedanken. Er fischte danach in seiner Hosentasche, nur um zu sehen, dass Phichit dran war. Er blickte zu Victor. „Dein Mitbewohner?“, fragte er. „Ja“, nickte Yūri. „Ich geh mal kurz raus“, er stand auf und ließ Victor alleine zurück. Was für ein bescheidenes Timing Phichit wieder hatte, seufzte er innerlich. Er wollte Victor nicht alleine lassen. Nicht jetzt. Jede Faser in seinem Körper wehrte sich dagegen, doch wenn er nicht ranging, würde Phichit wahrscheinlich in den nächstbesten Flieger steigen, weil er das Schlimmste befürchtete. „Hi Phichit. Was ist los?“, fragte er direkt, als er vor der Tür stand. „Was ist los? Was ist los?“, hörte er Phichits Stimme auf der anderen Seite. „Du hast dich nicht mehr gemeldet, das ist los!“ Yūri lachte leise. „Tut mir leid, das hat alles etwas länger gedauert, als ich gedacht habe und wir sitzen gerade im Chartreuse Kitchen & Cocktails, um zu Abend zu essen“, erklärte er.
 

„Autokaufen ist doch keine Raketenwissenschaft... Was? Ihr seid im Chartreuse? Ist das nicht dieser angesagte Schuppen? Ist der nicht teuer?“, fragte Phichit. „Ja, das ist das Restaurant, aber die Preise gehen tatsächlich. Ich war auch überrascht“, sagte Yūri, froh, dass Phichit sein Misstrauen scheinbar abgelegt hatte. „Du trinkst doch keinen Alkohol, oder? Und er auch nicht, oder? Lass dich nicht drauf ein, wenn er dich mit dem Taxi nach Hause bringen will oder so!“ Yūri seufzte, die Nummer war wohl immer noch nicht ausgestanden. „Phichit, so langsam werde ich wirklich ein wenig sauer. Du kennst Victor nicht und unterstellst ihm immer die schlimmsten Dinge. Er ist in Ordnung, ja?“, stellte er ungeduldig klar. „In Ordnung? Ich möchte nicht wissen, was er dir gesagt hat, dass du so rot wurdest! Ich habe dich selten so rot gesehen! Das gibt mir wirklich zu denken“, Yūri musste daraufhin lachen. Er konnte ihm schlecht sagen, dass sie darüber gesprochen haben, ihn an seinen Hund zu verfüttern. „Tatsächlich passiert mir das immer, wenn er mich anfasst“, gestand er und immerhin war das auch ein guter Teil der Wahrheit.
 

„Echt jetzt?“, schnaufte Phichit. „Ok, ich habe den Ernst der Lage erkannt. Pass aber bitte auf dich auf. Ich möchte nicht, dass dir so ein Kerl weh tut“, mit einem mal war Phichit kleinlaut. „Ich weiß das zu schätzen, Phichit. Aber ich muss es auch einfach mal riskieren. Außerdem habe ich bei ihm ein echt gutes Gefühl. Wenn du wieder in der Stadt bist, stelle ich ihn dir auch sofort vor, ok?“, schlug Yūri vor, um seinem besten Freund ein wenig die Sorgen zu nehmen. „Ja, gut. Dann lass es dir schmecken und schreib mir auf jeden Fall später, wie es geschmeckt hat!“ Yūri hätte ihn beinahe nicht aussprechen lassen, da er bei 'schreib mir später' einen anderen Grund dahinter vermutet hatte. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, ging Yūri schnell wieder in das Restaurant. Als Yūri näher kam, blickte Victor von seinem Handy auf und lächelte ihn an. Es war ein ehrliches Lächeln, wie Yūri erleichtert erkannte und mit einem Mal war alles ganz leicht. „Victor“, lächelte er zurück. „Du wolltest mir noch Bilder von Makkachin zeigen!“, er nahm seinen Stuhl und setzte sich neben einen plötzlich strahlenden Victor, der sofort einen Ordner in der Bildergalerie mit den Namen seines Hundes öffnete.

Verbockt

Frustriert warf sich Yūri auf sein Bett. Wie hatte er so blöd sein können? Victor war alt genug, um selbst entscheiden zu können, ob er sich etwas leisten konnte oder nicht. Warum hatte sich Yūri so gehen lassen und ihn in Frage gestellt? Das musste für Victor doch sicher wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein… Bekümmert nahm er sein Handy in die Hand und öffnete die Bildergalerie. Er blickte auf das Bild, das Victor von ihnen beim Autohaus gemacht hatte. Da war die Welt noch in Ordnung gewesen. Und jetzt? Jetzt durfte er sich nicht wundern, wenn Victor auf Abstand gehen würde. Konnte er es ihm verübeln? Eigentlich nicht.
 

Yūris Kehle schnürte sich zu und er kämpfte mit den Tränen. Vielleicht sollte er sich noch einmal entschuldigen. Ihn anrufen und sagen, dass er ihn keinesfalls angezweifelt hatte. Er war nur besorgt gewesen, da Victor gesagt hatte, er sei begeisterungsfähig. Yūri musste sich eingestehen, dass er trotz der Vorwarnung ein wenig kalt erwischt worden war, wie viel Spaß er sogar an kleinen Details haben konnte. Der Anblick, wie Victor mit vor Begeisterung strahlenden Augen vor dem Verkäufer den Kopf schief gelegt hatte und seinen Finger überlegend an den Mund gelegt hatte. Das Vibrieren in seiner Hand riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Blick auf seinen Sperrbildschirm sagte ihm, dass er eine Whats App Nachricht hatte. Sicher hatte Phichit ihm geschrieben.
 

Wie im Blindflug entsperrte er den Bildschirm und drückte auf das Symbol. Doch das Profilbild schien ihm sofort fremd, daher drückte er aus Neugierde darauf. Hatte Phichit ein Foto von sich in New York als Profilbild angelegt? Doch was ihm da ins Auge sprang, war definitiv nicht Phichit. Im Hintergrund war eine große Fensterfront vor einem Garten zu sehen. Im Vordergrund stand eine Couch, auf ihr saß jemand, dessen strahlendes Lächeln er bereits kannte. Doch die langen, grauen, seidig glänzenden Haare waren neu. Auf seinem Schoß lag ein Welpe. Victor hatte sich ein wenig vorgebeugt und kraulte liebevoll die Ohren des kleinen Pudels, der einfach nur Makkachin sein konnte.
 

Es war ein wundervolles Bild. Ein Bild, das nach Yūris Meinung, in jedem Hundemagazin oder Heimtierbedarfskatalog ohne Änderungen abgedruckt werden könnte. Victor faszinierte ihn. Die langen Haare glänzten im Licht und gingen ihm ungefähr bis zur Taille. Damals wie jetzt sah er einfach nur atemberaubend aus. Doch Yūri fragte sich auch, warum Victor seine Haare abgeschnitten hatte. Fast hatte er vergessen, dass er eine Nachricht von Victor erhalten haben musste, anders war es ja nicht möglich, dass er jetzt dieses Bild bewundern durfte.
 

> Hallo Yūri! Ich habe mir extra diese App runtergeladen, um zu fragen, ob du mir das Bild von heute Mittag schicken würdest? <
 

Aber warum wollte er nach alledem noch ihr Foto haben? Yūri beschloss, sich darüber keine Gedanken mehr zu machen. Immerhin hatte Victor ja ein Anrecht auf dieses Foto. Er hatte es, wenn auch mit seinem Handy, gemacht und er war darauf zu sehen. Und was für ein strahlendes Lächeln er darauf noch hatte… Seufzend öffnete er das Fenster zum Versenden von Fotos und schickte ihm das gewünschte Bild.
 

> Natürlich. Bitte entschuldige mein Verhalten von heute Abend. Ich bin zu weit gegangen. <
 

Natürlich hatte sich Yūri noch mehrfach entschuldigt gehabt. Irgendwann hatte Victor gedroht, er würde den teuersten Champagner im ganzen Laden kaufen, ihn entkorken lassen und dann auskippen, falls Yūri nicht aufhörte. Aber er fühlte sich einfach nicht wohl, ohne zu wissen, ob Victor tatsächlich erkannte, dass es ihm so leid tat. Und das Schlimme daran war, dass er es kaum in Worte fassen konnte. Außerdem hatte er tatsächlich Angst, dass ihm das die Freundschaft zu Victor kostete. Egal, ob er nun das Foto haben wollte oder nicht. Vielleicht wollte er es auch nur auf eine Dartscheibe hängen, um seine Aggressionen oder Trauer rauszulassen?
 

> Es ist alles in Ordnung, Yūri. Ja, es ging ein wenig zu weit, aber ich habe es dir dennoch erzählt, weil ich dir vertraue. Also mache dir keine Gedanken mehr darüber. Und danke für das schöne Bild von uns beiden <
 

Also war er tatsächlich zu weit gegangen! Er hatte es gewusst! Was sollte er nun tun? Natürlich sagte Victor, dass es in Ordnung war. Victor war ein höflicher Mensch. Er hielt ihm immer die Tür auf. Er hatte nach dem Unfall angerufen um sich zu vergewissern, dass es ihm wirklich gut ging. Er hatte ihn bereits zwei Mal zum Dank zum Essen eingeladen. Er hatte mit dieser komischen Frau gesprochen, auch wenn sie ihn genervt hatte und war dabei auch absolut freundlich gewesen. Dann kam ihm ein Geistesblitz.
 

> Kann ich es wieder gut machen? Darf ich dich ins Kino einladen? Am Freitag? <
 

Yūris Herz hämmerte gegen seine Brust. Er hatte das Gefühl, dass es jeden Moment platzen müsste. Angespannt starrte er auf das Display. Sah, wie sich der Status in ‚schreibt…‘ änderte und hielt die Luft an.
 

> Das ist wirklich nicht nötig, Yūri. Du musst nichts wieder gut machen. <
 

Er hatte es versaut. Victor wollte sich nicht wieder mit ihm treffen. Das hätte ihm ja auch klar sein können. Nach so einer Nummer wollte Victor natürlich Abstand. Wer konnte es ihm auch verübeln? Eine Bewegung auf dem Handybildschirm riss ihn aus seinen Gedanken.
 

> Aber ich würde sehr gerne am Freitag mit dir ins Kino gehen. <
 

Yūri las die Nachricht einmal. Dann ein zweites Mal. Er rieb sich die Augen und las sie ein weiteres Mal. Victor wollte wirklich noch einmal mit ihm ausgehen? Er wollte nicht die Verbindung abbrechen sondern tatsächlich noch einmal etwas mit ihm unternehmen? Womit hatte er so viel Verständnis verdient? Yūri musste ein wenig gegen Tränen der Erleichterung ankämpfen, was sogar peinlich war, obwohl er alleine war.
 

> Sehr gerne. Hast du einen Wunsch? Du kannst gerne wählen. <
 

Yūri war ein wenig stolz auf sich, dass er die Idee mit dem Kino hatte. So hatte er noch als Bonus die Möglichkeit, ein wenig mehr über Victors Geschmack kennenzulernen. Bisher wusste er so wenig von dem Anderen, dass es ihm bald schon ärgerte. Victor mochte gutes Essen und hatte erzählt, dass er gerne Alkohol trank und dass auch manchmal übertrieb, was ihn dann meistens selbst nervte. Er mochte seinen Hund und war, nach eigener Aussage, Fan der Loch-Leven-Reihe, die er ihm im Bücherladen empfohlen hatte. Und nun würde er sogar erfahren, was für Filme er gerne schaute.
 

> Ich glaube, du solltest den Film besser aussuchen. Ich habe einen fürchterlichen Geschmack in diesen Dingen, daher geht für gewöhnlich niemand mit mir ins Kino. Oder willst du am Ende den neusten Sharknado-Film mit mir schauen? <
 

Sharknado? Hat er ihm tatsächlich angeboten, den neusten Trash-Katastrophenfilm mit ihm anzuschauen?
 

> Ist das dein Ernst? <
 

Wie gebannt starrte er auf das Display und dann bemerkte er, dass die Aussage vielleicht auch negativ gelesen werden könnte.
 

> Denn wenn ja, bin ich sofort mit dabei! <
 

Sicherheitshalber schickte er den Hinweis noch hinterher. Er wollte nicht falsch verstanden werden. Er wollte es nicht noch ein zweites Mal an diesem Abend verbocken.
 

> Ich weiß, dass du mir etwas Gutes tun möchtest, Yūri. Aber du musst nicht meinetwillen mit mir in diesen Film gehen. <
 

Jetzt reichte es Yūri. Er öffnete die Kontakte und rief Victor an. Sein Herz klopfte wie wild, als er das Freizeichen in der Leitung hörte. Die Hitze stieg ihm ins Gesicht und mit einem Mal war das Zimmer 5 Grad wärmer. Mindestens. „Yuuuri!“, hörte er die bekannt fröhliche Stimme. Kein Schmollen? Keine Trauer? Ging es Victor wirklich gut? „Ähm… A-also…“, begann er und räusperte sich dann noch einmal. „IchmöchtediesenFilmwirklichgernemitdirsehenVictor“, presste er dann hervor und er hätte schwören können, dass sich Schweißperlen auf seiner Stirn formten. Dann ertönte ein Laut aus dem Hörer. Lachen. Victor lachte. Victor lachte ehrlich und aufrichtig. Yūri fiel ein Stein vom Herzen. „Wenn du das wirklich nicht nur für mich machst, gerne. Aber du hast ja noch bis Freitag Zeit, es dir es zu überlegen. Ich bin dir nicht böse, wenn du lieber etwas anderes schauen möchtest.“ Yūri wusste, hätte Victor vor ihm gestanden, hätte er ihm dabei zugezwinkert. Ein kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Das werde ich sicher nicht. Du musst dir eventuell den ein oder anderen dummen Kommentar zum Film gefallen lassen“, murmelte er halb laut und hörte sofort wieder das Lachen von Victor. „Das trifft sich gut. Das wird sicherlich auch andersherum der Fall sein, Yūri.“
 


 

Yūri überraschte ihn wirklich immer wieder, musste Victor feststellen, als er sein Handy zur Seite legte. Doch da es wieder vibrierte, nahm er es keine Minute später wieder auf. Chris hatte auf das weitergeleitete Bild geantwortet.
 

> Scheiße, Victor. Den kenne ich irgendwoher! <
 

Victor runzelte die Stirn und blickte auf das Display. Blitzschnell wählte er die Nummer von Chris. Es war ihm egal, ob er gerade im Ausland war und es dann Kosten für ihn verursachen würde. Und wenn er es ihm später zurückzahlen würde. Er musste es jetzt wissen. Es auch dem Mund seines besten Freundes hören, nicht nur einfach als Nachricht lesen. „Victor! Was ist los, warum rufst du an?“, Chris war hörbar erstaunt. „Sag es mir, Chris. Hattest du was mit ihm? Kennst du ihn deswegen? Wenn ja, dann muss ich dich eigenhändig kastrieren!“, Victor war sich noch nicht einmal sicher, ob er das nur im Spaß sagte. „Was? Nein! Ich habe ihn nur irgendwo schon einmal gesehen! Vielleicht habe ich ihn mal in einer Kneipe oder so. Aber ich hatte definitiv nichts mit ihm! Das schwöre ich dir hoch und heilig“, es war genug Ernst in Chris‘ Stimme, dass es Victor überzeugte und er ließ die Luft hinaus, die er unbewusst angehalten hatte.
 

„Ich glaube dir“, sagte Victor schließlich und stieß laut die Luft aus. Halb aus Erleichterung, halb um die kurzzeitig aufwallende Wut abzulassen. „Er sieht fast ein bisschen zu brav aus für dich, weißt du das?“, neckte Chris nun. „Gar nicht wahr“, maulte Victor, weil ihm einfach nichts Besseres einfiel. „Du bist schon unerwartet besitzergreifend, ist es schon so schlimm bei dir? Und dann flüsterst du dem armen, unschuldigen Jungen noch Schweinerein ins Ohr?!“, Chris hatte sich offensichtlich vom Schrecken der Kastrationsandrohung erholt und setzte zum Gegenangriff an. „Ja, schon“, gab Victor widerwillig zu, denn was hätte er anderes tun sollen? Abstreiten konnte er es jedenfalls nicht. Chris lachte ins Telefon. Er hatte offensichtlich seinen Spaß, während Victor sich fragte, wie er nur die Zeit bis Freitag rumbekommen sollte. „Wann trefft ihr euch das nächste Mal?“, riss ihn Chris aus seinen Überlegungen, welche zeitintensiven Arbeiten er in seiner Wohnung erledigen sollte. Er hatte sich auf jeden Fall vorgenommen, das Waschpulverfach seiner Waschmaschine ordentlich von Rückständen zu befreien und seine Gardinen komplett abzuhängen und in die Reinigung zu bringen. Zwei Arbeiten, die er für gewöhnlich ganz gerne außer Acht ließ.
 

„Freitag. Wir gehen ins Kino“, freute er sich. „Kino!“, pfiff Chris anerkennend. „Netter Schachzug. Ich glaube, zurzeit sind zwei recht gute Romantikkomödien im Programm.“ „Wir haben uns bereits für einen Film entschieden“, er hoffte inständig, dass Chris nicht weiter nachfragen würde, denn sonst würde er wieder etwas zu hören bekommen. Außerdem verschwieg er auch lieber, dass Yūri den Schritt gemacht hatte, sonst würde es auch noch eine Standpauke hinterher geben. Aber wenn Victor sicher war, hatte er nicht gewusst, wie er Yūri noch einmal einladen sollte. Er hatte bedenken, dass er es aus purem Mitleid machen würde, auch wenn ihm der Autokauf zu unangenehm gewesen wäre und er daher lieber die Verbindung abbrechen würde. Daher war er froh über den Aufhänger mit dem Bild gewesen. Im Prinzip eine billige, aber dennoch sehr schöne Ausrede für ihn. Jetzt hatte er ein schönes Bild von ihnen zusammen und eine Verabredung ins Kino.
 

„Welchen Film?“, Chris klang schon genervt, also vermutete er es bereits. „Den neusten Sharknado“, es klang mehr wie eine Frage als eine Antwort. „Ist das dein Ernst, Victor? Damit vergraulst du ihn doch direkt wieder!“, Chris klang fassungslos. „Ich hatte ihm gesagt, er solle wählen, weil bei mir nur Sharknado rauskommen würde und er war sofort Feuer und Flamme“, verteidigte sich Victor. „Und er meinte, er würde dumme Kommentare zu dem Film abgegeben“, fügte er noch hinzu. „Oh. Mein. Gott. Victor. Ich glaube, du hast den passenden Idioten für dich gefunden. Er guckt schlechte Katastrophenfilme und kommentiert sie auch noch? Das klingt für mich so, als hättest du endlich dein passendes Deckelchen gefunden. Das erklärt auch, warum du so besitzergreifend bist. Es gibt bestimmt nicht viel mehr als 2 Menschen, die so einen Mist machen. Warne mich vor, wenn ihr mal einen Filmeabend macht, damit ich nicht ausgerechnet dann in der Tür stehe. Das würde ich niemals aushalten. Du bist ja alleine schon kaum zu ertragen“, lachte Chris.
 

Victor schüttelte nur den Kopf, aber der Gedanke an einen gemeinsamen Filmeabend mit Yūri und den ‚Perlen‘ seiner Filmesammlung, zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht. Das wäre wirklich wunderbar. „Ja, ich hab dich auch lieb. Erinnere mich bitte noch einmal, warum du mein bester Freund bist“, seufzte Victor übertrieben. „Weil niemand anderes es so lange mit dir aushält“, konterte Chris gekonnt. „Gute Nacht, Chris“, verabschiedete sich Victor ohne ein weiteres Wort zu verlieren. „Gute Nacht mein Lieber. Und träum schön von deinem Liebsten“, flötete Chris noch ins Handy, bevor Victor auflegen konnte.
 

Noch 3 Tage musste er nun herumbekommen. Victor rief seinen Terminkalender über das Handy auf und war erleichtert zu sehen, dass die Woche ziemlich voll war. Zudem hatte er noch zwei Besprechungen mit Autoren, bevor deren Werk jeweils in den Druck ging. Beide Termine konnten sich also, wenn irgendwas nicht passte, sich nahezu unendlich lange hinziehen. Er erinnerte sich an diesen Termin zum 5. Band der Loch-Leven-Saga. Alan hatte darauf bestanden, dass sie gegen Mittag anfingen und er hat gegen alles und jeden gemeckert. Victor war sich sicher, dass ihn dieser Tag 3 Jahre seines Lebens und einen sicheren künstlichen Bypass gekostet hatte. Sie hatten sich noch was zu Essen vom Imbiss kommen lassen und irgendwann später, draußen war es bereits dunkel geworden, hatte Alans Handy geklingelt und seine Frau war dran gewesen. Danach hatte der Termin noch knapp 15 Minuten gedauert. Alan hatte sich seinen Mantel geschnappt, Victor freundschaftlich auf die Schulter geklopft und gesagt: „Der Rest passt für mich, Victor. Das machst du schon, ich konnte mich da ja schon eh immer auf dich verlassen. Die Geburtstagsfeier meiner Schwiegermutter ist vorbei, also brauche ich mich nicht mehr davor drücken.“ Dann hatte er ihn angezwinkert, seinen Hut aufgesetzt und war einfach so gegangen. Er hatte Victor mit dem Gefühl zurückgelassen, dass jede Argumentation, die er angeführt hat, warum sie es genau so machen sollten und die Alan dann schlussendlich akzeptiert hatte, vollkommen unbedeutend gewesen war, weil er einfach nur Zeit hatte schinden wollen.
 

Auch heute noch war sich Victor da nicht so ganz sicher. Zwar hatte Alan ihm später versichert, dass Vieles tatsächlich keine Zeitschinderei war, sondern eigentlich nur die Uhrzeit des Termins dazu hatte dienen sollen, aber wirklich vollständig geglaubt hatte ihm das Victor bis jetzt nicht. Allerdings hatte Victor ihm auch angeboten, dass sie, falls Alan noch einmal eine Entschuldigung brauchte, warum er seinen familiären Pflichten nicht nachkommen möchte, einfach ein Geschäftsessen ansetzen würden. Denn Victor kannte das Gefühl nur zu gut, wenn man den ein oder anderen Verwandten meiden wollte.

Kino

Sehr zu Victors Verwunderung ging die Woche schnell um. Zwar war auf der Arbeit viel zu tun gewesen, aber er blieb von etwaigen Katastrophen mit Autoren, Druck oder Presse verschont. Er hatte alle Abgabetermine halten können, der Probedruck von Alans neustem Werk war fehlerfrei gewesen und in dem Meeting zur Bestimmung der Auflagezahl hatte er einen neuen persönlichen Rekord aufgestellt. Auch sein Onkel hatte ihm wohlwollend zugenickt und gerade das bestätigte Victor mehr als alles andere. Immerhin war es schwer, von Yakov ein eindeutiges Lob zu bekommen. Sonst fand er immer etwas zu meckern. Da nun mehr als ein Arbeitstag zwischen dem Meeting und dem heutigen Tag lag und noch kein „Das hast du gut gemacht, Vitya, aber...“ kam, war Victor doch recht zufrieden mit sich.
 

Und als Krönung dieser Woche sozusagen, schaute er sich heute mit Yūri Sharknado an. Schon alleine die Tatsache, dass er jemanden gefunden hatte, der diesen Film mit ihm schaute, war für ihn schon ein kleines Wunder. Dass aber gerade dieser Jemand Yūri war, erschien Victor wie ein Wink des Schicksals. Als würde ihm Amor persönlich ins Ohr flüstern: „Hier, dein perfektes Gegenstück. Schnapp ihn dir!“ Gut, das war vielleicht ein klein wenig übertrieben, aber er war Victor Nikiforov, der König der Übertreibungen. Grinsend strich er das tiefblaue, enganliegende Langarmshirt glatt und begutachtete sich kritisch im Spiegel seines Büros. Chris hatte wirklich recht, V-Ausschnitt stand ihm. Zwar fühlte er sich immer noch ein wenig nackt ohne Anzug, gerade jetzt in seinem Büro, aber einen Anzug hatte er nicht als die richtige Wahl für einen Kinobesuch angesehen. Daher hatte er sich Wechselkleidung mitgenommen und sich schnell umgezogen.
 

Es klopfte an die Tür und bevor Victor reagieren konnte, stand Emil im Büro. „Du bist ja noch hier, solltest du nicht längst... Heiliger Bimbam, Victor! Wie siehst du denn aus?!“ Er schaute Victor mit großen Augen an, kam ins Büro und schloss die Tür hinter sich. Victor schaute irritiert an sich herunter. „Geht das nicht?“, fragte er leicht verunsichert. „Bitte, was? Da könnte ich glatt meine Frau für sitzen lassen“, scherzte er. „Nein, im Ernst. Das sieht gut aus. Aber... es ist kein Anzug“, fügte er hinzu. „Blitzmerker, das weiß ich selbst“, schmollte Victor ein wenig, auch wenn ihm das Kompliment ein wenig hatte erröten lassen. „Hast du etwa ein Date?“, ein breites Grinsen brach auf dem Gesicht seines Kollegen aus und Victor seufzte. „Ja, hab ich“, gestand er knapp, da er keine Lust auf größere Diskussionen hatte und auch keine Ausrede erfinden wollte. „Ach... mein Junge wird langsam groß“, seufzte Emil und wischte sich eine imaginäre Träne weg. Victor rollte nur mit den Augen und drehte ihm den Rücken zu, um sein Portmonee und Handy vom Schreibtisch zu nehmen und einzustecken. Danach nahm er seinen beigefarbenen Mantel vom Kleiderständer und machte Anstalten, Emil einfach stehen zu lassen. Der lachte nur noch einmal und klopfte Victor freundschaftlich auf die Schulter. „Dein Auto ist noch nicht abholbereit, richtig? Komm, ich fahr dich hin.“
 


 

Ein erneuter Blick auf seine Uhr sagte Yūri, dass er immer noch viel zu früh war. Vor lauter Sorge, er könnte sich verspäten, war er extra früh losgefahren. Immerhin hatte er keine Ahnung gehabt, ob er noch einen guten Parkplatz bekommen würde und wie viel Betrieb im Kaffeehaus war, bei dem er noch halten wollte. Eben jenes Kaffeehaus, dass er und Victor nach dem Unfall besucht hatten. Eigentlich war es erst nur eine fixe Idee gewesen, Victor einen Caramel Macchiatto mitzubringen, aber irgendwie hatte sie ihn nicht mehr losgelassen. Er hatte nicht gewusst, mit was er Victor sonst noch eine Freude machen konnte. Kurzzeitig hatte er an Karamell-Pralinen gedacht, denn er hatte erst vor Kurzem einen hervorragend Chocolatier entdeckt, aber er wusste nicht, ob Victor Schokolade mochte und wenn ja, welche. Also hatte er auf das zurückgegriffen, von dem er bereits wusste, dass es Victor mochte. Doch nun befürchtete er, dass der Kaffee bereits kalt sein würde, bevor Victor überhaupt in die Nähe des Kinos kommen könnte.
 

In Gedanken schimpfte er über seine Nervosität, die dafür gesorgt hatte, so früh loszufahren. Und nun war er nur noch ein paar Meter von dem Kino entfernt, einen noch heißen Becher Caramel Macchiatto in der Hand und wunderte sich, ob er den Kaffee nicht lieber selbst trinken sollte. Denn wie sah das denn aus, wenn er Victor einen kalten Kaffee überreichte? „Hier, Victor. Ich habe dir den Macchiatto geholt, den du so gerne magst. Allerdings ist er schon kalt, weil ich eine halbe Stunde zu früh da war.“ Hätte Yūri eine freie Hand gehabt, hätte er sich diese vor die Stirn gehauen. Nein, das ging gar nicht. Vorsichtig trank er einen Schluck von seinem eigenen Kaffee. Er würde die ganze Situation einfach auf sich zukommen lassen, entschloss er sich, als er um die Ecke bog und das Kino auf der anderen Straßenseite sah. Er ging ein paar Schritte, doch dann erkannte er ihn und blieb wie angewurzelt stehen.
 

Lässig war er gegen eine Laterne gelehnt, ein Bein angewinkelt, den Fuß gegen das Metall gestützt. Er hatte seinen Mantel über die Schulter geworfen und hielt sie mit einer Hand. Die blaue, ausgewaschene Jeans umschmeichelte und betonte seine Figur genauso gut, wie das fast schwarze Langarmshirt. Wieder einmal fragte sich Yūri, warum so ein gutaussehender Mann sich mit ihm abgab. Doch er verwarf den Gedanken gleich wieder. Immerhin waren sie Freunde. Nur Freunde.Er wusste nicht, ob er sich darüber freuen oder traurig sein sollte. Victor schaute in die andere Richtung, hatte ihn also noch nicht gesehen. Schnell wechselte Yūri die Straßenseite und holte Luft, um Victors Namen zu rufen, doch erstarrte mittendrin, als zwei Frauen sich Victor näherten. Yūri konnte nicht ganz verstehen, was sie sagten, doch Victor schien Spaß an der Unterhaltung zu haben, was ihm einen Stich versetzte. Das hier war ganz anders, als in der Buchhandlung, ging ihm durch den Kopf.
 

Yūri überlegte noch, ob er einschreiten sollte, als eine von den beiden, eine braunhaarige junge Frau, zur Verabschiedung die Hand hob und sich beide umdrehten und gingen. Erleichtert machte Yūri zwei Schritte nach vorne, als eine weitere Dame auf den Plan trat. Am liebsten wäre Yūri losgestürmt und hätte seine Verabredung verteidigt, aber durfte er sich das raus nehmen? Wäre es denn nicht schön für Victor, die Frau seines Lebens kennenzulernen? Zaghaft machte er einen Schritt nach vorne. „Ach komm schon, ich lade dich auch ein“, hörte er die Stimme der Frau. „Nein. Ich habe dir schon gesagt, ich bin verabredet“, hörte er Victors wohlklingende Stimme und sah, wie er den grauen Schopf schüttelte. „Du wirst niemals so viel Spaß mit deiner Verabredung haben, wie mit mir.“ Die geht ja ganz schön in die Vollen, schoss es Yūri durch den Kopf und sein Magen drehte sich um. Er überbrückte die Distanz. „Das ist nicht möglich“, lachte Victor nun und Yūris Herz schlug vor Freude schneller. „Hey“, grüßte er knapp, wie es Victor immer bei ihm tat. „Selber hey“, lachte Victor und drehte sich zu ihm herum. Dass Victor wiederum seine Antwort auf die Begrüßung nachahmte, half seinem Herz nicht, sich zu beruhigen.
 

„Hier“, Yūri hielt ihm den Becher unter die Nase. Victor legte fragend den Kopf schief, nahm den Becher jedoch ohne zu zögern an. Er führte den Becher zur Nase, schloss die Augen und roch daran. „Caramel Macchiato!“, stellte er mit funkelnden Augen und breitem Grinsen fest. „Yūri! Du bist der Wahnsinn!“, freute er sich nach einem tiefen Schluck aus dem Becher. Yūris spürte, wie seine Wangen brannten und sein Herz in seiner Brust hämmerte. Er nahm gerade Luft, um etwas zu sagen, doch die Dame von eben unterbrach seine Bemühung. „Moment mal, du servierst mich ab für ihn?! Für SO einen?“, keifte sie. Während diese Worte Yūri auf den Boden der Tatsachen zurückholten und noch weiter in ein Loch fallen ließ, wandelte sich Victors Grinsen ins Künstliche, wie er es schon einmal in der Buchhandlung gesehen hatte. „Tja, was soll ich sagen? Er weiß eben, wie er mich behandeln muss. Für Karamell mache ich eben alles“, zwinkerte er ihm zu und zuckte unschuldig mit den Achseln. Dann spürte Yūri Victors Hand auf der Schulter. Der unmissverständliche Druck nach vorne, ließ ihn wie automatisch losgehen.
 

„Puh, danke für die Rettung, Yūri. Wieder einmal!“, lachte Victor neben ihm und holte ihn somit ein wenig aus dem Loch. Gewaltsam riss er sich zusammen und grinste, als ihm ein Konter einfiel: „Stimmt. Ich kann dich echt nicht alleine lassen“, schüttelte er mit schiefen Grinsen den Kopf und blickte Victor von der Seite an. Es war kaum merklich gewesen, doch Yūri hatte es bemerkt, da er Victors Bewegungen mittlerweile in und auswendig kannte. Er hatte kurz gestockt und es bereitete Yūri eine diebische Freude, Victor aus der Fassung gebracht zu haben. Wenn auch nur für kurz. Denn nun ertönte sein Lachen. „Ja, ich bitte doch drum“, gab er mit offenen, fröhlichen Lächeln zurück. Damit hatte er ihn kalt erwischt. Eiskalt.
 

Sein Kopf arbeitete, doch ihm wollte keine Antwort kommen. Inzwischen war ihm wieder so warm, dass er befürchtete, sein Kopf könnte als Ampel verwendet werden. „Aber bei den beiden Damen schien es nicht so, als wärst du abgeneigt gewesen“, kam es aus ihm heraus. Sofort hätte er sich am liebsten selbst geohrfeigt. Was sollte das bitte? Victor legte den Kopf schief, zog die Augenbrauen zusammen und legte einen Finger an die Lippe. Yūri hatte diese Geste so oft schon gesehen, dass er wusste, dass Victor nachdachte. Dann hellte sich seine Miene auf. „ Ach! Das war eine Autorin, die ich betreue. Wir haben erst vor Kurzem den Vertrag unterschrieben“, erklärte er fröhlich und ging wieder den Vorraum des Kinos entlang. „Oh, das ist aber interessant. Was schreibt sie denn?“, fragte Yūri, während er versuchte, schnell zu Victor wieder aufzuschließen. Als dieser abrupt stehen blieb, wäre er beinahe in ihn hineingelaufen. „Erwachsenenliteratur“, sagte er knapp. „Und das heißt genau?“, fragte Yūri mit gehobener Augenbraue.“
 

„Erotik“, antwortete er wieder knapp. „Ah, so etwas wie dieses 50 Shades of Grey?“, hakte Yūri nach. Er war sich gerade nicht sicher, ob er einfach nicht über seine Arbeit reden wollte oder ob ihm das Thema nicht passte. „Ähnlich, nur mit zwei Männern“, Victor hatte sich herum gedreht und studierte nun aufmerksam Yūris Gesicht. „Oh“, konnte er nur dümmlich machen, während er bestimmt noch eine Spur röter geworden ist. „Ja, oh“, immer noch musterte Victor sein Gesicht. So viele Fragen kreisten gerade durch Yūris Kopf, doch nur eine fand den Weg hinaus: „Ist es gut?“ Überrascht zog Victor die Augenbraue hoch und fing an zu lachen. „Natürlich! Sonst hätte ich sie doch nicht angenommen!“ Die kurze, gespannte Stimmung war verschwunden und Yūri fragte sich, warum das so gewesen war. Hatte Victor vielleicht befürchtet, er hätte Vorurteile gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe? Vielleicht hatte Victor Freunde, die bi- oder sogar homosexuell waren? Oder vielleicht war sogar Victor...? Nein, jetzt steigerte er sich in etwas hinein!
 

„Ich habe schon Karten reserviert!“, verkündete Victor fröhlich und holte ihn so aus seinen Gedanken. „Moment! Ich wollte dich doch einladen!“, empörte sich Yūri. „Und ich habe gesagt, dass du das nicht musst“, antwortete Victor fröhlich und leerte seinen Becher. „Außerdem hast du mir den besten Caramel Macchiato der Stadt mitgebracht!“, lachte er. „Das ist trotzdem nicht fair. Ich lass dich jetzt nicht die Karten alleine zahlen“, stellte Yūri klar. Er hoffte, dass sein Ton dabei nicht allzu schmollend klang. Victor blickte ihn ernst an und legte wieder den Finger an die Lippen. „Ich hab's! Du holst uns einfach schon was zu Trinken und Essen!“, schlug er begeistert vor. Damit konnte Yūri leben. „Was möchtest du denn?“, fragte er. „Ein Wasser und irgendetwas zum Knabbern. Ich bin da nicht wählerisch“, lachte er und ging dann zum Schalter. Da sie noch relativ früh waren, hatten sich noch keine langen Schlangen gebildet und nur kurze Zeit später trafen sie sich im Vorraum wieder. „Ich nehme dir was ab!“, verkündete Victor, als er in Reichweite kam. „Was hast du denn besorgt? Nachos mit Guacamole und Käsedip und Popcorn?“, er beugte interessiert die Sachen in Yūris Händen. Yūri grinste triumphal. „Die haben diese Woche Karamell-Popcorn im Angebot“, erklärte er. Victors Augen strahlten. „Yūri! Dich schickt der Himmel!“
 


 

Lachend standen sie vor dem Kino. „Das ist mir noch nie passiert“, erklärte Yūri kopfschüttelnd, sein Gesicht ausnahmsweise vom Lachen und nicht vor Verlegenheit rot. Auch daran könnte er sich gewöhnen, dachte Victor. Aber auch er musste sich nicht zum ersten Mal an dem Abend die Lachtränen aus den Augenwinkeln wischen. „Doch, irgendwann mal als Teenager bin ich mit einer Gruppe von Freunden aus einem Liebesdrama geflogen. Aber da hat es länger gedauert als 20 Minuten“, erklärte er ein wenig atemlos. Er blickte auf die Uhr. „Also Yūri, was sollen wir jetzt tun? Der Abend ist noch jung und da kommen wir nicht mehr rein“, lachte Victor leise. „Und du bist schuld“, lachte Yūri. „Ich? Du warst derjenige, der den ersten Spruch raus gehauen hat. Ich wollte mich eigentlich erst einmal benehmen“, echauffierte sich Victor gespielt. „Aber du musstest ja auch unbedingt kontern“, Yūri hob die Augenbraue. „Das konnte ich ja nicht auf mir sitzen lassen“, grinste Victor zurück.
 

Victor beobachtete, wie sich Yūri wieder aufrichtete und tief einatmete. „Wir könnten mein Auto nach Hause bringen und dann vielleicht noch in eine Kneipe um die Ecke gehen?“, schlug er vor. „Klingt gut. Wir könnten auch eventuell noch eine Runde mit Makkachin gehen, falls du Lust hast“, schlug er vor, doch sah stirnrunzelnd zu, wie Yūri auf einmal erschrocken aussah. „Ich glaube, ich habe die Hamster von meinem Mitbewohner gestern nicht gefüttert“, murmelte er. „Dann sollten wir da schnell mal nachschauen”, bot Victor an.

Hausbesuch

Victor würde lügen, wenn er behaupten würde, dass es ihm überhaupt nichts ausmachte, dass Yūri sie beide gerade zu seiner Wohnung fuhr. Klar, die Wohnung war nicht weit weg von seiner eigenen, aber die Absicht dahinter war eine völlig andere als bisher. Sie würden in seine Wohnung gehen und Victor wusste, dass sie alleine waren. War der Zeitpunkt gekommen? Sollte er vorpreschen und Yūri seine Gefühle gestehen? Der heutige Abend hatte ihn ein wenig mehr hoffen lassen. Immerhin hatte er vielleicht so etwas wie leichte Eifersucht gezeigt. Auch wenn er sich da nicht sicher war. Allerdings hatte er nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als er das mit dem Roman gehört hatte. Im Gegenteil, er hatte sogar neugierig gewirkt, was auf Victor den Eindruck machte, dass er zumindest nicht uninteressiert war. Und das war doch schon einmal ein gutes Zeichen, oder?
 

Doch er wollte Yūri auch nicht überrumpeln und einschüchtern. Er wollte das Ganze durch eine übereilte Aktion seinerseits nicht kaputt machen, bevor es überhaupt richtig begonnen hatte. Außerdem wusste er nicht, ob er Yūris Typ war, falls er überhaupt auf Männer stand. Immerhin war es durchaus im Bereich des Möglichen, dass Yūri wirklich nur einen Freund in ihm sah und alles weitere nur seine eigenen Hirngespinste waren. Und was dann? Das war eine Frage, die immer wieder ungewollt in seinem Kopf aufploppte und ihn dabei immer wieder ein wenig aus der Bahn warf. Was, wenn er merkte, dass er wirklich nur Yūris platonischer Freund sein konnte? Für Ewigkeit in der Friendzone gefangen, wie die Jugend von heute es so schön ausdrückte? Würde er das durchhalten können?
 

Konnte er sein Leben an seiner Seite verbringen, so nah und doch soweit von ihm entfernt? Ihm letzten Endes vielleicht sogar aus Versehen die Frau seines Lebens vorstellen und als Trauzeuge enden? Würde es eine schlimmere Strafe geben? Nein! Es war viel zu früh, um sich über so etwas Gedanken zu machen! Stattdessen sollte er sich besser auf das hier und jetzt konzentrieren und darauf, dass es niemals soweit kommen würde. Immerhin hatte er jetzt noch alle Zügel in der Hand. Noch konnte er dafür sorgen, dass sich Yūri in ihn verliebte. Er musste einfach nur geduldig bleiben und sich langsam in sein Herz schleichen.
 


 

Natürlich hatte er Phichits Hamster gefüttert. Als würde er so etwas jemals vergessen. Es war einfach nur eine fadenscheinige Ausrede gewesen. Gleich nachdem Yūri die Einladung in einer Kneipe ausgesprochen hatte, war ihm das Bild vor dem Kino wieder eingefallen. Victor umringt von hübschen Damen. Auch wenn Victor so höflich war und sie alle für ihre Verabredung abgewiesen hatte, wollte Yūri das nicht mit ansehen. Natürlich wusste Yūri von ihren Telefonaten aus der Hotline, dass Victor wohl tendenziell nicht abgeneigt gegenüber Männern war. Aber vielleicht war es auch mehr die Experimentierfreude gewesen oder er war einfach bisexuell. Lieber lockte er Victor unter einem Vorwand zu sich und dann würde er beiläufig anbieten, dass sie doch einfach noch einen Film schauen konnten. Er hatte noch ein paar Getränke kaltgestellt, also wären sie da auch versorgt. Eventuell könnten sie sich etwas zu essen bestellen oder zu dem japanischen Imbiss ein paar Häuser weiter. Dann könnte er ihm ein paar Spezialitäten seines Heimatlandes vorstellen.
 

So darin versunken, sich einen Schlachtplan auszudenken, fiel Yūri erst am Auto auf, dass sie bisher still nebeneinander hergegangen waren. Er blickte aus den Augenwinkeln zu Victor, der irgendwie nachdenklich wirkte. War er sauer, dass sie aus dem Kino geflogen waren? Immerhin hatte er die Karten bezahlt. Essen und Getränke hatten sie im Kinosaal auch vergessen, wobei Victor die Hälfte seines Popcorns schon während der Werbung nahezu inhaliert hatte. Yūri fand es irgendwie süß, dass er eine solche Schwäche für Karamell hatte. Er schloss das Auto auf, während er überlegte, wie er wieder ein Gespräch anfangen könnte. Lange brauchte er gar nicht nachdenken, bis der Geistesblitz kam.
 

„Ich habe übrigens den ersten Band von der Reihe fertig, die du mir empfohlen hast“, bemerkte Yūri, während er sich anschnallte. Victors Kopf ging mit einem Ruck nach oben und neugierige, blaue Augen schauten ihn an. „Und?“ „Gefällt mir richtig gut. Ich muss mir unbedingt den zweiten Band holen“, grinste Yūri und startete sein Auto. Nun lächelte auch Victor. „Das freut mich zu hören. Gibt es denn etwas, was dir besonders gefallen hat?“, wollte er nun von ihm wissen.
 


 

Während sie sich die ganze Zeit über die Reihe von Alan unterhalten hatten, hatte sich auch Victors düstere Gedanken und sogar die Nervosität ein wenig gelegt. Nun stand er vor dem großen, etwas in die Jahre gekommenen Gebäudekomplex mit 14 Wohnungen. Auch wenn zwischen ihren beiden Wohnungen nur ein paar Häuserblocks, vielleicht 10 Minuten Fußweg, lagen, war das hier schon eine etwas andere Welt. Die Gebäude waren alle etwas älter, wenn auch nicht heruntergekommen. Doch sie türmten sich links und rechts neben den Straßen auf. Bei ihm im Wohngebiet war alles moderner, heller und definitiv auch neuer. Die große Tür schwang auf und Yūri führte sie eine große Holztreppe hinauf in den 3. Stock. Neugierig blickte er sich in dem Haus um. Gleichzeitig fragte er sich, wie groß oder klein die Wohnung war, die er sich mit seinem Mitbewohner teilte.
 

Doch als hätte Yūri seine Frage erahnt, erklärte er: „In jeder Etage gibt es 4 Wohnungen, außer in der 3. Etage, da sind irgendwann einmal aus 4 Wohnungen 2 gemacht worden. Als wir die Wohnung gemietet haben, wollte eigentlich noch ein Freund mit einziehen, aber das hat sich dann nicht ergeben. Also hat sich mein Mitbewohner den Raum als Büro eingerichtet.“ Sie waren in der Etage angekommen und tatsächlich waren an der gegenüberliegenden Wand keine Türen zu sehen, wie in den anderen Stockwerken. Nur links und rechts war jeweils eine Tür. Yūri hielt an der rechten Tür, auf einem Schild unter der Klingel stand 'Chulanont/Katsuki'. Auch wenn das vollkommen logisch war, versetzte ihm das Schild einen kleinen Stich. Wie gerne hätte er, dass dort 'Nikiforov/Katsuki' stand. Oder von ihm aus auch 'Katsuki/Nikiforov', das wäre ihm relativ egal, so lange der andere Name auch auf dem Schild stand.
 

Das Klacken des Schlosses riss ihn aus dem Gedanken. Von der Neugierde gepackt blickte er an Yūri vorbei in die Wohnung. Der erste Eindruck stimmte ihn schon einmal positiv. Sie zogen die Schuhe am Eingangsbereich aus und Yūri zeigte ihm Wohnzimmer, Küche und Bad. „Eine sehr gemütliche Wohnung“, schloss Victor und Yūri wurde wieder leicht rot. „Das meiste ist zusammengewürfelt. Du bist sicherlich Besseres gewohnt“, murmelte er. „Gemütlich hat nichts mit 'besser' zu tun, Yūri“, tadelte er freundlich. „Eine Wohnung kann die teuersten Möbel haben, aber wenn sie nicht gemütlich ist, ist sie zum Wohnen ungeeignet. Finde ich zumindest“, erklärte er dann. Ob Yūris Schlafzimmer auch so gemütlich aussah? Würde er es noch zu Gesicht bekommen? Wäre das überhaupt so gut?, fragte sich Victor, doch Yūri setzte sich schon in Bewegung. Mit immer noch hochrotem Kopf öffnete er eine Tür. „Und... das ist mein Schlafzimmer. Da vorne ist mein Regal mit Büchern und daneben eines mit Filmen. Wenn du magst, kannst du ja mal stöbern, während ich nach den Hamstern sehe“, bot er an.
 

Victor hoffte, dass er nicht zu schnell in das Zimmer gestürmt war. Aber die Neugierde hatte ihn einfach gepackt. Das Zimmer war so ziemlich quadratisch und in der Mitte stand eines dieser großen Betten, die nicht ganz Doppelbett und nicht ganz Einzelbett war. Also breit genug für zwei, dachte Victor mit einem leichten Grinsen. Da jedoch nur ein Nachttisch vorhanden war, sagte Victor, dass er dieses Bett, zumindest am Anfang, nur für sich gekauft hatte. Neben der Tür war ein Eckschreibtisch mit einem 24-Zoll-Bildschirm. Wobei das ihn beim genaueren Überlegen nicht überraschte. Immerhin arbeitete Yūri mit diesen Dingen. Auf der linken Seite des Zimmers war nicht nur ein Fenster, welches ein angenehmes Licht auf den Schreibtisch warf, sondern auch ein großes Regal mit Büchern. Daneben stand ein kleines, schmales Regal aus dem gleichen Holz, in dem tatsächlich DVD- und Blu-ray-Hüllen standen. Hinter der Tür standen eine Kommode und ein Kleiderschrank.
 

Viel Dekoration und Farben waren nicht in dem Zimmer. Außer der Bettwäsche in verschiedenen Blautönen hing über der Kommode noch eine Leinwand mit dem Bild eines Eiskunstläufers. Victor ging näher heran. Es sah ein wenig wie eine Malerei mit Wasserfarben, ebenfalls in Blautönen, aus. Das Gesicht war nicht komplett zu sehen, aber irgendwie erinnerte es ihn an Yūri. Oder vielleicht wollte er ihn auch nur darin sehen. Ein bisschen widerwillig riss er sich von dem Bild los und ging zum Bücherregal. Dabei warf er kurz einen Blick auf die Filme. „Sharknado, Angriff der Killertomaten, Sharktopus, Piranhaconda, The Gingerdead Man...", Victor nickte anerkennend. "Und die Klassiker, wie The Giant Claw, Sternenkrieg im Weltall und Plan 9 from Outer Space", zählte er weiter auf. Jetzt war sich Victor eigentlich sicher, dass Yūri perfekt für ihn war. Er schien so perfekt, dass es eigentlich schon einschüchternd für Victor war.
 

Dann fiel sein Blick auf die Bücher. 2 der 5 Regalböden war voll mit Büchern auf Japanisch, sodass er die Titel nicht lesen konnte, doch eine Reihe erkannte er sofort, denn er hatte dieses Cover schon einmal gesehen. Mit einem nostalgischen Lächeln blätterte er durch das relativ dünne Buch mit leicht vergilbten Seiten. Es musste schon einige Jahre auf dem Buckel haben, denn es war ein wenig zerlesen und hatte den typischen Geruch eines alten Buches. Als er auf der Rückseite des Einbandes angelangt war, hielt er inne. Das war eindeutig die Unterschrift des Autors! Das ließ Victors buchbegeistertes Herz höher schlagen.
 


 

„Und? Hast du was gefunden?“, fragte Yūri, als er in sein Zimmer kam. Victor blickte von einem Buch auf und seine Augen funkelten vor Begeisterung. „Das ist 'Per Anhalter durch die Galaxis', richtig?“, fragte er fast ehrfürchtig, sodass Yūri schmunzeln musste. „Ja. Die japanische Erstausgabe“, nickte er. „Mit Unterschrift von Douglas Adams!“, kam es zurück. „Ja, mein Vater ist damals zufällig an der Signierstunde vorbei und dachte, dass es vielleicht mal eine Wertanlage sein könnte“, Yūri zuckte mit den Achseln. „Aber dafür ist es zu oft gelesen worden“, Victor schüttelte mit dem Kopf. Da sprach der Fachmann, dachte Yūri. „Stimmt. Mein Vater hatte es irgendwann vergessen und ich habe es mal beim Stöbern in alten Kisten gefunden. Ich habe das Buch unendlich oft gelesen oder einfach nur Abschnitte gelesen. Als mein Vater erkannte, welches Buch ich da hatte, war es schon zu spät. Damals habe ich noch nicht wirklich viel davon verstanden“, lachte er und rieb sich den Hinterkopf. Victor stimmte in das Lachen mit ein und stellte das Buch kopfschüttelnd zurück.
 

„Du hast einige ziemlich gute Filme“, wechselte Victor nun das Thema. „Gute? Du meinst höchstens interessant. Keiner der Filme ist wirklich 'gut'“, grinste Yūri. „Möchtest du dir etwas ausleihen? Oder sollen wir den verpassten Kinoabend hier nachholen?“, bot er nun an, während er in seinem Kopf schon jubelte, dass sein Plan aufging. Victor legte den Kopf schief und schaute ihn an. Sein Herz schlug schneller. Bloß nicht wieder rot werden. Nicht rot werden, dachte er schon fast panisch, wollte er doch nicht, dass Victor ihn durchschaute. „Also gut! Wie wäre es mit Sharktopus vs. Pteracuda? Den habe ich noch nicht gesehen“, schlug Victor vor und griff bereits nach dem Film. „Oh mein Gott. Ehrlich? Und du willst dich wirklich einen Fan von Trash-Filmen nennen?“, neckte Yūri grinsend und hoffte, Victor zumindest ein wenig aus der Reserve locken zu können. „Oh großer Gott der Trash-Filme! Erleuchte mich mit deinem Wissen“, Victor faltete die Hände und beugte seinen Kopf in gespielter Demut. Als er grinsend den Kopf hob, konnte Yūri nur noch mit dem Kopf schütteln.
 

Dann jedoch blickte Victor zur Seite und dann ihn wieder an. „Darf ich dich was fragen, Yūri?“ Yūri runzelte die Stirn, da es ungewohnt vorsichtig klang. „Klar, du kannst mich alles fragen.“ Victor zeigte mit dem Finger an die Wand. Genauer auf das Bild dort. „Bist du das?“, wollte er wissen. Yūri war für einen kurzen Moment perplex, dass Victor es erkannt hatte. Wieder spürte er, wie die Hitze in seine Wangen stieg. „Uhh... ähm. Ja. Das hat mir meine Ballettlehrerin gemalt“, erklärte er mit einem etwas wehmütigen Seufzen. Minako hatte ihm damals gepredigt, etwas zu finden, was seine innere Ruhe ansprechen würde, wie bei ihr die Malerei. Doch sie beide hatten nicht lange mit dieser Art von meditativen Bemühungen weitergemacht. Minako, weil sie einfach keine echte Ruhe fand und er... Nun ja, er war ehrlich zu sich selbst: Er war einfach grottenschlecht im Malen und Zeichnen.
 

„Ballett? Und du hast Eiskunstlauf gemacht?“, fragte Victor nun interessiert. Yūri nickte. „Ja, ich war aber nicht sonderlich gut darin. So habe ich auch meinen Mitbewohner kennengelernt. Das war auf einem Asien-Jugendmeisterschaften“, eigentlich wollte er darüber nicht reden, aber wenn ihn Victor so mit großen Augen anschaute, konnte er nicht anders. „Warum nicht gut? Du warst bei Jugendmeisterschaften! Das schafft man nicht, wenn man 'nicht sonderlich gut' ist“, wiederholte Victor seine eigenen Worte. „Nun ja, ich bin Letzter geworden“, zuckte Yūri mit den Achseln. Er wollte eigentlich gar nicht darüber reden. „Und wie viele Eiskunstläufer gab es zu der Zeit in deinem Jahrgang im Land?“, hakte Victor nach. „Uhh... keine Ahnung“, er kratzte sich am Kopf und fühlte sich ein wenig dumm. „Mehr als einen?“, Victor hob die Augenbrauen. „Ja, natürlich mehr als einen“, Yūri war irritiert bei dieser Frage. Als hätte es damals nur nur einen im Alter zwischen 6 und 12 Jahren gegeben. „Siehst du? Und du warst der Beste von denen!“, schlussfolgerte Victor mit einem strahlenden Grinsen.
 

Yūri seufzte. „Es mag sein, dass ich bei dem einen Wettbewerb besser war, aber das hat mir bei der Meisterschaft nichts gebracht. Und am letzten Tag habe ich mir beim zweifachen Toeloop noch Außen- und Innenband gerissen“, schüttelte Yūri den Kopf. „Wie alt warst du da?“, wollte Victor wissen. „Da war ich 9 Jahre. Ist das lange her“, lachte Yūri leise. „Du konntest mit 9 Jahren einen zweifachen Toeloop stehen?“, Victor stand auf. „Ich habe mir die Bänder gerissen, also nein, nicht im Wettbewerb“, Yūri schaute auf seine Füße. „Aber du hast ihn schon einmal gestanden, sonst hättest du es sicher nicht versucht. Ich finde das ziemlich beeindruckend“, Victor kam vor ihm zum Stehen. Und plötzlich fiel Yūri ein, was ihn so wunderte. „Moment, du weißt, was ein Toeloop ist?“, fragte er. Victor nickte und lachte dann. „Ja, natürlich! Ich habe das auch lange Zeit gemacht.“
 

Er hob seinen Blick und schaute in die strahlend blauen Augen, die ihm fast schon zu nahe waren. „Und wann hast du den zweifachen Toeloop gestanden? Im Wettbewerb?“, wollte er nun wissen. „Ähm... Nun ja... Mit 7 Jahren... glaube ich?“, gestand er mit einem leichten Rotschimmer im Gesicht. Yūri fand, dass ihm das durchaus stand. Trotzdem waren seine Worte eine Bestätigung für Yūri. „Aber ich habe lange Zeit wirklich kaum etwas anderes gemacht, als Eiskunstlauf. Nun ja... du weißt ja, dass meine Eltern früh gestorben sind und irgendwie... hat mir das beim Verarbeiten und auch beim Verdrängen geholfen“, gestand Victor und sein Blick schien ein wenig entrückt zu sein. „Warum hast du aufgehört?“, wollte Yūri nun wissen. Victor grinste schief mit einem Hauch von Traurigkeit. „Warum hast du aufgehört, Yūri?“, entgegnete er.
 

Yūri überlegte, ob er sagen sollte, es sei unfair, die Frage unbeantwortet zurückzugeben. Doch er konnte sich nicht dazu bringen, als er die verborgene Traurigkeit und Verletzlichkeit in Victors Augen sah. „Nach dem Bänderriss bekam ich Zweifel, ob ich davon überhaupt leben konnte. Und als mir klar wurde, dass ich dafür viel Talent, Mut und Glück brauchte, habe ich noch mehr Zweifel bekommen. Ich wollte später nicht als gescheiterte Existenz enden und meiner Familie auf der Tasche liegen, daher habe ich damit aufgehört.“ Victor schnaubte ein wenig. „Furchtbar vernünftig, für deine 9 Jahre damals.“ „Oh ja“, stimmte Yūri zu und danach kehrte Stille zwischen ihnen ein. Sie schauten sich einander an und Yūri wollte gerade anbieten, den Film anzustellen, als Victor sich räusperte. „Mein Cousin, mit dem ich aufgewachsen bin, und ich haben beide Eiskunstlauf geliebt. Doch einer von uns hat familiäre Pflichten zu übernehmen und sozusagen als großer Bruder habe ich es als meine Aufgabe angesehen, diese zu übernehmen. Ich dachte, und denke auch heute noch, dass mein Cousin nicht dafür geeignet ist, also habe ich für ihn das Eiskunstlaufen aufgegeben.“
 

Yūri war wie versteinert. Es war furchtbar traurig und furchtbar schön zugleich. Es tat ihm unglaublich leid, dass Victor so offenbar seinen Traum aufgeben musste, andererseits fand er es auch unaussprechlich toll, dass er so für seinen Cousin da war. Nicht erst an sich dachte. „Bereust du es?“, fragte Yūri leise und musste wieder auf den Boden schauen, er konnte Victors Blick nicht mehr standhalten. „Ja, manchmal. Doch auf der anderen Seite hätte ich wahrscheinlich einige Leute nicht kennengelernt, wenn ich weitergemacht hätte. Das wäre echt schade, denn ich mag diese Leute sehr“, gestand er und wedelte dann mit dem Film in der Luft, sodass Yūri aufblickte. „Schauen wir uns jetzt den Film an?“, plötzlich sah Victor wieder aufgeregt und fröhlich aus. Fast schon wie ein kleines Kind, das sich auf einen Filmabend freut. Während er zusah, wie Victor an ihm vorbei ins Wohnzimmer ging, fragte sich Yūri, ob er so wagemutig sein konnte und sich zu diesen Leuten zählen durfte, die Victor so mochte, dass er ein Stück weit froh war, das er die Kufen an den Nagel gehangen hat.

Unangenehme Wahrheiten

Der Film war vorbei, bevor Victor sich entschließen konnte, den Arm um Yūris Schultern zu legen oder nicht. Nicht, dass sich keine Chancen dazu ergeben hätten, aber er haderte immer noch mit sich, ob er Yūri nicht überfordern würde. Yūri hatte noch ein bisschen Bier im Kühlschrank gefunden und während bei ihm erst leicht die Wirkung des Alkohols einsetzte, schien Yūri schon ein wenig mehr angetrunken zu sein. Seine Wangen waren nun dauerhaft mit einem Rotschimmer bedeckt und er wirkte etwas schwerfälliger. Auch die Kommentare gegen Ende des Filmes kamen nicht mehr so fließend und mühelos, wie er es noch aus dem Kino kannte. Er saß ein wenig zusammengesunken da und Victor hoffte nur erwartungsvoll, dass er zu seiner Seite wegsackte.
 

Aber bisher hatte Yūri ihm diesen Gefallen nicht getan. Und so süß er angetrunken vielleicht auch war, war sich Victor so eigentlich ziemlich sicher, dass er lieber einen besseren Moment für eine Liebeserklärung wählen sollte. Bei seinem Glück würde sich Yūri morgen an nichts mehr erinnern, wenn sie so weitermachten. Aber war das eigentlich schlimm? So hätte er im Prinzip eine zweite Chance, oder? Er musste nur sicher gehen, dass sich Yūri daran nicht mehr erinnerte... Doch sofort rügte er sich für diese bescheuerte Idee und plötzlich fiel ihm auf, dass sie beide einfach nur den Abspann anstarrten. Ihm musste etwas einfallen. Er wollte noch so viel von Yūri wissen, vielleicht sollte er ihm einfach ein paar Dinge fragen? „Yūri?“, fragte er unschuldig mit einem Grinsen auf den Lippen. Yūri wandte ihm sein Gesicht zu und blickte ihn fragend an. „Kennst du Wahrheit oder Pflicht?“
 

Yūri rollte die Augen. „Ja, nur zu gut. Und egal wie betrunken ich bin, ich mache keine dämlichen Aufgaben!“, stellte er klar. „Dann nur Wahrheit?“, schlug Victor vor, denn immerhin war es eigentlich genau das, was er wollte. „Ist das nicht langweilig?“, Yūri zog die Augenbrauen zusammen. „Wir können ja trotzdem eine Flasche drehen. Derjenige, auf dem die Flasche zeigt, muss eine Frage beantworten“, zuckte Victor mit den Achseln. Yūri schien einen Moment nachzudenken, nickte aber dann. „Ok, ich gehe eine Flasche holen“, als er sich aufrichtete, vibrierte sein Handy auf dem Couchtisch mehrfach hintereinander. Victor konnte nur noch schnell das Whats-App-Symbol erkennen, mehr jedoch nicht.
 


 

Yūri war sich Victors Nähe während des Filmes nur allzu bewusst gewesen. Vielleicht hatte er auch deswegen ein bisschen mehr getrunken. Doch als es ihm plötzlich so richtig bewusst geworden ist, dass er mit Victor vollkommen alleine in seiner Wohnung war, hatte er mit einem Mal nicht mehr selbstsicher sein können. Als dann Victor auch noch Wahrheit oder Pflicht vorschlug... ging sein Kopfkino schlagartig in eine Richtung, die er definitiv für sich behalten wollte. Umso erleichterter war er um die Möglichkeit, kurz ein wenig auf Abstand zu gehen und in der kleinen Vorratskammer zu verschwinden, die an der Küche angeschlossen war. Dabei guckte er gleichzeitig auf sein Handy, denn Leo hatte jede Menge Nachrichten geschickt.
 

» Jungs, schaut mal! Die Bar, in der wir letztens waren, hat Fotos auf der Homepage! «
 

Dazu folgten 5 Fotos, die von einem Bildschirm abfotografiert waren. Yūri wollte eigentlich schon eine entnervte Predigt darüber schreiben, dass er doch einfach einen Screenshot machen oder eben den Link schicken sollte, bevor er Bilder mit einer miesen Qualität verschickt. Doch dann entschied er sich, erst einmal die Bilder zu begutachten. Das führte allerdings dazu, dass er beinahe sein Handy fallen gelassen hätte. Auf den ersten 4 Bildern war er mit einem, ihm völlig unbekannten, Mann halb nackt und tanzend an einer Stange zu sehen. Er wollte sich das letzte Bild erst gar nicht anschauen, aber entschied sich, dass er da wohl durch musste. Was er sah, verschlug ihm völlig den Atem. Victor. Er tanzte mit Victor. Sie sahen sich beide tief in die Augen, er hatte ihn nach hinten gebeugt und Victor hatte sich ganz in seine Arme fallen lassen. Ohne jegliche Angst, dass der besoffene Vollidiot, der er an dem Abend nun mal war, fallen lassen würde. Ein Bein in der Luft... Oh mein Gott, diese Körperbeherrschung. Yūri schluckte.
 

„Yūri? Alles in Ordnung?“, erklang Victors Stimme aus dem Wohnzimmer und holte ihn jäh in die Gegenwart zurück, sorgte dabei dafür, dass er sein Handy ein zweites Mal beinahe fallen ließ. Ihm stand der Schweiß auf der Stirn, ihm war heiß und sein Körper war schwerfällig. Seine Zunge fühlte sich an, als sei sie viel zu groß und zu schwer, als dass er damit sprechen könnte. „Mhmm“, machte er laut in der Hoffnung, dass Victor sich nicht genötigt fühlte, nach ihm zu schauen. Er holte eine leere Wasserflasche und ging dann, so schnell seine tauben Füße ihn tragen konnten, zur Spüle, um sich kurz ein wenig Wasser ins Gesicht zu klatschen. Er durfte sich einfach nichts anmerken lassen. In seiner Hosentasche vibrierte sein Handy unentwegt. Waren es seine Freunde, die sich über ihn lustig machten oder war es Phichit, der Victor auf den Fotos erkannt hatte? So oder so konnte er gerade keinen von ihnen gebrauchen. Schnell stellte er sein Handy komplett auf stumm und atmete tief durch.
 

Victor hatte ihm Wohnzimmer schon ein wenig die Möbel verrückt, damit sie auf dem Boden genug Platz hatten. Er saß bereits im Schneidersitz auf den Boden und blickte Yūri erwartungsvoll an. Yūri hielt ihm die Flasche entgegen, während er sich ihm gegenüber hinsetzte. „Deine Idee, also fängst du an“, stellte Yūri klar. Mit einem schiefen Grinsen drehte Victor die Flasche und sie starrten beide gespannt darauf, bis sie stoppte. „Hah“, grinste Yūri und überlegte bereits, was er für eine Frage stellen sollte. Sollte er direkt in die Vollen gehen oder eine nette Frage zum Anfang stellen? „Was war das Seltsamste, was du je erlebt hast?“, fragte er einfach das erstbeste, nicht sonderlich Gemeine, was ihm in den Sinn kam. Er erwartete, dass Victor den Kopf schief legte und überlegend einen Finger an seinen Mund legte, doch er täuschte sich, denn Victor antwortete sofort. „Ich bin einmal mit Makkachin spazieren gegangen, da kam ein kleines, rotes Auto um die Ecke. Die Musik war ganz schön vulgär, der Fahrer hatte seine Kapuze ins Gesicht gezogen. Die anderen haben halb aus den Fenstern gehangen und sie haben mit Gummipenissen herumgewedelt und die Lieder mitgegröhlt.“
 

Noch während Victor erzählt hatte, war Yūri immer kleiner geworden, bis er schlussendlich die Hände vor dem Gesicht zusammengeschlagen hatte. „Oh Gott... Das waren wir. An dem Tag ist ein Freund volljährig geworden und die haben sich Mitten am Tag betrunken. Und da ich als Einziger nüchtern geblieben bin, musste ich sein Auto fahren... Und nun ja, den Rest kennst du“, seufzte Yūri und linste zwischen den Händen hervor. Victor fing lauthals an zu lachen. „Super“, grinste er nach einer Weile. „Jetzt macht die Geschichte auch tatsächlich mehr Sinn!“ „Du hältst uns nicht für totale Idioten?“, fragte Yūri überrascht. „Ein wenig? Aber wenn man die Volljährigkeit feiert, macht man einfach blöde Sachen“, sagte Victor schmunzelnd. „Ja? Was hast du denn gemacht?“, wollte Yūri nun neugierig wissen. „Na, na, na! Wenn du eine Antwort willst, solltest du erst die Flasche drehen!“, verkündete Victor mit einem Grinsen.
 

Yūri drehte die Flasche und – sie blieb wieder bei Victor stehen. „Also, ich warte“, grinste nun Yūri. Victor seufzte theatralisch und legte sich zwei Finger an die Stirn. „Mein bester Freund hat mich abgefüllt und als ich wach wurde, waren wir in einem Hotel auf den Bahamas. Scheinbar hatten wir im Suff die Idee, dass wir unbedingt auf die Bahamas mussten. Und dann mussten wir wegen einem Hurrikan fast eine Woche dort ausharren. Meine Tante und mein Onkel hätten mich beinahe umgebracht“, lachte Victor und Yūri schüttelte fassungslos den Kopf. Das war auf einer völlig anderen Ebene bescheuert. „Gut, ich bin dran“, Victor klatschte in die Hände und drehte. Nur, damit die Flasche wieder auf ihn zeigte. Er zog die Augenbrauen zusammen, nahm die Flasche auf und schüttelte sie. „Hast du die etwa gezinkt?“, er sah schmollend zu Yūri. Der hob abwehrend die Hände. „Wie soll das gehen? Du bist nur ein schlechter Verlierer“, grinste er dann. Seufzend legte Victor die Flasche wieder ab. „Also?“
 

„Hmm... lass mich überlegen. Warum hast du dir die Haare abschneiden lassen?“, fiel ihm plötzlich ein. Victor sah so überrumpelt aus, dass er das erklären müsste. „Auf deinem Profilbild bei Whats App hast du lange Haare“, erklärte er, vom Alkohol ermutigt. „Oh. Stimmt ja. Nun, ich werde auch nicht jünger und meine Haare daher etwas dünner... Außerdem dachte ich, ich sehe so seriöser aus. Oder findest du, es steht mir nicht?“, er zog neugierig eine Augenbraue hoch. „Nein, nein, nein! Versteh mich bitte nicht falsch! Ich finde beides gut! Aber ich... fand den Unterschied heftig“, Yūri kratzte sich verlegen den Nacken, während Victor wieder lachte. „Oh, ja. Nicht nur du.“
 


 

Jetzt hatten sie schon drei Mal die Flasche gedreht und jedes Mal war er derjenige gewesen, der Fragen beantworten musste. Das fand er ziemlich ungerecht, immerhin wollte er mehr von Yūri wissen. Gut, er hatte nun erfahren, dass er damals der Fahrer des Gummipenis-Wagens war, aber das waren eben nicht die Dinge, die ihn interessierten. Gebannt sah er zu, wie Yūri die Flasche drehte und – diesmal blieb sie bei ihm stehen. Ja! Endlich! „In Ordnung, jetzt bist du dran. Was war der Grund, warum du mit hochrotem Kopf auf der Küche kamst“, diese Frage hatte er sich spontan zurecht gelegt, als er Yūris Zustand gesehen hatte. Auch hatte er mitbekommen, dass er sich das Gesicht gewaschen hatte. Wie auf Knopfdruck wurde Yūri wieder rot. Er öffnete den Mund und Victor hob neugierig die Augenbrauen. Er schloss den Mund wieder und griff dann seufzend nach seinem Handy, fuhr ein paar Mal mit dem Finger über das Display und reichte es ihm dann.
 

Neugierig griff Victor nach dem Gerät und blickte darauf. Sofort fiel ihm die Kinnlade hinunter. „Das...!“, weiter reichten seine Worte nicht. Yūri nickte. „Ja.“ „Das war...“, immer noch konnte Victor keine zusammenhängende Sätze bilden. Yūri nickte. „Ja.“ „Wusstest du davon?“, Victors Kopf schnellte in die Höhe und blickte Yūri an. Der schüttelte mit dem Kopf. „Ich kann mich an den Abend nicht erinnern. Ein Freund hat mir ein bisschen was erzählt, aber das ging mehr um was ich getan habe. Und du?“, erklärte Yūri. Victor schüttelte mit dem Kopf. „Totaler Filmriss. Ich hatte Fotos gemacht“, begann er, doch als er sah, dass Yūri ihm ins Wort fallen wollte, hob er eine Hand. „Aber der Vollidiot, mit dem du da getanzt hast, hat mein Handy mit einem Stöckchen verwechselt, als wir im besoffenen Kopf mit Makkachin raus sind.“
 

„Oh“, machte Yūri. „Ja. Ist im Fluss gelandet und es war nicht wasserdicht“, beendete er seine Erklärung. „Das wäre mit einer Cloud nicht passiert“, neckte Yūri. „Ich habe keine Ahnung von so etwas. Aber vielleicht kann mir Herr IT-Spezialist da mal helfen“, gab Victor zurück. „Natürlich kann ich Herrn Technik-Muffel da weiterhelfen“, konterte Yūri und beide lachten. Victor griff zur Flasche und drehte, während Yūri sein Bier leerte. „Ha! Jetzt hab ich einen Lauf!“, jubelte er und grinste Yūri an. „Also gut. Was ist dein unangenehmstes Geheimnis?“ Victor konnte zusehen, wie Yūris Augen groß wurden und die Röte, von der er sich gerade erst erholt hatte, zurück ins Gesicht kam. Er selbst hatte sich kaum von dem Schock erholt, dass diese Bekanntschaft aus der Bar ausgerechnet Yūri war. Aber das Spiel musste ja weitergehen. Statt zu antworten, nahm Yūri noch einen großen Schluck Bier. So unangenehm, dass er sich Mut antrinken musste?, fragte sich Victor und wollte gerade anbieten, dass er eine andere Frage stellen könnte, als es aus Yūri herausplatzte: „Ich habe bei einer Telefonsex-Hotline gearbeitet!“
 

Bitte? Jetzt musste Victor einen Schluck Bier nehmen. Yūri? Bei einer Telefonsex-Hotline? „Tut mir leid, aber das kann ich dir nicht glauben“, Victor schüttelte mit dem Kopf. Yūri schnaubte. „Du glaubst mir nicht, ja? Pass mal auf!“, schwankend kam er auf die Beine und ging in sein Zimmer. Dabei schloss er die Tür hinter sich. Ratlos saß Victor auf dem Boden, doch dann klingelte sein Handy. Yūri. „Yūri, was...“, doch er wurde direkt unterbrochen. „Lange nicht gehört, Victor“, ein Schauder lief Victor den Rücken hinunter und bereitete ihm wohlige Gänsehaut, als er die verführerisch gehauchten Worte hörte. Doch dann begriff er. Er ließ sein Handy fallen, sprang auf die Beine und riss Yūris Zimmertür auf. Mit großen Augen blickten sie sich an. Victor war fassungslos, doch die Verletzlichkeit in Yūris Augen ließ ihn zur Besinnung kommen. „Seit wann...?“, fragte er leise und vorsichtig, um ihn ja nicht zu verschrecken. Victor war sich sicher, dass der Alkohol Yūri den Mut gegeben hat, dieses Geheimnis preiszugeben und der Schock ihn mehr oder weniger schlagartig nüchtern gemacht hat.
 

„Seit wann ich weiß, dass du DER Victor bist? Seit ich deine Stimme bei dem Unfall gehört habe“, gab er zu und schluckte sichtlich schwer. Victor atmete tief durch und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Und ich Idiot habe gar nichts kapiert“, sagte er kopfschüttelnd. Yūri lachte kurz auf, vielleicht eine Spur panisch. „Ehrlich gesagt, war ich froh darüber“, erklärte er dann mit hängendem Kopf. War das der Grund, warum Yūri immer so schnell rot wurde? Weil er einfach so viele schmutzigen Gedanken von ihm kannte? Aber trotz allem, hatte Yūri keine Bedenken gehabt, sich mit ihm anzufreunden? Die Gedanken schwirrten in Victors Kopf und er konnte keinen wirklich klaren Gedanken fassen. Ihm fehlten wirklich die Worte. Er stand da, öffnete seinen Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Und mit jeder Sekunde Stille, die sich zwischen ihnen erstreckte, wurde es unangenehmer. Tatsächlich hatte er sogar das Gefühl, dass Yūris Schultern ein wenig bebten.
 

„Ich bin wirklich ein Arsch ohne Taktgefühl. Es tut mir leid, Yūri. Ich hatte immer ein vertrautes Gefühl bei dir, aber ich habe nie den Kontakt dazu knüpfen können. Kennst du das, wenn du mit verbundenen Augen an etwas riechst, du es kennst, aber es einfach nicht zuordnen kannst?“, jetzt lachte er, ein Hauch Hysterie schwang in seiner Stimme mit. Doch die Anspannung fiel leicht von Yūri ab. Auch er fing leise und kopfschüttelnd an zu lachen. Victor wusste nicht, was schlussendlich der Auslöser dafür war, dass er die Distanz zwischen ihnen überbrückte, Yūri fest in die Augen sah und tief durchatmete. „Das hat jetzt eigentlich nichts mit deiner Beichte zu tun, außer, dass mich das vielleicht noch ein wenig mehr darin bestärkt hat. Ich habe mich in dich verliebt, Yūri.“ Dann suchte er fast schon verzweifelt, mit wild schlagendem Herzen nach Bestätigung in Yūris Augen.
 

Doch Yūri blickte ihn nur mit großen Augen an. Völlig stumm. Fassungslosigkeit und vielleicht sogar Panik standen in seinem Gesicht geschrieben. Vorsichtig machte Victor zwei Schritte nach hinten und blickte zu Boden. Er räusperte sich, bevor er etwas heiser sagte: „Tut mir leid. Das hätte ich nicht tun sollen. Ich... Ich denke, ich gehe jetzt besser.“ Damit drehte er sich um und ging aus Yūris Zimmer, zog sich seine Schuhe an und nahm seinen Mantel von der Garderobe, ohne dass einer von ihnen noch ein Wort gesprochen hatte. Als er durch die Tür ging, fühlte sich der Kloß in seinem Hals und sein Herz so schwer an, dass er sich nicht sicher war, ob er es bis nach Hause schaffen würde.

Alles im Griff?!

Wie vom Schlag getroffen stand Yūri da und blickte in blaue Augen, die ihn erwartungsvoll anschauen. Hatte er richtig gehört? War das wirklich wahr? Er war nicht während des Films eingeschlafen und träumte nun irgendwelchen Mist, während er Victors Schulter voll sabberte? Sein, vom Alkohol benebelter, Kopf versuchte fieberhaft die Worte zu verarbeiten, scheiterte jedoch kläglich daran. Sein Blut pochte in seinen Ohren und so hörte er alles nur noch wie durch eine dicke Nebelwand. Doch während er noch da stand und nicht Herr seines Körpers war, entfernte sich Victor von ihm. Er schrie gedanklich seinen Körper an, sich in Bewegung zu setzen, ihm nachzulaufen, aber seine Beine waren schwer wie Blei. In der Zeit sickerten ganz langsam Victors Worte ein.
 

Das Geräusch der sich öffnenden Tür riss ihn aus seiner Schockstarre. Blind lief er drauf los, kollidierte beinahe mit seiner Zimmertür und schlitterte gefährlich auf dem Holzboden im Wohnzimmer. Er erreichte die Tür, bevor Victor sie hinter sich zuziehen konnte. „Victor“, brachte er krächzend hervor. Seine Stimme betrog ihn genauso wie sein Gehirn. Er blickte in die blauen Augen, die so verletzlich wirkten, dass Yūri noch mehr Probleme hatte, seine Sprachblockade zu überwinden. Doch Victor schaute ihn nun erwartungsvoll an, also öffnete er den Mund. Da er keine Ahnung hatte, was er sagen sollte, sprach er einfach das Erstbeste aus, was ihm ihn den Sinn kam: „Ich will mein Alles!“
 

Victor sah ihn verwirrt mit zusammengezogenen Augenbrauen an und legte den Kopf schief. Yūri schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Das war nun wirklich das Dämlichste, was er hätte sagen können, doch diese Aussagen von einem früheren Zeitpunkt hatten ihn einfach nicht losgelassen. Nervös fuhr er mit den Fingern durch seine Haare. Das Blut pochte weiter in seinen Ohren, ihm war unglaublich heiß und schwindelig. „Du sagtest... für Karamell machst du alles“, erklärte er seinen Satz und Victor hob die Augenbrauen fragend. „Und was möchtest du, was ich jetzt tue, Yūri?“, fragte er vorsichtig. „Zuerst einmal, dass du wieder reinkommst und mir einen Moment gibst, wenn das in Ordnung für dich ist“, bat er schon fast flehend. Victor nickte, doch da er ein wenig unschlüssig aussah, trat Yūri zur Seite und deutete ihm, wieder hineinzukommen.
 

Victor ging wortlos an ihm vorbei, zog seinen Mantel wieder aus und hängte ihn an die Garderobe. „Oh, das habe ich ja ganz vergessen“, Victor beugte sich vor und hob sein Handy auf. Yūri hatte es beim Anruf poltern hören, aber hatte nicht geglaubt, dass Victor das Handy tatsächlich aus der Hand gefallen war. Nun standen sie sich beide gegenüber und Yūri war immer noch unsicher. Natürlich hatte er Gefühle für Victor. Aber warum wollte Victor ausgerechnet ihn? Yūri war sich sicher, dass Victor so ziemlich jeden haben konnte, den er wollte. Was war da mit Victors Freund, mit dem er in dieser Bar getanzt hatte? Er hatte einen durchtrainierten Körper und sah gut aus. Warum also er? Und viel wichtiger war, wenn sie wirklich zusammenkamen, würde es Victor nicht langweilig werden? Er war kein besonders interessanter Mensch und fühlte sich oft unter vielen Menschen unwohl. Wie konnte er dann dauerhaft das Interesse von jemandem so Auffälligem lange halten können?
 

Victor war das krasse Gegenteil von ihm. Das war Yūri nur allzu schmerzhaft bewusst. Also wie würde das nur funktionieren? „Willst du mir nicht erzählen, was in deinem Kopf vorgeht?“, hörte er Victors Stimme leise. Er stand immer noch vor ihm, Mitten im Wohnzimmer. „Ich... bin nicht gut genug für dich“, sagte Yūri leise und blickte auf seine Füße. Doch als die Schuhspitzen von Victor in sein Blickfeld kamen, blickte er unweigerlich auf. Victors Augenbrauen waren zusammengezogenen und er sah ernst aus. Yūri war sich nicht sicher, ob nicht auch ein bisschen Ärger in seinen Augen funkelte. „Yuuuuuri", er zog wieder seinen Namen so lang, seine Stimme klang ein wenig schmollend-genervt. "Ob du gut genug für mich bist, sollte wohl besser ich entscheiden, oder? Außerdem habe ich das Gefühl, dass Selbstreflektion nicht deine Stärke ist“, sagte er dennoch sanft, hob eine Hand, um ihm liebevoll den Oberarm zu tätscheln. Selbst durch den Stoff seines Pullovers kribbelte seine Haut dort, wo Victor ihn berührte. Sein Herz hämmerte gegen seine Brust und die Welt drehte sich. „Yūri?“, Victors Stimme erklang wieder durch den dichten Nebelschleier. „Geht es dir nicht gut?“
 


 

Victor war sich eigentlich sicher gewesen, dass er Yūri überfordern würde. Warum er plötzlich alle Vorsicht und Geduld über Bord geworfen hatte, wusste er selbst nicht. So gern er es wollte, konnte er noch nicht einmal den Alkohol wirklich dafür die Schuld geben. Immerhin war er nicht so betrunken, dass er nicht Herr seiner Sinne war. Tatsächlich hatte er, im Augenblick seiner spontanen Liebeserklärung, noch nicht einmal mit einer sofortigen Antwort von ihm gerechnet. Doch diese Schockstarre hatte ihn erwischt wie ein Eimer eiskaltes Wasser. Als hätte ihm jemand mit bloßer Hand das Herz herausgerissen. Also hatte er Yūri die Zeit geben wollen, in Ruhe darüber nachzudenken. Ihn dabei nicht ansehen zu müssen. Und vor allem wollte es Victor nicht mitansehen.
 

Doch als Yūri ihm nachgelaufen war, er seinen Namen gerufen hatte, war Victor vor Freude fast das Herz stehen geblieben. Seine Aussage hatte ihn zwar erst verwirrt, aber hatte schlussendlich doch zur Folge, dass er nun Yūri gegenüber stand. Seine Worte ärgerten ihn zwar, denn immerhin war Victor alt genug, selbst zu entscheiden, ob wer gut genug für ihn war und vor allem... Yūri war sich offensichtlich gar nicht bewusst, was für ein besonderer Mensch er war. Was für ein besonderer Mensch er für ihn war. Doch nun machte ihm was anderes Sorgen. Yūri war blass geworden, die Augen schienen ein wenig glasig. „Yūri? Geht es dir nicht gut?“, fragte er besorgt und dirigierte ihn zum Sofa. Er ließ das alles einfach über sich ergehen. Behutsam, um ihn nicht zu verschrecken, legte er eine Hand auf Yūris Stirn. Waren seine Hände so kalt? Nein, Yūri war nur sehr warm!
 

„Du hast Fieber, Yūri! Ging es dir den ganzen Abend schon nicht gut?“, Victor ging in die Hocke und schaute ihn eindringlich an. Yūri schüttelte den Kopf. 'Nein, es ging mir den ganzen Abend nicht gut' oder 'Nein, mir geht es erst seit Kurzem nicht gut', fragte sich Victor stumm, doch entschied, dass es im Prinzip erst einmal egal war. „Gliederschmerzen”, sagte Yūri, als würde ihm erst jetzt klar, was das war. „Ich hatte gedacht, ich habe mich auf der Arbeit verhoben.” „Du solltest ins Bett. Was hältst du davon, wenn du dir was zum Schlafen anziehst und dich schon einmal unter die Decke legst? Ich suche alles für Wadenwickel zusammen, ja? Handtücher sind im Bad?“, er hatte beide Hände auf Yūris Schultern gelegt und rieb mit dem Daumen sanfte Kreise über das Schlüsselbein. Yūri schien sich genießerisch gegen seine Berührungen zu lehnen und nickte. Also gab er dem einen Moment nach, bevor er seine Hände langsam zurückzog und aufstand. Dann reichte er Yūri eine Hand. „Komm, ich helfe dir beim Aufstehen“, bot er an, besorgt, dass ihm Yūri umkippen konnte.
 

Keine 15 Minuten später saß Victor neben Yūris Bett auf dem Boden. Er hatte ihm noch ein Glas Wasser und eine Wasserflasche auf den Nachttisch gestellt. Nun zog er noch einmal die Decke ordentlich hoch und prüfte erneut den Sitz der Wadenwickel. „Du kannst das gut“, murmelte Yūri halb in die Decke. Victor schaute fragend auf. „Was meinst du?“ „Kranke pflegen“, bemerkte Yūri nur knapp und Victor lächelte. „Ich bin immerhin sozusagen ein großer Bruder“, zwinkerte er mit einem kleinen Lächeln. Das Lob aus Yūris Mund machte ihn ein wenig Stolz. „Es gibt so viel, was ich nicht von dir weiß“, kam es ganz leise, doch Victor hatte es gehört. Er nahm behutsam Yūris Hand, beugte sich dann vor und küsste Yūri auf die Stirn. „Genauso wie ich noch nicht viel von dir weiß. Aber wir haben ja Zeit. Werde du erst einmal gesund“, er drückte noch einmal kurz die Hand und wollte dann langsam aufbrechen, doch Yūri hielt seine Hand fest. „Geh nicht“, sagte er so leise und flehend, fast wie ein kleiner Junge, der Angst vor Monstern unter dem Bett hatte.
 

Victor küsste Yūris Handrücken und drückte sie dann noch einmal versichernd. „In Ordnung. Ich warte bis du eingeschlafen bist, aber dann muss ich zumindest kurz nach Hause, ein paar Sachen holen und Makkachin versorgen, ok? Dann komme ich aber sofort wieder“, erklärte er leise. Yūri nickte, ließ seine Hand jedoch nicht los. Langsam setzte sich Victor im Schneidersitz neben das Bett und lehnte eine Seite gegen den Holzrahmen. Lange musste er nicht warten, bis Yūri fest schlief. Er sah so friedlich aus, dass Victor noch ein paar Minuten ruhig da saß, weil er befürchtete, dass er den Zauber brechen konnte, wenn er sich bewegen würde.
 


 

Als Yūri wach wurde, fühlte sich sein Gehirn wie Matsch an. Er brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass er zu Hause war. Langsam setzte er sich auf, doch der Schwindel holte ihn sofort wieder ein. Trotzdem musste er dringend auf Toilette. Behutsam schwang er die Füße aus dem Bett, und wartete einen Moment, bevor er sich auf die Beine stellte, um wieder einen Moment zu warten. Dann ging er langsam zur halb offenen Zimmertür. Es war mitten in der Nacht, das sagte ihm ein Blick nach draußen. Doch als er im Wohnzimmer stand, war er wie erstarrt. Dort lag Victor auf dem Sofa, schlief friedlich auf der Seite, umarmte eines der Sofakissen und trug nur Boxershorts und T-Shirt. Für einen langen Moment überlegte er angestrengt, was am letzten Abend passiert war. Doch als es ihm endlich einfiel, schienen seine Knie weich zu werden und er musste sich am Türrahmen festhalten. Victor hatte ihm sogar Wadenwickel gemacht und später wohl auch noch entfernt, denn er hatte keine Tücher mehr im Bett gefunden.
 

Ungläubig blickte er auf den friedlich schlafenden Victor. Er hatte die Stehlampe neben dem Fernseher angelassen und das warme Licht zauberte sanfte Schatten auf sein Gesicht. Sein Herz flatterte bei dem Gedanken, dass sich Victor tatsächlich in ihn verliebt hatte. Kurz kam ihm in den Sinn, dass es eigenartig war, dass er das gar nicht in Frage stellte, doch Victor schien nicht der Typ, der einfach nur irgendetwas behauptete. Vor allem nicht bei so etwas Wichtigem. Er hätte ewig dort stehen und Victor beim Schlafen beobachten können. Sein entspanntes Gesicht, die Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht fielen, die schlanken und doch kraftvollen Arme, die das Kissen eng gegen seine Brust drückten, die schlanke Taille... Die schlanken, großen Füße, die trainierten Beine und die Rundungen seines Hinterns. Yūri musste schlucken, es war ihm bisher nicht aufgefallen, aber Victor schien tatsächlich mehr für seinen Körper zu tun, als sich nur gesund zu ernähren und mit Makkachin spazieren zu gehen.
 

Da langsam wieder der Schwindel einsetzte, schlich er sich langsam an Victor vorbei und ging ins Bad. Er sendete Stoßgebete in den Himmel, dass Victor nicht durch die Toilettenspülung oder das Waschbecken geweckt werden würde. Und wer auch immer gerade dort oben Dienst hatte, er hatte ihn ausnahmsweise erhört. Leise schlich er sich wieder in sein Zimmer, holte eine zweite Decke hervor, die er immer für Besucher im Kleiderschrank liegen hatte und breitete sie vorsichtig über Victor aus. Dann überlegte er sich, ob er noch schnell duschen sollte, doch die Anstrengungen seines nächtlichen Ausflugs hatten sich schon bemerkbar gemacht, also ging er wieder in sein Bett.
 


 

Victor rührte gerade die Suppe um, die er vor einer Stunde mit einem Suppenhuhn und Gemüse aufgesetzt hatte. Er wusste, dass Yūri in der Nacht aufgestanden sein musste, denn als er aufgewacht war, war er sorgsam zugedeckt gewesen. Victor konnte darüber eigentlich nur mit dem Kopf schütteln. Doch eigentlich war das auch einer der Eigenschaften von Yūri, die Victor so gerne mochte. Er hatte selten einen Menschen erlebt, der sich so sehr für andere zurücknahm und auf das Wohl seines Umfeldes aus war. Manchmal kam Yūri ihm vor wie ein Engel. Doch genau das war auch einer seiner Schwachpunkte, das war Victor ebenfalls klar. Also hatte er nach dem Aufwachen den Entschluss getroffen, schnell in den Supermarkt um die Ecke zu eilen und alles einzukaufen, wovon er dachte, dass es nützlich werden könnte.
 

Doch nun holte ihn ein komisches Geräusch aus seinen Vorbereitungen. Er ging ins Wohnzimmer und sah, dass Yūris Handy auf dem Couchtisch vibrierte. Sollte er ran gehen? Doch da der Anrufer scheinbar nicht auflegen wollte, nahm er es kurzentschlossen auf und nahm den Anruf entgegen. „Hallo, hier bei Katsuki“, meldete er sich und hoffte, dass der Anrufer direkt merkte, dass er nicht Yūri war und so nicht irgendeine missverständliche Situation entstehen würde. „Du bist nicht Yūri“, kam es aber nur von der anderen Seite. Ok, das wäre schon mal geschafft, dachte Victor, zog aber die Augenbrauen zusammen, weil er nicht wusste, wie viel er verraten sollte. Also ging er erst einmal wieder in die Küche, damit er Yūri nicht weckte.
 

„Stimmt. Mein Name ist Victor. Ich bin... ein Freund von Yūri“, erklärte er. „Wo ist Yūri?“, wollte der Anrufer nur wissen und irgendwas an der Tonlage nervte Victor gewaltig. „Ich richte ihm gerne aus, dass er sie zurückrufen soll. Ich habe keine Ahnung, in welcher Verbindung sie mit ihm stehen, daher warten sie bitte auf seinen Rückruf“, sagte er in bester Sekretärsmanier. Manchmal war es doch von Vorteil, mitzubekommen, wie Sara ihre Arbeit machte. „Ich bin Phichit, Yūris Mitbewohner“, stellte der Anrufer ungeduldig klar. Phichit, Phichit... bei dem Namen klingelte etwas bei Victor. „Wir haben uns beim japanischen Imbiss und in der Eishalle getroffen.“ Jetzt ging Victor ein Licht auf und er lachte. „Ach, ja! Tut mir leid, ich habe es nicht so mit Namen“, gab Victor verlegen zu. „Das ist mir relativ egal. Wo ist Yūri“, jetzt war die Stimme deutlich barscher.
 

„Yūri schläft noch. Er-“, doch weiter kam er nicht. „Mit dir?“ Jetzt schnaubte Victor hörbar genervt. „Nein. Ich hab auf der Couch geschlafen, Yūri in seinem Bett. Er hat gestern Abend Fieber bekommen und Schwindelanfälle. Ich habe ihn ins Bett gebracht, aber er wollte nicht, dass ich gehe und ich wollte ihn so auch nicht alleine lassen“, stellte Victor ungeduldig klar. „Er ist krank? Wie hoch ist das Fieber? Ich komme mit dem nächsten Flieger zurück!“, Phichit klang nun etwas panisch. „Ich schätze es liegt irgendwo bei 39 Grad, aber ich wollte nicht durch eure Sachen wühlen, um ein Fieberthermometer zu suchen. Aber ich glaube nicht, dass es nötig ist, dass du deswegen extra hierher kommst“, Victor schwankte zwischen Unmut und Freude darüber, dass Yūris Mitbewohner so sehr um ihn besorgt war. Es erleichterte ihn irgendwie, dass Yūri einen Freund hatte, der sich so sehr um ihn sorgte. Dennoch war er jetzt ja auch da.
 

„Doch, das ist nötig. Yūri ist mein Freund und ich bin Arzt. Ich kann mich um ihn kümmern“, es klang so, als würde Phichit auf und ab laufen. „Bis du zurück bist, ist Yūri wahrscheinlich wieder fit. Ich habe ihm gestern Wadenwickel gemacht. Heute war ich schon einkaufen, habe ein Fieberthermometer, Himbeerblättertee, Ingwer und Honig besorgt. Dazu koche ich gerade eine Hühnersuppe mit ordentlich Petersilie und habe eben schon Basilikum abgekocht. Zur Not habe ich noch ein fiebersenkendes Mittel in der Apotheke besorgt. Ich habe das alles im Griff, keine Sorge. Und sollte das Fieber nicht sinken, bringe ich ihn ins Krankenhaus“, zählte Victor alle Vorkehrungen auf, die er getroffen hatte. Für einen Moment war es am anderen Ende der Leitung leise, doch dann lachte Phichit ein wenig. „Du bist schlimmer als ich“, stellte er trocken fest. „Verwöhn ihn nicht so, sonst möchte er das ab sofort immer, wenn er krank ist.“ Da musste auch Victor lachen. „Damit hätte ich sogar überhaupt kein Problem, wenn ich ehrlich bin“, gestand er.
 

„Ok, ich sehe, du hast tatsächlich alles im Griff und ich kann dir da vertrauen. Hast du ihm schon deine Gefühle gestanden?“ Die Frage kam so unverhofft, dass Victor, der gerade ein Schluck Wasser trinken wollte, den Inhalt seines Mundes in der Küche verteilte und hustete. „Wie...?“, krächzte er zwischen seiner Hustenattacke. „Wer sich solche Mühe gibt, ist entweder ein verdammt guter Freund oder will mehr. Ihr kennt euch noch nicht allzu lange und eben hast du vor 'ein Freund' gezögert“, zählte Phichit auf und sein Grinsen schwang deutlich in der Stimme mit. „Ja, hab ich“, bestätigte Victor, nachdem er sich wieder erholt hatte. „Schön, jetzt hat Yūri endlich seinen Victor“, seufzte Phichit, doch Victor legte fragend den Kopf schief. Als er bemerkte, dass Phichit das gar nicht sehen konnte, fragte er: „Seinen Victor?“
 

„Er hat die letzten Tage fast nur von dir geredet“, lachte Phichit. Victor musste sich anlehnen. „Ernsthaft? Gestern habe ich kurzzeitig gedacht, dass er eine Panikattacke bekommt, als ich ihm meine Gefühle gestanden habe. Ich bin beinahe geflüchtet“, gestand Victor und nun hörte er ein Prusten auf der anderen Seite. „Ernsthaft? Oh Gott, du tust mir ja schon fast leid. Aber Yūri gerät schnell in Panik, wenn er überfordert ist. Nimm ihm das bitte nicht übel“, erklärte Phichit. „Nein, ich schiebe es auch ein wenig auf den Alkohol und den Virus oder was auch immer ihn da niedergestreckt hat“, sagte Victor ehrlich, was er dazu dachte. „Ich rechne dir hoch an, dass du dir da keinen Vorteil raus geschlagen hast. Yūri macht schnell Dinge, die er bereut, wenn er betrunken ist“, Phichit war wieder vollkommen ernst. „Ich nehme an, als Mitbewohner weißt du relativ viel von Yūri und egal, wie es mit uns angefangen hat, ich meine es wirklich ernst mit ihm. Er ist mir viel zu wichtig, als es mit einer übereilten Aktion ruinieren zu wollen. Scheiße, ich dachte schon fast, dass mein Geständnis zu früh kam“, Victor fuhr mit seinen Fingern durch die Haare.
 

„Er hat es dir gestanden?“, Phichits Stimme war fassungslos. „Das mit der Hotline? Ja. Wie du schon sagtest, wenn Yūri getrunken hat, macht er Dinge, die er bereut. Nur fühle ich mich wie der letzte Vollidiot, dass ich es nicht kapiert habe. Und du wusstest es auch sofort und konntest mich deswegen nicht leiden, was?“, sprach Victor die Vermutung aus, die er seit gestern Abend gehegt hatte. „Dumm bist du nicht gerade“, pfiff Phichit durch die Zähne. „Also gut, ich bin ehrlich bereit, dich zu akzeptieren. Vorerst. Ich gebe dir meine Nummer. Halte mich bitte auf den Laufenden, wie es Yūri geht, ja?“

Auf dem Weg der Besserung

„Könntest du das bitte sein lassen, Victor? Ich versuche zu essen“, krächzte Yūri heiser und leicht, während er die Suppe löffelte, die Victor ihm gekocht hatte. „Die Suppe ist übrigens sehr lecker“, schob er dann noch hinterher, weil er nicht unhöflich sein wollte. Victor senkte sein Handy und grinste. „Ich muss Phichit doch ein Beweis schicken, dass du noch lebst. Ich überlege, ob ich 'Mäste ihn gerade zum Sonntagsbraten' dazu schreiben soll“, er legte den Kopf schief und starrte überlegend auf sein Handy, ließ es dann aber in die Hosentasche gleiten, bevor er zu ihm ans Bett kam und sich auf die Kante setzte. Yūri schüttelte belustigt den Kopf. „Aber für heute wird das nichts mehr mit dem Braten. Da muss es noch mehr als Suppe geben“, neckte er dann zurück
 

Victor legte einen Finger an die Lippe. „Dann sollte ich morgen zum Mittagessen vielleicht Piroschki machen?“, fragte er dann. „Victor, morgen ist Montag. Du musst morgen zum Mittagessen arbeiten“, lachte Yūri leicht, doch musste sofort Husten. Behutsam nahm ihm Victor den Teller aus der Hand, damit er sich aushusten konnte. „So lasse ich dich nicht alleine. Ich habe schon eine Nachricht geschrieben, dass ich morgen nicht im Büro bin. Ich fahre morgen früh kurz hin, gebe ein paar Manuskripte ab und hole mir neue Arbeit ab.“ Yūri wollte schon protestieren, doch Victor hab eine Hand. „Dafür muss ich nicht im Büro sein, das kann ich auch mal von hier machen. Ich möchte dich so nicht alleine lassen und ich habe Phichit versprochen, dass ich mich um dich kümmere.“
 

Yūri nahm wieder den Teller mit der Suppe in die Hand. „Du kennst Phichit doch gar nicht, warum nimmst du das Versprechen denn so wichtig?“, wollte er wissen. „Zum Einen, lieber Yūri, muss ich dir sagen, dass ich Phichit sehr wohl kenne. Dazu kommt dann aber noch, dass ich dich einfach nicht alleine lassen möchte und ich generell meine Versprechen halte. Also, wenn ich mich dran erinnere“, Victor lachte und rieb sich den Nacken. Gleich schossen Yūri zwei Fragen in den Sinn: Woher kannte er Phichit und war er etwa vergesslich? „Woher kennst du Phichit“, stellte er die Frage, die ihm am Wichtigsten schien. „Ich habe ihn das erste Mal bei einem japanischen Imbiss ein paar Meter von hier getroffen und später noch einmal in der Eishalle bei einer Art Schaulaufen für die jüngere Generation der Eiskunstläufer“, erklärte er und bei Yūri machte es sofort Klick. „Du warst mit Katya da?“, fragte er mit großen Augen. „Ja, mit ihrer Mutter und ihrem Cousin. Wir haben meinen Ziehbruder angefeuert“, nickte Victor. „Yuri Plisetsky?“, riet Yūri aus dem Bauch heraus. „Warst du auch da?“, fragte Victor verwundert und lachte, als Yūri nickte. „Wie oft wir wohl immer wieder aneinander vorbeigelaufen sind?“, fragte er dann und blickte ihn liebevoll an.
 

Yūri spürte sofort, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg und obwohl sein Fieber gesunken war, war ihm wieder unangenehm heiß. „Schick lieber Phichit die Nachricht, sonst steht er doch noch in der Tür. Und lass das mit dem Sonntagsbraten, sonst schickt er die Polizei vorbei“, murmelte er und beugte sich über seine Suppe, um die Reste zu essen. „Hmmm, du könntest recht haben“, Victor legte den Kopf schief. „Möchtest du noch einen Nachschlag?“, fragte er dann, doch Yūri schüttelte mit dem Kopf. „Ich würde mal gerne eine Runde an die Luft oder so“, gestand er stattdessen. Doch Victors Blick wurde schlagartig finster und seine Augen verengten sich ein wenig. „Yuuuuri. Ich öffne dir höchstens das Fenster. Du hast noch viel zu sehr mit Schwindel zu kämpfen, als dass ich dich rauslassen könnte“, mahnte er. „Ja, in Ordnung“, murrte Yūri, immerhin konnte er schlecht den wahren Grund dafür nennen, warum er da im Türrahmen gelehnt hatte. Yūri sah die Situation noch vor seinem geistigen Auge. Er war aufgestanden, weil er zur Toilette wollte. Warum Victor beim Duschen nicht die Tür geschlossen hatte, wusste er nicht. Jedenfalls hatte er so den besten Ausblick auf Victors halbnackten, noch leicht vor Feuchtigkeit glänzenden Körper gehabt.
 

Yūri war noch nie im Leben so froh gewesen, krank zu sein. Nicht nur, dass das Fieber so ziemlich alle Funktionen unterdrückte, die in diesem Moment hätten peinlich sein können, sondern auch, dass er so tun konnte, als Victor aufblickte, als hätte er von alldem nichts mitbekommen und wäre gegen seinen Schwindel am kämpfen. Schlimm war dann nur die Situation, als Victor ohne über seine Bekleidung nachzudenken, zu ihm gelaufen kam und ihn auf das Sofa verfrachtete. Seitdem fuhren seine Gedanken und Emotionen Achterbahn. War er nun wirklich mit Victor zusammen? Immerhin hatte er ihm noch keine wirkliche Antwort gegeben. War es dann nicht grausam, ihn so lange warten zu lassen? War er überhaupt bereit dafür? Wie konnte er dauerhaft Victors Interesse halten? Und was erwartete Victor nun von ihm und von ihrer Beziehung, falls sie überhaupt eine hatten?
 

Je mehr Yūri darüber nachdachte, desto panischer wurde er. „Du siehst müde aus. Vielleicht legst du dich noch einmal hin?“, fragte Victor, als er sich vom Fenster wieder zu Yūri wandte. „Ja, ist gut“, nickte Yūri matt und hoffte, dass ein wenig Schlaf seine Gedanken zumindest ein wenig beruhigen würden. „Was hältst du davon: Wenn du morgen fit genug bist, gehen wir mit Makkachin eine kleine Runde, ja?“, bot Victor mit funkelnden Augen an. Yūri konnte nicht anders als bei diesem Anblick lächeln. „Ja, das klingt wirklich gut“, sagte er schlussendlich und ließ sich ins Kissen sinken. Er war selbst überrascht, als er merkte, wie müde er tatsächlich war.
 


 

„Yūri?“, flüsterte Victor leise, als sich Yūris Augen fast sofort schlossen und seine Atemzüge direkt ruhiger wurden. Doch er rührte sich nicht, kein Zucken deutete darauf hin, dass er noch wach war. Langsam kam er dem Bett näher und setzte sich vorsichtig auf die Kante, um nicht zu viel Bewegung der Matratze zu versuchen. Behutsam strich er ihm ein paar Haare aus der Stirn und glitt mit seinen Fingerspitzen über Yūris Wange. Dann beugte er sich vor und küsste federleicht seine Stirn. „Schlaf gut, mein Yūri“, flüsterte er, bevor er langsam aufstand und aus dem Raum ging. Er lehnte die Tür nur an, damit er hörte, falls Yūri aufwachte oder einen Hustenanfall bekam. Kurz stand er ein wenig ratlos im Wohnzimmer, holte dann jedoch sein Handy hervor. Er schickte Phichit das Foto von Yūri und entschied sich dafür, den vorübergehenden Waffenstillstand nicht durch einen fiesen Spruch in Gefahr zu bringen.
 

» Vermelde gehorsamst: Patient isst und das Fieber sinkt. «
 

Danach kochte er sich einen Tee und las das Manuskript, an dem er gerade dran war, weiter. Ein Krimi über einen Sohn, der das Familienunternehmen nach dem Tode seines Vaters übernimmt und feststellen muss, dass dieser alles andere als ein seriöser Geschäftsmann gewesen ist und für die Drogenmafia Geld gewaschen hat. Es war ein netter Krimi, auch wenn die Charaktere ein wenig oberflächlich wirkten. Das war auf jeden Fall ein Punkt, an dem er gerne mit der Autorin arbeiten wollte. So etwas war immer eine der interessantesten Dinge bei dieser Art von Vorarbeiten. Gerade, wenn er den Autor noch nicht kannte. Es war eine sehr fragile Basis, denn die Vorlage war zwar gut, aber konnte so nicht veröffentlicht werden. Wie reagierte der Autor auf so eine, natürlich ausführlichere und konstruktive, Kritik?
 

Victor hatte da schon allerhand Reaktionen erlebt. Grob teilte er angehende Autoren in solchen Gesprächen in 4 Gruppen auf. Der Devote – Die Person sagt zu allem 'Ja und Amen', teilweise auch ohne es zu verstehen oder dahinterzustehen, nur damit er die Chance auf eine Veröffentlichung bekommt. Der Dankbare – Bedankt sich überschwänglich und macht sich fleißig Notizen, vergisst aber im überschwänglichen Freudentaumel die Hälfte der Details umzusetzen. Der Neutrale – Sitzt mit regungsloser Miene da und nickt verstehend oder wissend. Wiegt dabei immer seine Möglichkeiten ab, also ob er die Kritik annehmen oder es bei einem anderen Verlag versuchen soll. Der Motzende – Weiß immer alles besser und stellt die Kompetenz des Redakteurs in Frage. Behauptet auch gerne, man habe 'den intellektuellen Zugang' zu seinem Werk nicht gefunden.
 

Es machte Victor besonders Spaß, im Vorfeld zu schätzen, welche Art von Person hinter dem Manuskript steckte. Oft war es relativ einfach, aber manchmal wurde er auch richtig überrascht. In diesem Fall tippte er auf Typ 'Dankbar'. Interessant war auch immer, wie sich der Autor wandelt, sobald er den Vertrag unterschrieben hatte. Manchmal schlug 'der Devote' in 'der Motzende' um oder auch andersrum. Es hieß ja auch 'Wenn du wissen möchtest, wie der wahre Charakter eines Menschen ist, gib ihm Macht'. Ähnlich war es bei den Autoren und dem Vertrag. Aber an sich hatte er wenig Probleme mit den einzelnen Gruppen, immerhin betreute er auch den Problemfall Alan Aaronovitch. Denn was viele ihm nicht zutrauten war, dass er auch mal ein Arsch sein konnte. Natürlich hatte er am Anfang hier und da einmal zu viel nachgegeben, aber auch das gehörte zum Lernprozess dazu und hatte ihn nun zu dem gemacht, was er war. Und schlussendlich würde ihm das alles von Nutzen sein, falls er irgendwann einmal Feltsman Publishing übernehmen sollte.
 

Er fragte sich nur, wann der richtige Zeitpunkt gekommen war, Yūri alles zu erzählen. Zwar hatte Yūri ihm keine eindeutige Antwort gegeben, aber wenn er ihn nicht mögen würde, würde er sich jetzt ja nicht so verhätscheln lassen und hätte ihn nicht gebeten, zu bleiben. Oder? Victor dachte ein wenig darüber nach, doch kam immer auf den gleichen Punkt zurück: Warum hätte er ihn den sonst zurückgeholt? Anders machte es überhaupt keinen Sinn. Das dachte und hoffte Victor zugleich und doch blieb ein Funken Zweifel zurück. Immerhin hatte er Yūri mit seinem Geständnis hoffnungslos überfordert. Er sollte jedenfalls das Thema nicht weiter anschneiden, bis Yūri es selbst ansprach. So konnte er sicher gehen, dass er Yūri nicht zu sehr bedrängte. Oder sollte er vielleicht Phichit um Rat fragen? Immerhin hatte er jetzt seine Nummer und er war bereit, ihn zu akzeptieren.
 


 

Das Vibrieren seines Handys holte ihn aus seinem Dämmerzustand. Er war schon seit einiger Zeit wach, aber hatte keine Lust, aufzustehen. Doch nun war er neugierig, warum sein Handy vibriert hatte. Es war eine Nachricht von Phichit.
 

» Hey Yūri! Wie geht es dir? Ist dein Babysitter beschäftigt? Kannst du telefonieren? «
 

Yūri runzelte mit der Stirn. Was wollte Phichit und warum sollte Victor das nicht mitbekommen? Leise stand er auf, ging zu seiner Zimmertür und spähte hinaus. Victor saß auf der Couch, mit den Beinen über Kreuz auf dem Couchtisch, ein Bündel Papier auf dem Schoß und schlief. Unweigerlich musste Yūri über diese friedliche Szene lächeln und ihm wurde beim Gedanken, dass er vielleicht bis zum Ende seines Lebens solche intimen Momente beobachten durfte, ganz warm ums Herz. Aber was sagte er da? Bis ans Ende seines Lebens? Sie waren doch noch nicht einmal richtig zusammen! Und dann lag es auch noch an Victor, ob er es so lange mit ihm aushielt.
 

Er schloss die Tür hinter sich, kramte sein Headset aus einer Schublade, da er so leise telefonieren konnte. Da er Phichits Nummer auf der Kurzwahl hatte, klingelte es nur Momente später. „Yūri! Wie geht es dir?“, erklang Phichits Stimme nach dem zweiten Klingeln. „Noch ziemlich erledigt und der Husten ist ein wenig fies, aber ansonsten geht es mir eigentlich überraschend gut“, sagte er und lachte leise. „Behandelt dich Victor auch gut?“, wollte er nun argwöhnisch wissen. „Gut? Er hat so viele Sachen gekauft, dass er eine ganze Schulklasse damit gesund pflegen könnte“, Yūri musste an den überfüllten Kühlschrank denken und schüttelte mit dem Kopf. „Und er nutzt die Situation nicht aus?“, hakte Phichit nach. „Gott, nein! Phichit! Was unterstellst du ihm? Er macht nichts dergleichen!“, echauffierte er sich. „Fasst er dich an?“, fragte sein Mitbewohner nun. „Phichit! Man kann ja wohl kaum einen pflegen, ohne ihn hier und da anzufassen“, er rollte mit den Augen. Das war wieder die gleiche Leier. Von wegen Waffenruhe, Victor musste da was missverstanden haben.
 

„Wo und wie oft?“, kam es von Phichit. „Wo und wie oft, was?“, wollte Yūri verwirrt wissen. „Wo er dich anfasst und wie oft, will ich wissen!“, Ungeduld schwang in Phichits Stimme mit. „Verdammt noch mal, Phichit! Er gehört zu den Leuten, die scheinbar mehr Körperkontakt suchen, aber er hat mich noch nie unangenehm angefasst!“, nun musste Yūri sich bemühen, weiterhin leise zu sprechen. Phichit schnaubte nur und dann war für einen Moment Stille in der Leitung. „Ich bin nur der Meinung, dass irgendwas nicht mit ihm stimmen kann. Irgendwo muss der Haken sein“, sagte Phichit dann etwas versöhnlicher. „Du meinst, außer dass er bei Sex-Hotlines anruft?“, lachte Yūri leise. „Ja, genau das. Warum hat er das nötig? Da steckt doch irgendwas dahinter. Vielleicht hat er irgendeinen Spleen, weswegen man es nicht lange mit ihm aushält“, mutmaßte Phichit nun. „Und der wäre?“, Yūri konnte sich bei bestem Willen nichts vorstellen. „Ach, Yūri. Ich habe keine Ahnung!“, seufzte Phichit wieder.
 

„Nein, tut mir leid. Das glaube ich nicht. Victor ist perfekt“, sprach Yūri das aus, was er wirklich glaubte. „Yūri, niemand ist perfekt!“, nun klang Phichit wieder ungeduldig. „Was ist, wenn er Socken beim Sex trägt oder Hamster hasst?“, wollte er nun wissen. „Tut er nicht. Er hat deine Hamster gefüttert. Und selbst wenn er Socken beim Sex trägt... Manchmal bekommt man kalte Füße und dann ist es doch nicht verkehrt, bevor man sich eine Erkältung holt...“, Yūri wurde zum Ende hin immer leiser. „Dein Ernst?“, fragte Phichit ungläubig. Yūri spürte die Hitze in seinen Wangen. Erst denken, dann reden!, schimpfte er gedanklich mit sich selbst. „Klar, er hat sogar das Streu frisch gemacht. UndichsolltejetztbesserSchlussmachenPhichitmeinalterFreund. Warschönmitdirgeredetzuhaben. Ichmeldemichnochmalwennesmirwiederbessergeht“, lachte er ein wenig hysterisch und sprach dabei so schnell, dass er sich beinahe verhaspelte und legte auf. Doch als er von seiner Zimmertür aus Geräusche vernahm, erstarrte er in seiner Bewegung.

Ein ernstes Wort

Zögernd und wie in Zeitlupe drehte sich Yūri zur Tür um. Er wartete, dass Victor dort stand... doch nichts dergleichen war zu sehen. Stattdessen hörte er leises Rumpeln und vermutete, dass es aus der Küche kam. War es das, was er gehört hatte? Oder hatte er sich das am Ende einfach nur eingebildet? Unschlüssig stand Yūri vor der verschlossenen Tür. Nach einigen Momenten hob er langsam seine Hand, öffnete die Tür und verließ leise das Zimmer. Victor war in der Küche beschäftigt, doch Yūri konnte nicht sagen, was genau er da tat. Genauer gesagt konnte Yūri ziemlich klar sehen, was er da tat, aber nicht, warum. Victor war gerade mit dem Kopf halb in einem Schrank verschwunden, als er fragte: „Victor, was machst du da?“
 

Victor zuckte, offenbar erschrocken, zusammen und stieß sich geräuschvoll den Kopf. „Yūri! Au! Verdammt!“, fluchte er und rieb sich den Hinterkopf während er wieder in voller Pracht zum Vorschein kam. „Hast du ein Schneidebrett? Also irgendwas Größeres?“, fragte er und nahm seine Hand vom Hinterkopf, um eine Größe anzudeuten. Yūri hob eine Augenbraue. „Brauchst du Eis für deinen Kopf?“, fragte er erst einmal besorgt. Victor schüttelte lachend mit dem Kopf. „Aber du vielleicht Ersatzteile für deinen Schrank“, scherzte er und rieb sich noch einmal kurz die Stelle. Lachend trat Yūri an einen der Oberschränke und deutete dort auf die Auswahl an Schneidebrettern.“Reicht das?“, fragte er. Victor legte den Kopf schief. „Ja, ich hätte vielleicht mal überall reinschauen sollen, bevor ich die Schränke ausräume, was?“, lachte er.
 

Yūri stimmte mit ein. Erleichtert, dass Victor tatsächlich nichts von seinem Telefonat mit Phichit mitbekommen hatte. „Was hast du damit eigentlich vor?“, fragte er Victor, als dieser ein größeres Holzbrett aus dem Schrank nahm und scheinbar kritisch musterte. „Oh, tut mir Leid. Hab ich dich mit meinem Radau geweckt?“, fragte Victor. „Ähm... Nein. Ich habe mit Phichit telefoniert. Aber das ist keine Antwort auf meine Frage“, immerhin war Yūris Neugierde geweckt. „Ich sagte doch, ich mache morgen Piroschki!“, strahlte Victor, stellte das Holzbrett ab und schloss den Schrank wieder. Offenbar war das Brett zu seiner Zufriedenheit. „Du musst morgen arbeiten und...“, erinnerte ihn Yūri, doch ein erneuter Hustenreiz unterband jegliches, weiteres Wort. Victor reichte ihm eine Tasse Tee, er hatte die perfekte Trinktemperatur. Wie schaffte er das alles bloß? „Ich fahre morgen kurz zur Arbeit, gebe Manuskripte ab, hole mir ein paar Neue und komme dann sofort wieder“, wiederholte Victor noch einmal das, was er Yūri erst vor einigen Stunden gesagt hatte.
 

„Victor, ich werde von dem Husten nicht sterben“, krächzte er nach einem Schluck Tee. Der Honig, der Ingwer und die Kräuter taten seinem Hals gut. „Aber ich, wenn ich dich alleine lasse. Entweder vor Sorge oder durch Phichits Hand, weil ich mein Versprechen gebrochen habe“, stellte Victor mit leicht theatralischer Stimme klar. Yūri fing an zu lachen, was seinem Husten in diesem Moment nicht half. Schnell hatte Victor ihm die Tasse aus der Hand genommen. Dann fühlte Yūri, wie Victors warme Hand beruhigend über seinen Rücken strich. Für einen kurzen Moment vergaß Yūri, wie man atmete. Doch auf eine seltsame Weise half es ihm auch, sich zu beruhigen. „Was ist das eigentlich in deinem Kühlschrank?“, fragte Victor beiläufig. „Du meinst, die Unmengen an Lebensmittel, die ein gewisser jemand gekauft hatte?“, konterte Yūri und versuchte nicht rot zu werden, als ihm klar war, wie nah ihm Victor war.
 

„Nein, ich meine diese Dosen“, Victor hatte den Kühlschrank geöffnet und deutete auf die Dosen im Seitenfach. „Ach. Das ist Lychee-Schorle“, sagte Yūri. „Lychee-Schorle? So etwas schmeckt?“, fragte Victor neugierig. „Und ob! Du kannst dir gerne eine Dose holen“, bot Yūri an. Immerhin tat er schon genug für ihn, da konnte er sich zumindest so ein wenig erkenntlich zeigen. „Hast du dein Auto schon?“, fiel ihm plötzlich ein. Victor schloss den Kühlschrank und drehte sich zu ihm um. „Nein, irgendwann im Laufe der nächsten Woche“, erklärte Victor. Yūri runzelte die Stirn. Hatte er eben nicht gesagt, er würde morgen kurz hinfahren? „Wie kommst du dann auf die Arbeit?“, fragte er. „Mit dem Taxi wird es wohl am Einfachsten sein“, Victor zuckte mit den Achseln und begann, den Schrank wieder einzuräumen, den er eben durchsucht hatte. „Das ist doch Schwachsinn. Du kannst mein Auto haben. Es ist zwar... also... na ja, es fährt und du musst nicht dafür zahlen“, murmelte Yūri ein wenig peinlich berührt, nachdem ihm klar wurde, was für ein himmelweiter Unterschied zwischen ihren Autos lag. Doch Victor strahlte ihn nur an. „Das wäre wirklich toll.“
 


 

Sie hatten sich entschieden, nach dem Abendessen noch einen Film zu schauen. Doch sie hatten sich wegen Yūris Husten gegen einen weiteren Trashfilm entschieden. Stattdessen hatte Yūri 'Guardians of the Galaxie Vol. 2' hervorgeholt und da Victor den Film noch nicht geschaut hatte, war er einverstanden. Victor hatte den Arm um Yūri gelegt und er lehnte sich gegen seine Seite. Er war froh, dass es seine rechte Seite war, sonst wäre Yūri mit Sicherheit nicht entgangen, dass sein Herz in seiner Brust hämmerte. Es war so friedlich, so häuslich. Mit einem Mal wurde ihm mehr als nur schmerzhaft bewusst, was ihm bisher gefehlt hatte. Und noch schlimmer, der Gedanke, dass er nun vielleicht nur einen kurzen Ausblick darauf bekommen würde, was er haben könnte, machte ihn fast verrückt. Am liebsten wollte er Yūri an sich drücken und eine Antwort von ihm erzwingen. Aber würde sich Yūri so an ihn lehnen, wenn er nichts von ihm wollte? Steigerte er sich da in etwas hinein, was es nicht gab? Aber was hatte Phichit am Telefon gesagt? 'Schön, jetzt hat Yūri endlich seinen Victor.' War das wirklich so gemeint oder hatte Phichit vielleicht nur irgendetwas falsch verstanden? Immerhin war er momentan ja auch nicht in der Nähe und sie hatten nur telefoniert.
 

So oder so war Victor fest entschlossen, Yūri zu zeigen, dass er es wert war, dass er seine Zeit mit ihm verbrachte. Yūri streckte sich ein wenig an seiner Seite und riss Victor so aus seinen Gedanken. „Hat dir der Film gefallen?“, fragte Yūri und blickte zu ihm hoch. Wie gerne würde er sich jetzt zu ihm hinunterbeugen und küssen, dachte er. Doch die Tatsache, dass der Film vorbei war, ohne dass er es gemerkt hatte, stellte ihn vor ein kleines Problem. Er war so sehr in Gedanken vertieft gewesen, dass er Einiges vom Film nicht mitbekommen hatte. „Ja. Wie schon im ersten Film mag ich den Soundtrack besonders“, gestand er etwas, womit er sich zumindest sicher war. Yūri hob seine Augenbrauen. „Wirklich? Du magst Oldies?“, fragte er verwundert. Victor musste grinsen, weil der Anblick einfach zu niedlich war. „Nicht direkt. Aber die Lieder vom ersten und auch dem zweiten Teil finde ich gut. Ich meine, David Bowie, The Jackson 5, Fleetwood Mac, George Harrison, Yusuf bzw. Cat Stevens... Das sind alles schon fast Klassiker“, Victor zuckte mit den Achseln. Yūri nickte. „Ja, du hast recht. Mit ein paar von den Künstlern bin ich auch aufgewachsen. Doch hauptsächlich mit japanischer Musik.“ Zu Victors Verwunderung machte Yūri keine Anstalten, aufzustehen. Doch das bedeutete nicht, dass es Victor irgendetwas ausmachte. Ganz im Gegenteil.
 

„Ich glaube, ich habe noch nie japanische Musik gehört“, gestand Victor. „Meinst du jetzt die traditionelle Musik oder moderne?“, fragte Yūri. Wieder zuckte Victor mit den Achseln. „Ich glaube, weder noch. Zumindest nicht bewusst.“ Nun grinste Yūri. „Das heißt, ich muss dir hier kulturelle Nachhilfe geben? Das könnte ich als Revanche für deine Pflege ansehen“, sagte Yūri. „Revanche? Heißt das nicht eher Rache? War meine Pflege so schlecht oder ist die Musik so gut?“, neckte Victor, denn er war sich spätestens als Yūri daraufhin mit den Augen rollte sicher, dass er sich falsch ausgedrückt hatte. Victor trank einen Schluck von seiner Lychee-Schorle, die auf einem Beistelltisch neben der Couch auf ihn gewartet hatte. „Ich muss zugeben, dass zumindest die Schorle gut ist. Ist das auch so ein Japan-Ding?“, fragte er. Yūri richtete sich auf und hob wieder eine Augenbraue. „Japan-Ding? Ich möchte dich darüber in Kenntnis setzen, dass Lychee eher ein China-Ding ist und Phichit mich damit bekannt gemacht hat. Japan ist nicht gleich Asien“, mahnte er.
 

Victor war einen Moment still und suchte nach Worten. Er hatte es keinesfalls in irgendeiner Weise negativ gemeint. „Es tut mir leid, Yūri. Ich wollte nicht despektierlich wirken...“, doch er wusste immer noch nicht, wie der Satz weitergehen sollte. Er blickte Yūri an, der zwischenzeitlich in ein breites Grinsen ausgebrochen war. „Du wirst mir langsam ein wenig zu aufmüpfig, Herr Katsuki“, empörte sich Victor, als er merkte, dass Yūri ihn nur auf den Arm nahm. „Wenn man mich so gut pflegt, Herr Nikiforov“, grinste er zurück, sodass Victor eine gespielte Empörung nicht aufrecht halten konnte. Yūri brachte ihn schon mit einem Lächeln aus der Fassung. Wo sollte das noch enden?, seufzte Victor innerlich. „Apropos Pflege, ich denke, du solltest langsam mal wieder ins Bett gehen“, sagte er und zog Yūri mit sich hoch, wobei er nur widerwillig den Abend enden ließ.
 


 

Als Yūri am Morgen die Tür ins Schloss fallen hörte, zog er sich kurz um, kämmte sich die Haare und öffnete dann die Handy-App zum Videochat. Es dauerte nicht lange, bis seine Mutter dran ging. „Hallo Mama“, grüßte Yūri so fröhlich, wie es sein Husten zuließ. „Ahhh! Yūri, mein Liebling. Guten Abend!“, strahlte sie und hielt dann inne. Ihr Kopf kam kurz näher, bevor sie wieder normal vor dem Handy saß. Eine typische Geste seiner Eltern, wenn sie etwas überprüfen wollten. „Du siehst krank aus, aber trotzdem glücklich. Gibt es Neuigkeiten?“, wollte seine Mutter sofort wissen. Sie kannte ihn einfach viel zu gut. „Nun ja, ich habe tatsächlich eine Erkältung mit Husten“, erklärte Yūri. „Isst du denn ordentlich? Phichit ist ja nicht da. Soll ich kommen?“, bot sie direkt an, doch Yūri schüttelte lachend Kopf. „Mir geht es gut, Mama. Keine Sorge. Aber da gibt es etwas, was ich mit dir besprechen wollte. Auch mit Papa... Ich...“, Yūri suchte nach den richtigen Worten, doch wusste nicht, wie er anfangen sollte.
 

„Yūri, mein Kind. Du kannst mit mir über alles reden, dass weißt du doch“, sagte seine Mutter in dieser unglaublich liebevollen Art, die er so oft vermisste, wenn seine Gedanken mit ihm durchgingen und ihn verunsicherten. „Ich weiß. Ich kann auch nicht in Worte fassen, wie dankbar ich dafür bin. Ich... Mama, ich habe mich verliebt“, gestand Yūri und noch bevor er weiter redete, quietschte seine Mutter aufgeregt und klatschte mit den Händen. „Yūri, das ist wundervoll! Ich freue mich so für dich! Oh mein Gott! Mein Sohn hat endlich jemanden gefunden“, sie hielt sich beide Hände an die Wangen und strahlte über beide Ohren. „Aber... Mama, ich...“, sie ließ ihn gar nicht ausreden. „Ihr müsst unbedingt mal vorbei kommen. Ihr seid doch schon ein Paar, oder?“ „Ich... Mama, es ist ein Mann. Ich habe mich in einen Mann verliebt. Und nein, wir sind noch kein Paar. Er hat mir seine Gefühle gestanden, aber ich habe noch nicht geantwortet“, gestand er nun mit einem Kloß in seinem Hals. Was würde sie sagen?
 

„Waaaaaaaas? Yūri! Das kannst du nicht tun! Jetzt muss ich aber wirklich mal ein ernstes Wort mit dir reden!“, kreischte seine Mutter schon fast. Er wusste es. Er hatte es gewusst. Seine Mutter liebte ihn, aber dass ihr einziger Sohn sich in einen Mann verliebte, das war wohl für die meisten Eltern zu viel. „Was soll er von dir denken?“ Was sein Vater von ihm dachte? Wenn seine Mutter schon so überrumpelt war, würde seine Reaktion bestimmt noch schlimmer ausfallen. „Das musst du sofort richtig stellen“, redete sie einfach weiter. Wie sollte er das bitte richtig stellen. Als wäre das eine Krankheit! Mit einem Mal war Yūri geschockt. Er hatte damit gerechnet, dass seine Eltern es nicht gutheißen würden, aber so etwas? „Der arme Junge gesteht dir seine Gefühle und du telefonierst erst mit deiner Mutter? Yūri! Rede mit ihm! Du sagst, du bist auch in ihn verliebt, das ist doch wunderbar! Warum lässt du ihn warten?“ Moment... Was? Seine Mutter machte das Theater nicht, weil er einen Mann liebte, sondern weil er das Geständnis unbeantwortet ließ? „Du bist nicht böse?“, fragte Yūri überrascht. „Natürlich bin ich böse! Was denkst du denn? Es ist hart, jemandem seine Gefühle zu gestehen und dann gibst du keine Antwort?“
 

Yūri lachte. Dann musste er husten und lachte wieder. Dann kam wieder der Husten. Seine Mutter schaute ihn besorgt und vielleicht auch ein wenig fassungslos an. „Ach, ich liebe dich“, sagte Yūri, nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte. „Sag das nicht mir! Sag das ihm!“, beharrte sie erneut. Yūri nickte. „Ja, ich werde es ihm sagen. Er kommt gleich wieder. Er ist übrigens auch derjenige, der sich gerade um mich kümmert. Ich hatte Fieber bei seiner Liebeserklärung und als er das gemerkt hatte... Nun ja, danach haben wir nicht mehr darüber geredet“, erklärte Yūri. „Dann muss er dich wirklich lieben“, seufzte Hiroko verzückt. „Du musst mir unbedingt Fotos von euch beiden schicken. Ich freu mich ja so für dich!“, ihr fröhliches Grinsen wärmte Yūri das Herz. Er hatte plötzlich das Verlangen, seine Mutter in die Arme schließen und ihr Victor vorstellen zu können. Aber das kam zu früh. Irgendwann... Falls Victor ihn noch wollte.
 

„Und was wird Papa dazu sagen?“, fragte Yūri vorsichtig. „Als hätte dein Papa etwas gegen dein Glück einzuwenden! Ich kann es gar nicht abwarten, es ihm zu sagen!“ Sie schien wirklich aufgeregt zu sein, was Yūri kichern ließ. „Danke Mama. Du bist die Beste!“, sagte er erleichtert. „Ich bin immer für dich da, mein Junge. Das weißt du. Aber nun geh und sag ihm, was du für ihn fühlst. Und vergiss nicht, mir Bilder von ihm und euch beiden zu schicken!“, lachte sie und warf ihm einen Kuss zu. Entschlossen beendete er das Telefonat. Seine Mutter hatte völlig recht. Er hatte ihn lange genug warten lassen. Und selbst, wenn Victor wegen der Zeit, die sie nun miteinander verbracht haben, anders denken sollte... Er sollte einfach ehrlich zu Victor sein. Das hatte er sich verdient.

Ungeschickt und unschuldig

Yūri hatte sich gerade nach der Dusche angezogen und verließ das Badezimmer, als Victor in die Wohnung eintrat. Er hatte einen Karton unterm Arm und seine Arbeitstasche umgehangen. „Yūri! Du bist ja schon wach“, er strahlte ihn an, während er die Tür hinter sich schloss. „Ich hoffe, es war in Ordnung, dass ich mir einen Schlüssel geborgt habe. Ich wollte dich nicht wecken“, sagte er dann und legte Yūris Wohnungsschlüssel wieder auf den richtigen Platz. „Ich leihe dir mein Auto, aber du darfst dir nicht meinen Wohnungsschlüssel ausleihen? Macht keinen Sinn, oder?“, lachte Yūri. Victor stellte den Karton auf den Couchtisch ab und rieb sich den Nacken. Sah er vielleicht ein wenig verlegen aus? „Du hast recht!“, lachte er leise und stellte ebenfalls seine Tasche ab, um seinen Mantel auszuziehen. Yūri runzelte die Stirn. „So viel Arbeit?“, fragte er besorgt. Er hätte nicht zulassen sollen, dass Victor seine Arbeit für ihn vernachlässigte.
 

Victor sah ein wenig verwirrt aus. „Viel? Nein, tatsächlich relativ wenig. Meine Kollegen sind super, sie haben mir sogar noch etwas abgenommen“, lachte er freudig, doch Yūri konnte nur mit der Stirn runzeln. „Aber das...“, er deutete auf den Karton und man konnte richtig sehen, wie Victor ein Licht aufging. „Ach das! Nein, nein. Das ist keine Arbeit!“, lachte er und öffnete den Karton. „Also zum Einen ist hier Frühstück für uns drin. Ich hoffe du magst Croissants?“, er schaute kurz hoch, sodass Yūri nickte. „Gut, gut. Und das hier...“, er winkte Yūri zu sich rüber. „Ich dachte, du hättest Lust, ein wenig zu lesen? Wir könnten es uns gemeinsam auf der Couch gemütlich machen?“, er holte ein paar Bücher heraus und reichte sie Yūri. Er hielt den Atem an. „Das sind die restlichen Bücher der Loch-Leven-Reihe, Victor“, sagte er ohne sie entgegen zu nehmen. „Ja, genau“, Victor schaute ihn erwartungsvoll an. „Das kann ich nicht annehmen, Victor“, sagte er leise.
 

Er war mit ihm in die Buchhandlung gegangen, um ihm Bücher zu empfehlen, obwohl er auch ganz einfach ihm ein paar Titel hätte nennen können. Er war mit ihm Essen gewesen, hatte ihn eingeladen... Sie waren gemeinsam im Kino gewesen und es war im Prinzip Yūris Schuld gewesen, dass sie rausgeworfen worden waren. Danach hatte er sich liebevoll um ihn gekümmert und sogar seinen Hund für ihn vernachlässigt, ihn extra bei Katya untergebracht. Hatte vermutlich Unsummen für Lebensmittel und Medikamente ausgegeben. Hatte für ihn gekocht. Blieb von der Arbeit fern, um ihn zu pflegen. Kaufte Frühstück beim teuersten Bäcker des Viertels und hielt ihm nun die restlichen Bände der Reihe unter die Nase, die er ihm empfohlen hatte. Und all das, obwohl er ihm noch nicht einmal seine Liebeserklärung beantworten konnte. Yūri war fassungslos. Wie selbstlos war dieser Mensch? „Victor, du musst das nicht alles für mich tun“, sagte er mit belegter Stimme. Seine Brust schnürte sich ein bei dem Gedanken, dass er immer nur an seine eigene Angst gedacht hatte, statt an Victors Gefühle. Er hatte das Gefühl, als würde er ihn ausnutzen.
 

Er spürte Victors Hände auf seinen Schultern, konnte sich aber nicht dazu bringen, ihn anzuschauen. Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln und er blinzelte mehrfach heftig, um zu vermeiden, dass er nun auch noch losheulte. „Ich habe das alles nicht verdient. Du kümmerst dich so selbstlos tagelang um mich und ich kann dir noch nicht einmal eine Antwort geben?“, brachte er heiser hervor und schüttelte frustriert den Kopf. Immer noch kämpfte er gegen die Tränen an, während er spürte, wie Victors Hände leicht seine Schultern massierten. Es beruhigte ein wenig und gleichzeitig machte diese zärtliche Geste seine Schuldgefühle nur noch schlimmer.
 


 

Victor war mit der Situation vollkommen überfordert. Eben noch kam ihm Yūri fröhlich entgegen, die Haare noch leicht feucht von der Dusche und nun bebten seine Schultern unter der Anstrengung, nicht loszuweinen. War etwas während seiner Abwesenheit passiert? Er schlang die Arme um Yūri, drückte ihn an sich und küsste seinen Scheitel. „Es ist alles in Ordnung, Любимый. Worauf solltest du mir denn eine Antwort geben? Und nenn mich nicht selbstlos, wenn alles was ich tue purer Egoismus ist", murmelte er in seine Haare. Natürlich war ihm ein Stück weit klar, worauf Yūri anspielte, aber im Prinzip war es ein verzweifelter Versuch ihm klar zu machen, dass alles in Ordnung ist, ohne das Thema anzusprechen und Yūri noch unkomfortabler zu machen, als er es ohnehin schon war. Immerhin war er krank und brauchte seine Energie, um wieder gesund zu werden.
 

Langsam strich er über Yūris Rücken und war überrascht, dass er nicht versuchte, sich von ihm zu lösen. „Wie kann all das egoistisch sein?“, fragte Yūri leise gegen seine Brust und Victor musste lächeln. „Ganz einfach, so kann ich bei dir sein. Dafür würde ich auch noch einiges mehr machen. Dafür würde ich mein letztes Hemd geben“, sagte er und küsste wieder Yūris Scheitel und vergrub dann die Nase in seinen Haaren. Sie rochen nach grünem Apfel. „Du bist unmöglich“, lachte Yūri leise und Victor war erleichtert, endlich eine andere Reaktion von ihm bekommen zu haben. Doch dann drückte Yūri seine Hände gegen seine Brust und schob sich so von ihm weg. „Ich bin dir noch von Freitag eine Antwort schuldig. Ich...“, Yūri wurde wieder leise und Victor musste schlucken. Er sah, wie Yūri seine zitternden Hände zu Fäusten ballte. War sich Yūri nur einfach unsicher oder wusste er nicht, wie er ihm eine schlechte Nachricht mitteilen könnte?
 

Der Augenblick zog sich, während Yūri sichtlich mit den Worten kämpfte. Die Gedanken von Victor spielten vollkommen verrückt. Um sich zu beruhigen atmete er tief durch und trat dann die Flucht nach vorne an. „Yūri, ich habe dich nichts gefragt, ich habe dir etwas gesagt. Du musst dich zu nichts zwingen, das möchte ich nicht. Aber vielleicht gibst du mir eine Chance, mich in einem richtigen Date zu beweisen?“, Victor lächelte schief, doch es überraschte ihn selbst, wie fest seine Stimme klang. Er hat sich noch nie in seinem Leben so unsicher gefühlt. Doch Yūri schüttelte den Kopf und Victor hatte das Gefühl, sein Herz zersprang in tausend Teile. Doch gleichzeitig nahm Yūri behutsam seine Hand mit einer Hand auf und verschränkte ihre Finger miteinander. Scheu schaute er auf, mit einem kleinen, unsicheren Lächeln auf den Lippen und funkelnden, braunen Augen. „Du brauchst dich schon lange nicht mehr beweisen, Victor. Es ist mir etwas peinlich... aber ich habe mich schon in deine Stimme verliebt“, gab er nun zu und senkte wieder den Blick.
 

Doch Victor wollte das nicht zulassen, er wollte in diese braunen Augen schauen und sich darin verlieren. Er beugte sich ein wenig hinunter. „Yūri? Darf ich dich küssen?“, fragte er etwas unsicher, doch schaute dabei geradewegs in seine Augen. Sein Herz hämmerte in seiner Brust, drohte zu explodieren und seine Aufregung hatte einen neuen Höhepunkt gefunden. Er hatte schon geküsst. Mehrfach. Frauen und Männer, doch niemals, noch nie zuvor war es ihm so wichtig gewesen, wie jetzt. Noch nie zuvor hatte er solche Angst, zu versagen oder zurückgewiesen zu werden, gehabt. Wieder spürte er Yūris Hände an seiner Brust. „Nein! Du steckst dich nur an!“, Yūris Augen waren groß. Hatte er Angst? Er lehnte seine Stirn gegen die von Yūri, fuhr mit seinem Daumen über seine Unterlippe. „Yūri, wir leben praktisch seit 3 Tagen gemeinsam in dieser Wohnung. Wenn ich mich anstecke, dann hat das nichts mit einem Kuss zu tun“, sagte er, doch Yūri schüttelte trotzdem den Kopf. So schwer es ihm fiel, er musste es akzeptieren. Langsam zog er sich zurück und sah Yūri an. Er versuchte zu grinsen, doch wusste, dass er kläglich gescheitert war und seine Augen Enttäuschung widerspiegelten. Er freute sich wahnsinnig darüber, dass Yūri seine Gefühlte entgegnete und wusste auch, dass er vielleicht gerade missverständliche Signale aussendete, wenn er so enttäuscht wirkte... Aber er brauchte das Gefühl von Yūris Lippen auf seinen. Nur um zu wissen, dass das alles echt war und kein seltsamer Traum.
 


 

Victor hatte es ihm von Anfang an so einfach wie möglich gemacht. Das wusste Yūri und er konnte seine Dankbarkeit dafür nicht in Worte fassen. Er wusste auch, dass Victor recht hatte, was das Ansteckungsrisiko anging. Doch Yūri hatte Angst, dass er es wieder vergeigte. Doch wenn er nun so in Victors Gesicht blickte, das angestrengte Lächeln sah, dass er nur aufsetzte, damit sich Yūri nicht schlecht fühlte, konnte er sich selbst nicht mehr leiden. Er schloss kurz die Augen, atmete tief durch und war dankbar, dass er sich gerade eben erst die Zähne geputzt hatte. Dann überbrückte er mit einem Schritt die entstandene Distanz zwischen ihnen, schlang die Arme um Victors Nacken, zog ihn ein wenig zu sich hinunter, während er sich selbst leicht auf die Zehenspitzen stellte. Yūri merkte, dass er Victor völlig überrumpelt hatte. Der Kuss war erst fest und ungeschickt, doch als sich Victor kurz darauf von seinem Schock erholt hatte, Yūri an sich zog und sich weiter zu ihm hinunterbeugte, wurde er sanfter und verspielter.
 

Erst als sich Victor widerwillig von ihm löste, merkte er, dass er den Atem angehalten hatte. Doch nun war das Lächeln auf Victors Lippen ehrlich. Yūri hingegen war wieder schwindelig und heiß, doch er wusste, dass das diesmal nicht an seiner Erkältung lag. „Setz dich, setz dich“, sagte Victor hastig und drückte ihn aufs Sofa. Mit einigen wenigen Handgriffen hatte er den Wohnzimmertisch wieder freigeräumt und lief nun in die Küche. „Möchtest du einen Kaffee oder Tee?“, rief er Yūri zu, Yūri musste lachen. „Du fühlst dich überraschend heimisch in meiner Küche“, neckte er ihn. Victor kam mit Geschirr und Besteck in der Hand wieder und schaute Yūri verdutzt an. „Oh... Ich habe gar nicht daran gedacht, dass es dir nicht recht sein könnte...“, es schien wirklich, als hätte er niemals drüber nachgedacht.
 

Irgendwie hatte ein verlegener Victor etwas an sich. Auch wenn Yūri wusste, dass das schwierig werden würde, nahm er sich vor, Victor viel öfters aufzuziehen in der Hoffnung, solche Gesichtsausdrücke von ihm zu sehen. „Nein, ich will dich nur aufziehen und Wasser reicht erst einmal für mich“, gestand Yūri mit einem schelmischen Grinsen. „Yuuuuri!“, empörte sich Victor. „Du bist manchmal echt fies“, seufzte er und schüttelte den Kopf, bevor er wieder in der Küche verschwand. Er fühlte sich unheimlich gut, seit er sein Ballast abwerfen und mit Victor reden konnte. Sein Gespräch mit seiner Mutter hatte ihm auch gut getan. Zwar konnte er es immer noch nicht fassen, dass Victor sich tatsächlich in ihn verliebt haben sollte, doch er wollte die Momente unbedingt auskosten.
 


 

Während er die Kaffeemaschine bediente, konnte Victor sein Glück kaum fassen. Seine Lippen kribbelten immer noch von ihrem Kuss. Verstohlen fuhr er mit seinem Zeigefinger über seine Unterlippe und ließ den Moment noch einmal Revue passieren. Der Moment war weit davon entfernt, perfekt gewesen zu sein und doch war er es irgendwie. Sie hatten sich beide ungeschickt angestellt, aber zumindest bei Yūri fand er uns unwiderstehlich. Und nun neckte er ihn auch noch hemmungslos. Er musste Grinsen, während er zusah, wie die dunkle Flüssigkeit in seine Tasse lief und die Maschine brummte. So könnte ein Arbeitstag für Victor öfters aussehen, entschied er sich. Er freute sich auch schon auf ihren Spaziergang mit Makkachin und hoffte inständig, dass das Wetter nicht noch umschlug.
 

Als er mit der Tasse Kaffee ins Wohnzimmer kam, hatte Yūri schon die Teller ausgeteilt und hatte die verschiedenen Varianten an Croissants in die Schüssel getan, die Victor aus der Küche geholt hatte. „Victor, das ist viel zu viel. Wer soll das alles essen?“, fragte er. „Im Zweifel: Du. Immerhin musst du wieder zu Kräften kommen“, grinste er. „Wenn du so weitermachst brauche ich mehr als nur einen Spaziergang, um die Pfunde loszuwerden, die ich durch dich anfuttere. Immerhin wolltest du heute auch noch Piroschki machen“, gab er mit einem Grinsen zurück. „Erinnerst du dich? Sonntagsbraten!“, lachte er und setzte sich neben Yūri auf das Sofa. Auch wenn er diese Wohnung erst seit Freitag kannte, fühlte sie sich schon heimisch an. Zuhause ist, wo das Herz ist, dachte Victor und blickte Yūri von der Seite an, der überlegend die Croissants anstarrte. Als es schien, dass sich Yūri nicht entscheiden konnte, half er ihm und deutete auf jedes Gebäck. „Natur, Lauge, Schinken-Käse, Schokolade, Vanille, Fruchtgelee und... irgendetwas mit Tomate“, lachte er dann, da er sich doch nicht alles hatte merken können.
 

Yūri lachte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Und du hast von jeder Sorte zwei gekauft“, sagte er fassungslos. „Natürlich! Wir sind ja auch zu Zweit“, zwinkerte er ihm unschuldig zu. „Aber es ist schade, wenn das verdirbt!“, Yūri runzelte die Stirn. Victor konnte nicht anders, als ihm über die Stirn streichen, um die Falten sanft glattzustreichen. „Mach dir keine Gedanken, Любимый. Was übrig ist, geben wir Katya und ihrer Familie, wenn wir Makkachin abholen. Die freuen sich darüber“, sagte er beschwichtigend. „Einfach die Reste geben? Klingt irgendwie nicht sehr wertschätzend“, gestand Yūri, genoss aber sichtlich die Berührungen von Victor. „Ach, Quatsch. Das machen wir öfters“, lachte Victor. Yūri wandte sich zu ihm um. „Darf ich dich was fragen?“, er schaute ihn dabei in die Augen. Jetzt zog Victor die Augenbrauen zusammen. „Natürlich. Du kannst mich jederzeit alles fragen. Was ist los?“ „Du hast heute zum zweiten Mal etwas gesagt, was ich nicht verstanden habe? Eben auch wieder. Was bedeutet das?“, Yūri sah ihm neugierig in die Augen und Victor musste kurz überlegen, was er meinte. Was hatte er nicht verstanden?
 

„Du meinst 'Любимый'?“, fragte er dann, als es ihm einfiel. Yūri nickte einfach. „Nun...“, Victor beugte sich zu Yūri vor und flüsterte in sein Ohr: „Es heißt 'Liebling'.“ Yūri wurde wieder rot und Victor konnte nicht anders, als einen kurzen Kuss auf seine Lippen zu drücken. Er holte sich eines der Croissants, ohne zu beachten, welche Sorte es war und biss ein Stück ab. Er bemerkte, dass Yūris Bewegungen wieder eingefroren waren und er ihn einfach nur mit großen Augen anstarrte. Er kämpfte mit sich, Yūri noch mehr zu ärgern. Und da er manchmal ein bisschen gemein, aber vor allem neugierig war, wandte er sich zu Yūri, wischte sich seinen Krümel Blätterteig von der Lippe und lächelte unschuldig. „Yūri, du sagtest am Freitag, du wolltest dein 'Alles' für den Karamell Macchiato haben. Was hattest du dir da eigentlich vorgestellt?“

Alles

Als er in Yūris, vor Überraschung geweiteten, Augen sah, bereute Victor es schon fast. Natürlich war ihm bewusst gewesen, dass an diesem Abend der Alkohol und vermutlich auch seine Erkältung aus ihm gesprochen haben. Aber man kam doch nicht plötzlich auf eine solche eigenartige Formulierung, oder? Vielleicht hatte er sich schon einmal vorgestellt, was dieses 'Alles' sein könnte? Bei diesem Gedanken kribbelte Victors Körper. Zu gerne wollte er wissen, was sich Yūri vorgestellt hatte. Hatte er ihn verführt? Vielleicht ans Bett gefesselt und so lange mit seinem Mund liebkost und verwöhnt, bis Yūri darum gebettelt hatte, dass er ihn nimmt? Oder war Yūri vielleicht in seiner Fantasie der aktive Part gewesen, der sich von ihm nahm, was er wollte?
 

Beide Szenarien hatten für Victor ihren Reiz, das konnte er nicht anders sagen. Doch im Moment schien es nicht so, als wäre Yūri bereit, darüber zu sprechen. Doch irgendetwas musste er sich vorgestellt haben, so rot, wie er nun im Gesicht war. „Nun ja“, begann er unsicher. „Also... ich...“, dann ließ er den Blick zu Boden gleiten und es herrschte wieder Stille zwischen ihnen. Victor war unentschlossen. Sollte er ihn seine Gedanken sortieren und dann formulieren lassen oder sollte er ihn lieber von dieser Situation erlösen? Er haderte mit sich, konnte sich nicht entscheiden, was der bessere Weg für sie sein würde. Doch am Ende wollte er Yūri einfach nicht weiter quälen. Vorsichtig nahm er seine Hand und führte sie zu seinen Lippen. Yūri blickte überrascht auf. Er küsste jeden Fingerknöcheln einzeln, während er ihm tief in die Augen schaute.
 

„Wir müssen nicht jetzt darüber reden. Aber du solltest dir Gedanken machen. Ich habe nicht gerne Schulden bei jemandem“, zwinkerte er ihm zu, zog ihn dann an seiner Hand näher, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. Es war Yūri deutlich anzumerken, dass er sich noch nicht von dem Schock erholt hatte, daher ließ Victor ihn lächelnd los. Er wollte ihm nicht noch einen Herzinfarkt bescheren oder so etwas. Doch Yūri blickte ihn weiter an, rührte sich nicht. Dann kam die Zunge kurz zum Vorschein und befeuchtete seine Lippen. „Du hast keine Schulden bei mir, Victor. Immerhin sind wir doch jetzt ein Paar. Wie könnte ich von dir irgendetwas nehmen...?“, zum Ende war er immer leiserer geworden. Jetzt war es Victor, der ihn mit großen Augen anschaute. Sein Herz hatte bei den Worten mindestens einen Schlag ausgesetzt und hämmerte nun wie wild. Er hatte das Gefühl, dass ihm die Ohren brannten, so heiß waren sie von dem plötzlichen Bekenntnis und er hatte das unbändige Verlangen, Yūri zu umarmen und nie wieder loszulassen.
 

Die Antwort war zwar so überhaupt nicht das gewesen, was er hatte hören wollen und doch gleichzeitig um so vieles besser... Kurz drückte er noch einmal Yūris Hand, die neben seiner auf der Couch ruhte. „Du bist wirklich unglaublich, Yūri“, flüsterte er ihm ins Ohr, nachdem er sich nach vorne gebeugt hatte. „Da will ich dich ein wenig in Verlegenheit bringen und bin dann am Ende derjenige, der verlegen wird. Du überraschst mich einfach immer wieder.“ Kurz spielte er noch mit dem Gedanken, an seinem Ohrläppchen zu knabbern, doch verwarf die Idee direkt. Immerhin wollte er nichts überstürzen, es warteten leckere Croissants auf sie und Yūri hatte noch nicht gefrühstückt. Yūri musste ja zu Kräften kommen. Alles weitere würde ja nicht weglaufen.
 


 

Die Croissants waren wirklich lecker gewesen. Yūri war zwar nicht sicher, ob sie wirklich das Geld wert waren, das diese Bäckerei dafür verlangte, aber er hatte die vage Vermutung, dass Victor momentan nach dem Prinzip 'Das Beste ist gerade gut genug' handelte. Er wusste wirklich zu schätzen, dass sich Victor so aufopferungsvoll um ihn kümmerte, doch es war ihm immer noch ein wenig unangenehm. Auch wenn sie nun ein Paar waren. Ein Paar... Es hatte sich eben so unwirklich angefühlt, dieses Wort auszusprechen. Aber das waren sie ja immer hin. Victor war sein Freund. Wobei ihm der Begriff 'Freund' eigentlich überhaupt nicht passte. Freund.... Auch Phichit war sein Freund, aber in einer ganz anderen Hinsicht. Da gab es sicher noch bessere Begriffe. Partner oder Lebensgefährte zum Beispiel. Das hörte sich zwar schon besser an, aber irgendwie war ihm das auch immer noch zu schwammig. Plötzlich fiel ihm ein, wie Victor ihn genannt hatte. Mein Geliebter. War das nicht ein wenig kitschig? Und doch aus Victors Mund hatte es etwas... Romantisches? Verführerisches? Yūri konnte es nicht genau sagen, doch er mochte es.
 

„Wie sieht deine weitere Planung für heute aus, Victor?“, wollte er wissen. Victor schaute vom Spülbecken auf, in dem er gerade das Geschirr wusch. „Wusstest du, dass hier auch eine Spülmaschine steht?“, fragte Yūri dann und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Küchenzeile. „Die 5 Teile kann ich auch gerade mit der Hand spülen“, sagte Victor und legte einen Teller auf das Abtropfgitter. Yūri schüttelte nur den Kopf. „Vielleicht will ich ja auch nur beweisen, dass ich eine gute Partie bin. Attraktiv, erfolgreich und ich bin gut im Haushalt“, Victor zwinkerte ihm zu. Yūri spürte sofort wieder die Hitze in seinem Gesicht. Würde er sich jemals daran gewöhnen können? „Warst du es nicht, der mich ohne jegliches Medikamente gesund gepflegt hat? Ich glaube, du brauchst überhaupt nichts mehr zu beweisen.“, murmelte Yūri, doch von der Weise, wie Victor mit seiner Arbeit inne hielt und ihn mit schief gelegtem Kopf angrinste, konnte Yūri sagen, dass er es genau gehört hatte.
 

„Ich sollte mir vielleicht Gedanken über eine zweite Karriere als Krankenschwester machen, was?“, meinte Victor und sein Grinsen hatte etwas Schelmisches, Laszives. Er trocknete seine Hände mit dem Spültuch ab und zog Yūri dann an sich. Stocksteif vor Schreck lehnte er gegen Victor, sein Ohr gegen seine Brust. Schlug etwa auch sein Herz schneller? Er schielte hinauf zu Victor, der immer noch so aussah wie immer. Er lächelte liebevoll auf ihn herab und drückte einen Kuss auf seine Stirn. Sein Herz schlug tatsächlich schneller! Yūri war überrascht und gleichzeitig beruhigt. Er hätte nicht erwartet, dass es Victor in dieser Sache nur ansatzweise so ging wie ihm. Langsam entspannte er sich in den Armen des Anderen und schlang seine eigenen um dessen Taille. „Ich denke, du solltest dich noch einmal eine Weile ausruhen. Ich muss mir noch ein paar Manuskripte anschauen, wenn du möchtest, kannst du mir im Wohnzimmer Gesellschaft leisten. Und dann werde ich irgendwann anfangen, die Piroschki zu machen. Und nach dem Essen, wenn du dich noch einmal ein wenig ausgeruht hast, können wir Makkachin holen gehen“, Victors Stimme war ein tiefes Rumpeln in seiner Brust.
 

Ohne aufzublicken nickte Yūri. Falls Victor es nicht sehen konnte, konnte er es zumindest spüren. „Das klingt gut. Es tut mir leid, dass du wegen mir Makkachin so sehr vernachlässigst“, sagte Yūri. „Ach, mach dir da keine Gedanken. Ich glaube sogar, dass er sich freut, dich wiederzusehen“, lachte Victor und ließ ihn los, packte ihn jedoch direkt wieder an einer Hand und zog ihn mit ins Wohnzimmer. „Nun aber los, du musst dich ausruhen! Sonst muss Makkachin noch weiter auf dich warten!“, sagte er dann. Yūri überlegte kurz, ob er wieder in sein Schlafzimmer gehen sollte, aber Victor hatte ihm ja auch angeboten, dass er ihm Gesellschaft leisten konnte. Ihn interessierte tatsächlich, wie Victors Arbeit aussah. Etwas unschlüssig stand er ihm Wohnzimmer herum, während Victor aus seiner Arbeitstasche einige Utensilien herausholte. Vor allem bunte Post-It-Blöcke. „Komm schon!“, winkte ihn Victor rüber und klopfte auf den freien Teil des Sofas. Lächelnd nickte Yūri, holte sich im Vorbeigehen noch den zweiten Band der Loch-Leven-Saga vom Stapel, den Victor mitgebracht hatte und setzte sich neben Victor.
 


 

„Yuuuuuri“, seufzte Victor ein wenig grummelig. „Das ist doch kein Ausruhen.“ Er sah, wie Yūri etwas steif neben ihm auf der Couch saß. Er hatte sich noch nicht einmal hinten angelehnt. „Das passt schon, so lange ich dich nicht störe“, lächelte Yūri matt und Victor wusste schon vom Anblick, dass ihm mindestens die Schultern weh tun mussten. „Nein, nein. So geht das nicht. Du legst dich jetzt hier hin“, Victor deutete mit seinem Finger auf seinen Oberschenkel. „Was?“, Yūri schaute ihn ungläubig an. „Ich bin dein Kissen!“, verkündete Victor. „Also los. Mach, was dir die Krankenschwester sagt!“, Victor grinste breit und hatte Mühe, seine Aufregung vor dem möglichen Szenario zu verbergen. Er legte seine Beine auf dem Couchtisch ab und schaute Yūri erwartungsvoll an. „Aber so störe ich dich doch!“, wehrte sich Yūri noch einmal. „Nein, tust du nicht. Ich komme so klar. Also?“, er zog eine Augenbraue hoch und dann gehorchte Yūri endlich.
 

„Bequem für dich?“, fragte er, nachdem sich Yūri zurecht gerückt hatte. „Ja, sehr“, gestand er mit einem leichten Rotschimmer auf den Wangen. „Geht es denn für dich auch?“, seine braunen Augen blickten ihn fragend an. „Alles bestens, Yūri. Ich glaube, ich habe noch nie bequemer gearbeitet“, vielleicht war es ein wenig übertrieben, aber auch nicht unwahr. Er strich Yūri eine Strähne aus dem Gesicht und blickte dann auf das Buch. „Du bist ja schon fast durch!“, stellte er verwundert fest. „Dieses Buch ist ja auch recht dünn. Ich war überrascht“, sagte Yūri. „Ja, das ist auch mehr eine Verbindung zwischen Band 1 und 3, aber da die Geschehnisse in Band 3 nicht auseinander gerissen werden sollten, ist Band 2 eben etwas kleiner ausgefallen“, erklärte Victor. „Was du nicht alles weißt“, gab Yūri zurück und Victor hatte plötzlich das Gefühl, sich total verplappert zu haben. „Das kommt wahrscheinlich daher, dass du schon alles gelesen hast, was?“, kam die Rettung unerwarteter Weise direkt von Yūri.
 

„In der Danksagung steht, dass der Redakteur zu dieser Reihe gewechselt hat. Geht das denn so einfach oder ist das sogar normal?“, fragte Yūri interessiert. Victor lächelte. „Nein, normal ist das nicht. Aber der Redakteur hat vielleicht andere Aufgaben bekommen oder hat die Stelle gewechselt. Eventuell hat er gekündigt oder ist in den Ruhestand gegangen? Es gibt auch Wechsel, wenn vielleicht zwischenmenschlich die Verbindung nicht passt. Ich habe letztes Jahr mal das Gerücht gehört, dass ein Autor von einem anderen Verlag seinem Redakteur seine große Liebe ausgespannt haben soll. Ich glaube nicht, dass sie danach noch zusammen gearbeitet haben“, erklärte Victor und Yūri lachte. „Ich würde auch nicht mit jemandem arbeiten wollen, der mir dich ausspannt“, sagte er dann in einem solch ernsten Ton, dass Victor vor Rührung schlucken musste. Wenn er noch weiter daran denken würde, hätte er im Nu Tränen in den Augen. Stattdessen beugte er sich hinunter und küsste Yūri sanft. „Wie kommt es, dass du immer die süßesten Dinge zu mir sagst, Любимый? Aber darüber brauchst du dir wirklich keine Gedanken machen.“
 


 

Im Wechsel las Yūri sein Buch und beobachtete Victor, wie er gedankenverloren das Manuskript durchsah. Meistens saß er mit aufgestütztem Kopf, sein Ellbogen ruhte auf der Armlehne der Couch und seine Augen waren auf die Blätter fixiert. Er sah hoch konzentriert und vielleicht auch leicht grimmig aus, nicht zuletzt, da er seine Lippen aufeinander gepresst hatte. Lag das nur daran, dass er sich so auf seine Arbeit fokussierte oder war das Manuskript nicht das, was er sich erhofft hatte?, fragte sich Yūri. Plötzlich bewegten sich Victors blaue Augen und schauten ihn an. Sofort spürte Yūri die Hitze in seinen Wangen, da er beim Starren ertappt wurde. „Wird dir langweilig? Hast du Hunger?“, fragte Victor und klappte das Manuskript zu. „N-nein. Alles gut. Ich möchte dich nicht von der Arbeit abhalten“, sagte Yūri schnell. Er fühlte sich schon schlecht genug, dass Victor solche Unannehmlichkeiten auf sich nahm.
 

„Aber ich könnte mal eine Tasse Kaffee oder Tee brauchen“, gähnte Victor und streckte sich. „Gefällt dir das Buch?“, fragte er dann und deutete auf Band 3 der Loch-Leven-Reihe. Yūri musste kurz blinzeln, da er von dem natürlichen Victor einfach gefesselt war. Yūri hatte den gut gekleideten Victor mit einnehmendem Lächeln und Tendenz zum Flirten schon vor einer Weile kennengelernt. Doch nun diese Seite an Victor kennenzulernen... Er hatte den gutsitzenden Anzug gegen eine Sporthose und einfaches T-Shirt, beides saß nicht minder gut wie der Anzug, ausgetauscht und auch seine manchmal herausfordernde Art zu flirten, die Yūri immer einfach als einen seiner Charakterzüge abgetan hatte, hatte er abgelegt. Seine Berührungen waren nun liebevoller, zärtlicher. Als würde er versuchen, all seine Gefühle darin zu legen. Yūri wurde rot, als ihm klar wurde, was er da dachte und wie kitschig das alles klang. So war wohl die Liebe, was?, dachte er.
 

„Ähm...“, begann er, weil er Victor nicht weiter auf seine Antwort warten lassen wollte. Allerdings wusste er nicht ganz genau, wie er seine Gedanken in Worte fassen sollte, immerhin war er erst in der Hälfte und vor ihm, beziehungsweise mehr über ihm, saß ein Fachmann. „Ich weiß nicht recht. Es wirkt irgendwie ein wenig anders. Vielleicht mehr detailverliebt? Die beiden Bände vorher waren schon echt gut, aber hier habe ich das Gefühl, als geht der Autor mehr in die Tiefe. Oh Gott... Was rede ich da... Das ist doch totaler Mist“, Yūri schüttelte den Kopf und legte die Hände auf sein Gesicht. Doch Victor lachte nur, was ihm nicht wirklich half, über seine Worte hinwegzukommen. Versuchte er Victor hier etwas zu beweisen, indem er so ein pseudo-fachmännischen Kram nachplapperte? „Das sind deine Gedanken dazu?“, fragte Victor dann, hob eine Hand von Yūri hoch und legte den Kopf schief. „Tut mir leid, das war nur das Erstbeste, was mir in den Sinn gekommen ist. Gott, ist das peinlich!“
 

„Also ich finde das gar nicht so schlecht“, grinste Victor und deutete dann zu den anderen Ausgaben. „Und wenn du mal die anderen Bücher anschaust, sie werden immer dicker. Also ja, die Reihe entwickelt sich sozusagen auch weiter“, erklärte er. „Lässt du mich kurz aufstehen und in die Küche gehen?“, grinste Victor dann, da Yūri immer noch mit dem Kopf auf seinem Oberschenkel lag. „Oh, klar. Tut mir leid“, murmelte Yūri und setzte sich auf. Victor stand auf und streckte sich noch einmal. Hierbei rutschte sein T-Shirt ein wenig nach oben und gab den Blick auf seine Bauchmuskeln frei. „Wofür entschuldigst du dich?“, gähnte Victor und beugte sich hinunter, um Yūri kurz auf die Stirn zu küssen. Yūri schaute Victor hinterher und legte Abwesend eine Hand auf seine Stirn. Diese vielen, kleinen, liebevollen Gesten und Berührungen, die Victor ihm immer wieder wie beiläufig zuteil werden ließ, würden ihm noch einen Herzstillstand bescheren.

Badezimmer

Als Victor wieder ins Wohnzimmer kam und an seinem Kaffee nippte, verbrannte er sich prompt die Zunge. Die Abkühlung durch die kalte Milch war wohl einfach nicht genug gewesen. Aber es half ihm, die Gedanken auf etwas anderes zu lenken, denn Yūri saß auf dem Sofa, sein Kopf lag auf der Rückenlehne und die Augen waren geschlossen. Wie gerne hätte er die Situation ausgenutzt und ihn geküsst, aber er erlaubte sich in dieser Richtung bereits so viel, dass er sich immer unsicherer wurde, wann er eine Grenze überschritt. Er holte eine Dose von dieser Schorle, die Yūri gerne trank aus dem Kühlschrank, ging leise ins Wohnzimmer und hielt Yūri die kalte Dose an die Wange. Der riss die Augen auf und japste kurz nach Luft, während Victor nur einfach breit grinsen musste.
 

„Also, mein lieber Yūri, wir haben jetzt zwei Möglichkeiten“, begann er und hob dabei den Zeigefinger, nachdem Yūri ihm die Dose aus der Hand genommen hatte. „Erstens: Ich könnte mit Kochen anfangen oder zweitens: Wir gehen Makkachin abholen. Du hast die Wahl“, verkündete er dann, da ihm wirklich danach war, etwas anderes zu tun, als auf dem Sofa zu sitzen. Zwar mochte er die Nähe zu Yūri, aber er hatte nun gute 4 Stunden auf den Hintern gesessen und langsam wurde er ein wenig rastlos. Wobei er allerdings nicht ausschließen konnte, dass es auch etwas mit Yūris Nähe zu tun hatte. Außerdem konnte er es kaum erwarten, Makkachin für eine längere Zeit wiederzusehen. Und eventuell hatte er die Möglichkeit, Yūri seine Wohnung zu zeigen. Das alles führte dazu, dass Victor sich insgeheim wünschte, dass Yūri noch keinen Hunger hatte, auch wenn es bereits nach Mittag war.
 

Yūri sah die Dose in seinen Händen an und Victor musste sich zusammenreißen, nicht auf seinen Fußballen zu wippen. Als er dann wieder zu ihm aufschaute, leuchteten seine Augen. „Ja, ich würde mich sehr freuen, mit dir und Makkachin ein wenig spazieren gehen zu können“, sagte er und Victor wurde ganz warm ums Herz. Er konnte mit seinen 'beiden Jungs' spazieren gehen. Es war, als würde ein Traum in Erfüllung gehen, von dem er erst seit kurzem wusste, dass er überhaupt existierte. Könnte er vielleicht auch Yūris Hand nehmen oder würde ihm das zu unangenehm sein? Er musste es einfach ausprobieren, entschloss sich Victor. Und er konnte es kaum erwarten. Er streckte Yūri eine Hand hin und zog ihn vom Sofa hoch. Nun standen sie sich so nah gegenüber, dass sich ihre Körper beinahe berührten. Victor konnte nicht anders, als seine Arme um Yūris Taille zu schlingen und ihn an sich zu ziehen. Yūri schaute ihn mit diesen wundervollen Rehaugen an, sodass Victor nicht anders konnte, als sich langsam hinunterzubeugen, seine Augen zu schließen und ihn zu küssen.
 

Er war überrascht, als kurze Zeit später eine Regung durch Yūri ging. Dann spürte er, wie sich seine Arme um seinen Hals schlangen und er den Kuss langsam und scheu erwiderte. Victor konnte seinen eigenen Herzschlag hören, so heftig pochte es. Doch schnell reichte ihm der leichte Druck ihrer Lippen nicht aus. Langsam, um Yūri ja nicht zu erschrecken, fuhr er mit seiner Zunge über Yūris Unterlippe. Yūri versteifte sich ein klein wenig in seiner Umarmung und Victor sendete ein Stoßgebet in den Himmel, dass es jetzt noch nicht vorbei wahr. Doch so unerfahren, wie Yūri vielleicht wirkte, hatte er Victors Andeutung verstanden. Victors Herzschlag legte noch einmal an Tempo zu, als er behutsam mit seiner Zunge Yūris anstupste. Ihn ermutigte, mitzumachen. Er hätte sich ewig im sanften Tasten von Yūri verlieren können, das so unschuldig wirkte. Nur kurz kam ihm die Frage, wie jemand, der scheinbar relativ wenig 'echte' Erfahrungen hatte, solche detaillierten Fantasien haben konnte, dass er dazu in der Lage war, bei einer Telefonsex-Hotline zu arbeiten?
 

Doch ihr Kuss wurde langsam verlangender. Victor spürte, wie eine von Yūris Händen seinen Nacken verließ und langsam, erkundend, seine Brust hinunterfuhr. Die Hand hinterließ ein Kribbeln auf Victors Haut und sendete ein Schaudern seinen Rücken hinunter. Sollte er ihn langsam in sein Schlafzimmer drängen? Sollte er schauen, wie weit er gehen konnte? Oder war es eher eine schlechte Idee und könnte Yūri verschrecken? Brauchte er noch Zeit? Aber warum wanderte seine Hand gerade, nicht mehr ganz so unschuldig, über seinen Bauch? Was war sein Ziel? Leicht bebend sog Victor über die Nase Luft ein. Fasziniert davon, wie ihn Yūris Berührungen aus der Fassung brachten, beschloss er, auch seine Hände über Yūris Körper zu bewegen.
 


 

Yūris Herz setzte kurz aus, als er spürte, wie sich Victors Hand plötzlich auf seinen Hintern legte. Es war ihm schon fast peinlich, wie erregt er durch den Kuss und seine Berührungen geworden war. Doch andererseits war er auch neugierig, wohin das noch führen würde, wenn er Victor einfach die Führung überließ. Natürlich hatte er auch ein wenig Angst, doch er konnte nicht anders, als Victor zu vertrauen. Immerhin hatte er bisher immer nur sein Bestes im Sinn gehabt. Und in der Theorie wusste er ja alles. Das hatte er seinen ausführlichen Recherchen zu verdanken, bevor er seinen Job in der Hotline angefangen hatte. Ein Hoch auf das Internet!
 

Er spielte gerade mit dem Gedanken, ob er seine Hand unter Victors Oberteil gleiten lassen sollte, aber etwas riss ihn aus dem Moment. Vibrieren. Gefolgt von einer Melodie. Er löste sich widerwillig von dem Kuss, „Victor... Ich glaube, dein Handy klingelt“, sagte er etwas atemlos. „Egal“, murmelte Victor, zog ihn wieder an sich und legte die Lippen auf seine. Doch was, wenn das etwas wegen der Arbeit war? Immerhin sollte Victor heute eigentlich arbeiten und war nur wegen ihm hier. „Victor... Was, wenn es wichtig ist?“, fragte er noch einmal. „Nichts kann gerade wichtiger sein, als dich zu küssen“, murmelte er und hielt ihn noch ein wenig fester. So sehr sein Herz einen Satz vor Freude machte, bei dieser Liebeserklärung. So sehr er sich weiter an Victor schmiegen und seine Lippen spüren wollte. Genauso so sehr wusste er aber auch, dass das gerade auch ein gefährliches Spiel mit Victors Job sein könnte. „Bitte, Victor. Ich laufe dir nicht weg“, sagte Yūri noch einmal. Victor seufzte, legte kurz den Kopf auf seiner Schulter ab und holte sein Telefon aus der Tasche. In dieser Position nahm er den Anruf entgegen.
 

Yūri war ziemlich perplex. Er stand einfach da, mit Victor in seinem Arm und dessen Kopf auf seiner Schulter. „Ja?“, maulte Victor schon fast ins Handy und Yūri konnte nicht anders, als es süß zu finden. Lächelnd hob Yūri die Hand und kraulte Victors Haaransatz im Nacken. Er meinte, Victor genießend brummen zu hören, bevor er wieder sprach. „Ja, alles klar. Vermutlich komme ich dann morgen Abend rein“, sprach er wieder. Kurz danach verabschiedete er sich und drehte dann den Kopf auf Yūris Schulter und schaute ihn von unten an. Es war anstrengend, den Blick aus diesem Winkel zu erwidern, trotzdem wollte Yūri unbedingt in die blauen Augen von Victor schauen, in denen er sich so schnell verlieren konnte. „War nicht wichtig“, grummelte Victor ein wenig missmutig. „Es war wichtig genug, dass du morgen etwas machen musst“, konterte Yūri mit erhobenen Augenbrauen. „Mein Auto wird morgen fertig. Das wäre mir also nicht weggelaufen“, schmollte Victor wieder. „Ich bin dir auch nicht weggelaufen“, lachte Yūri leise. „Das lasse ich auch nicht zu“, grinste Victor, richtete sich auf, um Yūri wieder an sich zu ziehen.
 

Sie blieben noch einen Moment in der Umarmung stehen, doch dann spürte Yūri, wie sich Victor von ihm löste. „Wir sollten Makkachin nicht länger warten lassen, oder?“, zwinkerte er ihm zu. Yūri nickte. „Ich gehe mich nur kurz noch warm anziehen“, verkündete er. Victor nickte nur und räumte seine Utensilien ordentlich zusammen. Als Yūri in sein Zimmer ging, konnte er nicht anders, als ein wenig enttäuscht zu sein. Sie wurden durch den Anruf gestört und danach war irgendwie der Moment zerstört gewesen. Dennoch war es vielleicht gut, dass es so gekommen war, denn Yūri fühlte sich auch immer noch unsicher. Er war irgendwie hin und her gerissen. Seufzend zog er sich um und betrat wieder das Wohnzimmer. Auch Victor hatte sich umgezogen und eine Tasche in der Hand. Mit zusammengezogenen Augenbrauen beäugte er diese. Victor schien die Frage in seinen Augen erkannt zu haben. „Dreckige Wäsche“, lachte er. „Wenn wir schon bei mir in der Nähe sind, können wir auch kurz dort halt machen.“
 


 

Victor musste sich eingestehen, dass der Anruf ein ziemlicher Dämpfer gewesen war. Natürlich nicht wegen dem Grund, er freute sich tierisch, endlich wieder ein Auto zu haben. Aber gerade in diesem Moment. Verdammt! Doch er war erfinderisch und echt stolz auf seinen Einfall. Sie würden Makkachin bei Tursunbajs abholen und Victor würde dann seine Sachen in seine Wohnung bringen wollen. So konnte er Yūri auch einmal in seine Wohnung führen. Zufrieden mit seinem Plan schlenderte er neben Yūri her und fragte sich dabei aber, ob er Yūris Hand greifen sollte. Aber war es ihm vielleicht unangenehm? Victor war sich nicht sicher, ob er ihn damit nicht überforderte.
 

Als sie am Gebäude angekommen waren, merkte Victor, dass Yūri stehen geblieben war. „Alles in Ordnung, Yūri?“, fragte Victor besorgt. „Ja“, murmelte er. „Ja. Alles in Ordnung“, sagte er diesmal fester. „Ich bin einfach nur immer noch überrascht, wie nah wir beieinander wohnen“, lachte er dann ein wenig. Victor nickte. Das war tatsächlich auch eine Sache, die er immer noch unglaublich fand. Es war eine so große Stadt und doch hatten sie zueinander gefunden. Über Umwege, aber im Nachhinein doch recht amüsante Umwege. Und Victor hatte es schlussendlich nur ein paar Hotlinegebühren und ein neues Auto gekostet. Einen Preis, den er liebend gerne für Yūri bezahlte. „Ich habe, nachdem ich Makkachin und Katya kennengelernt habe, schon einmal deinen Namen auf der Klingel gesehen und gefragt, warum du neben deinem Namen noch kyrillische Schriftzeichen stehen hast“, Yūri deutete auf die Klingel.
 

„Achso... Ja, das. Weißt du, meine Tante ist sehr eigen und obwohl sie schon sehr lange hier lebt, spricht sie fast nur russisch. Ich hatte das damals nur im Pflichtbewusstsein ihr gegenüber gemacht, wenn sie mich mal wieder besuchen kommt“, erklärte er. „Ich könnte es eigentlich mal neu beschriften“, er legte den Kopf schief und blickte das Schild an. Am liebsten mit Victor Nikiforov/Yūri Katsuki, ging es ihm durch den Kopf. „Warum? Kommt sie denn nicht mehr?“, fragte Yūri. „Das würde mich schwer wundern und ich danke allen verfügbaren Göttern dafür“, schnaubte Victor. „Darf ich fragen, was passiert ist?“, Yūris Stimme war vorsichtig. „Klar darfst du fragen, aber wenn ich ehrlich bin, möchte ich mir davon heute nicht die Stimmung vermiesen lassen. Ich erzähle es dir ein anderes Mal, in Ordnung?“, Victor wusste, dass sein Lachen etwas übertrieben klang, aber er bekam es nicht anders hin. Yūri nickte. „Tut mir leid, ich hätte wohl nicht fragen sollen.“ Victor rollte die Augen, trat vor Yūri und legte ihm lächelnd die Hände auf die Schultern. „Du sollst dich nicht immer entschuldigen, Yūri. Ich habe ja selbst damit angefangen, also alles in Ordnung. Lass uns Makkachin holen und die Tasche loswerden, ja? Ich kann dir meine Wohnung zeigen!“, dann zog er Yūri mit sich ins Gebäude.
 


 

Schon als Makkachin von der anderen Seite der Wohnungstür Victors Stimme hörte, bellte er freudig. Als Katya die Tür öffnete, stürmte er auf Victor zu, der schon in die Hocke gegangen war, um ihn angemessen zu begrüßen. Begeistert leckte er einmal quer durch Victors Gesicht, was ihn nur auflachen ließ. Makkachin machte dann jedoch kehrt und überrumpelte Yūri völlig. Ein zweites Mal lag er auf den Boden mit Makkachin auf ihm, der seine nasse Zunge durch sein Gesicht zog. Doch schnell ließ er wieder von ihm ab und bestürmte Victor wieder, offenbar nicht in der Lage, seine Freude über die Wiederkehr seines Herrchens lange zu verbergen. Yūri wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und blickte dann blinzelnd auf die Hand, die Katya ihm reichte, um ihm hochzuhelfen.
 

„Hallo Yūri“, grüßte sie freundlich. „Geht es dir wieder besser?“ Yūri konnte nicht anders, als wieder ein wenig rot zu werden und nickte einfach nur, da er seiner Stimme für einen Moment nicht vertraute. Wie viel wusste sie? Hatte Victor ihr gesagt, dass sie zusammen waren? Als Yūri wieder auf den Beinen war, hatte sich auch Makkachin halbwegs beruhigt. „Danke, dass du auf ihn aufpasst. Ich hoffe, er macht keine Probleme“, sagte Victor fröhlich und reichte ihr die Tüte mit den übrig gebliebenen Croissants. Sie nahm sie mit leuchtenden Augen an. „Besorg dir das nächste Mal eine Katze! Auf die passe ich gerne auf!“, kam eine männliche Stimme aus der Wohnung. „Danke für den Rat, Otabek. Aber das kannst du vergessen“, rief Victor fröhlich zurück.
 

„Wir gehen gleich eine Runde spazieren, danach bringen wir ihn dir wieder“, sagte Victor, doch der Widerwillen in seiner Stimme war auch für Yūri deutlich zu hören. Doch Katya nickte. „Wie lange soll er noch bleiben“, fragte sie. Yūri bemerkte, wie Victor zu ihm hinüber schielte. „So lange, bis ich sicher gehen kann, dass mein Patient hier keine Dummheiten macht“, lachte Victor und sofort schoss Yūri wieder die Hitze ins Gesicht. Katya hingegen lachte glockenhell. „Alles klar. Du müsstest dann nur die Tage mal neues Futter besorgen, Vitya“, sagte sie dann. Vitya? War das ein Spitzname? Yūri war verwundert. Er hätte den Namen höchstens mit Vic abgekürzt, also fragte er sich unwillkürlich, wie dieser Spitzname entstanden war.
 

„Ja, klar. Das können wir gut auf dem Rückweg machen. Makkachin geht gerne in den Laden. Er kriegt immer was geschenkt, weil er ja der beste Hund der Welt ist“, strahlte Victor und Yūri musste einfach kichern. Katya rollte nur mit den Augen. „Das mag sein, aber das ist ihm selbst zu verdanken, von seinem Herrchen hat er das nämlich nicht!“, lachte Katya. Victor legte seine Hände auf die Brust. „Katya! Ich bin verletzt! Dabei habe ich dir doch noch ein Geschenk mitgebracht. Und du rammst mir eine Klinge mitten ins Herz?“, während er sprach, hatte er sich hinunter zu seiner Tasche gebeugt und eine kleine Papiertasche herausgezogen. Katya schaute kurz hinein und viel Victor jubelt um den Hals. „Ich meine natürlich, weil du noch viel, viel besserer bist!“, lachte sie dann. „Besserer? Echt jetzt?“, Victor schüttelte lachend den Kopf. „Ich glaube wir gehen jetzt, bevor du dich noch um Kopf und Kragen redest!“
 

Sie verabschiedeten sich von Katya und Victor führte ihn in seine Wohnung. Yūri war überrascht, wie hell und großzügig sie war. „Ich bin mal kurz im Bad und bringe meine Wäsche weg“, sagte Victor und verschwand in einen kleinen Flur, der von dem großen Wohnessbereich wegführte. Bad. Ungebeten erinnerte sich Yūri daran, als Victor einmal während ihres Telefonats ins Bad ausgewichen war, weil sein Hund sein Bett in Beschlag genommen hatte. Das ganze war nur passiert, weil er Victor seine Durchwahl geben wollte und er so die Tür noch einmal geöffnet hatte. Makkachin hatte ihn überrumpelt. Er lächelte bei der Erinnerung, doch kurze Zeit später wurde ihm warm. Sein Spiegelbild im großen Fernseher verriet ihm, dass er wieder knallrot war. Hmm, Badezimmersex. Gefällt mir, seine eigene Stimme hallte in seinem Kopf wieder. Dass er jetzt in Victors Wohnung war, dort, wo er sich mithilfe seiner Stimme, seiner Worte befriedigt hatte... Yūri hatte das Gefühl, kurz davor zu sein, zu hyperventilieren.
 

Er versuchte seine Gedanken zu beruhigen. Doch vor seinem geistigen Auge kam ihm das Bild von dem Badezimmer seiner Nachbarn in den Sinn. Dort, wo er sich nach Makkachins 'Attacke' das Gesicht gewaschen hatte. Seine Fantasie projizierte einen nackten Victor hinein, wie er mit einer Hand das Telefon und mit der anderen Hand seinen Penis umfasst hatte, während Yūri ihm schmutzige Dinge ins Ohr flüsterte und stöhnte. Nur ein Bellen kündigte Makkachins erneutes Erscheinen an und Yūri war vermutlich noch nie so froh über diese stürmische Liebesbekundung gewesen, wie in diesem Moment. Als er auf den Rücken lag und Makkachin die Ohren kraulte, spürte er, wie sich der Druck von seiner Brust löste, auch wenn ein ausgewachsener Pudel darauf lag.

Einkaufstour

Hallo zusammen! *wink*
 

Heute ist es ein wenig später geworden, da mein Mann mich heute Morgen, nach einer ziemlich heftigen Woche, ins Auto geworfen und mit mir zum Entspannen in die Saune/zur Massage gefahren ist. Und während ich jetzt hektisch die Kapitel hochlade, schält er eine Etage tiefer Kartoffeln fürs Abendessen. Ist er nicht wunderbar? xD
 

Wo man schon bei wunderbaren Menschen ist, möchte ich mich bei Seredhiel bedanken! Sie hat mich nämlich darauf hingewiesen, dass man 'Любимый' mit Liebling/Darling übersetzt, als mein angeführtes 'mein Geliebter'. Es wird im Übrigen ungefähr so ausgesprochen: Lubimi. Also könnt ihr es ab sofort auch im Kopf mitlesen, wenn er es sagt *Konfetti werf*
 

Und nun zu wunderbaren Menschen Teil 2! Vielen Dank für die tollen Kommis! Das sind namentlich Serafina2104, Seredhiel (zum zweiten Mal für heute! xD) und BlueEyedRaven! *Matcha Apple und Kekse für alle hinstell*
 

So, genug geschwafelt, oder? Viel Spaß beim Lesen und allen frohe Ostern bzw. schöne Feiertage!
 

LG

yezz

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Bevor sie losgegangen waren, hatte Victor ihm noch stolz seine Wohnung gezeigt. Yūri war es nicht nur unangenehm, die Schauplätze ihres Intermezzos zu sehen, sondern war auch ein wenig überfordert mit der Größe der Wohnung. Victor hatte neben dem großen Wohn-Ess-Kochbereich noch ein verschwenderisch großes Badezimmer, ein großes Schlafzimmer, ein fast genauso großes Ankleidezimmer, ein Zimmer mit Trainingsgeräten und noch einen weiteren, kleineren Raum, den er zurzeit als Abstellkammer benutzte. Yūris eigenes Zimmer hatte maximal die Größe von Victors Ankleidezimmer. Das führte dazu, dass er sich zum ersten Mal die Frage stellte, wie viel so ein Redakteur eigentlich verdiente. Sicherlich waren Miete und Nebenkosten horrend.
 

„Die Sonne tut gut, was?“, seufzte Victor und schaute ihn lächelnd von der Seite an. Yūri blinzelte kurz, um mit seinen Gedanken zurück zur Gegenwart zu gelangen. Er sog die frische Luft ein. „Ja und die Luft noch mehr“, er wandte seinen Kopf ein wenig zu Victor und erwiderte das Lächeln. Sie gingen in den kleinen, am Park angrenzenden Wald. Er war nicht wirklich groß, sodass man innerhalb von 2 oder 3 Minuten durchgehen konnte. Die Bäume standen relativ dicht beieinander, doch verloren schon langsam ihre Blätter. Yūri hätte beinahe einen Satz gemacht, als er spürte, wie Victor seine Hand nahm. Knallrot fragte er sich, wie Victor ihn immer so mühelos und beiläufig berühren konnte. Aber hatte nicht vor ein paar Stunden in der Küche sein Herz auch schneller geschlagen? Oder hatte das mit etwas Anderem zu tun gehabt? Oder war es doch Einbildung gewesen? Oder war Victor einfach nur mutiger in dieser Hinsicht? Oder verursachte sogar etwas völlig anderes den erhöhten Herzschlag? Bei einem Infekt hatte man doch auch erhöhten Puls, richtig? Yūri wusste nicht mehr, was er glauben oder denken sollte. Er hatte das Gefühl, dass sein Hirn langsam überhitzte, vor lauter Fragen.
 

Gerade in dem Moment, als Yūri dachte, wahnsinnig zu werden, spürte er, wie Victor seine Hand kurz drückte. Verwundert blickte er zu ihm auf, Victor sah ihn mit einem aufmunternden Lächeln an. „Alles in Ordnung, Yūri? Du siehst bedrückt aus?“, fragte er. „Bedrückt? Nein, nein. Es ist nur...“ Wie sollte er das bloß sagen? In Ermangelung an Worten, schwieg er einfach und blickte wieder auf den Boden. Victor blieb stehen und da er Yūris Hand festhielt, war er gezwungen, es ihm gleich zu tun. „Ist es das?“, um seine Frage zu betonen, streichelte er mit seinem Daumen über seinen Handrücken. Die freie Hand legte er unter Yūris Kinn und zwang ihn so, ihm in die Augen zu gucken. Yūri schluckte, als er die Sorge in Victors Gesicht sah. „Nein. Das ist es nicht...“, wie sollte er Victor fragen, wie er es schaffte, ihn einfach so anzufassen? Das klang doch bescheuert!
 

„Yuuuuuuri, raus mit der Sprache“, maulte Victor und verengte seine Augen ein wenig. Es war irgendwie eher ein erheiternder Anblick, als furchteinflößend. „Wieschaffstduesmichimmeranzufassen?“, platzte es aus ihm heraus. Seine Augen weiteten sich und er schlug sich die Hand vor den Mund. Hatte er das jetzt wirklich gesagt? Er spürte die Hitze nun sogar bis in die Ohrenspitzen. Victor legte verwirrt den Kopf schief. „Was meinst du damit?“, fragte er. Jetzt war es raus. Was sollte er jetzt auch noch anderes sagen? Doch zum Glück zwang ihn Victor nicht mehr, ihm in die Augen zu gucken. Er ließ den Blick wieder zu Boden gleiten. „Na ja... Du berührst mich... Also ich meine... Ich...“, Yūri versuchte verzweifelt, die passenden Worte zu finden. Victor sollte es doch nicht falsch verstehen! „Ist es dir unangenehm, wenn ich dich berühre?“ Da war es! Er hatte es vermasselt! „Nein“, rief Yūri schon fast entsetzt. Er hob seinen Kopf mit einem Ruck und sah, dass Victor seine Augenbrauen zusammengezogen hatte.
 

Er atmete tief durch. „Du schaffst das aber. So beiläufig und locker. Und ich glaube immer, dass mein Herz explodiert“, murmelte er gerade so laut, dass Victor es verstehen konnte. Er blickte wieder weg, es war mehr ein Reflex, aber als Victor zu lachen anfing, flog sein Blick zurück. Doch das Lachen war liebevoll, vielleicht eine Spur erleichtert. „Yūri, Любимый, ich frage mich immer, ob du damit einverstanden bist oder sorge mich, dass ich dir zu sehr auf die Pelle rücke. Aber ich muss dich irgendwie berühren. Damit ich realisiere, dass es tatsächlich real ist", Victor lächelte schief. Yūri hatte das Gefühl, er würde jeden Moment platzen. Er überlegte, was er erwidern konnte. Er drückte Victors Hand und holte gerade Luft, um Victor zu sagen, was er ihm bedeutete, als Makkachin bellend an ihnen hochsprang.
 


 

Heute war wohl der Tag der versauten Momente, dachte Victor, als er sich zu Makkachin hinunterbeugte. Aber wirklich übel nehmen konnte er ihm das nicht. Er blickte zu Yūri auf, aber er sah nicht mehr so aus, als wollte er etwas sagen, also nahm er wieder seine Hand, als er sich aufrichtete und ging weiter. „Wir müssen noch Futter für Makkachin kaufen“, verkündete er, irgendwie auch froh, dass die leichte Anspannung zwischen ihnen zerstört war. Vielleicht fanden sie ja heute Abend noch ein wenig Zeit, miteinander zu reden. Vielleicht hatte Yūri dann auch ein wenig mehr Selbstbewusstsein, immerhin würde es ja dann in seinen eigenen vier Wänden passieren.
 

Es war nicht weit bis zur Tierfachhandlung. Als sie eintraten, wurden sie bereits von der Inhaberin begrüßt. „Makkachin! Wie geht es dir mein Junge?“, lief sie ihm aufgeregt entgegen und auch Makkachin kam fröhlich bellend näher. Nachdem sie ihm ausgiebig den Kopf getätschelt hatte richtete sie sich auf und schaute sich um. „Was machen wir, was machen wir, mein lieber Junge? Dorsch-Stücke? Ach, du magst ja Fisch nicht gerne! Hähnchenmagen? Hirschohren? Ich hab es! Büffelknochen!“, sie klatschte aufgeregt in die Hände und lief los. Erst hatte Victor geglaubt, sie spreche mit ihm, doch natürlich war sie wieder ihre Produkte durchgegangen, um Makkachin das Passende zustecken zu können. Yūri schaute ihn fragend an, er grinste nur und zuckte mit den Achseln. Sie kam mit einem Paket um die Ecke, stellte esauf den Verkaufstresen und öffnete ihn. „Habe ich gerade neu reinbekommen, mein kleiner Liebling! Das wirst du lieben!“ Sie hielt ihm einen Knochen hin und Makkachin ließ sich natürlich nicht zwei Mal bitten.
 

Zufrieden mit ihrer Arbeit blickte sie auf. „Hallo Victor! Lässt du den armen Makkachin schon wieder verhungern?“, sie schnalzte mit der Zunge und schüttelte gespielt tadelnd den Kopf. „Ja, wie immer“, lachte Victor. Er brauchte ihr ja nicht sagen, dass er sich die letzten Tage leider nicht um ihn hatte kümmern können. Ihre Augen blieben kurz an ihren verschränkten Händen hängen und sie strahlte. Sie streckte die Hand aus. „Lasst Makkachin ruhig hier und geht das Futter holen. Er ist ja beschäftigt“, lachte sie. Victor führte Yūri zum Regal, das zum Glück ein wenig entfernt von der Kasse war. „Ist sie immer so aufgedreht?“, fragte Yūri leise. Victor lachte. „Ja, aber nur, wenn Makkachin mit dabei ist. Sie hat einen Narren an ihm gefressen“, erklärte er, während er die Sorten heraussuchte, die er brauchte. „Aber sind Büffelknochen nicht ein wenig übertrieben?“, wollte Yūri wissen. „Nun ja, es ist gebackenes oder gepresstes Büffelfleisch, vermutlich noch ein wenig mit Hirse oder Reis versetzt. Allergen arm und gesund. Da kann ich mich ja schlecht beschweren, oder?“, lachte Victor. „Hat Makkachin den irgendwelche Allergien?“, fragte Yūri verblüfft. „Gott, nein! Aber das soll so bleiben!“
 

Auf dem Rückweg kamen sie noch an einem asiatischen Lebensmittelmarkt vorbei. Unbewusst blieb Victor stehen und schaute neugierig in den Laden hinein. „Denkst du an was Bestimmtes?“, fragte Yūri. „Nur, dass ich kaum eine Ahnung von der japanischen Kultur habe“, Victor zuckte ein wenig verlegen mit den Achseln. „Und dann möchtest du in einen asiatischen Lebensmittelmarkt mitten in Detroit gehen, der von einem Vietnamesen geleitet wird?“, lachte Yūri. „Hast wohl recht“, Victor lächelte schief. „Nein, nein. Lass uns ruhig reingehen. Die haben auf jeden Fall ein paar Wagashi“, nickte Yūri und da er Makkachins Leine in der Hand hatte, band er ihn fest, da Hunde in dem Laden nicht erlaubt waren. „Wagashi?“, wiederholte Victor. „Traditionelle Süßigkeiten“, klärte er ihn auf.
 


 

Als sie wieder in Victors Wohnung angelangt waren, fiel Yūri direkt etwas auf. „Von wo kommt die Musik her?“, fragte er und blickte sich um. Hörte jemand in der Wohnung darüber etwa so laut Musik? „Aus den Boxen“, erklärte Victor unnötigerweise. Gerade als Yūri nachhaken wollte, fuhr Victor fort: „Sobald mein Handy sich mit dem Multimediasystem in meiner Wohnung verbindet, geht die Musik an. Es sei denn, ich habe sie vorher schon ausgemacht. Wenn ich aber mit laufender Musik die Wohnung verlasse, wird sie an der Stelle weitergespielt, wo die Verbindung abgebrochen ist.“ Yūri war ein wenig beeindruckt. Aber eine Sache störte ihn. „Das heißt, dass du die ganze Zeit Bluetooth an hast?“, Yūri zog die Augenbrauen hoch. „Ja?“, es klang mehr wie eine Frage, als eine Antwort. „Du weißt aber schon, dass man so auf dein Handy zugreifen könnte?“, hakte Yūri nach. „Dafür muss ich doch dann so ein Code eingeben“, Victor machte eine wegwerfende Handbewegung und Yūri schüttelte lachend den Kopf. „Schön wäre es. Wenn jemand an deine Daten möchte, ist das sozusagen eine Einladung.“
 

Victor guckte ihn überrascht an. „Echt?“ „Ja, echt. Das geht schneller, als man denkt“, warnte er ihn wieder. „Also sollte ich mein Bluetooth immer aus machen, wenn ich aus dem Haus gehe?“, fragte Victor noch einmal. „Ja, genau. Das wäre sicherer“, bestätigte Yūri. Victor legte einen Finger an die Unterlippe. Yūri wusste mittlerweile, dass das ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass Victor nachdachte. „Nein, tut mir leid. Das werde ich immer wieder vergessen“, gab er dann blinzelnd zu. „Dann mach dir einen Zettel an die Haustür“, schlug er vor. Nachdenklich blickte Victor zu seiner Haustür. „Wie ein alter Mann, der vergesslich wird?“, fragte er. Am liebsten hätte Yūri genervt mit 'ja' geantwortet, doch er erinnerte sich daran, dass Victor auch ein wenig unsicher wegen möglichen lichter werdenden Stellen auf dem Kopf war. Er erinnerte sich nur zu gut an die Szene vor dem Buchladen. „Nein, wie ein Mann, der seine Daten schützen möchte.“
 

„Du hast mich erwischt“, lachte Victor, doch dann hellte sich sein Gesicht auf. „Schreibst du mir den Zettel?“, grinste er dann. „Eine Nachricht von meinem Любимый werde ich sicher artig befolgen“, er zwinkerte ihm zu. Yūri spürte seine Wangen warm werden. Schon wieder. Er musste sich langsam echt dran gewöhnen oder wollte er noch nach 20 Jahren bei solchen Liebesbekundungen rot werden? Und warum dachte er jetzt schon wieder 20 Jahre weiter? „Wo sind denn die Zettel“, gab er nach. „Da vorne in der ersten Schublade von links“, gab Victor zurück. „Ich gehe mal meine Tasche packen.“ Das war noch so ein Punkt, über den Yūri hier und da mal nachgedacht hatte. Wie lange würde Victor noch bleiben? Er räusperte sich und nahm seinen Mut zusammen. „Victor? Wie lange wolltest du eigentlich blieben?“, fragte er und da ihm dann plötzlich auffiel, dass das irgendwie falsch rüberkommen könnte, fügte er hastig hinzu: „Nicht, dass ich dich loswerden wollte, aber du musst arbeiten und mir geht es wieder wesentlich besser.“ „Ja, du hast recht. Leider kann ich mich nicht ewig bei dir einquartieren“, seufzte Victor.
 

Sie schwiegen sich für einen Moment an. „Ich bleibe noch über Nacht und fahre dann morgen auf die Arbeit. Immerhin habe ich dir Piroschki versprochen und wir haben noch diese Wakhashi gekauft“, er deutete auf die Tüte, die noch in Yūris Hand war. „Wagashi, aber ja, das klingt nach einem Plan. Zumindest wenn du dir mit dem Shōchū morgen keinen Kater einhandelst und dich krankmelden musst“, grinste Yūri. Victor schien nicht ganz überzeugt von dem Vorschlag, grinste aber dennoch. „Das ist eine gute Idee. Ich könnte mich heute Abend betrinken und morgen kümmerst du dich um mich!“, rief er dann freudig aus. Yūri musste auch lachen, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich pflege dich, wenn du krank bist. Kater ist nicht krank.“ Victor schob die Unterlippe ein wenig schmollend nach vorne, dann verschwand er wieder aus dem Türrahmen zu seinem Schlafzimmer.
 

Yūri war sich nicht sicher, ob er ihn nun gekränkt hatte. Natürlich wäre es ihm wesentlich lieber, wenn Victor noch bleiben würde, aber er durfte nicht zulassen, dass sich Victor wegen ihm beruflich übernahm. Auch wenn er es abstritt, hatte er sicherlich einige wichtige Aufgaben, die seine Anwesenheit in der Firma erforderten. Egal, ob seine Kollegen ihn unterstützten oder nicht. Außerdem würde es sein Chef als Ausnahme vielleicht akzeptieren, aber morgen wäre es ja dann schon keine Ausnahme, oder? „Worüber grübelst du gerade nach?“, hörte er Victors Stimme direkt in seinem Ohr. Er zuckte zusammen und blickte zur Seite, da stand Victor bereits mit der gepackten Tasche. „Ich möchte nur nicht, dass du Ärger auf der Arbeit bekommst“, gestand er. Denn warum sollte er lügen? „Mach dir da keine Sorgen, der eine Tag geht vollkommen in Ordnung. Ist das der Grund, warum du mich morgen rauswerfen möchtest?“, lachte Victor.
 

Erwischt, dachte Yūri betreten und nickte einfach nur. „Ich hätte morgen eh auf die Arbeit gemusst. Planung für die Promotion eines neuen Buchs“, erklärte Victor nun und fuhr Yūri mit einer Hand durch die Haare. Yūri bekam Gänsehaut und ein Schauder lief ihm den Rücken runter. „Darfst du davon erzählen?“, wollte Yūri neugierig wissen. Victor schüttelte den Kopf. „Leider nicht. Betriebsgeheimnis. Das könnte tatsächlich meinen Job gefährden“, Victor zwinkerte ihm zu und blickte sich dann um. „Haben wir alles? Dann sollten wir los. Auch wenn ich es hasse, Makkachin wieder abzugeben. Bist du sicher, dass deine Nachbarn nicht mal einen Tag einen Hund im Haus dulden?“, Yūri sah das Flehen in Victors Augen, schüttelte aber bedauernd den Kopf. „Bellt er einmal oder hört ein Nachbar was, was mit Hund zu tun haben könnte, bekomme ich sofort die Vermieterin auf den Hals gehetzt. Und mit der möchtest du es dir nicht verderben“, seufzte er.

Unter uns gesagt

Victor hatte Yūri aus der Küche verbannt, sobald sie zurückgekommen waren. Nachdem es Victor sichtlich schwer gefallen war, sich von Makkachin zu verabschieden, hatte Yūri den Beschluss gefasst, Victor nicht sofort alleine zu lassen. Doch dieser hatte mal wieder einen Strich durch seine Rechnung gemacht, in dem er darauf beharrt hatte, dass Yūri sicher erschöpft von ihrem Spaziergang sei und er sich somit doch erholen sollte. Schwach hatte Yūri gekontert, er könnte sich auch auf einem Stuhl in der Küche erholen, aber Victor hatte ihn nur mit einem etwas finsteren Blick bedacht. Vielleicht gehörte Victor zu der Sorte von Mensch, der in so einer Situation lieber erst einmal alleine war?
 

Yūri wurde wieder schmerzhaft bewusst, dass er relativ wenig von Victor wusste. Er kannte seinen Beruf und etwas von seiner Vergangenheit. Ein Blick in seiner Wohnung hatte gezeigt, dass sie überraschend wenig von dem Menschen Victor aussagte. Wenn er sich alleine in Phichits und seinem Wohnzimmer umschaute, sah er viele Bilder an der Wand und auf dem Regal. Videospiele und Filme im Regal und unter dem Tisch. Doch bei Victor war alles sorgfältig verstaut gewesen. Oder vielleicht gar nicht vorhanden? Er ließ sich zurück auf das Sofa fallen und starrte die weiß gestrichene Decke an. Natürlich war es Yūri bewusst, dass sie sich mit der Zeit automatisch besser kennenlernen würden, trotzdem hatte er das Verlangen danach, war schon fast begierig darauf, ihn besser verstehen zu lernen.
 

Vielleicht kam das aus seiner Angst heraus, Victor mit einer unbedachten Handlung zu vergraulen. Andererseits hatte er Victor wahrscheinlich den einen oder anderen Schreck eingejagt und er hatte sich trotzdem nicht entmutigen lassen. Das wiederum würde dann doch eher bedeuten, dass sich Yūri nicht ganz so viele Gedanken machen brauchte, oder? Andernfalls konnten sie auch noch immer drüber reden, richtig? Kommunikation war ein wichtiger Grundstein jeder Beziehung. Sagte man das nicht so? Aber was, wenn er ungewollt irgendetwas machte, was in Victors Augen auch das Reden überflüssig machte? Der Gedanke brachte Yūri zum Erschaudern. Er griff zu seinem Handy, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Sofort sprangen ihm die zwei Nachrichten von Victor ins Auge. Sie hatten noch Bilder in seiner Wohnung mit Makkachin gemacht. Sie beide lächelten schon fast um die Wette. Da fiel ihm ein, dass er seiner Mutter ein Foto von ihnen versprochen hatte, aber nicht das nehmen wollte, was sie vor dem Autohaus gemacht hatten. Und da er gerade dabei war, schickte er es auch noch Phichit. So wusste er auch, dass er noch lebte. Mit einem Lächeln legte er das Handy auf seinen Bauch und schloss die Augen.
 


 

„Yū-“, Victor hielt inne, als er ins Wohnzimmer blickte. Friedlich schlief Yūri auf dem Sofa. Er kam leise näher und kniete sich vor ihm auf den Boden. Seine Gesichtszüge waren entspannt, der Mund leicht geöffnet, da er wohl immer noch nicht genug Luft durch die Nase bekam. Er war noch etwas blass und sah selbst im Schlaf noch erschöpft aus. Victor fragte sich, ob es wirklich in Ordnung war, morgen schon wieder komplett arbeiten zu gehen. Zumindest für seinen Termin mit Alan musste er dorthin, das musste er widerwillig zugeben. Wie von selbst streckte sich seine Hand aus, um Yūri ein paar dunkle Strähnen aus der Stirn zu wischen. Seine Hand glitt danach Yūris Wange hinunter. Yūri schmiegte sich an die Berührung und Victor blieb dabei fast das Herz stehen. Yūri war so schön, so natürlich.Fast schon unschuldig. Victor könnte ihm stundenlang beobachten. Wie er ging, wie er sprach. Er konnte sich vorstellen, wie er in dieser Bar, als er und Chris getanzt hatten, die ganze Zeit wie ein liebeskranker Jüngling mit offenem Mund da gesessen hatte und alles aufgenommen hatte.
 

Dass all diese Aufnahmen verschwunden waren, ärgerte Victor mehr, als er zugeben mochte. Und doch war er irgendwie erleichtert, denn er wusste nicht, was diese Bilder und Videos mit seiner Entschlossenheit, nichts zu überstürzen, machen würden. Und doch hätte er sie gerne gesehen. Vielleicht hätten sie ihm mehr von dem jungen Mann verraten, der gerade vor ihm auf der Couch schlief. Doch er hatte immerhin die Nummer von Yūris Mitbewohner. Nicht weniger als ein Freund aus seiner Jugend. Konnte er Phichit ausfragen oder würde er ihm jegliche Aussage verweigern. Er war so in Gedanken vertieft, dass er fast vergessen hätte, dass das Essen fertig war. Er beugte sich zu Yūri hinunter und küsste seine Stirn. „Aufwachen, Dornröschen. Das Essen ist fertig.“
 


 

Yūri hatte das Gefühl, bald zu platzen. Victor hatte nicht nur einen Berg Piroschki gemacht, sondern bestand nun auch noch darauf, ihre Beute aus dem asiatischen Supermarkt auszupacken? Victor kam gerade mit der Tüte aus der Küche. „Den Rest stelle ich später in den Kühlschrank, die müssen noch auskühlen, sonst werden sie matschig“, zwinkerte er ihm zu. „Und ich dachte, du wartest noch auf Besuch“, gab Yūri seufzend zurück. Victor war stehen geblieben und schaute ihn verwirrt an und fragte: „Besuch?“ „Ja, weil du Unmengen zu viel gemacht hast“, erklärte Yūri. „Na, wenn du mich ja morgen früh rauswirfst, muss ich doch trotzdem sicherstellen, dass du gut versorgt bist“, Victor hatte offensichtlich seine Fassung wiedergefunden und grinste nun wieder breit, als er zu Yūri rüberging.
 

Er stellte auch die Flasche Shōchū auf den Tisch, die Yūri fast vergessen hatte. „Wie trinkt man den jetzt?“, wollte Victor neugierig wissen, bevor Yūri noch irgendetwas auf seiner vorherigen Frage erwidern konnte. „Eigentlich wie man es möchte. Mit Eiswürfel oder heißem Wasser oder Oolong-Tee. Manche mischen ihn aber auch mit herben Fruchtsäften“, erklärte er. „Oh! Das kenne ich! So etwas wie Jagertee?!“, verkündete Victor mit breitem Grinsen. Doch Yūri zuckte mit den Achseln, da er das nicht kannte. „Und was davon kannst du mir empfehlen?“, wollte Victor nun wissen. „Das mit dem Saft und dem heißen Wasser mag ich persönlich nicht so gerne. Aber mit Oolong-Tee oder Eiswürfel kann man es trinken“, gab er zurück. Doch Victor schaute ihn wieder erwartungsvoll an. „Ich habe leider keinen Oolong-Tee da, aber Eiswürfel kann ich anbieten“, Yūri beeilte sich, um aufzustehen, bevor Victor ihn aufhalten konnte. Er wusste zwar zu schätzen, dass ihn Victor so unterstützte, doch es fühlte sich irgendwie auch immer komisch an, sich in der eigenen Wohnung schon fast bemuttern zu lassen.
 

Er kam mit einem Glas, in das er 4 Eiswürfel gegeben hatte, zurück. „Ich hätte mir die Sachen auch selbst holen können“, maulte Victor, als er ihm das Glas vor ihn auf den Tisch stellte. „Ich weiß, aber ein paar Schritte zum Verdauen tun mir auch mal ganz gut“, lachte Yūri. „Das geht aber nicht! Du verdirbst mir den Sonntagsbraten“, stimmte Victor ins Lachen ein, während er die Flasche öffnete und sich ein wenig von der klaren Flüssigkeit einschenkte. „Du nicht?“, fragte er dann. Doch Yūri schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich bin immer noch ein wenig krank, ich brauche morgen nicht auch noch einen Kater“, grinste er Victor an. „Was? Kriegt man davon so leicht einen Kater?“, Victor riss die Augen auf. „Ich schon“, seufzte Yūri, hatte er doch ein paar schlechte Erinnerungen daran. „Warum sagst du mir das erst jetzt? Möchtest du wirklich, dass du morgen meinen Kater pflegen musst?“, grinste Victor. „Vielleicht? Ich hasse es, Schulden zu haben“, gab Yūri nicht weniger grinsend zurück. „Ich nehme auch horrende Zinsen“, Victor hob vielsagend eine Augenbraue.
 

Das schaltete natürlich Yūris Kopfkino wieder an. Was deutete er damit an? Er spürte, wie seine Ohren wieder heiß wurden, versuchte dennoch, sein Pokerface aufrecht zu erhalten. „Ach ja?“, eigentlich wollte er noch mehr sagen, aber ihm fiel nichts weiter an. „Oh ja. Mindestens 5 Küsse pro Tag Verzug“, Victor grinste breit und hob zum Nachdruck zwei Mal die Augenbrauen. „Gilt das ab dem ersten Tag oder ab dem Tag, an dem ich wieder gesund bin?“, hakte Yūri wieder nach. Victor legte einen Finger an die Lippe und legte den Kopf etwas schief. „Hmmm... So gerne ich auch sagen würde 'ab dem ersten Tag' gilt meine Provision ja eigentlich erst, wenn du gesund bist“, gab dann Victor zurück. „Provision? Eben waren es noch Zinsen“, neckte Yūri. „Beides? Ich bin nicht gerade billig, weißt du? Qualität hat ihren Preis“, lachte Victor und spätestens jetzt war sich Yūri sicher, dass er feuerrot war.
 

Victor wartete einen Moment, doch Yūri traute seiner Stimme nicht mehr. Also sprach er lieber nicht weiter. Victor nippte an seinem Getränk und sah dann überrascht aus. „вкусно!“, seine Augen hellten sich auf, als er noch einmal daran nippte. Doch Yūri konnte ihn nur verwirrt anschauen. „Das ist lecker“, übersetzte Victor für ihn. „Was war das noch einmal?“ „Imojōchū, also Süßkartoffel“, sagte Yūri und Victor nickte. „Also es fängt schon einmal richtig gut an. Was haben wir noch?“, seine Augen funkelten wie die eines kleinen Kindes, als er neugierig zur Tüte schaute. „Sollen wir einfach reingreifen, also nach dem Zufallsprinzip?“, schlug Yūri vor und Victor nickte enthusiastisch.
 


 

Victor musste gestehen, dass es schon einmal gut anfing. Yūri war an seiner Seite, dieses Shōchū schmeckte überraschend gut und nun gab es ein Stück Heimat für Yūri. Victor hoffte, dass er ihn so ein wenig besser kennenlernen konnte. Vielleicht würde er ein paar Geschichten aus Yūris Jugend zu hören bekommen? Sein Herz schlug vor Aufregung ein wenig schneller. Das Bild in Yūris Zimmer hatte in ihm den Wunsch geweckt, Bilder von dem jüngeren Yūri zu sehen. In der Wohnung hingen und standen zwar ein paar Fotos von Yūri mit Phichit oder auch noch anderen Freunden, aber sie alle waren wohl nicht älter als zwei oder drei Jahren. „Ja, greif zu. Du musst mir dann ja eh erklären, was es ist“, lachte Victor und beäugte neugierig, wie Yūri die erste Sache aus der Tüte zog.
 

So probierten sie sich durch ziemlich süße Konpeito, eine Art süßes Bonbon mit kleinen Noppen, die angeblich noch heute überwiegend von Hand gefertigt wurden. Danach gab es Imo Penpi, eine Art Süßkartoffelchips in Form von kleinen Pommes, die super zu seinem Shōchū passten. Als sie am Senbei, Reiscracker, ankamen, schenkte er sich noch einmal nach. Aber der Alkohol stieg ihm überraschend schnell in den Kopf. Sie hatten zwei verschiedene Sorten der Reiscracker gekauft. Einmal mit Salz und Dashi-Geschmack und noch mit Sojasauce. Yūri erzählte ihm begeistert, wie man Dashi herstellte und dass er es ihm unbedingt einmal zeigen wollte, wenn sie zusammen in Japan waren. Es hatte Victor auf der Zunge gelegen, zu fragen 'Wenn? Nicht falls?', aber er wollte den wundervollen Moment nicht zerstören, wie Yūri mit einem Leuchten in den Augen von seiner Heimat erzählte.
 

Schlussendlich kamen sie an einer kleinen, unscheinbaren, roten Packung an, mit weißer Schrift verziert. Sie war vielleicht etwas größer als ein handelsübliches Feuerzeug und ungefähr doppelt so breit. „Das hier ist Su Kombu und wird seit über 70 Jahren produziert. Das ist also sehr bekannt und beliebt. Die Firma hier ist wohl der bekannteste Produzent.“ Er zog eine kleine Tüte aus der Packung. Der Inhalt sah aus wie längliche Scheiben von salzigem Lakritz. Victor versuchte gerade, sich zu erinnern, ob er Lakritz mochte, als er einen Essiggeruch wahrnahm. Yūri grinste, als er verwirrt aufblickte. „Das ist Seegras, mit etwas Salz und einer leichten Essignote. Das ist sehr gesund“, erklärte er. „Ist das wirklich essbar?“, Victor nahm ihm die kleine Tüte aus der Hand und roch daran. Dann verzog er das Gesicht. „Natürlich ist das essbar. Und in Japan total beliebt“, bestätigte Yūri. „Magst du es?“, wollte Victor nun wissen, da er sich immer noch nicht sicher war, ob man es wirklich essen konnte. „Nun ja, vielleicht eher eine Hassliebe“, lachte Yūri. „Ich muss Lust darauf haben. Aber ich esse es manchmal wirklich gerne“, gab er zu und nahm die Tüte wieder aus Victors Hand, öffnete sie und zog eine der Stangen heraus. Dann biss er hinein und kaute.
 

Victor vermutete, dass sein Blick so aussah, als würde er jeden Moment erwarten, dass Yūri tot umfallen würde. Aber dann zog er sich auch zögerlich einen Streifen hinaus und biss ab, bevor er sich das noch anders überlegen konnte. „Uhh... Ja, Hassliebe trifft es ganz gut“, lachte er dann. „Es schmeckt... nicht so grauenhaft, wie ich befürchtet habe und ich würde sicherlich auch noch mal einen Streifen essen, aber nicht jetzt und wahrscheinlich auch nicht morgen“, lachte er dann und Yūri nickte verstehend. Er spülte den Rest mit einem großen Schluck Shōchū hinunter. Dann goss er sich direkt nach. „Oh, ich dachte, wir gehen jetzt ins Bett?“, fragte Yūri. „Wir? Ins Bett?“, Victor grinste lasziv und natürlich konnte er gut sehen, wie Yūris Gesicht rot wurde. „N-nein! Nein, das meinte ich nicht! Ich möchte nur nicht, dass du wieder auf dem Sofa schläfst. Mein Bett ist groß genug und... uh...“, Yūri vergrub das Gesicht in seinen Händen. „Keine Sorge, Yūri. Ich habe es mir schon gedacht. Und mach dir auch keine Sorgen, ich werde nichts machen, was du nicht auch willst. Weder heute noch an einem anderen Tag, du musst nur sagen, wenn es zu weit für dich geht.“ Da Yūri während seinen leisen Worten wieder aufgeschaut hatte, war es ein Leichtes für ihn, seine Lippen auf Yūris zu legen.
 


 

Er hatte den Alkohol auf Victors Lippen schmecken können und doch war es alles andere als unangenehm gewesen. Sein Herz hatte höher geschlagen, als sie sich gemeinsam die Zähne geputzt hatten und nun lagen sie nebeneinander in seinem Bett. Yūri war sich wirklich nicht sicher, wie er so überhaupt einschlafen konnte. Er hörte den leisen Atem von Victor neben sich, traute sich aber nicht, hinüberzuschauen. Victor hatte nur eine Boxerbrief und ein T-Shirt an und für Yūri war es hart gewesen, nicht zu starren. „Yūri? Schläfst du schon?“, hörte er Victor leise fragen. Sein Herz hämmerte. Am liebsten hätte er gesagt 'Wie denn?' und hysterisch gelacht, aber das käme nun wirklich nicht gut. „Was ist, Victor?“, fragte Yūri zurück und ihm kam gerade in den Sinn, dass Katya ihn 'Vitya' genannt hatte. Sollte er das auch tun? Oder wäre das aus irgendeinem Grund falsch? „Ich bin betrunken, Любимый“, schmollte Victor.
 

„Ja, du hast die halbe Flasche getrunken. Mich würde es nicht wundern, wenn du morgen tatsächlich einen Kater hast“, lachte Yūri leise und hörte Victor nur leise Schnauben. Danach war eine Weile Stille zwischen ihnen. „Yūri? Schläfst du jetzt?“, hörte er wieder Victors Stimme. „Nein, Victor, ich schlafe immer noch nicht“, gab Yūri leise lachend zurück. Und wenn du so weitermachst, werde ich das auch die ganze Nacht nicht, dachte er sich dazu. „Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“, fragte Victor nun wieder. „Wenn du es nicht bereust, es mir gesagt zu haben, wenn du wieder nüchtern bist?“, fragte Yūri zurück. „Unter uns gesagt: Im Bett bin ich immer nackt, egal zu welchem Anlass. Selbst mit kalten Füßen“, kicherte er ein wenig betrunken. Yūri verschluckte sich fast beim Atmen. Sein Hirn arbeitete an einer Antwort, doch seine Gedanken schrien nur: Er hat es doch mitbekommen! Ist das peinlich! Es dauerte einen Moment, als er seine Fassung wiedergefunden hatte. „Victor, hast du etwa gelauscht?“, fragte er neckend. Doch seine einzige Antwort waren sanfte Atemzüge.

Ruhelos

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

(Nicht ganz) alltäglicher Wahnsinn

"Ah, Victor! Da bist du ja, guten Morgen!" Schon bei dieser Begrüßung von Sara war ihm klar, dass die Formkurve des Tages weiterhin steil nach unten zeigte. Mit dem Taxifahrer hatte er schon so seine Probleme gehabt. Zwar wusste er zu schätzen, dass der Fahrer gewusst hatte, wie man effektiv den Stau umfahren konnte, der sich wegen eines Unfalls gebildet hatte und den allmorgendlichen Berufsverkehr noch zähflüssiger gemacht hatte, doch aufgrund seiner ruppigen Fahrweise hätte Victor am liebsten eine Kotztüte dabei gehabt. Ein leichter Kater nagte an seinem Hirn und er wünschte sich, dass er zumindest bei Yūri noch etwas getrunken hätte, um seinen Flüssigkeitshaushalt wieder auszugleichen. Doch wenigstens hatte ihn die Fahrt davon abgehalten, sich weitere Gedanken zu machen, was Yūri nun von ihm hielt.
 

„Was gibt es denn, Sara?“, seufzte Victor. „Herr Feltsman möchte mit dir reden, es sei dringend“, antwortete sie mit einem aufmunternden Lächeln. Victor rang sich ein Lächeln ab und nickte. „Alles klar, ich bringe gerade noch meine Sachen ins Büro.“ Er wusste, dass das kein gutes Zeichen war. Sein Onkel rief ihn nicht für irgendwelche Familienplaudereien zu sich. Das Thema kam höchstens am Ende mal kurz auf. Und zu außerplanmäßigen Terminen rief er ihn schon gar nicht. Und wenn es dann noch hieß, dass es dringend sei... Im Kopf ging er durch, um was es gehen könnte. Hatte Alan sich mal wieder daneben benommen? Normalerweise war das kein Thema, bei dem sich sein Onkel derart einmischte. War es wegen gestern? Den Mitarbeitern war es erlaubt, auch mal von zu Hause aus zu arbeiten, so lange es abgesprochen ist und keine Arbeit liegen bleibt. Hatte er irgendeinen wichtigen Termin vergessen? Er nahm kurz sein Handy in die Hand. Nein, kein Termin. Sara hätte ihn da auch sicherlich drauf aufmerksam gemacht.
 

Aber was konnte es sonst noch sein? Das 'Bling' des Aufzugs holte ihn aus den Gedanken. Er stieg in den Flur. Yakovs Sekretärin war nicht am Platz, also musste er sich wohl selbst weiterhelfen. Mit mehr Selbstbewusstsein, als er fühlte, klopfte er an die massive Tür mit dem goldenen Schild, welches unmissverständlich verkündete, zu welchem hohem Tier dieser Firma das Büro gehörte. „Herein“, dröhnte die Stimme seines Onkels und Victor atmete noch einmal tief durch, bevor er die Tür öffnete. „Guten Morgen“, grüßte er sofort und schloss die Tür rasch hinter sich. Egal was für eine Schimpftirade nun kommen würde, das brauchte keiner draußen mitzubekommen. „Guten Morgen“, kam es ein wenig grummelig zurück, sein Onkel hob den Blick nicht vom Bildschirm. Victor wusste jedoch nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.
 

Es vergingen einige Sekunden, in denen Victor da stand, als wäre er bestellt, aber nicht abgeholt worden. Sollte er sich hinsetzen? Aber normalerweise forderte sein Onkel ihn dazu auf. Daher blickte er sich verstohlen um. Er liebte den Blick über die Stadt, es war imposant und machte einem klar, wie klein man selbst doch eigentlich war. Sein Onkel blickte auf, ihre Augen trafen sich. „Setz dich“, kam es nur knapp. Dann tippte er irgendetwas, dabei suchten seine Finger immer noch ein wenig über die Tastatur. Victor hatte es schon immer scherzhaft 6 ½ Finger-Suchsystem genannt. Aber nicht in Yakovs Dabeisein, natürlich. Dann seufzte sein Onkel und richtete die volle Aufmerksamkeit auf Victor. Sein Onkel konnte schon furchteinflößend sein. Manchmal war Victor davon überzeugt, er könnte in Filmen den Mafiaboss mimen und jeder würde ihm das abkaufen. Vermutlich würde er damit einen Oscar nach dem anderen abräumen. Aber was Victor auch wusste war, dass Yakov sein Herz am rechten Fleck hatte. Fragte sich nur, ob das heute auch der Fall war. Denn Yakov war schon immer streng gewesen. Streng mit sich, aber auch mit seinen beiden Neffen.
 

„Du hast gestern von zu Hause aus gearbeitet“, kam es von ihm und Victor war sich nicht sicher, ob es eine Frage oder eine Feststellung war. Er nickte nur. „Und doch warst du nicht zu Hause, als ich bei dir klingelte.“ Victor schluckte. Das war sicherlich kein guter Einstieg. Er wollte gerade den Mund öffnen und sagen, dass er mit Makkachin draußen gewesen war, doch Yakov ließ ihm keine Chance. „Also bin ich ein paar Meter gegangen, um zu schauen, ob du mit Makkachin unterwegs bist und da habe ich dich mit diesem jungen Mann gesehen“, er schaute ihm in die Augen und Victor spürte die Panik in ihm aufsteigen. Das klang gar nicht gut. Das klang überhaupt nicht gut. „Ich möchte dich darauf hinweisen, dass du für solche Aktivitäten Urlaub oder Wochenenden hast. Das ist dir aber bekannt, oder?“ „Ich habe davor und danach gearbeitet. Beim Homeoffice dürfen wir uns die Arbeitszeit frei einteilen“, gab Victor zurück. Wenn es nur das war, was seinem Onkel nicht passte, sollte er seine Regeln selbst noch einmal durchlesen.
 

Doch Yakov nickte nur und lehnte sich im Stuhl zurück. „Ich frage mich eher, wie lange das schon mit diesem jungen Mann läuft.“ Victor hatte das Gefühl, Yakovs Augen durchbohrten ihn fast. Automatisch ging Victor in den Verteidigungsmodus, doch sein Onkel kannte ihn gut genug und hob eine Hand. „Dass ihr nicht nur gute Freunde seid, konnte ich eindeutig mit eigenen Augen sehen“, stellte er klar. Jetzt war Victor alles klar. Jetzt kam diese typische Moralpredigt. Er hatte sie schon von seiner Tante gehört. Allerdings hatte er nicht gedacht, dass auch sein Onkel so engstirnig war. Das versetzte Victor einen kleinen Stich. „Erst ein paar Tage. Mit ihm hatte ich diesen Unfall. Wir haben uns danach noch ein paar mal getroffen und ich habe mich in ihn verliebt“, gestand er. Warum sollte er da auch lügen? Yakov nickte, was seinen ganzen Stuhl ein wenig zum Wippen brachte. „Und wann wolltest du mir davon erzählen?“, fragte er danach. Diese Frage warf Victor ein wenig aus der Bahn. Er hatte mit Beschimpfungen und Drohungen oder Enttäuschung gerechnet. Aber worauf wollte er nun hinaus?
 

„Es ist noch frisch und er war über das Wochenende krank, also...“, Victor wusste nicht, wie er den Satz beenden sollte. „Also wolltest du mir zu gegebener Zeit davon erzählen?“, hakte Yakov nach. „Ja“, nickte Victor. Wahrscheinlich. Vielleicht. Irgendwann einmal... Yakov schaute Victor weiter unverwandt in die Augen. Dann nickte er langsam. „Gut“, sagte er wieder. „Du weißt ja, du kannst mit mir über alles reden.“ Konnte er das? Sicher, bisher konnte man über alles reden. Aber Victor war sich nicht so sicher, ob er mit so einem Thema zu ihm kommen könnte. „Vitya“, Yakovs Ton war plötzlich wärmer, „Du neigst manchmal dazu, Dinge zu übereilen. Also lass dir Zeit und rede mit jemandem darüber. Ich möchte nur, dass du glücklich bist und der junge Mann scheint dich glücklich zu machen. Lerne aus den Fehlern deines alten Herrn und wirf dieses Glück nicht weg“, sprach Yakov eindringlich.
 

Victor schnaubte, wusste aber, dass sein Onkel recht hatte. Aber dass sein Onkel das so einfach akzeptierte, ging ihn noch nicht ganz in den Kopf. „Also... ist das ok für dich?“, hakte er vorsichtig nach. „Natürlich wäre es mir lieber, wenn du eine hübsche Frau heiratest und mir eine ganze Horde an süßer, kleiner Kinder zeugst. Aber ich habe nicht über dein Leben zu entscheiden. Es ist schon Geschenk genug für mich, dass du mich in der Firma beerben möchtest“, lachte Yakov. „Tante hat es immer klingeln lassen, als würdest du darauf bestehen“, murmelte Victor und Yakov zog die Augenbrauen zusammen. Ein bedrohlicher Anblick, daher senkte Victor seinen Blick. „Das habe ich niemals erwartet. Ich bin eher davon ausgegangen, dass du, wie Yuri beim Eiskunstlauf bleibst“, gestand Yakov und Victors Kopf schnellte wieder in die Höhe. Was war das? Er hatte völlig umsonst aufgehört? Seine Augen waren groß und er fühlte sich kurz verloren. Doch dann traf ihn ein Gedanke: So hätte er Yūri niemals kennengelernt und so schlecht war sein Leben gar nicht, oder? Mit dem Lichtblick Yūri in seinem bisher so eintönigen Leben. Tatsächlich war er bei dem Gedanken eher darüber überrascht, dass er, je mehr er darüber nachdachte, es auch besser akzeptieren konnte.
 

„Ich habe aufgehört, weil Tante es so klingen ließ, als gäbe es keine andere Wahl. Und Yuri im Verlagswesen habe ich mir nicht vorstellen können.“ Yakov lachte laut bei dem Gedanken. „Gott bewahre. Lieber schließe ich den Laden. Es tut mir wirklich leid, dass ich das nicht bemerkt habe, Vitya. Du kannst ehrlich sein, bereust du es?“, mit einem Mal war er wieder ernst. Victor dachte kurz nach. „Hättest du mich das gefragt, bevor ich Yūri kennengelernt habe, wahrscheinlich ja. Jetzt? Eher nein“, lächelte Victor überzeugt. „Yuri?“, fragte Yakov verwirrt. „Oh, ja. Er heißt auch Yūri“, lachte Victor nun. „Oh. Dann müssen wir uns da etwas einfallen lassen. Denn Dunjascha hat einen Bandscheibenvorfall und Yuri kommt daher vorläufig nach Detroit. Ich habe eben schon alles wegen Schule, Training und Trainer geklärt. Deswegen wollte ich gestern zu dir. Ich möchte, dass er bei dir unterkommt. Meinst du, Makkachin verträgt sich noch mit Potya?“ Victor fiel alles aus dem Gesicht.
 


 

Yūri hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, als er von den Piroschki aß. Hatte er sich wirklich, während Victor noch in der Wohnung war... Er konnte noch nicht einmal den Gedanken zu Ende bringen und vergrub das Gesicht in den Händen. Und dann auch noch die Nachricht von Victor. Er hielt ihn für völlig unschuldig und machte sich auch noch Sorgen um ihn... Das half seinem schlechten Gewissen kein bisschen. Ohne schlüpfrige Details zu nennen, hatte er auch schon Phichit sein Leid geklagt. Sie hatten aber, aufgrund der Arbeit, nur kurz telefonieren können. Doch es hatte gut getan, mit jemandem anderen über seine Gefühle zu reden. Es hatte ihm ein bisschen Mut gemacht, vielleicht auch mal mit Victor über ein paar Dinge zu reden.
 

Und dann, nur wenige Minuten nach seinem Gespräch mit Phichit, als hätte Victor gespürt, dass er an ihn gedacht hatte, hatte er angerufen und sich nach seinem Befinden erkundigt. Yūri musste zugeben, dass er sich mittlerweile schon viel besser fühlte und hoffte, morgen wieder etwas arbeiten zu können. Natürlich hatte Victor das gar nicht gerne gehört, doch Yūri hatte ihm versprochen, sich nicht zu verausgaben. Dann hatte Victor davon erzählt, heute noch sein Auto abzuholen und dass er danach gerne eine Runde mit ihm drehen wollte. Yūri musste gestehen, dass er sich darauf freute und auch, wenn Victor den Unfall verursacht hatte, war er sich sicher, dass Victor ein guter Autofahrer war. Und dann war Yūris Blick plötzlich auf Victors Zettel gefallen. Alleine beim Gedanken daran spürte er, wie sein Gesicht rot wurde. Kurz hatte er im Kopf noch an Phichits Worte gedacht, bevor es schon aus ihm herausgeplatzt war. Vermutlich hatte er geklungen, wie ein unreifer Schuljunge, aber Victor hatte es verstanden.
 

Doch als er ihm dann erzählte, dass das eine Angewohnheit von ihm war und er das hätte bedenken müssen, musste er sich eingestehen, dass er das nicht so gerne hören wollte. Sein einziger Gedanke dazu war gewesen: Victor hat es also nicht getan, weil er es war, sondern weil er das immer macht. Auch, als Victor sich korrigiert hatte und gesagt hatte, dass er es nur bei Leuten macht, die er mag, hatte es nicht wirklich geholfen. Tatsächlich war dabei ein Gefühl aufgekommen, das er selten spürte und ihn deswegen auch ein wenig erschreckt hatte. Er verspürte Eifersucht. Und das Gefühl gefiel ihm gar nicht. Unweigerlich fragte er sich, wie viele Partner Victor gehabt hatte. Waren es alles nur Männer gewesen oder auch Frauen? War Victor, wie er selbst, bi? Phichit behauptete ja immer das Gegenteil, aber Yūri war lange Zeit in Yuuko von der Bäckerei Nishigori verliebt gewesen. Doch dann hatte er erfahren, dass sie mit dem Bäcker verheiratet war. Aber bis auf Yuuko und Victor war Yūri noch nie ernsthaft verliebt gewesen und irgendwie machte ihm das zu schaffen. Verunsicherte ihn noch mehr. Aber vermutlich hatte Phichit recht. So lange er ehrlich war und über seine Sorgen sprach, würde das alles schon funktionieren. Er musste sich einfach nur trauen. Und das war einfacher gesagt, als getan.
 


 

„Kommt nicht in die Tüte. Egal wie nett du fragst, ich mache das nicht“, Alan verschränkte die Arme vor der Brust. „Das war keine Frage, Alan. Die Promo steht. Die Buchhandlung in Detroit und Umgebung, die die meisten Bücher von dir in der Erscheinungswoche des neuen Bands verkauft, bekommt eine Signierstunde“, stellte Victor klar. Er saß in dem großen Ledersessel, Alan auf der dazu passenden Couch. Möbel, mit der alle Büros ausgestattet waren. Er hatte sich absichtlich gegen den Schreibtisch entschieden, da er die Hoffnung hatte, dass es so vertrauter und zwangloser wirkte. Was bei jedem anderen Autor klappte, war natürlich bei Alan vergebene Mühe. Er hatte mal wieder ein Gesichtsausdruck wie ein trotziger Bengel. „Das könnt ihr nicht ohne mich entscheiden und ich lehne ab“, erklärte er überflüssigerweise. „Du hast einen Vertrag unterschrieben, Alan. Da stimmst du gelegentlichen Promo-Terminen zu“, erwiderte Victor ungerührt. „Was habe ich dir getan, dass du mir so etwas antun musst?“ Ah, jetzt ging es auf emotionaler Ebene weiter. Immerhin wusste auch Alan, dass er sich gegen vertragliche Vorgaben auch nicht wehren konnte.
 

Victor schüttelte amüsiert den Kopf. „Tu jetzt bitte nicht so scheinheilig. Die Nummer wird kurz und schmerzlos. 3 Stunden, wir machen es sogar während den üblichen Arbeitszeiten, damit der Ansturm nicht zu groß wird. Mehr kann ich dir nicht entgegenkommen.“ Nachdenklich nippte Alan an seinem Tee. „Kannst du nicht ein gutes Wort für mich einlegen? Weißt du, ich wollte es eigentlich nicht sagen, aber meine Frau ist krank“, gab er nun zerknirscht zurück. Victor wurde hellhörig. „Du kennst sie ja, ruht sich nie aus, die Gute. Hat eine Erkältung verschleppt und liegt jetzt wegen einer Herzmuskelentzündung im Krankenhaus. Deswegen auch die Probleme mit der Deadline für die Korrekturen“, erklärte Alan weiter. Victor hob nur eine Augenbraue. „Ich habe deine Frau erst letzte Woche angerufen und zum Geburtstag gratuliert. Da klang sie noch fit“, bemerkte Victor. Alan schaute ihn ertappt an. „Meine Frau hatte Geburtstag?“, fragte er dann mit großen Augen und Victor legte fassungslos seine Hand gegen die Stirn.
 

„Ich habe euch einen Tisch auf deinen Namen bei Giovanni's reserviert, sie liebt doch italienische Küche, oder nicht? Heute um 19:00 Uhr. Die Tische abends sind auf Monate hinweg ausgebucht, du kannst also alles auf die Deadlines schieben und behaupten, du hast alles geplant und wolltest es eine große Überraschung werden lassen. Denn da ich deine Frau ja kenne, hat sie aus Rücksicht nichts gesagt, richtig?“, spielte Victor seine Trumpfkarte aus. „Eine Stunde. Wenn ich 3 Stunden signiere, fällt mir die Hand ab. Und keine Fotos“, lenkte Alan ein. Victor hatte gewusst, dass er ihn so kriegen konnte. „2 Stunden, keine Minute kürzer. Mit Fotos“, er brauchte Alan ja nicht erzählen, dass sowieso nur 2 Stunden angesetzt worden waren. Wer ließ auch seinen Autor 3 Stunden lang Bücher signieren? „Keine Fotos“, beharrte Alan, der offensichtlich bei der Dauer des Signierstunde schon eingeknickt war. „Die Flasche Dom Perignon ist natürlich ein Geschenk und eine Entschuldigung vom Verlag und mir persönlich, dass wir dich in dieser Weise einbinden und du deine Pflichten als treuer Ehemann nicht nachkommen kannst“, Victor vermutete, dass das eine Spur zu sarkastisch rüberkam.
 

„Letzteres nimmt sie mir niemals ab. Damit wird ihr klar sein, dass das nicht aus meinem Mist gewachsen ist“, seufzte Alan. „Ich habe das dir gesagt, nicht dem Angestellten, bei dem ich den Tisch reserviert habe, während ich mich als Alan Aaronovitch ausgegeben habe“, zwinkerte Victor ihm zu. „Also gut, 2 Stunden und Fotos. Aber du holst mich ab und danach gehen wir essen. Wie wäre es mit dem Prime & Proper?“, grinste Alan nun. „Du machst mich wirklich fertig. Habe ich dir nicht gerade einen Tisch im beliebtesten Restaurant der Stadt besorgt?“, fragte Victor eine Spur ungläubig. „Absolut richtig. Da wird ein Tisch in diesem, vergleichsweise minderwertigen Steakhouse doch kein Problem für dich darstellen!“, sein Grinsen wurde breiter, zufrieden mit sich, dass er Victor endlich etwas aus den Rippen leiern konnte. „Also gut“, seufzte Victor etwas theatralisch. Da musste er wohl noch einmal Chris um seine Mithilfe bitten. Zum Glück kannte er ja eigentlich alle Restaurant- oder Barbesitzer, deren Geschäfte gerade in Mode waren.

Zweifel

Alan war gegangen und Ruhe in seinem Büro eingekehrt. Nun hatte er sich auf seinen Bürostuhl gesetzt und schaute aus dem Fenster, überblickte die Stadt mit leerem Blick. Der Ausblick war zwar nicht so gut, wie aus dem Büro seines Onkels, aber trotzdem durchaus beeindruckend. Zumindest für alle, die etwas für Städte übrig hatten. Doch was Victor mehr beschäftigte, war das Gespräch mit seinem Onkel. Vor ein paar Stunden noch war er mit sich im Reinen gewesen. Er hatte mit der unabänderlichen Vergangenheit abgeschlossen. Immerhin hatte er ja noch Yūri. Yūri war immerhin in kürzester Zeit zum neuen Dreh- und Angelpunkt seiner Welt geworden. Doch je länger sein Kopf mit dieser neuen Erkenntnis verbracht hatte, desto mehr sendete es seine Gedanken in seine Abwärtsspirale. Seine Gedanken kreisten immer wieder um dieses elendige 'was wäre gewesen, wenn...', das es niemals gab, da man nicht in die Vergangenheit reisen konnte. Noch nicht, fügte der Science-Fiction-Fan in ihm an.
 

Und wer konnte ihm garantieren, dass der einzige Punkt, der ihn das Ganze nicht vollkommen bereuen ließ, nicht doch eingetroffen wäre? Vielleicht gab es tatsächlich so etwas wie Schicksal und egal, welchen Weg er eingeschlagen hätte, er Yūri auf jeden Fall begegnet wäre? Vielleicht hätten sie sich über den Sport kennengelernt? Vielleicht hätten sie sich bei einer internationalen Juniorenauswahl getroffen, sich gegenseitig inspiriert und er hätte Yūri die Ängste nehmen können? Vielleicht hätten sie so beide an der Spitze des Eiskunstlaufs stehen, eine freundschaftliche Rivalität aufbauen können und wären vielleicht irgendwann darüber hinausgegangen. Gemeinsam trainiert und sich gegenseitig geholfen, die Sprünge, Schrittsequenzen und den Ausdruck zu perfektionieren. Vielleicht hätten sie sich gegenseitig immer wieder übertrumpft. Immer den Rekord des jeweils anderen egalisiert. Und dabei seinen Bruder als Ansporn gedient, sie zu schlagen...
 

Als wäre das alles noch nicht genug, fühlte er sich schäbig, dass er sich nicht richtig darüber freuen konnte, dass sein Bruder kam. Es lief gerade so gut mit Yūri, da konnte er eigentlich keinen großmäuligen und daueraggressiven Teenager brauchen, um den er sich auch noch kümmern musste. Und gerade diese Gedanken ärgerten ihn. Er war sein großer Bruder, vielleicht nicht von Geburt her, aber sie waren zusammen aufgewachsen und haben so einige schwere Phasen in ihrem Leben gemeinsam gemeistert. Und doch schien er bereit, ihn für seinen Partner einfach fallen zu lassen? Natürlich würde er das niemals tun, aber wenn es nach ihm ginge... Aber es ging nicht nach ihm. Es ging ja nie nach ihm. Deswegen saß er gerade auch in diesem muffigen Büro und stand nicht auf dem Eis von irgend...
 

Die Vibrationen seines Handys waren lautstark auf dem Holz seines Schreibtisches zu hören. Er blinzelte ein paar Mal, um sich in das hier und jetzt zurückzuholen und drehte seinen Stuhl zu seinem Schreibtisch um. Yūri. Sein Herz machte einen Satz vor Freude, als er den Namen und das Bild von ihnen beiden auf seinem Handy sah. „Yūri“, sang er fast ins Handy und fühlte sich plötzlich um Längen besser. „Alles in Ordnung, Victor?“, hörte er Yūris Stimme und meinte sogar, etwas Sorge darin zu hören. Er blickte auf die Uhr. War er etwa mittlerweile so spät, dass sich Yūri Sorgen machte, wo er blieb? Doch die Uhr verriet ihm nicht, warum Yūri gerade das fragte. „Was meinst du?“, fragte er, nachdem er sich geräuspert hatte. „Nun ja, du klangst irgendwie anders. Als wäre etwas passiert“, Yūris Stimme war leiser geworden, als war er sich plötzlich unsicher. Doch Victor war einfach nur verblüfft, wie gut er das erkannt hatte. Vielleicht hätte er direkt Yūri anrufen und ihm davon erzählen sollen. Das hätte ihm wahrscheinlich besser geholfen, als diese finsteren Gedanken.
 

Er atmete tief durch. „Wahrscheinlich hast du recht. Es war ein eigenartiger Tag...“, seufzte er, bevor er erneut ansetzte: „Was hältst du davon, wenn ich dich gleich mit meinem neuen Auto abhole und wir irgendwo etwas essen gehen? Wir könnten sogar Makkachin mitnehmen! Und dann erzähle ich auch von meinem Tag, wenn du das überhaupt hören möchtest.“ Yūri machte ein kleines Geräusch, das irgendwie nach einem Schnauben klang. Doch Victor war sich nicht ganz sicher. „Du musst mich aber nicht schon wieder einladen“, sagte Yūri dann. „Aber natürlich muss ich das, Yūri! Ich zwinge dich, mit jemandem durch die Gegend zu fahren, der erst kürzlich bewiesen hat, ein schlechter Autofahrer zu sein und plane, dich den ganzen Abend vollzujammern. Da ist ein gutes Essen das Mindeste, womit ich dich entlohnen kann“, echauffierte sich Victor ein wenig übertrieben. „In Ordnung, aber übertreib es nicht, ja?“, lachte Yūri leise. „Wo denkst du hin, Yūri! Du kennst mich doch!“, schmollte Victor ein wenig. „Ja, eben. Deswegen sag ich das ja“, hörte er Yūri lachen. Getroffen legte Victor eine Hand auf sein Herz, auch wenn er wusste, dass Yūri diese theatralische Geste nicht sehen konnte. Er überlegte noch, was er erwidern konnte, doch stimmte dann einfach in Yūris Lachen ein.
 


 

„Tadaaaa“, Victor machte eine ausladende Geste zu seinem Auto. Hinter Victor stand ein Tesla Model S mit dunkelblauem Metallic-Lack. Victor hatte die Beifahrertür bereits geöffnet und gab damit den Blick auf die schwarzen Ledersitze und das Eschenholz-Dekor der Mittelkonsole und dem Amaturenbrett frei. Doch was ihm noch mehr ins Auge fiel, war Victor selbst. Den Anzug hatte er bereits gestern gesehen und sich gefragt, ob das eine Sonderanfertigung für ihn war. Es war ein dunkelgrauer Anzug aus leicht schimmernden Stoff. Er saß Victor wie angegossen. Darunter trug er ein einfaches weißes Hemd, doch seine Krawatte hatte schräg angesetzte Blockstreifen in weiß und genau dem dem Farbton seiner Haare. Vor jedem breiten, weißen Streifen war ein dünner Streifen von dem Blauton seiner Augen. Als hätte jemand ein Foto von ihm in einem Bildbearbeitungsprogramm hochgeladen und dort die genaue Farbe bestimmt. Und es sah atemberaubend aus.
 

Yūri hingegen fühlte sich dagegen in seiner dunklen Jeans, weißem T-Shirt und blauen Zip-Hoodie absolut underdressed. Hätte er sich vielleicht zumindest ein Hemd anziehen sollen? Wohin wollte Victor eigentlich mit ihm? Er hätte sich doch sicher umgezogen, wenn sie einfach nur in ein normales Restaurant gehen würden? Victor bedeutete ihm, einzusteigen und Makkachin bellte im Kofferraum vergnügt und wedelte mit dem Schwanz. „Wo fahren wir eigentlich hin?“, fragte Yūri, als er vor Victor stand. Ein Lächeln huschte Victor über das Gesicht und bevor Yūri reagieren konnte, hatte er kurz seine Lippen auf seine gelegt. Doch so überraschend, wie der Kuss gekommen war, war er auch schon beendet. Doch das reichte natürlich, dass Yūri wieder die Hitze in seinen Wangen spürte. „Guten Abend, Yūri“, säuselte er ihm dann ins Ohr und es kam auch noch Gänsehaut dazu. „Ich hoffe, du konntest dich noch gut erholen.“ Yūri nickte, da er befürchtete, seine Stimme könnte ihn betrügen. „Da freue ich mich den ganzen Tag darauf, dich zu sehen, Любимый, und du schaust mich nicht einmal an?“, schmollte Victor.
 

„Wenn du mich so überraschst“, gestand Yūri und wusste, dass er immer noch knallrot im Gesicht war. Victor schaute ihn kurz an, legte dabei den Kopf schief. „Es war dir unangenehm, oder? Verdammt, ich hätte darauf achten sollen. Es tut mir leid“, sagte er nun und sah dabei ehrlich zerknirscht aus. Yūri wollte auf keinen Fall, dass er sich schlecht fühlte, nur weil er selbst nicht wusste, was er denken oder machen sollte. Und weil Victor es war, der so etwas mit ihm anstellte. Er war sicher, dass jemand, der nur halb so gut aussah wie Victor ihm weniger Berührungsängste bereiten würde. Immerhin stand der wohl attraktivste Mensch der westlichen Hemisphäre vor ihm und küsste ihn einfach in der Öffentlichkeit. Wie hatte es dieser Mann geschafft, Model- und Schauspielagenturen durch die Lappen zu gehen? Doch Victor sah gerade so kleinlaut aus, dass Yūri nicht anders konnte, als eine Hand in seinen Nacken zu legen und ihn für einen weiteren Kuss zu sich hinunter zuziehen. Er bemerkte, dass Victor kurz verdutzt schaute, ihn aber trotzdem gewähren ließ.
 

Als sie sich lösten, grinste Victor ihn an. „Also kein Problem?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue. Yūri schüttelte den Kopf und fügte dann hinzu: „Du hast mich nur überrascht“, gestand er. Victor grinste wieder über beide Ohren und beugte sich zu ihm hinunter „Ich werde dir jede Menge Möglichkeiten geben, um dich daran zu gewöhnen“, flüsterte er und zwinkerte ihm zu, bevor er sich wieder aufrichtete. „Komm schon! Auf, auf!“, grinste er dann und bedeutete ihm, einzusteigen. Yūri fügte sich seinem Schicksal und stieg ein. Während Victor, ganz gentlemanlike, die Tür für ihn schloss, drehte er sich zu Makkachin um und begrüßte ihn. Er bedauerte ein wenig, dass er nicht an ihn herankam, um seinen Kopf zu tätscheln und so wie Makkachin winselte, ging es ihm wohl genauso. „Ich bin wirklich froh, dass vorne auch noch ein Kofferraum ist“, scherzte Victor, als er sich neben ihn gesetzt hatte. „So hat Makkachin jede Menge Platz. Einer der Vorzüge eines Elektroautos“, seine Augen funkelten begeistert und Yūri konnte nicht anders, als auch zu grinsen. Wie ein kleines Kind mit einem neuen Lieblingsspielzeug, schoss es Yūri durch den Kopf.
 

„Also, Victor. Wo geht es hin?“, hakte Yūri nun nach. „Willst du nicht erst noch ein wenig die Fahrt genießen?“, Victor zog eine Augenbraue hoch, doch fokussierte sich voll auf die Straße, was Yūri auch ehrlich gesagt lieber war. „Nun ja, würde ich gerne. Aber ich mache mir zurzeit eher Gedanken, ob wir noch irgendwo anhalten müssen, um mir schickere Klamotten zu besorgen“, gestand Yūri halb ernst, halb im Spaß. „Yūri, du siehst toll aus. Egal ob und was du anhast“, grinste Victor und Yūri verschluckte sich fast. Er sparte sich den bösen Blick, denn Victor schaute ihn ja momentan doch nicht an. Doch nun schienen auch seine Ohren zu kochen. Er rieb sich das Gesicht und seufzte. „Victor, ich meine das ernst“, mahnte er dann. „Oh ja. Ich auch“, das Grinsen wurde breiter. Yūri wusste, dass er auf die Bilder dieses einen verhängnisvollen Abends abzielte. Doch bevor er noch etwas sagen konnte, fuhr Victor fort: „Aber keine Sorge, das ist nur der Anzug von der Arbeit. Um ehrlich zu sein, konnte ich nicht erwarten, dich zu sehen, daher habe ich mich noch nicht einmal umgezogen“, sagte Victor dann und lachte leicht.
 

Yūri beäugte ihn kritisch von der Seite. Wie konnte er so etwas sagen, ohne rot zu werden? War er es gewohnt, so etwas zu sagen? Oder machte es ihm einfach nichts aus? Vielleicht dachte er auch gar nicht so viel darüber nach? Yūri nahm sich vor, später einmal nachzuschlagen, warum man überhaupt rot wurde. Eventuell lag es wirklich nur daran, dass er alles noch einmal überdachte. Dann musste er nur das abstellen. Nun ja, einfacher gesagt, als getan... Er seufzte. „Nein, es ist wirklich nichts Schlimmes“, beharrte nun Victor und Yūri blinzelte verwirrt. Doch dann erkannte er, dass Victor seinen Seufzer womöglich auf die Restaurantwahl bezogen hatte. „Um ehrlich zu sein, wollte ich sogar mit dir wählen, Yūri“, erklärte Victor nun. „Mit mir wählen?“, fragte Yūri. „Ja! Also Katya muss heute Abend wieder arbeiten, also bekommen wir sicher was bei Chartreuse! Aber wenn du etwas anderes ausprobieren möchtest... Vielleicht bekomme ich uns auch bei Vicente unter, das ist kubanische Küche. Und ich kenne den Chefkoch vom London Chop House!“, erklärte Victor. Beim letzten Namen fing Yūri an zu husten. Jetzt hatte er sich tatsächlich verschluckt.
 

Tränen formten sich in seinen Augenwinkeln, während er versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Die ersten beiden Restaurants waren schon nicht ohne, aber das London Chop House war von der Sorte Restaurant, in dem selbst die kleinsten und unkreativsten Vorspeisen 10 Dollar kosteten. „Ich bin ja wohl kaum richtig angezogen für das London Chop House. Außerdem sollst du es nicht übertreiben“, krächzte Yūri, als er sich wieder halbwegs gefangen hatte. „Also Vicente?“, fragte Victor. Yūri wollte gerade zustimmen, als ihm einfiel, dass er einmal an dem Restaurant vorbei gegangen war und draußen auf der Speisekarte keine Preise vermerkt waren. Das war für Yūri immer ein schlechtes Zeichen. „Ich glaube, mir wäre das Chartreuse lieber“, sagte er dann, denn immerhin kannte er dort die Preise. Die waren zwar nicht sonderlich günstig, aber vermutlich günstiger, als die Preise in den anderen beiden Restaurants.
 

„Du möchtest nichts Neues probieren?“ fragte Victor nach. Yūri schüttelte den Kopf. „Du wolltest mit mir über deinen nicht so guten Tag reden. Ich finde, dass sollten wir irgendwo machen, wo man sich auch in Ruhe unterhalten kann“, er versuchte es auf die diplomatische Art, immerhin war Victor so nett und lud ihn schon wieder zum Essen ein. Da konnte er ja schlecht wieder mit der Geldfrage ins Haus fallen, zumal er sich da schon beim letzten Mal blamiert hatte und Victor mehr oder weniger gezwungen hatte, vom Tod seiner Eltern zu erzählen. Und da waren sie noch nicht einmal ein Paar gewesen! „Na gut, da hast du wahrscheinlich recht“, gab Victor zu.
 


 

„Ich glaube nicht, dass dich das zu einem schlechten Menschen macht, Victor“, sagte Yūri, nachdem er ihm von allem erzählt hatte. Nun gut, er hatte natürlich nicht gesagt, dass er Yuri nicht bei sich haben möchte, weil er er das Gefühl hatte, dass es gerade zwischen ihnen beiden gut lief und er Angst hatte, dass sein Bruder es vielleicht kaputt machen könnte. Er hatte es eher auf die Sorge geschoben, ob er überhaupt dafür geeignet war, seinem Bruder eine Obhut zu geben. „Du machst dir einfach Sorgen um das Wohl deines Bruders. Das ist doch eher positiv als negativ. Und selbst wenn nicht, es ist auch nicht verwerflich, manchmal an sich zu denken. Aber ich muss schon sagen, dass ich es schade finde, ich hätte dich gerne als Star der Eiskunstlaufszene gesehen“, grinste ihn Yūri nun an. „Es sei mal dahingestellt, dass ich überhaupt das Zeug dazu gehabt hätte“, lachte Victor.
 

„Das Aussehen und das schauspielerische Talent dazu hast du auf jeden Fall“, grinste Yūri frech und Victor trat ihm leicht unterm Tisch gegen den Fuß. „Ich fasse es nicht. Wer bist du und was hast du mit meinem lieben und süßen Yūri gemacht?“, er legte eine Hand auf den weißen Stoff seines Hemdes, dort wo sein Herz war und sackte zusammen, als hätte ihm gerade jemand ein Messer in die Brust gerammt. „Ja, sag ich doch. Schauspielerisches Talent ist auf jeden Fall da“, grinste Yūri wieder. Tatsächlich war Victor aufgefallen, dass Yūri immer lockerer wurde, je mehr Alkohol er trank. Das war sein dritter Cocktail und mittlerweile schien er richtig aufgetaut zu sein. Er flirtete offen mit ihm und neckte ihn zurück. Victor hoffte inständig, dass sie irgendwann zu dem Punkt kamen, an dem Yūri kein Alkohol mehr brauchte, um so locker und unbekümmert mit ihm umgehen zu können.
 

„Ich frage mich immer noch, was du dem Kerl versprochen hast, dass der uns reingelassen hat. Immerhin ist heute geschlossene Gesellschaft“, Yūri schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Doch dazu gab es eigentlich gar nicht viel zu erzählen. Seit er vor wenigen Wochen mit Yūri hier gewesen war, benutzter er das Restaurant öfters für Treffen in der Mittagszeit, wenn er einen Autor nicht in sein Büro einladen wollte. Die Atmosphäre war lockerer und mit einem guten Essen konnte man schlechte Nachrichten gut abschwächen. Und da Victor nicht gerade ein introvertierter Typ war, war er auch schnell mit dem Besitzer ins Gespräch gekommen. Natürlich hatte ihm dabei auch geholfen, dass der Besitzer eine ausgesprochene Leseratte zu sein schien und ungefähr die Hälfte der Autoren kannte, die er betreute.
 

Victor zuckte mit den Achseln. „Ich sagte dir doch, ich war seit unserem Abendessen das ein oder andere Mal geschäftlich hier. Und da kamen wir ins Gespräch“, zuckte er mit den Achseln. Yūri beäugte kritisch den Besitzer, der gerade am Eingang zur Küche stand und mit einer Kellnerin redete. „Vielleicht steht er auf dich“, sagte er dann und blickte Victor wieder an. Victor konnte sich mit Mühe und Not ein lautes Lachen verkneifen. War Yūri etwa eifersüchtig? Es sah fast so aus. Auf eine eigenartige Weise machte das Victor ein wenig stolz. „Soweit ich weiß, ist er verheiratet und hat Kinder“, schüttelte er dann schlussendlich doch den Kopf. Er wollte nicht gemein sein und am Ende vielleicht noch Yūris Unsicherheit verstärken. „Grund, kein Hindernis“, erklärte Yūri und blickte wieder zu dem Mann zurück.
 

„Yūri, Любимый, hör mir bitte zu“, begann er und griff über den Tisch nach Yūris Hand. „Erstens arbeitet Katya hier, also benimm dich bitte. Und zweites, ich liebe dich. Nicht ihn. Also gibt es keinen Grund, dir darüber Gedanken zu machen.“ Yūri drehte sich wieder zu ihm um und sah Victor tief in die Augen. Victor hätte sich in den Tiefen seiner braunen Augen verlieren können. „Ich liebe dich auch, Victor“, murmelte er dann und wurde plötzlich wieder rot. Von dem kecken Gehabe war mit einem Mal keine Spur mehr. Es irritierte Victor ein wenig und doch fand er es unglaublich faszinierend, dass Yūri zwei Seiten an sich hatte. Die eine Seite war verwegen, telefonierte in einer Sex-Hotline und tanzte fast nackt an einer Stange. Die andere Seite war süß und unschuldig, sodass er ihm manchmal noch nicht einmal in die Augen schauen konnte oder sofort rot wurde, wenn Victor ihn neckte. Auf jeden Fall war Yūri für ihn alles andere als langweilig.

Da müssen wir uns etwas einfallen lassen

Makkachin hatte zwar die ganze Zeit brav auf seinem Platz neben dem Tisch gelegen, doch Victor wusste, dass es langsam Zeit zum Gehen war. Yūri war fast fertig mit seinem Cocktail, dem Vierten, und die Röte blieb offenbar nun dauerhaft in seinem Gesicht. „Wir sollten langsam los“, sprach er seine Gedanken aus. Yūri nickte und trank sein Glas leer. „Heute teilen wir uns die Rechnung aber auf“, sagte er dann. „Tut mir leid, da bin ich dir schon zuvor gekommen“, grinste Victor breit und schüttelte den Kopf. „Wann hast du denn bezahlt?“, fragte Yūri blinzelnd. „Als ich auf Toilette gegangen bin“, erklärte er und stand auf. „Victor, du kannst mich nicht ständig einladen“, Yūri runzelte die Stirn und guckte ihn etwas missbilligend an. „Das war das Dankeschön für deine Hilfe beim Autokauf“, schlug Victor vor, doch ein Blick in Yūris Gesicht zeigte, dass die Ausrede nicht half. „Das hast du schon“, bemerkte Yūri.
 

„Hmmm...“, Victor legte überlegend einen Finger an die Lippe. „Dann als Entschuldigung, dass ich dir reingefahren bin?“ „Du warst mit mir im Bücherladen und hast mich danach zum Essen eingeladen“, konterte Yūri wieder, stand jetzt aber auch auf und zog sich den Hoodie wieder an. „Als Dankeschön, dass ich bei dir schlafen durfte?“, grinste Victor jetzt, als er in die Anzugsjacke schlüpfte. „Wenn überhaupt müsste ich dich einladen, weil du dich um mich gekümmert hast“, seufzte Yūri. „Nein, musst du nicht. Ich habe mich ja praktisch aufgezwungen“, lachte Victor leise und hielt Yūri, der Makkachin an der Leine hatte, die Tür auf. „Ja, da hast du schon recht. Aber ich war trotzdem froh drum“, lachte Yūri ebenfalls. Victors Herz machte bei diesem kleinen Geständnis einen kleinen Satz vor Freude. Natürlich hätte Yūri ihn wohl irgendwann rausgeworfen, wäre er ihm zu sehr auf die Pelle gerückt, aber die Bestätigung zu hören, dass er alles richtig gemacht hatte, war einfach viel besser. „Was hältst du davon, wenn wir jetzt heimfahren und dann noch eine Runde mit Makkachin gehen? Wir bringen dich dann heim.“
 


 

Yūri genoss die frische Luft und die warme Hand von Victor in seiner. Makkachin lief fröhlich vor ihnen auf dem Weg herum, doch nur soweit, wie die Leine reichte, die Yūri mit der anderen Hand hielt. Victor hatte ihm erklärt, dass er Makkachin im Hellen gerne mal ohne Leine laufen ließ, aber niemals im Dunkeln. Eigentlich wünschte sich Yūri, dass dieser Abend nicht so schnell vorbei gehen würde. Allerdings musste er zugeben, dass er langsam müde wurde. Außerdem wollte er am nächsten Tag wieder zur Uni. Eigentlich wollte er auch nach einem oder zwei kleinere Aufträge schauen, aber das hatte er vorerst verworfen. „Wann kommt denn morgen dein... Bruder, Cousin? Wie soll ich ihn nennen?“, fragte er und war leicht verunsichert, da Victor ihn sowohl Cousin als auch Bruder nannte. „Ach, das ist eigentlich egal. Nenne ihn am besten beim Namen, wobei das wohl auch zu einigen Missverständnissen führen würde. Mein Onkel sagte schon, dass wir uns was einfallen lassen müssen“, lachte Victor und fuhr dann fort: „Er wird so gegen 14 Uhr da sein. Ich hole ihn am Bahnhof ab.“
 

„Mit der Katze Bahnfahren?“, fragte Yūri entgeistert. „Ja, er wollte wohl nicht warten, bis mein Onkel oder ich ihn abholen kann. Aber ich denke, mit Potya geht das. Auch wenn es ihm nicht in den Kram gepasst hätte, hätte er gewartet, wenn das zu viel Stress für seine Katze gewesen wäre“, sagte Victor und klang auch so, als wäre er davon überzeugt. Das beruhigte Yūri ein wenig. Er hätte eher gedacht, dass das eine Qual für ein Tier wäre, aber das ist auch sicherlich von Tier zu Tier unterschiedlich. „Wenn ich morgen irgendwie helfen kann, sag mir Bescheid. Ich helfe gerne“, bot Yūri an. Victor drückte seine Hand. „Vielen Dank, Yūri. Es kann gut sein, dass ich darauf zurückkomme. Ich wollte mit Yūri Möbel aussuchen gehen und zumindest das Bett müssten wir noch aufbauen, bevor es Abend wird“, lachte Victor. „Möbel aussuchen? Wie lange bleibt er denn? Ich dachte, das wäre nur vorübergehend“, fragte Yūri verwirrt. „Ja, das stimmt schon. Aber ich dachte, dass ich das eine Zimmer dann als richtig eingerichtetes Gästezimmer verwenden könnte. Zurzeit steht ja nur viel Zeug von mir herum und eine alte Schlafcouch. Das ist vielleicht mal ein guter Grund, den Raum sinnvoller zu nutzen. Außerdem soll er sich ja auch wohlfühlen, egal für wie lange es ist“, erklärte Victor.
 

Und du fragst dich allen Ernstes, ob du ein guter Bruder bist, nur weil du dich nicht vollständig darüber freuen kannst, dass er vorbeikommt?, fragte sich Yūri. Victor war ganz offensichtlich jemand, der alles für seine Familie oder Freunde tat. Yūri fragte sich, wie der andere Yuri wohl sein würde. Ob die Verwandtschaft mit Victor augenscheinlich war? Vielleicht war die Haarfarbe eine erbliche Sache? Hatte er auch so eine offene Art? Wobei Victor ihn ja schon vorgewarnt hatte, dass er momentan in so etwas wie einer Trotzphase sei. „Vermutlich wird Otabek auch noch helfen kommen, also sollten wir zumindest das Bett aufgestellt bekommen“, riss ihn Victor aus den Gedanken. Kurz musste Yūri überlegen, wo er den Namen schon einmal gehört hatte. Als er die Verbindung zu Katya machen konnte, nickte er. Sie blieben vor der Haustür stehen. Victor nahm ihm behutsam die Leine aus der Hand, jedoch nicht ohne möglichst viel Körperkontakt dabei aufzunehmen. „Gute Nacht, Victor“, lächelte Yūri zu ihm hinauf, schlang seine Arme um seinen Hals und stellte sich auf die Zehenspitzen. Victor ließ sich nicht lange bitten. Yūri hätte noch Stunden so verbringen können, doch nach einer Weile löste er sich ein wenig widerwillig von ihm. „Gute Nacht, Любимый“, lächelte Victor. Hatte seine Stimme ein wenig heiser geklungen?
 


 

„Das war es soweit, Sara", erklärte Victor und legte ein paar Briefe auf ihren Schreibtisch. „Wenn etwas ist, rufe ich an, ich weiß“, sagte Sara mit einem Lächeln. Sie beide wussten, dass sie nur anrufen würde, wenn das Büro in Flammen stehen würde. Oder Alan aufkreuzen würde, was allerdings fast gleichbedeutend zu einem brennenden Büro war. Victor würde nie ihr Gesicht vergessen, als er ihr erzählt hatte, dass Alan die vollen zwei Stunden signieren würde und sogar Fotos erlaubt hatte. Doch wie er das geschafft hatte, würde er für sich behalten. Das hatte nichts damit zu tun, dass er sie nicht einweihen wollte, aber je mehr Mitverschwörer, desto höher war auch die Gefahr, dass sich einer verplapperte. Und diese Methode funktionierte einfach zu gut, als dass er sie fahrlässig zum Scheitern bringen wollte.
 

Als der Fahrstuhl in der Tiefgarage hielt und sich die Türen öffnete, war er nicht sonderlich überrascht, seinen Onkel dort anzutreffen. „Ah, Vitya! Da bist du ja“, grüßte er ihn mit seinem typischen, grummeligen Lächeln. „Schön, dass du dir die Zeit verschaffen konntest, Yuri am Bahnhof abzuholen“, sagte Victor ehrlich. Immerhin konnte Yakov Yuri nun jeden Tag sehen und der Onkel, den er noch aus seiner Jugend kannte, war zwar immer nett und in einem gewissen Maße auch liebevoll gewesen, aber war immer nur selten zu Besuch gekommen. Oftmals gab es zum Geburtstag nur ein Paket von ihm und nur zu zwei oder drei Feiertagen hatte er sich zu ihnen bemüht. Doch das hatte vermutlich auch mehr an seiner Tante gelegen, da für sie die Religion sehr wichtig war. Mehr als das sogar, in Victors Augen ging es teilweise schon in Richtung Fanatismus. Auch ein Grund, warum er lieber einen Bogen um das Haus von seiner Tante machte.
 

Doch Yakov hatte sich ein wenig geändert, seit seine Frau sich von ihm getrennt hatte. Lilia arbeitete immer noch als seine Sekretärin im Unternehmen und sie schätzten sich auf einer beruflichen Ebene, doch die Liebe sei verblasst, da er sich nie Zeit für seine Liebe genommen hatte. Vermutlich war es die Sache, die er am meisten an seinem Leben bedauerte, vermutete Victor. Denn jedes Mal, wenn das Gespräch in Richtung Beziehung ging, war der Sinn hinter Yakovs Aussagen immer gleich: Die Arbeit ist nicht das Wichtigste im Leben. Und das aus dem Mund des Gründers eines erfolgreichen Verlags.
 

Schweigend waren sie in Victors Auto eingestiegen. „Das war eine sehr gute Wahl“, nickte Yakov anerkennend und fuhr mit seiner Hand über das Eschenholz-Dekor. „Aber dunkelblau metallic? Ich hätte eher mit schwarz gerechnet“, fragte er, als Victor losfuhr. „Ich hatte die Wahl zwischen schwarz und dunkelblau. Dunkelblau hat mich irgendwie an Yūri erinnert“, gestand Victor. „Yuri?“, wiederholte Yakov irritiert. „Ja“, gab Victor zurück und fokussierte sich auf die Straße. „Ist das seine Lieblingsfarbe?“, fragte Yakov nachdenklich. „Gut möglich. Er trägt oft blau“, gab Victor zurück. „Ach, wirklich? Ich hätte jetzt eher schwarz mit ihm in Verbindung gebracht. Oder blau-grün, wie seine Augen“, erklärte Yakov nachdenklich. Victor hätte beinahe vor Überraschung auf die Bremse getreten. „Nein! Ich meine... ähm... meinen Yūri. Nicht unseren Yuri“, die Bezeichnung fand selbst er ein wenig komisch, aber er wusste nicht, wie er es besser ausdrücken sollte. „Achso!“, Yakov schien ein Licht aufgegangen zu sein und er lachte leise. Sein Kopfschütteln konnte er aus dem Augenwinkel sehen. „Da müssen wir uns etwas einfallen lassen. Das geht auf Dauer wirklich nicht gut“, schnaubte er danach. Da konnte Victor nur zustimmen.
 


 

Es zahlte sich früher als erwartet aus, dass sein Auto einen zweiten Kofferraum hatte. Auf dem Weg vom Bahnhof zu Victors Wohnung hatten sie bei der Tierhandlung seines Vertrauens Halt gemacht, da Yuris Katze noch allerlei Zubehör benötigte. Daran hatte Victor auf die Schnelle nicht gedacht gehabt. Sein Fehler war gewesen, dass er mit Potya im Wagen geblieben war, während sein Bruder und sein Onkel sich um den Einkauf kümmerten. Nun kamen sie nicht nur mit jeder Menge Spielzeug und Futter aus dem Laden, sondern hatten auch noch einen riesigen Kratzbaum gekauft. Victor vergrub das Gesicht in seinen Händen. Seine schöne Wohnung! Wo sollte dieses Monstrum nur hin? Und der Kratzbaum war noch nicht einmal aufgebaut. Der Karton alleine war ungefähr so groß wie Victor. Die große Schrift wies ihn als 'Naturkratzbaum' aus und das Bild zeigte tatsächlich einen Kratzbaum, der wohl einem echten Baum nachempfunden sein sollte. Was aber in Victors Augen gar nicht ging, waren die Bezüge der Sitzflächen. Wie konnte es auch anders sein: Tigerstreifen. Eines war sicher, das Ding würde sie in Yuris Zimmer aufstellen.
 

Wie konnte ein junger Mann wie Yuri so wenig Modebewusstsein haben?, fragte sich Victor nicht zum ersten Mal. Vor einigen Jahren hatte er ihm an den Kopf geworfen, dass er aussah, als wäre er in einen Müllcontainer von H&M gefallen. Das hatte ihm Yuri lange übel genommen. Doch vermutlich verstand Victor diesen Kleidungsstil einfach nicht. Immerhin war er jemand, der sich eher stundenlang beim Schneider für einen neuen Maßanzug aufhalten konnte, statt durch irgendwelche Läden zu bummeln. Die letzte Einkaufstour mit Chris hatte ihm schon gereicht, wobei er wahrscheinlich durchaus gefallen daran finden konnte, wenn Yūri an seiner Seite war. Allerdings blieb ihm nicht mehr Zeit, diesen überraschend erfreulichen Gedanken nachzugehen, denn das Auto war fertig beladen und so konnten sie die letzten Meter zur Wohnung zurücklegen.
 

Als er auf seinen Parkplatz in der Tiefgarage unter dem Wohnkomplex fuhr, stellte er erfreut fest, dass bereits die Ladestation für sein Auto installiert worden war. Manchmal war es von Vorteil, wenn es eine Hausverwaltung gab, die sich um all das kümmerte. Sie luden die Sachen vom Auto in den Lastenaufzug und gingen in die Wohnung. Potya schien langsam unruhig zu werden, daher richteten sie erst einmal das Katzenklo her und setzten sie hinein, damit sie wusste wo sie ihr Geschäft erledigen konnte. „Schau dir am besten Mal die beiden Zimmer an, Yuri. Such dir eins aus“, bot Victor freimütig an, hoffte jedoch, dass er nicht sein Trainingszimmer nahm. Er hatte nicht wirklich Lust, die Gerätschaften durch die halbe Wohnung zu schieben.
 

Murrend ging Yuri zuerst in das Gästezimmer/Abstellraum. Es waren keine 10 Sekunden vergangen, da kam er schon hinaus. „Das nehme ich“, sagte er. „Du hast das andere noch gar nicht gesehen“, gab Victor zurück. „Das verschissene andere Zimmer kann wohl kaum besser sein, oder?“, blaffte er dann. Victor hob die Hände, als Zeichen seiner Kapitulation. „Ist ja gut, deine Entscheidung“, sagte er dann. Er blickte zu Potya, die langsam durch die Wohnung lief. Makkachin lag danach müde auf dem Sofa und blickte dem Treiben verschlafen zu. Man merkte, dass zu dieser Uhrzeit normalerweise niemand zu Hause war, denn sonst wäre Makkachin beim Anblick von Yakov und Yuri ausgeflippt. So wedelte nur der Schwanz träge und er gähnte lautstark.
 

„Meinst du, wir können die beiden später alleine lassen oder sollen wir Makkachin zum Möbelkaufen mitnehmen?“, fragte Victor Yuri. Natürlich würde er ihn lieber mitnehmen, aber Möbelkaufen mit Yuri versprach eine heikle Angelegenheit zu werden, daher war er sich nicht sicher, ob er es ihm vielleicht ersparen sollte.
 

„Der Raum muss noch eingerichtet werden?“, fragte Yakov. „Ja, bisher steht nur eine alte Schlafcouch drin. Also dachte ich mir, wenn das Zimmer neu eingerichtet werden muss, dann kann Yuri auch die Sachen mit aussuchen“, erklärte Victor seinen Plan und sein Onkel nickte zustimmend. „Ich darf die Möbel aussuchen?“, hakte Yuri nach. „An sich ja, aber ich habe das letzte Wort“, stellte Victor mit erhobenem Zeigefinger klar. „Pah“, schnaubte Yuri und verschränkte die Arme vor der Brust. „Kommt ihr klar mit Allem?“, fragte nun Yakov und blickte sich um. Endlich streckte sich Makkachin und sprang von dem Sofa, um schnurstracks zu Yakov zu laufen. Der beugte sich hinab und tätschelte lächelnd den Kopf des Hundes. „Ja, klar. Der Nachbar hilft uns sicher beim Aufbauen der Möbel und Yūri hat sich ja auch schon angeboten“, winkte Victor ab.
 

„Was hab ich?“, keifte Yuri während Yakov überrascht aufblickte. „Also... der andere Yūri“, gab Victor entnervt zurück. „Grundgütiger, wir müssen uns da wirklich was einfallen lassen. Da blickt doch keiner mehr durch“, Yakov grummelte und lachte gleichzeitig. Yuri stand nur da und war sichtlich verwirrt. Victor legte den Kopf schief und berührte mit dem Finger seine Lippe, während er überlegte. Dann hatte er eine Idee. Er zeigte auf Yuri. „Ab heute nennen wir dich einfach Yurio!“, verkündete er fröhlich, als wäre das die Lösung aller Probleme dieser Welt. Er war mächtig stolz auf sich. „Das ist nicht mein Name!“, keifte Yurio zurück. „Ältestenrecht. Yūri ist älter als du“, beschloss Victor einfach. „Dann wäre das ja erklärt und ich kann wieder zur Arbeit“, lachte Yakov dröhnend, sichtlich amüsiert darüber, wie Yurio wegen seinem neuen Spitznamen förmlich vor Wut schäumte.

König des Kitschs

Sie hatten sich entschieden, noch ein bisschen zu warten, bevor sie ins Möbelhaus fahren würden. Daher saßen sie nun inmitten der Einzelteile des Kratzbaumes, Yurio hantierte mit der Bauanleitung und fluchte dabei lautstark, Victor hingegen sortierte erst einmal die Schrauben, Muttern und Unterlegscheiben. Nur mit Mühe und Not schaffte er es, Potya davon abzuhalten, mit den Kleinteilen zu spielen. Natürlich hatte sie gerade diesen Moment ausgewählt, um Yurios neues Zimmer zu erkunden. Das war wieder so ein Moment, in dem er erkannte, warum er lieber einen Hund hatte: Katzen waren so verdammt eigensinnig und launig. Und wenn man ihnen nicht ihren Willen ließ, waren sie eingeschnappt oder wurden richtig kratzbürstig. Potya meckerte ihn in diesem Fall allerdings nur an und zeigte ihm die kalte Schulter. Das war Victor nur recht, schließlich musste er dann nicht aufpassen, dass sie eine Schraube oder Ähnliches verschluckte. Yurio würde Hackfleisch aus ihm machen, würde das passieren, da war er sich sicher.
 

Da lobte er sich doch Makkachin, der völlig ungerührt auf der Schlafzimmercouch döste und nur ab und an mal aufschaute, wenn Yurio besonders lautstark fluchte. Makkachin hatte sowohl Yurio als auch Potya ziemlich direkt erkannt. Makkachin kannte Potya schon lange, Yurios Katze war praktisch mit ihm groß geworden. Da Makkachin während seines Studiums bei seiner Tante hatte bleiben müssen, was natürlich für einige Verstimmungen bei ihr gesorgt hatte, doch nun war es von Vorteil, dass sie nicht schon viele Jahre von einander getrennt gewesen waren. Und jedes Mal, wenn Victor doch nicht daran vorbei gekommen war, seine Familie zu besuchen, hatte er natürlich auch Makkachin mitgenommen. Nur einmal hatte er ihn bei Tursunbajs gelassen, da sie die meiste Zeit seines Besuchs bei einem Wettkampf von Yurio gewesen waren und Hunde in der Eishallte nicht erlaubt gewesen waren.
 

Er nahm sich den größeren der beiden Standfüße und begann, das erste Element darauf zuschrauben. Yurio gab einen eigenartigen Laut von sich und pampte ihn dann an: „Lass das! Du weißt doch gar nicht, ob das dahin gehört! Du machst den ganzen Scheiß kaputt!“ Victor rollte mit den Augen. „Erstens macht man etwas nicht gleich kaputt, weil man es falsch zusammenschraubt. Zweitens gibt es zwei verschieden große Standfüße und laut dem Bild auf dem Karton gehört der Stamm mit der Abzweigung auf den großen Standfuß“, dabei deutete er auf den Karton in der Ecke. Yurio blinzelte und schaute von Victors Arbeit zum Karton und zurück. Dann landete die Bauanleitung in Victors Gesicht. „Wenn du alles besser weißt, mach es doch alleine!“ Damit verschwand er aus dem Zimmer. Seufzend machte sich Victor an die Arbeit.
 


 

Yūri kam gerade aus der Dusche und trocknete sich die Haare, als er sein Handy klingeln hörte. War es vielleicht Phichit? Leo, JJ oder ein anderer seiner Freunde mit dem Vorschlag, mal wieder um die Häuser zu ziehen? Victor, der sein Angebot zum Möbelaufbauen annahm? Der Name auf dem Display ließ sein Herz vor Freude hüpfen. „Victor! Wie läuft es?“, fragte er fröhlich. „Ist es eine Straftat, einen Minderjährigen in der Öffentlichkeit den Arsch zu versohlen?“, ertönte Victors Stimme mit einem Hauch Verzweiflung. „Durchaus möglich. Du solltest also besser damit drohen, ihn ohne Abendessen ins Bett zu schicken“, scherzte Yūri. „Das würde ich ja, aber in dem Alter ist das nicht mehr so einfach. Aus Trotz bestellt er bestimmt 5 Partypizzen auf meinen Namen. Sie werden ja so schnell groß“, schniefte Victor theatralisch ins Telefon. Yūri musste lachen. „Wo seid ihr gerade? Soll ich dir zur Hilfe eilen?“, bot Yūri an. „Nein, nein. Ich warte gerade nur, dass Yurio fertig ist. Wusstest du, dass Animal-Print scheinbar wieder in Mode gekommen ist? Hätte ich das gewusst, wäre ich alleine einkaufen gefahren“, lachte Victor, doch es klang wirklich ein wenig genervt. Doch die Sache, die Yūri am meisten verwirrte, war eine Andere: „Yurio?“ „Ach, ja. Mein Onkel und ich haben ihm den Spitznamen gegeben, damit wir dich nicht mit ihm verwechseln“, Yūri konnte deutlich das Grinsen aus Victors Stimme heraushören.
 

„Dein Onkel weiß von uns?“, fragte Yūri verblüfft. Victor hatte gar nichts davon erzählt. „Huch?!“, kam es von Victor und gerade als Yūri fragen wollte, ob da noch was kam, fuhr Victor fort: „Tut mir leid, das hätte ich dir sagen sollen. Das ist vor lauter Yurio untergegangen. Mein Onkel hat uns gesehen, als wir gemeinsam spazieren gegangen sind, als du krank warst. Da war nicht mehr viel zu leugnen. Aber keine Sorge, für ihn ist das in Ordnung und wenn du möchtest, stelle ich ihn dir irgendwann einmal vor.“ Hörte er so etwas wie Unsicherheit in Victors Stimme? Oder was war das gerade? Und vor allem, warum? Aber irgendwas sagte Yūri, dass er das Thema vielleicht einfach mal persönlich ansprechen sollte, wenn er Victors Gesicht sehen konnte. „Ach so“, antwortete er daher unverbindlich. „Und du rufst extra an, um dich über deinen Bruder zu beschweren?“, versuchte Yūri das Thema zu wechseln und hoffte, dass Victor es zuließ. Es war irgendwie komisch, jetzt schon daran zu denken, Victors Familie kennenzulernen. Dass er nun bald vor seinem jüngeren Bruder/Cousin stand, fand er schon irgendwie eigenartig.
 

„Nein, um ehrlich zu sein, ist eben ein Lied gelaufen, das mich an dich erinnert hat“, gestand Victor nun mit einem fröhlichen Lachen. „Und welches genau?“, Yūris Neugierde war geweckt. „Kennst du von Florence + The Machine 'You've Got the Love'?“, fragte Victor. Yūri kannte das Lied durchaus: Es ging im Prinzip um Liebe und dass man dank ihr auch schwierige Situationen und Momente überwinden konnte. Einerseits wurde ihm bei diesem Bekenntnis warm ums Herz, andererseits war es typisch Victor – ein wenig übertrieben und kitschig. „Manchmal glaube ich, du bist der König des Kitschs“, gestand ihm Yūri lachend seine Gedanken. „Ich bin nicht kitschig!“, echauffierte sich Victor. „Nein, überhaupt nicht“, erwiderte Yūri sarkastisch und fügte hinzu, bevor Victor antworten konnte: „Was macht dein Bruder?“ „Er füllt den Einkaufswagen... Kissen mit Tigerstreifen... Bilder auf Leinwänden mit Tigern drauf... Eine Decke in Tigerstreifen... Himmel, es gibt sogar Handtücher mit dem Muster?! Yūri! Der verunstaltet meine Wohnung! Was soll ich tun?“, nun klang es schon eher nach echter Verzweiflung. „Gibt es nicht irgendetwas, womit du ihn möglichst bald aus dem Laden bekommst?“, fragte Yūri. „Любимый! Du bist meine Rettung“, rief Victor aus. „Ich wusste es doch! 'Sometimes I feel like throwing my hands up in the air I know I can count on you'“, zitierte er dann noch den Beginn des eben erwähnten Liedes. „Sag ich doch, König des Kitschs. Aber jetzt beeile dich und hole ihn daraus, sonst findet er noch die Duschvorleger! Ich bin in einer Stunde bei dir“, lachte Yūri. Victors einzige Antwort war ein verzweifeltes Seufzen.
 


 

Yūri stand ein wenig verloren vor der Tür. Von Victor war keine Spur und auch auf sein Klingeln reagierte niemand. Yūri machte sich keine Gedanken, das bedeutete eben nur, dass sie noch nicht zurück waren. Er überlegte nur, ob er einfach noch etwas warten sollte oder wieder nach Hause gehen und darauf warten sollte, dass sich Victor meldete. Noch während er am Überlegen war, riss ihn eine weibliche Stimme aus den Gedanken. „Yūri?“ Er drehte sich überrascht um und sah, wie Katya vor ihm stand. Sie lächelte ihn an und umarmte ihn herzlich, womit er nicht gerechnet hätte. Er fühlte sich steif und ungeschickt dabei. „Hallo Katya“, lachte er etwas verlegen, als sie ihn wieder losließ. „Wolltest du zu Vitya?“, fragte sie lächelnd. „Aber er ist mit seinem Bruder noch nicht zurück vom Möbeleinkauf“, nickte Yūri. „Soll ich dich reinlassen? Wir haben ja Vityas Wohnungsschlüssel“, bot sie an. Was sollte Yūri davon halten? Er konnte doch nicht einfach uneingeladen seine Wohnung betreten, oder?
 

Sie musste sein Zögern erkannt haben, denn sie lächelte ihn an. „Keine Sorge, Vitya hat sicher nichts dagegen. Immerhin seid ihr ja jetzt zusammen“, ihre Augen funkelten dabei und er spürte sofort die Hitze in seine Wangen steigen. Dann zwinkerte sie ihm verschwörerisch zu und sagte: „Ich kann dir auch von Vitya erzählen! Immerhin ist er schon ein paar Jahre unser Nachbar.“ Danach kicherte sie vor sich hin und zog ihn am Arm mit sich. Yūri nickte verlegen, wusste aber, dass er sie nicht einfach über Victor ausfragen konnte. „Ich bringe noch gerade meine Sachen rein und hole den Schlüssel“, verkündete sie, ließ ihn los und war dann auch schon in der Wohnung ihrer Familie verschwunden. Die Tür stand auf, doch Yūri fand es unhöflich, würde er versuchen, hineinzuschauen. Also stand er nun schon wieder wie bestellt und nicht abgeholt vor einer Tür.
 

„Katya? Du bist schon wieder da?“, hörte er eine männliche Stimme, die sicherlich zu diesem Otabek gehörte. „Ja, aber ich gehe direkt weiter zu Vitya. Yūri wartet auch schon vor der Tür“, sagte sie. „Wirklich?“, Otabek klang überrascht. Als Yūri aufblickt, stand ein schwarzhaariger, junger Mann vor ihm. Er zuckte ein wenig erschrocken zusammen. „Ach, der Yūri. Ähm... nicht für ungut“, nickte er und verschwand dann wieder in der Wohnung, was Yūri nur noch mehr verwirrte. Katya kam lachend aus der Tür. „Hast du wirklich gedacht, es wäre dein Yuri? Der hätte dir bestimmt sofort Bescheid gegeben“, kicherte Katya. „Er ist nicht mein Yuri! Und er könnte es auch vergessen haben, so oft schreiben wir ja nicht“, kam es mürrisch von Otabek zurück. „Heh. Ja, genau“, lachte Katya. „Halt die Klappe und sag einfach Bescheid, wenn Yuri da ist“, kam es aus der Wohnung, bevor die Tür ins Schloss fiel. Das war jetzt echt mal seltsam, dachte Yūri.
 

„Sind Yuri und Otabek befreundet?“, fragte Yūri, während Katya die Tür zu Victors Wohnung aufschloss. „Ja, Yūri war vor Kurzem hier und hatte einen Eiskunstlauf-Wettkampf. Seitdem sind sie dicke Freunde, habe ich den Eindruck. Sie reden vermutlich oft über Musik, die Yuri bei einer Gala oder auch schon nächstes Jahr nehmen könnte. Und sie spielen auch regelmäßig irgendwelche Videospiele gegeneinander. Deswegen ist es die Untertreibung des Jahrhunderts, wenn Beka sagt, dass sie nicht oft schreiben“, lachte sie und drückte die Tür auf. Als sie eintraten, zeigte sich ein niedliches Bild. Makkachin lag zusammengerollt auf dem Sofa und an ihm geschmiegt lag die Katze seines Bruders... Potya, wenn er sich richtig erinnerte. Beide schliefen oder dösten zumindest, denn Makkachin öffnete die Augen, als sie hereinkamen. Yūri zog seine Jacke aus und hing sie an die Garderobe, während Katya schnurstracks in die angrenzende, offene Küche ging und einen Schrank öffnete. „Möchtest du was trinken?“, fragte sie über die Schulter. „Ja, Wasser wäre super“, antwortete Yūri und fragte dann: „Du kennst dich gut in der Wohnung aus.“
 

Katya nickte, als sie eine Flasche Wasser öffnete. „Weißt du, als Vitya vor ungefähr 5 Jahren hierher gezogen ist, hat meine Mutter jeden Abend gearbeitet. Und da ich eine kleine fiese Göre war, wollte sie mich nicht alleine lassen. Da kam der junge, charmante Nachbar, der einfach nicht 'Nein' sagen kann, gerade gelegen“, lachte sie freimütig. Yūri zog die Augenbraue hoch, als Katya ihr das Glas Wasser reichte, dann setzte er sich neben Makkachin und kraulte seinen Kopf. „So schlimm warst du?“, hakte er nach. „Richtige Kackbratze“, lachte Katya und schüttelte über sich selbst den Kopf. „Aber Vitya hat mir wirklich nichts durchgehen lassen. Ich konnte alles von ihm haben, wenn ich lieb war, aber wenn ich garstig war, musste ich in der Ecke sitzen“, dabei deutete sie auf den kahlen Flur, „und durfte erst nach einer halben Stunde wieder mit ihm sprechen. Er hat immer einen Timer gestellt.“ „Das klingt aber schon ziemlich fies von ihm“, gestand Yūri. „Nein, gar nicht! Er hat es erst lieb und nett versucht, ich glaube im Nachhinein, dass ich ihm gar keine andere Chance gelassen habe. Außerdem hat er sich oft Arbeit mit nach Hause genommen und hat trotzdem immer die Hausaufgaben mit mir gemacht. Aber ich war total verwöhnt und, nun ja, voll in der Pubertät“, sie lachte. „Aber dadurch habe ich meine Liebe zu Büchern entdeckt. So eine halbe Stunde kann furchtbar langweilig werden und Vitya hat so viele Bücher“, sie deutete auf das große, gefüllte Bücherregal. „Und das sind noch nicht alle“, fügte sie verschwörerisch hinzu.
 

„Also hast du deine Zeit bei ihm nicht gehasst?“, stellte Yūri erleichtert fest. „Am Anfang absolut. Ich habe so getan, als wäre ich krank, damit meine Mutter die Arbeit absagt. Das gab aber noch viel mehr Ärger. Also musste ich es akzeptieren und nachdem ich kapiert habe, dass Vitya einen wesentlich dickeren Schädel hat als ich, lief es dann auch ganz gut“, sie lachte wieder. „Was sich alles in 5 Jahren ändern kann. Jetzt ist mir das tatsächlich ein wenig peinlich“, gestand sie. „Aber das erklärt, warum ihr so familiär miteinander umgeht. Ich fand das überraschend, aber auch schön. Sonst ist ja viel in dieser Stadt sehr anonym. Ich kenne selbst in meinem Haus einige Nachbarn nicht wirklich“, lachte Yūri. „Ja, Vitya ist für mich eigentlich wie ein Bruder. Als er neu eingezogen ist, habe ich eine Art kindliche Schwärmerei für ihn gehegt, aber ich muss dir ja nicht erzählen, dass er verdammt gut im Anzug aussieht“, grinste sie schelmisch. Yūri musste ihr einfach zustimmen. „Aber sag mal, du nennst ihn 'Vitya'. Ist das eine Art Spitzname?“, diese Frage hatte ihn schon länger beschäftigt. „Ja! Das ist eine Koseform. Du solltest ihn unbedingt auch so nennen“, Katya klatschte aufgeregt in die Hände. Yūri fragte sich, ob sie sich einfach nur ehrlich für Victor freute oder ob die Fujoshi-Welle mittlerweile auch Amerika erreicht hatte. Doch er vermutete wirklich, dass es einfach die pure Freude war.
 

„Ich überlege es mir“, er hatte gemerkt, dass er wieder rot geworden war. Es war für ihn wirklich schwierig, mit anderen über seine Beziehung mit Victor zu sprechen, vor allem da er noch so wenig über ihn wusste. Aber eigentlich war das doch gerade die perfekte Möglichkeit, ihr ein paar Fragen zu stellen, oder? Vielleicht wusste sie, wie er aufgewachsen ist? Oder so profane Sachen wie Lieblingsessen, Lieblingsgetränk, Lieblingsfarbe... Er wusste, dass er Karamell sehr gerne mochte, aber sonst? Oder was er gar nicht mochte. Vielleicht konnte sie ihm etwas zu dem Verlag sagen, bei dem Victor arbeitete. Immerhin hatte er ihr auch schon Bücher mitgebracht, richtig? Er nahm gerade Luft, als Katya aufsprang. „Ich habe mein Handy drüben vergessen! Bin gleich wieder da!“ Damit war sie auch schon aus der Tür hinaus und ließ Yūri zurück. Der starrte die Tür an und überlegte sich schon einmal mögliche Fragen. Er wollte nicht, dass er zu überhastet oder seltsam wirkte.
 

Als er etwas an seinem Bein spürte, zuckte er ein wenig zusammen. Doch der Blick verriet ihm, dass Potya ihm gerade ihre Krallen in das Bein jagte. Er war froh, dass seine Jeans relativ dick war, sodass er die spitzen Krallen kaum spürte. Behutsam kraulte er auch der Katze den Kopf, die sich sichtlich zufrieden auf seinem Schoß zusammenrollte und laut schnurrte. So saß nun Yūri ein wenig verloren auf dem Sofa. Mit der rechten Hand kraulte er Potya auf seinem Schoß und wurde mit Krallen in seinem Bein bestraft, sobald er langsamer wurde und mit der linken Hand kraulte er Makkachin, der sich gegen seine Seite gekuschelt hatte.
 

Nur kurze Zeit später hörte er, wie die Tür aufgeschlossen wurde. Er wollte Katya schon fröhlich begrüßen und einen Scherz darüber machen, dass er jetzt vollends belagert war, doch die Person, die eintrat war etwas kleiner als Katya, hatte blonde Haare und grün-blaue Augen, die ihn verärgert anschauten. “Hey alter Knacker, da ist ein Einbrecher in deiner Wohnung”, schnaubte er über die Schulter. “Warum sollte ein Einbrecher-”, auf Victors Stimme folgte nun auch sein Gesicht. Er sah erledigt aus, doch sein Gesicht hellte sich auf, als er ihn sah. “Yūri!”, rief er erfreut aus, kam einen Schritt näher und schien dann erst zu sehen, dass er von Makkachin und Potya belagert wurde. “Wie ich sehe, bist du schon voll akzeptiert”, lachte er und blieb stehen. Es lag etwas in Victors Mimik, das Yūri nicht ganz deuten konnte, aber es schien durchaus positiv zu sein.
 

Der Zauber des Augenblicks wurde zerstört, als sich der blonde Junge an Victor vorbei schob und ihn dabei unsanft anrempelte. “Wegen dir habe ich also jetzt diesen bekackten Spitznamen, ja?”, keifte er und blickte dann zwischen ihm und Victor kurz hin und her. “Ich kapier schon. Das ist also dein Stecher? Widerlich!” Damit pflückte er Potya von Yūris Schoß, die es aber gar nicht so gerne wollte und sich kurz versuchte, mit den Krallen in Yūris Jeans und Beinen zu wehren, aber schlussendlich keine Wahl bekommen hatte. Mit Potya auf dem Arm verschwand Yurio in das nächstgelegene Zimmer und schlug die Tür mit einem lauten Knall zu, ließ die beiden ein wenig verwundert blinzend zurück.

Einfluss

Wie vom Donner gerührt standen Victor und Yūri da, bewegten sich erst keinen Millimeter und schauten sich stattdessen fragend an. Victors Gedanken waren leer und er begriff die Lage erst langsam, als sich Yūri die Beine rieb, an denen sich vor wenigen Momenten Potya noch festgehalten hatte. Widerlich..., hörte er Yurios Stimme in Gedanken. Das dachte sein Bruder wirklich über ihn...? Er hörte zwar, dass die Tür hinter ihm wieder aufging, aber sein Kopf konnte es nicht richtig verarbeiten, daher zuckte er zusammen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. „Vitya? Alles in Ordnung?“, hörte er Katyas Stimme hinter sich.
 

„Meine Gute, hier ist ja eine Stimmung wie auf einer Beerdigung“, hörte er eine Stimme, die eindeutig zu Otabek gehörte. Er blickte zu Yūri, der immer noch mit geweiteten Augen da saß, sich die Beine rieb und dabei ein wenig hilflos wirkte. Victor schluckte, öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Aber was sollte er sagen? 'Mein Bruder findet mich ekelerregend'? „Wo ist Yura?“, fragte nun Otabek und Victor zog die Augenbrauen zusammen. „Yura?“, krächzte er schon fast. Otabek rollte die Augen. „Na, dein Bruder halt“, schnaubte er. „Du nennst ihn Yura?“, fragte Victor ungläubig. „Nun ja, mit zwei gleich klingenden Namen wird es verwirrend“, Otabek zuckte mit den Achseln und schaute weg. „Ja, das dachten wir auch. Wir nennen ihn Yurio und er hasst es“, Victor versuchte schief zu grinsen, aber auch ohne Spiegel wusste er, dass es ihm deutlich misslungen war. „Ist das der Grund für die Stimmung?“, fragte Katya. „Und wo ist eigentlich Yuri?“
 

„Ein Stück weit wohl schon. Er ist da drin“, er deutete mit dem Kopf zu Yurios neuem Zimmer. Dann fuhr er seufzend mit einer Hand durch seine Haare und schüttelte den ersten Schock ab. „Als ich ihm Yūri vorgestellt habe, hat er eins und eins zusammengezählt. Er stellte mit einer ziemlich unhöflichen Bezeichnung fest, dass wir zusammen sind, hat es 'widerlich' genannt und hat sich in sein Zimmer verzogen“, er zuckte mit den Achseln, doch er selbst bemerkte, wie belegt seine Stimme war. Katya sah ihn ungläubig an und drückte kurz seine Schulter, Otabek schnaubte und blickte zur Tür, Yūri schaute einfach nur auf den Boden. „Vermutlich ist das der Einfluss meiner Tante“, Victor ließ sich seufzend auf den Sessel neben der Couch fallen und rieb sich mit den Händen durch das Gesicht. Er spürte richtig, wie nun alle Augen auf ihm ruhten, also fuhr er fort: „Als sie herausfand, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle, hat sie so getan, als sei das eine Krankheit, die behandelt werden müsste“, er schaute in betroffene Gesichter. Doch er war überrascht, dass gerade Otabek am Betroffensten aussah.
 


 

Yūri war betroffen, als er Victors Schilderung hörte. Er hatte schon vorher den Eindruck gehabt, dass Victor nicht gerne über seine Familie sprach, doch jetzt machte es für ihn alles Sinn. Vielleicht war auch die Angst davor der Grund gewesen, dass er sich nicht über Yurios Einzug freuen konnte?, kam ihm der Gedanke. Für ihn war das nicht wirklich abwegig und wenn man die Reaktion von seinem Bruder bedachte, konnte Yūri nun mehr als nur gut nachvollziehen, warum Victor das nicht gewollt hatte. Es war schon schmerzhaft für ihn gewesen, wie war das dann bloß für jemanden der wie sein großer Bruder ausgewachsen ist? Zaghaft blickte er zu Victor, der untypisch zusammengesunken auf dem Sessel saß. Nun, zusammengesunken war nicht das richtige Wort, stellte Yūri fest, denn selbst bei dieser Situation schaffte es Victor noch, ein Stück weit Haltung zu bewahren. Doch wenn man ihn kannte, wusste, wie er sonst war, fiel einem der Unterschied schon auf. Victor ließ seine Schultern hängen und sein, sonst immer so fröhlicher, Blick war fast schon verzweifelt auf seine Hände gerichtet, die nun auf seinem Schoß lagen.
 

Yūri wollte zu ihm, ihn in seine Arme schließen, doch er fragte sich, ob Victor das überhaupt wollte. Immerhin war er Schuld daran, dass es zu dieser unschönen Szene gekommen ist. Er war es, der die beiden, die wie Brüder zusammen aufgewachsen waren, scheinbar entzweit hatte. Es war Otabek, der das betretende Schweigen durchbrach, in dem er laut schnaubend ausatmete. „Ich rede mit Yura. Keine Ahnung was das war, aber ich kann das so nicht glauben“, sagte er und blickte auf die Zimmertür. Victor nickte. „Ich muss auch mal den Transporter ausladen und dann zurückbringen, um mein Auto wiederzubekommen“, sprach er leise, wie zu sich selbst. „Ich komme mit“, nun traute sich Yūri doch, eine Hand auf Victors Arm zu legen. Victor schaute kurz auf und lächelte ihn traurig an, doch Yūri konnte auch Dankbarkeit in seinem Blick erkennen. „Ich kann ja schon mal die Kleinteile hoch tragen“, bot Katya an, die sich offensichtlich fehl am Platz fühlte. So ging jeder seiner Aufgabe nach.
 


 

Sie saßen schweigend in seinem Auto und waren auf dem Rückweg. Victor wusste es zu schätzen, dass Yūri ihn nicht alleine lassen wollte, denn zu viele Dinge kreisten in seinem Kopf umher. Was würde Yūri nun denken? Er war ja so schon nicht sonderlich extrovertiert und dann so einen Spruch an den Kopf geklatscht zu bekommen? Sie hatten ohne viele Worte den Krempel ausgeladen und vor den Frachtenaufzug gehievt. Katya hatte ein paar Kissen und auch die Bilder nach und nach in die Wohnung getragen. Wenn jemand von ihnen geredet hatte, ging es nur um das Anheben der Kartons oder deren Unterbringung. Aber in der Zwischenzeit war Yūri immer stiller geworden und Victor machte sich langsam wirklich Sorgen, was die Worte seines Bruders bei ihm angerichtet haben könnten. Vielleicht glaubte er sogar, was der da gehört hatte und ging ihm am Ende womöglich noch aus dem Weg? Der Gedanke traf Victor wie ein Blitz. Er fuhr rechts ran, auf einen Parkplatz eines Supermarktes, der ihm gerade recht kam.
 

„Yūri, hör mal, ich-“, doch Yūri unterbrach ihn: „Schon gut, ich kann das verstehen, Victor. Wirklich“, sagte er mit gesenktem Kopf. Verstehen? Wie konnte er das verstehen? Victor zog die Augenbrauen zusammen und ein wenig Ärger kochte in ihm hoch. „Es gibt da nichts, was du verstehen solltest, Yūri. Mein Bruder war einfach nur ein mieses Arschloch“, Victor spie die Worte fast aus und streckte die Hand nach Yūri aus, er sollte ihn endlich anschauen. „Aber trotzdem ist er dein Bruder“, antwortete Yūri, seine Stimme bebte ein wenig. „Was ihn nicht zu einem kleineren Arschloch werden lässt, Любимый. Er wird damit klarkommen müssen oder er muss zu Yakov ziehen", stellte Victor nun klar. Yūris Kopf hob sich mit einem Ruck, braune Augen schauten ihn fassungslos an. „Du machst nicht Schluss?“, fragte er.
 

Victor brauchte ein paar Sekunden, um Yūris Worte zu verarbeiten. Er hatte den Eindruck, dass er einige Male ziemlich dümmlich blinzeln musste, bevor die Worte einigermaßen einsanken. „Ich... Bitte was? Warum um Himmels Willen soll ich mit dir Schluss machen?“, Victor fiel aus allen Wolken und hatte immer noch das Gefühl, irgendeinen kritischen Punkt verpasst zu haben. „Aber er ist doch ein Teil deiner Familie...“, wandte Yūri schwach ein. „Wenn er unsere Beziehung nicht akzeptieren kann, dann ist es sein Problem, nicht meins. Und vor allem nicht deins. Es wird meine Gefühle für dich nicht ändern und das möchte ich auch gar nicht. Natürlich wäre es mir lieber, wenn ihr euch auf Anhieb vertragen hättet. Aber bitte lass dich durch ihn nicht verunsichern. Und wenn er so weitermacht, muss er sich eben eine andere Bleibe suchen. Ich möchte nicht zwischen euch wählen, aber wenn ich muss, dann ist es der, der mich so liebt, wie ich bin und nicht der, der mich deswegen beleidigt“, er suchte Yūris Augen und blickte ihn fest an. Langsam fuhr er mit dem Daumen über Yūris Wangenknochen und Yūri schien sich in die Berührung hineinzulehnen.
 

Sie blieben einen Moment so und genossen die Ruhe. Doch Victor machte sich immer noch Sorgen. „Любимый?“, fragte er daher leise, um die Ruhe des Moments nicht allzu sehr zu stören. „Warst du deswegen so still?“ Eigentlich konnte sich Victor die Frage selbst beantworten. „Auch. Aber ich wusste auch nicht, was ich sagen konnte, um dich zu trösten“, Yūri klang wirklich niedergeschlagen. Victor konnte nicht anders, als ihn zu einem Kuss heranzuziehen. Danach legte er kurz seine Stirn gegen Yūris. „Ich glaube, wir sollten beide mehr miteinander sprechen und weniger denken“, lachte er. „Ich hatte nämlich auch Sorgen, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben wolltest. Das hätte ich nicht ausgehalten“, gestand er. Yūris Augen waren groß, als er sich von ihm löste. „Ich würde dich niemals wegen so etwas verlassen“, sagte er und Victor war überrascht, wie erschrocken das klang. Er konnte sich ein Lächeln nicht ganz verkneifen. „Sag ich doch, wir müssen viel mehr miteinander reden. Vertraust du mir zukünftig auch deine Sorgen an, Любимый?“ Als Yūri nickte, legte Victor den Rückwärtsgang ein und fuhr aus der Parklücke. „Dann wollen wir mal zu meinem Idioten von Bruder und ihn mal zur Rede stellen!“
 


 

Nur, dass sie ihn gar nicht zur Rede stellen mussten. Das wusste Yūri in dem Moment, als sie zur Tür herein kamen. Denn Yurio saß neben Otabek auf dem Sofa und sah ziemlich kleinlaut aus. Makkachin und Potya wurden gerade von Katya mit Futter versorgt, während Otabek leise, aber offenbar bestimmt auf Yurio einredete. Im ersten Moment schien es, als wüsste keiner, was er sagen sollte, doch dann machte überraschenderweise Yurio den ersten Zug: „Mit dem 'widerlich' habe ich nicht eure Beziehung gemeint. Ich will das nur echt nicht wissen, sehen oder hören!“, presste er hervor und hielt sich, wie um seine Worte zu untermalen, die Ohren zu. Yūri schaute zu Victor, der neben ihm stand und erkannte die verschiedensten Emotionen in Victors Gesicht. Aber vor allem konnte er die Erleichterung erkennen. Nicht nur in seinem Gesicht, auch in seiner Körpersprache. Dann machte Victor plötzlich ein paar Schritte nach vorne und zog Yurio in eine Umarmung. Dieser wehrte sich erst vehement, merkte jedoch schnell, dass er gegen seinen großen Bruder keine Chance hatte.
 

„Du hast mir echt einen Schrecken eingejagt“, gestand Victor erleichtert. „Ja, 'tschuldige. Und jetzt lass mich los, alter Sack“, moserte Yurio und stemmte sich nun wieder gegen Victor, der es dieses Mal zuließ und ihn losließ. „Wir haben schon ein paar Sachen hoch gebracht. Ich mache mal Platz in meinem Zimmer“, damit floh er förmlich aus dem Wohnzimmer. Victor schaute ihm hinterher und wandte sich dann zu Otabek. „Wie hast du das geschafft?“, fragte er mit einem Staunen in der Stimme. „Ich habe ihm einfach erzählt, wie das für euch geklungen hat. Das hat schon gereicht. Seitdem warten wir auf eure Rückkehr. Aber er hat noch etwas davon gemurmelt, dass er dafür sorgen wird, dass du endlich dein Versprechen einhältst“, zuckte Otabek mit den Achseln. „Mein Versprechen?“, er zog die Augenbrauen zusammen und legte seinen Finger an die Lippe. „Du solltest das besser wissen!“, Otabek schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Da hatte er natürlich recht. Aber jetzt gab es auch Wichtigeres zu erledigen. „Also schön, dann bauen wir jetzt erst einmal die Möbel auf“, verkündete er.
 


 

Nachdem sie die 4 Möbelstücke aufgebaut hatten, hatte Victor vorgeschlagen, gemeinsam Pizza zu bestellen. Bis diese geliefert wurden, war das Zimmer voll eingerichtet und Yurio fühlte sich sichtlich wohl. Yūri war erleichtert, dass alles so verlaufen war. Yurios Gefühlsausbruch am Anfang war überraschend heftig gewesen und hatte ihn wirklich erschüttert. Aber vor allem war er froh darüber, dass Victor so sehr zu ihm stand, auch wenn es ihm Sorgen bereitete, dass er dafür sogar seine Familie fallen lassen würde. Für ihn selbst war seine Familie sehr wichtig. Andererseits hatte er auch nie das Problem, dass seine Familie ihn anders haben wollte, als er war. Sie unterstützten ihn, egal was war. Er dachte an sein Telefonat zurück und wie seine Mutter mit ihm geschimpft hatte, als er Victor noch nicht gestanden hatte, dass er ihn auch liebte.
 

Nun saßen sie über ihren Pizzen und es herrschte gefräßiges Schweigen. Bis Yurio unterbrach: „Sag mal, Victor. Wo ist eigentlich dein Laptop oder hast du einen PC?“ „Laptop? Warum?“, fragte Victor sichtlich verwirrt. „Na, so ein klappbarer Computer halt! Lebst du noch in der Steinzeit?“, knurrte Yurio. „Nein, aber warum fragst du? Ich habe meinen Arbeitslaptop“, erklärte Victor. „Ist das dein ernst? Muss ich hier tatsächlich ohne auskommen? Hast du wenigstens ein Tablet?“, schnaubte Yurio. „Nein. Aber du hast doch auch einen Laptop. Warum hast du ihn nicht mitgebracht?“, fragte Victor. „Ich habe einen PC und den schnall ich mir mit Sicherheit nicht auf den Rücken und tingel durch die halbe Weltgeschichte!“
 

Und schon war die gereizte Stimmung wieder da, stellte Yūri fest. Ob Yurio immer so aufbrausend war? „Wofür brauchst du denn den Laptop? Ich habe noch einen bei mir und mit ein paar Hardware-Modernisierungen wäre er sicherlich wieder in Ordnung. Das ein oder andere Teil habe ich bestimmt noch da“, bot Yūri an. „Dann sag mir später, was du dafür bekommst“, meinte Victor. Ich werde ganz sicher kein Geld von dir nehmen, dachte Yūri und grinste, als ihm eine Idee kam. „Eine Pizza und einen Kuss.“ Yurio imitierte ein Würgereiz und Katya kicherte, doch Victor guckte ihn nur streng an. „Das gilt wohl kaum als Bezahlung“, moserte er. „Du hast mich gerade zum vierten Mal zum Essen eingeladen und dich um mich gekümmert, als ich fast nur im Bett liegen konnte“, konterte Yūri. „Das doch nur, weil ich dir hinten reingefahren bin!“, kam es von Victor. Yurio, der gerade ein Schluck getrunken hatte, spuckte das Wasser quer über den Tisch. Otabek klopfte dem hustenden Yurio auf dem Rücken, während aus Katyas Kichern ein Lachanfall geworden war. „Er ist mir ins Auto gefahren!“, stellte Yūri kichernd klar, auch wenn es ihm ein wenig unangenehm war, während Victor sein Gesicht in den Händen vergrub. „Gib mir am besten deine Nummer, ich rufe dich morgen an, wenn ich von der Uni zurück bin. Dann können wir in Ruhe besprechen, was genau du brauchst, in Ordnung?“ Zu Yūris Erleichterung nickte Yurio und zückte sein Handy.

Tag 1 n. BE

"Yurio? Ich bin dann jetzt weg." Victor klopfte ein letztes Mal an dessen Zimmertür. Er war bereits mit Makkachin unterwegs gewesen und trug nun einen tiefroten Anzug mit weißem Hemd und dunkelgrauer Krawatte. Als ihm damals die Farbe für den Anzug vorgeschlagen wurde, war er skeptisch gewesen, ob so viel rot ihn nicht zu blass machen würde, aber er war ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis. Seine Arbeitstasche mit Laptop und zwei Manuskripten, die er dann gestern doch nicht mehr hatte durchlesen können, war in der einen Hand, seine freie Hand hob sich gerade wieder, um gegen Yurios Zimmertür zu klopfen. Er wollte nicht einfach so in den Raum gehen, da er sich nicht sicher war, wie er reagieren würde. "Yurio? Ich gehe jetzt, wenn irgendwas ist, kannst du mich oder Yakov anrufen, ok?", rief er noch einmal. "Es ist mitten in der Nacht, alter Sack!", keifte Yurio verschlafen. Victor schüttelte schmunzelnd den Kopf. "Alles klar, dann bis heute Abend und vergiss nicht, dass Yūri heute Mittag mit dir wegen dem Laptop reden wollte“, da er keine Antwort erwartete, machte er auf dem Absatz kehrt, kraulte noch einmal Makkachins Kopf und machte sich dann auf den Weg.
 

Als er im Parkhaus des Verlags ankam, holte er noch kurz sein Handy hervor und tippte: > Tag 1 n. BE: Ich hasse Teenager. Ich wünsche dir einen schönen Tag! < Dann stieg er aus dem Auto, holte seine Tasche vom Rücksitz und noch bevor er den Knopf zum Abschließen gedrückt hatte, vibrierte sein Handy. > So sind sie eben. Aber ihr werdet sicher gut klarkommen. Was bedeutet 'n. BE'? Danke, das wünsche ich dir auch! < Victor fragte sich, ob es ihm ein wenig peinlich sein müsste, dass er gerade über beide Ohren grinste wie ein verliebter Schuljunge, dessen Schwarm einem ersten Date zugesagt hatte, aber er konnte einfach nicht anders. Ja, vielleicht war es etwas unreif, so stark auf eine einfache SMS zu reagieren, aber er liebte es. Er liebte Yūri und die Gefühle, die er in ihm auslöste. Victor grinste bei diesen Gedanken nur noch mehr, während er auf den Aufzug wartete und auf seinem Handy rumtippte: > Ich hoffe, du hast recht. Das heißt: nach Bruders Einzug. Hast du heute Abend eigentlich schon etwas vor? Nach der ganzen Aufregung hätte ich Lust auf einen gemütlichen Filmeabend. Lust? <
 

Victor steckte das Handy weg, da der Aufzug ihn mittlerweile in seine Etage gebracht hatte. Als sich die Türen öffneten, stand Yakov vor ihm. „Vitya! Ich wollte zu dir!“, verkündete er mit seiner tiefen, autoritären Stimme, sodass er unweigerlich einen Blick auf die Uhr warf, die an der gegenüberliegenden Wand hing, um zu prüfen, ob er nicht zu spät war. Und das, obwohl er ganz genau wusste, dass das gar nicht der Fall sein konnte. Immerhin hatte er Gleitzeit. Dann fiel ihm aber wieder ein: Er hatte 'Vitya' gesagt, also gab es keinen Anschiss. Gab es etwas auszusetzen an seiner Arbeit, war er plötzlich wieder 'Victor'. Eine Eigenart die manchmal dafür sorgte, dass er beim Klang seines vollständigen Namens ein wenig zusammenzuckte, weil er befürchtete, etwas angestellt zu haben. Seit er jedoch beim Verlag angefangen hatte, hoffte er immer, während der Arbeitszeit möglichst wenig von seinem Onkel zu hören. Für ihn lief das mehr unter dem Motto 'Keine Nachrichten sind gute Nachrichten', denn sein Onkel hatte ihm von Anfang an unmissverständlich klar gemacht, dass nur seine Leistungen zählten und würde er nicht liefern, er seinen Job schneller verlieren würde, als er 'Aber Onkel' gesagt hätte. Er hatte sogar gesagt, dass er er sich mehr anstrengen müsse, damit er Anerkennung für seine Leistungen erhalten würde und damit hatte er auch recht behalten. Das galt zum Glück nicht für seine direkten Kollegen, mit denen er sich super verstand, aber er merkte es immer wieder bei Arbeiten die Bereichsübergreifend waren.
 

„Ist es etwas Wichtiges? Sollen wir in mein Büro gehen?“, bot Victor vorsichtig an, doch Yakov lachte nur. „Ich wollte wissen, wie es Yuri... also Yurio geht“, er grinste schelmisch, als er den neuen Spitznamen verwendete. Victor fragte sich nur, ob das wegen Yurios Reaktion oder wegen dem Hintergrund, also 'seinem' Yūri war. „Der Anfang war ein wenig holprig, aber jetzt fühlt er sich offensichtlich wohl genug, dass er die halbe Nacht mit dem Nachbarn mit irgendeiner Konsole rumgespielt hat“, seufzte Victor. Er kann sich gut daran erinnern, dass er seinen Bruder mehrere Male hatte bitten müssen, leiser zu sein. Otabek wurde es jedes Mal sichtlich unangenehmer. „Ach, er hat direkt Anschluss gefunden?“, fragte Yakov deutlich erleichtert. „Nun ja, Otabek ist ein wenig älter, aber sie kennen sich seit Yurios Wettbewerb hier. Der Kontakt ist seitdem nicht abgerissen“, erklärte er. Yakov nickte zufrieden. „Heute ist Verkaufsstart von Alans neustem Werk. Bist du zu zufrieden?“, wechselte er nun das Thema. „Nun ja, wenn es nach mir gegangen wäre, hätte er noch ein paar mehr Stellen abgeändert, aber es ist ja auch irgendwo sein Buch. Aber ja, ich bin ziemlich zufrieden. Aber Luft nach oben ist ja immer“, Victor zuckte mit den Achseln.
 

„Ich bin der Meinung, dass der Band nach der Korrektur sein bisher bestes Werk ist. Es war die richtige Entscheidung, ihn dir zu überlassen. Er brauchte einfach jemanden, dessen Schädel noch dicker ist als seiner“, gluckste Yakov und drückte den Knopf für den Aufzug. Victor schob die Unterlippe nach vorne. „War das jetzt ein Lob oder eine Beleidigung?“, fragte er schmollend. „Das darfst du dir aussuchen, Vitya“, gluckste Yakov und betrat den Aufzug. „Dann nehme ich es als Kompliment, vielen Dank Onkel“, grinste Victor nun. „Dein Selbstbewusstsein hätte ich gerne“, schnaubte Yakov belustigt, bevor sich die Türen des Aufzugs schlossen.
 


 

Als Yūri die Uni verließ, schrieb er Victor, dass er sich gleich mit Yurio bei sich zu Hause traf. Sie konnten alles besprechen und je nachdem wie es lief, konnte er dann direkt seinen Laptop mitnehmen. So war zumindest der Plan, doch Yūri wusste, dass es auch genauso gut in Unmengen an Arbeit mit Konfigurationen und Ähnlichem enden konnte. Er konnte sich nämlich überhaupt nicht mehr daran erinnern, warum er diesen ausrangierten Laptop bei sich rumstehen hatte. Aber er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass er zumindest kein Schrott sein konnte. Er hob nur die funktionierenden Teile auf, dafür dann aber auch so ziemlich alle funktionierenden Teile. Sein Schrank war voll davon und er hatte sich schon das ganze Jahr vorgenommen, mal Teile auszusortieren, die er mit Sicherheit nicht mehr verwendet werden würde.
 

Auf der Heimfahrt hielt er gerade noch bei einem Elektrofachmarkt, um ein paar Teile zu besorgen, von denen er wusste, dass sie für den Laptop notwendig waren. Als Yūri in der Schlange vor der Kasse stand, sprang ihm ein Film ins Auge. Mit einem Grinsen griff er danach und las sich die Beschreibung durch. Perfekt für den Filmeabend, stellte er zufrieden fest. Er vermutete, dass der Mittag mit Yurio sehr anstrengend und mit ein wenig Pech, mit dem Yūri fest rechnete, ziemlich unangenehm werden würde. Umso mehr motivierte ihn der Abend mit Victor, den Nachmittag mit Yurio so gut wie möglich über die Bühne zu bringen. Außerdem wollte er sich Mühe geben, mit Victors Bruder gut klarzukommen. Auch wenn Victor ihm klargemacht hatte, dass ihm egal war, was Yurio von ihnen beiden hielt, wollte er einfach nicht, dass Victor zwischen ihm und seiner zusammengewürfelten Familie wählen musste. Seine Familie war ja auch offen für Victor, wenn er sich bemühte, würde das doch sicher auch gehen, oder?
 

Wobei sich Yūri keine Illusionen machte, was Victors Tante anging. Die kurzen Schilderungen von Victor ließen da eigentlich keine falschen Hoffnungen zu. Doch sein Onkel schien sie erst einmal zu akzeptieren. Doch vermutlich standen er und Yurio in Kontakt und wenn er irgendetwas vergeigte, würde er es wahrscheinlich sofort an ihn weitergeben. Das machte Yūri tatsächlich nervös, denn er hatte keine Ahnung, wie er sich richtig verhalten sollte, wenn Yurio wieder so einen verbalen Aussetzer hatte. An der Kasse angekommen, bezahlte er seinen Einkauf und ging wieder zum Auto. Es wird schon klappen, immerhin bekommt er einen Laptop, erinnerte sich Yūri selbst, um wieder ein wenig Mut zu schöpfen.
 


 

Doch Yūri hatte natürlich die Rechnung nicht mit Yurio gemacht. Dieser nöhlte schon, bevor er die Wohnung auch nur betreten hatte darüber, dass er so viele Treppen steigen musste. Die Wohnung war ihm zu dunkel, die Möbel zu zusammengewürfelt und man würde merken, dass dort 'Loser' wohnen würden. Yūri verdrehte nur die Augen und ignorierte ihn, wenn er nicht gerade Fragen zum Verwendungszweck des Laptops oder spezielle Wünsche von Yurio hatte. In dem Moment, als Yurio die Spielekonsole gefunden hatte, war ein wenig Ruhe eingekehrt, zumindest so lange, wie Yurio das Spiel jeweils zu gewinnen schien. Das war aber leider nicht allzu häufig der Fall, daher spürte er Erleichterung, als Victor auf dem Weg von seiner Wohnung zu Yūris anrief.
 

„Victor ist mit Makkachin auf dem Weg hierher“, sagte er zu Yurio. „Schön für ihn“, schnaufte Yurio. „Wir wollten gleich eine Runde spazieren gehen“, versuchte Yūri das Gespräch weiter am Leben zu halten. „Schön für euch“, kam es ebenso monoton wie die erste Antwort zurück. „Möchtest du mit?“, bot nun Yūri schon ein wenig verzweifelt an. „Pah. Seh ich so aus? 5. Rad am Wagen, geil. Ich darf die Leine halten, während ihr rummacht, ja?“, Yurio warf ihm einen kurzen, bösen Blick zu. Yūri überlegte, was er sagen sollte. Was war Yurios Problem? „Magst du deinen Bruder nicht?“, fragte er nun einfach ins Blaue. Yurio schien kurz inne zu halten. „Der alte Spießer ist ganz ok, denke ich“, sagte er dann achselzuckend. „Also bin ich das Problem?“, fragte er dann, da es für ihn eine klare Schlussfolgerung war. „Du bist ein Loser, aber du machst mir den Laptop. Mir eigentlich egal, mit wem der alte Sack rummacht, so lange ich nicht in Hör- oder Sichtweite bin“, schnaubte er. Yūri wollte gerade fragen, wo dann sein Problem lag, als es klingelte.
 

Er blickte kurz zur Tür und entschied dann, dass Victor einen Moment warten konnte. „Yuri“, begann er und entschied sich absichtlich für den richtigen Namen, „was ist dann dein Problem?“ Entnervt schaltete Yurio den Fernseher aus und blickte ihn wütend an. „Was mein verdammtes Problem ist? Ich bin dem Typ doch völlig egal, er würde mich jederzeit eintauschen. Hat er schon immer gemacht. Entscheidet Dinge alleine, gibt vor 'nur das Beste im Sinn' zu haben und lässt mich dann wieder alleine sitzen. Ohne eine Erklärung, nichts! Das ist mein verficktes Problem!“, plötzlich sah Yurio verletzlich aus. Yūri schluckte. Kurzzeitig wünschte er sich, dass er das Problem wäre. Denn da hätte er vielleicht wirklich was dran machen können, aber so? „Soll ich mit ihm reden?“, bot Yūri ein wenig hilflos an. „Wenn du nur ein Wort ihm gegenüber sagst, wirst du das bis ans Ende deines Lebens bereuen“, von Yurios Verletzlichkeit war keine Spur mehr zu sehen. Yūri hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut. Aber irgendwann solltest du mit ihm darüber reden“, sagte er und stand auf. „Du kannst ja ruhig hier noch ein wenig spielen, aber lass bitte die Bude stehen“, er hoffte, dass sein Rückzug nicht allzu sehr nach Flucht aussah.
 


 

Victor könnte so den Rest seines Lebens verbringen. Mit Yūri Hand in Hand spazieren zu gehen, während Makkachin fröhlich vorlief, zumindest soweit, wie es die Leine erlaubte. „Ist alles in Ordnung? War mein Bruder so anstrengend?“, fragte er, denn Yūri war ungewöhnlich still. „Nein, es ging. Aber der Tag im allgemeinen war anstrengend. Bin wohl immer noch nicht fit“, lachte Yūri, doch es klang für Victor eine Spur zu nervös. Aber woran lag das? „Sicher, dass das alles ist? Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst“, er schaute zu Yūri hinunter. Seine Sorgen verflogen ein wenig, als er Yūris ehrliches Lächeln sah. „Ja, ich weiß“, antwortete er dann und drückte kurz Victors Hand. „Was macht Yurio heute Abend eigentlich?“, fragte ihn Yūri dann. Victor legte den Kopf schief, musste dann aber mit den Achseln zucken. „Der bekommt sich schon beschäftigt. Ist ja alt genug“, sagte er dann. „Dein Bruder ist neu in der Stadt und es ist Freitagabend. Eigentlich etwas doof, dann total alleine zu sein, oder?“, Yūri schaute ihn mit hochgezogener Augenbraue an. War das wirklich wichtig? Vor Yūri hat er auch die meisten Freitagabende zu Hause mit dem ein oder anderen Manuskript verbracht. Was war schon dabei? Doch er hatte das Gefühl, dass Yūri ihm da etwas mitteilen wollte.
 

Sie beendeten ihren Spaziergang schweigend, während Victor fieberhaft überlegte, was ihm Yūri mitteilen wollte. Aber er kam beim besten Willen nicht darauf. „Was soll ich deiner Meinung nach mit Yurio machen“, fragte er dann, weil er die Hoffnung aufgegeben hatte, von selbst drauf zu kommen. „Wir könnten mit ihm weggehen und ihm die Stadt ein wenig zeigen“, bot Yūri an. Sofort machte sich in Victor Enttäuschung und gleichzeitig Schuldbewusstsein breit. Enttäuschung, weil sie so den Abend nicht miteinander verbringen konnten und Schuldbewusstsein, da er genau wusste, dass das für Yurio eigentlich das Richtige wäre. Victor seufzte. „Glaubst du wirklich, er möchte den heutigen Abend mit uns beiden verbringen?“, fragte er dann zweifelnd. „Na ja, du bist sein Bruder. Wäre ich in der Situation und wäre zu meiner Schwester gezogen, würde ich gerne den Abend mit ihr verbringen“, zuckte Yūri mit den Achseln.
 

„Du hast eine Schwester?“, fragte Victor, da ihm diese Information neu war. „Ja, eine ältere Schwester namens Mari. Aber lenk nicht ab“, tadelte ihn Yūri dann mit einem schiefen Grinsen. Sie waren nun vor Victors Wohnung angekommen und er holte gerade den Schlüssel aus der Hosentasche, als Otabek vor ihnen stand. „Ah, hi. Wisst ihr wo Yura ist?“, fragte Otabek sofort. Bevor Victor antworten konnte, nickte Yūri. „Er spielt bei mir irgendein komisches Spiel, von dem ich selbst nicht wusste, dass ich es habe“, lachte er. „Ah, ok. Ich wollte eigentlich noch was mit ihm unternehmen, bevor es zu spät wird“, gab Otabek zu und blickte zur Seite. Victor schaltete sofort: „Ja, super! Dann komm doch gleich mit, ich bring nur noch Makkachin rein!“, verkündete er und verschwand mit seinem Hund im Haus. Er wusste, dass er ein wenig übereilt handelte, aber er wollte diesen Abend unbedingt mit Yūri genießen. Er würde in den kommenden zwei Wochen genug Arbeit mit der Promotion, allen voran der Signierstunde, zu Alans Buch haben.
 

In der Wohnung angekommen fütterte er Makkachin und Potya im Rekordtempo, bevor er Makkachin noch einmal an sich drückte. „Tut mir leid, alter Freund. Morgen habe ich mehr Zeit für dich!“, versprach er und machte sich auf den Weg nach draußen. Er war froh, dass er sich noch die Zeit zum Umziehen genommen hatte, bevor er mit Makkachin aufgebrochen war. So kam es, dass sie kurze Zeit später in Yūris Wohnung standen. Victor konnte sehen, dass sich Yurio darüber freute, dass Otabek mit dabei war. Das half seinem schlechten Gewissen schon ein wenig. „Krieg ich dann Taschengeld?“, fragte Yurio, als er vom Sofa aufstand. Victor hob eine Augenbraue. „Ich weiß, dass du von Yakov genug Taschengeld bekommst“, konterte er, holte aber dennoch sein Portmonee aus der Gesäßtasche. Er überlegte kurz, ob er Otabek das Geld in die Hand drücken sollte, entschied sich dann aber dagegen. „Ihr könnt ja auch noch was Essen gehen“, schlug Victor vor, doch die beiden waren schon fast aus der Tür heraus.
 

Achselzuckend blickte Victor zu Yūri, der nicht ganz so glücklich darüber aussah. „Versprich mir, dass du morgen was mit ihm unternimmst“, sagte er, als er näher kam. „Wir könnten alle eine Sightseeing-Tour machen“, schlug Victor vor. „Eigentlich habe ich nur an euch beide gedacht, aber klar, warum nicht? Vielleicht kommt Otabek auch mit? Sie scheinen sich ja gut zu verstehen“, schlug er ihm vor. Das war eigentlich gar keine so schlechte Idee, dachte Victor und nickte. „Und was gucken wir heute?“, grinste Victor nun. „Ich habe heute einen Film gefunden, er heißt 'Manborg'“, erklärte Yūri und hielt ihm die Blu-ray unter die Nase. Victor sah schon auf dem ersten Blick, dass er ziemlich trashig sein musste. „Sieht gut aus. Sollen wir noch was beim Lieferservice bestellen?“, fragte er dann. „Wie wäre es mit Sushi?“, fragte Yūri. „Oh, ich hätte wirklich Lust auf was Japanisches“, grinste Victor in dem Wissen, dass Yūri die Doppeldeutigkeit nicht entgangen war.

Ein Abend zu zweit

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Auf seine Kosten

Victor war normalerweise nicht der Typ, den man leicht sprachlos machen konnte. Und selbst wenn ihm keine richtig Antwort auf etwas einfiel, so konnte er sonst mit einer anderen Reaktion die Situation retten. Doch dieses Mal hatte ihn die Fähigkeit völlig verlassen. In dem einen Moment hatte er sich noch lustvoll gegen Yūris Körper gepresst und nun saß er, nachdem Yūri förmlich ins Bad geflüchtet war, mit nacktem Oberkörper auf dem Sofa. Phichit, der in diese Szene gestolpert war, stand mit verschränkten Armen im Raum und Victor konnte spüren, wie er ihn mit bloßem Blick umbringen wollte. Er angelte nach seinem T-Shirt auf dem Boden und zog es an. Danach atmete er tief durch und versuchte einfach sein Glück: „Also... ähm... Ich habe gedacht, du bist in New York“, lachte er dann ein wenig verlegen. „Darauf wette ich“, gab Phichit eisig zurück.
 

Gut, das hat schon mal nicht funktioniert, schloss Victor. Aber wie sollte er ein Gespräch anfangen? Sollte er sich rechtfertigen? Aber würde ihn das nicht erst recht verdächtig machen? Immerhin hatte er sich ja rein gar nichts vorzuwerfen. Yūri hatte weder viel getrunken, noch hatte er gegen Yūris Willen gehandelt. Und trotzdem sah er gerade für Phichit aus wie das Böse in Person. Victor schnaubte und rieb sich den Nacken. Wie lange wollte Yūri noch da drin blieben? Sollte er einfach gehen? Aber das wäre doch fies gegenüber Yūri, oder? Es war nicht genug, um ihn betrunken zu machen, doch Victor befürchtete, dass der Alkohol dafür sorgte, dass er nicht Herr der Lage werden konnte. Er saß da, wie ein kleiner Junge, der bei etwas Verbotenem erwischt wurde.
 

Als sich Phichit durch den Raum bewegte, beobachtete Victor ihn vorsichtig. Was würde er jetzt tun? Eigentlich machte er sich keine Sorgen, dass Phichit handgreiflich werden würde, doch war es durchaus möglich, dass er Victor rauswarf. Und das wollte Victor nicht, zumindest so lange er Yūri nicht noch einmal gesehen hatte. Doch Phichit ging zur Badezimmertür und klopfte. „Yūri? Alles in Ordnung?“, fragte er. „J-ja. Alles in Ordnung“, konnte man von der anderen Seite hören, aber es klang ein wenig panisch. „Soll ich den Typen rauswerfen?“, fragte Phichit dann und Victor wäre beinahe aufgesprungen, wäre Yūri nicht schneller gewesen. „Was? Nein! Nein, Phichit!“ Dann hörte man das Schloss und Yūri stand in der Tür. Er hatte in eine Jogginghose gewechselt und war hochrot. Aber warum hatte er sich umgezogen? Zwei Sekunden später erkannte er den möglichen Grund und musste ein wenig schief grinsen. Und ihm war klar, dass ihm das so gar nicht aus der Misere half.
 

Phichit ließ Yūri im Türrahmen stehen, drehte sich wieder um und kam auf ihn zu. Er spürte, wie er sich unbewusst anspannte, da er keine Ahnung hatte, was in Phichits Kopf vorging. Doch statt näher zu kommen, ließ er sich auf einen Hocker fallen und blickte zwischen Victor und Yūri hin und her. War jetzt der Zeitpunkt gekommen, um sich zu erklären? Oder sollte er das besser Yūri überlassen, immerhin war Phichit sein Freund? War das aber nicht ein wenig mies von ihm, da er doch wusste, dass Yūri mit solchen Situation sicherlich Probleme haben würde? Schon ein Blick zu Yūri in der Tür zum Bad sprach mehr als tausend Worte. Doch was sollte er sagen? Er holte noch einmal Luft und setzte zum Sprechen ein, wurde aber sofort unterbrochen: „Von dir möchte ich nichts hören! Yūri?“ Victor war sich sicher: So musste es sich anfühlen, wenn man beim ersten Mal Rummachen von seinen Eltern erwischt wurde. Und er hätte niemals gedacht, dass ihm das in seinem Alter noch passieren würde.
 

„Phichit... Victor hat mich zu nichts gezwungen“, begann Yūri leise und wirkte so kleinlaut, dass Victor ihn am liebsten an sich gedrückt hätte. „Ach ja und warum kannst du mir nicht in die Augen gucken, wenn du das sagst?“, Phichits Stimme hatte wieder den eisigen Unterton. Victor atmete 2 Mal beruhigend durch, aber es half nicht. Er spürte langsam aber sicher, wie er mächtig sauer wurde. Noch bevor er sich aufhalten konnte, war er auf den Füßen. „Meinst du nicht, dass du dich gerade ein bisschen zu sehr aufspielst? Du siehst doch, dass es Yūri unangenehm ist, also lass es gut sein. Wir sind beide alt genug!“, er stellte sich zwischen Yūri und Phichit. „Und wie lange kennst du ihn schon, hmm? Ein paar Wochen! Ich kenne ihn seit Jahren! JAHRE! Woher willst du wissen, dass du ihn nicht einfach überrumpelt hast?“, Phichit schaute ihn durchdringend an. „Weil...“, Victors Kopf wurde leer. Yūri hatte das doch gewollt, oder? Er hatte doch selbst etwas mitgemacht, oder? Oder war er am Ende doch zu weit gegangen?
 

Er spürte Hände auf seinen Schultern. Sie waren zu vertraut, um nicht von Yūri sein zu können. Er wurde auf das Sofa zurück gedrückt und spürte, wie sich jemand neben ihn setzte. „Weil es von mir aus ging“, hörte er Yūri sagen. Victor wusste, dass es nicht die Wahrheit war, aber gelogen war es auch nicht. Yūri hatte es auch gewollt. Er hörte wieder Yūris Stimme, wie er sich selbst als Nachtisch bezeichnet hatte. Die Erinnerung erdete ihn ein wenig. Er hatte definitiv zu viel getrunken, um sich auf so eine ernsthafte Unterhaltung einzulassen. Er ließ nach, stellte er unzufrieden fest. Früher hatte er wesentlich mehr vertragen. Entweder lag es am Alter oder dass er seit Abschluss seines Studiums einfach nicht mehr so oft ausging. Doch er wollte nicht einfach stumm bleiben und sich diese haltlosen Vorwürfe gefallen lassen. „Hör mal, Phichit“, begann er deswegen langsam und entschloss sich, den diplomatischen Weg zu wählen. „Ich weiß, dass du dabei nur an Yūri denkst und wirklich nur das Beste für ihn im Sinn hast. Dafür bin ich dir auch wirklich sehr dankbar“, Yūri und Phichit sahen ihn an, als würden sie auf etwas warten. Daher hob Victor beschwichtigend die Hände. „Da gibt es kein 'aber'. Das meine ich so, wie ich es gesagt habe. Denn auch wenn du mir jetzt noch nicht glauben magst, geht es mir da genau wie dir. Yūri ist offensichtlich für uns beide ein besonderer Mensch, hoffentlich für dich ein wenig anders als für mich“, versuchte er mit einem kleinen Scherz die Stimmung zu lockern, doch Phichit verzog keine Mine. „Ähm... richtig... wo war ich?“, Victor räusperte sich. Das war ja fast noch schlimmer als mit Alan, dachte er.
 

„Ich hoffe trotz dem holprigen Start, dass du mir eine Chance gibst und wir uns besser kennenlernen können“, sagte er dann einfach. Denn, was sollte er sonst sagen? Natürlich konnte er ihm nun einen Vortrag darüber halten, wie wichtig ihm Yūri war, wenn Phichit ihm einen halben Tag Zeit gab, würde er ihm sogar eine fundierte Power-Point-Präsentation erstellen, inklusive Statistik zur kontinuierlich verbesserten Laune bei ihm. Aber das würde genauso viel bringen, als jetzt eine Szene zu machen und sich mit dem besten Freund seines Partners anzulegen. Er schaute zu Phichit, der ihm aufmerksam zugehört hatte. „Gut, das klingt vernünftig. Ich bin eine Woche hier, dann muss ich wieder los. Also hast du ein bisschen Zeit, mein Vertrauen zu gewinnen“, nickte Phichit. Ich gehe mit deinem Freund aus und will nicht der Yakuza beitreten, dachte Victor, doch dann fiel ihm etwas auf: Die nächsten 14 Tage würden wegen der Promotion hart werden. Zumal die nächste Woche klar sein würde, wo die Autogrammstunde mit Alan stattfinden würde. Das war dann wiederum mit viel Planung verbunden. Das war auch etwas, das er Yūri am heutigen Abend mitteilen wollte, aber am Ende völlig vergessen hatte. „Nun gut, ich habe zwar die nächsten zwei Wochen viel auf der Arbeit zu tun, aber das kriegen wir irgendwie hin. Schlag was vor“, Victor war selbst überrascht, wie optimistisch seine Stimme klang.
 


 

Yūri musste zugeben, dass diese Entwicklung ihn ein wenig besorgte. Nicht, dass Victor und Phichit sich kennenlernen sollten, sondern dass Victor wohl so viel zu tun hatte und es dennoch mit dem Kennenlernen ernst meinte. Er hatte immerhin noch Yurio im Haus, für den er auch ein wenig Zeit haben sollte, dachte er und musste sofort an Yurios Geständnis denken. Das tat ihm irgendwie in der Seele weh. Aber vielleicht konnte er sich an Victors Stelle ein wenig mehr um Yurio kümmern? Wenn es für Victor war, würde er es bestimmt irgendwie durchstehen und vielleicht würde der Umgang mit ihm einfacher, wenn sie sich besser kannten und er vielleicht auch etwas fand, was Yurio gerne machte. Da kam ihm eine Idee. „Wir wollten morgen eine Sightseeing-Tour mit seinem Bruder machen, der gerade bei ihm eingezogen ist. Möchtest du nicht mitkommen?“, bot Yūri an. Das waren zwei Fliegen mit einer Klatsche: Phichit und Victor konnten sich kennenlernen, ohne das Victor zusätzliche Zeit opfern musste. Außerdem kannte Yūri bereits jetzt die Antwort. „Sightseeing? Ich liebe Sightseeing! Wann und wo soll es losgehen? Ich bin gerne euer Guide! Ich kenne alle verborgenen Winkel dieser Stadt!“, Phichit war hellauf begeistert.
 

Yūri blickte fragend zu Victor, der nur mit den Schultern zuckte, als wolle er Yūri die Entscheidung überlassen. „Klar, Phichit. Ich weiß ja, dass du so etwas kannst“, grinste er dann. Victor und Yurio würden noch ihr blaues Wunder erleben. „Kommt eigentlich Otabek auch mit?“, fragte Yūri Victor. „Ich denke schon“, nickte Victor und schaute dann Phichit an. „Möchtest du die Tour zu Fuß, mit dem Auto oder mit Bus beziehungsweise Bahn machen? Falls mit dem Auto, fahre ich gerne.“ „Ja, Auto ist wohl am besten, dann suchen wir zwar hier und da nach einem Parkplatz, sind aber völlig flexibel“, nickte Phichit enthusiastisch und Yūri wusste genau, dass er bereits eine Route im Kopf durchging. Das war die Chance, die beiden für den Abend zu trennen, auch wenn er sich eigentlich noch nicht von Victor verabschieden wollte. Daher stand er etwas widerwillig auf. „Phichit, was hältst du davon, wenn du schon einmal alles für morgen recherchierst, während ich mich von Victor verabschiede?“ Als Phichit dann mit einem „Gut, bis dann“, aufsprang und in sein Zimmer verschwand, war Yūri sehr zufrieden mit seiner Idee.
 

Doch dann blickte er zu Victor hinunter, der hingegen etwas angefressen aussah. „Tut mir leid, wie der Abend heute gelaufen ist“, sagte er und setzte sich wieder zu ihm, ließ sich ein wenig gegen Victors Schulter fallen. Sofort spürte er einen Arm um seine Taille. „Du kannst doch nichts dafür, Любимый“, seufzte Victor und küsste Yuris Stirn. „Schon, aber du wolltest sicher einen schönen Abend mit mir verbringen, weil du die nächsten Wochen nicht ganz so viel Zeit für mich haben wirst, oder?“, dabei schaute er zu Victor hinauf. Ein Blick hatte Yūri genügt, um zu erkennen, dass er ins Schwarze getroffen hat. „Ja, da hast du recht. Aber das holen wir nach. Wenn ich wieder mehr Zeit habe, gehen wir gut essen, gehen einen Film gucken und machen dort weiter, wo wir aufgehört haben. Ich nehme mir den ganzen Tag für dich.“ Victors Grinsen ließ Yūris Herz schneller schlagen. „Und auf japanisch habe ich eh immer Lust, seit ich dich kenne.“ Als Yūri sofort wieder die Hitze ins Gesicht stieg, wurde sein Grinsen noch eine Spur breiter.
 

„Da gibt man dir den kleinen Finger und du willst gleich die ganze Hand“, zog ihn Yūri lachend auf. „Nein, falsch. Du hast mich angefüttert und willst mich jetzt am ausgestreckten Arm verhungern lassen“, Victor schob schmollend die Unterlippe hervor. Yūri lachte und stand auf. Er streckte die Arme nach Victor aus und zog ihn hoch. „Vielleicht möchte ich auch nur interessant für dich bleiben“, zwinkerte Yūri ihm zu und zog ihn mit zur Wohnungstür. Yūri beobachtete, wie Victor die Schuhe anzog und fragte sich, ob er darauf noch eine Antwort bekommen würde. Sein Herz schlug bis zum Hals, obwohl er selbst auf die zweideutige Flirterei eingegangen war. Als Victor sich wieder aufgerichtet hatte, zog er Yūri zu seinem Kuss an sich. Und als wäre das noch nicht genug gewesen, flüsterte er ihm dann ins Ohr: „Du bist spätestens seit ich dir hinten reingefahren bin äußerst interessant für mich. So sehr, dass ich dir gerne noch möglichst oft hinten reinfahren möchte. Nur möglichst ohne Blechschaden.“ Seine Stimme war heiser, aber das Vergnügen an diesen kleinen, schmutzigen Zweideutigkeiten war deutlich zu hören. „Gute Nacht, Любимый“, flötete Victor, doch Yūri war so neben der Spur, dass er sich noch nicht einmal mehr daran erinnerte, ob er sich auch wirklich von Victor verabschiedet hatte.
 

Phichit holte ihn wieder aus seinem, zugegebenermaßen versauten Tagtraum. „Erde an Yūri!“, ertönte die Stimme neben ihm. Yūri blinzelte mehrere Male, um wieder im Hier und Jetzt zu sein. „Was machst du eigentlich hier, Phichit?“, wollte er jetzt wissen. Diese Frage hatte ihn schon eine Weile beschäftigt. „Wir sind alle für eine Woche zurückgekommen. Noch ein paar neue Klamotten holen und ein paar Utensilien einpacken. Wird ja jetzt doch ein längerer Aufenthalt. Vielleicht noch ein oder zwei Monate. Aber alles läuft sehr gut und Dr. Cialdini ist sehr erfreut. Vielleicht bringt mir das die Festanstellung nach dem Studium. Mein Jahr in der Klinik ist ja nach New York fast vorbei und dann kommt das letzte Examen. Und selbst wenn ich dann nicht bei der Klinik weitermachen kann, macht es sich gut im Lebenslauf“, grinste Phichit. Yūri fragte sich manchmal, wo die Zeit geblieben ist. „Was? Schon? Du hast dein Leben voll im Griff und ich krebse immer noch mit meinem IT-Studium rum“, seufzte Yūri. „Ach was, Yūri. So wie es aussieht, wirst du reich heiraten“, lachte Phichit und schlug ihm auf die Schulter. „Wie zum Teufel kommst du darauf, Phichit?“, Yūri war völlig baff. „Du willst mir doch nicht weiß machen, dass du das nicht gesehen hast? Die Schuhe! Die Uhr! Selbst die Jeans und das T-Shirt. Alles teure Marken. Vor allem die Uhr!“, Phichit wedelte aufgeregt mit den Händen.
 

Doch Yūri brauchte einen Moment, um das alles zu verarbeiten. „Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung. Aber ja, jetzt wo du es sagst, ich glaube, er trägt auch immer maßgeschneiderte Anzüge“, grübelte Yūri laut. Phichit pfiff durch die Zähne. „Wo arbeitet er noch mal?“, fragte er dann. „Ähm... Er ist Redakteur bei einem Verlag, aber wo genau, weiß ich nicht“, mit einem Mal ärgerte sich Yūri über sich selbst, dass er da nicht mehr nachgehakt hatte. Das musste er auf jeden Fall tun, spätestens, wenn sie ein wenig mehr Zeit füreinander haben. „Also entweder ist er aus reichem Haus oder er ist nicht einfach nur ein normaler Redakteur. Ich bezweifle, dass die genug verdienen. Für die Kleidung vielleicht, aber nicht die Uhr!“, beharrte Phichit. „Was hast du denn plötzlich mit der Uhr?“, fragte Yūri verwirrt. „Das war so eine mit sichtbaren Uhrwerk! Das ist total faszinierend, weil man da sieht, wie die klitzekleinen Zahnräder ineinander greifen!“, Phichit war wieder ähnlich Feuer und Flamme wie bei der Aussicht, die Sightseeing-Tour führen zu dürfen.
 

„Eben mochtest du ihn noch nicht“, gab Yūri kopfschüttelnd zurück. „Von mögen kann ja auch noch keine Rede sein! Aber meine Hamster leben noch und das Futter hier“, er schüttelte eine Pappschachtel vor Yūris Augen, „ist auch nicht aus deinem Mist gewachsen, oder?“, er zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch. „Du hast vollkommen recht. Victor meinte, dass wenn er die Verantwortung für deine Hamster hätte, er auch dafür sorgen würde, dass es ihnen gut geht“, lachte Yūri. „Das hat er geschafft“, nickte Phichit. „Das gibt noch einmal 2 Punkte zusätzlich in der Wertung. Aber einen werde ich wohl wieder abziehen müssen, weil er die Drei damit vermutlich versaut hat und sie nur noch das super teure Futter wollen“, schnaubte Phichit dann. „2 Punkte? Wie viele hat er denn und bis wohin geht die Skala?“, wollte Yūri wissen. „Diese Skala geht bis 10 Punkte, dein Victor hat schon einmal 4. Mit dem Punktabzug“, stellte Phichit klar. „Nur? Und warum hast du 'diese' so betont?“, Yūri runzelte die Stirn. „Nun, dass ist die 'Akzeptiere-ich-Victor-als-deinen-Partner?'-Skala. Bevor ihr heiratet, muss er noch ein paar mehr Punkte zulegen“, nickte Phichit zu sich selbst. „Wer redet eigentlich hier schon von Heirat?! Du möchtest dich nur auf meine Kosten betrinken“, schnaubte Yūri. „Falsch! Auf seine!“, grinste Phichit.

Pokerface

Tatsächlich ließ Phichit am nächsten Tag nichts aus. Sie hatten sich das Guardian Building und das Fisher Building angeschaut, hatten die Old St. Mary's Church besichtigt. Makkachin hatte vermutlich der Belle Isle Park am besten gefallen, doch Victor fand auch das Detroit Historical Museum sehr interessant. Tatsächlich fragte er sich, warum er nicht schon einmal früher in diese Ausstellung gegangen war. Und die ganze Zeit konnte er mit Yūri hinter der kleinen Gruppe hinterher schlendern, während Phichit mit leuchtenden Augen Yurio und Otabek die Stadt zeigte. Zuerst war Yurio eher genervt, bis er bemerkte, dass Otabek Phichits Ausführungen recht interessiert folgte. Otabek war auch noch nicht allzu lange in der Stadt, erinnerte sich Victor.
 

Victor wunderte sich, dass Yurio im Beisein von Otabek meistens umgänglicher war. Er war sich aber nicht sicher, warum das so genau war. Vielleicht war es Otabeks ruhige Art, die Yurio ein wenig beruhigte oder erdete? Auch wenn Victor nicht wusste, was es war, war er sehr froh darum. Hätte er vorher Wetten abschließen müssen, hätte er eher damit gerechnet, dass er den ganzen Tag nörgeln würde. Doch Victor musste auch zugeben, dass Phichit seine Sache gut machte. Es war erstaunlich, denn er war ja erst vor einigen Stunden aus New York zurückgekommen und hatte sich sicher auch noch einmal zum Schlafen hingelegt. „Bist du sicher, dass er Arzt ist? Denn aktuell wirkt es eher, als sei er Fremdenführer“, lachte Victor leise zu Yūri. „Ja, er hat bei einer Sightseeing Agentur gearbeitet, während er studiert hat. Er liebt es, Leute durch die Stadt zu führen. Du müsstest mal sein Instagram-Account sehen. Es gibt jede Menge Gruppen-Selfies von dieser Zeit, man könnte meinen, dass er zu seinen Studienzeiten super beliebt gewesen wäre“, lachte Yūri. „War er nicht?“, Victor runzelte die Stirn. „Doch. Phichit ist so jemand, der eigentlich mit allen auskommt“, antwortete Yūri. „Ist das so?“, Victor zog eine Augenbraue hoch und bezweifelte die Aussage doch ein wenig.
 

Doch dann fiel ihm ihre erste Begegnung in diesem japanischen Imbiss in ihrer Wohngegend ein. Er hatte ihm eine mehr oder weniger hilfreiche Essensberatung gegeben und das sogar ohne ihn darum zu bitten. Aber warum war er dann zu ihm so misstrauisch? Sie hatten schon über die Hotline gesprochen und hatte Phichit ihn nicht mehr oder weniger gelobt, weil er sich keinen Vorteil aus Yūris Lage als er krank war geschlagen hatte? Also warum war er dann so? „Ist irgendetwas, Victor?“, riss ihn Yūris Stimme aus den Gedanken. „Ach, ich frage mich einfach, wie ich Phichit von mir überzeugen kann“, gestand er ehrlich. „Sei einfach du selbst, das reicht völlig“, lächelte ihn Yūri mit einem leichten Rotschimmer auf den Wangen an und Victors Herz setzte einen Schlag aus. Am liebsten wollte er Yūri auf der Stelle in den Arm nehmen und küssen, aber vermutlich war das keine gute Idee. Stattdessen nahm er kurz Yūris Hand und drückte sie mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. „Hey, ihr Lahmärsche. Wir wollen was zu Abend essen. Kennt ihr hier irgendetwas?“, ruinierte Yurio die Stimmung zwischen ihnen. Victor legte einen Finger an seine Lippe und überlegte kurz. „Nicht weit von hier sollte ein gutes koreanisches Restaurant sein, das für sein frittiertes Hühnchen bekannt ist“, schlug er dann vor.
 


 

Yūri war immer wieder überrascht, woher Victor die vielen guten Restaurants kannte. Er begründete es immer damit, dass er durch seinen Beruf oftmals in Cafés, Bars oder Restaurants Treffen mit Autoren hatte, aber das warf bei Yūri wieder mehr Fragen auf. Er nahm sich fest vor, dass sobald Victor ein wenig mehr Zeit hatte, er ihn mal richtig fragen würde, was er so machte und auch nach den Namen einiger Autoren fragte. Doch aktuell wollte er Victor mir Fragen zu seinem Beruf nicht noch das Wochenende verderben. Immerhin hatte er ja schon angekündigt, dass sie sich in den nächsten zwei Wochen deswegen weniger sehen konnten. Yūri machte schon heimlich Pläne, ihm ein Care-Paket zu packen oder andere Kleinigkeiten für ihn zu tun. Immerhin hatte sich Victor so selbstlos um ihn gekümmert und war sogar bei ihm geblieben und hatte von seiner Wohnung aus gearbeitet. Das war nicht selbstverständlich, darüber war sich Yūri im Klaren. Umso mehr verspürte er den Drang, etwas Gutes für Victor zu tun.
 

Sie hatten zwei große Portion Yangnyeom tongdak, also die frittierten Hähnchenteile für das der Laden bekannt war, bestellt. Eine Portion in mild und die anderen Portion mit der landestypischen, koreanischen Würzung. Dazu hatten sie noch einfachen, weißen Reis bestellt. Als ihr Essen serviert wurde, lief Yūri das Wasser im Mund zusammen, so gut roch es. Yūri musste Grinsen, als er Victors funkelnde Augen sah. Es war nicht neu für Yūri, dass Victor gerne neue Gerichte ausprobierte und offen für alle möglichen kulinarischen Erkundungen war. Das ließ ihn tief in seinem Inneren hoffen, mit ihm eines Tages das Katsudon seiner Mutter essen zu können. Was er wohl dazu sagen würde? Er sah zu, wie Victor von seinem Stück Hähnchen abbiss und kaute. Innerlich zählte er langsam von 3 runter: 3... 2... 1... Yūri versuchte nicht einmal das Grinsen zu unterdrücken, als sich Victors Augen ein wenig weiteten und er „Вкусно!“ ausrief.
 

Yurio neben ihm schnaubte abfällig und murmelte etwas, das Yūri nicht verstand. Allerdings vermutete er, dass er diese Marotte von Victor bereits kannte und, wie von so vielem, genervt davon war. Währenddessen plapperte Phichit fröhlich vor sich hin, wobei sich Yūri nicht ganz sicher war, ob ihm irgendwer überhaupt zuhörte. Aber auch Phichit schien es egal zu sein, ob ihm jemand zuhörte. Doch auch schnell war der letzte Redeschwall vorbei und alle stürzten sich auf das Essen. Gefräßiges Schweigen machte sich am Tisch breit. Die Besitzer des Ladens hatten so viel Spaß mit ihrer bunten Truppe, dass sie ihnen noch einen Teller mit Nuss-Yeot, eine Art koreanisches Toffee und Maejakgwa, ein geflochtenes, buntes Gebäck mit Honig, Ingwer und Zimt, hinstellten. Natürlich machten sie sich auch mit dem gleichen Enthusiasmus über diese Leckereien her.
 


 

Victor war froh, den Tag ohne einen größeren Wutausbruch seines Bruders, über die Bühne gebracht zu haben. Natürlich war er das ein oder andere Mal grummelig gewesen, aber alles in allem hatte er sich recht umgänglich verhalten. Nun standen Phichit, Yūri und er vor dem Gebäude, in dem seine Wohnung war und er wollte nicht wirklich, dass der Abend endete. Yurio und Otabek hatten sich schon nach drinnen verabschiedet, hatten sogar Makkachin mitgenommen, der nach dem ereignisreichen Tag ziemlich platt war. Und nun druckste er ein wenig herum, da er noch gerne Zeit mit Yūri verbringen wollte, aber auch nicht stören wollte, da er seinen Freund und Mitbewohner auch eine Weile nicht mehr gesehen hatte. Er war sich nicht sicher, wie er vorsichtig nachfragen sollte, daher lobte er unverfänglich Phichits Führung und hoffte, ihm würde das Thema abgenommen werden. Seit wann fühlte er sich eigentlich so unglaublich unsicher? Das war doch sonst nicht seine Art! Das frustrierte ihn.
 

„Jetzt wo die Kinder zu Hause sind, machen wir uns jetzt frisch für den Erwachsenenteil des Abends?“, fragte Phichit unverhofft und ließ Victor aufblicken. „Für den Erwachsenenteil?“, hakte er überrascht nach. „Ja, Kneipentour“, Phichit grinste und zuckte mit den Achseln. Victor blickte fragend zu Yūri, der nur mit den Achseln zuckte. „Ja, klar. Warum nicht?“, er blickte die beiden abwartend an, aber sie schauten nur zurück. „Gut, also dann in einer halben Stunde? Soll ich zu euch kommen?“, fragte er dann. „Klingt gut, dann sehen wir uns gleich!“, bestätigte Phichit und schob Yūri vor sich hin.
 

In Windeseile hetzte Victor in seine Wohnung, sprang unter der Dusche und stand nur wenige Minuten später in seinem begehbaren Kleiderschrank. Schlussendlich entschied er sich für eine schwarze Jeans und ein braun-rotes, langärmeliges Oberteil mit V-Ausschnitt. Er schnappte sich noch eine helle Sweatjacke mit goldenem Reisverschluss vom Kleiderbügel, da er nicht wusste, wie kalt es die Nacht werden würde, vor allem, da er nicht wusste, wie lange sie unterwegs sein würden. Und wo es sie hin verschlagen würde. Victor fühlte sich wie ein Jugendlicher, der zum ersten Mal auf eine Party mitgenommen wurde. Schnell föhnte er sich noch die Haare und stand dann noch ein paar Minuten vor dem Spiegel und fragte sich, ob er seine Haare noch irgendwie anders frisieren sollte, verwarf aber die Idee, weil er Sorge hatte, es vermasseln zu können. Sich noch einmal die Haare waschen zu müssen würde sein Zeitmanagement vollkommen zerstören.
 

Zufrieden stellte er fest, dass Yurio Makkachin und Potya bereits gefüttert hatte, bevor er sich bei Otabek einquartiert hatte. Er überlegte kurz, ob er eine Nachricht schreiben sollte, dass er noch einmal weg ist, erinnerte sich aber an Yūris Worte. Er hatte ihm mehr oder weniger zu verstehen gegeben, sich ein wenig mehr um Yurio zu kümmern. Also hielt er auf dem Weg nach draußen kurz an der Haustür der Tursunbajs und informierte einen relativ mürrischen Yurio über sein Vorhaben.
 


 

Zu dem Zeitpunkt, in dem Yūri zum 2. Mal auf Toilette ging hatte Victor auch endlich genug von diesen grässlich riechenden Moscow Mule getrunken, dass er durchaus redselig zu sein schien. Das war zumindest die Beobachtung, die Phichit selbstzufrieden machte. Sein ganzes missmütiges Gehabe war natürlich größtenteils nur gespielt. Er konnte nicht behaupten, dass er Victor vollkommen vertraute, aber er hatte bereits mehr als nur einmal bewiesen, aus welchem Holz er geschnitzt war. Am Anfang war er vielleicht noch skeptisch gewesen, ob er Yūri auch wirklich liebte. Als bester Freund war er natürlich besorgt gewesen, dass Yūri von einem, zugegebenermaßen gutaussehenden, Gigolo verführt und danach wie ein benutztes Taschentuch fallen gelassen wurde. Doch diese Sorge hatte bereits das Bild vor dem Autohaus ein gutes Stück weit eingedämmt. Gut, zu diesem Zeitpunkt war sich Phichit nicht ganz sicher gewesen, ob Victor nicht einfach nur ein verdammt guter Schauspieler war oder ob das Funkeln in seinen Augen echt war.
 

Doch zu sehen, wie die beiden miteinander agierten, ließ keine Zweifel übrig. Manchmal war das so unschuldig und vorsichtig, dass Phichit glaubte, sein Herz würde schmelzen. Aus solchen Interaktionen wurden wahre Liebesgeschichten. Und nun war es an der Zeit für ihn, der einen Hälfte dieser Liebesgeschichte auf den Zahn zu fühlen. Gemessen an der Menge an Leuten in diesem Club würde Yūri etwas länger auf Toilette brauchen. „Also, Victor. Ist es dir ernst mit Yūri?“, fiel Phichit mit der Tür ins Haus und nippte an seinem Bier, als wäre es die normalste Frage der Welt. Zumindest hoffte er, dass er sein Pokerface aufrecht hielt. Aus den Augenwinkeln sah er, wie durch Victors Körper ein Ruck ging. Seine Augen, die ein wenig vom Alkohol getrübt aussahen, fokussierten ihn mit einer Entschlossenheit, die Phichit überraschte. „Natürlich! Ich weiß nicht, was ich tun muss, damit du es glaubst, aber ich tue es!“, es klang nicht wie eine Prahlerei oder Ähnliches. Vor allem war es überraschend, wie er sich trotz der Menge an Alkohol noch ausdrücken konnte. Phichit war sich auch mehr als bewusst, dass es nicht eben dieser Alkohol war, der aus ihm sprach.
 

Er rang sich ein leichtes Nicken ab. „Ich bin durchaus gewillt, dir zu glauben. Ich möchte eben nur nicht, dass Yūri verletzt wird“, er blickte ihn an und wusste, dass seine Mine ausdruckslos war. Er war stolz auf sich. Victor nickte fest. „Ich weiß, dass ich das eigentlich Yūri sagen müsste und das werde ich auch noch...“, Phichit spitzte die Ohren, als er Victor so hörte. Er klang gar nicht mehr so selbstsicher, wie er ihn bisher wahrgenommen hatte. „Das klingt jetzt kitschig, aber... Yūri erscheint mir wie der Sinn des Lebens, den ich bisher gesucht habe...“, er war zum Ende hin immer leise geworden, doch Phichit hatte alles gehört. War das nicht süß? Die beiden sorgten wirklich dafür, dass er Karies und Diabetes bekam, dachte er ungläubig. Doch so einfach konnte er nicht locker lassen. „Warum? Ich meine, so ein Typ wie du kann sich doch sicherlich nicht vor Verehrern retten. Egal ob männlich oder weiblich. Habe ich nicht recht? Du bist gebildet, siehst gut aus und bist obendrein noch steinreich“, Phichit sah ihn wieder aus den Augenwinkeln an und hob eine Augenbraue. Dabei hoffte er, möglichst locker und cool auszusehen.
 

Victor fixierte ihn stirnrunzelnd. „Woher willst du das wissen?“, fragte er. „Beantworte erst meine Frage“, zuckte Phichit mit den Achseln und grinste schief. Victor schnaubte. „Weil Yūri anders ist. Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, von einem Partner als Menschen wahrgenommen zu werden“, Victor schaute in die Reste seines Moscow Mule und stocherte mit dem Strohhalm in der Gurkenscheibe herum. „Ist das so?“, Phichit hob eine Augenbraue. Das hieße ja, er stritt das steinreich nicht ab, notierte er sich in Gedanken. Seine Schlussfolgerung aus der Uhr war also nicht falsch oder überzogen. „Das ist so, ja. Schlussendlich war ich immer die Kuh, die man melken konnte. Der Erbe eines erfolgreichen Unternehmens, eine gute Partie. Ich kann meinem besten Freund nur dankbar sein, dass er mich vor mehr dieser Erfahrungen bewahrt hat“, Victor blickte nicht auf und selbst Phichit hörte die Verbitterung in Victors Stimme. Erst dann sanken die Worte ein. „Erbe?“, brachte er fassungslos hervor. Victor sah ihn erschrocken an. Erst da erkannte Phichit, dass Victor dieses Detail wohl nicht hatte ausplaudern wollen.
 

Also war es Zeit, seinerseits ein Friedensangebot zu machen. Er hob die Hände, als wolle er aufgeben. „Das ist eine Sache zwischen euch beiden, da sage ich gar nichts“, versicherte er ihm, da ihm irgendetwas sagte, dass Victor und Yūri in ihrer Beziehung noch nicht an diesem Abgrund angekommen waren. „Das geht mich gar nichts an. Aber ich kann dir eine Sache versichern: Yūri ist ein sehr aufrichtiger Mensch. Er hätte sich vermutlich auch in dich verliebt, wenn er dich unter einer Brücke lebend vorgefunden hätte. Aber nur so unter uns gesagt: Er hat durchaus etwas dafür übrig, dich im Anzug zu sehen“, er zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Victor schien dabei, noch etwas zu sagen, doch er legte schnell einen Finger auf seine Lippen, denn er sah, wie sich Yūri den Weg zu ihrem Tisch zurück bahnte.

Enttäuschung am Morgen

Victor wurde mit hämmernden Kopfschmerzen wach. Er brauchte nicht die Augen zu öffnen, um sich über seinen Zustand im Klaren zu sein. Sein Mund war staubtrocken, seine Zunge fühlte sich wie eine unbekannte Lebensart an und sein Kopf hämmerte und dröhnte. Es brauchte etwas, bis er merkte, dass das Warme in seinen Armen und in das er sein Gesicht gedrückt hielt, nicht Makkachin sein konnte. Dafür roch es ganz anders und war nicht flauschig genug. Er kannte den Geruch und auch die Form in seinen Armen war ihm vertraut. Dennoch musste er seine Augen doch ein wenig öffnen, um dies glauben zu können. Er blickte geradewegs auf einen nackten Rücken. Die Form bewegte sich langsam mit den sanften Atemzügen. Vor seinen Augen war geradewegs der dunkle Haaransatz, als hätte er seine Nase in dessen Haaren vergraben, während er geschlafen hatte.
 

Er zog die Nase kraus und drehte sich weg. Das war jetzt wirklich nicht das, was er so früh am Morgen brauchte. Er musste gestehen, dass er enttäuscht war. „Du solltest dir dringend mal die Haare färben lassen, ich sehe schon graue Haare“, grummelte er und schwang seine Beine aus dem Bett. „Ich weiß, dass du mich liebst“, kam es ebenso grummelnd aus dem Bett zurück. „Das tue ich, aber dich wollte ich heute morgen echt nicht in meinem Bett sehen. Du solltest auf der Matratze auf dem Boden schlafen“, seufzte Victor auf der Bettkante sitzend und versuchte Motivation zu sammeln, um aufzustehen. „In der Bar hast du dich gefreut, mich zu sehen. Ich fühle mich langsam ein wenig vernachlässigt von dir“, erklang es lachend. „Sagt der, der nie in der Stadt ist und dann plötzlich aufkreuzt, ohne sich vorher zu melden wohlgemerkt, während ich versuche mich mit dem besten Freund meines Partners gutzustellen und am Ende liegst du halb nackt in meinem Bett“, seufzte Victor theatralisch und legte seine Stirn in seine Handfläche.
 

„Hat doch wunderbar funktioniert. Außerdem hast du noch fast alle Klamotten an“, lachte Chris, verstummte aber sofort wieder und hielt sich den Kopf. „Man, wir werden langsam zu alt für den Scheiß!“, jammerte er dann. „Wir? Ich war den ganzen Abend vernünftig und habe nur Moscow Mule getrunken. Und dann kommst du und bestellst munter die ganze Karte rauf und runter und füllst uns alle ab!“, Victor wurde langsam wach genug um eine leichte Übelkeit zu verspüren. „Aber du und dein Yūri hattet doch Spaß. So eng umschlungen ihr teilweise miteinander getanzt habt. Die haben sogar auf der Tanzfläche Platz für euch gemacht. Ihr wart der Hingucker des Abends! Wie spät ist es eigentlich“, grinste Chris schief. Victor griff mürrisch zu seinem Handy. Neben einer SMS seines Bruders der ihm in einer sehr vulgär-bildlichen Sprache erklärte, dass er ein alter Säufer sei und er sich um seinen armen, vernachlässigten Hund kümmern würde, zeigte sein Handy einen Termin für den Abend an. „Texas de Brazil, heute 17:00 Uhr?“, las er verwundert vor. „Ach ja! Ich habe euch eingeladen“, kam es Chris in den Sinn. „Euch?“, fragte Victor. „Na, Phichit und Yūri. Und dich natürlich auch. Wir können auch deinen kleinen Plagegeist und seinen Freund mitschleppen.“
 

Und somit waren Victors Pläne für das Wochenende komplett verworfen. Eigentlich hatte er gehofft, noch ein paar ruhige Stunden mit Yūri zu verbringen. Im Prinzip sein Akku aufladen, bevor ab morgen die Hölle auf der Arbeit losbrach und er sich vermehrt mit Alans Autogrammstunde abmühen musste. Aber natürlich war es ihm nicht vergönnt. Andererseits, wie er hätte er das mit den ruhigen Stunden anstellen können, wenn Yurio bei ihm zu Hause rumlungerte und bei Yūri eben sein Mitbewohner auch seine Daseinsberechtigung hatte. Victor seufzte. „Ich brauche jetzt erst einmal einen Kaffee“, grunzte er, während er aufstand. „Gute Idee. Bringst du mir einen Kaffee ans Bett, Liebling?“, grinste Chris und klimperte mit den Lidern. „Keine Speisen und Getränke im Bett“, schnaubte Victor und ging in die Küche, ohne auf eine Antwort von Chris zu warten.
 


 

„Siehe es positiv, du hast einen Freund von Victor kennengelernt“, lachte Phichit, als er Yūri eine Tasse Kaffee auf den Küchentisch stellte. Yūri hingegen grummelte nur etwas gegen die Tischplatte, die seinen zu schweren Kopf abstützte. „Was sagtest du?“, fragte Phichit fröhlich. Eine Spur zu fröhlich, wenn es nach Yūri ging. Und überhaupt, seit wann hatte sein Freund eine so laute und schmerzhafte Stimme? „Ich war überrascht, dass er überhaupt einen Freund hat“, grübelte Phichit weiter. „Natürlich hat Victor Freunde. Warum sollte er keine haben? Und könntest du ein bisschen leiser sein? Warum geht es dir eigentlich nach dem Abend so gut?“, stöhnte Yūri. „Zum einen, ja. Ich habe das durchaus für möglich gehalten. Immerhin bin ich mir immer noch nicht sicher, warum er es nötig hatte, bei einer Sex-Hotline anzurufen. Mehrere Male! Und zum anderen: Im Gegensatz zu dir habe ich nicht durcheinander getrunken“, Yūri konnte sehen, dass ihm Phichit vergnügt zu zwinkerte. Phichit gehörte schon immer zu diesen beneidenswerten Menschen, die selten einen Kater hatten. Yūri wünschte sich diese Fähigkeit auch.
 

„Ich habe keine Ahnung, Phichit. Und denken tut weh“, maulte er, da er seinen Kopf plötzlich wieder mehr spürte. „Oder er wollte es einfach nur mal ausprobieren und dann warst du so gut...“, das Grinsen in Phichits Stimme war deutlich zu hören. „Du wolltest nie drüber reden, als ich da noch gearbeitet habe und jetzt wirst du plötzlich gesprächig deswegen?“, seufzte Yūri. „Du hast da einen recht ansehnlichen Kerl aufgerissen, ich dachte, ich könnte das auch mal versuchen?“, lachte Phichit und Yūri konnte nur noch die Augen verdrehen. „Wobei... Das war ja eher der Unfall, oder? Da bin ich dann wohl eher raus... Aber hat Victor mal etwas von diesem Chris erzählt? Was er arbeitet oder sonst irgendetwas? Immerhin ist der Schuppen heute Abend nicht gerade billig“, Phichit wurde offensichtlich nicht müde. „Könntest du bitte mal aufhören? Alleine der Gedanke an fester Nahrung dreht mir gerade den Magen um!“, jammerte Yūri. „Da werden wir wohl noch alle Hände voll zu tun haben, bis du wieder unter die Menschen gehen kannst, was? Los, trink deinen Kaffee aus und dann ab unter die Dusche!“
 


 

Sie standen nun schon seit 2 Stunden in Victors Ankleidezimmer. „Nein, das geht überhaupt nicht. Das ist ein Date, du willst ihm keine Versicherung verkaufen“, seufzte Chris und hatte die Hände über den Kopf zusammengeschlagen. „Das ist kein Date! Dein Mitbewohner, mein Bruder, der Nachbarsjunge und du sind mit dabei!“, antwortete Victor genervt. „Nachbarsjunge... Victor, hast du dich mal reden gehört? Du warst eindeutig zu lange alleine. Das grenzt an ein Wunder, dass du jetzt noch einen abbekommen hast! Was eindeutig an deinem Aussehen liegt. Versau es nicht mit deiner seltsamen Art!“, Chris schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Bitte was? Und so jemand möchte mein Freund sein?“, Victor spielte die Betroffenheit, musste aber auch zugeben, dass der Seitenhieb ihn schon ein wenig getroffen hatte. „Natürlich bin ich das. Sonst wäre ich jetzt nicht hier. Und wehe du holst jetzt diesen Anzug raus! Der ist reine Körperverletzung! Wer hat dir eigentlich einen glänzenden, olivgrünen Anzug aufgeschwatzt? Anzüge sind doch sonst immer dein Metier. Setz dich! Ich suche raus!“, Chris deutete Victor, sich zu setzen. „Warum muss es überhaupt ein Anzug sein? Wir haben so viele Möglichkeiten, aber nein, du suchst nach einem legeren Outfit, aber es muss ein Anzug sein! Du hast Tausende Anzüge hier, aber die schreien einfach Geschäftsmann! Du bringst mich noch ins Grab damit!“
 

„Phichit meinte, Yūri sieht mich gerne im Anzug“, schmollte Victor und beobachtete, wie Chris inne hielt. „Er sieht dich gerne im Anzug?“, hakte er nach. „Laut Phichit schon, ja“, bestätigte er. „Ok, mein alter Freund! Überlass das nur mir. Wir kriegen das schon hin! Dann erfinden wir den Anzug einfach neu!“, Chris krempelte sich die Ärmel hoch und durchsuchte hektisch die Anzüge. Dann zog er einen in beige heraus. „Die Farbe ist perfekt!“, freute er sich und drückte ihn dem verwirrten Victor in die Hand. „Und ein weißes Hemd, hervorragend!“, auch das Hemd landete in seinen Armen. „Du ziehst das erst einmal an, ich muss mal kurz zum Auto!“, damit war Chris auch schon verschwunden. Doch statt sich umzuziehen, zog Victor erst einmal sein Handy aus der Tasche seiner Jogginghose. > Wie geht es dir? < Tippte er einfach und hoffte, dass es Yūri besser ging als ihm.
 

Er hatte sich gerade seinen Klamotten entledigt und das Hemd noch nicht zugeknöpft, als sein Handy vibrierte. > Ganz gut. Ich hätte nur nicht gedacht, dass mein Kopf so riesig sein kann. Und dir? < Victor lachte über die Antwort, offensichtlich schien es Yūri ähnlich schlecht wie ihm selbst zu gehen. > Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich heute Abend schon feste Nahrung zu mir nehmen kann < antwortete er wahrheitsgetreu. Dann knöpfte er das Hemd zu und zog den Anzug an. Er hatte gerade die Anzugsjacke im Spiegel gerichtet, als Chris wieder in der Tür stand. „Schon nicht schlecht, aber das Hemd knöpfen wir ruhig noch ein wenig auf.“ Mit zwei schnellen Schritten stand Chris vor Victor und machte die drei ersten Knöpfe auf. „Ist das nicht ein wenig übertrieben“, Victor schaute an sich hinunter. „Ich kann von hier meine Nippel sehen“, fügte er noch mit einem Stirnrunzeln hinzu. „Fein, dann eben einen Knopf wieder zu. Aber du nimmst scheinbar dein Training mittlerweile etwas ernster. Du kannst ruhig zeigen, was du hast“, Chris grinste anzüglich.
 

„Also keine Krawatte?“, wechselte Victor das Thema. „Natürlich keine Krawatte! Herrgott noch mal, Victor!“, echauffierte sich Chris kopfschüttelnd. Dann streckte er seinen Arm aus und drückte etwas gegen Victors Brust. „Hier, anziehen“, sagte er dabei. Victor guckte hinunter und sah ein paar beige Wildleder-Halbschuhe zum Schnüren. Sie waren vielleicht ein Tick zu leger für seinen normalen Kleidungsgeschmack, aber trotzdem nicht weit davon entfernt. „Sind das deine?“, fragte Victor irritiert. „Ja, das sind meine. Ich habe sie nur einmal getragen und keine ansteckenden Krankheiten“, kam es genervt zurück. „Ist ja gut, ich hole nur gerade Socken“, Victor wollte schon gar nicht mehr protestieren, denn er kannte Chris mittlerweile gut genug. Entweder würde er mitmachen oder den Rest des Abends fiese Kommentare über sein Outfit ernten. „Aber nur die tief geschnittenen. Wehe ich sehe ein Fitzel Socke!“, zeterte Chris weiter. „Warum denn das? Das sieht man unter dem Anzug doch eh nur, wenn ich sitze!“, Victor atmete tief durch, denn langsam kostete es doch Nerven. „Wir werden die Beine noch etwas hochkrempeln!“, grinste Chris ihn triumphierend an. „Wir werden... Nein, Chris. Nein, nein. Das macht man einfach nicht mit einem Anzug!“
 


 

„Heilige Scheiße, sieht der immer so aus, wenn er einen Anzug trägt?“, fragte Phichit ihn, also sie Victor und Chris schon von Weitem ausmachte. Victor sah ungewöhnlich aufgemacht aus. Er trug zwar einen Anzug, aber irgendwie fehlte diese stylische Eleganz. „Nein, eigentlich nicht“, gab Yūri zurück. „Echt? Schade, weil so könnte ich es verstehen, dass du ihn im Anzug magst“, grinste Phichit zurück und Yūri merkte, wie ihm ein wenig die Hitze in die Wangen stieg. „Gut siehst du aus, Victor! Und du auch Chris!“, grüßte Phichit überschwänglich. Yūri steuerte sofort Victor an und sein Herz hämmerte wie wild in seiner Brust, als Victor sich zu einem Kuss hinunterbeugte. „Awwww“, hörte er zweistimmig hinter ihnen. Als sich Victor wieder aufrichtete, rollten sie beide mit den Augen. „Du siehst gut aus. Anders, aber gut“, grinste Yūri schief, denn er hatte das Gefühl, irgendetwas sagen zu müssen. „Findest du? Was gefällt mir besser, so oder normal im Anzug“, fragte Victor. „Normal“, platzte es aus Yūri heraus, bevor er sich bewusst war, dass das Victor vielleicht falsch verstehen konnte. Yūri hatte das Gefühl, seine Ohren würden vor Scham brennen. Doch Victor schenkte ihm einfach ein breites Grinsen, schlang einen Arm um seine Schulter und schob ihn zum Auto. „Kommt schon, sonst sind wir zu spät“, rief er über die Schulter.
 

Sie brauchten nur knapp 20 Minuten bis zum Lokal. Victor hatte darauf bestanden, dass Yūri auf dem Beifahrersitz Platz nahm, während er selbst fuhr. Nahezu während der gesamten Fahrt ruhte Victors Hand auf Yūris Oberschenkel. Die Geste wirkte so alltäglich, als würden sie es schon ewig so machen und Yūri konnte nicht behaupten, dass es unangenehm für ihn war. Die Wärme von Victors Handfläche bereitete Yūri leichte Gänsehaut. Nach einem Augenblick hatte er seine Hand auf Victors gelegt und auch wenn Victor ihn nicht angeschaut hatte, konnte er eindeutig das breite Grinsen erkennen. Es ließ Yūris Herz höher schlagen, dass er eine solche Reaktion nur mit einer Berührung hervorrufen konnte. Fast schon bedauerte es Yūri, als sie auf den Parkplatz abbogen und Victor das Auto abstellte.
 

Als sie ausstiegen grinsten Phichit und Chris sie an, als hätten sie irgendetwas ausgeheckt. Doch noch bevor ihm diese Aufmerksam richtig unangenehm wurde, nahm Victor seine Hand und schaute beide mit hochgezogener Augenbraue an. „Ist irgendwas?“, fragte er dann in einem herausfordernden Ton, den Yūri von Victor noch nicht wirklich kannte. Dabei hatte er eine Hand in die Hüfte gestemmt. Beide schüttelten mit schelmischem Grinsen den Kopf. „Überhaupt nicht“, Chris war der erste der sprach und abwehrend die Hände hob. „Ihr seht nur so süß zusammen aus“, lachte Phichit nun. In Victors Gesicht wechselten sich ein paar Emotionen ab, doch noch ein paar Sekunden schien er der Auffassung zu sein, dass diese Auskunft, gerade aus Phichits Mund, positiv war. Er grinste wieder breit und nickte. „Ich hoffe, ihr seid bereit, Unmengen an Fleisch zu verspeisen“, rief Chris fröhlich, worauf hin Yūri das Gesicht verzog. „Keine Sorge, Любимый. Wir fangen langsam an.“

So gute Freunde

„Die frische Luft tut wirklich gut“, seufzte Yūri, nachdem er Victor ins Freie gefolgt war. „Ja, überlassen wir die beiden mal sich selbst. Mir ist völlig unklar, wie viel Fleisch sie in sich reinstopfen können“, lachte Victor vor ihm kopfschüttelnd. „Vor allem nach dem vorherigen Abend“, musste ihm Yūri beipflichten. Sie hatten zwar auch von fast allen gegrillten Spießen probiert, die an ihrem Tisch angeboten worden waren, aber mit der Aussicht auf eine zweite Runde, hatten sie sich gemeinsam zum 'frische Luft schnappen' vom Tisch entschuldigt. Als Victor Yūris Hand schnappte, tanzten die Schmetterlinge wie verrückt in Yūris Bauch. Er war sich ziemlich sicher, dass er grinste wie ein verliebter Schuljunge und es machte ihm noch nicht einmal etwas aus.
 

Sie schlenderten über den Parkplatz auf eine Bank zu. Victor ließ seine Hand auch dann nicht los, als sie sich setzten. „Es tut mir wirklich leid, dass ich mich die nächste Zeit ein wenig rar machen muss“, seufzte Victor leise und schaute Yūri in die Augen. Yūri konnte den Widerwillen in Victors Blick erkennen. „Wir können uns ja schreiben und ich muss mal wieder etwas arbeiten, das habe ich jetzt doch ein wenig vernachlässigt. Ich möchte nicht noch gekündigt werden, weil ich nicht genug Aufträge annehme“, lachte Yūri. „Und wir können abends telefonieren“, schob Yūri dann hinterher. „Telefonieren?“, Victor grinste schief und hob vielsagend eine Augenbraue in die Höhe. „Nicht so! Normal telefonieren!“, selbst in Yūris Ohren hörte sich seine Stimme ein wenig zu schrill an und er war sicherlich auch zu laut gewesen. „Weiß ich doch“, lachte Victor liebevoll und fuhr mit seinen Fingern leicht durch Yūris Haare. „W-warum machst du dann so eine Andeutung?“, fragte Yūri eine Spur verzweifelt. „Weil ich sehen wollte, wie du rot wirst. Das ist mir sehr gut gelungen“, grinste Victor zufrieden. Yūri schloss die Augen und schnaubte, musste aber auch ein wenig darüber lachen.
 

„Ich war noch nie in so einem Restaurant. Das ist ein eigenartiges Konzept“, sagte Yūri nach einer Weile Stille zwischen den beiden und schaute auf das Gebäude am anderen Ende des Parkplatzes. „Ich weiß nicht, ob das tatsächlich eine Sache in Brasilien ist, aber diese Art von brasilianischen Restaurants gibt es öfter in Amerika. Ist ja auch irgendwie recht simpel, oder? Eine großes Buffet mit Brot, Salaten, Gemüse und Nachtischen, dann die Spieße mit gegrilltem Fleisch und Fisch, die am Tisch abgeschnitten und serviert werden. Du musst nur die Garzeiten im Blick behalten. Keine 30 Menüs auf der Karte, die man theoretisch innerhalb kurzer Zeit kochen kann und jeder kann entscheiden, was er will. Und dann noch die Extrawünsche... Da stelle ich mir das kochen hier einfacher vor“, während Victor darüber nachgedacht hatte, hatte er einen Finger seiner freien Hand an die Lippe gelegt. „Aber du musst das Buffet vorbereiten und auch nachfüllen können. Und das Fleisch wächst auch nicht auf den Spießen. Also musst du es zurecht schneiden und ordentlich marinieren. Wenn du zu wenig hast, ist es nicht gut und wenn du zu viel hast, produzierst du Abfall. Ich glaube nicht, dass das hier einfacher für einen Koch ist, vermutlich nur anders“, gab Yūri zu bedenken.
 

„Willst du mir gerade meinen Traum, Koch in einem brasilianischen Restaurant zu werden, kaputt machen?“, fragte Victor erschrocken. Würde Yūri Victor nicht mittlerweile kennen, hätte er diese Reaktion wahrscheinlich für echt gehalten. „Du solltest eher Schauspieler werden. Für kitschige Romatikkomödien, oder so“, lachte Yūri. „Waaas? Warum keine trashigen Katastrophenfilme?“, fragte Victor mit Hundeblick. „Weil du zu gut dafür aussiehst“, grinste Yūri und Victor schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Außerdem passt Kitsch mehr zu deinem Charakter. Da brauchst du dich nicht wirklich anstrengen“, holte Yūri zum Gegenschlag aus. Victor legte eine Hand auf seine Brust, dort wo sein Herz war. „Yuuuri!“, wimmerte er. „Ich bin getroffen, mein Herz blutet!“ Yūri fing an zu lachen. „Sag ich doch“, kicherte er nach einem Augenblick. „Wenn das so ist, könntest du der Bösewicht bei jedem James-Bond-Film spielen oder der böse Gegenspieler bei Bollywood-Filmen“, schmollte Victor und tat so, als würde er seine Hand aus Yūris zurückziehen wollen. „Der böse Gegenspieler aus einem Bollywood-Film?“, fragte Yūri verwirrt. „Die Tanzskills hast du auf jeden Fall dafür. Allerdings weiß ich nicht, ob in so einem Film Poledancing erlaubt ist“, grinste Victor wieder breit. Obwohl er wieder die Hitze in seinem Gesicht spürte, zog er Victor am Kragen zu sich. „Küss mich lieber.“
 


 

Als sie zurückkamen, grinsten Phichit und Chris sie anzüglich an. „Was hat da wohl so lange gedauert?“, fragte Chris mit einem breiten Grinsen in Phichits Richtung. „Ich habe keine Ahnung, was die beiden getan haben könnten“, gab Phichit in einer sarkastischen Tonlage zurück. Victor legte noch im Stehen die Hand gegen die Stirn. „Wir sollten die beiden einfach hier sitzen lassen“, seufzte er dann in Yūris Richtung. Aber er musste selbst ein wenig Grinsen, als er sah, wie Rot Yūri wieder war. Er überlegte kurz, doch noch auf Phichits und Chris Zug aufzuspringen und ihn noch weiter in Verlegenheit zu bringen, verwarf das aber gleich wieder. Immerhin würden sie sich jetzt für eine Zeit nicht mehr ganz so oft sehen und Victor wollte vermeiden, dass sie sich mit einem schlechten Gefühl trennten. Er wollte sich nicht ausmalen, wie es wäre, wenn er Yūri verunsichern oder vielleicht sogar verärgern würde. Es würde mit Sicherheit damit enden, dass er selbst kaum etwas erledigt bekommt, weil er seine Gedanken einfach nicht auf die Arbeit lenken konnte.
 

Daher wandte er sich wieder zu Yūri und deutete dabei auf die zwei Flaschen Bier auf dem Tisch: „Die beiden sind offenbar schon wieder betrunken. Sollen wir sie einfach hier sitzen lassen und fahren?“ Yūri lachte leise und nickte, doch sie hatten ihre Rechnung ohne Chris gemacht. Der war sofort aufgesprungen, hatte seine Arme um Victors Schultern geschlungen und jammerte: „Du kannst uns doch nicht alleine lassen!“ Victor war klar, dass nun alle Augen auf ihm waren, auch die Leute vom Nachbartisch schauten überrascht wegen der Szene, die sich vor ihren Augen abspielte. „Stimmt, dich kann man wirklich nicht alleine lassen“, schnaubte Victor und pflückte Chris Arme von sich. Er wollte die Szene so klein wie möglich halten, damit Yūri nicht noch verlegener wurde. Er war froh, dass Chris merkte, dass er sich nicht darauf einlassen wollte und es gut sein ließ. Je nach Laune hätte das auch noch ziemlich eskalieren können zwischen ihnen. Sie hätten sich gegenseitig hochgeschaukelt und den Gästen eine Show geboten, die sich gewaschen hätte. Aber heute war das vielleicht keine so gute Idee. Außerdem wollte er auch immer noch eine gute Figur vor Phichit abgeben. Er hatte nicht mehr viel Gelegenheit, seinen Ruf wieder herzustellen, wenn ihm jetzt ein grober Schnitzer unterlief.
 

Also setzten sie sich wieder hin und Victor bestellte noch ein stilles Wasser für sich. Danach schauten Yūri und Victor gemeinsam ungläubig zu, wie sich Chris und Phichit über das Nachspeisen-Buffet her machten. „Was sagtest du, arbeitet Phichit noch mal? Bist du sicher, dass er nicht Wettkampfesser von Beruf ist?“, fragte Victor kopfschüttelnd. „Gut möglich, dass er in New York den Job gewechselt hat“, lachte Yūri zurück. „Aber Chris ist auch nicht viel besser“, fügte Yūri hinzu. „Chris isst einfach nur unregelmäßig und macht Sport wie ein Wahnsinniger. Damit er weiter trinken und ungesunde Sachen essen kann“, seufzte Victor. „Was ist mit mir?“, fragte Chris. „Und er hat Ohren wie ein Luchs“, lachte Victor, an Chris gerichtet wiederholte er aber lieber nur einen Teil: „Ich habe gesagt, dass du wie ein Wahnsinniger Sport machst.“ Chris nickte enthusiastisch. „Ich bin auf vielen Partys, muss eine gute Figur abgeben und Alkohol geht sofort auf die Hüften“, er sagte es, als wäre es der Schuld des Alkohols und nicht seine eigene. „Ganz einfache Lösung: Trink weniger“, Victor hob eine Augenbraue und bekam von Chris einen Blick zugeworfen, der mehr oder weniger andeutete, dass er mit der Bemerkung selbst im Glashaus saß.
 

Bald darauf machten sie sich auf den Weg nach Hause. Chris erzählte ein paar Geschichten aus ihrer gemeinsamen, stellenweise recht wilden Studienzeit. Natürlich inklusive einem ausführlichen Bericht über ihre Bahamas-Reise, nachdem sie die LGBT-Bars der Stadt unsicher gemacht hatten. Chris erzählte ausufernd, und nach Victors Meinung sehr übertrieben, wie Victor während des Hurrikans mit seinem Leben abgeschlossen hatte und alle Götter angefleht hatte, noch einmal Makkachin sehen zu können. Abwechselnd schüttelte er mit dem Kopf und rollte mit den Augen, er hätte sich lieber die Zunge blutig gebissen, als zuzugeben, dass ihn die Geschichte selbst sehr amüsierte und er vielleicht auch ein klein wenig übertrieben hatte. Allerdings war das Hotel nicht unbedingt das Neuste gewesen, daher hatte er eigentlich schon erwartet, dass es über ihren Köpfen einbrach. Chris war erst fertig, als sie in der Tiefgarage von Victors Wohnung geparkt hatten.
 

„Wir bringen euch noch nach Hause“, bot Victor an und nahm Yūris Hand. Das „Awwww“, welches unisono von Chris und Phichit erklang, ignorierte er einfach. „Wann fährst du morgen auf die Arbeit?“, fragte ihn Yūri, als sie nach draußen in die frische Nachtluft traten. Es war tatsächlich ein wenig kühl um seine Knöchel und er verfluchte Chris ein weiteres Mal für dieses Outfit. „Ich denke, ich mache mich gegen halb 7 auf den Weg, warum?“, er blickte zu Yūri herunter und versuchte zu erkennen, warum er fragte. „Ich dachte, dass ich dir eine Motivationsnachricht schreibe“, lächelte er leicht und auch Victor musste lächeln. Sein Herz schlug vor Freude schneller und er konnte es auch eigentlich gar nicht erwarten, dass es Montagmorgen werden würde. Er hatte sich selten so auf einen Montag gefreut. Da er nicht wusste, was er darauf antworten sollte, drückte er einfach nur kurz Yūris Hand. Viel schneller als ihm lieb war, waren sie an Yūris und Phichits Wohnung angekommen. Sie standen sich an der großen Eingangstür gegenüber.
 

„Awww, gute Nacht, Yūri-Liebling!“ „Träum schön, Victor-Schatz. Ich vermisse dich jetzt schon“, ertönte hinter ihren Rücken, danach kicherten Chris und Phichit wie Schuljungen. Victor lachte leise und schüttelte den Kopf. „Können wir die beiden zum Mond schießen?“, fragte er Yūri und zeigte mit dem Daumen über die Schulter zu den beiden. „Bist du verrückt? Wenn die beiden die ersten Erdlinge sind, die von Außerirdischen entdeckt werden, machen die den ganzen Planeten platt!“, wandte er entsetzt ein. „Biiiiitteeeee? Ich bin ein angesehener, aufstrebender Arzt!“, echauffierte sich Phichit. „Und ich ein erfolgreicher Makler!“, fügte Chris dazu. „Echt? Das ist ja cool. Kennst du irgendwelche Promis?“, Phichit schien Feuer und Flamme. Victor brauchte nicht hinzuschauen, um das zu wissen. „Die beiden sind wir wohl erst einmal los“, seufzte Victor zufrieden. „Viel Erfolg auf der Arbeit, Victor. Das packst du und danach feiern wir deinen Erfolg“, lächelte Yūri ihm aufmunternd zu. „Dir auch viel Erfolg bei der Arbeit. Wir schreiben uns zwischendurch, ja?“, nickte Victor und beugte sich zu Yūri hinunter, um ihn zu küssen. Hinter ihrem Rücken machten Phichit und Chris laute Knutschgeräusche.
 

„Manchmal hasse ich dich, Chris“, seufzte Victor, als sie fast vor seiner Wohnung waren. „Was habe ich jetzt schon wieder getan?“, fragte er mit Hundeblick und unschuldigem Ton. „Die Frage ist, was du nicht gemacht hast!“, Victor schüttelte den Kopf. „Ich habe dich nur Phichit gegenüber sympathischer gemacht!“, verteidigte sich sein Freund, konnte dann aber sein Lachen nicht mehr unterdrücken. Als er die Wohnungstür aufschloss, lachte Chris immer noch und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Yurio und Otabek saßen auf der Couch und spielten irgendetwas auf einer Spielekonsole, die sie an Victors großem Fernseher angeschlossen hatten. „Was ist denn mit dem kaputt? Hat der was geraucht?“, nöhlte Yurio ohne Begrüßung und ohne vom Bildschirm aufzublicken. „'Der' hat euch heute Abend Pizza spendiert, weil du mit den 'alten Knackern' nicht essen gehen wolltest“, schnaubte Chris, offensichtlich immer noch in seiner Würde gekränkt. „Verdammt richtig. War die richtige Entscheidung, wie es aussieht“, schoss Yurio zurück.
 

Victor blickte kurz zwischen Chris und Yurio hin und her und schob Chris dann in Richtung Bad. „Du gehst jetzt erst einmal duschen und danach ins Bett. Ich muss morgen früh raus“, entschied er dann. Als er Chris ins Badezimmer verfrachtet hatte, kam er noch einmal in die Küche, um 2 Flaschen Wasser zu holen. Er blickte dabei auf den Hinterkopf seines Bruders. „Du siehst ganz schön zerrupft aus, Yurio“, lachte er. Yurio schien kurz innezuhalten, drehte dann aber seinen Kopf um, damit er ihm einen giftigen Blick zu werfen konnte. „Weil Beka mich in die Knie zwingt! Es ist zum Haare raufen!“, keifte er etwas zu laut. Otabek, stellte hustend sein Wasserglas wieder weg, offensichtlich hatte er sich verschluckt. „Ja, ein paar Demütigungen können dir nicht schaden. Vielleicht wirst du dann ein wenig ruhiger“, schloss Victor. Otabeks Husten wurde so schlimm, dass nun sogar Yurio ihm auf den Rücken schlug. „Dann euch gute Nacht, macht nicht mehr so lange“, verabschiedete sich Victor und war wirklich froh, dass die beiden so gute Freunde geworden waren. Vielleicht sollte er sich mal ein paar Tipps von Otabek geben lassen, sodass er bei diesem Spiel auch einmal gegen Yurio antreten konnte.

Vitya!

Victor konnte sich noch gut an den nächsten Morgen erinnern und an seine Überraschung, als ein warmer Becher Karamell-Macchiato und eine Tüte mit einem Karamellbrownie, einem Apfel, einer Banane und eine Packung Traubenzucker auf dem Dach seines Autos gefunden hatte. Auf der Tüte stand groß 'Du schaffst das und ich denke an dich, Yūri'. Alleine jetzt daran zu denken, ließ Victors Herz höher schlagen und ein Grinsen hatte sich unwillkürlich auf seine Lippen gelegt. Dass er Yūri am nächsten Tag auf frischer Tat ertappt hatte, hatte dazu geführt, dass sie sich die letzten eineinhalb Wochen immer noch kurz an seinem Auto getroffen hatten. Victor hatte zwar am Anfang klar gestellt, dass Yūri nichts für ihn kaufen musste, aber er hatte darauf bestanden. Eigentlich hatte Victor etwas dagegen, dass Yūri so viel Geld einfach mal so beiläufig für ihn ausgab, aber zum einen war es Yūris Entscheidung und zum anderen gefielen ihm ihre Treffen einfach viel zu gut.
 

Er konnte einfach nicht anders, als an den Stereotypen einer Familie in den 60er Jahren zu denken. Die Frau, die ihrem Mann das Lunchpaket machte und ihn dann mit einem Kuss auf die Arbeit schickte. Dieses Bild auf Yūri und ihn zu projizieren, war zwar auf so vielen Ebenen falsch, aber das Gefühl war für ihn gleich und wundervoll. Er war zwischen zwei absoluten Gegenteilen gefangen. Yurio, der ihn beinahe aus der eigenen Wohnung trat, wenn er morgens zu laut war und Yūri, der extra Kaffee für ihn holen ging, um ihm eine Freude zu bereiten. Er konnte sich wirklich daran gewöhnen, vielleicht sollte er einfach Yūri fragen, ob er bei ihm einziehen wollte? Andererseits war das vielleicht auch ein wenig zu früh? Außerdem wohnte er ja noch mit Phichit zusammen. So wie es aktuell war, reichte Victor auch erst einmal. Einen Schritt nach dem anderen machen, erinnerte er sich. Er durfte Yūri nicht überfordern oder, noch schlimmer, mit seinen Wünschen überfahren. Ein Unfall reicht, dachte Victor mit einem Schmunzeln und sah, wie Yūri die Auf- und Abfahrt der Tiefgarage herunterkam.
 

Er stieß sich von dem Betonpfeiler ab. „Ah, endlich! Ich habe schon sehnsüchtig auf meinen Kaffee gewartet“, sagte er dann, als Yūri fast bei ihm war. „Blödmann“, lachte Yūri und streckte ihm den Becher und eine weitere braune Tüte entgegen. Victor griff beides, stellte sie schnell auf das Autodach ab, bevor er die Arme um Yūris Taille schlang und ihn an sich zog. „Aber noch sehnsüchtiger habe ich auf den Lieferjungen gewartet“, grinste er, bevor er Yūri küsste. Zufrieden lächelte Victor in den Kuss hinein. Spürte die Wärme von Yūris Körper gegen seinen und verfluchte wiedereinmal die Tatsache, dass er bald zur Arbeit fahren musste. Etwas widerwillig löste er sich wieder von Yūri. „Guten Morgen“, sagte er leise, ohne sich von Yūri zu lösen. „Guten Morgen, Vitya“, antwortete Yūri genauso leise und Victors Herz schlug wie jedes Mal höher, wenn er hörte, wie Yūri die Koseform seines Namens verwendete. „Bald hast du es geschafft“, munterte Yūri ihn auf und Victor nickte. „Fast schon schade bei diesem morgendlichen Service“, zog er Yūri auf. „Ach, uns fällt schon was ein.“ Victor war sich nicht sicher, ob er zu viel hinein interpretierte, aber er konnte nicht vermeiden, dass seine Gedanken auf Abwege gerieten.
 

„Bestimmt“, nickte Victor, um sich von seinen Gedanken zu befreien. Heute Abend war die große Autogrammstunde von Alan Aaronovitch. Heute Vormittag musste er nur ein paar kleinere Dinge klären, er musste mit einer seiner Nachwuchsautorinnen telefonieren und ihre Ausarbeitung zum Manuskript besprechen. Gegen Mittag würde er dann in der Buchhandlung vorbeischauen und, falls nötig beim Aufbau helfen und sicherstellen, dass alles zu ihrer Zufriedenheit arrangiert war. Um 15:00 Uhr musste er dann Alan abholen, sodass die zweistündige Veranstaltung auch pünktlich um 16:30 Uhr starten konnte. Danach stand dann noch das Abendessen mit Alan auf dem Plan. Danach musste er nur noch die übliche Nachbearbeitung für eine solche PR-Aktion machen. Kostenaufstellungen und einen Bericht an die Geschäftsführung, wie gut oder schlecht die Aktion gelaufen war. Zumindest waren diese beiden Punkte das Wichtigste der Nachbearbeitung. Und gerade hier durfte er sich keine Fehler erlauben, denn das wäre ein gefundenes Fressen für alle, die behaupteten, er habe die Stelle nur wegen seines Onkels. Vielleicht hatte er diese Karriere nur wegen seinem Onkel eingeschlagen, aber alles was er erreicht hatte, war seine eigene harte Arbeit gewesen. Jeder, der behauptete, dass Yakov Feltsman seinen Neffen bevorzugt behandelte, kannte seinen Onkel nicht. Eher war es das Gegenteil.
 

„Alles in Ordnung, Vitya?“, fragte Yūri besorgt und Victor schüttelte den Gedanken ab. „Ja, ich leide nur offensichtlich an akutem Yūri-Entzug“, grinste er schief und zog ihn noch einmal an sich ran und küsste ihn noch einmal. „Nimm dir am Samstag bloß nichts vor“, lachte er leise, als er sich wieder von ihm löste. „Oh! Aber...“, begann Yūri und ließ den Kopf hängen, während Victors Herz sank. „Ich habe da schon was mit meinem Freund vor. Weißt du, er hat in der letzten Zeit ganz viel arbeiten müssen“, er blickte auf und grinste ihn frech an. Victor schüttelte theatralisch den Kopf. „Ich kann nicht fassen, dass du mir das angetan hast!“, lachte er dann aber doch. „Jetzt musst du aber langsam los“, Victor konnte Yūris Bedauern in der Stimme hören. Victor beugte sich noch einmal für einen schnellen Kuss hinunter und nahm dann Becher und Tüte vom Autodach. Am dritten Tag hatte er die Sachen vergessen und den Kaffeefleck konnte man immer noch auf dem grauen Betonboden sehen. Das Lunchpaket hatte überlebt, auch wenn der Apfel etwas abbekommen hatte, doch der Verlust des Kaffees hatte Victor schwer getroffen. „Ich liebe dich, Yūri“, verabschiedete sich Victor und drückte noch einmal kurz Yūris Hand. „Ich dich auch, Vitya.“
 


 

Phichit war schon eine knappe halbe Woche weg und da auch noch Victor wenig Zeit für ihn hatte, fühlte sich Yūri schon ein wenig einsam. Erst jetzt wurde ihm klar, wie gut es für ihn war, dass er Victor so früh während Phichits Abwesenheit kennengelernt hatte, denn seine Gesellschaft hatte ihm gutgetan. Natürlich hätte er auch seine Freunde anrufen können, aber die meisten Treffen endeten im Chaos und auch wenn Yūri die lustige Turbulenzen ihrer Treffen mochte, waren sie meist auch schnell ermüdend. Mit Victor war alles ruhiger, er entschleunigte sein Leben ein wenig und er hatte das Gefühl, sich bei ihm fallen lassen zu können. Er war nicht versessen darauf, in irgendeine Kneipe oder Club zu gehen, obwohl man durchaus seinen Spaß hatte, wenn man mit ihm um die Häuser zog.
 

Er zog die letzte Schraube des Gehäuses fest und richtete den PC auf, schloss alles wieder an und drückte den Knopf. Das Gerät piepste, die Lüftung fing an zu laufen und das Herstellersymbol erschien auf dem Bildschirm. „Das war es, Herr Karpisek. Ihr Computer läuft jetzt wieder“, sagte er und räumte sein Werkzeug weg. „Und die Rechnung wird mir dann zugeschickt? Obwohl sie eben einen neuen Lüfter gekauft haben? Muss ich ihnen dafür kein Geld geben?“, hakte sein Kunde nach. „Ich habe das Bauteil nur bei einem Partner abgeholt. Die Bezahlung klären beide Firmen unter sich“, bestätigte Yūri. Das war wirklich einer der Vorteile in seinem Job. Wenn er in Vorkasse treten und dann warten müsste, bis die Kunden ihre Rechnung überweisen, hätte er sich den Job wahrscheinlich nicht leisten können. So schrieb er einfach die Rechnung und die Firma überwies ihm am Ende des Monats ein Lohn entsprechend seiner Stunden. Materialkosten machte seine Firma mit einer Elektronik-Kette aus. Alles was er dafür tun musste war, die Ticket-ID beim Kauf zu hinterlegen und auf der Rechnung für den Kunden die Rechnungsnummer angeben. Eine Rechnungskopie erhielt der Kunde für eventuell auftretende Garantiefälle und dann konnte er hinter dem Auftrag ein Haken setzen.
 

Natürlich waren manche Aufträge schwieriger, gerade wenn er auf Fehlersuche gehen musste. Manche andere wiederum brauchten keine 5 Minuten, dann wusste er, warum das Gerät nicht mehr so lief, wie es sein sollte. Zum Beispiel wenn man beim Starten schon hört, dass kein Lüfter angeht. Dass sich dann der PC wegen Überhitzung abschaltet, ist relativ normal. Er verabschiedete sich und beeilte sich, zum Auto zu kommen. Der Nachmittag war wirklich gut verlaufen, sodass dieser Auftrag nun der Dritte war, den er erfolgreich abschließen konnte. Und auch wenn er aus gesundheitlichen Gründen in letzter Zeit etwas zurückstecken musste, war die Firma wohl auch mit den bisherigen Aufträgen zufrieden gewesen. Also hatte Yūri beschlossen, nun ein wenig mehr Gas zu geben, damit er auch bei den sogenannten Premiumkunden eingesetzt werden konnte. Das waren Kunden, die einen zusätzlichen, kostenpflichtigen Vertrag mit seiner IT-Firma abgeschlossen hatten. Sie übernahmen damit auch Wartungen oder ganze Umzüge der technischen Geräte. Das wären natürlich längerfristiger Aufträge, die meist mehr Geld für ihn und die Firma einbrachten. Es war dann zwar durchaus möglich, dass dies mal am Abend oder über Nacht erfolgte, aber damit hatte Yūri eigentlich weniger ein Problem. Zumindest war das so gewesen, als er den Job angenommen hatte. Wenn er sich jetzt vorstellte, den Abend mit Arbeit statt mit Victor verbringen zu müssen...
 

Yūri musste über sich selbst lachen, während er sein Auto auf den Parkplatz lenkte. Ganz offensichtlich hatten sich seine Prioritäten innerhalb kurzer Zeit komplett verschoben und er mochte es auch noch. Sehr sogar. Yūri war sich nicht sicher, ob das nur die erste Verliebtheit war und es irgendwann abflauen würde, aber jedes Mal, wenn er in Victors blaue Augen blickte und die Schmetterlinge in seinem Bauch verrückt wurden, war es für ihn unmöglich zu glauben, dass das irgendwann besser wurde. Es war schlichtweg unmöglich für Yūri, nicht ins Schwärmen zu kommen, wenn er nur daran dachte, dass Victor mit ihm zusammen war. Nicht nur, dass er nett, fürsorglich und auch noch intelligent war, er war auch noch verboten gutaussehend. Yūri fragte sich, was er wohl getan hatte, dass es das Schicksal offenbar so gut mit ihm meinte. Und wenn jetzt alles gut laufen würde, konnte er Victor noch eine ganz besondere Überraschung machen.
 

Er hatte es in Gedanken bereits geplant, seit sein Freund JJ davon erzählt hatte. Nervös ging er um die Ecke und sah schon eine relativ große Schlange auf dem Bürgersteig. Es würde noch eine Weile dauern, bis der Laden öffnete, also reihte sich Yūri brav ein, zückte sein Handy und schrieb zuerst Victor eine aufmunternde Nachricht, erzählte Phichit ein wenig von seinem Tag und informierte JJ schlussendlich, dass er seinen Plan in die Tat umsetzen würde. Er war froh, dass Phichit zwischenzeitlich antwortete und offenbar auch Zeit hatte, daher konnte er sich mit einem Telefonat die Zeit vertreiben. Ein letzter Blick auf sein Handy verriet ihm, dass sich Victor leider noch nicht gemeldet hatte. Natürlich enttäuschte ihn das ein klein wenig, aber genauso hatte er auch Verständnis für seine Lage. Vermutlich arbeitete er gerade hochkonzentriert an irgendetwas, nur damit sich diese arbeitsreiche Phase nicht verlängerte. Wahrscheinlich würde es Victor besonders motivieren, wenn er mit seiner Überraschung kommen würde.
 

Ein Ruck und ein Raunen ging durch die Warteschlange. Es geht los, dachte Yūri aufgeregt. Ein Teil der Schlange kam im Laden unter und Yūri schrieb JJ, wo er sich gerade befand. Es dauerte keine 5 Minuten, da stand er vor ihm und reichte ihm zwei Bücher. „Hier ist noch der Kassenbon, falls jemand danach fragt. Aber ich denke nicht, dass das passieren wird. Und der eine von den beiden ist ziemlich heiß, ich glaube, dass ist der Redakteur. Die weiblichen Fans vorne himmeln ihn schon eine Weile lang an“, lachte JJ. Yūri stimmte ins Lachen mit ein. Von seiner Position aus konnte er niemandem am Ende des Raums ausmachen, aber mit Sicherheit würden sich die Reihen mit der Zeit lichten. Doch als Yūri endlich den Tisch mit dem Autoren ausmachen konnte, stand da nur noch eine blonde Dame hinter ihm, die Yūri bereits als die Besitzerin des Buchladens in Erinnerung hatte.
 

Je weniger Leute nun vor ihm waren, desto ungeduldiger und nervöser wurde er. Er konnte zwischen den Leuten den Autor schon ausmachen. Er schätzte ihn auf Mitte 50, ein etwas untersetzter Mann mit strengem, aber nicht unfreundlichem Gesicht und hoher Stirn, da ihm langsam das Haar auszugehen drohte. Also an sich sah er nicht unsympathisch aus, doch Yūri hatte ihn sich vielleicht ein bisschen exzentrischer vorgestellt. Andererseits verriet manchmal das Aussehen nicht alles über die Person und vor allem den Gedanken, die dahinter steckten. Das musste Yūri schon selbst das ein oder andere Mal feststellen. Zumindest sah er nicht furchteinflößend aus und das würde Yūris Mission etwas einfacher machen.
 

Sein Herz schlug schneller, als die letzte Person vor ihm ein paar Worte mit dem Autor wechselte, sein Buch unterschrieben bekam und dann abrückte. „Alan, hier dein Kaffee. Das ist der letzte, den ich dir holen gehe. Ich bin nicht dein Dienstmädchen“, hörte er nur eine allzu bekannte Stimme. „Ich konnte einfach nicht zulassen, dass du mir weiter die Schau bei den Mädchen stiehlst. Und für die hübschen jungen Männer bist du pünktlich zurück“, lachte Alan leise. Yūri fielen die Bücher aus den Händen, als er in Victors blaue Augen schaute. „Siehst du, du hast ihn völlig aus den Socken gehauen. Victor? Hörst du mir überhaupt zu? Victor?“, Yūri hörte Alans Stimme wie durch einen Nebel, wie er Victor, seinen Victor, aufzog. „Vitya?“, krächzte er fassungslos. „Yūri! Was machst du hier?“, seine Stimme verriet, dass er ungefähr genauso überrumpelt war, wie er selbst. Victor kam herum und bückte sich nach den Büchern, bevor Yūri auch nur wieder Herr seines Körpers werden konnte.
 


 

Victor bewegte sich wie durch Watte, als er Yūri an seiner Seite in den Pausenraum der Buchhandlung führte. „Setz dich“, forderte er Yūri auf und schenkte ihm ein Glas Wasser ein. Er war sich nicht sicher, ob er sich selbst setzen, stehen bleiben oder sich vor Yūri knien sollte. Er hätte sich eigentlich denken können, dass Yūri hier auftauchen könnte und hatte es doch nicht für möglich gehalten. „Yūri... Ich weiß, ich hätte es dir sagen sollen... Ich wollte es dir auch vor dem Ganzen hier gesagt haben, aber dann kam erst das eine und dann Phichit dazwischen“, er rieb sich etwas unbehaglich den Nacken. „Ich weiß, das ist eine schlechte Ausrede, ich hätte es dir viel früher sagen sollen. Es tut mir leid“, schloss seinen kleinen Monolog. „Du bist der Redakteur von Alan Aaronovitch?“, sprach Yūri das Offensichtliche aus. Victor zuckte ein wenig zusammen, da Yūri nicht auf seine Entschuldigung eingegangen war. Aber er hatte das auch nicht wirklich verdient, nicht wahr? „Ja“, nickte er daher einfach nur und setzte sich nun doch Yūri gegenüber.
 

„Jetzt macht vieles Sinn, aber ich habe deinen Namen in den Büchern nicht gesehen“, merkte Yūri an. „Vermutlich hast du nur am Anfang reingeschaut, richtig? Ich habe ihn erst übernommen, als die Reihe schon lief“, lachte Victor leise. „Ich wollte dich mit einem Buch überraschen“, sagte Yūri leise. Nun glitt Victor doch vor Yūri auf die Knie und nahm seine Hände in seine. Flehte innerlich, Yūri würde ihn doch einfach anschauen. „Es tut mir leid. Ich habe bereits einen der ersten Ausgaben für dich unterschreiben lassen. Bitte verzeih mir. Wir können die Bücher bestimmt noch umtauschen“ Yūri würde ihm doch verzeihen, oder? Yūri schaute ihn an und schüttelte den Kopf. Erst nach einem schmerzhaften Moment bemerkte er, dass Yūri kicherte. „Wir sind auch zwei Helden, oder? Und natürlich verzeihe ich dir.“
 

In dem Moment ging die Tür schwungvoll auf. „Huch? Victor, hat er dich so aus den Socken gehauen, dass du ihm schon einen Heiratsantrag machst?“, lachte Alan in seinem Rücken. Victor rollte die Augen und richtete sich auf. „Das ist Yūri. Für ihn hast du das Buch neulich unterschrieben“, half ihm Victor auf die Sprünge. „Ach ja, der Freund der meine Bücher mochte. Aber wenn ich euch so sehe, ist er mehr als ein Freund“, Alan grinste vielsagend und hob die Augenbrauen. Für Victors Geschmack hatte er schon wieder viel zu viel Oberwasser. „Tu mir einen Gefallen und sei ausnahmsweise mal kein Arsch, ja?“, schnaufte Victor. „Vitya! Sag doch sowas nicht“, schimpfte Yūri leicht mit ihm. „Genau, Vitya“, entrüstete sich Alan und fing kurz daraufhin an zu lachen. So gerne er den Namen aus Yūris Mund hörte, genauso ungern hörte er ihn aus Alans. Alan kam auf sie zu und legte ein Arm um Yūri, was Victor kritisch beäugte. Sogar noch kritischer, als Alan ihn aus dem Raum führte. „Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen! Komm mein Junge, ich denke, unser fleißiger Redakteur hier kann noch einen dritten Platz im Restaurant organisieren.“

Mitgenommen

Die Stimmung im Auto war angespannt und Yūri hatte keine Ahnung warum. Hätte er Alans Einladung ablehnen sollen? Nicht, dass er ihm eine wirkliche Wahl gelassen hatte, doch vielleicht hätte er eine Ausrede finden sollen, mit zu diesem Essen zu gehen. Immerhin war das Alles ja mehr geschäftlich und er wollte auch nicht, dass Victor ihm dabei über die Schulter sah, wie er Komponenten eines Computers tauschte. Aber jetzt war es zu spät, oder? Er blickte zu Victor auf dem Fahrersitz. Er hatte darauf bestanden, dass Alan hinten Platz nahm, was er nur mit einem Grinsen kommentiert hatte. Das Radio war leise gestellt, nur die Anzeige auf dem Display verriet ihm, dass er das Live-Album von Hans Zimmer angemacht hatte. War es vielleicht eine gute Idee, die Musik lauter zu machen? Er wusste ja, dass Victor epische Filmmusik mochte. Er erinnerte sich an ihr erstes Telefonat, wobei er mittlerweile wusste, dass es damals keine 'richtige' Filmmusik gewesen war. Victor hatte ihm nämlich erst vor Kurzem ausführlich den Unterschied zwischen Komponisten von Filmmusik wie Hans Zimmer oder John Williams und dem – wie er betonte – Unternehmen namens 'Two Steps from Hell' erklärt. Es hatte Yūri Spaß gemacht, Victor so leidenschaftlich über etwas reden zu hören. Seine Augen hatten geleuchtet und er hatte seine Worte unermüdlich mit Gesten untermalt.
 

Wieder einmal wurde ihm klar, welchen Weg sie hinter sich hatten. Wie zufällig sich ihre Wege gleich zwei Mal gekreuzt hatten. Als würde das Schicksal es gut mit ihnen meinen. Noch bevor Yūri sich entscheiden konnte, wie er die angespannte Atmosphäre im Auto brechen konnte, lenkte Victor den Wagen auf einen Parkplatz. „Wir sind da“, verkündete er dabei unnötigerweise, doch es schien, als wäre es wie das Stichwort, auf das alle gewartet hatten. Yūri war noch nicht ganz aus dem Auto ausgestiegen, da spürte er auch schon wieder Alans Hand auf seiner Schulter und wie er ihn direkt ins Restaurant dirigierte. Es schien, als kannten die Angestellten sie schon, denn Alan und Victor wurden mit Namen begrüßt und direkt an ihren Tisch gebracht. Es war ein Tisch für 4 Personen am Rande des Raumes, wodurch es ein wenig ruhiger war und sie von dem Trubel, der im Restaurant herrschte, nicht ganz so viel mitbekamen. „Auf dich ist wirklich verlass, Victor“, nickte Alan anerkennend und blickte sich kurz um, bevor seine Augen dann auf Yūri ruhten. „Und jetzt noch einmal mit Ruhe. Ich bin Alan Aaronovitch, freut mich dich kennenzulernen“, dabei streckte er seine Hand über den Tisch. Müsste man für so eine Vorstellung nicht eigentlich aufstehen, ging es Yūri kurz durch den Kopf, aber es blieb ihm ja eigentlich keine andere Wahl, als die Geste zu erwidern. Jetzt noch einmal aufzustehen, würde komisch wirken. Also nahm er die Hand. „Freut mich. Mein Name ist Yūri Katsuki“, stellte er sich mit einem kleinen Lächeln vor.
 

Alan nickte und blickte dann Victor neugierig an, der die Speisekarte zu studieren schien. „Ich war überrascht, als Victor mich bat, eine Erstausgabe zu unterschreiben. Und zwar nicht für seine Nachbarin Katya, sondern für einen gewissen Yūri. Ich war mir nicht sicher, ob Katya wirklich seine Nachbarin war, aber als er mich um das Autogramm für dich bat, war mir klar, dass du auf einer völlig anderen Ebene der Zuneigung bei ihm liegst“, er grinste vielsagend und hob die Augenbrauen. Victor hob die Speisekarte ein wenig an, offenbar, damit Alan nicht sah, wie er mit den Augen rollte. Ein urkomischer Anblick, Yūri hatte Mühe, sein Schmunzeln zu unterdrücken. „Möchten sie einen Aperitif zu Beginn?“ Yūri erschrak schon fast, als er die Stimme der Bedienung hörte. „Gerne! Wir hätten gerne eine Flasche Dom Pérignon“, bestellte Alan und klappte die Karte mit einem seligen Grinsen wieder zu. „Alan, das ist kein Aperitif“, schüttelte Victor den Kopf. „Aperitif ist, was wir draus machen!“, verkündete Alan, immer noch mit einem Grinsen. „Für mich bitte kein Alkohol, ich muss noch fahren. Ich nehme ein Wasser. Yūri, möchtest du noch irgendetwas?“, fragte Victor, der Alan offensichtlich gewähren ließ. „Champagner vertrage ich nicht sonderlich gut, ich denke, ich nehme etwas and-“, begann Yūri, wurde aber von Alan unterbrochen: „Nichts da! Einer muss mit mir anstoßen! Und wenn nicht der Taugenichts von meinem Redakteur, dann eben du, als einer meiner Fans!“, damit scheuchte Alan die Bedienung weg. Yūri seufzte. Langsam merkte er, warum Victor ein wenig angefressen war. Alan schien zwar ein durchaus lustiger Geselle, aber konnte einem auch sehr schnell auf die Nerven gehen.
 

Victor klappte geräuschvoll die Karte zusammen. „Warum gerade den Champagner?“, fragte Victor. „Weil ich ein Kenner bin“, auch in Yūris Augen klang die Antwort von Alan mehr wie eine Frage. „Nicht, weil es der teuerste, normale Champagner war?“, hakte er nach. Alan grinste wieder. „Preis ist doch ein Zeichen von Qualität! Hab dich nicht so, ist doch eh ein Geschäftsessen“, lachte Alan. „Dir sind die Erfolge deiner Bücher zu Kopf gestiegen“, schüttelte Victor den Kopf, während er die Karte aus dem Weg räumte, damit die Getränke auf den Tisch abgestellt werden konnten. „Du bist ein alter Miesepeter, Victor. Das ist das Dritte Buch, seit ich mit dir zusammenarbeite und nie lief es besser. Da kannst du dir auch mal selbst auf die Schulter klopfen“, seufzte Alan nun, doch ein Blick in Victors Gesicht verriet Yūri, dass er das nicht unbedingt als Kompliment sah. „Soll das jetzt ein Kompliment werden, dass ich es so lange mit dir ausgehalten habe?“, Victor stellte die Frage, die auch Yūri in den Sinn gekommen war. „Nein, das Kompliment geht an mich, weil meine Ideen so brilliant sind, aber du bist recht brauchbar als Redakteur. Du hältst mir den Rücken frei und denkst an Dinge, die ich vergesse. Editha hat sich übrigens sehr über den Abend bei Giovanni's gefreut.“
 

„Vergiss nicht, dass ich dich davor bewahrt habe, deine Reihe gegen die Wand zu fahren. Entschuldige meine Offenheit, aber die geplante Wendung war so ein Blödsinn, dass es fast schon eine Beleidigung für das Wort Blödsinn ist, das Kapitel so zu bezeichnen“, schnaubte Victor. „Was war daran Blödsinn? Alasdair und Catriona als tragische Figuren und im Tode für immer vereint! Ich nenne das großartig!“, platzte es aus Alan heraus und Yūri konnte den Ärger in seiner Stimme hören. Doch dann sank die Bedeutung seiner Worte ein. „Bitte was? Sie sterben?“, fragte er mit großen Augen und blickte zwischen Victor und Alan hin und her, die etwas ertappt aussahen. „Nein. Nein, das geht nicht! Das kannst du nicht machen!“, wenn Yūri den Champagner vor seiner Nase schon angepackt hätte, hätte er den leichten Schwindel darauf bezogen. Aber noch war er nüchtern. Er spürte eine Hand von Victor auf seiner Schulter und wie sie beruhigend seine Schulter drückte. „Nein, werden sie nicht. Ich konnte ihn davon abhalten“, versicherte ihm Victor. Yūri atmete erleichtert aus und drückte kurz seine Hand. „Gott sei Dank. Danke, Vitya!“ „Gern geschehen, Vitya“, kam es hörbar amüsiert von Alan.
 


 

Alan war wirklich eine Nervensäge. Er war selbstverliebt und brauchte mehr Aufmerksamkeit wie ein 4-jähriges Kind. Noch dazu hatte er gerne recht oder tat so, als wäre alles sein Verdienst. Und als würde das alles noch nicht reichen, liebte er es, ihm den letzten Nerv zu rauben. Das alles führte dazu, dass der Abend wirklich alles andere als entspannt war. Nicht, dass er erwartet hatte, einen entspannten Abend im Restaurant zu haben, aber die Tatsache, dass jetzt auch noch Yūri dabei war, machte das Ganze ungleich schwieriger. Zum einen konnte er mit Alan keine geschäftlichen Dinge besprechen und zum anderen war eine Begegnung zwischen Yūri und Alan eine der Dinge, die er tunlichst hatte vermeiden wollen. Aber wie so immer kam es eben anders, als er wollte. Langsam musste er sich ja eigentlich daran gewöhnt haben, dass es selten so lief, wie er es tatsächlich wollte. Immerhin hatte er Alan unter Androhung eines langsamen und schmerzhaften Todes das Versprechen abringen können, keine Details über seine genauen beruflichen Umständen zu verraten. Dafür wollte Alan freie Hand bei seinen Bestellungen heute Abend. Natürlich hatte er gewusst, dass das nicht gut ausgehen konnte, aber hatte er eine andere Wahl gehabt? Nun hatten Alan und Yūri die Flasche Champagner – Dom Pérignon, Jahrgang 1985, für schlappe 755 Dollar – schon fast geköpft und Yūri hatte dabei eine beachtliche Schlagseite entwickelt. Sein Körper sackte immer weiter in seine Richtung ab und Victor erwartete schon fast, dass er im nächsten Moment einen schlafenden Yūri auf seiner Schulter liegen hatte.
 

Victor hatte eigentlich gehofft, dass es besser würde, sobald Yūri etwas gegessen hatte. Doch Yūri hatte nicht übertrieben, als er gemeint hatte, er würde Champagner wohl nicht sonderlich gut vertragen. Und Alan war auch nicht wirklich gewillt, auf Yūri Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil, langsam beschlich Victor das ungute Gefühl, dass Alan Yūri wirklich abfüllen wollte. Was ein weiterer der vielen Punkte war, die ihm an dem heutigen Abend nicht sonderlich gefielen. „Wie habt ihr euch denn eigentlich kennengelernt?“, fragte Alan beiläufig, während er seinen Nachtisch verdrückte. Victors Augen wurden groß, als er Yūris Antwort hörte: „Während meiner Arbeit bei der Hotline.“ Yūri sprach so, als wäre es ganz offensichtlich – als wäre es völlig logisch und absolut nichts dabei. Kurzentschlossen trat Victor Yūri leicht unter dem Tisch und drückte zusätzlich seine Hand, die er unauffällig unter dem Tisch mit seiner verschränkt hatte, damit er nicht noch mehr preisgab. Yūri schaute ihn an, als wäre ihm gerade erst aufgefallen, was er da ausgeplaudert hatte. Der Alkohol ließ ihn Dinge tun und sagen, die er später bereute, erinnerte sich Victor. Seine Liebeserklärung war auch einer ähnlichen Situation resultiert.
 


 

„Er hat im Verkauf gearbeitet“, ließ Victor Alan wissen, der sie neugierig angeschaut hatte. Alan zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Wirklich? Läuft das Gehalt bei so etwas nicht über die Provision bei Verkäufen? Damit konntest du deine Rechnungen bezahlen? Dann musst du echt gut sein“, stellte er verblüfft fest. Victor brauchte all seine Beherrschung, um nicht laut loszulachen. Also nahm er einfach seinen Espresso auf und erklärte über den Tassenrand: „Aber mittlerweile hat er einen Job, der mehr in Richtung seines Studienfachs geht.“ Yūri war mittlerweile hochrot geworden und stand ruckartig auf. „Entschuldigt mich, ich muss kurz auf Toilette.“ Damit war er auch schon verschwunden. Victor gab Alan keine Zeit, um noch etwas darauf zu antworten. „Du hast ihn doch mit Absicht betrunken gemacht, oder? Was hast du vor?“ Alan grinste ertappt, ließ sich etwas Zeit mit seiner Antwort. „Ich wollte einfach hören, ob du doch ein Privatleben hast. Bis vor einigen Stunden bin ich davon ausgegangen, dass du mit deinem Job verheiratet bist. Da möchte ich doch ein paar Geschichten von dem privaten 'Vitya' hören“, erklärte er dann mit einem Achselzucken, doch der Schalk funkelte in seinen Augen.
 

„Das ist nichts, was dich angeht“, grummelte Victor und stellte die kleine Tasse ab. „Ach, sei doch nicht so. Außerdem ist der Junge echt goldig, ich mache mir Sorgen, wenn er mit so einem zugeknöpften Workaholic wie dir zusammen ist. Da kann der Arme sicherlich ein wenig Zuwendung von mir brauchen. Vor allem, wenn ihm wichtige Details verschwiegen werden“, man hörte mehr Spott als Sorge in Alans Stimme. „Um eines klarzustellen: Ich bin bereits von der Arbeit zu Hause geblieben, als er krank war. Aber danke für deine Sorge, sie ist absolut unbegründet. Und was das andere Thema angeht: Ich werde es ihm bald sagen, die letzten Tage und Wochen waren nur ein klein wenig Turbulent“, nach Victors Geschmack hatte er schon zu viel verraten, aber die Weise, wie Alan überrascht die Augenbrauen hochzog, zeigte ihm, dass diese Art von Information wohl gut genug sein würde, um ihn ein wenig zu beschwichtigen. Vielleicht würde er jetzt Yūri in Ruhe lassen. „Und ich dachte, du würdest tatsächlich das Heftchen auspacken und dann darüber ein hübsches Nümmerchen schieben. Dabei hattest du bereits ein Eisen im Feuer, oder?“, Alan schüttelte belustigt den Kopf, während Victor es noch gerade so schaffte, sich nicht zu verschlucken. „Ich habe es entsorgt“, sagte er, was ja auch nicht gelogen war. „Dann sollte ich ab sofort besser über meine Geschenke an dich nachdenken, was? Ich möchte ja nicht, dass Yūri es falsch versteht“, mit einem Mal hatte Alan wieder Oberwasser und er wollte wirklich nicht wissen, was er da gerade im Sinn hatte. Victor beschränkte sich darauf, laut zu seufzen und zu hoffen, dass Yūri bald wieder zurück war.
 


 

Es hatte noch eine volle Stunde gebraucht, bis sie Alan bei seiner Frau abgeliefert hatten. Wobei 'sie' nicht ganz richtig war, denn in dem Moment, in dem Yūri sich angeschnallt hatte, war er auch schon eingeschlafen. Eigentlich hatte Victor vorgehabt, ihn an seiner Wohnung rauszulassen, aber Yūri schlief so tief und fest, dass er sich entschieden hatte, ihn mit in seine Wohnung zu nehmen. Yurio quittierte ihr aufkreuzen nur mit einer hochgezogenen Augenbraue, bot aber noch nicht einmal an, für Victor die Wohnungstür zu schließen, während er Yūri wie einen nassen Sack durch die Gegend manövrierte. Kopfschüttelnd legte er ihn auf sein Bett und begutachtete den schlafenden jungen Mann. Er hatte sich schon länger gewünscht, Yūri in seinem Bett zu sehen, aber definitiv nicht so. Nun stand er da und überlegte, was er tun sollte. Sollte er Yūri ausziehen? Ihm Schlafklamotten von ihm leihen? Der Gedanke an Yūri in seiner Kleidung rührte etwas in Victor. Der Gedanke war einfach unwiderstehlich. Er zog Yūris Oberteil ein wenig umständlich über den Kopf und leerte dann Yūris Hosentaschen. Handy, Portemonnaie, Schlüssel und in der anderen Tasche war noch ein härterer, runder Gegenstand. Er griff hinein und zog die Augenbrauen zusammen.
 

„Vitya?“, murmelte Yūri unter halb geöffneten Augen, während Victor einen leicht feuchten Gegenstand aus der Tasche zog. „Yūri, was ist das?“, fragte er und zeigte es ihm. „Seife“, antwortete Yūri. „Ja, ok. Das habe ich gemerkt, aber was macht ein benutztes Stück Seife in deiner Hosentasche?“, wollte er verwirrt wissen. „Habsch mitgnommn“, lallte Yūri ein wenig. Das machte für Victor jetzt überhaupt keinen Sinn. „Ich verstehe nicht, warum?“, hakte Victor verwirrt nach. Doch da traf ihn ein Gedanke: „Moment! Du hast die Seife aus dem Restaurant mitgenommen?“ „Hat gut gerochn“, kicherte Yūri und nahm Victor die Seife aus der Hand. Victor schüttelte nur den Kopf und schlug fassungslos eine Hand vor sein Gesicht. Der Duft, der von der Seife auf seiner Hand zurückgeblieben war, war aber tatsächlich ziemlich gut, musste er gestehen.

Kamm

Die weiß-grau-melierten Kacheln an der Wand spiegelten das Licht kalt zurück. Die großen, mattschwarzen Fliesen in Schieferoptik, die aktuell doch so in Mode waren, schienen das Licht jedoch zu absorbieren. Es roch nach Reinigungsmittel, aber nicht in dieser penetranten Art und Weise, sondern angenehm. Als hätte man gerade durchgewischt und danach gelüftet, damit der Boden schneller trocken wird. Er drehte sich um und stand vor einer großen Spiegelfront, sein verwirrtes Gesicht blickte ihm blinzelnd entgegen. Seine Wangen waren ein wenig gerötet und ihm war warm. Er beugte sich zu einem der Waschbecken hinunter, die wie übergroße Teller auf einem langen Schrank aus dunklem, poliertem Holz standen. Die silbernen Armaturen glänzten im künstlichen Licht und hatten nicht einen Fleck.
 

„Yuuuuri“, hörte er einen Singsang. Es war eindeutig Victors Stimme. Lächelnd richtete er sich auf, ohne das Waschbecken benutzt zu haben. „Vitya“, sagte er nur und drehte sich um. Doch er war alleine. Die 3 gemauerten Toilettenkabinen waren offen und leer. „Yuuuuri“, wieder hörte er Victors Stimme, doch diesmal deutlich hinter ihm. Er wirbelte so schnell auf dem Absatz um, dass er fast das Gleichgewicht verloren hätte, wenn sich nicht starke Arme um seine Taille geschlungen hätten, um ihn zu stabilisieren. „Nicht so ungestüm“, lachte Victor. Yūri lehnte sich schwer gegen Victors schlanken Körper. „Ich hätte nicht erwartet, dich heute Abend noch einmal für mich alleine zu haben“, lachte Yūri leise und lehnte seinen Kopf gegen Victors Schulter, schloss die Augen und sog seinen Duft genießerisch ein. Er roch ein wenig anders als sonst, aber der würzige und fruchtig-herbe Unterton war immer noch da. Immerhin hatte er den ganzen Tag gearbeitet und war mit allerhand Menschen in Kontakt gekommen. Doch er roch ganz klar den Hauch Sandelholz und Bergamotte und nicht zum ersten Mal machte er sich gedanklich eine Notiz, ihn einmal nach seinem Parfum oder Aftershave zu fragen. Was auch immer so gut an ihm roch. Doch ein Geruch, den Yūri an Victor besonders mochte, war heute nicht zu finden. Normalerweise roch Victor immer ein wenig nach Büchern. Nach Papier, nach Druckertinte. Es war eine betörende Mischung für Yūri.
 

Er öffnete wieder die Augen und blickte genau auf die weiß-grau-melierten Kacheln an der Wand. Sein Körper lehnte schwer gegen die kalte Oberfläche und das Licht war immer noch eine Spur zu grell für seine Augen. Verwirrt blinzelte er und blickte sich um. Er war alleine, von Victor war keine Spur. Nur ein Stück hell beige Seife lag in seinen Händen.
 


 

Das entsetzlich laute Gezwitscher von Vögeln riss Yūri aus dem Schlaf. Außerdem war es viel zu hell. Die Sonne fraß sich förmlich in seine Augäpfel, obwohl er noch die Lider geschlossen hatte. Warum hatte er das Fenster geöffnet und warum waren die Rollläden nicht unten? Langsam erinnerte er sich daran, dass er gestern noch mit Victor und Alan essen gewesen war. Alan hatte eine Flasche Champagner bestellt und ihn gezwungen, mitzutrinken, kam es ihm in den Sinn. Er kniff weiter die Augen zusammen, als das Todesgezwitscher der Terrorvögel lauter wurde. Er musste zu betrunken gewesen sein, um sein Fenster zu schließen und den Raum abzudunkeln. Nüchtern wäre er so sicherlich niemals eingeschlafen, aber betrunken... Nun ja, er war es gewohnt, nicht mehr ganz zurechnungsfähig zu sein.
 

Doch als er sich im Bett umdrehen wollte, um dem Licht zu entgehen, fiel ihm auf, dass etwas nicht ganz stimmte. Das Gefühl der Wärme kam zurück und es fühlte sich an, als würde etwas Schweres auf ihm liegen, was natürlich keinen Sinn machte. Vorsichtig öffnete er die Augen und schaute an sich hinunter. Sofort wurde er vom Anblick eines grauen Schopfes begrüßt. Er blinzelte verwirrt und schaute sich dann langsam und träge um. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er gar nicht in seinem Zimmer war. Genau genommen war er noch nicht einmal bei sich zu Hause, sondern wohl in Victors Wohnung. Er kannte zwar sein Schlafzimmer nicht, aber es passte zu ihm und so sah auch kein Hotelzimmer aus, zumal Letzteres überhaupt keinen Sinn ergeben würde. Warum sollte Victor mit ihm in einem Hotel übernachten? Yūri schüttelte den Kopf, in der Hoffnung, einen klaren Kopf zu bekommen, doch stattdessen verstärkte er damit nur den Schwindel und die Kopfschmerzen. Er merkte, wie sich sein Magen ein wenig hob und betete, dass er sich nicht hier und jetzt übergeben musste. Er atmete langsam durch die Nase ein und durch den Mund aus, hoffte, dass durch die kontrollierte Atmung auch die Übelkeit weggehen würde.
 

Langsam fielen ihm dabei wieder die Augen zu und die Müdigkeit drohte ihn, erneut zu übermannen, als ein greller Piepton ihn scharf zusammenzucken ließ. Victors Kopf auf seiner Brust rührte sich und er grummelte etwas Unverständliches vor sich hin, während er seine Hand tasten zum Nachttisch ausstreckte und blind versuchte, sein Handy auszustellen. „Yūri? Bist du wach?“, fragte er leise, aber hörte sich ungefähr so zerknautscht an, wie Yūri sich fühlte. „Ja“, krächzte Yūri und war selbst überrascht, wie rau und belegt seine Stimme klang. „Ich will nicht aufstehen“, gestand Victor, richtete sich aber trotzdem auf. Er lag nun auf der Seite, sein Kopf mit einem Arm aufgestützt und beäugte Yūri kritisch. „Kater?“, fragte er dann mit einer hochgezogenen Augenbraue. Yūri nickte. „Und ich habe keine Ahnung, was gestern Abend passiert ist“, gestand er dann noch. Victor lachte leise und schüttelte ungläubig den Kopf. „So schlimm, ja?“, fragte er dann mit einem schelmischen Grinsen. „Also, wir haben uns im Bücherladen getroffen“, begann er und Yūri rollte mit den Augen. „Soweit vorne musst du nicht beginnen“, tadelte er spielerisch.
 

„Was möchtest du denn hören? Dass du Alan verraten hast, dass wir uns am Telefon kennengelernt haben?“, Victor hob fragend eine Augenbraue und sofort drehte sich alles um Yūri. „WAS? Nicht dein ernst!“, brachte er hervor und spürte die Übelkeit aufsteigend. „Keine Sorge, er dachte, du würdest Verkaufsgespräche führen. Kannst du dich denn gar nicht mehr dran erinnern?“, Victor schaute ihn prüfend an. „Ich habe noch nicht groß nachgedacht. Mein Kopf tut weh“, gab er ein wenig kleinlaut zu. Victor lachte nur und küsste ihn kurz auf den Mund. „Ich muss mich langsam für die Arbeit fertig machen, wenn du möchtest, kannst du liegen bleiben“, bot er an, doch Yūri schüttelte den Kopf. „Die Uni ruft“, seufzte er. „Möchtest du duschen?“, bot Victor an und Yūri nickte. „Aber wenn du zuerst möchtest, ist das kein Problem. Ich habe erst ab 10:00 Uhr Vorlesung.“
 


 

Victor hatte nichts gesagt, aber er war froh, zuerst in die Dusche gehen zu können. So hatte er noch genug Zeit, sich fertig zu machen. Doch er ließ sich keine Zeit, wie er es so oft morgens machte, um ein wenig den Zeitpunkt hinauszuzögern, an dem er losfuhr. Heute freute er sich darauf, aus der Dusche zu kommen und sein Frühstück noch mit Yūri zu genießen. Auch wenn es kein Karamell Macchiato gab. Mit Freuden würde er jeden Karamell Macchiato der Welt eintauschen, wenn er dafür jeden Morgen mit Yūri frühstücken konnte. Ach, wem machte er was vor? Ihm würde schon die zwei Tage am Wochenende reichen, gestand er sich ein. Doch natürlich würde er das nie jemandem sagen. Außer Yūri vielleicht. Nur um ihn wieder verlegen zu machen. Wenn er so genauer darüber nachdachte, war ihm eigentlich klar, dass er es bei nächstbester Gelegenheit sagen würde. Er müsste nur abpassen, dass sein Bruder nicht in Hörweite war, wenn er nicht irgendwelche unflätigen Geräusche als Antwort haben wollte.
 

Schmunzelnd stieg er aus der Dusche und rubbelte sich trocken. Dann kämmte er sich kurz die Haare. Er würde sie erst föhnen, wenn Yūri fertig mit der Dusche war und sie gefrühstückt hatten. Die Zeit während Yūris Dusche konnte er gut dafür verwenden, Frühstück zu machen und sich anzuziehen. Also wickelte er sich in seinen Bademantel und ging den Flur entlang. Er blickte ins Schlafzimmer, in dem er Yūri mit hochrotem Kopf zurückgelassen hatte, nachdem er ihm angeboten hatte, sich Unterwäsche von ihm zu borgen, falls er wollte und ihm dann die entsprechende Schublade genannt hatte. Yūri verlegen zu sehen, war einfach ein Fest für seine Sinne und Fantasien, musste Victor eingestehen. Daher hatte er lieber leise glucksend das Zimmer verlassen, bevor er noch die Beherrschung verlor. Das Umziehen in der Nacht war schon eine harte Probe für ihn gewesen.
 

„Die Dusche ist jetzt frei, Любимый“, verkündete er. Yūri schien, als wäre er in Gedanken versunken und hatte die Stirn gerunzelt. Doch er zuckte beim Klang seiner Stimme ein wenig zusammen und schaute Victor nun ein wenig verwirrt an. „Warum liegt ein Stück Seife auf deinem Nachttisch?“, fragte er ihn dann und Victor schüttelte lachend den Kopf. „Die hast du gestern mitgehen lassen, weil sie so gut roch“, sagte er vielsagend und grinste schief. „Was?“, Yūri hatte die Augen aufgerissen und bekam rote Ohren. Da war es wieder, seufzte Victor innerlich. Er stellte seine Beherrschung wirklich auf die Probe. „Ich denke, ich gehe besser in die Dusche“, Yūri richtete sich mit einem Ruck auf und ging barfuß durch das Zimmer. Es half Victor kein bisschen, dass er eine weite Sportshorts und ein T-Shirt mit einem Cartoon-Pudel, beides aus Victors Kleiderschrank, trug. Er musste sich vielleicht eingestehen, dass er darauf stand, Yūri in seinen Klamotten zu sehen. Es schrie förmlich, dass Yūri zu ihm gehörte und das sorgte dafür, dass ihm ganz warm ums Herz wurde.
 

„Ist etwas?“, Yūri schaute ihn irritiert an, als er vor ihm anhielt. „Was soll sein?“, Victor blinzelte kurz. Standen seine Gedanken etwas in seinem Gesicht geschrieben? „Du hast eigenartig gegrinst“, erklärte Yūri und Victor konnte nicht anders, als wieder zu grinsen. „Ich könnte mich einfach dran gewöhnen, morgens mit dir aufzustehen“, Victor zuckte mit den Achseln und Yūri lachte leise. „Du bist kitschig“, sagte er und reckte sein Kinn ein wenig vor, doch er grinste nun auch. „Wirklich? Dabei habe ich schon daran gedacht, dass ich für immer auf meinen Karamell Machiato verzichten könnte, wenn ich dafür nur zwei Mal in der Woche mit dir morgens Frühstücken könnte“, grinste er nun breiter. Seine Worte hatten den gewünschten Effekt, denn Yūri wurde wieder rot. „Du bist wirklich furchtbar kitschig“, murmelte er und drückte sich dann an ihm vorbei und ging ins Bad. Mit bester Laune machte sich Victor daran, das Frühstück vorzubereiten.
 


 

„Victor? Hast du einen-“, Yūri kam ins Schlafzimmer und sah Victor, wie er seine Anzüge im Ankleidezimmer durchsuchte. Er trug nur Boxerbriefs und Socken. Er blickte über die Schulter und lächelte Yūri an, fuhr mit einer Hand durch seine, noch leicht feuchten Haare. „Was brauchst du?“, fragte er und drehte sich um. Yūri blinzelte und schluckte. Schau in sein Gesicht, schau in sein Gesicht, schrie er sich in Gedanken an, scheiterte jedoch kläglich. Er hatte Victor schon einmal mit freiem Oberkörper und Handtuch bekleidet gesehen, doch dieser Anblick ließ nicht mehr viel Spielraum für Interpretationen. Er konnte förmlich alles sehen. Sein Blick glitt über seinen Bauch, so flach und muskulös, die Haut schimmerte fast im Morgenlicht und Yūri fragte sich, warum dieser Mann nicht alle Cover von Männermagazinen der Welt schmückte.
 

„Einen Kamm?“, brachte er ein wenig krächzend hervor. „Natürlich“, als wäre es das normalste Outfit der Welt verließ Victor das Ankleidezimmer und ging an ihm vorbei. Immer noch fast nackt. Sehr nackt. Bemerkenswert nackt. Er winkte Yūri, dass er ihm folgen sollte und zeigte ihm alle möglichen Frisierutensilien in seinem Schrank. „Wenn du irgendetwas anderes brauchst, kannst du gerne in den Schränken gucken“, bot er dann an. Yūri hatte das Gefühl, sein Gesicht brannte. „Ich kann nicht einfach deine Schränke durchschauen“, lehnte er ab. „Warum nicht?“, Victor legte den Kopf schief. Yūri hatte schon gemerkt, dass Victor nicht wirklich viel wert auf Besitztümer legte, also in Form von 'das ist dir und das ist mir'. Er teilte gerne mit Yūri. Und doch war es Yūri unangenehm. „Weil dein Bruder sicher auch Sachen hier hat“, kam ihm der Rettungsanker in den Sinn und Victor schien zu verstehen. Er nickte und machte sich daran, den Raum wieder zu verlassen. „Ich ziehe mich noch schnell an, dann können wir frühstücken. Dann fahre ich dich zu deinem Auto“, bot er an.
 

Bitte ja, zieh dich an, betete Yūri in Gedanken. Doch er wusste selbst, dass diese Bitte nur sehr halbherzig war. Wie konnte er wirklich wollen, dass Victor sich anzog. Natürlich war er nervös, wenn er daran dachte, in welche Richtung ihre Beziehung unweigerlich gehen würde. Aber er konnte nicht anders, als Victor nachzublicken. Zu sehen, wie sich der feste Hintern in seiner Unterhose abmalte und betonte. Victor war auch von hinten eine Augenweide. Viel zu schnell war Victor im Schlafzimmer verschwunden und Yūri zwang sich dazu, sich um seine Haare zu kümmern. Und so schade er es fand, dass Victor sich nun anziehen würde, genauso freute er sich auch darauf, ihn im Anzug zu sehen. Victor im Anzug war auch immer eine Augenweide. Vielleicht nicht so sehr, wie nur in Unterwäsche, aber immer noch ein atemberaubender Anblick.

Nur ein Gefühl

Victor stand nun schon eine halbe Stunde vor dem Spiegel und beäugte sich kritisch. War es nicht zu dick aufgetragen? Andererseits hatte Yūri ihm verraten, dass er ihn gerne im Anzug sah. Da ihm ein vollständiger Anzug allerdings ein wenig zu viel war, hatte er sich für eine dunkelgraue Jeans, einen burgunderroten, dünnen Rollkragenpullover und eine ebenfalls dunkelgraue Anzugsjacke entschieden. Sein Blick ging noch einmal zu dem beigen Pullover, den er über einen Stuhl gelegt hatte. „Grundgütiger, bist du endlich mal fertig? Du hast das Schweinchen doch schon klar gemacht, was musst du dich jetzt noch so rausputzen?“, grummelte Yurio von der Tür aus. Es dauerte ein bisschen, bis die Worte eingesunken waren und Victor verstand, was Yurio da gesagt hatte.
 

Er drehte sich langsam auf dem Absatz um und schaute Yurio mit hochgezogenen Augenbrauen an. Doch bevor er noch etwas sagen konnte, stieß sich Yurio vom Türrahmen ab. „Pah, was auch immer. Mach, dass du bald hier verschwunden bist. Beka und ich haben uns mit anderen zum Zocken verabredet“, sagte er über die Schulter. „Und dafür braucht ihr meinen Fernseher?“, rief ihm Victor hinterher. „Natürlich. Wenn ich schon einen Bonzen mit abnormal großem Fernseher als Bruder habe, muss ich das auch ausnutzen“, kam es aus dem Wohnzimmer. „Oh ja, du hast auch sonst ein so schweres Los bei mir gezogen“, seufzte Victor. „Endlich siehst du es mal ein, Opa!“, rief Yurio zurück. Langsam wurde es Victor zu nervig, durch die Wohnung zu rufen, also folgte er Yurio ins Wohnzimmer. „Und ihr wollt den ganzen Abend irgendwelche Ballerspiele spielen?“, hakte er nach. Yurio schaute ihn nicht an, während er seine Konsole an den Fernseher anschloss, aber er schien sich auch nicht die Mühe zu machen, ihm zu antworten.
 

„Ich habe mit dir geredet, Yuri“, er hatte sich angewöhnt, seinen Bruder mit dem richtigen Namen anzusprechen, wenn nicht gerade Yūri in der Nähe war. „Nein“, kam es einfach und kurz angebunden von Yurio. „Das ist erfreulich zu hören. Und was habt ihr sonst noch so geplant?“, hakte Victor nach, denn er hatte das Gefühl, auf etwas gestoßen zu sein, was Yurio unangenehm war. Und mal ehrlich: Dass er eine Möglichkeit gefunden hatte Yurio unkomfortabel zu machen, erschien ihm nach den ganzen dummen Sprüchen seines Bruders wie ein Sechser im Lotto. Aufmerksam beobachtete er, wie Yurios Ohren rot wurden. Er verschränkte die Arme vor der Brust, trommelte mit den Fingern gegen den Arm und wartete neugierig, ob er sich noch mal regte. Als ihm das Warten zu bunt wurde, setzte er wieder nach: „Ich höre?“ „Verdammte Scheiße, ich bin so scheiße in der verkackten Mathematik, dass Beka mir aushilft. Zufrieden?“, keifte er und drehte sich mit hochrotem Kopf um. „Er gibt dir also Nachhilfe?“, grinste Victor. Nicht nur hatte Yurio eine Schwäche zugegeben, sondern hatte auch Beka um Hilfe gefragt. Beides gefiel Victor gleichermaßen, wenn auch jeweils auf einer anderen Art. „Da hat der Maurer das Loch gelassen, Opa! Verschwinde endlich!“, Yurio zeigte mit der Hand auf die Tür und warf mit einem Kissen nach ihm.
 


 

Yūri war froh, dass sie sich dazu entschlossen hatten, etwas zu Essen zu bestellen. Denn so nervös wie er war, wäre ihm vermutlich sogar das Nudelwasser angebrannt. Victor hatte ihm versprochen, alles über seine Arbeit und die Hintergründe, warum er ihm die Details verheimlicht hatte, zu erzählen. Das alleine hätte ihn vielleicht nur neugierig gemacht. Aber er hatte dabei so ernst ausgesehen, dass sich Yūri fragte, wo den der Haken an der ganzen Sache war. Hatte Phichit am Ende vielleicht doch recht behalten und es gab diesen großen Haken? Yūri schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu verbannen. Er glaubte nicht daran und sollte jetzt auch nicht anfangen zu zweifeln. Victor hatte sicher seine Gründe gehabt und am Ende würde er sie bestimmt verstehen, da war sich Yūri eigentlich sicher. Und doch nagte ein klein wenig Zweifel an ihm. Kratzte am Rande seiner Gedanken, klopfte an und bat um Einlass. Er versuchte sich dagegen zu wehren, aber sie blieben hartnäckig. Er blickte auf die Uhr und war froh, dass Victor jeden Moment da sein musste. Dann hätte er keine Zeit mehr, sich irgendwelche idiotischen Gedanken zu machen.
 

Obwohl er damit gerechnet hatte, fuhr er ein wenig zusammen, als es klingelte. Er sprang vom Sofa auf und betätigte den Türöffner und öffnete dann die Wohnungstür, um Victor einzulassen. Es brauchte nicht lange, bis er im Treppenhaus erschien und schief grinste. „Du solltest die Gegensprechanlage verwenden. Was, wenn ich ein Vertreter wäre oder von irgendeiner Sekte?“, fragte er, während er die letzten Treppenstufen hochstieg. Yūri grinste zurück. „Dann hättest du leichtes Spiel mit mir.“ „Awww“, Victor legte sich eine Hand aufs Herz, hob dann aber einen Zeigefinger wie zur Ermahnung: „Aber ich bin der König des Kitschs, ja?“ „So habe ich das gar nicht gemeint. Sondern weil du ja jetzt schon praktisch in meiner Wohnung stehst“, er verkniff sich ein Lachen und beobachtete, wie Victor schmollend die Unterlippe vorschob. „Da freue ich mich zwei Tage auf dich und werde so begrüßt. Mir blutet das Herz“, wieder wanderte seine Hand auf die Höhe seines Herzens, nur dieses Mal krallten sich die Finger in den burgunderfarbenen Stoff. Yūri fand, dass diese Farbe ihm ausgesprochen gut stand.
 

Er machte schmunzelnd einen Schritt auf Victor zu, verschränkte seine Hände in seinem Nacken und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen kurzen Kuss zu geben. Als er sich lösen wollte, beugte sich Victor nach vorne, um den Kuss möglichst lange aufrecht zu halten. „Mehr“, schmollte er nun wieder. Yūri lachte leise, drückte ihm aber noch einen kurzen Kuss auf die Lippen, bevor er ihn an einer Hand in die Wohnung zog. Victor trottete mit einem Lächeln hinterher und Yūri konnte nur mit Mühe und Not ein ungläubiges Kopfschütteln unterdrücken. Victor konnte manchmal so ein Idiot sein. Zugegebenermaßen ein süßer Idiot, aber trotzdem immer noch ein Idiot. Doch Yūri musste sich eingestehen, dass er auch diese Seite an Victor mochte. Sehr sogar. Er ließ Victors Hand los, als er die Tür hinter ihnen schloss. Victor nutzte die Gelegenheit, um seine Schuhe auszuziehen. „Sollen wir erst was zu Essen bestellen? Worauf hast du Lust?“, fragte Victor. Yūri musste überlegen, darüber hatte er sich noch nicht wirklich Gedanken gemacht. „Was hältst du von Sushi?“, fragte er, da er einen recht guten Lieferservice für Sushi kannte. „Ich kann immer was Japanisches vertragen“, grinste er und wippte mit den Augenbrauen. Yūri rollte nur mit den Augen und drehte sich um, damit er die Speisekarte in der Küche raussuchen konnte.
 


 

Zur Hälfte war es natürlich eine Verzögerungstaktik, aber Victor hatte auch Hunger. Wenn er daran dachte, dass sie vielleicht für eine Stunde redeten und dann erst bestellen und dann, weil es Samstag war, vermutlich noch einmal eine Stunde auf ihr Essen warten müssten... Bis dahin hätte Victor sicherlich Yūri angeknabbert. Er mochte Yūri in seiner schlichten Kleidung. Vielleicht war es ein wenig zu schmucklos, unausgefallen, aber irgendwie passte es gut zu Yūri. Yūri war Understatement in Person. Er sah gut aus, hatte eine gute Figur, war intelligent und humorvoll. Dass er nicht seit Jahren vergeben war, war wirklich ein Rätsel für Victor. Nun beobachtete er Yūri, wie er die Bestellung telefonisch durchgab und kam nicht umhin, sich zu wundern, wie er ausgesehen hatte, wenn er mit ihm telefoniert hatte. Die Tatsache, dass er auch mit anderen Männern und Frauen telefoniert hatte, schob er einfach zur Seite. Das war vor ihrer gemeinsamen Zeit und womöglich hätte er ihn anders gar nicht kennengelernt. Wer konnte schon sagen, ob nicht all das in ihrer Vergangenheit unweigerlich auf diesen einen Moment hingeführt hatte? Und vielleicht, aber nur vielleicht las er momentan ein wenig zu viele kitschige Roman-Manuskripte.
 

Als Yūri aufgelegt hatte, nahm Victor tief Luft und legte los. Jetzt oder nie, feuerte er sich selbst an. „Also...“, begann er, um Yūris Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Nach dem Studium habe ich sofort eine Stelle bei Feltsman Publishing bekommen und habe relativ schnell Alan als Autor zugeteilt bekommen, da die bisherigen Redakteure nicht so gut mit ihm klar kamen“, er hielt kurz inne um Luft zu holen. Als er wieder ansetzen wollte, kam Yūri ihm zuvor: „Das ist doch großartig.“ Er konnte die unausgesprochene Frage in seinen Worten und in der Tonlage hören: Und was ist dabei dein Problem? „Die Sache ist die: Mein Onkel ist Yakov Feltsman, Gründer und Verlagsbesitzer“, er hob vielsagend die Augenbrauen und erkannte, dass Yūri langsam verstand. Doch diesmal ließ er ihn nicht zu Wort kommen. „Und ja, mit hoher Wahrscheinlichkeit werde ich den Verlag irgendwann einmal erben. Allerdings glaube ich, dass Yakov noch mit 120 Jahren in seinem Chefsessel sitzen wird, vorausgesetzt, er reduziert endlich mal wieder seine Raucherei“, seufzte Victor und fuhr sich durch die Haare. „Das ist im Großen und Ganzen der Grund, warum ich es dir nicht gesagt habe. Ich war immer hin und hergerissen, da ich mir eigentlich sicher war, dass dir das alles egal ist, aber...“, er seufzte. Wie sollte er seine Gedanken in Worte fassen?
 

„Das war sicher alles hart für dich. Ist es vielleicht heute noch. Ich meine, du als möglicher Erbe... Es gibt sicher genug Leute, die nicht glauben, dass du wirklich was leistest. Dabei haben es meinst die Verwandten in einem Unternehmen am Schwersten“, Yūri sprach leise, aber Victors Worte trafen ihn unvermittelt. Ungläubig schaute er ihn an. Kannte er die Probleme, die so etwas mit sich brachte oder war Yūri einfach nur so empathisch? Victor konnte sich beides gut vorstellen. Aber statt das zu fragen, schüttelte er einfach nur den Kopf und fragte: „Wo warst du mein ganzes Leben?“ Yūri lachte und zuckte nur mit den Schultern. „Die richtige Antwort wäre gewesen: Auf der Suche nach dir. Das üben wir noch“, zwinkerte Victor und sah, sehr zu seiner Freude, dass Yūri ein wenig rot wurde. „Sag ich doch, König des Kitschs“, schnaubte er nach ein paar Sekunden, wurde dann aber ernst. „Und das war alles? Das war der Haken?“, fragte er dann blinzelnd. Jetzt war Victor ein wenig verwirrt. „Na ja, für mich war das schon eine große Sache. Wenn man ständig mit Leuten umgeben ist, die entweder nur mit einem reden, weil sie sich irgendetwas erhoffen oder selbst das Schwarz unter den Fingernägeln nicht gönnen“, erklärte er dann und zog dabei die Augenbrauen zusammen. „Verstehe mich bitte nicht falsch, Vitya. Aber so wie du wegen dem Ganzen geklungen hast, habe ich mir Sorgen gemacht, dass da irgendetwas kommt, was... Ach, keine Ahnung“, Yūri schob die Brille hoch und rieb sich durch das Gesicht.
 

Hatte sich Yūri etwa Gedanken darüber gemacht? Hatte er Sorgen gehabt, dass es ihre Beziehung in irgendeiner Art und Weise bedrohen konnte? Er war doch wirklich ein Idiot, dass er nicht einfach sofort alle Karten auf den Tisch gelegt hatte. Stattdessen hatte sich Yūri seit Donnerstagmorgen Gedanken gemacht, was wohl sein 'dunkles Geheimnis' war? „Hast du gedacht, dass ich ein uneheliches Kind oder eine Zwangsverlobte habe oder so etwas?“, fragte Victor sowohl etwas fassungslos als auch besorgt. „Ich weiß nicht, was ich gedacht habe. Nur, dass ich es irgendwie nicht glauben konnte, dass du wirklich so perfekt sein sollst“, seufzte Yūri. Victor legte einen Arm um Yūri und zog ihn an seine Seite. „Ich bin überhaupt nicht perfekt?“, schüttelte er entschieden den Kopf. „Ach ja?“, Yūri schaute ein wenig zu ihm hoch. „Ja. Ich klammere im Schlaf und manchmal rede ich sogar, wenn ich schlafe“, zählte Victor auf. „Finde ich süß“, schmunzelte Yūri. „Ich neige dazu, zu übertreiben und bin übermäßig begeisterungsfähig“, schlug Victor nun vor. „Hat auch seinen Charme. Besser als ständig schlecht gelaunt oder emotionslos zu sein“, zuckte Yūri unschuldig mit den Schultern. „Ich bin ein Workaholic“, jetzt plapperte er auch noch Alans Worte nach, bemerkte er mit Schrecken. Aber er hatte gerade so ein Hochgefühl, nachdem er diese Last abgeworfen hatte und Yūri das Ganze auch noch so unerwartet gefühlvoll aufgenommen hatte.
 

„Ich hatte bisher keinen Grund, mich zu beschweren. Aber du könntest ein wenig mehr Zeit mit deinem Bruder verbringen“, rüffelte Yūri. „Da hast du es: Nicht perfekt. Aber Yurio scheint gerade lieber Zeit mit Beka zu verbringen. Ich bin froh, dass sie so gute Freunde geworden sind“, lächelte Victor. „Bist du sicher, dass es nur das ist?“, fragte Yūri nun. Victor schaute mit gerunzelter Stirn zu Yūri hinunter. „Was meinst du damit?“ „Na ja, ich kann mich auch irren, aber zumindest bei Beka hatte ich den Eindruck, dass er an Yurio interessiert ist. Und Yurio ist, glaube ich, auch nicht ganz abgeneigt.“ Victor blinzelte mehrfach. Stimmte das wirklich? Hatte er das die ganze Zeit nicht bemerkt? Aber war sein Bruder nicht gegen seine Beziehung zu Yūri gewesen? Oder war es nur seine typische, mürrische Art? Victor verstand plötzlich gar nichts mehr. „Meinst du?“, fragte er unwirsch. „Es ist wirklich nur ein Gefühl. Ich kann auch völlig falsch liegen“, Yūri hob abwehrend die Hände.
 

Nachdenklich legte sich Victor einen Finger an die Lippe und legte den Kopf schief. Konnte es wirklich sein? Sein Bruder und Otabek? Und was sollte er davon halten? War er nicht noch ein bisschen jung dafür? Nein... Er musste realistisch sein, Yurio war sein jüngerer Bruder, aber er war eindeutig alt genug. Aber Beka? Sein Bruder soll auch...? „Ich sollte kurz mal nach Hause gehen und...“, er wollte sich aufrichten, aber Yūri nutzte sein ganzes Gewicht, um ihn auf der Couch zu halten. „Du gehst nirgendwohin. Selbst wenn es so sein sollte, solltest du dich da nicht einmischen. Und Beka ist doch ein netter Kerl. Er wird Yurio auf jeden Fall nicht rücksichtslos oder so behandeln“, stellte Yūri klar. Da hatte er natürlich recht... Doch Victor musste zugeben, dass ihm die Idee missfiel. Also nicht, dass Yurio und Beka mehr als nur Freundschaft füreinander empfanden, sondern vielmehr, dass er es nicht bemerkt hatte und jetzt noch im Unklaren darüber war. Victor entspannte sich wieder und legte den Arm erneut um Yūri. „Du hast ja recht. Außerdem müsste unser Sushi jeden Moment kommen. Ich sterbe vor Hunger.“

Sushi für Anfänger

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Göttliche Fügung

Yūri wurde von einer ungewohnten Wärme in seinem Bett wach. Noch drang kein Sonnenlicht durch die Lamellen seiner Jalousie. Also musste es noch mitten in der Nacht sein, schlussfolgerte er. Er schlug ein wenig die Decke auf, um kühlere Luft hinein zulassen. Doch bei seiner Bewegung, begann sich hinter ihm etwas zu rühren. Kurz darauf fühlte er, wie ein Arm, der scheinbar seine Taille umschlungen hatte, sich fester um ihn zog und näher an den warmen Körper hinter sich zog. Vitya, kam es Yūri plötzlich in den Sinn und der Gedanke an das, was am Abend zuvor passiert war. In genau diesem Bett. Mit dem Mann, der hinter ihm lag und sich an ihn kuschelte.
 

Yūri spürte, wie sein Körper noch einmal etwas wärmer wurde. Es war eine eigentümliche Mischung aus Scham und Erregung, die durch seinen Körper ging. Wenn er ehrlich war, hatte er immer gedacht, dass das erste Mal mehr Experiment als gute Erinnerung sein würde, doch Victor hatte ihn eines Besseren belehrt. Nicht, dass sich Yūri beschweren würde. Es war eher, dass es seine Bewunderung gegenüber dieses Mannes noch gesteigert hatte. Er hatte es geschafft, ihm die Nervosität zu nehmen und ihm die Sicherheit gegeben, sich fallen zu lassen. Sie kannten sich erst einige Wochen und doch fühlte sich Yūri, als würden sie sich seit Ewigkeiten kennen. Er vertraute Victor wie kaum jemanden anderen. Wie Phichit vielleicht, wie seiner Familie. Warum war es so einfach, Victors Worten vertrauen zu schenken? Nur, weil er in ihn verliebt war? Oder vielleicht, weil er ihn scheinbar durchschauen konnte und geradeheraus genug war, um es anzusprechen?
 

Victor hatte bemerkt, dass Yūri nervös war und dass er auf dem Wege war, sich ein wenig Mut anzutrinken. Wie Victor seine Hände genommen und massiert hatte, hatte es gleichzeitig ein wenig seine kreisenden Gedanken beruhigt, aber auch sein Herz schneller schlagen lassen. Seine Worte und seine ruhige Stimme hatten ihn nicht nur beruhigt, sondern auch versichert, dass Fehler kein Problem waren. Er hatte sich selbst Druck aufgebaut, hatte gedroht darunter begraben zu werden und doch hatten nur wenige Sätze von Victor gereicht, dass seine Sorgen zum größten Teil verschwunden waren und seine Nervosität sich mehr in Aufregung gewandelt hatte.
 

Mit einem Seufzen lehnte er sich in Victors Umarmung und schloss mit einem Lächeln die Augen. Er legte eine Hand über Victors Arm um seine Taille und verschränkte die Finger ineinander. „Любимый“, meinte er von hinten leise Victors Stimme zu hören und spürte seinen warmen Atem im Nacken. Ja, so könnte er jede Nacht verbringen, ging ihm mit einem Schmunzeln durch den Kopf. Victor war zwar in der Nacht unglaublich warm, aber er war sich sicher, dass er sich daran gewöhnen konnte. Er war sich sicher, dass er sich daran gewöhnen wollte. Zufrieden driftete er langsam wieder in den Schlaf.
 

Als Yūri das nächste Mal wach wurde, war sein Bett eigentümlich kalt. Er drehte sich rum, nur um die Wand anzublicken. Er richtete sich auf und blickte sich suchend in seinem Zimmer um. Doch er sah weder Victor, noch seine Kleidung, die eigentlich noch verstreut auf dem Boden hätten liegen müssen. Yūri runzelte die Stirn und streckte seine Hand aus. Die Matratze war bereits kalt, also musste Victor schon eine Weile das Bett verlassen haben. Aber warum? Hatte er geschnarcht oder gesabbert? Hatte er ihn irgendwie vergrault? Hatte er im Schlaf irgendeinen peinlichen Unsinn geredet? Yūri schluckte bei dem Gedanken, was Victor wohl aus dem Bett getrieben hatte. Victor musste wahrscheinlich einfach nur mit Makkachin raus, beruhigte er sich selbst in Gedanken. Er hatte bereits so viele peinliche Details über ihn erfahren, was machte da ein wenig Sabber oder Gebrabbel im Schlaf schon? Alleine der Gedanke daran, dass Victor wusste, was er vor seinem IT-Job getan hatte, um über die Runden zu kommen, ließ Yūri wieder die Schamesröte ins Gesicht steigen. Es war ihm schon früher etwas peinlich gewesen, aber mittlerweile wollte er bei dem Gedanken daran am liebsten in Grund und Boden versinken. Vielleicht kam es durch die zeitliche Distanz zu dem Job und dass er es jetzt relativ gut in seinem aktuellen Job hatte. Vielleicht hätte er das auch alles früher haben können, wenn er nur ernsthafter gesucht hätte?
 

Andererseits… Victor hatte mit ihm telefoniert. Sie hatten sich im Prinzip zuerst durch die Hotline kennengelernt. Hätte er direkt so ein Auge für Victor gehabt, nachdem sie den Unfall gehabt hatten, wenn er nicht sofort diese Stimme erkannt hätte? Vielleicht wäre er eher durch sein Auftreten und seinem Aussehen eingeschüchtert gewesen, statt kühn genug, um ihn nach einer Buchempfehlung zu fragen. Yūri konnte es nicht sagen. Doch Victor hatte ihm nie das Gefühl gegeben, sich dafür schämen zu müssen. Aber sie hatten auch nie wirklich noch einmal darüber geredet. Vermutlich hatte Victor ihn nicht verschrecken wollen, immerhin hatten sie einige Fantasien gemeinsam durchgespielt, mutmaßte Yūri. Und da fiel ihm etwas auf: Zwar überdachte er fast jede Geste zwei Mal und bewunderte Victor für seine Lockerheit, aber andererseits musste Victor so sicherlich genauso viele Gedanken in ihre Beziehung investieren. Wie sonst konnte er jedes Mal die Geistesgegenwart haben, ihn zu beruhigen und eben solche Themen nicht anzusprechen.
 

Hätte Yūri sie von sich aus angesprochen, wenn es andersherum gewesen wäre? Wenn er ähnlich selbstbewusst wäre, wie Victor? Vielleicht. Gut möglich. Aber nicht, wenn er bemerken würde, dass sein Gegenüber stellenweise ein reinstes Nervenbündel war. Das würde bedeuten, dass sich Victor oft Gedanken darüber machte, was er tun und lassen sollte, oder? Und während Yūri so in seinem Bett saß, fiel ihm noch etwas anderes auf, während sein Magen wie auf ein Zeichen knurrte. Es roch gut. Es roch nicht nach ‚Victor-gut‘. Zumindest nicht nur, denn er konnte noch eindeutig seinen Geruch am Kissen wahrnehmen. Es roch gut nach Eiern und Speck. Ein erleichtertes Lachen kam ungebeten über die Lippen, während er seine Beine über die Bettkante schwang, eilig ein paar Klamotten zusammensuchte, seine Brille vom Nachttisch nahm und sein Zimmer verließ. Dass ihm das Wasser im Mund zusammenlief, war sogar ein wenig untertrieben.
 

Victor wendete gerade noch einmal den Speck und blickte zur Uhr. Er haderte damit, ob er Yūri wecken sollte oder nicht. Doch als er aufgestanden war, hatte er so fest geschlafen. Das Gesicht so entspannt und friedlich. Er hatte es nicht über sein Herz gebracht, ihn aufzuwecken. Stattdessen warer zum Bäcker gegangen, hatte Brötchen und Croissants gekauft. Auf dem Rückweg war er dann noch kurz bei Saturn Super Food reingesprungen und hatte Eier, Bacon, Orangensaft und ein wenig Obst gekauft. Wie immer bedauerte er das arme Supermarkt-Personal dafür, dass sie auch sonntags arbeiten mussten. Das war auch der Grund, warum er sich normalerweise weigerte, samstags nach 18:00 Uhr und vor allem sonntags einen Laden zu betreten. Dabei war es ihm egal, ob es die normalen Öffnungszeiten waren oder irgendein Aktionstag war. Diese Leute hatten doch auch Familie! Warum gönnte man ihnen kein Wochenende? Doch wie jedes Mal fiel ihm Schuldbewusst ein, dass er gleiches über Restaurantmitarbeiter denken müsste oder Hotelangestellte. Krankenhauspersonal oder Polizei.
 

Jedenfalls hatte er nur das Nötigste gekauft und war dann schnell wieder in Yūris Wohnung geeilt. Er hatte gehofft, dass Yūri nicht ausgerechnet diesen Zeitpunkt gewählt hatte, um aufzuwachen und sich dann zu fragen, wo er nur abgeblieben war. Daher war er erleichtert, als ein kurzer Blick in sein Zimmer einen, immer noch, friedlich schlummernden Yūri preisgab. Dann blieb ihm nur noch zu hoffen, dass der Geruch von gebratenen Eiern und krossem Speck Yūri zum Aufstehen bewegen würde. Doch da stand er gleich vor dem nächsten Problem: Mochte Yūri lieber Rührei oder Spiegelei? Und wenn Spiegelei, dann von beiden Seiten gebraten oder das Eigelb noch flüssig? Bei Yurio wusste er es ganz genau. Von beiden Seiten gebraten, aber nur kurz, damit die Mitte noch flüssig war. Das ließ ihn bemerken, wie lange die beiden nicht mehr gemeinsam in Ruhe gefrühstückt hatten. Er verharrte kurz in der Bewegung inne und beschloss, nächsten Sonntag mit seinem Bruder gemeinsam zu frühstücken. Yūri hatte recht, er musste sich mehr um seinen Bruder kümmern. Mehr als die Nachricht, ob er heute Morgen mit Makkachin rausgehen könnte und ein genervtes ‚Wenn es sein muss, alter Sack!‘ hatten sie am heutigen Tag noch nicht ausgetauscht.
 

Er schlug zwei Eier in die Pfanne und beobachtete, wie das Eiweiß langsam stockte und die Farbe änderte. Er beschloss, einfache Spiegeleier zu machen und falls Yūri sie lieber beidseitig gebraten wollte, konnte er sie immer noch kurz in die Pfanne hauen. Zusätzlich konnte er noch von vier Eiern Rührei machen, dann war von allem etwas da und er würde sich einfach daran bedienen, was Yūri nicht essen wollte. Er selbst war mehr der Spiegeleier-Typ. Rührei war nicht so seins, aber es war nicht so, als würde er es nicht mögen. Bevor er allerdings die Eier in die bereitgestellte Schüssel schlagen konnte, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung war. Yūri stand noch sichtlich verschlafen im Übergang zur Küche und grinste ihn schief an. „Das riecht herrlich“, sagte er und kam ein paar Schritte näher. „Bedank dich bei den Schweinen und Hühnern“, grinste Victor bevor er sich ein wenig zu Yūri hinunterbeugte und kurz auf den Mund küsste. „Guten Morgen, Любимый. Wie geht es dir?“, fragte er dann und wandte sich schnell wieder den Eiern zu. „Gut“, sagte Yūri und Victor nahm das ehrliche Lächeln, als er kurz zur Seite blickte.
 

Er musste gestehen, dass es ihn erleichterte. Zeigte es doch, dass er seinen Job gestern wohl recht gut gemacht hatte. „Und dir, Vitya?“, hörte er Yūris Stimme, während er mit dem Pfannenwender gegen das Ei stieß um zu schauen, ob das Eiweiß komplett gestockt war. „Ich habe himmlisch geschlafen“, gestand er wahrheitsgemäß. Er konnte einfach immer besser schlafen, wenn er etwas in seinen Armen hatte, was nicht gerade ein Kissen war. Und leider hatte Makkachin nicht immer Lust, sich den Kuschelattacken seines Herrchens zu fügen. Etwas Fett spritzte durch das Ei hoch und brachte eine wichtige Frage zurück in Victors Gedächtnis: „Magst du lieber Rührei oder Spiegelei? Und wenn Spiegelei, wie magst du dein Spiegelei?“, lachte und grinste er dann mit erhobenem Pfannenwender. „Spiegelei, von einer Seite gebraten und den Bacon möglichst kross“, gab Yūri mit einem breiten Grinsen zurück. Victor wurde warm ums Herz. „Mein Freund ist einfach perfekt“, grinste er und küsste Yūri noch einmal kurz, bevor er die beiden Eier aus der Pfanne holte und noch einmal zwei nachlegte. Ihm war sehr wohl bewusst, dass Yūri wieder rot geworden war. Aber für Victor war es die Wahrheit. Wie konnte er nicht so denken, wenn Yūri sein Spiegelei und Bacon genauso mochte, wie er selbst? Das war göttliche Fügung!
 

Er musste selbst ein belustigtes Kichern unterdrücken, als er über seine Worte nachdachte. Manchmal übertrieb er auch nach seinem Geschmack maßlos, doch er konnte es einfach nicht lassen. Es machte ihm viel zu viel Spaß. Yūri hatte in der Zwischenzeit damit begonnen, ihren Frühstückstisch zu decken. Seine Augen folgten ihm aufmerksam, wie er sich durch die Küche bewegte. Yūri war einfach ein Augenschmaus, befand Victor, doch dann fielen ihm mit einem Mal die Spiegeleier in der Pfanne ein. Erleichtert stellte er fest, dass sie in der heißen Pfanne noch nicht zu dunkel geworden waren. Wobei er sich gleich ausmalte, wie Yūri wohl reagieren würde, wenn er ihm sagte, dass er an den verbrannten Eiern schuld war. Vermutlich würde sofort wieder die Röte in Yūris Gesicht steigen.
 

Für einen kurzen Moment war er versucht, die Eier noch ein wenig in der Pfanne zu lassen. Allerdings entschied er sich dagegen, denn auch wenn es nur zwei Eier waren, es wäre immerhin noch Lebensmittelverschwendung gewesen. Und das nur, wegen einem mäßigen Spruch. Da konnte Victor bestimmt noch Besseres aus dem Ärmel schütteln und musste dabei keine Eier anbrennen lassen. Behutsam holte er die Eier nacheinander aus der Pfanne und legte sie auf einem Teller ab. Dann stellte er den Herd aus, stellte die Pfanne in die Spüle und ließ etwas Wasser hineinlaufen. Als er sich mit dem Teller Spiegeleier in der Hand umdrehte, hatte Yūri den Tisch bereits fertig gedeckt und sah ein wenig unsicher auf das Obst hinab. „Hattest du irgendetwas damit geplant?“, fragte er. „Ich könnte noch einen Obstsalat machen. Ansonsten können wir es auch einfach so essen. Ganz wie du magst. Kennst du die Obstbuffets in Hotels beim Frühstück? Ich mag das irgendwie total“, grinste Victor schief und zuckte mit den Schultern.
 

Yūri nickte. Es sah aus, als könne er es gut nachvollziehen, was Victors Grinsen nur breiter werden ließ. „Pur reicht mir eigentlich. Du musst dir nicht noch die Mühe machen. Möchtest du einen Kaffee?“, ging Yūri dann noch auf seine Frage ein und bot ihm eine Tasse an. Victor nickte nur und stellte den Teller ab. Kurze Zeit später saßen sie sich gegenüber am Frühstückstisch und ließen sich das Frühstück schmecken. Es erstaunte Victor immer wieder, wie häuslich es mit Yūri war. Bisherige Beziehungen hatten für ihn am Anfang immer bedeutet, viel auszugehen. Ins Kino, in Restaurants, eventuell mal auf eine Ausstellung, wenn er jemanden kennengelernt hatte, der mehr auf Kultur stand. Aber nach nur wenigen Wochen in der jeweiligen Wohnung gefühlt ein- und auszugehen… Das hatte er bisher noch nicht gehabt. Was vielleicht auf dem ersten Blick etwas langweilig wirkte, entschleunigte Victors Leben und er hatte seit langem wieder das Gefühl, seine Freizeit richtig zu genießen. Sogar, dass ihm seine Freizeit manchmal sogar ein bisschen zu wenig vorkam.
 

Würde Chris den Gedankengang mitverfolgen können, würde er jetzt breit grinsen und ihm auf die Schulter klopfen. Doch wie würde es sein, wenn Yūris Mitbewohner wieder zurückkam? Er fühlte sich einerseits schlecht, weil er eigentlich hoffte, dass sich an ihrer Situation nichts ändern würde. Andererseits konnte man ab und an aber auch ein wenig egoistisch sein, oder? Aber es war ja auch nicht so, als könnte er Phichits Rückkehr, wann auch immer sie sein möge, irgendwie beeinflussen oder verhindern. Er musste es so nehmen, wie es kam und mit ein bisschen Glück konnte er Yūri irgendwann davon überzeugen, bei ihm einzuziehen. Wobei er sich dann sicherlich Gedanken darüber machen musste, was er mit Yurio anstellen würde. Aber vielleicht war Otabeks Einfluss, wie auch immer er aussehen möge, gut für seinen kleinen, kratzbürstigen Bruder. Das war allerdings eines der nächsten Themen, die er in Angriff nehmen musste.

Überraschung

Als Victor ein paar Wochen später eine Nachricht erhielt, fiel er aus allen Wolken. Der einzige Vorteil an der Jahreszeit war, dass sie um diese Zeit alle Werke, die vor Weihnachten auf den Markt kommen sollten, schon in den Druck gegeben hatten. Vor der Weihnachtszeit war die Auftragslage für Druckereien immer besonders hoch, da jeder noch zusätzliche Auflagen von Bestsellern, Sonderexemplare oder auch Neuerscheinungen auf den Markt bringen wollte. Daher gab man die fertigen Vorlagen so früh wie möglich in den Druck, damit auch ja alles für das Weihnachtsgeschäft parat stand. Immerhin sind Bücher seit jeher das beliebteste Weihnachtsgeschenk. Das bestätigten die verschiedensten Umfragen regelmäßig. Im letzten Jahr hieß es, dass 35 % der Geschenke Bücher waren und da waren Buchgutscheine nicht mit eingerechnet. Das war durchaus ein Wert, den Victor mit etwas Genugtuung zur Kenntnis nahm. Denn egal, wie stark die Unterhaltungsindustrie mit Konsolen und Spielen war und als wie überholt manche Bücher betrachteten, war das doch ein starkes Zeichen. Und ganz nebenbei sicherte es noch seinen Job. Was könnte es besseres geben?
 

Aber um seinen Job hatte sich Victor in den letzten Jahren eh keine Sorgen gemacht. Seine Sorge galt eher dem, was er geschickt bekommen hatte. Der Absender hatte eigentlich schon nichts Gutes verhießen. Doch mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Eigentlich musste er dem Absender dankbar sein und das war er im Endeffekt auch. Obwohl es ihm lieber gewesen wäre, wenn es ihm ein klein wenig früher eingefallen wäre. Andererseits konnte er ihm nicht wirklich einen Vorwurf machen. Immerhin war diese Information etwas, die er hätte eigentlich selbst erfragen sollen. So etwas machte man immerhin. Das waren die grundlegenden Informationen. Die Basics. Es war etwas, was man einfach fragte. Fragte und dann sofort notierte. In sein Handy abspeicherte und Erinnerungen programmierte. Wochen im Voraus. Aber es war eine Sache, die total untergangen war. Vielleicht, weil alles so schnell ging? Victor schimpfte still über sich selbst, als er in Mantel und mit Tasche an Sara vorbeihuschte und noch einmal kurz winkte. Sie hatte nicht schlecht geguckt, als er kurzfristig 2 Tage Urlaub genommen hatte. Und zwar inklusive des heutigen Tags.
 

Aber was hätte er auch tun sollen? Gut, er war tatsächlich auch ein wenig in Panik verfallen, als die Nachricht auf seinem Display erschienen war. Es waren nur wenige Worte, aber sie hatten gereicht. Gereicht, um auf der Stelle seine Sachen zu packen, Sara von seinen Plänen zu erzählen und mit ihr die Verlegung seiner Termine zu planen, den Urlaub offiziell einzureichen und schon fast durch die Tiefgarage zu seinem Auto zu laufen. Eilig warf er seine Tasche auf den Rücksitz, zog Mantel und Anzugsjacke aus und legte sie – so viel Zeit musste sein – sorgsam ebenfalls auf den Rücksitz. Als er ins Auto stieg schaute er noch schnell auf die Uhr an seinem Handgelenk. 20 Minuten hatte er gebraucht von Erhalt der Nachricht bis zu seinem Auto. Entsprechend außer Atem war er nun. Doch jetzt saß er hinter dem Steuer und realisierte, dass er nicht die leiseste Ahnung hatte, was er tun sollte. Er war panisch aus dem Büro gerannt, ja schon fast kopflos. Nur, weil er eine Nachricht von Phichit bekommen hatte. Das passierte nicht oft, daher schaute er ohne große Umschweife nach. Alle möglichen Szenarien waren dabei durch seinen Kopf gegangen. Doch in keinem einzigen waren diese Worte vorgekommen:
 

> Hi. So wie ich ihn kenne, hat er dir nichts gesagt. Daher von mir: Yūri hat morgen Geburtstag. Danken kannst du mir später <
 

Seitdem drehten seine Gedanken durch. Er hatte mit der Idee geliebäugelt, Phichit anzurufen und zu fragen, was er Yūri schenken konnte. Doch andererseits klang das sehr nach einem schlechten Partner. Das war zumindest sein Empfinden. Vielleicht wollte er sich auch nicht die Blöße geben, gerade nicht vor Phichit, aber es war noch zu früh, sich das einzugestehen. Über seinen eigenen Schatten zu springen konnte er noch machen, wenn er keinen guten Einfall hatte. Doch im Moment waren seine Optionen noch nicht ausgeschöpft. Kurz ging er in Gedanken durch, ob er noch jemanden fragen konnte, bei dem es sich nicht anfühlte, als würde er sich einen Zacken aus der Krone brechen. Wer kannte sowohl ihn als auch Yūri? Wer von ihnen wusste von ihrer Beziehung? Yurio? Auf keinen Fall! Beka? Unangenehm. Katya? Möglich, aber war sie hilfreich? Eher nicht. Makkachin? War keine große Hilfe. Doch der Gedanke ließ Victor kurz lächeln und half ihm, ein wenig zu entspannen. Alan? Gott bewahre! Chris? War eine Option. Doch was war seine übliche Idee? Teure Kleidung, Schmuck oder Reisen. Das würde mit dem Plan kollidieren, es simpel und klein zu halten. Yūri würde es ihm sicher übelnehmen, wenn er zu überschwänglich werden würde.
 


 

Yūri musste zugeben, dass er ein wenig überrascht war. Es war selten, dass Victor ihn unter der Woche zum Essen einlud. Und vor allem hatte er nie darauf bestanden, dann selbst zu kochen. Hier und da hatte er eine Kleinigkeit gekocht. Die Suppe und den riesigen Berg Piroschki, von dem er noch 3 Tage lang gegessen hatte, während er krank war, ausgenommen. Aber beides war super lecker gewesen und so fragte sich Yūri unwillkürlich, was Victor wohl plante. Er hatte angedeutet, dass der Abend nur für sie beide sei und Yurio unterwegs sein würde. Ein Teil in ihm war für diese Tatsache dankbar, denn wann immer Yurio etwas gemeinsam mit ihnen machte, war der Jüngere oftmals schlecht gelaunt oder einfach nur unhöflich. Andererseits tat ihm nicht nur leid, dass er so dachte, sondern er fühlte sich auch ein wenig, als würde er ihm sein Zuhause wegnehmen. Da konnte er sich allerdings nicht so sicher sein, erinnerte er sich selbst, immerhin könnte Yurio auch von sich aus unterwegs sein und Victor wollte einfach die Gelegenheit nutzen.
 

Erst war er sich unsicher gewesen, was der Grund für die spontane Einladung gewesen sein konnte, doch um Mitternacht hatte er eine Vermutung erhalten. In dem Augenblick, in dem er den Anruf seiner Eltern entgegengenommen hatte, die ihm fröhlich zum Geburtstag gratulierten. Sein erster Gedanke war, ob sie sich vielleicht vertan hatten, denn ihm war gar nicht bewusst gewesen, dass es bereits Ende November war. Allerdings wurde ihm schnell klar, wie irrsinnig der Gedanke war, dass seine Eltern sich im Datum vertan haben konnten. Kaum hatte er aufgelegt, hatte auch schon Phichit angerufen. Nach etwas hin und her hat er ihm dann gestanden, dass er Victor vielleicht einen ‚klitzekleinen Hinweis‘ darauf gegeben haben könnte. Das war Yūri tatsächlich ein wenig peinlich, immerhin hatte er ihm das nicht absichtlich verschwiegen. Doch diese Tatsache zeigte ihm wieder einmal, wie wenig Grundlegendes sie von einander wussten. Es kam Yūri manchmal so vor, dass sie mit Höchstgeschwindigkeit in diese Beziehung hineingeschlittert waren, sodass sie einfach das traditionelle Kennenlernen rechts liegen gelassen hatten und direkt auf die Überholspur gewechselt waren.
 

Doch Yūri fand nichts Schlimmes oder Störendes daran. Auch wenn rückblickend betrachtet für ihn einiges recht schnell ging, hatte er nie das Gefühl gehabt, dass Victor ihn mit irgendetwas überfordert hatte. Außer natürlich der Tatsache, dass sich Yūri immer noch nicht darüber im Klaren war, was jemand wie Victor tatsächlich an ihm finden konnte. Manchmal machte ihm das Angst, gerade wenn er mal wieder zu sehr in seinem Kopf und mit seinen Gedanken beschäftigt war. Er fragte sich, wie er Victors Aufmerksamkeit langfristig gewinnen oder halten konnte. Er fragte sich, ob er nicht irgendwann zu langweilig für ihn sein würde. Doch die meiste Zeit versuchte er es einfach zu genießen. Vielleicht würde irgendwann einmal der Zeitpunkt kommen, in dem er verstand, was Victor ausgerechnet an ihm mochte. Wer konnte das so genau sagen?
 

Die kalte Luft auf dem Weg zu Victors Wohnung tat ihm gut. Er hatte die Hände in seinen Jackentaschen vergraben und sein Atem hinterließ kleine Wolken in der frischen Abendluft. Im Licht der Laternen konnte er das dunkle Gerippe der Bäume erkennen, die bereits ihre Blätter von sich geworfen hatten. Das war immer ein Spaß bei den Spaziergängen mit Makkachin gewesen. Er hatte sich immer voller Freude in die Laubberge geworfen und die braunen Blätter dabei in alle Himmelsrichtungen verteilt. Nun war das Laub leider nass und bot nicht mehr so viel Spielspaß. Manchmal schob Makkachin einen kleinen Laubberg mit der Nase an, als wolle er das trostlose Blattwerk zum Spielen animieren. Yūri wusste dann nie, ob er lachen oder Makkachin bemitleiden sollte, doch Victor schien manchmal froh, dass er nicht die Blätterreste aus Makkachins Fell holen musste. Mit einem liebevollen Lächeln bog Yūri um die Ecke und konnte nun das Gebäude sehen, in dem Victor wohnte. Es erstaunte Yūri immer wieder, dass nur ein paar Blocks weiter von seiner Wohnung, in einem Bereich mit vielen alten, nicht mehr ganz so vorzeigbaren Häusern, plötzlich ein Bereich mit Wohnhäusern die so ausdrücklich nach Geld schrien sein konnte. Tatsächlich hatten hier wohl noch vor 15 Jahren sehr viele heruntergekommene Wohnhäuser gestanden, bevor Investoren Block für Block aufgekauft hatten und sich bei den Neubauten mehr auf Luxus spezialisiert hatten. So hatte es zumindest Victor vor einer Woche erzählt. Erst wurden wohl die Wohnungen vermietet, doch zu dem Zeitpunkt, als Victor in die Stadt gezogen war, hatte sich der Eigentümer das Konzept der Eigentumswohnungen überlegt. Scheinbar hatte er keine Lust mehr auf wechselnde Mieter, die die Wohnung jedes Mal im Chaos hinterlassen hatten.
 

Er klingelte und wartete geduldig, bis das Surren des Türöffners erklang. Doch schon im Hausflur verwirrte Yūri etwas. Aus Victors Wohnung hörte er hektisches Klappern und Schritte, die Tür war nur angelehnt. Außerdem konnte er mittlerweile auch unterscheiden, wenn Victor auf Russisch vor sich hinredete oder fluchte. Und das klang eindeutig nach fluchen. Vorsichtig öffnete er die Tür und wurde von beißenden, grauen Rauchschwaden begrüßt. Schnell schloss er die Tür hinter sich und lief dann zum Fenster, um es zu öffnen. „Alles in Ordnung, Vitya?“, fragte er hustend. „Ja… ja… Ich brauch nur… Moment“, kam es hustend hinter der Nebelwand zurück. Dann hörte er das Zischen einer Pfanne in Wasser und die Quelle des Nebels schien versiegt zu sein. Zurück blieb ein beißender Geruch, der Yūri die Tränen in die Augen trieb. Während er und Victor versuchten, den Rauch mit einer alten Zeitung aus dem Raum zu fächern, erkannte Yūri auf der Küchenzeile einen abmontierten Rauchmelder. Er musste grinsend mit dem Kopf schütteln. Es amüsierte ihn, mal wieder eine nicht ganz so perfekte Seite an Victor gesehen zu haben. Es machte ihn für Yūri aus irgendeinem Grund greifbarer, menschlicher.
 

„Was hast du da versucht?“, fragte er schlussendlich, als nicht mehr die Gefahr bestand, eine Rauchvergiftung zu bekommen. Victor begutachtete gerade ein wenig niedergeschlagen die Reste seines Machwerks. „Ich habe mich an Buta no shōgayaki versucht“, gestand er kleinlaut. Yūri zog daraufhin die Augenbrauen hoch und kam zu ihm, spähte zur Pfanne in der Spüle und denen im Wasser herumschwimmenden, verkohlten Fleisch- und Zwiebelbrocken. „Yaki ist dir durchausgelungen, das heißt in dem Kontext grillen“, zwinkerte er ihm zu. Victors einzige Antwort darauf war verächtliches Schnauben. Nun blickte sich Yūri ein wenig in der Küche um. „Du hast Rindfleisch genommen?“, fragte er dann. „Ja, die Frau im Asia-Markt meinte, das würde besser schmecken“, erklärte Victor. Es rührte Yūri sehr, wie viele Gedanken und Mühen Victor offenbar darin investiert hatte, etwas Japanisches zu kochen. Doch irgendwie konnte er nicht anders, als Victor noch ein wenig aufzuziehen. „Dann ist das aber Gyūniku no shōgayaki“, grinste er wieder. „Du bist heute ein richtig kleiner Klugscheißer“, schnaubte Victor, doch dann, als wäre ihm wieder etwas eingefallen, weiteten sich seine Augen.
 

Nur eine Sekunde später spürte Yūri, wie sich Victors Arme um ihn schlangen und er ihn an sich drückte. „Alles Liebe zum Geburtstag, Любимый“, flüsterte er ihm ins Ohr und entfernte sich wieder etwas von ihm, nur um den neu gewonnen Raum zwischen ihnen dafür zu nutzen, ihn zu küssen. Es war ein unaufgeregter und langsamer Kuss, doch er strahlte so viel Wärme und Liebe aus, dass Yūri beinahe die Tränen in die Augen stiegen. Er machte die verbrannten Zwiebeln dafür verantwortlich. Victors Worte und Gesten trugen nur dazu bei, dass die Zwiebeln ihre teuflische Wirkung voll entfalteten. Als sich Victor aufrichtete, schob er die Unterlippe ein wenig vor, als würde er schmollen. „Ich hatte alles so schön geplant“, seufzte er theatralisch. „Dann hättest du das Essen nicht anbrennen lassen sollen“, lachte Yūri und musste nur noch mehr grinsen, als Victor die Unterlippe noch weiter vorschob. Als er sich dann aber einfach umdrehte und zu gehen schien, ging ihm Yūri einen Schritt hinterher, streckte die Hand nach ihm aus und wollte sich schon entschuldigen, als sich Victor wieder umdrehte. Dieses Mal hatte er etwas in der Hand, was verblüffende Ähnlichkeiten mit Makkachin hatte. „Ich befürchte, dass das Stofftier jetzt auch ein wenig nach meinem gescheiterten Kochversuch riecht, aber mit etwas lüften geht das bestimmt raus“, lachte Victor leise.
 

Mini-Makkachin hatte auch noch einen Umschlag um den Hals, den Yūri misstrauisch begutachtete, als Victor ihm das Stofftier in die Hand drückte. Behutsam öffnete er den Umschlag und machte große Augen. „Das kann ich nicht annehmen“, sagte er dann. „Ich habe befürchtet, dass du das sagst. Aber du hast selbst gesagt, ich müsse mal abschalten und ein bisschen ausspannen. Sieh es einfach so, dass du darauf aufpasst, dass ich mich auch wirklich entspanne“, zwinkerte Victor und Yūri beschlich das Gefühl, dass Victor von Anfang an gewusst hatte, dass er protestieren würde. „Aber ein Wellness-Wochenende ist zu viel. Und Petoskey ist 4 Stunden von hier entfernt… Und überhaupt-“, doch bevor er noch weiter ausführen konnte, hatte Victor einen Finger auf Yūris Lippen gelegt. „Nimm es einfach an, ja? Ich freue mich schon seid ich die Idee hatte, auf diese 3 Tage mit dir, Любимый“, er sprach leise und doch eindringlich. Wieder pochte Yūris Herz wild in seiner Brust. Wie konnte er da ablehnen? „Und Makkachin?“, war der einzige schwache Protest, der ihm noch einfiel. Victor strahlte plötzlich über beide Ohren. „Darf mit. Also nicht in den Wellness-Bereich, aber um die Ecke ist ein prima Hundesalon, habe ich mir sagen lassen“, verkündete er fröhlich. Yūri lachte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Wie kann ich da noch ablehnen?“, sprach er seinen Gedanken aus.
 

Auch wenn Yūri es nicht für möglich gehalten hatte, wurde Victors Grinsen noch eine Spur breiter. Yūri sah, wie er sich langsam wieder zu ihm hinunter beugte. Mit dem Stoff-Makkachin fest im Arm streckte er sich Victor entgegen, doch das plötzliche Ertönen einer Melodie ließ ihn zusammenfahren. Victor stieß laut und entnervt die Luft aus. „Ignorier das“, sagte er dann und beugte sich wieder zu Yūri hinunter. Doch Yūri war irritiert. „Jemand ruft dich an?“, bemerkte er unnötigerweise, doch er wollte nicht, dass er irgendeinen wichtigen Anruf wegen ihm verpasste. „Nicht wichtig“, schnaubte Victor. „Wer ist es?“, wollte Yūri dennoch wissen. „Alan“, seufzte Victor und richtete sich nun wieder auf, da er merkte, dass der Zauber des Moments verflogen war. Er fuhr sich durch die Haare und Yūri hatte das Gefühl, seine Geste war ein wenig genervt. „Du hast für Alan den Imperial March von Star Wars als Klingelton?“, fragte Yūri ungläubig. „Er ist das personifizierte Böse. Würde er laut atmen, wäre er quasi Darth Vader“, zuckte Victor mit den Schultern. Yūri musste lachen. „Nur, dass er nicht dein Vater ist“, grinste er. „Gott bewahre, nein“, Victor machte bei dem Gedanken große Augen. Yūri musste gestehen, dass der Anblick Gold wert war. „Du solltest ran gehen“, beharrte Yūri. Victor rollte leicht mit den Augen, griff aber dennoch nach seinem Handy.

Wenn etwas schief geht...

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Jeden Cent wert

Es waren wirklich ereignisreiche 24 Stunden gewesen. Erst hatte er Yūri glaubhaft machen müssen, dass dieser Zettel schon länger dort klebte und ihm nur wieder eingefallen war, dass er noch etwas zu erledigen hatte. Danach waren sie ein wenig länger als nötig unter der Dusche gewesen und hatten gemeinsam das warme Nass genossen. Bedauerlicherweise hatte sich dann Yūri verabschiedet, denn Victor hatte wirklich gehofft, dass er bei ihm übernachten würde. Doch er fand es dennoch niedlich, wie er mit dem Plüsch-Makkachin unter seinem Arm durch die Dunkelheit stapfte. Immerhin hatte es sich Victor nicht nehmen lassen, ihn mit Makkachin noch zu begleiten. So konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Danach hatte er ein wenig unschlüssig vor der Wohnungstür der Tursunbajs gestanden und überlegt, ob er Yurio abholen sollte. Schlussendlich hatte er sich dagegen entschieden, da es schon recht spät war.
 

Dafür hatte er sich entschlossen, sich am Morgen ordentlich ins Zeug zu legen. Sein Wecker klingelte, nach viel zu wenig Schlaf, bereits um 6:00 Uhr. Danach zog er sich schnell an und ging mit Makkachin zum Bäcker. Mittlerweile wusste er ziemlich genau, was Yurio mochte und was nicht. Doch Victor wäre nicht Victor gewesen, wenn er sich hätte entscheiden können und gleichzeitig nicht übertreiben würde. So kam es, dass er vermutlich neben Yurio auch noch Aida, Katya und Otabek satt bekommen hätte. Doch andererseits konnte man ein paar der Backwaren sicherlich auch gut einfrieren oder am nächsten Tag essen. Victor war da doch recht zuversichtlich. Als Victor dann zurück und Yurio immer noch nicht zu Hause war, beschäftigte er sich erst damit, alles für ein gemütliches Frühstück vorzubereiten. Danach begann er ein wenig aufzuräumen. Schlussendlich bezog er die Betten neu und tauschte die Handtücher im Badezimmer. Als er danach immer noch nichts von Yurio hörte, schrieb er ihm eine Nachricht:
 

» Ich weiß, du bist sauer und das auch zurecht. Es tut mir leid. Kommst du zum Essen rüber? «
 

Eigentlich bestand das Schreiben der Nachricht mehr daraus, immer wieder das Getippte zu löschen und erneut zu schreiben. Er hätte es ihm lieber direkt so gesagt, als durch eine Nachricht. Doch bevor er noch weiter darüber nachgrübeln konnte, vibrierte schon sein Handy.
 

» Als könnte ich dir danach noch in die Augen schauen, Perversling! «
 

Autsch. Ok, das tat weh. Aber vermutlich hatte er es verdient. Er seufzte und kniff sich in den Nasenansatz zwischen den Augen. Ihm fiel aber keine bessere Antwort ein als:
 

» Ich habe Frühstück von deinem Lieblingsbäcker geholt… «
 

Er war selbst überrascht, als er kurze Zeit später das Türschloss hörte. Yurio schaute grimmig wie immer drein, doch nicht feindselig. Das erleichterte Victor ein wenig, denn die Ablehnung seines jüngeren Bruders hätte ihn wirklich tief getroffen. Auch wenn er sich darüber nicht hätte beschweren können. Doch auch wenn sie nicht viel miteinander redeten, hatten sie ihr gemeinsames Frühstück genossen. So sehr, dass sich Victor am Ende sogar dazu verleitet hatte lassen, anzubieten, dass sie jetzt mindestens einmal die Woche gemütlich miteinander frühstücken sollten. Victor war sich ziemlich sicher, ein kurzes Leuchten in den Augen seines Bruders gesehen zu haben. Doch seine kurze Euphorie wurde durch ein „Mach doch, was du willst, alter Knacker“ gedämpft. Hatte er am Ende vielleicht doch etwas falsch verstanden?
 


 

Das zweite Ereignis war, als ein ziemlich aufgeregter Yūri, gerade nach dem Telefonat mit dem achten Restaurant, angerufen hatte. Erst hatte Victor dem aufgeregten Gebrabbel von Yūri nicht folgen können, doch nachdem er ihn ein wenig beruhigen konnte, klärte sich das Problem auf: Yūri wusste nicht, was er anziehen sollte.
 

„Du musst dich nicht sonderlich schick anziehen. Wir gehen ins Grey Ghost, also kein abgehobenes Restaurant“, hatte es Victor versucht.
 

„Das Grey Ghost? Das Szene-Restaurant? Das, was kurz nach der Eröffnung mit Auszeichnungen überhäuft wurde und wo es angeblich die besten Chicken Wings Amerikas geben soll?“, fasste Yūri zusammen und klang dabei keineswegs beruhigt.
 

„Ähmm… Ja?“, Victor hatte versucht es lässig klingen zu lassen, wusste aber selbst, dass er kläglich gescheitert war.
 

„Könnte ich mir vielleicht etwas von dir leihen?“, fragte Yūri hoffnungsvoll, doch Victor zog die Augenbrauen zusammen. Das würde doch niemals funktionieren.
 

„Yūri… ich befürchte, dass dir meine Sachen nicht passen werden. Zumindest nicht die Anzüge. Aber du kannst gerne mal schauen“, bot Victor an, weil er nicht kleinkariert klingen wollte. Nicht, dass Yūri dachte, seine Anzüge wären ihm wichtiger als er.
 

Das führte dazu, dass Yūri kurze Zeit später in seinem Ankleidezimmer stand und sich unschlüssig vor dem Spiegel drehte. Victor hatte sein Kinn in die Handfläche gestützt und beobachtete ihn mit hochgezogenen Augen.
 

„Ich hatte befürchtet, dass es schlimmer wäre, allerdings sah die Jeans und der Pullover besser an dir aus“, sprach Victor seine Gedanken nach kurzer Zeit aus und erntete ein Stirnrunzeln von Yūri.
 

„Die Jeans ist alt und der Pullover ist ein bisschen zu eng“, seufzte Yūri und blickte auf die beiden Kleidungsstücke, die er mitgebracht hatte.
 

„Der Pullover ist kein bisschen zu eng. Er umschmeichelt genau die Stellen, die ein gutsitzender Pullover umschmeicheln sollte“, flüsterte Victor ihm ins Ohr, nachdem er seine Arme von hinten um seine Taille geschlungen hatte. Doch da Yūri immer noch nicht überzeugt aussah, seufzte Victor schlussendlich und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Zieh dich um, wir fahren einkaufen.“
 

„Was? Aber dafür habe ich momentan kein Geld“, Yūri sah ihn schon fast verzweifelt an. Wie konnte Yūri wahlweise niedlich oder wie die personifizierte Erotik aussehen? Irgendwann würde das Victor noch ins Grab bringen, da war er sich mittlerweile sicher.
 

„Mein Autor ist an dieser Misere schuld, also zahle ich“, zwinkerte Victor ihm zu. „Und jetzt husch! Raus aus den Klamotten! Oder willst du so einkaufen fahren?“, fragte Victor und zog dabei die Augenbraue hoch. Er hoffte wirklich, dass Yūri sein Hemd und die Anzugshose bald ausziehen würde, denn eines hat diese Anprobe ihm wieder einmal gezeigt: Er hatte wirklich etwas dafür übrig, wenn Yūri seine Kleidung trug. Wäre es seltsam oder vielleicht sogar gruselig, wenn er ab jetzt immer von Yūri verlangen würde, seine Sachen anzuziehen, wenn er bei ihm war? Wahrscheinlich schon. Und wenn nicht für Yūri, dann sicherlich für Yurio. Er hatte gerade Frieden mit seinem Bruder geschlossen, da brauchte er nicht wieder einen solche Fauxpas. Doch Yūri blickte ihn immer noch mit großen Augen an. „Wirklich, mach dir da nicht so viele Gedanken. Lass mich dich einfach ein bisschen verwöhnen“, versuchte es Victor noch einmal zwinkernd.
 

„Ich werde mich revanchieren oder dir das Geld zurückgeben“, nickte Yūri leicht, meinte es offensichtlich damit völlig ernst.
 

„Revanchieren höre ich gerne, Любимый“, lachte Victor leise und zog Yūri noch einmal enger an sich. „Ich bin auf alle deine Vorschläge gespannt“, flüsterte er ihm ins Ohr. Er spürte, wie Yūri in seinem Griff ein wenig erschauderte.
 

„So habe ich das jetzt nicht gemeint, Vitya!“, echauffierte sich Yūri etwas, löste sich von ihm und schlug ihm leicht mit der flachen Hand auf die Brust. Dann wurde er aber ernst: „Nein, das kann ich nicht annehmen“, sagte er dann.
 

„Schau, wir haben nicht mehr so viel Zeit. Wir fahren jetzt einfach in einen Laden, sehen zu, dass du was zum Anziehen bekommst und über den Rest machen wir uns später Gedanken. Denn wenn wir darüber die Reservierung verpassen, macht uns Alan beide die Hölle heiß“, grinste er und zwinkerte ihn an. Jetzt nickte Yūri endlich und machte Anstalten, sich umzuziehen.
 

„Möchtest du noch einen Kaffee?“, fragte Victor über die Schulter auf der Suche nach einer guten Ausrede, den Raum zu verlassen. Still lobte er sich dafür, so viel Disziplin aufgebracht zu haben, dass er nicht an Ort und Stelle über Yūri hergefallen war.
 


 

Nachdem Victor seinen Kaffee runtergestürzt hatte, um auf andere Gedanken zu kommen, parkten sie kurze Zeit später vor Victors Herrenausstatter. „Hier? Vitya, das ist hier sicher viel zu teuer. Können wir nicht zu Citi Trends oder so fahren?“, fragte Yūri.
 

„Любимый“, seufzte Victor ein wenig theatralisch und deutete auf Yūris Jeans und Pullover. „Das ist dir nicht gut genug, aber einen Anzug bei Citi Trends kaufen?“ Er zog noch eine Augenbraue hoch, um seine Worte zu betonen. Da Yūri aber immer noch nicht sehr überzeugt aussah, schob Victor hinterher: „So teuer ist der Laden auch gar nicht. Sie haben auch sehr viele Sachen von der Stange.“
 

Noch ein wenig widerwillig folgte Yūri Victor in den Laden. Kaum hatten sie den Laden betreten, hörte er schon eine altbekannte Stimme: „Vitya! Schön, dass du wieder mal da bist! Was kann ich für dich tun?“, der Ladenbesitzer stand von seinem Stuhl am Tresen auf, an dem er offensichtlich irgendwelche Bestellungen erledigt hatte.
 

„Josef!“, begrüßte Victor ihn ebenso fröhlich. „Darf ich dir meinen Partner Yūri vorstellen? Yūri? Das ist Josef Karpisek, der Besitzer dieses wunderbaren Ladens.“ Er wusste noch ganz genau, wie ihn Chris damals in diesen Laden geschleppt und darauf bestanden hatte, dass jemand mit seiner Zukunft und mit seinem Aussehen immer einen maßgeschneiderten Anzug tragen sollte. Erst war er skeptisch gewesen, doch nachdem er die erste Anfertigung an sich gesehen hatte, war bei ihm ein richtiger Anzugs-Tick ausgebrochen.
 

„Josef, wir brauchen einen Anzug für Yūri. Allerdings bereits für heute Abend. Zur Not reicht auch erst einmal Hemd und Hose“, erklärte Victor ihr Problem.
 

Josef nickte erst nachdenklich und seufzte dann. „Weißt du, Victor: Wärst du es nicht, würde ich euch wieder rauswerfen. So ein Anzug braucht seine Zeit. Ich habe zwar mittlerweile noch Cao hier, aber ich kann auch nicht zaubern. Aber gut… Ich denke, wir werden etwas finden“, schloss er dann endlich und Victor musste breit grinsen.
 

„Wo ist eigentlich Cao?“, fragte er dann. „Hat heute früher Schluss gemacht. Hat noch irgendwas mit seiner Familie vor“, erklärte er und ging weiter in den Laden rein, winkte ihnen dabei, ihm zu folgen.
 

„Echt jetzt? Wie lange arbeitet er schon hier? Ein Jahr? Ich habe ihn noch nie gesehen!“, maulte Victor ein wenig, denn er war neugierig, wie dieser ominöse Cao Bin wohl war, der seit einem Jahr in diesem Laden arbeitete und von seinem Chef oftmals in den höchsten Tönen gelobt wurde.
 

„Das kommt davon, dass du nie angemeldet kommst! Ich würde ihn dir ja auch gerne vorstellen, immerhin wird er mich irgendwann einmal beerben“, erklärte Josef über die Schulter, während er durch ein paar Hosen schaute, die feinsäuberlich aufgehangen waren.
 

„Beerben? Niemand kann so tolle Anzüge machen wie du!“, rief Victor entsetzt auf und erntete von dem Schneider nur ein Kopfschütteln und Lachen. Dann zog er eine schwarze und eine dunkelblaue Hose heraus und streckte sie Yūri entgegen. Sobald er die Kleiderbügel entgegengenommen hatte, drehte sich Josef um und ging in Richtung Jacketts. Hier hatte er offensichtlich bereit etwas im Kopf, denn er holte zwei Jacken heraus: Eine in einem dunklen Violett und die andere in einem Royalblau. Diesmal machte Victor den Schritt nach vorne, um die Bügel entgegen zu nehmen. Er hatte sofort eine Ahnung, was Josef wie kombinieren wollte und er war begeistert. Doch mit einem Mal war er sich nicht sicher, was schlimmer für ihn sein würde: Yūri den ganzen Abend in seinen Klamotten zu sehen oder in einem dieser Outfits? Unmöglich sich da zu entscheiden.
 

Josef kam mit einem schwarzen Hemd und einem in einem dunklen Magenta wieder. Dann sortierte er: Schwarze Hose – Royalblaues Jackett – schwarzes Hemd und Dunkelblaue Hose – dunkel violettes Jackett – dunkel magentafarbenes Hemd. Wahnsinn. Victor klopfte sich in Gedanken selbst auf die Schulter, dass er Yūri mit dorthin genommen hatte. Doch Yūri sah noch nicht ganz so überzeugt aus.
 

„Probiere es doch einfach mal an“, schlug Victor vor und deutete auf die Umkleidekabine, die auf einem halbrunden Podest in einer Ecke des Ladens stand. Noch ein wenig unschlüssig nahm Yūri die Kleidungsstücke in die Hand und ging los. Victor nutzte die Zeit und wandte sich an Josef: „Was auch immer er wählt, mach auch das andere fertig. Ich bin sicher, du hast die Maße schon im Kopf.“
 

Josef grinste. Immerhin war er ein alter Hase im Geschäft. „Ich schicke dir dann die Rechnung“, nickte er und machte sich dann auf dem Weg zur Umkleidekabine. Doch in der Mitte blieb er noch einmal stehen. „Der Blaue würde übrigens super zu deinem ‚Pinken‘ passen“, er machte bei ‚Pinken‘ mit den Händen Anführungszeichen, da er sich offensichtlich noch genauso gut wie Victor an diesen Tag erinnern konnte. Victor wollte auf keinen Fall den ‚Pinken‘ tragen, doch Josef und Chris hatten ihn so lange bequatscht, bis er ihn zumindest anprobiert hatte. Der Rest war Geschichte und der ‚Pinke‘ hing nun in seinem Kleiderschrank. Wobei das ja auch nicht wirklich Pink war. Er hatte nur übertrieben. Wie so oft. Nicht übertrieben hatte er aber mit seiner Reaktion, als Yūri zum ersten Mal den Vorhang aufschob. Dieser Kerl würde irgendwann wirklich sein Tod sein. Wie konnte er so unverschämt gut aussehen? Und eine weitere Vorliebe bezüglich Yūri wurde ihm heute schmerzhaft bewusst: Er hatte nicht nur etwas dafür übrig, ihn in seiner Kleidung zu sehen, sondern auch, ihn in Anzügen zu sehen. Grundgütiger, ein solcher Anblick sollte verboten werden. Brauchte er dafür schon einen Waffenschein?
 


 

Sie hatten nicht mehr viel Zeit gehabt, um sich fertig zu machen. Doch Victor hatte sich wie ein kleines Kind gefreut den ‚Pinken‘ wieder aus dem Kleiderschrank zu nehmen. Yūri hatte sich für die blaue Variante entschieden und Josef hatte vollkommen recht, sie passten zusammen. Beide Anzüge waren von der gleichen Machart. Victor grinste breit, als er sie beide im Spiegel sah. Sie sahen richtig wie ein Paar aus, stellte er mit schneller schlagendem Herz fest.
 

„Du musst mir noch sagen, was du für den Anzug bekommst. Ich habe geschaut, aber nirgendwo war ein Preisschild angebracht“, bemerkte Yūri. Victor konnte nicht anders, als noch ein wenig breiter zu grinsen.
 

„Natürlich nicht, Любимый. Meinst du, in so einem Laden werden Preisschilder verwendet?“, fragte Victor und schaute Yūri in die Augen.
 

„Hast du mich etwa extra in diesen Laden gebracht, damit ich nicht weiß, was es kostet?“, fragte Yūri mit großen Augen und klang dabei etwas fassungslos.
 

Victor kämpfte dagegen ein, noch breiter zu grinsen, sagte dann jedoch: „Ich dachte, du wolltest dich anderweitig erkenntlich zeigen?“, er zog dabei vielsagend die Augenbrauen hoch, bekam jedoch nur ein Schnauben von Yūri. „Ich wusste einfach, dass Josef etwas für dich findet. Ich wollte einfach nicht durch die Stadt rennen und auf den letzten Drücker etwas suchen und am Ende nicht zufrieden damit sein. Von diesem Anzug hast du noch länger etwas und du kannst ihn später wieder zu Josef bringen und er passt ihn dann noch richtig an. Was besseres hätte uns heute nicht passieren können“, Victor zuckte entschuldigend mit den Schultern. Doch da Yūri immer noch nicht vollends überzeugt war, drehte er ihn wieder zum Spiegel und deutete auf ihre Reflektionen. „Und schau uns doch mal an! Das ist mal Partnerlook mit Stil, Niveau und Charakter! Wir sehen verdammt gut aus!“ Dann tat er so, als leckte er sich einen Finger ab, hielt ihn an Yūris Schulter und machte ein Zischgeräusch. Hätte ihn dieser Anblick alleine nicht schon genug entschädigt, wäre alleine Yūris Augenrollen jeden Cent wert gewesen.

Unschuldslamm

Yūris Herz schlug ihm bis zum Hals, während er Höflichkeiten mit Alan Aaronovitch im Auto seines Partners austauschte. Mit Alan Aaronovitch. Weltbekannter Erfolgsautor vom renommierten Verlag Feltsman Publishing. Ein Verlag, der über die Ländergrenzen hinaus bekannt war. Ein Verlag, bei dem sein Partner nicht nur arbeitete, sondern ihn eventuell irgendwann einmal in der Zukunft erben würde. Und wieder einmal fühlte er sich, als wäre er fehl am Platz. Nicht nur war Victor erfolgreich und in seinem Gebiet mehr als nur talentiert, noch dazu sah er unverschämt gut aus. Der Anzug umschmeichelte genau die richtigen Stellen und die Farben standen ihm ausgezeichnet. Er selbst hätte sich vermutlich kategorisch geweigert, einen solchen Anzug auch nur anzuprobieren. Doch Victor trug ihn mit einem Selbstbewusstsein, das Yūri nicht in 100 Jahren hätte aufbringen können.
 

Ein wenig beneidete er Victor darum, dass er so selbstbewusst war. Sogar Alans Frage ihren ‘Partnerlook’ betreffend, ob sie nun beim Paarlauf wären, hatte er einfach mit einem knappen Kommentar zur Seite geschoben. Diese Art von Selbstbewusstsein war eine Gabe, die so ziemlich an ihm vorbeigegangen war, ohne auch nur ein wenig auf ihn abzufärben. Er konnte nur so tun, als wäre er selbstbewusst und das auch nur, wenn er betrunken war oder sein Gegenüber nicht sah. Wie beim Telefonsex. Und genau dieser Gedanke entfernte ihn gedanklich noch weiter von den beiden anderen Insassen des Autos. Was machte er eigentlich hier? Er war ein Niemand. Ein Student für IT, der einen Vertrag bei einer Firma hatte, die ihn nach geleisteten Stunden bezahlte. Ein ehemaliger Mitarbeiter einer Telefonsex-Hotline. Er spürte, wie sein Gesicht vor Scham brannte und war froh darüber, dass es bereits dunkel wurde, sodass das spärliche Licht im Auto seinen Zustand nicht preisgab.
 

Das Restaurant ‚Grey Ghost‘ war nicht weit entfernt. Yūri war froh darüber, denn so hatte er nicht viel Zeit, weiter seine Gedanken darum drehen zu lassen, wie sehr er nicht dorthin gehörte. Als Victor sein Auto auf dem Parkplatz anhielt, sprang Alan fast schon aus dem Auto. Als Yūri sich abschnallte und aussteigen wollte, spürte er Victors Hand auf seinem Oberschenkel. Schnell schaute er zu ihm, ein kleines Lächeln lag auf seinen Lippen. „Ich bin froh, dass du da bist, Любимый“, sagte er nur und stieg dann aus, ließ Yūri ein wenig unschlüssig zurück, was er gemeint hatte. Doch was auch immer er gemeint hatte, es half Yūri, seine Gedanken ein wenig zu beruhigen. Vitya ist froh, dass ich da bin, sagte er sich in Gedanken, während er selbst ausstieg und sich zu den beiden Männern gesellte, bevor sie das Restaurant betraten.
 

Das Restaurant war modern bis minimalistisch ausgestattet. Yūri hatte sich eigentlich vorgestellt, von dem was er über Gerichte und Preise gehört hatte, eher eine gedämpfte Atmosphäre in gehobener Einrichtung vorzufinden. Jedoch gab es eine lange Bar mit Barhockern, gegenüberliegenden Tischen für zwei Personen, ebenfalls mit Barhockern und dann einen dahinterliegenden Bereich mit richtigen Tischen. Wobei die eine Seite aus einer langen Bank bestand, die an der halbhohen Wand, die als Raumtrenner zum Barbereich diente, befestigt war. Nur an der Fensterfront waren freistehende Tische mit Stühlen. Die ganze Atmosphäre hatte etwas leicht Rustikales und gehörte für Yūri jetzt nicht unbedingt zur Kategorie ‚gemütlich irgendwo essen zu gehen‘. Tatsächlich war er davon ein wenig enttäuscht, denn die Stimmen der Gäste hallte im großen, offenen Bereich wider und wurden von den hohen Decken nur geringfügig geschluckt.
 

Andererseits nahm das vielleicht auch ein wenig den Fokus von ihm selbst. Diese Vorstellung beruhigte ihn tatsächlich etwas. Immerhin wollte er nicht, dass er vor Allen und vor allem vor Victor langweilig und dämlich wirkte. Er wusste, dass er nicht dumm war, doch genauso sehr war er sich sicher, dass Alan und Victor wesentlich klüger waren. Und das, ohne sich selbst unter Wert verkaufen zu wollen, da hatte er keine Zweifel. Daher konnte er nun etwas entspannter dem Kellner zu ihrem Tisch folgen. Der Tisch stand in einer Art Nische und war eigentlich für mehr Personen gedacht, allerdings nur für 3 Personen gedeckt. Victor bedeutete ihm, auf der Bank ein wenig durchzurutschen und setzte sich dann direkt neben ihm. Alan hatte so keine Wahl, als sich ihnen gegenüber zu setzen. Noch als sich Yūri fragte, ob Victors Geste hektisch wirkte, als wolle er unbedingt vermeiden, dass Alan sich neben ihn setzte, kam der Kellner auch schon mit der Speise- und Getränkekarte wieder.
 

„Womit sollen wir heute anstoßen, Yūri?“, fragte Alan neugierig und blickte ihn über die Karte hinweg an. „Ähm… Ich muss morgen früh arbeiten, daher sollte ich heute Abend gar nichts trinken“, stammelte Yūri ein wenig. Es war nicht gelogen, denn er hatte sich fest vorgenommen, den Samstag für ein paar Aufträge zu nutzen. „Ach, ein Gläschen oder zwei werden da sicherlich nicht schaden“, winkte Alan ab. Yūri kämpfte ein wenig mit sich. War es unhöflich, dennoch darauf zu bestehen, keinen Alkohol zu trinken? Andererseits konnte man ihn wohl kaum dazu zwingen, richtig? „Nein, ich bleibe heute lieber bei einem alkoholfreien Cocktail oder so“, erklärte er und überflog die Auswahl. Schlussendlich entschied er sich für einen alkoholfreien Pina Colada, da der Rest ihm zu abenteuerlich wirkte. Alan hatte natürlich keine solchen Bedenken: „Ich nehme eine Flasche Tommaso Bussola Amarone Della Valpolicella“, sagte er, als würde er gerade ein Glas Cola bestellen, statt eine ganze Flasche Rotwein. Die knapp 250 Dollar kostete. Mit einem Mal wurden Yūris Augen groß. Wurde von ihm erwartet, dass er zahlte?
 

Scheinbar hatte Victor seine Reaktion richtig deuten können, denn er legte beruhigend eine Hand auf seinen Oberschenkel und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich deklariere es als Geschäftsessen.“ Beruhigt atmete Yūri durch und lauschte, wie Alan Vorspeise und Hauptgang bestellte und bereits ankündigte, dass es definitiv noch ein Nachtisch geben würde. Beiläufig bestellte er dann noch zwei Portionen Austern, die sie sich zu dritt als Zwischengang teilen würden. Yūri saß da und starrte auf die Karte und fragte sich, ob er überhaupt noch etwas bestellen sollte. Auf der Karte standen zwar verschiedene Gerichte in verschiedenen Preisklassen, aber wie Victor schon beim letzten Restaurantbesuch angedeutet hatte, wählte Alan zielsicher immer das Teuerste aus. Die Frage war nur, ob er es absichtlich tat oder einfach einen teuren Geschmack hatte. Victors Hand hatte seinen Oberschenkel nicht verlassen und er spürte, wie Victor seinen Oberschenkel aufmuntern drückte. Er blickte auf und sah Victor lächeln. „Nimm einfach, was dich anspricht. Wir gehen ja nicht jeden Tag gut essen“, zwinkerte er dann und Yūri nickte. Er räusperte sich und bestellte dann in Miso marinierten Kohl mit Erdnüssen, Schweineschwarte und knusprigen Shrimps zur Vorspeise. Das hatte ihn von Anfang an angelacht. Vielleicht wegen dem Miso, das ihn so an seine Heimat erinnerte.
 

Als Hauptspeise entschied er sich für die hochgepriesen Chicken Wings. Immerhin hatte er davon schon viel gehört und mit Sicherheit würde Phichit ihn direkt danach fragen und maulen, wenn er ihm sagen würde, dass er sie nicht probiert hatte. Er war beruhigt, dass Victor ähnlich bodenständig bei seiner Auswahl blieb, wobei er angestrengt nachdenken musste, ob er jemals in seinem Leben Wachtel probiert hatte. Er konnte sich nicht erinnern. „Wie schmeckt Wachtel?“, fragte er Victor. Der legte den Kopf schief und legte seinen Finger an die Lippen. „Hmm… Hast du schon mal Rebhuhn gegessen?“, fragte er, doch Yūri musste mit dem Kopf schütteln. Fast konnte man sehen, wie die Zahnräder über Victors Kopf arbeiteten. „Es ist etwas würziger als Huhn, würde ich sagen… Aber ich kann so etwas schwer beschreiben. Du kannst gleich einfach mal probieren“, schlug er dann vor und sein Gesicht hellte sich sofort auf. Fast konnte man meinen, dass er sich wie ein kleines Kind freute, dass er sein Essen mit Yūri teilen konnte. Ein bisschen niedlich fand das Yūri schon.
 

„Jetzt, wo das geklärt ist, kann ich Yūri ja sein Geschenk geben“, fiel Alan dazwischen. Für einen kurzen Moment hatte Yūri tatsächlich vergessen, dass Alan so etwas angekündigt hatte. „Vielen Dank, Alan. Aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen“, sagte Yūri verlegen, als er eine Geschenktüte entgegennahm, die überraschend schwer war. Er schaute hinein und erkannte ein Buch sofort. Er zog den ersten Band der Loch-Leven-Saga heraus. „Das ist einer der ersten 5 Drucke. Ich habe mir damals die ersten 10 gedruckten Bücher geben lassen und an Unterstützer und besondere Freunde verteilt, hatte aber noch eins für eine passende Gelegenheit aufgehoben“, lachte Alan. Yūri war sprachlos. „Hattest du nicht gesagt, dass du das Buch nicht irgendwann einmal für eine Millionen Dollar verhökern möchtest?“, lachte Victor. „Abgesehen davon, dass es sicherlich niemals so viel wert sein wird, mache ich lieber Yūri eine Freude damit“, hörte er Alan sagen. Doch Yūri war hin und weg. Er schielte wieder in die Tüte und zog ein weiteres Buch heraus. „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“, las er laut vor. „Meine Frau hat es mir letztens gekauft und ich dachte mir, es könnte auch etwas für dich sein. Daher habe ich es dir auch noch einmal besorgt“, erklärte Alan.
 

Victor schaute ihm über die Schulter und las vor: „Becky Chambers hat mit ›Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten‹ eine zutiefst optimistische Space Opera geschrieben, die uns den Glauben an die Science Fiction (im Besonderen) und an die Menschheit (im Allgemeinen) zurückgibt.“ Dann lachte er. „Ich sehe schon, was deine Frau versucht hat, Alan. Du und der Glaube an die Menschheit“, grinste Victor. Doch Yūri musste zugeben, dass sich die Buchbeschreibung interessant las. „Du bist ja nur neidisch, dass du nichts geschenkt bekommen hast“, konterte Alan und Yūri konnte die Erheiterung in seiner Stimme hören. „Aber keine Sorge, mein Lieblingsredakteur. Natürlich habe ich auch ein besonderes Geschenk für dich, um dir die Vorweihnachtszeit zu versüßen“, grinste er breit und griff nach einer recht großen, schwarzen Papiertüte, die neben ihm auf dem Boden stand.
 


 

Victor hatte schon bei dem Anruf am Vortag gewusst, dass Alan wieder irgendetwas ausgeheckt hatte. Doch er war dem Irrtum unterlegen gewesen, er wollte einfach nur auf Kosten anderer sich ordentlich den Bauch vollschlagen. Immerhin war das nicht wirklich unüblich. Doch genau in diesem Moment, mit diesem Grinsen auf Alans Gesicht und der Bezeichnung ‚Lieblingsredakteur‘ wusste Victor, dass Alans teuflischer Masterplan noch nicht vorbei war. Und dass er geradewegs in die Falle getappt war. Er hatte die Deckung vernachlässigt, hatte sich in Sicherheit gewogen, als er Yūri doch sehr nette Geschenke gemacht hatte. Das Bestellen von überteuerten Speisen und Getränken war er ja schon gewohnt. Er hatte sich ja noch nicht einmal mehr die Mühe gemacht, Alan darauf hinzuweisen, dass eine Flasche Rotwein für ihn alleine vielleicht ein wenig zu viel war. Wobei es auch nicht die erste Flasche wäre, die er einfach mitnahm. Alan war da wirklich schmerzbefreit. Wo andere Menschen vielleicht Hemmungen hatten, eine Etikette zu brechen oder blöd dazustehen, war Alan völlig schmerzbefreit.
 

Und jetzt saß er da und beobachtete, wie er eine große, schwarze Papiertüte hochhob und sie ihm mit einem unheilverkünden über den Tisch reichte. „Danke Alan… Ich gucke mir das zu Hause dann in Ruhe an“, versuchte er möglichst unbekümmert zu antworten. Er war zufrieden mit sich selbst, denn es klang überzeugender, als er selbst gedacht hätte. „Och, sei doch nicht so. Guck doch jetzt rein. Ich möchte wissen, ob es dir gefällt. Ich habe mir sehr viel Mühe beim Aussuchen gegeben, denn ich will ja, dass mein Lieblingsredakteur bei Laune bleibt“, schmollte Alan. Spätestens bei dieser Reaktion wusste Victor, dass da nichts Gutes auf ihn wartete. Doch er war sich nicht sicher, ob Alan in die Vollen ging, obwohl Yūri da war oder ob er die Nummer wirklich durchzog. Trotz allem wollte Victor nicht in Gefahr laufen, sich im Restaurant zu blamieren. Vor allem nicht vor Yūri. Er wollte gerade ansetzen und höflich ablehnen, als er Yūris Hand an seiner Seite spürte. „Na komm schon, Vitya. Schau einfach mal rein“, forderte er ihn auf. Er vernahm schon das spottende ‚Genau, Vitya!‘ von Alan, daher schaute er ihn einfach nur durchdringend an. Die Nachricht schien angekommen zu sein, doch das Grinsen auf seinen Lippen wurde nicht kleiner. Kein gutes Zeichen.
 

Er wappnete sich und zog den Karton aus der Tüte. ‚Heiße Vorweihnachtszeit für Ihn & Ihn‘ stand in großen Buchstaben darauf. Zwei nackte Männer räkelten sich mit Weihnachtsmütze im Schritt auf einem Lammfell vor einem Kamin. Ein Adventskalender. Der Größe und dem Gewicht zu urteilen, gefüllt mit allerlei Spielzeug. Bei Schokolade hätte er ja noch etwas lachen können, aber dabei… Er schloss die Augen, ließ den Adventskalender wieder in die Tüte fallen und atmete tief durch. Ich bin die Ruhe selbst, ich bin die Ruhe selbst, ich bin die Ruhe selbst, wiederholte er als Mantra immer und immer wieder im Geiste. Doch tatsächlich brachte ihm das Bild vor seinem geistigen Auge, wie er Alan mit dem Steakmesser vor sich bedrohte, mehr Genugtuung. Er zwang sich, seine Augen wieder zu öffnen und blickte etwas zaghaft zu Yūri hinüber, der knallrot war. Als sich ihre Augen trafen, murmelte er eine Entschuldigung, sprang so schnell auf, dass er sich beinahe das Knie am Tisch rammte und lief in Richtung Toilette.
 

Victor stützte seine Stirn auf seiner Handfläche ab, den Ellbogen auf dem Tisch, und blickte zur Seite. Was sollte er jetzt sagen? Am liebsten würde er Alan im Restaurant öffentlich rund machen. Was hatte er sich dabei auch gedacht? Das ging eindeutig zu weit! Jetzt musste er am Montag nicht nur den Hintergrund des Geschäftsessens bei der Finanzabteilung erklären, sondern auch Schadensbegrenzung bei Yūri betreiben müssen. „Alan… Musste das wirklich sein?“, seufzte er schlussendlich, denn was nützte es, wenn er jetzt einen riesigen Aufstand machte. Im schlimmsten Falle würden alle Blicke der Gäste auf sie gerichtet sein, wenn Yūri wieder zurückkam. „Ist der Kleine denn echt so prüde?“, seufzte Alan, doch seine Bekümmertheit war nur Fassade. „Er ist nicht prüde. Aber wir sind erst seit Kurzem zusammen und vielleicht ist es unangenehm für ihn, so etwas von jemandem geschenkt zu bekommen? Hast du darüber mal nachgedacht?“, fragte Victor resigniert. „Nein, ehrlich gesagt habe ich mir nur Gedanken darüber gemacht, wie ich dich ärgern kann“, zuckte Alan mit den Schultern und Victor konnte zumindest da sagen, dass er es auch wirklich so meinte.
 

„Würdest du das Thema bitte nicht mehr anschneiden, wenn er wieder zurück ist?“, bat Victor. „Ach man… Du bist echt eine Spaßbremse“, Alan rollte theatralisch mit den Augen. „Entweder du kommst mit der Spaßbremse klar oder ich schnapp mir gleich Yūri und fahr wieder mit ihm nach Hause. Dann kannst du zusehen, wie du dein Dry Age New York Strip mit Königskrabben inklusive zwei weiterer Hauptspeisen gegessen, den ganzen Scheiß bezahlt bekommst und nach Hause kommst. Such es dir aus“, stellte Victor klar. „Meine Lippen sind versiegelt“, Alan tat so, als würde er seine Lippen wie mit einem Reißverschluss verschließen. Victor würde einiges dafür tun, wenn dieser Reißverschluss tatsächlich existieren würde. Yūri kam fast zeitgleich mit der Vorspeise zurück und zu Victors Erleichterung schien er sich gefangen zu haben. Den Rest des Abends hatten sie nur noch unverfängliche Themen, sprachen über Yūris Arbeit, Alans Werke und Science-Fiction- und Fantasy-Büchern im Generellen. Die Anpannung verschwand irgendwann und Victor war wirklich dankbar dafür. Doch er befürchtete, dass spätestens, wenn sie alleine waren, das Thema Adventskalender noch einmal aufkommen würde.

Adventskalender

Victor schnappte sich die Tüte vom Rücksitz, die Alans ‚Geschenk‘ beinhaltete und drehte sich zur kombinierten Ein- und Ausfahrt der Tiefgarage um. „Lass uns außen herum gehen“, sagte er zu Yūri und hielt ihm seine Hand hin. Sein Herz machte einen Satz vor Freude, als Yūri seine Hand ausstreckte und seine Finger mit Victors verschränkte. „Warum?“, fragte er, auch wenn sie bereits auf dem Weg aus der Tiefgarage waren. Victor hielt die braune, unscheinbare Papiertüte hoch. „Ich möchte das Ding noch gerne entsorgen, bevor es mein Bruder sieht“, erklärte Victor. Womit er nicht gerechnet hatte war, dass Yūri stehen blieb und den Kopf schief legte. Notgedrungen, da Yūri seine Hand festhielt, blieb auch Victor stehen und wandte sich ein wenig zu Yūri um, der einen knappen Schritt hinter ihm angehalten hatte. „Was?“, fragte Victor mit zusammengezogenen Augenbrauen und gerunzelter Stirn.
 

„Ich meine ja nur…“, begann Yūri und Victor hatte den Eindruck, dass er alles ansah, nur ihn nicht. Auch wurde Yūris Gesicht langsam aber sicher immer röter. „… Nun ja… Es wäre ja schade drum… und vielleicht sind auch Sachen drin, die wir brauchen können?“, Yūris Gemurmel klang am Ende mehr wie eine Frage, als ein Vorschlag und Victor hatte wirklich genau hinhören müssen, um alle Worte zu verstehen. Und Alan hatte gedacht, Yūri wäre prüde, lachte Victor in Gedanken. „Du schlägst also vor, den Adventskalender zu nutzen?“, fragte er mit einem schiefen Grinsen und hob eine Augenbraue. Doch Yūri weigerte sich immer noch, ihn anzuschauen. Oder konnte es schlichtweg einfach nicht, weil es ihm zu peinlich war, vermutete Victor. Doch er selbst ließ seinen Partner keine Sekunde aus den Augen, so blieb ihm auch das kleine Nicken nicht verborgen. Victor machte ein Schritt nach vorne und zog gleichzeitig an Yūris Hand, die seine immer noch umschlossen hatte, sodass Yūri gegen seinen Körper stolperte. Er schlang seinen freien Arm um Yūri und drückte ihn ein wenig an sich, die Tüte mit dem Adventskalender lag dabei unangenehm in seiner Hand und er hoffte, dass sie Yūri nicht in den Rücken pikste.
 

Kurz genoss er, Yūris heißen Atem durch sein Hemd zu spüren, dann beugte er sich ein wenig zu seinem Ohr hinunter und sagte leise: „Du weißt aber schon, dass Alan mir den Kalender nur geschenkt hat, um mich zu ärgern.“ Er spürte, wie Yūri gegen seine Brust nickte. „Das habe ich auch schon gemerkt. Alleine an dem amüsierten Grinsen, als er dir die Tüte überreicht hat. Er scheint es zu mögen, dich zu ärgern“, Victor meinte, etwas Belustigung in Yūris Stimme zu hören. Doch Yūri hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. „Ja, das macht er wirklich gerne. Manchmal befürchte ich, dass er seinen Frust bei mir auslässt, wenn seine Frau ihn mal wieder auf dem Sofa schlafen lässt, weil er irgendeinen Mist gebaut hat“, seufzte Victor theatralisch in Yūris Haare. „Ist das wirklich so?“, fragte Yūri verwundert. „Ich habe nicht den blassesten Schimmer. Das ist nur eine Vermutung und vielleicht so etwas wie eine Wunschvorstellung. Es erleichtert mein Leid, wenn ich mir vorstelle, dass auch er in einer Weise leiden muss“, lachte Victor und freute sich, Yūri leise kichern zu hören.
 

Sie blieben einen Moment so stehen und Victor genoss es, Yūri in seinem Arm zu spüren. Am liebsten hätte er ihn noch enger an sich gezogen, aber Yūri hatte seine Hand immer noch nicht losgelassen. Yūris andere Hand ruhte an seiner Hüfte. „Also gut. Wir behalten den Kalender. Aber du musst mir eins versprechen, hörst du, Любимый?“, er löste sich widerwillig von Yūri, aber Victor musste einfach in seine Augen sehen, damit er sich sicher war, dass Yūri seine Antwort auch so meinte. Erleichtert stellte er fest, dass Yūri ihn nun auch von sich aus ansah. Zufrieden fuhr Victor fort: „Ich habe keine Ahnung, was da drin ist. Aber wenn dir irgendwas nicht zusagt oder vielleicht sogar Unbehagen bereitet: Sag es mir. Dann kommt es in den Mülleimer. Da wäre es ja ohnehin gelandet, wenn du mich eben nicht überredet hättest, es auszuprobieren. Versprich es mir bitte, Любимый.“
 

Yūri nickte, doch das reichte Victor nicht. „Bitte sag es, Yūri“, beharrte er und sah ihn durchdringend an. Ein kleines, schelmisches Grinsen legte sich auf Yūris Lippen und seine Augen funkelten vor Vergnügen. Dann nahm er seine Unterlippe zwischen die Zähne und schaute ihn scheinbar unschuldig an. „Ja, Daddy“, sagte er dann, doch konnte dabei das Schmunzeln nicht ganz unterdrücken. Victor schaute ihn fassungslos an. War das wirklich der gleiche Yūri, der ihn eben noch ganz verschämt angesehen hatte, als er ihn gebeten hatte, den Kalender nicht wegzuwerfen? Er kneife sich in den Nasenansatz zwischen den Augen und seufzte. „Yūri… Das willst du nicht wirklich. Sonst muss ich dich über das Knie legen, weil du frech bist“, seufzte er theatralisch. Yūri ließ seine Hand los und ging ein paar Schritte. Dann drehte er sich und zwinkerte ihm zu. „Vielleicht stehe ich drauf“, lachte er dann. „Yūri Katsuki! Irgendwann bist du wirklich noch mein Tod!“ Dann setzte sich Victor in Bewegung und verfolgte Yūri bis zum Hauseingang. Amüsiert fragte er sich, wann er das letzte Mal tatsächlich Fangen gespielt hatte.
 


 

Yūri musste immer noch vor sich her grinsen, als er auf dem Weg nach Hause war. Er hatte keine Ahnung, warum er auf einmal mit so etwas angefangen hatte. Vielleicht war es der Alkohol gewesen, denn der ‚Absacker‘ dem er zum Schluss dann doch noch zugestimmt hatte, war überraschend stark gewesen. Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass er sich bei Victor immer geborgen fühlte. Victor versicherte sich immer, dass nichts ohne Yūris Einverständnis passierte. Er überrumpelte ihn nicht und wenn doch, ließ er ihm genug Zeit und Raum, mit der Situation umzugehen. Wenn Yūri so darüber nachdachte, war das sicherlich einer der Gründe, warum er sich auch sicher genug fühlte, Scherze über so etwas zu machen. Yūri hatte nicht wirklich einen Daddy-Kink, auch wenn es ihm vermutlich nicht viel ausmachen würde, wenn Victor auf so etwas stand. Auch, wenn Victor in diesem besonderen Fall bereits angedeutet hatte, dass er es nicht sonderlich erregend fand, ‚Daddy‘ genannt zu werden. Yūri vermutete, dass es damit zusammenhing, dass Victor scheinbar nicht ganz so gut auf das Altern an sich anzusprechen war. Er erinnerte sich noch lebhaft daran, als er sich Sorgen gemacht hatte, dass sein Haar dünner werden würde.
 

Das war vor dem Bücherladen gewesen, kurz nach dem Unfall. Ein schicksalhaftes Zusammentreffen für sie beide. Normalerweise war ein Autounfall nie eine gute Sache. Für sie beide war es jedoch offenbar ein Glücksfall gewesen. Der Gedanke amüsierte Yūri, denn was war bei ihnen beiden schon normal? Er war gespannt, was alles in dem Kalender zu finden war. Tatsächlich war er ziemlich neugierig. Er wünschte sich sogar ein wenig, einen Blick darauf hätte erhaschen zu können, um zu sehen, ob er etwas im Internet dazu fand. Aber im ersten Augenblick war er einfach zu überrascht gewesen. Erst nachdem er die Flucht zur Toilette angetreten war, war ihm klar geworden, dass man eventuell auch etwas daraus machen konnte. In so einem Adventskalender war sicherlich nicht nur Mist drin, sondern auch Dinge, die man gut verwenden konnte. Immerhin musste der Hersteller damit eine breite Masse abdecken und sie konnten so vielleicht auch etwas entdecken. Nicht, dass es Yūri bereits langweilig mit Victor wurde, aber Gelegenheiten sollte man beim Schopf packen. Nicht wahr?
 

Als er seine Wohnung betrat und das Licht anschaltete, überkam ihn eine altbekannte Schwermut. In letzter Zeit hatte er das oft, wenn er nach Hause kam und die Wohnung so vorfand: Leer, dunkel, unbewohnt. Kein Post-It an der Tür, die ihm erklärte, dass Phichit noch einmal in die Klinik musste oder Spätschicht hatte. Kein Phichit, der ihn mit irgendeinem dummen Spruch begrüßte oder ignorierte, weil er gerade mitten in einem Kampf irgendeines Online-Spiels war. Stattdessen fütterte er die Hamster, deren Käfig mittlerweile ins Wohnzimmer umgezogen war und warf sich auf die Couch. Er blickte zu den beiden Büchern, die Alan ihm geschenkt hatte und überlegte für einen Moment, ob er lesen sollte, verwarf diese Idee aber schnell wieder. Kurzentschlossen nahm er sein Handy heraus und startete einen Videoanruf mit seinem besten Freund.
 

Es klingelte nicht lange, bis das Gesicht von Phichit auf dem kleinen Display erschien. Er schien müde, doch hocherfreut über Yūris Anruf. „Yūri! Wie geht es dir? Wie war deine Geburtstagsfete?“, lachte er. Er war ein wenig mürrisch gewesen, an Yūris Geburtstag nicht da gewesen zu sein. Daher hatten sie im Freundeskreis beschlossen, dass sobald Phichit wieder in der Stadt war, Yūris Geburtstagsfeier nachgeholt werden musste. Außerdem müsse er dann Victor mitbringen. Zwar hatte Yūri dies Victor noch nicht gestanden, aber Yūri war sich sicher, dass Victor mitkommen würde. „Das Essen war gut und Alan hat mir sogar ein Geschenk gemacht“, mit der freien Hand angelte er nach den beiden Büchern, die auf dem Couchtisch lagen und zeigte sie ihm. „Der erste Band zur Loch-Leven-Saga ist eines der ersten 10 gedruckten Exemplare und von ihm signiert“, erklärte er dabei noch. Phichit pfiff durch die Zähne. „Das ist sicher irgendwann ein Vermögen wert. Aber sag mir lieber, wo ihr essen wart“, lachte Phichit. „Wir waren im Grey Ghost“, sagte Yūri und musste sich ein kleines Grinsen verkneifen, weil er wusste, dass Phichit fast vor Neid platzen würde.
 

„Das ist nicht dein Ernst! Du hast doch gesagt, das war kurzfristig? Wie konnte er noch einen Platz dort bekommen?“, fragte Phichit, seine Stimme war eine Mischung aus Entsetzen und Fassungslosigkeit. „Ich habe keine Ahnung“, gestand Yūri und zuckte dabei mit den Schultern. „Yūri, bist du sicher, dass Victor tatsächlich nur Redakteur ist? Vielleicht ist er eigentlich bei der Mafia oder so?“, Yūri war sich nicht sicher, wie ernst Phichit diese Behauptung meinte. Doch Yūri musste dennoch lachen. „Ich glaube nicht, Phichit. Victor trägt keinen Hut und ich habe schon ein paar Mal in seinen Kofferraum gesehen, da war nie ein großer Müllsack oder ähnliches drin. Außerdem, ist der Kofferraum von so einem Tesla nicht eigentlich viel zu klein für solche Dinge? Müsste er dann nicht eher einen Kombi fahren?“, lachte er. Phichit nickte ernst und rieb sich überlegend das Kinn. „Du hast natürlich vollkommen recht, Yūri. Außerdem wart ihr nicht italienisch essen“, bemerkte er dazu. „Richtig. Und ich habe keine Ahnung, in welche Restaurants die russische Mafia geht. Haben wir überhaupt ein russisches Restaurant in der Nähe? Ich war zumindest in keinem solchen Restaurant mit ihm. Mafia scheidet also eher aus. Sonst kenne ich mich allerdings nicht so im Untergrund aus. Gibt es vielleicht noch irgendeine andere Organisation?“, fragte Yūri grinsend. „Ich fasse es nicht, Yūri! Bis vor kurzem hättest du Victor noch mit Zähnen und Klauen vor diesen Sprüchen bewahrt und jetzt machst du fleißig mit. Kriselt es etwa schon im Paradies?“, lachte Phichit und streckte Yūri die Zunge raus.
 

„Wer weiß? Vielleicht bin ich ja auch nur Agent der japanischen Regierung und auf der Spur eines russischen Spions?“, Yūri hob vielsagend die Augenbrauen. „Ok, das klingt jetzt nach einem Drehbuch deiner heißgeliebten Schrottfilme. Ich bin raus!“, Phichit hob lachend eine Hand, als würde er kapitulieren. „Ich bin enttäuschend, Phichit. Nach all der Zeit mit mir als deinen Mitbewohner hast du immer noch nicht die verborgene Kunst der Trash-Filme erkannt“, Yūri seufzte und schüttelte traurig den Kopf. „Die Kunst ist wirklich total verborgen. Da muss man schon graben, um da was künstlerisch Wertvolles zu finden“, lachte Phichit schnaubend. „Wie geht es dir eigentlich, Phichit? Wie läuft es? Wann kann ich dich zurückerwarten? Sowohl zum Besuch als auch wieder fest. Langsam wird es einsam hier ohne dich und deine Hamster vermissen dich auch“, dabei drehte Yūri sein Handy, damit die Kamera den Käfig der Hamster erfasste. Allerdings glänzten diese nach ihrem kurzen Abendessen wieder durch Abwesenheit. Phichit seufzte. „Ich habe keine Ahnung. Es läuft alles gut und in der Forschungs- und Entwicklungsgruppe macht das Arbeiten ziemlich viel Spaß. Das Krankenhaus hängt uns auch schon in den Ohren, weil schon so viele so lange weg sind, daher werden zwei Kollegen nächste Woche vorerst wieder zurückreisen. Die beiden haben sich freiwillig gemeldet, da sie Familie haben. Aber wir werden wohl noch nicht einmal zu Weihnachten oder zwischen den Jahren zurückkommen. Vielleicht Mitte Januar für einige Tage. Aber sonst geht es mir eigentlich gut, es ist super spannend und eine echt tolle Erfahrung. Wenn auch manchmal ein wenig ermüdend“, Phichit lachte, doch Yūri erkannte mit Erleichterung das Funkeln in dessen Augen und die Begeisterung in seinem Gesicht.
 

„Das klingt toll, aber auch nicht so, als würdest du bald zurückkommen. Man könnte den Eindruck bekommen, dass du dort bleiben willst“, seufzte Yūri und wagte sich dabei, einen Gedanken auszusprechen, den er in letzter Zeit öfters hatte. Und vor deren Antwort er sich ein wenig fürchtete. „Puh, das ist eine gute Frage. Ich würde lügen, wenn ich mir das nicht vorstellen könnte, Yūri. Da bin ich ehrlich mit dir. Aber zurzeit sieht es nicht danach aus und du wärst der Erste, der davon erfahren würde! Und falls das passiert, komme ich natürlich noch meine Hamster abholen?“, zwinkerte er Yūri zu. „Hey, das ist aber gemein. Die Hamster nimmst du mit und was ist mit mir?“, vielleicht war in dem gespielten Schmollen ein Hauch von Wahrheit. „Tut mir leid, Yūri. Du passt eben nicht in einen Hamsterkäfig. Doch auch selbst wenn, hätte sicher Victor was dagegen und ich lege mich nicht mit dem russischen Geheimdienst an“, lachte Phichit. „Gute Nacht, Phichit. Du solltest dringend mal eine Mütze voll Schlaf bekommen. Du hast schon Augenränder bis zum Nasenflügel“, schnaubte Yūri belustigt. „Schlaf du auch gut, Yūri. Langsam kommst du in das Alter, in dem du früher schlafen gehen solltest. Du willst doch nicht deine Gesundheit aufs Spiel setzen“, zwinkerte Phichit, winkte in die Handykamera und beendete das Gespräch lachend, bevor Yūri kontern konnte. So oder so ähnlich endeten in letzter Zeit alle ihre Telefonate. Sie zogen sich auf und einer beendete schnell das Gespräch, bevor es noch vollkommen eskalieren und sie sich nicht ernstgemeinte Gemeinheiten an den Kopf werfen konnten und damit die Nacht zum Tag machten.

Lange Nacht

Als Victor das Schlafen aufgab, fiel noch das künstliche Licht der Straßenbeleuchtung durch den nur halb zugezogenen Vorhang. Er fühlte sich müder, als vor dem Schlafen. Seine Augen brannten und ein latenter Kopfschmerz machte es für ihn schwierig, vernünftig zu denken. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, dass er sich etwas eingefangen hatte, eine Erkältung ausbrütete oder so etwas in der Art. Vielleicht sogar, dass er das ein oder andere Getränk über den Durst getrunken hatte. Doch Victor wusste es besser. Victor wusste verdammt gut, was der Grund war, warum seine Gedanken sich die Nacht wie wild im Kreis herumgedreht hatten. Am Abend zuvor hatten sich seine Befürchtungen mal wieder bewahrheitet: Angetrunkener/Betrunkener Yūri war ein sehr gefährlicher Yūri für ihn. In einem Moment bittet er ihn mit niedlicher Schamesröte im Gesicht, den Kalender nicht wegzuwerfen, im nächsten Moment blickte er ihn herausfordernd-erotisch an und jagte ihm damit einen Schauder vor Erregung den Rücken hinunter.
 

Da Yūri am nächsten Tag noch arbeiten wollte, war er nur noch kurz mit in die Wohnung gekommen. Hatte sozusagen geholfen, den Adventskalender vor Yurios neugierigem Blick zu schützen. Das heißt, so war es geplant gewesen, doch tatsächlich hatte Yurio ihm nur eine Notiz hinterlassen, dass er bei Beka sei, um ein paar Videospiele zu spielen. Das ließ Victor zwar die Möglichkeit Yūri anzudeuten, dass er auch noch ein wenig dableiben konnte, aber das lehnte er ab. Victor hatte natürlich Verständnis dafür. Immerhin musste er für die Wohnung aufkommen und hatte natürlich auch noch andere monatliche Ausgaben außer Miete. Doch natürlich war Victor ein wenig enttäuscht gewesen. Zu behaupten, dass Yūris Flirterei ihn völlig kalt gelassen hätte, wäre eine Untertreibung gewesen. Eine riesige Untertreibung. Tatsächlich hatte Victor seine, doch etwas zu eng gewordene, Hose ausgezogen, sobald Yūri gegangen war. Er hatte sich unter die kalte Dusche gestellt, in der Hoffnung, dass das auch seine Gedanken abkühlen würden. Die Hoffnung starb eben immer zuletzt. Aber schlussendlich starb auch die Hoffnung und so hatte Victor gehofft, dass er sich mit einem Manuskript ablenken konnte. Arbeit war für ihn in der Regel ein totsicherer Plan, sich von seiner Umwelt abzuschotten.
 

Der Plan an sich war sicher nicht schlecht, aber wieder einmal schimpfte er mit sich selbst, dass er sich zumindest die Titel der Manuskripte vorher anschauen sollte, bevor er sie einsteckte. Allerdings fragte er sich, wer zur Hölle auf die Idee kam, dass er der passende Redakteur für BDSM-Romane sei… Er hatte sich die ersten 20 Seiten zu Gemüte geführt in der Hoffnung, dass der Schreibstil oder die Geschichte so schlecht seien, dass sein Problem von alleine Verschwinden würde. Doch um ehrlich zu sein, feuerte es seine Fantasien nur noch mehr an und schlussendlich hatte er das Manuskript wieder schnaubend in seine Tasche gepackt und war, leicht verzweifelt und vor allem schmollend, ins Bett gegangen. Nur um sich dann in der Dunkelheit seines Zimmers vollständig seiner Fantasien ausgeliefert zu sehen. Seine Gedanken wanderten von den Dingen, die er einmal gerne mit Yūri ausprobieren möchte zu den Dingen, die sie vielleicht durch den Adventskalender ausprobieren würden. Er fragte sich, was Yūri gerne probieren wollte und was für ihn direkt ausgeschlossen sei. Und schlussendlich fragte er sich, ob sie schon bereit waren für diese Stufe ihrer Beziehung. Und da Victor zu keiner dieser Fragen eine Antwort wusste, kreisten seine Ideen… und kreisten… und kreisten…
 

Gähnend schwang er seine Beine über die Bettkante und streckte sich. Er war wirklich froh, dass es Wochenende war und er nicht auf die Arbeit gehen musste. Es wäre ein ziemliches Grauen, wenn er sich zum Beispiel heute noch mit Alan herumschlagen müsste. Oder mit der komischen Grafikerin, die sich das Maul über ihn zerriss, seitdem sie ihre plumpen Flirtversuche abgeschmettert hatte. So schnell, wie es in seinem übermüdeten Zustand ging, ging er in sein Ankleidezimmer und zog sich ein T-Shirt und eine Trainingshose an. Dann schlürfte er in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Makkachin blieb zusammengerollt auf seinem Bett. Für ihn war es offensichtlich auch noch zu früh. Das konnte Victor ziemlich gut nachvollziehen. Als seine Tasse Kaffee fertig war und er ein wenig Milch dazugegeben hatte, ging er zum Sofa, warf sich regelrecht darauf und legte den Kopf in den Nacken. Er schloss einen Moment die Augen und genoss den Kaffeeduft. Das kleine Fünkchen Hoffnung in ihm, er könnte vielleicht so noch ein wenig Schlaf bekommen, zerschlug sich relativ schnell. Vermutlich habe ich die Müdigkeit jetzt vollkommen übergangen, schloss er und trank einen Schluck Kaffee.
 

Er starrte einfach die Wand hinter seinem Fernseher an, ohne an irgendetwas zu denken. Nachdem seine Fantasie ihm so übel mitgespielt hatte, war er eigentlich froh darum, sich nicht noch weitere erotische Szenarien mit Yūri auszumalen. Zumal er sich dann der Frage nicht weiter widmen musste, ob er tatsächlich wie ein liebeskranker Teenager selbst Hand anlegen müsste. Er schüttelte vehement seinen Kopf und nahm sein Handy aus der Hosentasche. Bevor er so einen Mist dachte, konnte er Yūri einen erfolgreichen Arbeitstag wünschen, beschloss er. Außerdem konnten sie sich so vielleicht noch für den Abend verabreden. Immerhin war das erste Türchen des Adventskalenders an der Reihe… Victor stellte den Kaffee ab und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Wenn seine Gedanken weiterhin so abdrifteten, dann würde er bis zum Abend ganz sicher nicht überleben.
 


 

Als Yūri aufwachte und die Nachricht von Victor sah, musste er lächeln. Allerdings hoffte er, dass Victor nur kurz wach geworden war und ihm dann die Nachricht geschrieben hatte, denn für einen Spaziergang mit Makkachin oder irgendwelchen anderen Aktivitäten war es auf jeden Fall noch zu früh. Er schickte eine kurze Antwort zurück und versicherte ihm, dass er sich melden würde, sobald er wüsste, wann er Feierabend machte und wanderte vom Bett direkt zum Computer. Er wollte erst nach Aufträgen schauen, bevor er sich fertig machte. Sicherlich war der Konkurrenzkampf am Samstagmorgen recht groß. Direkt, als er das Ticketsystem aufrief, sah er einen wichtigen Kundenauftrag. Es las sich wie ein Serverausfall bei einem größeren Unternehmen. Das war sicherlich ein zeitaufwändiger Auftrag, aber Yūri hatte über den Tag nichts Größeres vor, also klickte er auf die Bestätigung, dass er das Ticket übernehmen würde. Während das System arbeitete, sprach er ein kurzes Stoßgebet, dass er die Berechtigung für diesen Auftrag hatte und ihm niemand zuvorgekommen war. Die Berechtigung war immer so eine Sache, musste er feststellen. Immerhin war er noch ein Neuling in der Firma und hatte noch nicht so viele Aufträge erledigt. Doch die, die er erledigt hatte, waren zu voller Zufriedenheit erfüllt worden. Als er die Bewertungen gelesen hatte, wäre er beinahe vor Stolz geplatzt.
 

So in Gedanken bemerkte er erst gar nicht, dass die Anzeige auf seinem Bildschirm vom Status ‚Prüfe‘ zu ‚Bestätigt‘ umgesprungen war. Als er den damit verbundenen grünen Haken sah, sprang er vor Freude auf und lief ins Bad, um sich fertig zu machen. Während dem Zähneputzen schrieb er Victor von dem Auftrag, zog sich an und tippte schnell die Adresse der Firma namens FP Ltd. ins Handy für die Navigation. Kaffee und Frühstück ließ er zugunsten eines schnellen Eintreffens vor Ort sausen. Je nachdem, was den Serverausfall verursacht hatte, würde er wahrscheinlich eh neue Teile brauchen. Dann konnte er sich auch auf dem Weg zum Händler mit allem nötigen Eindecken. Dann wusste er auch, wie lange er für die Arbeiten noch einzuplanen hatte. Wie immer, wenn er in seinem Wohnblock oder der Umgebung unterwegs war, hielt er Ausschau, ob er Victor irgendwo sah. Doch nirgendwo war der markante, graue Schopf zu sehen, also beeilte sich Yūri lieber, um zum Auftragsgeber zu kommen.
 

Doch als er schlussendlich in der firmeneigenen Tiefgarage stand, hätte er sich ohrfeigen können. Seine Hände waren schweißnass und sein Herz hämmerte bis zum Hals. Alleine schon von der Kombination der Adresse und dem Hinweis, dass es eine firmeneigene Tiefgarage gab, hätte er hellhörig werden müssen. Der Firmenname hätte da maximal noch das letzte Puzzleteil sein dürfen. Doch er war so euphorisch wegen dem Auftrag gewesen und nun hatte er den Salat. Kurz spielte er mit dem Gedanken, dass er in seiner Firma anrufen sollte, um den Auftrag abzugeben. Aber das machte sich als Neuling sicher nicht gut. Egal welche Ausrede er vorschieben würde, wahrscheinlich würden sie es merken. Und dann würde er, wenn er Glück hatte, nur noch die kleinen Firmen betreuen dürfen. Im schlimmsten Fall würden sie vielleicht sogar die Probezeit nicht verlängern. Yūri atmete tief durch. Das wird schon alles klappen. Du weißt, was du tust, sagte er sich in Gedanken, als er aus dem Auto steig. Natürlich nicht, ohne sich verstohlen umzusehen.
 

Man sah schon in der Tiefgarage, dass ein Großteil der Belegschaft offenbar nicht am Samstag arbeitete. Vielleicht waren auch heute nur Leute da, die aufgrund einer Deadline noch Arbeiten zu erledigen hatte. Yūri schluckte. In dem Fall würde die Arbeit heute keinesfalls ein Zuckerschlecken werden. Er blickte über die geparkten Fahrzeuge, auf der Suche nach einem ganz speziellen Auto. Eines, dass er mittlerweile fast genauso gut kannte, wie sein eigenes. Mit der Ausnahme, dass er es noch nicht selbst gefahren war. Vor allem deshalb nicht, weil das Auto ungefähr 60 Mal so viel wert war, wie sein eigenes. Fast schon hatte er erwartet, den dunkelblauen Tesla irgendwo stehen zu sehen. Denn immerhin würde das erklären, warum Victor ihm so früh eine Nachricht geschickt hatte. Er musste doch sicher auch informiert worden sein, oder? Wobei er immerhin ein Redakteur war, erinnerte sich Yūri. Wenn es seine Arbeit nicht betrifft, wird er wohl kaum hierher zitiert worden sein.
 

Yūri ging an einer Reihe reservierten Parkplätze vorbei. Er las die Namen auf der linken Seite aufmerksam: S. Lambiel, S. Crispino, E. Nekola, V. Nikiforov… Er blieb wie angewurzelt stehen. Das war also Victors Parkplatz? Hier stellte er immer sein Auto ab, wenn er auf der Arbeit war. Irgendwie fühlte sich Yūri wie ein kleiner Stalker, doch er konnte sich nicht von dem Schild losreißen. Kurzentschlossen machte er ein Foto davon. Er wusste noch nicht, wofür er es verwenden würde, aber zumindest konnte er Phichit so noch einmal zeigen, dass Victor kein Blender war. Wobei er sich mittlerweile keine größeren Gedanken mehr um dieses Thema machte. Daneben waren die Parkplätze von I. Yang, L. Baranovskaya und der erste am Aufzug war reserviert für den Chef. Y. Feltsman. Er erinnerte sich noch ziemlich gut an den Onkel von Victor und Yurio. Er sah ein wenig griesgrämig und grimmig aus, doch er schien ein netter Mensch zu sein, der ehrlich um seine Neffen bemüht war. Doch all diese Parkplätze waren leer. Yūri schloss daraus, dass entweder das Problem nicht schwerwiegend genug war oder es war einfach noch nicht so weit vorgedrungen. Da sich Yūri mit den Firmenstrukturen nicht auskannte, beschloss er, dass es müßig war, sich darüber Gedanken zu machen.
 

Doch als er sich am Empfang im Erdgeschoss meldete, wurde ihm klar, dass er bereits sehnsüchtig erwartet wurde. Er bekam einen Gästeausweis und wurde angewiesen, zu den Aufzügen zu gehen. Die Leiterin der Grafikabteilung würde ihn dort abholen. Yūri brauchte nicht lange zu warten, bis sich der Aufzug öffnete und den Blick auf eine überraschend junge und große Frau mit rötlich-braunen, gelockten Haaren und blauen Augen freigab. „Ah, du musst Yūri Katsuki sein! Hallo!“, sagte sie und sah erleichtert aus, ihn zu sehen. Yūri streckte ihr die Hand entgegen. „Hallo. Ja, richtig. Ich komme wegen ihrem Serverproblem“, er hatte keine Ahnung, wie er sie wirklich begrüßen sollte und hoffte, dass er nicht wie der letzte Idiot dastand. „Zum Glück, wir können alle nicht richtig arbeiten. Wir haben keine Möglichkeiten, auf das Firmennetzwerk zuzugreifen. Meine Leute sind fast am Verzweifeln, da dort alle Vorlagen hinterlegt sind“, plapperte sie munter weiter und drückte den Knopf für die 1. Etage. Kurz fragte sich Yūri, warum sie für den ersten Stock den Aufzug nahmen, wurde aber schnell von einem erschreckten Laut der Chefgrafikerin abgelenkt. Diese hatte die Hand über ihren Mund gelegt, schaute Yūri dabei mit großen Augen an. „Meine Güte, wie furchtbar unhöflich von mir! Mein Name ist Mila Babicheva. Ich bin die Chefgrafikerin von dem Laden hier. Du kannst mich aber auch ruhig Mila nennen, wir haben hier eine sehr flache Hierarchie, nur den Boss reden wir mit Herrn Feltsman an“, lachte und plapperte sie dann.
 

Yūri war versucht, nach Victor zu fragen. Aber das würde komisch aussehen, oder nicht? Also ließ er sich lieber das Problem detailliert beschreiben, während er von Mila zum Serverraum geführt wurde. Die Schilderungen hatten schon nichts Gutes vermuten lassen und seine Überprüfung bestätigte es nun in kurzer Zeit. Er seufzte, als er Mila anschaute, die mit einem leicht flehenden Blick im Türrahmen stand. „Weißt du, wann hier das letzte Mal Arbeiten vorgenommen worden?“, fragte er. „Uhh… Ich bin seit dem Sommer letzten Jahres hier und ich habe noch keine größeren Arbeiten am Server miterlebt. Aber das muss nicht unbedingt etwas heißen…“, sie sah ihn fragend an. „Mit ein bisschen Glück kriege ich das hier für eine Weile wieder zum Laufen, allerdings befürchte ich, dass hier eine grundlegende Erneuerung passieren muss, damit das Netzwerk auch in Zukunft wieder stabil und sicher läuft. Die notwendigsten Teile für den Übergang kann ich gerne schon einmal bestellen, wenn ich ein wenig Druck mache, sollte ich sie Montag bis Mittag haben. Was die Erneuerung angeht… Da wird sicherlich der Geschäftsführer oder Vorstand entscheiden müssen. Wer auch immer da die Entscheidungsgewalt hat, richtig?“, schloss Yūri.
 

Mila nickte. „Für die Teile zur Behebung des Problems habe ich die notwendigen Befugnisse, aber für die von dir empfohlene Erneuerung brauch ich einen Kostenvoranschlag“, erklärte sie. Das überraschte Yūri jetzt nicht wirklich. Er war auf jeden Fall froh, dass er helfen konnte und mit ein paar Tricks den Server zumindest kurzweilig wieder zum Laufen bringen konnte. „Dann kümmere ich mich jetzt darum, dass das Netzwerk wieder verfügbar ist, danach um die Bestellung der Teile und dann würde ich noch für den Kostenvoranschlag bleiben, wenn das ok ist. Oder habt ihr eine Uhrzeit, wann alle aus dem Gebäude sein müssen?“, fragte Yūri. „Nach 18 Uhr kommt noch die Putzkolonne, du hast also bestimmt bis 20 Uhr Zeit“, lachte sie. „Na, hoffentlich bin ich bis dahin fertig. Ich hätte doch etwas frühstücken sollen“, seufzte er dann. „Direkt um die Ecke ist die Küche. Da gibt es Kaffee und heute sogar belegte Brötchen“, bemerkte sie fröhlich. „Eine kleine Motivationshilfe vom Chef wegen den Überstunden“, erklärte sie auf Yūris fragendes Gesicht hin. „Danke, dann bringe ich das hier erst einmal wieder zum Laufen. Dann komme ich auf das Angebot gerne zurück“, lachte Yūri und dachte sich, dass es vielleicht ganz angenehm war, für diese Firma zu arbeiten.

Langer Tag

Schlussendlich verlangte ihm der erste Groß- und Premiumkunde seiner erst kurzen Karriere bei dieser IT-Firma so ziemlich alles ab. Das Firmennetzwerk wieder halbwegs ans Laufen zu bringen, war dabei nicht die große Herausforderung. Was ihm Ärger, Sorge und vor allem graue Haare bereitete, war die Aktualität der Server und dem generellen technischen Gerät. Und wenn er Aktualität meinte, meinte er damit eher, dass diese im Prinzip nicht vorhanden war. Eigentlich hätte der damit gerechnet, dass ein solches Unternehmen einen IT-Beauftragten oder so etwas hätte, doch Mila hatte bei dieser Frage in einer kurzen Kaffeepause nur laut gelacht. Sie versicherte ihm, dass IT einen ganz besonderen Stellenwert beim Chef hatte. Und zwar den, als Buch mit sieben Siegeln. Und da er der Meinung war, dass so lange alles läuft auch alles gut sei, würden sie nun in dieser Misere stecken.
 

Gratulation, Yūri. Da hast du dir ja einen super Fall geangelt, beglückwünschte er sich in Gedanken und hatte insgeheim die Vermutung, dass gerade deshalb das Ticket nicht direkt weg gewesen war und er es somit hatte übernehmen können. Jedenfalls würde es ihn im Nachhinein nicht mehr wirklich überraschen. Allerdings hatte er ja mehr als nur ein berufliches Interesse daran, dass auf systemischer Seite in diesem Verlag alles gut lief. Also hatte er alles haargenau notiert. Was zurzeit benutzt wurde, wie alt die einzelnen Komponenten waren, warum diese ausgetauscht werden mussten oder sollten und wie viel der Ersatz kosten würde. Die Teile hatte er nach Wichtigkeit des Austauschs sortiert, in der Hoffnung, dass es dabei half, zu verstehen, warum diese Arbeiten notwendig waren. Natürlich hatte er auch eine ungefähre Arbeitsdauer kalkuliert und hoffte, dass er nicht überschätzt hatte, was er in dieser Zeit alles leisten konnte. Doch wenn er allein das Kabelgewirr in dem Serverraum sah, wurde ihm übel. Mit Sicherheit wird ihn dieses Projekt Wochen beschäftigen, vorausgesetzt, dass es genehmigt wird.
 

Natürlich hätte er hier auf Vitamin B setzen können. Victor anrufen und von dem IT-technischen Super-Gau berichten können, der sich im Verlag seines Onkels anbahnte. Er hätte auch sicherlich seinen Kostenvoranschlag am Montag direkt an Yakov übergeben können, im Versuch ihn davon direkt zu überzeugen. Aber Yūri hatte auch seinen Stolz und wollte das auf keinen Fall. Vermutlich würde er Victor davon erzählen, wenn die Aufrüstung abgelehnt werden würde. Einfach nur, weil er nicht dabei zusehen wollte, wie sich die Firma auf eine multimediale Katastrophe zu bewegte. Aber das war nur der Ausweichplan. Wenn alle anderen Bemühungen vorab gescheitert waren. Daher gab er Mila das mehrere Seiten lange Dokument und beschloss, Victor erst einmal nichts davon zu sagen. Außerdem war er so geschlaucht von seinem Arbeitstag, dass er auch gar nicht mehr darüber reden wollte. Nachdem er sich von Mila verabschiedet hatte, schrieb er Victor eine kurze Nachricht, dass er sich auf dem Heimweg befand und noch schnell nach Hause fuhr, um sich zu duschen und umzuziehen. Victors kurze Antwort, dass er sich auf ihn freuen würde und er vorsichtig fahren solle, zauberte ihm ein Lächeln auf sein Gesicht.
 


 

Victor konnte nicht anders als grinsend auf sein Handy zu blicken. Er fühlte sich ein wenig wie ein Hausmann, der auf die Rückkehr seines arbeitenden Partners wartete. Sehnsüchtig wartete. Er hatte den halben Tag damit verbracht zu überlegen, was er kochen sollte. Damit war er offensichtlich auch Yurio so auf die Nerven gegangen, dass er sich irgendwann zu Otabek verabschiedet hatte. Er hatte noch laut gerufen: „Ist doch scheiß egal, was du kochst“, doch Victor hätte schwören können, ein leiseres „schmeckt doch eh alles“, gehört zu haben. Doch je länger das her war, desto unsicherer wurde er, ob er wirklich richtig gehört hatte. Vielleicht wollte sein Ego es auch nur gehört haben oder er hatte gekonnt ein „nicht“ überhört. Dennoch entschied er sich, dass die erste Version definitiv besser war und somit auch Yurios Worte gewesen sein mussten. Jedenfalls aß sein Bruder abends mit Appetit und wenig Worten. Letzteres war dann entweder rebellisches oder gefräßiges Schweigen. Aber so ganz schlau wurde er eh nicht aus seinem Bruder. Er wusste nur, dass Otabek ihm guttat. Die Freundschaft ließ ihn aufblühen und vielleicht half die Distanz zu ihrer Tante auch.
 

Tatsächlich hatte sich seine Tante seit dem Umzug von Yurio nur einmal kurz gemeldet. Und das auch nur bei Yurio direkt. Zwischen Victor und ihr herrschte immer noch Eiszeit, nachdem sie ihm mit ihrer engstirnigen Einstellung so sehr vor den Kopf gestoßen hatte. Es war eine sehr unschöne Szene gewesen, die er Yurio am liebsten erspart hätte. Der Mann seiner Tante hatte nur dabeigesessen und auch, wenn Victor an seinen Augen hatte sehen können, dass er nicht unbedingt ihrer Meinung war, hatte er geschwiegen. Hatte geschwiegen, als sie ihn als krank bezeichnet hatte. Hatte betreten nach unten gesehen, als sie ihm sagte, er solle sich dagegen behandeln lassen. Hatte nicht aufgeschaut, als sie ihm sagte, dass er nicht mehr ihr Sohn sei. Hatte ihn nicht angesehen oder war ihm gefolgt, als er daraufhin aus dem Haus gegangen war. Er wusste nicht, was an diesem Tag mehr weh getan hatte. Waren es all die vergeudeten Jahre gewesen, in denen er versucht hatte, seine Tante Jewdokija alles recht zu machen, obwohl ihr mehr als nur ein paar Mal die Hand ihm gegenüber ausgerutscht war? Waren es die Worte und der Hass gewesen, den sie ihm plötzlich entgegengebracht hatte? Oder war es einfach nur die selbst gewählte Tatenlosigkeit seines Onkels gewesen?
 

Heute konnte er das nicht mehr sagen. Vielleicht war es auch die Sorge um seinen Bruder gewesen. Doch er wusste, dass er nichts hätte tun können. Außer Zuflucht bei Yakov zu suchen, der zwar nicht immer alles gutgeheißen hatte, was er getan hatte, aber doch immer hinter ihm stand. Doch er hatte eine Schwäche für seine Schwester Dunjascha, wie er sie oftmals liebevoll nannte. Ob er wusste, dass sie ein jähzorniger und ungerechter Mensch war oder wollte er es einfach nur nicht so recht wahrhaben? Jedenfalls hatte er Yakovs Entsetzen darüber in seinen Augen erkennen können, als er ihm jedes kleine, noch so bittere Detail ihrer Auseinandersetzung erzählt hatte. Sie hatten in seiner kleinen Wohnung bei einem Kaffee mit Watrushki, kleine Quarktaschen mit einer Obstfüllung, gesessen. Yakov hatte sie schnell in einer russischen Bäckerei um die Ecke geholt, als Victor unangemeldet in der Tür stand und wahrscheinlich so durchgeschüttelt ausgesehen hatte, als hätte er gerade den Geist von Katharina der Großen gesehen. Er hatte einfach Victors Worte gelauscht. Keine Fragen, keine Einwürfe, keine Vorwürfe, kein Laut. Nichts. Doch als Victor endlich von seiner Kaffeetasse aufgeschaut hatte, ohne auch nur sein Watrushki vor sich angefasst zu haben, hatte er den Schock in Yakovs blauen Augen gesehen.
 

Vielleicht waren sie an diesem Tag das erste und einzige Mal wirklich aufrecht zueinander gewesen. Victor hatte sich bei alldem Luft verschafft, was ihn die Jahre belastet hatte und in Yakovs Umarmung hatte er sich plötzlich sicher und geborgen gefühlt. Einen Tag vorher hätte er niemals geglaubt, dass er sich noch einmal so klein und hilflos fühlen würde, einen Tag später lehnte er seinen Kopf gegen die breite Schulter seines, augenscheinlich immer mürrischen, Onkels und versuchte die Scherben seines Lebens wieder zusammenzufügen. Er hatte ihm versichert, dass er alles klären würde und dass er immer in der Familie willkommen war, doch immer noch vermied er das Haus seiner Tante, wann immer er nur konnte. Und auch wenn sich Yakov wünschen würde, dass er sich einen Ruck gab, nahm er ihm es auch nicht übel, dass er für ebendiesen Ruck noch ein wenig Zeit brauchte. Vielleicht, aber nur vielleicht, gab ihm Yūri die Kraft, die ihm bisher dazu gefehlt hatte.
 

Der Gedanke an Yūri holte ihn zurück in die Gegenwart. Er blickte auf das Kalbfleisch vor ihm auf dem Schneidebrett. Es war ein Spontankauf gewesen, als er es in der Metzgerei gesehen hatte. „Frisches Kalbsfleisch aus Holland, so eine Qualität findest du hier sonst nicht. Die Amerikaner haben keine Ahnung von Kalbsfleisch“, hatte der Metzger ihm zugezwinkert. Chris hatte ihm diese Metzgerei gezeigt. Und auch, wenn die Qualität des Fleisches unbestreitbar gut war, wurde Victor das Gefühl nie los, dass er nur dort gelandet war, weil der Metzger ebenfalls Schweizer war. Mit dem, ziemlich teuren, Kalbsfleisch gab es dazu aber noch ein Rezept für Züricher Geschnetzeltes, welches angeblich von der Mutter kam und garantiert gelingen würde. Vielleicht hatte sich Victor wieder bequatschen lassen, doch er schob lieber vor, dass der Kauf von dem Wunsch kam, Yūri zu beeindrucken. Es war ihm wichtig, dass sich der Abend für Yūri lohnen würde. Immerhin hatte er hart gearbeitet und hätte sicherlich nichts gegen einen gemütlichen Abend alleine auf der Couch. Also sollte er auch dafür belohnt werden, dass er sich stattdessen noch einmal frisch machte und zu ihm kam. Entschlossen begann er, das Fleisch in dünne Streifen zu schneiden und hoffte, dass er diesmal mit seiner Kochkunst punkten konnte.
 


 

Als Yūri frischgeduscht auf dem Weg zu Victor war, hatte seine Neugierde auf den Abend schon ein wenig überhandgenommen. Zwar war er ziemlich müde und ausgelaugt, aber die Chance auf einen Abend mit Victor würde er niemals verstreichen lassen. Er war gespannt, was er kochen würde, doch ehrlich gesagt würde er sich auch mit einer Dose Ravioli oder Mac and Cheese aus der Packung zufriedengeben. Doch er kannte Victor mittlerweile gut genug, dass er mit keinem einfachen Essen rechnete. Tatsächlich sogar begann er sich dafür auszuschimpfen, dass er sein Sportprogramm in letzter Zeit sträflich vernachlässigt hatte. Er neigte dazu, schnell zuzunehmen und auch wenn er im Ausgleich zu den üppigen Essen mit Victor weniger tagsüber zu sich nahm, machte es sich langsam ein wenig bemerkbar. Festentschlossen, den freien Sonntag für eine ausgedehnte Joggingrunde zu verwenden, drückte er die Klingel zu Victors Wohnung. Der Öffner summte fast augenblicklich und wie bei ihrem letzten gemeinsamen Abendessen stand die Wohnungstür auf. Doch dieses Mal sah er Victor nicht panisch den Rauch wegwedeln, sondern bereits den Tisch decken.
 

Er sah eine Schale Salat und es roch ausgesprochen gut. Doch wonach genau, konnte sein müdes Hirn nicht ganz enträtseln. Victor blickte auf, als Yūri die Tür hinter sich schloss und lächelte ihn an. „Любимый!“, rief er schon fast und hatte ihn mit wenigen Schritten erreicht, noch bevor Yūri seine Jacke ganz ausziehen konnte. Doch Victor gab ihm die Zeit, seine Schuhe und die Jacke auszuziehen, hängte seine Jacke an die Garderobe und zog ihn dann an sich. „Wie war dein Arbeitstag?“, fragte er zwischen zwei Küssen und löste sich dann mit einem schiefen Grinsen von ihm. „Anstrengend. Ziemlich chaotisch, aber wenn ich Glück habe, ein größerer Auftrag. Das entscheidet sich hoffentlich am Montag.“ Yūri entschied sich für einige Informationen, ohne zu tief ins Detail zu gehen. Zum einen sorgte er sich darum, Victor damit zu langweilen und zum anderen wusste er nicht, wie viel Victor am Montag auf der Arbeit über das Serverproblem erfahren würde.
 

Doch Victor schien zu verstehen, dass er nicht viel darüber reden wollte und er war dankbar dafür. Stattdessen nahm Victor seine Hand und zog ihn zum Tisch. „Ich hoffe, du magst Züricher Geschnetzeltes mit Kartoffelrösti“, sagte er und Yūri legte den Kopf schief. „Keine Ahnung, aber es riecht gut.“
 


 

Während Yūris Augen immer schwerer wurden, ging ihm durch den Kopf, dass er sich daran wirklich gewöhnen könnte. Abendessen mit seinem Liebsten und dann gemeinsam auf dem Sofa den Abend ausklingen lassen. Allerdings musste das Abendessen dann nicht in einem verkappten Sternemenü enden. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals Kalb gegessen zu haben. Seine Mutter hatte immer viel mit Schwein, weniger mit Rind gekocht. Aber Kalb war ganz sicher nicht mit dabei gewesen. Und nach seinem Umzug in die USA war er auch noch nicht wirklich dazu gekommen. Er bekam nur wenig Gelegenheit, europäische Gerichte zu probieren, aber er mochte sie. So, wie er eigentlich fast jedes Essen mochte. Aber die europäische Küche hatte neuerdings mehr Interesse in Yūri geweckt, denn auch wenn Yūri wusste, dass russische Küche nicht gleich europäische Küche war, kam sie zumindest dem näher als es die asiatische oder amerikanische Küche würde.
 

Seine Gedanken schweiften von dem Film ab, während seine Augenlider immer schwerer wurden und sein Kopf auf Victors Schulter ruhte. Er schreckte nur ein klein wenig auf, als die flackernden Bilder auf einmal erloschen und er Victors Hand auf seiner Wange fühlte. „Willst du hier übernachten, Любимый?“, fragte Victor leise, bevor Yūri seine Lippen auf seiner Stirn spürte. Er nickte nur matt und ließ sich von Victor von der Couch hochhelfen. Schlaftrunken taumelte Yūri Victor hinterher, der wie am Anfang wieder seine Hand genommen hatte und ihn hinter sich herzog. Yūri war dankbar dafür, denn er befürchtete sonst, gegen Möbelstücke oder Wände zu rennen. Doch nachdem sie sich ‚bettfertig‘, wie es Victor genannt hatte, gemacht hatten, war er wenigstens wieder halbwegs bei Sinnen. Doch Victor ließ seine Hand immer noch nicht los und führte ihn so in sein Schlafzimmer.
 

Yūri mochte Victors Wohnung sehr und gerade das Schlafzimmer strahlte eine besondere Atmosphäre für ihn aus. Es war stilvoll, doch ohne diesen Katalog-Flair. Im Katalog sah vieles gestellt und ein wenig entrückt aus. Victors Schlafzimmer hingegen lud einen schon fast mit dem Versprechen, eine erholsame Nacht zu haben, ein. Doch neben dem Nachttisch auf dem Boden erkannte Yūri den Adventskalender von Alan. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass Victor sich vielleicht von dem Abend noch mehr versprach, als nebeneinander zu schlafen. Doch Yūri war sich nicht sicher, ob er dazu in der Lage oder in der Stimmung war. Andererseits hatte sich Victor so viel Mühe gemacht, da konnte er ihn schlecht abweisen. Oder? Doch Victor gab ihm keine Möglichkeit, genauer darüber nachzudenken, denn er zog ihn schon mit sich in Richtung Bett. „Sollen wir noch den Kalender aufmachen?“, fragte er und blickte Yūri über die Schulter fragend an. Yūri nickte nur, nicht in der Lage, Worte zu formen.
 

Sie saßen nebeneinander auf dem Bett und Victor griff nach dem Kalender. „Möchtest du?“, fragte er, doch Yūri schüttelte nur mit dem Kopf, immer noch am Versuchen, wie er Victor möglichst schonend beibringen konnte, dass er tatsächlich nur schlafen wollte. Er hörte, wie Victor die kleine Schachtel mit der Nummer eins öffnete. „Gleitgel mit Sandelholzduft“, stellte er danach ziemlich direkt fest. Yūri schaute auf die kleine Tube in Victors Hand und runzelte die Stirn. „Was? Hattest du mehr erwartet?“, fragte nun Victor lachend. „Ähm… nein… Aber irgendwie…“, Yūri schüttelte den Kopf. Ja, was hatte er eigentlich erwartet? „Ich vermute, im Kalender werden sowohl praktische Sachen für jeden Gebrauch, als auch etwas ausgefallenere Sachen drin sein. Oder wartest du auf etwas Bestimmtes? Handschellen? Augenbinde?“, zwinkerte Victor. „Vielleicht einen Knebel“, grinste Yūri matt, worauf Victor noch lauter lachte. „Der Punkt geht an dich, Любимый. Dann wollen wir dich mal aus den Klamotten rausholen“, kündigte er an.
 

Sofort spürte er Victors Finger an seiner Hose. „Victor, ich…“, begann Yūri und legte seine Hände auf Victors, war jedoch nicht in der Lage in seine Augen zu blicken. Victor lachte leise und küsste ihn kurz auf den Mund. „Keine Sorge, Любимый. Das war mir schon klar, als du die Wohnung betreten hast. Du hattest einen anstrengenden Tag, das verstehe ich. Aber in Jeans schläft keiner in meinem Bett“, sagte er und küsste ihn dann noch einmal auf die Stirn. Yūri seufzte und ließ zu, dass Victor ihm beim Ausziehen half. Kurz darauf verschwand Victor in seinem Ankleideraum und kam mit einem T-Shirt zurück. Es war Yūri ein wenig zu groß, roch nach Victor und war perfekt zum Schlafen. So eingehüllt von Victor dauerte es nicht lange, bis Yūri tief und fest schlief.

Guten Morgen!

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Der Name

Yūri war überrascht, wie lange sie alle gemeinsam am Frühstückstisch gesessen und geredet hatten. Es war ein gemütliches Frühstück gewesen, während sie über die verschiedensten Sachen geredet hatten. Victor und Yurio hatten irgendwann angefangen, sich aufzuziehen. Somit war es nicht nur eine sehr lustige Mahlzeit geworden, sondern er hatte auch noch etwas über den jüngeren Victor erfahren. Yurio hatte ihm haargenau geschildert, wie er vor Freude geweint hatte, als er Makkachin bekommen hatte. Victor hingegen ließ sich danach nicht nehmen, genauestens auszuführen, dass Yurio danach lange Zeit eingeschnappt gewesen war. Zudem hätte er immer, wenn er etwas haben wollte und es nicht bekommen hatte, in den Raum geführt, dass Victor einen Hund bekommen hatte. Yurio war schon bei den Schilderungen rot angelaufen, während sich Otabek krampfhaft ein Grinsen verkneifen musste. Aber natürlich musste Victor noch einen draufsetzen, in dem er meinte, als Yurio Potya endlich bekommen hatte, wäre er völlig in Tränen aufgelöst gewesen. Um seine Aussage zu unterstreichen, zeigte er ein Youtube-Video von einem Mädchen, dass völlig in Tränen aufgelöst war, nachdem es ein Kätzchen in ihrem Zimmer vorgefunden hatte*.
 

Yūri hatte Otabeks eiserne Disziplin bewundert, denn er hatte bei Victors blumigen Schilderungen und Yurios Gesicht bereits zwei Mal ein wenig die Fassung verloren und laut losgelacht. Das hatte ihm natürlich wieder den ein oder anderen bösen Blick von Yurio eingehandelt. Aber wenigstens hatte er vorweg erfahren können, dass der Laptop vollkommen zu Yurios Zufriedenheit war und er hatte sich sogar bedankt. Natürlich hatte es dazu geführt, dass Victor wieder darauf bestehen wollte, die Kosten für den Laptop zu übernehmen. Dem konnte Yūri nur gerade so ausweichen. Natürlich hatte er dafür Teile verwendet und ein paar Kosten gehabt, allerdings hatte er vieles davon einfach noch zu Hause gehabt und so hatte er am Ende nur kleine Ersatzteile neu kaufen müssen und vor allem Zeit darin investiert. Allerdings wusste Yūri genau, dass wenn er es Victor so erzählen würde, er Yūris Stundenlohn wissen wollte. Also drehten sie sich vermutlich noch eine Weile bei diesem Thema im Kreis und Yūri musste einfach hoffen, dass Victor sich mit seiner Antwort begnügte oder nicht vollkommen übertrieb, was eine mögliche Vergütung für Yūri anging.
 

Am frühen Nachmittag löste sich ihre Frühstücksrunde erst auf, sodass Yūri und Victor beschlossen, noch eine Runde mit Makkachin zu gehen. Es war zwar ein kalter Wintertag, doch die Sonne schien und machte die Kälte ein wenig erträglicher. Auch die Wärme, die über Victors Handfläche ausging, bereitete Yūri wohlige Gänsehaut. So spazierten sie etwas mehr als eine Stunde durch den Park und die Umgebung, während Makkachin an der Leine fröhlich herumsprang. Manchmal merkte man überhaupt nicht, dass Victors Hund nicht mehr der Jüngste war, stellte Yūri erfreut fest. Das war sicher ein Zeichen für die gute Pflege durch Victor. „Vitya? Ich sollte mich wohl langsam auf den Weg nach Hause machen. Ich muss noch etwas für die Uni und für den Auftrag morgen vorbereiten, falls ich ihn bekomme“, sagte Yūri widerwillig. Am liebsten wäre er den ganzen Tag noch so mit Victor umhergeschlendert. Victor seufzte nur, nickte aber. „Schade, aber das geht natürlich vor“, sagte er und lächelte Yūri schief an. Doch bevor Yūri etwas erwidern konnte, blickte sich Victor um und deutete auf die andere Straßenseite. „Das Café dort hat letzte Woche aufgemacht. Sollen wir noch einen Kaffee trinken, dann bringen Makkachin und ich dich nach Hause?“, fragte er.
 

Yūri schaute zu dem kleinen Café hinüber. Von weitem sah es ganz nett aus und noch einen Kaffee vor den stupiden Ausführungen für die Uni klang mehr als reizvoll. Außerdem waren das noch ein paar zusätzliche Minuten mit Victor zusammen, also eine klassische Win-Win-Situation. „Gerne“, sagte er, als ihm auffiel, dass er Victor noch eine Antwort schuldig war. Dieser fackelte nicht lange und zog ihn an der Hand über die Straße. Die Sonne spiegelte sich in der Fensterfront, sodass Yūri die Augen zusammenkneifen musste. Da Victor ihm aber die Tür aufhielt, musste er gar nicht erst mit halb geschlossenen Augen nach dem Eingang suchen. Er trat über die Türschwelle und blinzelte ein paar Mal. „Heilige Scheiße… Vitya… Hast du schon einmal so eine Inneneinrichtung gesehen?“, fragte er verwundert, während er sich umschaute.
 

Victor war nach ihm eingetreten, hatte seine Hand auf Yūris Rücken gelegt. Yūri wünschte sich kurz, dass er keine dicke Jacke tragen würde und so die Wärme von Victors Hand durch den Stoff seines Pullovers spüren konnte. Doch das lenkte Yūri nicht komplett von der Einrichtung ab, denn er hatte das Gefühl, plötzlich in einem Gewächshaus zu stehen. Der zweite Blick verriet jedoch, dass die Bäume nicht echt waren. Hier und da versteckte sich eine Orang-Utan-Attrappe hinter einem Baumstamm oder anderer Einrichtungsgegenstände. Ein Schild an der Theke erklärte den Hintergrund: Das Café warb damit, direkt mit Kaffeebauern aus Sumatra zusammenzuarbeiten und dort ökologische und nachhaltige Projekte zu unterstützen. Außerdem rösteten sie ihren Kaffee selbst. Yūri war diesem ganzen Trend ein wenig skeptisch gegenüber geworden, denn so viele Firmen warben mittlerweile mit solchen Versprechen und schlussendlich kam nicht viel bei den Leuten an, die es wirklich hätten brauchen können. Dennoch konnte ein Blick in die Infobroschüren, die fast überall auslagen, sicherlich nicht schaden.
 

Es war ein typisches Selbstbedienungscafé, wie es sie seit Starbucks öfters gab. Doch auch das musste nicht zwangsläufig gegen diesen Laden sprechen. Yūri blickte zur Theke, ein Mitarbeiter sah sie bereits erwartend an und schenkte Yūri ein strahlendes Lächeln. Es war ein großer, junger Mann mit dunkelblonden Haaren und braun gebrannter Haut. Er sah nicht schlecht aus, wirkte aber in diesem Laden vielleicht ein wenig deplatziert. Seine Augen fixierten Yūri und machten ihn ein wenig unbehaglich, während er scheu zurück lächelte. „Such doch schon einmal einen Platz für uns aus, ja? Ich bestelle für uns. Was möchtest du?“, hörte er Victors Vorschlag. „Das klingt gut. Ich nehme einen Cappuccino mit Schokoladen-Sirup“, entschied er sich spontan. Doch auch Victors Haltung hatte sich ein wenig geändert. Er fragte sich, ob ihm etwas an dem Laden nicht gefiel oder was der Grund dafür sein konnte. Was ging wohl gerade in seinem Kopf vor?
 


 

Es war Victor nicht entgangen, wie der Barista Yūri anlächelte. Flirtend anlächelte. Verführerisch anlächelte. Keine Chance, dass Victor Yūri nur in die Nähe von ihm lassen würde. Also schlug er gleich zwei Fliegen mit einer Klapp: Er zahlte die Getränke, ohne mit Yūri diskutieren zu müssen und konnte ihn auch von diesem komischen Schmierlappen fernhalten. Es passierte ihm wirklich selten, dass er direkt von Anfang an eine solche Antipathie für jemanden verspürte. Er atmete kurz durch und sagte dann: „Such doch schon einmal einen Platz für uns aus, ja? Ich bestelle für uns. Was möchtest du?“ Yūri riss seinen Blick von diesem eigenartigen Barista weg und schaute ihn an. „Das klingt gut. Ich nehme einen Cappuccino mit Schokoladen-Sirup“, hörte er ihn dann sagen. Es klang nicht sonderlich überzeugt, aber vermutlich war es eine solide Wahl. Auch wenn der Kaffee nicht der aufwändigen Aufmachung entsprechen sollte, ein Schoko-Cappuccino schmeckte sogar in der Instant-Variante ganz brauchbar.
 

Er blickte Yūri kurz hinterher, wie er sich mit Makkachin in eine der Ecken des Cafés aufmachte. Der Typ war so darin vertieft, Yūri hinterher zu starren, dass er scheinbar gar nicht merkte, dass Victor an die Theke herangetreten war. Während er sich vorstellte, den Kopf des Baristas mit wachsender Begeisterung gegen das polierte Holz der Theke zu hämmert, räusperte er sich laut und eine Spur unhöflich. Ertappt wandte sich der Barista zu ihm um, grinste ein wenig dämlich, hatte aber wenigstens den Anstand, ein wenig zu erröten. Die Röte in seinem Gesicht stand ihm aber nicht einmal ansatzweise so gut, wie es bei Yūri der Fall war. Ohne dass er es wollte, addierte es sich nur noch zu seinem bereits vorhandenen Ärger. Er blickte kurz auf das Schild mit dem Namen ‚Jonathan‘.
 

„Was kann ich für dich tun?“, fragte Jonathan und blickte Victor mit einem etwas gequälten Lächeln an. Du kannst dich verpissen, dachte Victor, sagte stattdessen aber: „Einen Schoko-Cappucchino und einen Karamell-Macchiato. Zum Mitnehmen.“ Victor war normalerweise ein höflicher Mensch. Vor der Bestellung grüßte er, nach einer Bestellung sagte er ‚bitte‘ und beim Erhalt bedankte er sich artig. Eine gewisse Höflichkeit musste eben sein. Doch Jonathan hatte angefangen und er konnte das Spiel auch spielen. Der Barista nickte und stellte zwei Becher vor sich auf die Theke. Er griff zu einem schwarzen Edding und schaute ihn erwartungsvoll an. Wollte er ernsthaft seinen Namen? Er war der Einzige, der gerade etwas bestellte! Plötzlich verstand Victor, was der Reiz darin war, so oft zu fluchen, wie sein Bruder. Sicherlich war es ungemein befreiend, vor allem in solchen Situationen. Er überlegte gerade, ob er ihn unhöflich zurechtweisen sollte, als Jonathan fragte: „Können sie mir ihren Namen nennen?“
 

„Victor“, sagte er eisig. Immerhin wollte er keinen Aufstand proben. „Danke… ähm… und für den zweiten Kaffee?“, fragte Jonathan dämlich und lachte ziemlich verlegen. „Der Kaffee ihrer Begleitung? Wie ist sein Name? Ich meine… Welchen Namen soll ich auf den Becher schreiben?“ Victor blinzelte ihn an und war sich nicht sicher, ob ihm seine Gesichtszüge mittlerweile komplett entglitten waren. Es war ja nicht so, als hätte er nicht vorher schon diesen – nicht mehr ganz leisen – Verdacht gehabt. „Victor“, sagte er mit fester Stimme und blickte ihn warnend an. „Ah, richtig. Ok…“, damit machte sich Jonathan daran, ihre Bestellung zuzubereiten. Auf der Kasse stand der zu zahlende Betrag und Victor zählte zwei Mal, damit er ja kein Trinkgeld gab. Ohne ein weiteres Wort schnappte er sich beide Becher, sobald sie auf der Theke standen und drehte sich um. Natürlich nicht, ohne noch einmal auf die Becher zu starren, auf denen ordnungsgemäß jeweils einmal ‚Victor‘ stand. Erst danach fiel ihm ein, dass der Barista sicherlich nicht wusste, welcher Kaffee für Yūri bestimmt war.
 

Als Yūri von seinem Platz aufschaute, zog er fragend die Augenbrauen zusammen. Victor wusste sofort, was Yūri damit ausdrücken wollte. „Ich war mir nicht so sicher, ob du wirklich hier rumsitzen möchtest oder lieber auf dem Weg nach Hause trinken möchtest. Ich habe dich immerhin schon ziemlich lange belagert“, lachte er. Mit einem Mal war ihm sein Benehmen ein wenig peinlich. Hatte er nicht mehr Vertrauen in Yūri und sich? Um ehrlich zu sein, in Yūri ja. Aber er konnte manchmal wirklich dämlich sein und über das Ziel hinausschießen. Es nagte manchmal an ihm, dass er Yūri ihm schlimmsten Fall damit vergraulen könnte. Yūri zog fragend eine Augenbraue hoch. Victor war sich ziemlich sicher, dass er ihn durchschaut hatte. Doch statt weiter zu fragen, stand er auf und nickte. „Draußen ist es auch viel zu schön, um die Zeit drinnen zu vergeuden“, lächelte er und streckte seine Hand nach einem Becher aus. Erleichtert gab er Yūri seinen Cappuccino.
 


 

Victor hatte sich komisch verhalten, seit sie den Laden betreten hatten. Jetzt, wo sie wieder im Freien waren, schien er allerdings wieder entspannter. „Was war los, Vitya?“, fragte er nach seinem ersten Schluck Schoko-Cappuccino und verzog den Mund. Viel zu süß, da hatte einer mit Sirup nicht gegeizt. Es schmeckte komisch chemisch und hinterließ ein eigenartiges Gefühl im Mund. „Was meinst du, Любимый?“, fragte Victor, doch sein Ton klang eher ertappt als fragend. „Du weißt genau, was ich meine, Vitya“, Yūri wandte seinen Kopf zu Victor, um ihn direkt ansehen zu können. „Der Barista…“, maulte Victor kleinlaut. „Der Barista? Was war mit ihm?“, Yūri runzelte mit der Stirn, er konnte sich keinen Reim darauf machen. „Er hat mit dir geflirtet! Von Anfang an! Er hat mich sogar nach deinem Namen gefragt!“, jetzt klang Victor ein wenig genervt. Etwas, was Yūri nur selten erlebt hatte. „Geflirtet? Er war nur nett! Und man schreibt die Namen der Kunden auf die Becher, dass soll irgendeine Strategie zur Kundenbindung sein. Das macht Starbucks doch auch“, Yūri verstand nicht ganz, doch er merkte, dass Victor mit dem Ganzen irgendein Problem hatte.
 

„Ich weiß“, seufzte er theatralisch und fuhr sich mit der freien Hand durch die Haare. „Aber glaub mir, das war anders. Er hat dir hinterhergeschaut und mich erst überhaupt nicht beachtet. Das hat mich geärgert…“, Yūri hörte Victor schnaufen, bevor er fortfuhr: „Ich weiß, ich habe keinen Grund, so darauf zu reagieren… Aber irgendwie…“ Jetzt tat ihm Victor schon ein wenig leid. Konnte es etwa sein, dass er ein klein wenig eifersüchtig war? Es war nicht so, sodass Yūri Eifersucht wirklich mochte, er hatte schon viel zu viele zwischenmenschliche Dramen deswegen miterlebt, aber irgendwie machte ihn es auch ein wenig glücklich. Victor war wegen ihm eifersüchtig. Dieser unglaublich gutaussehende Mann, der offensichtlich sein ganzes Leben im Griff hatte, war wegen ihm eifersüchtig. Er, der so ziemlich das genaue Gegenteil von Victor war. Er musste sich ein Grinsen verkneifen. Er nahm Victors Hand und verschränkte ihre Finger. Das bedeutete zwar, dass er nun Makkachins Leine in der Hand mit dem Kaffeebecher halten musste, aber der Kaffee war bei weitem nicht so gut, wie die Wärme von Victors Handfläche.
 

„Keine Sorge, ich stehe mehr auf große Grauhaarige, die langsam eine Glatze kriegen“, zwinkerte Yūri ihm zu. Er wollte, dass Victor aufhörte zu schmollen. Victor blieb stehen, zwang ihn durch ihre verschränkten Hände auch zum Stoppen und schaute ihn mit gespielter Empörung an. „Ich? Bald eine Glatze?“, fragte er ungläubig. Schon vorher hatte Yūri das Gefühl gehabt, dass es tatsächlich ein kleines Thema bei Victor war. Um nicht noch mehr Salz in die Wunde zu reiben, zuckte er mit den Schultern. „Na und? Ich werde im Alter vermutlich fett werden“, sagte er mit einem schiefen Grinsen, war sich dabei aber mehr als bewusst, dass Figurprobleme ihn bis ans Ende seiner Tage plagen würden. Selbst jetzt hatte er wieder einige Kilo zugenommen und musste dringend, wirklich ganz dringend, mal wieder den Allerwertesten hochbekommen, um ein wenig Sport zu machen. Victor grinste und nickte. „Dann lass uns gemeinsam kahl und fett werden“, lachte er vergnügt. „Außerdem ist der Kaffee nicht gut genug, um uns langfristig mit dem Barista auseinanderzusetzen“, verzog Victor sein Gesicht nach einem Schluck seines Kaffees. „Du sagst es!“

Frustration

Als Victor die Tür seiner Wohnung hinter sich schloss und Makkachins Leine an ihren Haken hing, seufzte er tief. Er spielte kurz aber ernsthaft mit dem Gedanken, sich mit dem Rücken an der Tür heruntergleiten zu lassen, aber entschied sich dann dagegen. So erbärmlich wollte er noch nicht zeigen, dass er am Rande eines Nervenzusammenbruchs war. Es war wirklich seltsam und er verstand sich und seinen Körper nicht so richtig. Er hatte schon längere Zeit ohne Sex überstanden und war nicht ansatzweise so verzweifelt gewesen. Und doch war Yūris Präsenz immer verführerisch, reizend und ein Stück weit auch erregend. Oder es waren seine Fantasien, die alleine schon beim bloßen Gedanken an Yūri schier durchdrehten, warf Victor in seinen eigenen, verzweifelten Monolog ein.
 

Makkachin kam von seiner Futterstelle vor der Küche, wo er gerade wohl seinen Durst gelöscht hatte, und blieb ein wenig unschlüssig vor ihm stehen. Als er seinen Kopf schon fast fragend zur Seite neigte, streckte Victor seine Hand nach ihm aus und kraulte seinen Kopf. Makkachin schien entschieden zu haben, dass die komische Laune seines Herrchens nichts an der Qualität seiner Streicheleinheiten änderte, und so ließ er sich vor Victor nieder, legte seinen Kopf auf Victors Oberschenkel und sah ihn von unten aus an. Victor konnte die Bitte in seinem Blick lesen: Hör nicht auf zu kraulen. Und da Victor zufälligerweise gerade nichts Besseres zu tun hatte, hörte er nicht auf. Er sprach dabei leise zu seinem Hund, redete belangloses Zeug daher und bekam manchmal einen kleinen Laut als Antwort.
 

Victor wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er etwas unangenehmes im Rücken spürte. Etwas, das ihn irgendwie nach vorne drückte. Erst Yurios Stimme im Flur, natürlich beim Herauslassen eines besonders kreativen Fluchs für den seine Tante Yurios Mund vermutlich mit Kernseife ausgewaschen hätte, ließ ihn verstehen, was da gerade passierte. Yurio wollte in die Wohnung. Aber er bekam die Tür nicht auf. Weil er, wer weiß wie lange schon, in Jacke und Schuhen und allem Drum und Dran, auf dem Boden saß und die Tür als Rückenlehne zweckentfremdete. „Warte kurz, Yurio. Ich bin sofort weg“, schnaubte er und richtete sich langsam auf. Erst jetzt merkte er, wie steif seine Beine waren und wie weh sein Hintern tat. Er hatte ihn wohl förmlich platt gesessen. Er öffnete die Tür und sah Yurio an, der seine Stirn in Falten gelegt hatte und ihn komisch ansah. „Ah, du gehst mit Makkachin noch mal eine Runde vor dem Abendessen?“, fragte er dann und schien zu ignorieren, was ihn verwirrte. Was auch immer es war.
 

Victor guckte zu Makkachin, der brav neben ihm saß und wieder zu ihm hochschaute. „Ähm, ja“, sagte er und griff wie im Halbschlaf nach der Leine am Haken. Denn warum nicht? Es war einige Zeit vergangen und vielleicht tat ihm frische Luft und die Bewegung ganz gut. Vor allem nachdem er so unbequem auf dem Holzboden gesessen hat. Yurio ging an ihm vorbei und in die Wohnung, blieb dann aber noch einmal stehen, bevor sich Victor in Bewegung setzen konnte. „Aber du machst trotzdem Abendessen, oder?“, hakte er noch einmal nach. Victor rollte mit den Augen. Warum konnte er nicht einfach mal selbst kochen oder sich ein Brot schmieren? Victor ließ ein Schnauben heraus, bevor er schlussendlich nickte. „Es gibt aber nur Sandwiches“, sagte er dann aber noch, denn wirklich viel hatten sie nicht mehr im Kühlschrank. Victor musste unbedingt einkaufen gehen. Am liebsten würde er es Yurio überlassen, aber der konnte sich gefühlt einen ganzen Monat von Cornflakes ernähren. Und dann am liebsten noch die mit Zimt. Victor lief es kalt den Rücken herunter. Wenn er in dem Glauben aufgewachsen wäre, dass sie ‚echte‘ Brüder wären, wäre ihm an dem Tag, an dem Yurio Zimt-Cornflakes für sich entdeckt hatte, wirkliche Zweifel gekommen.
 

„Steak and Cheese?“, fragte Yurio hoffnungsvoll und Victor überlegte kurz, ob er ihm diesen Wunsch erfüllen konnte. Er hatte definitiv kein Steak mehr im Kühlschrank, aber vielleicht im Tiefkühlfach? Er war sich ziemlich sicher, dass dort auch nichts mehr war. Er könnte eventuell noch in einen 7-Eleven gehen oder fahren. Andererseits… es gab noch genug andere Dinge, die man auf ein Sandwich legen konnte. „Wir haben Schinken, Käse und Thunfisch da. Wenn du Steak willst, kannst du dir eins besorgen“, beschloss Victor. Yurio war schon stellenweise verzogen genug. „Thunfisch ist fein“, antwortete Yurio schon fast desinteressiert, zuckte mit den Schultern und drehte sich um. Victor schüttelte nur mit dem Kopf, als er die Wohnung verließ und staunte über sich selbst, dass er den ganzen Nachmittag damit verbracht hatte, auf dem Boden zu sitzen und sinnlos vor sich her zu grübeln.
 


 

Yūri rannte wie in aufgeschrecktes Huhn durch seine Wohnung. „Schulsachen, Ordner mit der Liste für Feltsman, Wasser, Mittagessen, Abholschein für die bereits genehmigten Hardware-Teile…“, er schaute sich um, ob ihm spontan noch etwas ein- oder auffiel. Dann glitt sein Blick auf die Uhr und er schreckte zusammen. „Scheiße, scheiße, scheiße“, murmelte er hektisch vor sich hin, bevor er schnell alles zusammenpackte, seine Schuhe anzog und im Eiltempo seine Wohnung verließ. Er musste sich beeilen, wenn er noch pünktlich zur ersten Vorlesung kommen wollte. Ausgerechnet diese wurde von einem Professor geleitet, der sehr viel wert auf Pünktlichkeit und Ordnung gab. Würde er zu spät kommen, würde ihm für die nächste Zeit die Rolle des Sündenbocks zugeteilt werden. „Keiner kennt die Antwort? Auch nicht unsere Schlafmütze, die es nicht nötig hat, pünktlich zu erscheinen?“ „Die Kopien müssen ausgeteilt werden, das ist eine perfekte Aufgabe für unsere Schlafmütze, denn das bringt den Kreislauf in Schwung!“ „Ich benötige noch Materialien aus dem Vorführraum. Meldet sich wer freiwillig? Ah, genau. Unsere Schlafmütze!“
 

Yūri kannte dieses Prozedere, das immer so lange anhielt, bis sich der nächste einen Fehltritt erlaubte. Sobald das passierte, konzentrierte sich der Professor immer auf sein nächstes Opfer. Bisher hatte es Yūri geschafft, nicht aufzufallen. Doch heute würde es ganz schön eng werden, daher schickte er bereits mehrere Stoßgebete in den Himmel, bevor er auch nur sein Auto gestartet hatte. Er fuhr vielleicht ein bisschen zu schwungvoll aus der Parklücke heraus und hielt sich vielleicht auch nicht ganz an die Geschwindigkeitsbegrenzungen, auch wenn er natürlich nicht raste. Keine Vorlesung der Welt war es wert, das Leben anderer Verkehrsteilnehmer oder sein eigenes zu gefährden. Dafür gab es generell keinen Grund. Ein Lächeln huschte ihm über das Gesicht, als ihm die Ironie des Ganzen auffiel. Immerhin hatte er Victor durch einen Unfall ‚richtig‘ kennengelernt. In Anbetracht der Tatsache, dass keiner von ihnen Verletzungen davongetragen hatten und nur Blechschaden entstanden war, war dies vielleicht der einzige Grund, den er gutheißen würde. Nicht, dass er es irgendwem zur Nachahmung empfehlen würde.
 

Doch scheinbar war ihm das Glück nach diesem missglückten Start in den Tag doch nicht ganz ausgegangen, denn gerade als er auf den Parkplatz zusteuerte, der am Nächsten zu seiner Uni lag, fuhr gerade jemand aus einer Parklücke. Yūri ließ sich natürlich nicht zwei Mal bitten und parkte mit einem erleichterten Seufzen ein. Er schnappte sich seine Tasche und die Wasserflasche und ging dann schnellen Schrittes zum Vorlesungssaal. Er blickte kurz auf sein Handy, er hatte noch knapp 5 Minuten, der Weg zum Saal würde ihn aber maximal 3 Minuten kosten. Er sah die ungelesene Nachricht auf seinem Handy und wusste, dass sie eigentlich nur von Victor kommen könnte. Seit sie zusammen waren, schrieb er ihm jeden morgen eines Arbeitstags und fragte ihn, wie er geschlafen hatte, wünschte ihm viel Erfolg in seinem Tag und ermahnte ihn, auch mal eine Pause zu machen. Es gab Sätze, die in jeder Nachricht vorkamen, wie eine liebgewonnene Routine. Trotzdem gab es auch immer neue Abschnitte, manchmal erzählte er, was ihm an dem jeweiligen Tag noch bevorstehen würde. Manchmal nur, wie sehr er sich wünschen würde, dass es schon Abend wäre und sie sich sehen könnten. Und an manchen Tagen schrieb er davon, was er für sie geplant hatte.
 

Da fiel ihm ein, dass sie noch ihr Wellness-Wochenende planen wollten. Victor hatte darauf bestanden, es noch vor Weihnachten machen zu wollen und langsam gingen ihnen die Wochenenden aus. Yūri seufzte schwer, als er die Treppen zu seinem Hörsaal hochging. Anfang des Jahres hatte er geplant, dieses Weihnachten vielleicht mit seinen Eltern zu verbringen. Nun wusste er allerdings, dass er sich den Flug wohl kaum leisten konnte. Also plante er, das nächste Jahr ein wenig kürzer zu treten. Eventuell wussten sie auch bald, was mit Phichit war, ob er noch länger weg war. Dann würde sich vielleicht auch eine kleine Wohnung für ihn lohnen. Hier und da fantasierte er zwar darüber, wie es wäre, wenn er mit Victor unter einem Dach leben würde, aber er wusste, dass das einfach viel zu schnell kam. Victor war ihm unglaublich wichtig geworden, er wollte auf keinen Fall riskieren, ihn mit einem übereilten Schritt zu vergraulen.
 

Victor atmete tief durch, als er zum wiederholten Male lautstark die Enter-Taste drückte, um auf das Firmennetzwerk zu gelangen. ‚Das ausgewählte Element ist nicht verfügbar. Es wurde eventuell verschoben, umbenannt oder entfernt. Soll es aus der Liste entfernt werden?‘ fragte sein Laptop zum wiederholten Male. „Da wurde nichts verschoben, umbenannt oder entfernt!“, schnaubte er dem Gerät entgegen, obwohl er natürlich ganz genau wusste, dass es das auch nicht besser machte. Er hatte bereits am Morgen von Sara die Information erhalten, dass das Netzwerk nicht stabil laufen würde und nach einem Meeting hatte Mila von ihren Problemen am Samstag erzählt und dass zurzeit geprüft wird, wie viel Budget für eine Erneuerung der Server in die Hand genommen werden würde. Victor befürchtete, dass sich diese Dinge unter Yakov niemals ändern würden, denn von diesem ‚neumodischen Kram‘, wie er es gerne nannte, hatte er keine Ahnung und konnte auch wenig damit anfangen. So überraschend anders, wie er manchmal sein konnte, alles was mit IT zu tun hatte, war für ihn ein Buch und sieben Siegeln und war somit nicht unbedingt wichtig.
 

Wie wichtig ein funktionierendes Firmennetzwerk allerdings war, spürte Victor nun wieder am eigenen Leib. Er musste sich den finalen Entwurf zum Cover eines neuen Buches ansehen, doch weder die Designerin noch er kamen auf das Laufwerk, auf dem die letzte Version gespeichert war. Er hing mit der Deadline eh schon ein bisschen hinterher und wenn Änderungswünsche noch berücksichtigt werden sollten, musste das am besten gestern gemeldet worden sein. Verzweifelt legte er seinen Kopf in die Hand und überlegte. Seine freie Hand zuckte zu seinem Handy. Sollte er Yūri um Rat fragen? Nicht zum ersten Mal an diesem Tag stellte er sich diese Frage. Aber er wusste auch, dass Yūri heute einen wichtigen Kunden hatte, also konnte er ihn eigentlich nicht stören. Yūri würde sich wahrscheinlich verpflichtet fühlten, ihm zu helfen und das konnte er nicht verantworten. Was er allerdings tun konnte, war selbst einmal nach dem Rechten zu sehen. Also macht er sich auf den Weg zum ersten Stock.
 

Kaum war er aus dem Aufzug gestiegen, kam ihm Mila bereits entgegen. „Victor! Welch seltener Besuch, was verschafft mir die Ehre?“, neckte sie ihn ein wenig. Mila war eine fröhliche, offene und nette junge Frau. Oftmals hatte sie das Problem, dass bei neuen Mitarbeitern ihre aufgeschlossene und gutgelaunte Art als Flirtversuch missinterpretiert wurde. Sie hat sich bereits unter Einfluss einiger Longdrinks darüber bei Victor beschwert, dachte aber nicht im Traum daran, sich ein wenig zurückzuhalten. „Ich wollte mal schauen, ob das heute noch etwas wird mit den Servern“, schnaubte er etwas entnervt und Mila zog die Stirn in Falten. „Der Mitarbeiter von der IT-Firma arbeitet mit Hochdruck daran. Er kann sicher nicht auch noch brauchen, dass du ihm Feuer unterm Hintern machst. Der Junge tut mir ehrlich gesagt ein bisschen leid. Er kann ja nichts dafür“, sagte sie etwas leiser. Victor wusste, was sie eigentlich sagen wollte: Wenn Yakov das Thema wichtiger nehmen würde, hingen sie jetzt nicht alle in der Situation fest.
 

Victor schlug sich bei so etwas ungern auf eine Seite, aber er wusste genau, dass Mila recht hatte. Er hatte sich bereits vorgenommen, Yakov nahezulegen, eine eigene kleine IT-Abteilung aufzubauen. Zumindest ein paar Leute, die Standardaufgaben in einer solchen Firma erledigen konnten. Kleinere PC-Probleme, Updates verwalten, Rechner und Server warten und aktualisieren… So Sache zumindest. Mila hatte recht, es wäre unfair, seinen Frust an demjenigen auszulassen, der gerade versuchte, dieses Desaster wieder in Ordnung zu bringen. „Ich will ihm kein Feuer unterm Hintern machen“, entgegnete er ihr also und rieb sich dann die Stirn. „Aber vielleicht kann ich irgendetwas tun. Wenn irgendetwas noch mit Yakov geklärt werden muss, habe ich wohl einen schnelleren und besseren Draht dazu“, schob er dann noch hinterher. Milas Augen wurden groß. „Höre ich das richtig? Victor Nikiforov möchte wirklich mal seine Verbindung nach ganz oben nutzen? Vielmehr sogar: Er bestreitet noch nicht einmal, dass es diese Verbindung gibt?“, fragte sie mit halb ehrlichem, halb gespieltem Erstaunen. Victor rollte die Augen, als sie dann noch eine Hand auf seine Stirn legte, als wolle sie nachschauen, ob er Fieber habe.
 

„Mila… Mich macht das Warten wahnsinnig und ich möchte nichts lieber tun, als endlich wieder an die Arbeit gehen“, seufzte er. „Das klingt mehr nach dem Victor, den ich kenne“, grinste sie und deutete mit einem Nicken zum Serverraum. „Lass ihn am Leben, ja? Er scheint ein netter Kerl zu sein. Vielleicht ja was für dich?“, fügte sie noch schmunzelnd hinzu und drehte sich dann um. Victor war sich ziemlich sicher, dass sie nur keine Antwort von ihm wollte oder nicht sehen wollte, wie er mit den Augen rollte. Er setzte sich wieder in Bewegung, richtete seine Krawatte und strich den Stoff an seinen Schultern glatt. Natürlich würde er freundlich bleiben, aber er musste gestehen, dass ihn Milas letzter Kommentar etwas ärgerte. Er war in einer glücklichen Beziehung, auch wenn er zurzeit ein wenig sexuell frustriert war. Allerdings war das auch ganz alleine ihm zuzuschreiben. Yūri konnte dafür nicht wirklich etwas.
 

Doch seine Frustration wurde nicht besser, als er die Tür zum Serverraum öffnete und das Bild, was ihm begrüßte, ein knackiger Hintern in einer gutsitzenden Jeans war. Vom Oberkörper war nicht viel zu sehen, da er in einem der Serverschränke steckte. Er schloss die Tür leise und beobachtete nur noch für einen kurzen Moment, wie sich der Hintern während der Arbeit bewegte. Er konnte schon fast mit Yūri mithalten, musste er zugeben. Es bereitete ihm ein wenig Unbehagen, dass er so ungeniert auf ein fremdes Gesäß starrte. Bevor er noch mehr Schuldgefühle anhäufte, räusperte er sich, um die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich zu lenken. Doch dieser schien schreckhafter, als Victor vermutet hatte, denn er fuhr vor Schreck zusammen und stieß sich prompt den Kopf an einem der Zwischenböden des Schranks. „Au!“, hörte Victor es gedämpft aus dem Kasten, doch die Stimme hätte er überall erkannt. Victor war sich ziemlich sicher, dass genau für diese Situationen die Phrase ‚die Kinnlade runterfallen‘ erfunden wurde.

Unangenehme Entdeckung

Yūri hatte gehört, wie sich die Tür leise geöffnet und geschlossen hatte. Er hatte die Schritte von jemandem im Raum gehört. Doch das Brummen der Server hatte die Geräusche so überlagert, dass er keine Unterschiede bemerkt hatte. Er war davon ausgegangen, dass Mila wieder einmal nach ihm schauen wollte. Zum x-ten Mal fragte, ob er was zu Essen oder Trinken wollte. Oder sogar ihre Drohung wahr machte und ihm einfach etwas brachte. Doch in dem Moment, als er das Räuspern hörte, war ihm klar, dass das nicht Mila war. Es war auch nicht irgendein anderer Angestellter, der vielleicht von Mila den Auftrag erhalten hatte, nach ihm zu schauen. Nein, es war jemand, den er ziemlich gut kannte und eigentlich vermeiden wollte, auf ihn zu treffen. Zumindest heute. Zumindest jetzt.
 

Ja, er war ein schreckhafter Mensch, doch mit Schuldgefühlen war diese Eigenschaft noch wesentlich schlimmer. Ohne jegliche Kontrolle über seinen Körper zu haben, zuckte er zusammen und knallte mit dem Hinterkopf gegen die Unterkante des Regalbodens über ihm. Der natürlich aus Metall war, er hing ja schließlich kopfüber in einem Serverschrank. „Au!“, kam es über seine Lippen, ohne es gewollt zu haben. Nun war ihm klar, wenn Victor nicht bereits wusste, wer da in ihren Gerätschaften rumfuhrwerkte, wusste er es spätestens jetzt. Mit einem kleinen Seufzer beendete er vorübergehend seine Arbeit und zog seinen Oberkörper aus dem engen Schrank. Nicht ohne seinen Kopf, mit schmerzverzerrtem Gesicht zu reiben. Zum Glück war der Schwung nicht stark genug gewesen, um sich noch eine Platzwunde zu zuziehen. Das hätte nun echt noch gefehlt.
 

Als er Victor ansah, sah er aus, als hätte er einen Geist gesehen. Sein Mund stand einige Zentimeter auf und er blickte so fassungslos drein, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. Und sie hatten schon einige recht unglaubliche Situationen hinter sich gehabt. Damals, als er Victor gesagt hatte, dass er der Yūri von der Sex-Hotline war, hatte er nicht so geschockt geschaut. Dieser Blick hatte sich trotz des Alkohols in Yūris Gedächtnis eingebrannt und mittlerweile konnte er ihn auch besser deuten: Es war kein Schock gewesen, der damals in seinen Augen gestanden hatte, sondern vielmehr ein Verstehen. Als wären endlich alle Puzzle-Teile auf den richtigen Platz gerutscht und alles würde plötzlich einen Sinn ergeben. Überraschung stand damals in seinem Gesicht geschrieben, aber Fassungslosigkeit wie gerade? Nein.
 

Sie schauten sich eine Weile wortlos an, während sich Yūri weiterhin die schmerzende Stelle rieb. Sollte er etwas sagen? Sich bei Victor entschuldigen? Oder sollte er ihm einfach ein bisschen Zeit lassen, das alles zu verarbeiten? Noch während er überlegte, blinzelte Victor und öffnete den Mund. Unbewusst spannte sich Yūris Körper an, doch Victor schloss den Mund wieder, ohne ein Wort zu sagen. Dann rieb Victor sich den Nacken, ließ den Blick kurz durch den Raum gleiten und begann noch einmal: „Also… Du bist hier der…?“ Yūri war überrascht, Victor mal nicht so wortgewandt zu erleben. Die Situation schien ihn wirklich überfahren zu haben. „Ja, ich versuche gerade euer Firmennetzwerk wieder ans Laufen zu bringen“, lächelte er schief. Victor rieb sich die Stirn und blickte Yūri wieder an. „Warum hast du nichts gesagt? Du hast dir am Wochenende so viel Mühe gemacht und viel Zeit investiert… Dabei hätte ich einfach mit Yakov reden können“, er konnte aus Victors Stimme Frust heraushören, vielleicht auch ein wenig Verärgerung. Und wenn Yūri ehrlich war, konnte er es verstehen. Immerhin hatte er ihm von der Arbeit erzählt, aber diese wichtige Information absichtlich verschwiegen. Doch er hatte auch einen Grund. Aber würde das Victor verstehen?
 

„Aber genau das ist es“, sagte Yūri leise und blickte Victor dabei hoffnungsvoll an. Er musste ihn einfach verstehen. Gerade Victor. Doch der legte den Kopf fragend schief und zog die Augenbrauen zusammen. Ein seltsamer Anblick. „Nun ja“, setzte Yūri erneut an, ohne wirklich zu wissen, wie er das erklären sollte, ohne dass es komisch klang. „Ich wollte das selbst erreichen. Natürlich hättest du es einfacher für mich regeln können, aber ich wollte es eben auf dem richtigen Weg machen. Wäre es dann schief gelaufen, hätte ich dich vor der drohenden Katastrophe gewarnt, aber ich wollte es selbst schaffen und nicht deshalb, weil ich mit dir zusammen bin“, seufzte er und hoffte, dass Victor es verstand. Sein Herz klopfte ihm dabei bis zum Hals und er war sich sicher, seinen eigenen Puls in seinen Ohren zu hören. Victor schloss die Augen und nickte dann. „Ich glaube, kaum einer versteht das, wie ich. Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, davon gewusst zu haben… Irgendwie…“, Victor schüttelte den Kopf, als würde ihm immer noch die Sprache fehlen, doch Yūri wusste intuitiv, was Victor sagen wollte. „Ja, es fühlt sich eigenartig an. Ich weiß. Und das tut mir wirklich leid“, sagte er.
 

Plötzlich schenkte ihm Victor wieder sein strahlendes Lächeln und Yūris Herz setzte sein rasantes Tempo fort, nur diesmal aus einem anderen Grund. „Ist die Jeans neu?“, fragte Victor dann mit einem Grinsen. Yūri schaute stirnrunzelnd an sich hinunter. „Nein, warum?“, fragte er dann ein wenig verwirrt, nicht zuletzt wegen dem plötzlichen Themenwechsel. „Ich bin eigentlich hierher gekommen, um dir Feuer unterm Hintern zu machen und mein erster Gedanke war, dass der Hintern, der mich da willkommen geheißen hat, fast so ansehnlich war wie deiner“, Victor schob die Augenbrauen kurz hoch. „Guckst du jedem ITler auf den Arsch?“, fragte Yūri verwundert, musste aber dabei schmunzeln. „Du bist der Erste, den ich hier sehe. Also bin ich offenbar schuldig im Sinne der Anklage“, Victor legte seine Hand theatralisch auf sein Herz und tat reumütig. Yūri konnte nur lachend den Kopf schütteln.
 

Victor schloss die Distanz zwischen ihnen und drückte Yūri an sich. „Um ehrlich zu sein würde ich dich jetzt am liebsten über diesen Drucker da beugen und über dich herfallen“, gestand er ihm mit heiserer Stimme. Yūri spürte, wie sein ganzer Körper warm wurde und kribbelte. Nicht lange und Victor würde noch an einer anderen Stelle merken, was seine Worte noch bei ihm bewirkt hatten. „Das ist neben Kopien vom nackten Hintern machen mit ein Hauptgrund, warum die Dinger kaputt gehen“, antwortete Yūri und griff damit schon fast verzweifelt nach dem letzten Strohhalm seiner Willenskraft: Die Arbeit. Victor lachte schnaubend in sein Ohr. Doch mit einem Blick auf das Workcenter fiel Yūri etwas ein. „Du sagtest, du bist der erste ITler, den du hier siehst?“, fragte er dann noch einmal und lehnte sich ein wenig zurück, um Victor anzuschauen. Victor runzelte die Stirn und schaute ihn fragend an, nickte aber.
 

Widerwillig löste sich Yūri von Victor und ging hinüber zum Gerät, drückte ein paar Tasten und machte dann große Augen. „Ich glaube, ich nehme dein Angebot zur Unterstützung jetzt war“, sagte er dann und blickte Victor verzweifelt an, weil er nicht wusste, was die Information, die er ihm gleich mitteilen würde, für die Firma bedeutete. „Was ist los?“, Victor hatte den Umschwung in der Stimmung erkannt und kam zu ihm. Er legte eine Hand auf Yūris Ellbogen, legte den Kopf schief und schaute ihn fragend an. „Scannt ihr viel mit diesen Dingern? Habt ihr das gleiche Modell überall stehen?“, fragte Yūri. „Je nach Bereich scannen wir vermutlich mehr, als zu drucken. Verträge archivieren, ausgedruckte Manuskripte scannen wir auch ein, damit sie in digitaler Form auch vorliegen. Geschäftszahlen, Budgetplanungen… All so etwas. Soweit ich das auch verstanden habe, können auch die Kopien über Scans gemacht werden, oder?“, zählte Victor auf. Yūri nickte und schluckte. Worst-Case-Szenario. Vielleicht sogar ein Super-GAU.
 

„Traue keinem Scan, den du nicht selbst gefälscht hast*“, murmelte Yūri vor sich hin und blickte vom Workcenter zu Victor, der ihn nur fragend anschaute. Yūri musste es ihm erzählen. „Im August 2013 hat ein Informatiker aus Bonn einen Software-Fehler bei diesen Geräten festgestellt. Um die Dateien für Scans möglichst klein zu halten, speichert das Gerät jeden Buchstaben nur ein einziges Mal ab und merkt sich dann im Prinzip, wo der Buchstabe dann noch einzusetzen ist. An sich ist das ein durchaus sinniges Prinzip, wenn die Buchstaben und Zahlenerkennung einwandfrei funktioniert. Verstehst du, worauf ich hinaus will?“, begann Yūri. Victor schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ich befürchte ja, aber ich weiß nicht, ob ich das will“, er sprach leise, aber seine Stimme war fest. Yūri nickte, er konnte es nur allzu gut verstehen. „Nachweislich wurden Buchstaben und Zahlen daher vom System vertauscht. Aus einem ‚i‘ ist ein ‚l‘ geworden oder aus einer ‚0‘ eine ‚8‘ oder so. Je nach Qualität, Schriftart, Schriftgröße und so weiter und so fort… Der Hersteller hat sich eine Weile hingestellt und so getan, als wäre das keine große Sache. Oder besser gesagt, nur eine Sache der Grundeinstellung des Geräts und wer eben die Gebrauchsanweisung nicht gelesen habe, ist halt selbst schuld. Nur, dass dieser Informatiker diesen Fehler auch mit den anderen Einstellungen nachwies. Ich muss dir nicht erzählen, was das alles für einen Rattenschwanz nach sich zog, oder?“, fragte Yūri.
 

Victor schüttelte den Kopf, er sah wieder ungefähr genauso fassungslos aus, wie am Anfang ihres Treffens in diesem Raum, nur dass er noch blass dabei geworden ist. „Der Fehler wurde zwischenzeitlich behoben, aber dafür muss ein Software-Update auf den Geräten eingespielt werden, der…“, Yūri hielt inne und schaute Victor an. „Der nie bei uns gemacht worden ist“, beendete Victor den Satz für Yūri. Yūri konnte nur nicken und sah wieder auf das Gerät hinab. „Scheiße. Gottverdammte Scheiße“, kam es nur von Victor, der sich mit der Hand durch das Gesicht fuhr. Dann spürte Yūri seine Hand um sein Handgelenk. „Tut mir leid, dass ich dich entführen muss, aber wir müssen zu Yakov. Am besten gestern. Das Firmennetzwerk ist gerade sowas von unwichtig geworden“, damit zog ihn Victor mit schnellen Schritten aus dem Raum. Nur vage nahm Yūri die Blicke in dem Büro war, das sie durchquerten. Mila, die aufgestanden war und irgendetwas sagen wollte, aber nicht konnte, da sie viel zu schnell am Aufzug waren, der sich sofort öffnete und sie in das oberste Stockwerk brachte.
 

Victor musste sich eingestehen, dass das alles eine kleine Kurzschlusshandlung gewesen war. Es war ihm noch bewusster geworden, als er in das Büro seines Onkels und damit in ein Meeting geplatzt war. Das alles natürlich unverändert mit Yūri im Schlepptau. Doch er war nicht zum ersten Mal dankbar, dass sein Onkel ihn so gut kannte. Mit aller Autorität, die er hatte, erklärte er das Meeting für vorerst beendet und er würde eine Fortsetzung einberufen, falls nötig. Danach hatte er Yūris Erklärungen gelauscht. Regungslos, emotionslos, mit ernster Miene. Victor konnte schlecht einschätzen, was nun in seinem Onkel vorging, doch eins wusste er: Er hatte die Tragweite der Sache erkannt. „Das heißt, alles, was wir bisher mit diesen Geräten eingescannt haben, könnte anfechtbar sein. Beispielsweise bei Honoraren und so weiter?“, seine Frage bestätigte Victors Vermutung, dass er verstanden hatte. „Auch die Bilanzen könnten betroffen sein“, gab Victor trotzdem zu bedenken. Yakov blickte ihn an und nickte leicht, doch Yūri war da schon weiter. „Wurden die Bilanzen mit dem Gerät vor der Tür gescannt?“, fragte er und Yakov nickte nur. „Das ist ein anderer Hersteller, der meines Wissens diese Probleme nicht hatte“, konnte er wenigstens eine gute Nachricht verbreiten.
 

Doch das verwirrte Victor. „Warum hast du hier oben ein anderes Gerät?“, fragte er. „Der andere Drucker ist kaputt gegangen und der war günstiger“, erklärte Yakov mit einem leichten Schulterzucken. Victor erinnerte sich an das Gespräch mit Yūri im Serverraum und war versucht zu fragen, ob Hintern oder Drüberbeugen der Grund war. Doch vielleicht war es wirklich nur kaputt gegangen und selbst wenn nicht, wollte er eigentlich wissen, was genau die Hintergründe waren. Vielleicht sollte er sich auch einfach freuen, falls sein Onkel noch die ein oder andere aufregende Situation in seinem Leben hatte. Nur wollte er seine Fantasie nicht weiter damit belasten, da er die Bilder sonst niemals aus dem Kopf bekommen würde. Doch gleichzeitig erkannte er, dass es dafür schon zu spät war und verzog das Gesicht. Seine Fantasie spielte ihm momentan wirklich einige fiese Streiche.
 

„Ich sag es ungern, aber das wäre nicht passiert, wenn wir jemanden hätten, der alles IT- oder EDV-mäßige für uns regeln würde“, sagte Victor zum einen, weil es einfach stimmte und zum anderen, weil er sich dringend ablenken musste. Yakov schnaubte, aber es klang lange nicht mehr so vehement, als es noch letzte Woche geklungen hätte. „Wie lange dauert es, bis du all diese Updates aufgespielt hast, Yūri“, fragte er dann. „Ich bin mir nicht sicher, wie lange ein Update dauert. 2 bis 4 Stunden, würde ich mal vermuten. Wir könnten sie entweder nach Dienstschluss soweit möglich gleichzeitig aufspielen oder nach und nach während des Tages. In der Zeit könnte man die Druckaufträge auf ein anderes Stockwerk umleiten“, erklärte Yūri und Victor war beeindruckt, dass er direkt mit so einer Lösung um die Ecke kommen konnte. Vielleicht war es auch keine große Sache, aber dennoch fühlte sich Victor ein wenig Stolz auf seinen Partner.
 

„Was würdest du empfehlen?“, fragte Yakov. „Erst einmal das Firmennetzwerk in den Griff zu bekommen. Vielleicht könnt ihr wichtige Unterlagen zur Archivierung und so etwas erst einmal nur hier oben einscannen. Donnerstagabend würde ich dann die Updates vornehmen. Ich weiß nicht, wie die Arbeitszeiten sind, aber falls ein Gerät früher nicht mehr gebraucht wird, kann ich das dann schon einmal in die Wege leiten. Falls es dann irgendwo zu einem Problem kommt, habe ich nicht noch 5 weitere Geräte, um die ich mich gleichzeitig kümmern müsste. Und falls im schlechtesten Fall noch irgendein Bauteil für die Geräte benötigt werden sollte, kann ich das Freitag noch gut erledigen. Am Wochenende ist das manchmal schwierig mit den Ersatzteilen“, erklärte Yūri wieder und Victor musste darüber schmunzeln, wie sehr er in seinem Element schien. Er fragte sich, ob er auch so wirkte, wenn er über Bücher redete.
 

„Aktuell kann ja niemand die Drucker benutzen, könntest du das nicht auch jetzt machen“, fragte Yakov. „Die Workcenter sind nicht nutzbar, weil sie keine Netzwerkverbindung haben. Dadurch kann ich auch das Update nicht aufspielen, da das Gerät es über das Netzwerk runterladen muss“, bemerkte er geduldig. Wieder nickte Yakov und für einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen. „Hast du noch Probezeit bei deiner Firma oder einen befristeten Vertrag?“, fragte Yakov dann scheinbar zusammenhanglos. Yūri zog die Augenbrauen zusammen, bestätigte dann aber: „Probezeit. Habe erst kürzlich angefangen.“ „Was hältst du von einer Anstellung als Werksstudent hier mit Aussicht auf Übernahme und dem Aufbau einer kleinen IT-Abteilung? Die ganze Zeit haben mich Kollegen und auch Vitya darum gebeten, so etwas zu genehmigen und ich habe nie den Sinn dahinter erkannt. Jetzt haben wir den Salat“, schnaubte er und Victor wusste genau, was er zwischen den Zeilen sagte: Ich hätte diesem ganzen technischen Scheiß niemals vertrauen sollen. So war sein Onkel eben, dachte Victor schmunzelnd und schielte zu Yūri. Denn nun war es an ihm, ein wenig fassungslos auszusehen.

Alle Hände voll zu tun

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Lust auf Russisch

Victor schlug vor, dass sie noch einmal ihr Glück im Chartreuse Kitchen & Cocktails versuchen sollten. Er behauptete, unter der Woche sei nicht ganz so viel los und Katya arbeitete wohl heute dort, somit würde sich ihre Chance auf einen Tisch noch einmal steigern. Yūri wagte das zu bezweifeln, denn von dem, was er so gehört hatte, war der Laden immer gut besucht. Allerdings hatte er nichts gegen das bekannte und recht gemütliche Ambiente des Restaurants. Auch hatte er nichts dagegen, dass Victor darauf bestand, dass sie gerade sein Auto wegbrachten und sie dann mit seinem Auto zum Essen fuhren. „Eine Schande, dass Yurio noch nicht alt genug zum Autofahren ist. Sonst hätten wir heute gemeinsam auf dein Jobangebot anstoßen können“, grinste Victor, als er gerade einparkte. Yūri zog die Augenbrauen hoch. „Du hättest ihm dein Auto anvertraut?“, fragte er misstrauisch.
 

„Was? Nein, um Himmels willen! Ich würde ihm einen eigenen Wagen kaufen. Irgendeinen gebrauchten Kleinwagen. Einen Kia Rio oder Chevrolet Spark“, lachte Victor. „Du weißt, dass er dich wegen so einem Auto umbringen würde?“, antwortete Yūri und musste unweigerlich lachen, als er sich Yurios Gesicht vorstellte, wenn ihm ein solches Auto präsentiert worden wäre. „Meinst du? Wie wäre es mit einem Fiat 500? Oder Mitsubishi Mirage?“, da Victor fertig eingeparkt hatte, blickte er Yūri an, der aber nur mit dem Kopf schüttelte. „Ford Fiesta?“, fragte er. „Das schon eher, aber ich glaube, dass ist ihm alles nicht stylisch genug“, grinste in Yūri an. Victor verdrehte theatralisch die Augen und warf die Hände soweit in die Luft, wie es sein Auto zuließ. „Die Jugend von heute… Alles muss toll aussehen und was es kostet ist egal, Hauptsache ein anderer zahlt“, seufzte er. Alles an seiner Körpersprache und dem Ton seiner Stimme sagte Yūri, dass er es nicht ernst meinte. Also konnte Yūri ohne Bedenken zum Gegenschlag ausholen.
 

„Was willst du erwarten? Er kommt eben nach seinem Bruder. Der fährt, nur falls du es vergessen hast, einen Tesla Model S“, neckte er. Victor schaute Yūri blinzelnd an. „Den muss ich kennenlernen. Der scheint wirklich Geschmack zu haben und sieht sicherlich auch umwerfend aus“, danach grinste er Yūri wieder breit an. Jetzt rollte Yūri mit den Augen. „Wenn das ein Versuch war, ein Kompliment zu ergaunern, hat es nicht funktioniert, Herr Nikiforov“, schüttelte er mit schiefem Lächeln den Kopf. Victor blies kurz die Wangen auf und schob schmollend die Unterlippe hervor. „Das ist der Dank dafür, dass ich dich hierher fahre und dich zum Essen einlade?“, fragte er im leicht weinerlichen Ton. „Ich dachte, dass Ganze wäre ein Dankeschön für den Blowjob im Serverraum“, konterte Yūri mit mehr Selbstvertrauen in der Stimme, als er fühlte. Dabei spürte er, wie seine Wangen heiß wurden und war froh, dass es schon dunkler war, denn so würde es wenigstens nicht ganz so stark auffallen.
 

Victor legte einen Finger an die Unterlippe, Yūri kannte diese typische Geste, wenn er überlegte. Doch das Funkeln in den blauen Augen verriet ihm, dass er gar nicht wirklich überlegte. „Hmm… Na gut. Das ist es durchaus wert. Aber glaube ja nicht, dass du dir so immer dein Abendessen verdienen kannst“, zwinkerte er dann. „Keine Sorge, ich sollte mir eigentlich eher versuchen, mir so eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio zu verdienen“, seufzte Yūri stattdessen und blickte an sich hinunter. „Ich habe doch ein paar Fitnessgeräte zu Hause. Die kannst du gerne jederzeit nutzen. Den Mitgliedbeitrag überlege ich mir noch“, schlug Victor mit einer hochgezogenen Augenbraue vor. Yūri hatte nur eine allzu gute Vorstellung von diesem ‚Mitgliedsbeitrag‘. „Du denkst aber nur an das Eine“, gab er mit einem gespielten Schnauben zurück. „Was kann ich dafür, wenn du einfach zu gut bist. So, und bevor wir jetzt hier weiter flirten und ich mich gleich nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen kann, sollten wir langsam mal reingehen“, schlug Victor nun vor. Yūri nickte und öffnete die Beifahrertür. Die kalte Abendluft tat seinen erröteten Wangen gut und würde ihm eine zusätzliche Ausrede geben, falls seine Wangen im Restaurant immer noch glühen würden.
 

Sie gingen die paar Meter zum Restaurant, doch Victor ließ es sich nicht nehmen, seine Finger in Yūris zu verschränken. Jedes Mal, wenn er solch kleine Gesten machte, seine Hand hielt, einen Arm um seine Schulter legte, ihm eine Strähne aus der Stirn strich oder Ähnliches, setzte Yūris Herzschlag für einen Moment aus. Vielleicht hätte er sich mittlerweile daran gewöhnen müssen, doch jedes Mal schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, wie es sein konnte, dass ausgerechnet dieser Mann in sein Leben getreten war. Am Anfang war er sich noch sicher gewesen, dass er ihn wieder verlieren würde, sobald er merkte, wie langweilig Yūri war. Doch diese Sorge wurde nach und nach weniger. Zum einen, weil in Victors Leben scheinbar immer irgendetwas passierte und er so vielleicht froh war, jemanden zu haben, der alles ein wenig entschleunigte. Zum anderen riss Victor ihn aber auch manchmal mit, wie eine Flutwelle. Einen Blowjob im Serverraum einer Firma? Vor einem Jahr wäre das für Yūri undenkbar gewesen. Egal, ob er bei einer Telefonsex-Hotline gearbeitet hatte oder nicht. Telefonsex war fake, fand nur in der Fantasie der beteiligten Personen wirklich statt, aber ein Blowjob? Das war real. Vielleicht sogar etwas zu real.
 

Yūri haderte mit sich selbst, während er durch die Tür ging, die Victor ihm aufhielt. Sollte er mit Victor über die Sache sprechen? Klar machen, dass er nicht der Typ für regelmäßige sexuelle Interaktionen am Arbeitsplatz war? Aber wie sollte er begründen, warum er ausgerechnet heute von selbst die Initiative ergriffen hatte? Aufgestaute Glücksgefühle von dem Jobangebot? Klang das nicht irgendwie ein bisschen billig? Und wie sollte er das anstellen? „Victor! Yūri! Schön euch zu sehen!“, riss ihn Katyas fröhliche Stimme aus den Gedanken. Sie trug das typische Kellneroutfit des Restaurants und hatte ihre braunen, lockigen Haare in einen, leicht unordentlichen, Dutt aufgetürmt. Yūri fragte sich kurz, wie viele Tonnen Haarspray und Haarnadeln notwendig waren, um das Gebilde auf dem Kopf zu halten, er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder den wichtigeren Dingen zu. „Hast du einen Tisch für uns?“, fragte Victor und Katya nickte lächelnd. „Wenn mir die Herrschaften bitte folgen würden?“, säuselte sie im gutgelaunten Ton und führte sie mit einem durchaus verführerischen Hüftschwung zu ihrem Tisch. Nicht, dass es Yūri in irgendeiner Weise beeindruckt hätte, aber der ein oder andere junge Mann an den Tischen, die sie passierten, schauten ihr sicherlich nicht mit ganz unschuldigen Gedanken hinterher. Eine Masche für mehr Trinkgeld, vermutete Yūri, denn normalerweise ging sie relativ normal.
 

Sie setzten sich, Katya gab ihnen die Menükarten und fragte, ob sie vielleicht schon wissen, was sie trinken wollten. Während Yūri seinen Blick über die Getränkeoptionen schweifen ließ, bestellte Victor ein alkoholfreies Bier und eine große Flasche Wasser für sie beide. Er war schon fast gewillt, es bei Wasser zu belassen, als ihm wieder einfiel, dass sie ja extra sein Auto weggebracht hatten, damit er etwas trinken könnte. Um das Angebot zu feiern, wie Victor gesagt hatte. Sein Blick fiel auf ein Getränk, das ihn interessierte. „Ich nehme einen Moscow Mule, bitte“, bestellte er. Ein Getränk aus Vodka, Limettensaft und Ingwerbier, garniert mit Gurkenscheiben und Minze. Es klang irgendwie anders, auch wenn Yūri vermutete, dass es sich aktuell ein richtiges Hipster-Getränk handelte. Nicht, dass Yūri etwas gegen Hipster hätte, nur konnte er sich mit deren Lebenseinstellung nicht wirklich identifizieren. Aber das hieß ja nicht, dass dieses Getränk per se schlecht sein musste. Katya nickte und verschwand, während sie sich die Karte anschauten. Das Thema war deutlich zu erkennen: Winter. Viel Kürbis und Kohl standen auf der Karte, aber auch noch ein paar Pilzgerichte. Der Nachtisch wurde von Äpfeln und Pflaumen, aber auch von Orangen und Nüssen dominiert. Das erinnerte Yūri an seine Heimat, denn in der japanischen Küche wurde auch auf die saisonalen Zutaten geachtet.
 

„Hast du dich schon entschieden?“, fragte Victor nach einer Weile, die sie schweigend in die Karte gestarrt hatten. „Ich tendiere zu den Kürbis-Ravioli mit Walnuss-Pesto“, überlegte Yūri laut, auch wenn er die Hähnchenkeule auf geröstetem Rosenkohl, Kartoffeln und Kürbis mit Orangenjus auch sehr spannend fand. Er konnte sich nicht erinnern, dass er jemals Rosenkohl gegessen hatte. Zumindest nicht bewusst. „Ah, die interessieren mich auch. Oder die Hähnchenkeule darunter“, sagte Victor und schien wirklich unentschlossen zu sein. „Was hältst du davon, wenn wir uns beides teilen? Die Hähnchenkeule reizt mich auch“, fragte er ein wenig unsicher. Sofort hellte sich Victors Gesicht auf. „Natürlich können wir gerne teilen, Любимый!“, lächelte er strahlend. Doch bevor Yūri noch etwas erwidern konnte, war Katya zurück.
 

„Hier das Wasser und dein Bier, Victor“, sagte sie, als sie alles vor ihm abstellte. Dann stellte sie eine gefüllte Kupfertasse vor Yūri hin. „Und dein Victor on Ice!“, zwinkerte sie. „Was kann ich euch zu essen bringen?“, fragte sie dann unschuldig. „Wir teilen uns die Hähnchenkeule und die Ravioli!“, verkündete Victor voller Freude und Katya schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Immer diese turtelnden Pärchen…“, seufzte sie und notierte ihre Bestellung, bevor sie wieder verschwand. Doch dann wurde schlagartig Victors Gesicht ernst. „Hat sie eben Victor on Ice zu deinem Getränk gesagt?“, fragte er mit aufgerissenen Augen. „Ja“, nickte Yūri nur und er spürte, wie seine Wangen etwas rot wurden. „Moment! Hat sie mich damit etwa einen Esel genannt?!“, fragte Victor fassungslos. Yūri war froh, dass er noch keinen Schluck genommen hatte, denn sonst hätte er ihn bestimmt vor Lachen quer über den Tisch gespuckt.
 


 

Natürlich hatte Victor Katya noch darauf aufmerksam gemacht, dass ihre Unverfrorenheit von ihrem Trinkgeld abgezogen wurde. Doch über das Essen konnte sich Victor wirklich nicht beklagen. Er hatte schon lange Zeit keinen Rosenkohl mehr gegessen, denn oftmals war ihm das Herbe zu viel. Doch gemischt mit Kartoffeln und Kürbis, dazu dann noch die süßlich-fruchtige Orangenjus, ergab es eine echt leckere Kombination. Auch die Ravioli waren sehr lecker, wobei ihm das Walnuss-Pesto da am meisten überzeugte. Yūri saß ihm mit einem kleinen Lächeln gegenüber und trank an seinem dritten ‚Victor on Ice‘ und er war froh, dass es ihm zu schmecken schien. „Wie wäre es mit einem Nachtisch, Yūri?“, fragte Victor und angelte nach der Karte, die er nach der Bestellung der Hauptspeisen behalten hatte. Yūri schüttelte mit einem verneinenden Laut den Kopf. „Warum nicht? Sie haben hier Kaiserschmarrn mit gerösteten Pflaumen und Apfelmus. Davon hat Chris immer geschwärmt, das ist wohl ein beliebtes Gericht in Österreich. Das wollte ich schon immer mal probieren. Oder hier: Warmer Gewürzkuchen mit Orange und heißer Schokoladensauce. Bratapfel mit gerösteten Nüssen… Wobei die anderen beiden Sachen hörten sich besser an…“, seufzte Victor.
 

Yūri schüttelte wieder den Kopf. „Ich muss ein bisschen darauf achten, was ich esse. Das habe ich doch schon erwähnt“, seufzte Yūri und Victor merkte deutlich, dass er eigentlich lieber noch einen Nachtisch essen würde. „Ich habe dir doch schon angeboten, meine Trainingsgeräte zu benutzen. Was hältst du davon, wenn wir morgen einfach anfangen, gemeinsam abends eine Stunde zu trainieren?“, bot Victor an. „Ich habe dich schon mal gefragt, was mich das kostet“, lachte Yūri leise. Victor legte seinen Kopf schief und einen Finger auf die Unterlippe. Er tat so, als würde er überlegen, wusste die Antwort aber bereits, als er nur Yūris Antwort gehört hatte. „Hmmm… Wie wäre es mit einem Kuss pro Gerätenutzung? Am Tag versteht sich. Sonst bekomme ich ja am Ende keinen Kuss mehr von dir“, erklärte er grinsend.
 

„Könnt ihr bitte mal mit eurer Turtelei aufhören? Das ist ja furchtbar! Kein Wunder, dass Yurio mittlerweile so oft bei uns ist“, seufzte Katya theatralisch und schüttelte lachend den Kopf. „Und sagt mir jetzt bitte nicht, dass ihr euch den Nachtisch auch noch teilen wollt wie zwei frisch verliebte Teenager“, schob sie dann noch hinterher. Victor und Yūri sahen sich grinsend an. „Wir nehmen den Kaiserschmarrn und den Gewürzkuchen. Zum Teilen natürlich“, grinste Yūri Katya nun an und sah dabei so unschuldig aus, als wäre ihm überhaupt nicht bewusst, was er da gerade machte. Katya rollte nur mit den Augen, nahm Victor die Karte aus der Hand und verschwand mit einem: „Die beiden lasse ich nie wieder in meinem Bereich sitzen. Unerträglich!“ Victor, der bis eben mit Mühe sein Lachen unterdrückt hatte, gluckste nun vergnügt vor sich hin.
 

„Hmm… ich könnte noch mal so was Russisches vertragen“, gab Yūri nach einer kurzen Pause zurück und spielte dabei mit der Kupfertasse. Victors Augenbrauen schnellten in die Höhe. „Trifft sich gut, ich habe auch immer Lust auf was Japanisches“, gab er mit einem schiefen Grinsen zurück und leckte sich über die Unterlippe. Plötzlich setzte sich Yūri etwas gerade auf, blickte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen blinzelnd an. Dann wurde er mit einem Mal rot. „O-oh… I-ich“, stammelte er. „Ich meinte eigentlich den Moscow Mule“, setzte er dann mit festerer Stimme fort. Victor fasste sich ans Herz und sackte ein wenig zusammen. „Yuuuuuri! Wie kannst du mir so etwas antun?“, wimmerte er dann und legte einen Handrücken auf seine Stirn. „Vielleicht musst du mich wieder richtig auf den Geschmack bringen“, sagte Yūri leise, die Röte wich nicht aus seinem Gesicht. Die Erinnerungen an einen kecken, verführerischen Yūri lebten in Victor wieder auf. Er fragte sich, was er tun musste, damit diese Seite an Yūri öfter und selbstverständlicher zur Geltung kam. Er mochte den schüchternen, verlegenen Yūri. Doch der flirtende, verdorbene Yūri war mindestens genauso reizvoll. „Wir haben ein Wochenende in einem Wellnesshotel und ein Adventskalender voller Spielzeuge. Ich glaube, da lässt sich was machen.“, erwiderte Victor vielsagend.

Erpressung

Als Yūri an diesem Abend nach Hause kam, musste er zugeben, dass er aufgeregt war. In einer solch kleinen Zeitspanne passierte gerade so viel in seinem Leben, dass er kaum gedanklich nachkam. Erst hatte er sich durch seinen, etwas unmoralischen, Nebenjob unbekannterweise in Victor verliebt. Dann hatte er eben diesen Job aufgegeben und bei einer IT-Firma angefangen. Danach war das eigentlich Unmögliche wahr geworden und er hatte zufällig Victor getroffen. Sie hatten sich näher kennengelernt und dann war, zumindest für Yūri wieder, das nächste Unmögliche wahr geworden: Victor erwiderte seine Gefühle. Ihre Beziehung lief gut und nun hatte er ein Jobangebot erhalten, das einfach zu verführerisch klang. Und um noch eine Kirsche auf die Sahnehaube zu setzen, würden Victor und er das Wochenende in einem Wellnesshotel verbringen und es sich gut gehen lassen. So viel Glück war eigentlich zu unverschämt und Yūri ertappte sich dabei, wie er auf dem Sofa sitzend breit grinste, wie ein kleiner Junge, der eine Lego-Burg zu Weihnachten bekommen hatte.
 

Auch wenn andere behaupteten, dass Yūri ein Pessimist war, sah er sich selbst als Realist. Daher war ihm jetzt schon klar, dass er nicht immer so ein unverschämtes Glück haben würde und dass unweigerlich auch mal ein paar stürmischere Tage auf ihn und seine Beziehung zu Victor zukommen würde, doch er hoffte inständig, dass bis dahin noch ein bisschen Zeit verging. Er wollte einfach noch das Glück genießen, welches er momentan noch hatte. Denn zum einen konnte er das ja eh nicht vorhersehen und ändern und zum anderen überraschte ihn Victor einfach viel zu oft. Victor war anders, dachte Yūri. In vielerlei Hinsicht war er das komplette Gegenteil von Yūri. Vielleicht würden sie daher auch weiterhin eine harmonische Beziehung führen? Yūri schüttelte sich wieder und schlug sich zwei Mal leicht mit den Handflächen gegen die Wangen. „Jetzt mache ich mir schon wieder unnötige Gedanken“, seufzte er dann zu sich selbst und blickte sich etwas ratlos im Wohnzimmer um. An solchen Tagen wünschte er sich, dass sein Mitbewohner da war. Phichit holte ihn dann schon wieder aus seinen Gedanken raus und schimpfte mit ihm, dass er wieder ‚zu sehr in seinem Kopf drin sei‘. Leider hatte er damit allzu oft recht.
 

Kurz überlegte er, ob er noch etwas für diesen Abend zu erledigen hatte. Er hörte das leise Brummen der Waschmaschine aus dem Badezimmer, die er eben noch angestellt hatte. Die Hamster waren auch versorgt und er hatte sogar ein Hemd für den morgigen Tag gebügelt. Immerhin wollte er weiterhin einen guten Eindruck im Verlag hinterlassen. Vor allem, wenn er das Angebot von Yakov tatsächlich annehmen sollte. Aber wem machte er etwas vor? Natürlich würde er das Angebot annehmen. Nicht viele in seinem Studiengang konnten jetzt schon sagen, dass sie einen Job nach dem Studium sicher hatten. Und noch weniger so einen guten. Zwar hatte er immer noch ein klein wenig das Gefühl, nur durch Vitamin B dort reinzukommen, aber er war sich sicher, dass das auch noch vergehen würde. Es war nur gut, dass sie ihre Beziehung zueinander innerhalb des Verlags erst einmal geheim halten würden. Yūri wusste es ja auch eigentlich besser und Yakov war nicht von der Sorte, die jemanden etwas vorlog, nur damit er sich besser fühlte. Dieser Gedanke ließ endlich ein wenig Stolz in ihm aufkeimen. Wieder ging sein Gedanke zu Phichit. Wäre er hier, würden er sicher darauf bestehen, feiern zu gehen. Plötzlich fühlte Yūri sich ein wenig einsam und vermisste seinen besten Freund. Sein Blick ging zu seinem Handy. Höchste Zeit, ihn anzurufen, ging ihm mit einem Lächeln durch den Kopf.
 


 

Mit in den Hüften gestemmten Armen stand Victor in seinem Ankleidezimmer. „Und wie lange bist du genau noch einmal weg?“, fragte Yurio, der Potya auf seinem Schoß kraulte. Er saß im Schneidersitz fast mitten im Raum, was Victor ein echter Dorn im Auge war. Immerhin musste er die ganze Zeit um ihn herumlaufen. Wenn es nach ihm ginge, würde er ihn einfach aus dem Raum schmeißen, aber damit würde er sich gleich zwei Probleme einfangen. Das Erste wäre, dass er am Wochenende jemanden brauchte, der sich um Makkachin kümmerte. Das Zweite, dass er darauf bauen musste, dass Yurio seine Wohnung während seiner Abwesenheit ganz lassen würde. Und aufgrund des manchmal doch sehr rebellischen Verhaltens, wollte Victor sein Glück nicht überstrapazieren. „Das komplette Wochenende. Wir fahren Freitagabend los und kommen Sonntagabend spät nach Hause“, sagte Victor daher so nonchalant, wie es ihm möglich war. Doch ihm entging das Lächeln auf Yurios Lippen nicht. Victor seufzte. Also musste er es doch aussprechen.
 

„Keine Partys“, sagte er im strengen Ton und blickte von dem weißen Hemd, das er gerade in seinen Händen hielt, zu Yurio. „Ja ja, ich weiß, alter Knacker“, murrte Yurio, doch Victor hatte den Eindruck, als würde ihm diese Ansage gar nicht groß stören. Die Frage war nur, ob es so war, weil er gar keine Party geplant hatte oder weil er eh nicht vorhatte, auf ihn zu hören. „Ich meine es ernst. Wenn ich von den Nachbarn auch nur eine Beschwerde höre…“, er ließ die Drohung unvollendet, denn ja: [style type="italic"]Was dann? Was würde er dann tun? Vermutlich sich tausend Mal bei den Nachbarn entschuldigen. Aber was würde er mit Yurio machen? Die Zeiten, ihn ohne Abendessen ins Bett zu schicken, waren vorbei. Himmel, er war einfach noch nicht bereit, ein Erziehungsberechtigter zu sein. Außerdem klang ‚Erziehungsberechtigter‘, als wäre er ein alter Mann. Und das war er nicht! Gut, in Yurios Alter kamen ihm Erwachsene in seinem Alter schon fast steinalt vor, aber das tat jetzt einfach nichts zur Sache. Das geistige Alter war das, was zählte![/style]
 

„Wer soll sich bitte beschweren? Bekas Familie sind unsere Nachbarn und Beka darf ja wohl rüberkommen?!“, schnaubte Yurio leicht angriffslustig. „In dem Haus gibt es noch mehr Wohnungen, Yurio“, merkte Victor das Offensichtliche an. „Pffff“, schnaubte Yurio nur und blickte zu Potya, die immer noch auf seinem Schoß lag und schnurrte. „Pass auf, ich lasse dir genug Geld da, dass Beka und du euch das ganze Wochenende mit allen möglichen Junk Food vollstopfen könnt. Dafür erwarte ich aber, dass ihr niemanden stört. Deal?“, bot Victor nun an. Wenn er sich mit Geld eine heile Wohnung und glückliche Nachbarn erkaufen konnte, bitte. „Von wie viel sprichst du?“, Yurio verengte die Augen, als würde er überlegen. In dem Moment wurde Victor klar, dass er sich gerade richtig erpressbar gemacht hatte. Seufzend griff er in seine Hosentasche und nahm das Portmonee heraus, blickte abschätzend den Inhalt an, bevor er ein paar Scheine herauszog. Die reichte er Yurio und beobachtete seine Mimik. Zum Glück hatte dieser kein gutes Pokerface, was solche Dinge anging. Doch irgendetwas in ihm wollte weiter den großen, coolen Bruder raushängen lassen. Da erinnerte er sich plötzlich an etwas.
 

„Außerdem…“, damit griff er wieder ins Portmonee. „Du hattest die Tage doch erzählt, dass morgen dieses eine neue Spiel rauskommt, was du unbedingt haben willst?“ Er konnte sich nur bruchstückhaft daran erinnern, da Videospiele einfach nicht sein Gebiet waren. Allerdings konnte er am hoffnungsvollen Gesicht seines Ziehbruders erkennen, dass er richtig gelegen hatte. Also zog er noch einmal ein paar Scheine, diesmal aber weniger als den Betrag, mit dem er sich bereits das Wohl seiner Wohnung erstanden hatte, heraus. Als Yurio das Geld annahm, stand er ziemlich direkt auf. Potya sprang elegant wie immer von seinem Schoß. „Geht klar: Keine Partys, kein Lärm. Ich gehe dann noch einmal eine Runde mit Makkachin, dann kannst du in Ruhe weiter einpacken“, damit verschwand Yurio schon aus dem Raum. Verdutzt stand Victor da und rührte sich nicht. Ließ sich Yurio etwa mit Geld gefügig machen oder war ihm einfach das Spiel so wichtig? [style type="italic"]Das war durchaus eine Sache, die er sich zu Nutze machen konnte, hoffte er.[/style]
 

„Ach ja“, damit erschien wieder der blonde Schopf von Yurio im Durchgang zwischen Ankleidezimmer und Victors Schlafzimmer. „Ich habe keine Ahnung, wofür du meinst, diesen Anzug mitnehmen zu müssen… Also wenn du nicht vorhast, dich mit dem Schweinchen zu verloben, solltest du ihn zu Hause lassen.“ Damit war er auch schon wieder verschwunden. Victors Hirn arbeitete auf Hochtouren. Er wusste nicht, ob er sich wegen dem Spitznamen von Yūri echauffieren sollte oder einfach nur geschockt von der Idee einer Verlobung sein sollte.[style type="italic"] Verlobung. Hochzeit. Heiraten.[/style] Sein Kopf entschied sich offensichtlich für Letzteres und Victor hatte das dringende Bedürfnis, sich hinzusetzen. Da der Stuhl im Raum mit Kleidungsstücken übersät war, ließ er sich einfach auf den Boden fallen. Der Gedanke ließ gleichzeitig sein Herz hüpfen und Panik in ihm aufsteigen. Er. Und Yūri. Heiraten. Natürlich hoffte er, dass es mit Yūri was Langfristiges sein würde. Er wollte alt und runzelig und dick und grau… noch grauer… mit Yūri werden. Aber Hochzeit hatte so etwas Endgültiges… Er schüttelte den Kopf, stand auf und packte das Hemd zum Anzug wieder aus dem Koffer. Es war einfach zu früh, um sich darüber Gedanken zu machen.
 


 

Als Yūri am nächsten Tag aus der Uni trat, stand Victor lässig an seinem Wagen gelehnt und wartete. Er trug einen schwarzen Anzug mit silbergrauer Weste, schwarzem Hemd und eine Krawatte in purpurviolett. Zumindest hatte Victor einmal gesagt, dass die Farbe purpurviolett hieß. Für Yūri war es einfach nur ein dunkles Violett, dennoch sah Victor mal wieder aus, als käme er geradewegs von einem Fotoshooting. Aber auch einige Studentinnen schienen das zu finden, denn einige Schritte weiter hatten sich ein paar Grüppchen von ihnen gebildet, die tuschelten und ihm immer wieder Blicke zuwarfen. Victor schien davon völlig unbeeindruckt zu sein. [style type="italic"]Oder merkte er es gar nicht?[/style] Gerade war er dabei, den Ärmel seines Anzugs zu richten. Während er komplett darin vertieft zu sein schien, näherte sich, sehr zu Yūris Unmut, eine junge Studentin. Sie hatte lange, blonde Haare, ein etwas rundlicheres Gesicht und trug eins dieser gepunkteten Rockabilly-Kleider mit freien Schultern. Es betonte ihre Figur perfekt, das royalblau brachte ihre Haut zum Strahlen und alles an ihr schrie danach, dass sie zu der Sorte von Leuten gehörte, die morgens zwei Stunden früher aufstand, um sich so perfekt wie möglich in Schale zu werfen und dann doch ohne Frühstück aus dem Haus gingen, weil sie zu lange vor dem Spiegel verbracht hatten.
 

Sie stand mit dem Rücken zu Yūri, als sie Victor ansprach. Victor schaute auf, hörte ihr mit schiefgelegtem Kopf zu, doch seine Augen schauten plötzlich an ihr vorbei und Yūri direkt an. Yūri beschleunigte seine Schritte, um die 10 Meter Distanz zwischen ihnen schnellstmöglich zu überwinden. „Bitte entschuldige, aber ich bin verabredet“, hörte er Victor sagen, ohne dass seine Augen den Blickkontakt unterbrachen. Es klang so, als wollte die Studentin sich nicht so leicht abwimmeln lassen, doch als sie Victors Blick folgte und nun auch ihre Augen zu Yūri ging, schien sie ihre Niederlage begriffen zu haben. Yūri meinte noch ein „Die bestaussehenden Männer sind immer schwul“ zu hören, während sie auf ihren etwas zu hohen Pumps davonstolzierte. Victor lächelte ihn strahlend an. „Yūri! Wie war dein Tag?“, fragte er gut gelaunt. „Bisher gut und deiner? Sag mir bitte, dass das Netzwerk keine Probleme gemacht hat“, lächelte er zurück. „Ich kann nicht klagen, weder über das Netzwerk, noch über meinen Tag. Vor allem ab jetzt nicht mehr“, grinste er und öffnete die Beifahrertür für Yūri.
 

Er sah die neugierigen Blicke, die auf ihn und Victor gerichtet waren und es überraschte ihn selbst, wie wenig es ihm ausmacht, sich vermutlich gerade vor der ganzen Uni geoutet zu haben. Wenn er mit Victor zusammen war, neigte er einfach dazu, sich von seiner Unbefangenheit und seinem Selbstbewusstsein anstecken zu lassen. Er stellte zufrieden fest, dass es guttat. Daher lächelte er zufrieden und nutzte dabei die Gelegenheit bevor er ins Auto stieg, seine Hand auf Victors Oberarm zu legen, leicht bis zur Hand hinunterfahren zu lassen. Als Victor neben ihm im Auto saß, musste Yūri schmunzeln. „Ich frage mich, wie viele mich morgen nach deiner Nummer fragen werden“, sagte er. „Sollte ich dir vielleicht heute Abend noch einen Knutschfleck verpassen, damit sie sich denken können, dass sie keine Chance haben?“, lachte Victor, während er losfuhr. Yūri musste zugeben, dass er die Idee gar nicht so schlecht fand. Allerdings irritierte ihn das auch, denn er war kein 14 Jahre alter Schuljunge mehr, der so etwas lustig fand. Aber der Gedanke, wie all diese Frauen, die zu ihm kommen würden, um nach Victors Nummer zu fragen, unweigerlich auf den Knutschfleck gucken mussten und dann langsam eins und eins zusammenzählten, war doch ein wenig verlockend.
 

Lachend schüttelte Yūri den Kopf. „So lustig, wie es vielleicht sein mag, wir sind keine 14 mehr, Vitya“, begann er liebevoll und legte eine Hand auf Victors Oberschenkel. „Außerdem ist das unprofessionell, immerhin habe ich jetzt einen guten Job, den ich behalten möchte“, fügte er dann hinzu. Er hatte gehofft, dass Victor davon abgelenkt war, dass er ihm mitteilte, Yakovs Angebot anzunehmen, doch da hatte er sich getäuscht. „Das ist doch nicht unprofessionell, immerhin kannst du einen Rollkragenpulli anziehen. Die stehen dir sicher hervorragend und halten bei dem Wetter wunderbar warm. Dazu kommt noch, dass du genau genommen auch noch gar nicht bei uns angestellt bist“, er zwinkerte ihm kurz zu. „Oder du willst nur einfach den Frauen klar machen, dass ich zu dir gehöre?“, mutmaßte Yūri scherzhaft, doch Victor reagierte wieder einmal nicht wie erwartet. „Möglich“, gab er scheinbar gleichgültig zurück, doch dieses Mal war er leicht zu durchschauen. Sah Yūri sogar einen leichten Rotschimmer auf seinen Wangen oder war das nur die tiefstehende Mittagssonne?

Ab ins Wochenende

Die restliche Woche ging für Yūri wie im Flug vorbei. Ehe er es wirklich realisieren konnte, stand er mit seinem Koffer vor der Haustür und wartete auf Victor. Es war ein ungemütlicher Dezembertag gewesen. Grau, feucht und kalt. Einer dieser Tage, an denen man am liebsten gar nicht aufstand, geschweige denn, vor die Tür ging. Doch Yūri war diesen Morgen mit so viel Elan angegangen, dass er sich selbst ein wenig fremd gewesen war. Nach erledigter Arbeit war er dann schnell zurückgefahren und hatte den Rest seiner Sachen für ihr Wellness-Wochenende eingepackt. Dabei war er abwechselnd furchtbar nervös und unglaublich gespannt gewesen.
 

Er zog seine Winterjacke fester um den Körper und blickte noch einmal auf sein Handy. Er hatte in der Nachrichtengruppe von seinen Freunden gebeten, dass sich jemand um Phichits Hamster kümmern würde. Natürlich hatten sie sich dazu bereit erklärt, wobei Yūri nicht sicher war, ob seine Bitte oder Phichits Todesdrohungen, falls sie es nicht machen würden, dazu geführt hatte. Wichtig war aber auch nur, dass sich einer von ihnen um sie kümmerte. Einen Ersatzschlüssel hatten sie ja so oder so schon seit langem. Erst hatte Yūri noch überlegt, ihnen Getränke und Snacks bereitzustellen. Allerdings hatte er das ziemlich schnell verworfen, denn so, wie er die Chaoten kannte, wäre das dann schnell in einer spontanen Hausparty zwischen den Dreien ausgeartet. Und das Letzte, was Yūri im Moment brauchen konnte war, dass die alte zeternde Nachbarin wirklich einen Grund zum Meckern hatte. Nicht, wenn Phichit nicht da war, denn verzieh sie seltsamerweise alles. Aus diesem Grund hatte er dann auch kurzerhand beschlossen, auch noch ihre Konsole wegzupacken.
 

Ja, vielleicht war das ein wenig gemein von ihm. Doch er kannte seine Freunde. Natürlich – es waren ja immerhin schon einige Jahre seine Freunde. Sie waren manchmal eben Kindsköpfe, vor allem, wenn Alkohol mit im Spiel war. Sie meinten es nicht böse, ganz im Gegenteil, aber oftmals lief es einfach aus dem Ruder. Wie das eine Mal, als JJ betrunken 2 Großpackungen Kondome gekauft hatte und der Meinung gewesen war, ihnen mit einer Banane vorzuführen, wie man kunstvoll Kondome überstreifen könne. Wobei sich Yūri im Nachhinein ärgerte, nicht besser aufgepasst zu haben, als es darum ging, ein Kondom mit dem Mund überzustreifen… Jedenfalls waren sie am nächsten Morgen in einem Raum mit 80 aufgeblasenen Kondomen wach geworden. Der Raum hatte 2 Tage lang nach Latex gestunken und noch 2 Wochen später hatte er klebrige Stellen vom eingetrockneten Gleitgel auf Boden, Möbel oder an der Wand entdeckt. Dass diese Mistdinger aber auch immer damit zugekleistert waren… Nicht unbedingt eine seiner liebsten Erinnerungen.
 

Das Knallen einer Autotür riss ihn aus den Gedanken an vergangene Tage und als er aufblickte, sah er auch schon Victor näherkommen. Er hatte die Augenbrauen besorgt zusammengezogen und sah ihn forschend an. „Alles in Ordnung, Любимый?“, fragte er. „Ja, ich war in Gedanken und habe dich nicht kommen hören. Das ist aber auch echt eine Sache bei Elektroautos“, musste Yūri lachen. Er hatte den Eindruck, Victor musterte ihn noch für einen kurzen Augenblick, als würde er überprüfen wollen, dass er auch wirklich die Wahrheit sagte. Doch dann nickte er mit einem kleinen schiefen Grinsen und hob dann Yūris Tasche vom Bürgersteig auf. „Vitya… du musst nicht-“, begann er, doch Victor winkte direkt ab. „Ich habe dir das Wochenende geschenkt, weil ich dich mal richtig verwöhnen wollte. Und das beginnt schon mit der Fahrt“, erklärte Victor ihn mit erhobenem Zeigefinger seiner freien Hand, bevor er zum Kofferraum seines Autos ging. Yūri seufzte. „‘So richtig verwöhnen‘?“, fragte er dann mit hochgezogenen Augenbrauen, fuhr dann aber fort, bevor Victor antworten konnte: „Heißt das, du hast mich bisher noch nicht ‚richtig verwöhnt‘.“ Sein Ton war neckend, doch er befürchtete, dass Victor dieses Wochenende maßlos übertreiben würde. Victor kam grinsend auf ihn zu und beugte sich soweit hinunter, dass sich ihre Nasenspitzen berührten. „Ich verwöhne eben gerne den Mann meiner Träume“, sagte er gut gelaunt, bevor er Yūri küsste.
 


 

Die Fahrt zum Hotel war recht still gewesen. Doch es war keines dieser unheilvollen, unangenehmen Stillschweigen gewesen. Es war viel mehr eine angenehme, entspannte und vertraute Atmosphäre gewesen. Sie genossen beide die Anwesenheit des Anderen, ohne dass viele Worte nötig gewesen wären. Hier und da machte Yūri ihn auf mögliche Gefahren aufmerksam, wie zum Beispiel der stark schwankende LKW oder der Idiot, der ohne zu blinken die Spur wechselte. Mehrfach. Ohne zu gucken. Es war schwierig für Victor gewesen, da nicht zu schimpfen wie ein Rohrspatz. Nicht zum ersten Mal hatte er sich gewünscht, dass der Straßenverkehr mehr was von Mario Kart hätte. So ein kleines Bömbchen würde ihm bei solchen fahrenden Vollspaten wirklich gefallen. Allerdings wusste er von seinen wenigen Runden mit Yurio, dass er im Gegensatz zum wirklichen Straßenverkehr bei Mario Kart eine echte Niete war. Wobei es ihm wie die Ironie des Schicksals vorkam, dass er diese Gedanken hegte, während er mit eben diesem Mann im Auto saß, dem er vor knapp 4 Monaten ins Auto gekracht war. Ok, auch das war übertrieben, aber so war er nun mal. Da er allerdings mitbekommen hatte, wie viel die Stadt für die Instandsetzung der Poller seiner Versicherung in Rechnung gestellt hatte, war er sich sicher, dass zumindest denen ein weiteres kaputtes Fahrzeug lieber gewesen wäre.
 

Auch beim Einchecken hatten sie nur interessierte, neugierige Blicke geerntet, keine feindselige oder ablehnende. Victor hatte irgendwo mal gehört, dass manche Hotels schwule Pärchen nach Möglichkeit ablehnten. Natürlich offiziell aus ganz anderen Gründen. Mittlerweile hatte Victor so viele vollkommen gegenteilige Reaktionen erlebt, dass ihm manchmal ganz schwindelig davon geworden war. Selbst in seiner eigenen Familie: Eine völlig ablehnende Tante, einen total gleichgültigen Bruder und einen in jeder Art unterstützenden Onkel. Und einen ignorierenden Onkel. Der Mann seiner Tante ignorierte einfach alles, was zu mühselig sein könnte oder ihm potentiell Ärger mit seiner Ehefrau einbringen könnte. Er bezog höchstens einmal bei einer Diskussion über das Wetter klar Stellung. Victor seufzte innerlich, als er vor der Tür zum Hotelzimmer stand. Er hatte schon die Hand mit der Schlüsselkarte gehoben, als er sich zu Yūri umdrehte und sich mit einem Lächeln auf die Gegenwart konzentrierte. „Möchtest du?“, fragte er.
 

Yūri blickte ihn blinzelnd an, als würde er seine Frage nicht verstehen. Doch dann nickte er. Victor streckte ihm die Karte entgegen und machte einen Schritt zur Seite, blieb aber in seiner Nähe, um Yuris Reaktion genau mitbekommen zu können. Yūri öffnete die Tür des unscheinbaren Zimmers und blickte hinein. „Vitya…“, hörte er dann leise, wusste Yūris Tonlage aber nicht ganz zu deuten. „Ja, Любимый?“, fragte er daher ein wenig zögernd. „Du sagtest, du hättest ein Hotelzimmer reserviert. Das hier ist eine Suite“, seufzte Yūri. Inzwischen war Victor der Meinung, Belustigung sowie Resignation in Yūris Stimme zu hören. „Die Studio Suite, um genau zu sein“, erklärte er schulterzuckend. „Aber das war nicht das, was wir abgemacht haben“, Yūri schaute ihn ernst und auch eine Spur fassungslos an. „Aber das ist doch ein Hotelzimmer!“, erwiderte Victor so unschuldig, wie er konnte. Doch auch ohne sich in einem Spiegel zu sehen, wusste er, dass seine Mundwinkel verräterisch zuckten. „Ich habe doch gesagt, ich möchte dich verwöhnen. Also lass dich auch bitte verwöhnen, sonst muss ich mir dich eben gefesselt und geknebelt über die Schulter werfen und in den Spa-Bereich zwingen“, grinste er. Yūri schien etwas antworten zu wollen, aber man sah förmlich, dass ihm kein passender Konter einfiel. Victor war so verzückt von dem Anblick, dass er fast vor Schreck zusammenfuhr, als sich jemand hinter ihnen räusperte. „Ihr Gepäck, meine Herren.“
 


 

Yūri blinzelte noch ein paar Mal, ging dann aber vorsichtig in das ‚Hotelzimmer‘ hinein. Eigentlich hätte er sich das denken müssen und er hätte sich innerlich ohrfeigen können, dass er Victor nicht kontrolliert hat. Er ahnte bereits Böses. Halbwegs geduldig wartete er ab, bis der Concierge wieder den Rückzug angetreten hatte. Natürlich erst, nachdem er sich versichert hatte, dass sie nichts mehr benötigen. „Was für Überraschungen erwarten mich noch?“, fragte er, sobald die Tür wieder geschlossen war. Er hoffte, dass seine Stimme ausdrückte, dass er das Wort ‚Überraschung‘ nicht unbedingt positiv meinte. Victor hatte wieder diesen übertriebenen unschuldigen Blick aufgesetzt, als er antwortete: „Was meinst du damit, Любимый?“
 

Yūri seufzte und fuhr sich kurz durch die Haare. „Ich meine noch etwas Übertriebenes“, damit deutete er auf das Zimmer und die Flasche Champagner in einer Kühlschale voller Eis, auf dem großen Couchtisch vor dem großen LED-TV an der Wand. Yūri schätzte den Fernseher mindestens 55 Zoll. „Was davon ist denn so übertrieben?“, Victor schien seine unschuldige Haltung noch nicht aufgeben zu wollen. „Och, ich weiß nicht… Vielleicht, dass wir in Niagara-on-the-falls, in Kanada, sind? Dass wir ihm 124 Queens sind, einem 5-Sterne-Hotel? Dass du eine Suite, statt einem Hotelzimmer, gebucht hast? Dass der Champagner auf dem Tisch bestimmt mindestens 300 Dollar kostet…?“, Yūri wusste nicht, wo er anfangen und aufhören sollte. „100“, antwortete Victor. „Was?“, fragte Yūri verwirrt. „Die Flasche kostet knapp 100 Dollar. Ist aber ein Geschenk des Hauses“, Victor zwinkerte und grinste übermütig. Yūri atmete tief durch und schüttelte dann nur den Kopf. Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. „Vitya, das ist zu viel“, beharrte er aber dennoch und ging zu ihm herüber.
 

Sofort schlang Victor seine Arme um ihn. „Gefällt es dir denn, Любимый?“, fragte dieser leise als er seinen Kopf auf Yūris Schulter legte. „Es ist unglaublich! Ich meine…“, er deutete fassungslos mit einer Hand wieder in den Raum hinein. Seine andere Hand lag auf Victors Schulter. „Dann ist doch alles gut“, auch ohne es zu sehen, wusste Yūri, dass Victor dabei lächelte. „Aber das muss doch alles ein Vermögen gekostet haben“, seufzte Yūri wieder. Natürlich gefiel es ihm und er würde einen Teufel tun, diesen Urlaub nicht zu genießen. Aber dennoch fühlte er sich schlecht. Zum einen war ein solches Geschenk vermutlich auf Ewigkeiten außerhalb seines Budgets und er würde sich daher niemals bei Victor revanchieren können. Zum anderen hatte er nicht wirklich das Gefühl, ein solches Geschenk verdient zu haben. Er spürte, wie sich Victor ein wenig von ihm löste, um ihn anzuschauen. „Yūri. Ich wollte uns einfach einen schönen Kurzurlaub gönnen. Ich habe versucht, meine Versprechen and dich und meine Wünsche unter einen Hut zu bekommen und dann ist das hier dabei rausgekommen. Ja, vielleicht ist es übertrieben, aber du kennst mich“, er grinste schief, bevor er fortfuhr. „Und jetzt mal ehrlich. Die Niagara Fälle! Ich wollte sie schon immer von der kanadischen Seite sehen!“ Victors Augen strahlten dabei wie die eines Kindes.
 

Unwillkürlich musste Yūri lachen. Es erleichterte ihn ungemein, dass er auch seine Wünsche in den Urlaub hatte einfließen lassen. Er zog Victor wieder zu sich heran und küsste ihn. Verlor sich ein wenig im Gefühl seiner weichen Lippen auf seinen Eigenen. Vermutlich hätte er noch Stunden so verbringen können, wenn sich Victor nicht nach einer Weile von ihm gelöst und geräuspert hätte. „Sollen wir uns noch eine Kleinigkeit zu essen besorgen und dann zu unserer Massage?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. „Du hast eine Massage gebucht?“, seufzte er und fragte sich gleichzeitig, was noch so alles auf ihn zukommen würde. „Natürlich. Immerhin habe ich dir einen Wellnessurlaub versprochen! Außerdem sind wir nicht zum Spaß hier!“, verkündete Victor, verschränkte seine Hand in Yūris und zog ihn aus dem Zimmer.
 


 

Warm eingepackt lagen sie im Wellness-Bereich. Nach einer ausgiebigen Massage hatten sie noch eines dieser Hamam-Erlebnisse, wie sie es im Hotel bewarben. Victor hatte keine Ahnung von so etwas, aber es war durchaus entspannend gewesen. Nun fielen sie wie die Heuschrecken über einen Teller voller geschnittenem Obst her, während sie jeder ein Glas Champagner schlürften. Für beide das Dritte an diesem Abend. „Ich wusste gar nicht, dass Wellness so hungrig macht“, grinste Victor und nahm sich ein Stück Apfel vom Teller. „Ich auch nicht, aber so lässt es sich definitiv aushalten“, kicherte Yūri leise. Er hatte schon einen leichten Rotschimmer auf den Wangen, vermutlich vom Alkohol. Kurzentschlossen streckte Victor seine Hand aus, um Yūri mit dem Apfel zu füttern. Dieser hatte die Scheu offensichtlich schon vor einem Glas des alkoholischen Getränks über Bord geworfen und angelte mit seiner Zunge nach dem Stück, ohne dabei Victors Finger auszulassen. Überrascht blickte Victor ihn an, spürte aber bereits ein leichtes Prickeln in seinem Körper.
 

Mit einem lasziven Grinsen griff er nach einer Traube und führte sie wieder zu Yūris Mund. Doch dieses Mal saugte er Victors Zeigefinger mit ein und umspielte ihn mit seiner Zunge. Mit Mühe und Not unterdrückte Victor ein Stöhnen, das Prickeln breitete sich in seinem ganzen Körper aus und sein Herz begann schneller zu schlagen. In einer halben Minute hatte ihn Yūri soweit, dass er nicht weiter auf dem Bauch liegen konnte, sondern sich aufsetzen musste. „Yūri, wir sind hier in einem halbwegs öffentlichen Bereich…“, mahnte Victor leise. Ihr Urlaub hatte gerade erst angefangen, er wollte nicht gleich rausgeworfen werden. Auch wenn es vielleicht später eine lustige Anekdote bei einem Gespräch mit Chris sein würde. „Dann bring mich irgendwo hin, wo wir unter uns sind“, Yūri schnurrte schon fast. Schnell blickte sich Victor um und sah einen Stapel Badetücher. Er schnappte sich zwei, hielt eines vor sich, um die verräterische Beule unter seinem Bademantel zu verbergen und zog Yūri dann auf die Füße. „Du bist noch der Tod für mich, Любимый“, flüsterte er ihm ins Ohr, als er vor ihm stand. Dann zog er Yūri mit sich, erleichtert, dass die Behandlungen bereits auf seine Zimmernummer gebucht worden waren. Denn nun stand ihm wirklich nicht der Sinn danach, irgendwelche Bezahlungen zu regeln.

Tag des Fluchens

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kennenlernen

Die Scheibenwischer fuhren immer wieder mit einem leisen Quietschen über die Windschutzscheibe. Der Himmel war wolkenverhangen, hing über ihnen wie ein Unglücksbote. Der Regen schlug mal prasselnd und mal seicht gegen das Glas des Wagens, doch schien zu jeder Zeit unerträglich laut. Victor starrte stumm auf die Straße, während sie sich Kilometer für Kilometer näher an ihr zu Hause kämpften. Auch Yūri starrte geradeaus. Seine Augen brannten vor vergossener und unvergossener Tränen. Noch gestern war alles toll gewesen. Sie hatten die Niagara-Fälle besucht und der Kellner hatte Victor abends als Idiot bezeichnet, dass er diese Gelegenheit nicht genutzt hatte, ihm einen Antrag zu machen. Man würde doch nur aus diesem Grund diese Sehenswürdigkeit besuchen, hatte er kopfschüttelnd und verständnislos klargestellt. Victor hatte ausgesehen, als höre er dies zum ersten Mal, mit großen Augen und leicht geöffneten Mund. Yūri hätte sich an diesem Augenblick nicht sattsehen können.
 

Doch an welcher Stelle war alles schief gegangen? Wann war ihre rosarote Welt zu diesem trüben Grau geworden, das ihnen nun im wahrsten Sinne des Wortes die Rückfahrt erschwerte? Vermutlich hätte er einfach nicht in den großen Spiegel im Schlafzimmer schauen sollen. Er hatte sich noch von abhalten wollen, doch ganz ungebeten glitt sein Blick zu seinem Spiegelbild. Er hatte ja gewusst, dass er zugenommen hatte. In der Regel merkte man das ja. Vor allem ab einem gewissen Maß. Aber der Anblick hatte sein, eh schon spärlich vorhandenes, Selbstbewusstsein bis in die Grundfesten erschüttert. So wird Vitya nicht lange bei mir bleiben, schoss ihm durch den Kopf und sofort kämpfte er gegen seine Tränen. Es war seine Schwachstelle in zweierlei Hinsicht. Zum einen nahm er unglaublich schnell zu. Manchmal hatte er das Gefühl, er könnte zuschauen, wie jemand eine Tafel Schokolade isst und würde entsprechend zunehmen. Gleichzeitig half das seinem geringen Selbstvertrauen natürlich überhaupt nicht. Und er hasste sich selbst dafür. Noch weniger half, dass er sich zu diesem Zeitpunkt eine Suite mit jemanden geteilt hatte, der in seinen Augen atemberaubend gut aussah.
 

Er wusste, dass Victor die Situation nur auflockern wollte, in dem er seine Sorgen mit „Das ist kein Fett, das ist sexuelle Schwungmasse!“ versucht hatte zu beschwichtigen. Natürlich wusste er das. Natürlich wusste er auch, dass Victor ihn nicht wegen ein paar Pfunden mehr verlassen würde. Aber es kam einfach nicht an. Die Logik ist eine feine Sache, wenn sie zum emotionalen Teil des Hirns vordringen kann. Aber bei diesem Thema war Yūri einfach nicht rational. War es noch nie gewesen und wird es wahrscheinlich niemals sein. Er hatte ausgekeilt. Hatte Victor angefahren. Ihm gesagt, dass er ihn doch gar nicht kannte. Nichts von ihm wusste. Ihn nicht verstand. Der Schmerz in Victors Augen hatte ihm ein wenig den Wind aus den Segeln genommen. Hatte seinen blinden Zorn ein wenig abgeschwächt. Und plötzlich hatte er sich so dumm gefühlt. Dumm und undankbar. Victor tat all das für ihn. Hatte ihn auf diese Reise eingeladen, ihn gepflegt, als er krank war. Er trug ihn förmlich auf Händen und er warf ihm solche unfairen Worte ins Gesicht.
 

Tränen brannten heiß ihn Yūris Augen, er versuchte verzweifelt, den Kloß in seinem Hals runterzuschlucken. Seitdem schwiegen sie sich an. Hatten still ihre letzten Sachen in die Taschen gepackt und waren ohne Frühstück aufgebrochen. Mit eben dieser eisigen Stille bahnten sie sich jetzt ihren Weg durch das Unwetter, das so sinnbildlich für Yūris Gefühlswelt stand. Er hasste sich für seine Worte. Warum waren es immer die Worte, die andere verletzten, die so voreilig ausgesprochen waren? Und warum war es so schwer, jetzt irgendetwas zu sagen? Warum konnte er nicht einfach sagen, wie leid es ihm tat? Dass er überreagiert hatte. Dass er es gar nicht so meinte. Aber sein Mund war trocken, seine Stimme ließ ihm im Stich. In seinem Kopf kreisten die Gedanken, doch er bekam sie nicht in Worte gefasst.
 

Panik stieg in ihm auf, als sie in die Straße einbogen, in der Yūri wohnte. Er war noch nie so ungern nach Hause gekommen. Widerwillig stieg er aus dem geparkten Auto. Stumm holte Victor seine Tasche aus dem Kofferraum und stellte sie ihm vor die Füße, da er einfach nicht in der Lage war, sie entgegen zu nehmen. Er steckte so tief in seinen Gedanken, dass er nicht mitbekam, wie ihn Victor in die Augen schaute, kurz verweilte, sodass Yūri ihn aufhalten konnte. Doch noch bevor Yūri sich rühren konnte, war Victor schon wieder im Auto und fuhr an. Seine Tränen mischten sich mit dem Regen, denn er war ohne es zu merken einen Schritt aus dem Hauseingang herausgetreten und nun durchweichten die Tropfen langsam seine Kleidung.
 

Als Victor nach Hause kam lag seine Wohnung im Dunkeln. Ein wenig war er erleichtert, dass er sich nicht mit Yurio rumschlagen musste. Schmerzhaft war nur das Fehlen von Makkachin. Achtlos ließ er die Tasche am Eingang fallen und hielt sich gar nicht erst damit auf, das Licht anzumachen. Noch während er seinen Mantel abstreifte, suchte er mit kalten Fingern auf seinem Handy nach der Playlist für solche Momente. Nur wenige Augenblicke später ertönte die melancholische Gitarre von Johnny Cash aus seinen Lautsprechern im Wohnzimmer. Er wusste nicht mehr, wie oft er dieses Lied nach einer Trennung gehört hatte. Er kannte jedes Wort in und auswendig. Er fühlte sich tatsächlich, wie ein Vogel auf einer Hochspannungsleitung. Hoch oben und alleine.
 

Jetzt war eingetreten, wovor er sich während der gemeinsamen Zeit mit Yūri gefürchtet hatte: Ein unüberlegter, wirklich mieser Spruch von ihm hatte alles zerstört. Hatte seinen wundervollen Traum in Tausend Teile zerspringen lassen. Wie kam er auch immer wieder auf so einen Mist? Ja, natürlich hatte er die Stimmung auflockern wollen, aber hätte nicht ein ‚Ich liebe dich so, wie du bist‘ oder etwas in der Art nicht ausgereicht? Vielleicht hätte er Yūri auch einfach animieren können, mit ihm gemeinsam Sport zu machen? Yūri joggte ja immerhin, so unfit konnte er also nun wirklich nicht sein. Möglicherweise hatte ihn deswegen sein Spruch so hart getroffen? Natürlich hatte er auch gemerkt, dass Yūri nicht gerade das Selbstbewusstsein in Person war, aber war es so schlimm? War das vielleicht sein wunder Punkt?
 

Egal wie sehr es Victor in seinen Gedanken drehte und wendete, er konnte Yūri keinen Vorwurf machen. Wenn jemand ihm einen vergleichbar dummen Spruch wegen seiner Onkel-Job-Situation an den Kopf geworfen hätte…? Scheiße, er hätte Kleinholz gemacht. Oder hätte sich zum Wundenlecken zurückgezogen. Aber es hätte ihn definitiv schwer getroffen. Schwerfällig ließ er sich auf das Sofa fallen und vergrub die Hände, dabei lauschte er den vertrauten Klängen und ließ sich von seiner Trauer mitreißen. Gleich würde die Stelle kommen, in dem der Protagonist des Lieds alles wieder gut machen wollte. Aber leider war es im wahren Leben nicht immer so einfach. Das eisige Schweigen im Auto hatte es ihm gezeigt. Er hatte eine Grenze überschritten, die er nicht hätte überschreiten dürfen. Sein Fehler war nicht einfach so wiedergutzumachen. Da war nichts mit vergessen und vergeben. Natürlich hatte er sich direkt bei Yūri versucht zu entschuldigen, doch sein Gesicht hatte Bände gesprochen. Vielleicht konnte er in ein paar Tagen vorsichtig mit einer Nachricht anklopfen, aber so verletzt wie Yūri ausgesehen hatte? Auch vor seiner Haustür hatte Yūri ihm mit keinem Blick gewürdigt. Er hatte sogar noch einmal kurz auf dem Weg zum Auto innegehalten, doch es war keine Regung gekommen.
 

Das Lied ging in seine finale Strophe über und Victor erwägte, es auf Wiederholung zu stellen, als mit einem Mal das Licht anging. „Meine Fresse, dieses Gejammer kann man ja nicht mitanhören“, maulte Yurio und sofort war Makkachins Gesicht vor Victor aufgetaucht. Liebevoll aber matt kraulte Victor seinem Hund den Kopf. „Oh man. Echt jetzt? Wie hast du es geschafft, das Schweinchen zu vergraulen? Der war doch so vernarrt in dich.“ Auch ohne aufzublicken wusste Victor, dass Yurio mit dem Kopf schüttelte. „Nenn ihn nicht so!“, er wusste selbst, dass seine Worte mehr Nachdruck hätten haben müssen, aber mit einem Mal fühlte er sich so müde. Zu müde, um sich mit seinem Bruder auseinanderzusetzen. „Ich war einfach dumm, Yuri. So, so dumm…“, seine Stimme kippte und er beschloss, es einfach dabei zu belassen.
 

„Scheiße, muss ja echt ernst sein, wenn du mich endlich mal wieder bei meinem Namen nennst.“ Er sah Yurios Füße in den Augenwinkeln und spürte plötzlich einen scharfen Schmerz an seinem linken Schienbein. „Was zum…? Hast du mich gerade getreten?!“, fassungslos blickte Victor auf. „Irgendwie muss ich es ja schaffen, dass du mich anschaust. Also, Opa. Rede mal Tacheles“, Yurio schnaubte dabei und verschränkte die Arme. Seit wann war er so neunmalklug? Doch vielleicht würde es guttun, es sich von der Seele zu reden? „Yūri hat gesagt, ich hätte keine Ahnung, wer er ist und wie er fühlt. Das, was da am Meisten weh tut ist, dass er recht hat. Ich habe echt keine Ahnung“, er blickte wieder zu Makkachin. Er wollte einfach nicht mit ansehen, wie sein jüngerer Bruder ihn musterte.
 

„Boah, sag mal, wann bist du zu so einem Weichei geworden?“ Yurios Frage ließ Victors Kopf wieder nach oben schnellen. „Bitte was?“, fragte er mit einer Spur Ärger in der Stimme. „Muss ich mich echt wiederholen? Du bist ein Weichei. Ein Weichei. Soll ich dir das noch irgendwo aufschreiben, dass du das kapierst? Vor ein paar Tagen faselst du noch von der Liebe deines Lebens. Machst die verrücktesten Sachen, damit du ihn besser kennenlernst und jetzt läuft es einmal nicht ganz rund und du steckst den Kopf in den Sand?! Verdammte Scheiße, wie ich das an dir hasse! Kämpfe endlich mal für etwas! Du hast schon nicht für deinen Traum gekämpft, Eiskunstläufer zu werden. Glaubst du, ich habe all die Träume vergessen, die du mir mit glänzenden Augen heimlich nachts erzählt hast, als wir beide noch klein waren? Wo ist dein Ehrgeiz geblieben? Wann hat die dumme, alte Schachtel dir den genommen? Wir hatten uns geschworen, dass wir uns nicht von ihr kaputt machen lassen! Doch im Moment sehe ich nur einen, der kämpft und das bist ganz bestimmt nicht du!“
 

Ein Ruck ging durch Victor und er blickte zu Yurio auf. Für einen Moment blickte er ihm ins Gesicht, bevor er aufsprang, ihn an sich drückte und auf die Wange küsste. „Bah, üarghs, nein! Aus! Pfui!“, ertönte der Protest seines Bruders, doch in Punkto Stärke hatte er ihm noch ein bisschen was voraus. Trotzdem ließ er ihn schnell wieder los. „Danke. Du hast völlig recht. Ich schulde dir was! Ich muss noch mal weg!“, damit lief er in sein Schlafzimmer, griff wieder nach seinem Mantel und rannte so schnell zu Yūri, wie er nur konnte. Er würde noch einmal mit ihm reden. Er würde sich entschuldigen. Er könnte alles wieder gut machen. Und wenn nicht, hätte er es wenigstens versucht.
 


 

Mittlerweile war Yūri fast verzweifelt. Phichit ging nicht ans Handy und zu Hause konnte er um diese Uhrzeit auch nicht anrufen, da morgens immer viel zu tun war. Sollte er JJ oder einen seiner anderen Freunde anrufen? So wirklich hatte er die Katze nicht aus dem Sack gelassen und irgendwie widerstrebte es ihm, zum Beispiel mit JJ über dieses Problem zu reden. Er würde keine Hilfe sein und am Ende würde er sich noch schlechter fühlen, als er es ohnehin schon tat. Vielleicht würde er ihm sogar vorwerfen, dass er total überreagiert hatte. Das wusste er natürlich, aber es noch aus dem Mund eines anderen zu hören, war um so vieles schlimmer. Er war gerade dabei, sich zu einem Ball auf dem Boden zusammenzukauern, als es an der Tür klingelte. Nicht einmal, sondern ein wahres Sturmklingeln, was es unmöglich machte, seinen ursprünglichen Plan, es zu ignorieren, in die Tat umzusetzen.
 

Lustlos betätigte er den Öffner. Wahrscheinlich ein Postbote, der dringend ein Paket abgeben musste und im Halteverbot stand oder etwas Ähnliches. Umso geschockter war er, als er Victor die Treppe hochlaufen sah. Er nahm mehrere Stufen auf einmal, da war er sich sicher. Als er schwer atmend vor ihm stand, trafen sich ihre Blicke zum ersten Mal seit dem Morgen und Yūri wäre am liebsten weinend zusammengebrochen. „Bitte, Yūri. Schenke mir noch einmal ein paar Minuten deiner Zeit. Wenn du mich dann trotzdem nicht mehr sehen möchtest, muss ich das akzeptieren“, hörte er Victors Stimme doch seine Worte ließen ihn blinzeln. Er ihn nicht mehr sehen wollen? Das machte keinen Sinn! Er war doch derjenige, der die ganze Sache so kolossal verbockt hatte. Benommen nickte er. „Das Wichtigste zuerst: Ich bitte dich um Entschuldigung für meine wirklich gedankenlose Bemerkung. Sie war absolut unangebracht und seitdem ist kein Moment vergangen, in dem ich sie nicht hätte zurücknehmen wollen. Mir ist regelmäßig schmerzlich bewusst, dass ich vieles über dich nicht weiß. Aber mir ist auch vieles aufgefallen: Rohe Tomaten sortierst du immer aus, aber gekocht magst du sie gerne. Du wirst unglaublich schnell rot, wenn dir etwas in irgendeiner Form unangenehm ist. Wenn das Buch sehr spannend ist, bewegen sich deine Lippen leicht mit beim Lesen…“ Das hatte er bemerkt? Yūri spürte, wie wieder die Tränen in seine Augen schossen.
 

„Natürlich ist da noch mehr und ich könnte noch mindestens eine Stunde weitermachen. Aber trotzdem hast du recht, Yūri. Ich weiß immer noch viel zu wenig von dir. Ich kenne so wenig von dem Menschen Yūri Katsuki, dass ich mich manchmal fühle, als hätte ich darin versagt, dir ein guter Partner zu sein.“ Yūri öffnete den Mund, wollte diese Selbstgeißelung von Victor beenden, doch Victor hob abwehrend die Hände. „Doch ich liebe dich zu sehr, um das einfach so zu belassen. Hier“, damit holte er einen weißen Umschlag aus seinem Mantel und reichte ihn Yūri, „das wollte ich dir eigentlich zu Weihnachten schenken, eben weil ich alles über dich wissen möchte. Du kannst reinschauen, wenn du magst. Ich möchte dich von Grund auf kennenlernen. Es sind so viele Fragen, die mich immer wieder quälen. Über deine Kindheit, deine Kultur, dein Leben in Japan im Allgemeinen. Wie schmeckt das Katsudon deiner Mutter, von dem du so schwärmst? Wie sieht die Eishalle aus, in der du als Kind Schlittschuh gelaufen bist? Wo hast du deine Zeit sonst verbracht? Was hat den Yūri damals bewegt, was bewegt ihn jetzt? Wo und wie hast du Phichit kennengelernt? Wie kam es dazu, hierher zu ziehen? Wie waren deine Anfänge hier? Gib mir die Chance, der Partner zu sein, den du verdienst! Willst du nicht in den Umschlag schauen…?“, Victors Stimme war zum Ende hin immer leiser und verzweifelter geworden.
 

Yūris Hände zitterten, als er den Umschlag öffnete und zwei Papierstücke hervor zog. Sein Herz setzte einen Schlag aus und sein Atem stockte. „Flugtickets nach Japan?“, fragte er ungläubig. „Das kann ich nicht annehmen!“

Wie ein Fisch

Yūri stand starr vor seiner Wohnungstür. Sein Gehirn schien gleichzeitig zu langsam und viel zu schnell zu arbeiten und irgendwie dachte er, dass ihm schwindelig war. Er glaubte sogar, dass sich sein Mund immer wieder öffnete und wieder schloss, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Victor stand ihm gegenüber und zählte gerade Dinge auf, die er gerne in seiner Heimat sehen würde. Dinge wie die Eiskunsthalle, das Schloss, welches die Stadt nahezu wachsam überragte. Das Meer und den Strand. Dinge, von denen Yūri hin und wieder mal erzählte, beiläufig und selten eine längere Geschichte dazu erwähnte. Doch Victor hatte es sich gemerkt. Dieser Gedanke traf ihn wie einen Schlag in die Magengrube und sein schlechtes Gewissen wurde mit einem Mal noch viel größer. Sein Mund fühlte sich viel zu trocken an.
 

Ein Räuspern holte ihn aus seiner Schockstarre. Vor allem deshalb, da es eindeutig nicht von Victor kam. Er blickte ihm über die Schulter um seine, doch etwas betagte Nachbarin zu sehen. Phichit hatte mal erwähnt, dass sie jenseits der 80 Jahre war und seitdem wartete Yūri irgendwie immer darauf, dass sie auszog oder die Hausverwaltung einen Treppenlift installiert. Doch die gute Frau war immer noch rüstig und gut zu Fuß, also würde bis dahin wohl noch ein wenig Zeit ins Land gehen. So hatte sich ein Running Gag zwischen seinem besten Freund und ihn entwickelt, dass sie sogar noch fitter sei, als sie beide zusammen. Was vermutlich auf ihren manchmal doch recht hohen Konsum an Junk-Food zurückzuführen war. Phichit hingegen vermutete, dass Kimchi der geheime Jungbrunnen von ihr war. Denn er hatte ihr mal bei einer leichten Lendenwirbelblockade geholfen und war danach mit gefühlten Tonnen selbstgemachtem Kimchi von ihr in die Wohnung zurückgekehrt. Sie hatte wohl darauf beharrt, dass Kimchi gut für den Körper sei. Und auch wenn Yūri in den darauffolgenden Wochen niemals zuvor so viel Kimchi gegessen hatte, hatte er nicht unbedingt eine Veränderung feststellen können. Vielleicht hätten sie die Unmengen an frittiertem Hühnchen weglassen sollen, damit es wirkt?
 

Doch jetzt sah auch sie ihn abwartend an und Yūri wurde klar, dass sie wohl alles mitbekommen haben musste. Er spürte, wie seine Wangen brannten. Als sie dann noch fragend ihre Augenbrauen hob, schlug er die Hände vor sein Gesicht. „Es gibt nichts zu verzeihen und keine zweite Chance, die du brauchst, Victor“, murmelte er in seine Hände. Und dann, da ihm klar wurde, dass das einfach nicht genügte, richtete er sich wieder richtig auf, ließ seine Hände sinken und blickte Victor direkt in die Augen. „Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss. Aber lass uns erst einmal reingehen“, sagte er dann und zog Victor förmlich in die Wohnung. Jedoch entging ihm das süffisante Grinsen der alten Dame nicht. Erst als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, atmete er wieder aus, ohne vorher bemerkt zu haben, dass er überhaupt seinen Atem angehalten hatte. Sein Blick fiel auf Victor, der nun mitten im Wohnzimmer stand. Man konnte ihm ansehen, wie unschlüssig und nervös er wegen der ganzen Situation war und Yūri musste über sich selbst die Stirn runzeln, dass ein Teil von ihm sich freute, dass Victor wegen ihm in solch einem Zustand war. Das war nicht fair von ihm. Immerhin hatte er die ganze Sache und ihren wunderschönen Urlaub zunichte gemacht.
 


 

Victor glaubte, dass wenn sein Herz noch weiter so bis zu seinem Hals schlagen würde, er sich hier und jetzt auf den, doch etwas abgenutzten, Teppich in Yūris Wohnzimmer übergeben musste. Das wäre sicherlich keine erstrebenswerte Wendung in diesem ganzen Hin und Her. Er war wirklich ein bisschen verwirrt und wusste nicht, was er denken oder tun sollte. Er versuchte sich zusammenzureißen und ging immer wieder in Gedanken durch, dass es Yūri wohl auch leidtat. Das bedeutete doch im Umkehrschluss, dass es nicht aus war zwischen ihnen? Oder zumindest, dass noch eine Chance für sie bestand, richtig? Aber warum wollte er dann sein Geschenk nicht annehmen? Immerhin sollte er es ja spätestens an Weihnachten eh bekommen. Oder hatte er irgendeine Grenze überschritten? War es zu viel? Wollte er nicht, dass er mit ihm zu seinen Eltern fährt? Das würde Sinn machen. Sollte er vorschlagen, sich ein Hotelzimmer zu holen? Oder vielleicht wollte er lieber Phichit mitnehmen? Immerhin waren ja die Flugtickets schon bezahlt und er hatte in der ganzen Aufregung über diese Idee völlig vergessen, ob es eine Reiserücktrittsversicherung oder so gab. Und warum runzelte Yūri jetzt die Stirn? Sein Herz sank. Das war kein gutes Zeichen, oder?
 

Er räusperte sich und begann mit: „Hör mal…“ Doch gleichzeitig begann Yūri zu sprechen: „Es tut mir wirklich…“ Sie hielten beide inne und Victor versuchte, aus Yūris Mimik schlau zu werden. Aber er hatte das Gefühl, dass zu viele Emotionen in ihm um die Oberhand kämpfen. Yūris braune Augen sahen ihn direkt an. Waren sie ein wenig feuchter als sonst? Victor zog die Augenbrauen zusammen. Das gefiel ihm gar nicht. Sein Kopf suchte krampfhaft nach einer Idee, die Situation selbst ein wenig lenken zu können. Er räusperte sich wieder, denn der Kloß in seinem Hals wollte einfach nicht verschwinden. „Sollen wir uns setzen?“, fragte er in die Stille hinein, die wieder zwischen ihnen entstanden war. Yūri nickte und wie ungeschickte Schuljungen setzen sie sich gemeinsam auf das Sofa, jeweils etwas dem anderen zugewandt, dass sich ihre Knie fast berührten. Victor atmete tief durch. Dann entschloss er sich zu etwas, das er lange nicht mehr getan hat. Er öffnete den Mund, um einfach zu sprechen, ohne vorher seine Worte zurechtgelegt zu haben.
 

„Ich weiß, dass ich kein perfekter Partner bin. Unsere ganze Beziehung ist so verrückt und auch so intensiv. Ich habe manchmal das Gefühl, wir kennen uns nicht erst diese paar Monate. Ich weiß, das klingt eigenartig und manchmal zweifle ich selbst an meinem Verstand. Frage mich, ob das nicht irgendein Hirngespinst ist oder Traum und ich irgendwann furchtbar enttäuscht aufwachen werde“, er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Doch er konnte nicht verhindern, dass sich irgendwann auch wieder sein Hirn einschaltete. „Im Nachhinein wird mir oft bewusst, wie sehr ich mit meinen Geschenken wohl über die Stränge schlage. Es war für mich noch nie so einfach, euphorisch zu werden. Aber immer, wenn du ins Spiel kommst… Du bist irgendwie meine fleischgewordene Euphorie. Gott… Das klingt so kitschig und abgedroschen, oder? Jedenfalls ist es ok, wenn du nicht mit mir nach Japan fliegen möchtest. Du kannst auch mit Phichit oder-“, weiter kam er nicht, denn er wurde von Yūri unterbrochen. „Der Einzige, mit dem ich dorthin fliegen werde, bist du Vitya. Hör bitte auf dich für etwas zu geißeln, was du nicht verbockt hast.“
 

Victor öffnete seine Augen. Sein Kosename von Yūris Lippen klang noch nie so schön und liebevoll. Sein ganzer Körper kribbelte vor Aufregung, als er den Rest des Satzes begriff. Yūri würde mit ihm wirklich nach Japan fliegen? Aber dennoch konnte er den Rest nicht ganz so stehen lassen. „Ich war derjenige, der diesen unangebrachten Kommentar gemacht hat. Natürlich habe ich es verbockt“, Victor betonte das letzte Wort besonders. Doch Yūri schüttelte den Kopf. „Ich habe aus einer Mücke einen Elefanten gemacht“, sagte er. Diese Aussage brachte Victors Körper zum Beben. Blitzschnell richtet er sich auf und nahm Yūris Hand in seine. „Bitte sprich niemals so geringschätzig über deine Gefühle. Niemals. Deine Gefühle haben alle eine Daseinsberechtigung, egal wie hässlich oder schön sie sind. Sie sind ein Teil von dir. Leugne bitte niemals ein Teil von dir, denn all das macht den Yūri aus, den ich liebe. All das bist du, Любимый.“
 

Ein Schauder durchfuhr Yūris Körper, als er seinen Kosenamen hörte. Trotzdem musste er immer wieder an die vergangenen 24 Stunden denken. Mit selbstironischem Grinsen schüttelte er den Kopf. „Wir sind wirklich nicht gut mit unseren Worten, was?“, fragte er dann. Doch zumindest für seinen Teil hatte er darauf bereits eine Antwort. Victor lachte leise. „Nein, nicht wirklich. Aber da ich langfristig mit dir plane, haben wir auch was, woran wir langsam arbeiten können“, grinste er dann und zwinkerte ihn an. Yūris Herz hatte bei seinen Worten mindestens einen Schlag ausgesetzt. Es klang lächerlich objektiv, als hätte er kein Mitspracherecht, und doch fand er diese Aussage unglaublich schön. „Du planst also langfristig mit mir?“, Yūri zog eine Augenbraue hoch und konnte sich nicht verkneifen, ein wenig herausfordernd zu klingen. „Natürlich. Ich sehe uns schon in 40 Jahren irgendwo auf einer Parkbank. Du mit deinen gefürchteten paar Pfunden zu viel und ich mit blank polierter Glatze“, erklärte Victor erst, als sei es das selbstverständlichste, bevor er dann in Gelächter ausbrach. Yūri hatte sofort das Bild vor Augen. Auch wenn ihm dabei warm ums Herz wurde, musste er einfach in Victors Lachen einstimmen. Das Bild von einem Victor, auf dessen Kopfhaut sich die Sonne spiegelte, war einfach zu kurios.
 

Als sie wieder zu Atem kamen, blickte Yūri Victor in die Augen. „Abgemacht. Deine Glatze wird eh die Blicke aller Leute auf sich ziehen, da macht es nichts, wenn ich ein bisschen zulege“, kicherte er dann, während Victor kurz schmollte. „Ich sollte dich wissen lassen, dass ich alles tragen kann. Von Klamotten bis Frisuren. Schöne Menschen kann nichts entstellen!“, stellte er dann, immer noch grinsend, klar. Yūri hatte keine Mühe, sich das vorzustellen. Das Selbstbewusstsein, welches Victor immer nach Außen hin zeigte, würde schon dafür sorgen. Das war auch der Grund dafür, dass Yūri selbst oft vergaß, dass auch Victor ab und zu unsicher in ihrer Beziehung war. Manchmal schien es für Yūri so selbstverständlich, dass Victor alles schaffte und mit allem klarkam, dass er ihn schon fast auf ein Podest stellte. Als wäre er unantastbar. Vielleicht war das auch Yūris größter Fehler: Er himmelte Victor zu sehr an. In seiner Welt des Victors gab es kein Scheitern. Dass Victor allerdings ein Mensch aus Fleisch und Blut, mit Fehlern und Macken war, war für Yūri viel zu schnell vergessen.
 

Dieser Gedanke ließ Yūri blinzeln. „Weißt du, manchmal scheint mir unsere Beziehung wie in einem schlechten Liebesfilm“, begann er. Doch auf Victors zusammengezogene Augenbrauen hin, beeilte er sich: „Ich meine nicht, dass unsere Beziehung schlecht ist! Ich meine diese klischeehaften Liebesfilme! Oder vielleicht sogar romantische Komödien.“ „Du meinst, wenn die Bekanntschaft auf irgendeinem Missverständnis aufbaut?“, Victor nickte wissend. „Ja, genau. Am besten noch, dass einer der beiden um die halbe Welt fliegt, um den anderen zu sehen und der sich aus irgendwelchen, an den Haaren herbeigezogenen, Gründen nicht mehr an ihn erinnern kann“, lachte Yūri. Jetzt war er voll in seinem Trash-Filme-Element. „Ein betrunkenes Liebesgeständnis oder so! Das klingt total nach mir“, warf Victor begeistert ein. „Nein, tut mir leid. Ich vertrage noch lange nicht so viel wie du. Ich wäre der, der ein peinliches Geständnis machen würde. Dir bleibt nur die Rolle von demjenigen, der um die halbe Welt jettet“, lachte Yūri. „Nur um dann zu kapieren, dass du das völlig vergessen hast? Was ein schweres Los“, seufzte Victor. „Ein bisschen Spannung muss sein. Und irgendwann nach 90 Minuten wird Licht ins Dunkle gebracht und die Überraschung ist perfekt! Was ein Schwachsinn“, lachte Yūri.
 

Victor legte einen Finger an die Lippe und legte den Kopf ein bisschen schief. Ein paar Strähnen rutschten ihm über die Stirn. „Aber hier machst du den entscheidenden Fehler, Yūri“, erklärte er nachdenklich. „Aha? Der wäre?“, jetzt war Yūri neugierig. „Wir wären in der Hauptrolle. Das bedeutet, das kann nur ein Kassenschlager werden“, lachte Victor wieder. Yūri konnte nicht anders, als mitzulachen. Vor einer knappen halben Stunde hat sich alles noch so schwer angefühlt, als würde sogar die Luft in seiner Wohnung ihn erdrücken. Jetzt hatte er das Gefühl, dass er auf Wolken schwebte. Sein Trübsinn war wie weggeblasen, sein Herz hüpfte vor Freude und er fühlte sich, als könne ihn nichts erschüttern, wenn er nur Victor an seiner Seite hatte. Dennoch musste er was gestehen: „Als du eben weggefahren bist, dachte ich, ich sehe dich nicht wieder.“
 

Victors Gesicht wurde wieder ernst. „Ich war bereit, in Selbstmitleid zu ertrinken. Ich dachte, ich hätte es verkackt. Dass ich eine Grenze überschritten hätte, die das Band zwischen uns zerschnitten hat. Aber Yurio kann es nicht ertragen, wenn ich so bin. Er hat mir ganz schön den Kopf gewaschen und zur Vernunft gebracht“, fasste Victor mit schiefem Grinsen das Aufeinandertreffen mit seinem Bruder zusammen. „Oh?“, Yūri hob eine Augenbraue und fuhr dann mit neckendem fort: „Also muss ich mich bei Yurio bedanken?“ „Ich sollte ihm vermutlich ein teures Spiel oder so ein Jahresabo für Spiele als Dankeschön kaufen“, gluckste Victor und Yūri war der Meinung, dass er aus Verlegenheit ein bisschen rot wurde. „Oder einfach nur danke sagen“, schlug Yūri mit einem Schulterzucken vor. Victors Gesicht hellte sich auf. „Das ist sogar viel günstiger! Wenn ich dich nicht hätte, müsste ich dich wirklich suchen. Du machst mein Leben so viel besser“, er grinste schelmisch, doch Yūri konnte heraushören, dass Victor es nicht nur im Scherz sagte. Doch da nagte die ganze Zeit eine Frage an ihm und jetzt, da alles wieder in Ordnung zwischen ihnen zu sein schien, musste er sie einfach stellen. „Also gut. Victor Nikiforov und Yūri Katsuki fliegen gemeinsam nach Japan. Gib mir alle Details!“
 

Kurz konnte man sehen, wie Victors Augen zu funkeln begannen, als er Yuris Worte hörte. „Am ersten Weihnachtstag geht unser Flieger, wir bleiben über Silvester und fliegen dann am 04.01. wieder zurück. Die Details arbeiten wir hoffentlich gemeinsam aus“, war alles, was Victor dazu zu sagen hatte, doch er strahlte wie ein kleiner Junge am Weihnachtsabend vor einem Haufen Geschenke.

Claude

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Schöne Bescherung

In den darauffolgenden Wochen flog die Zeit förmlich dahin. Und ehe sich Yūri versah, stand Weihnachten bereits vor der Tür. Er war noch ein wenig ins Schwitzen geraten, denn er hatte als Weihnachtsgeschenk für Victor ein Stofftier von Makkachin anfertigen lassen. Doch erst zwei Tage vor Weihnachten war das Ergebnis so, wie sich Yūri das vorgestellt hatte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er dafür mehr Geld ausgegeben, als ihm lieb war. Wenn er noch ehrlicher zu sich selbst war, war es eben das einzige Geschenk gewesen, dass ihn wirklich überzeugt hatte. Und nun war er mehr als erleichtert, immerhin hatte Victor ihm dieses Wahnsinnsgeschenk gemacht. Sie würden nach Japan fliegen.
 

Yūri war immer noch ein wenig fassungslos. Wie lange war er nicht mehr dort gewesen? Wie lange hatte er seine Eltern nicht mehr gesehen, außer auf dem kleinen Display seines Handys? Wie lange hatte er nicht mehr die herzliche Umarmung seiner Mutter gespürt? Und wie lange nicht mehr ihr Katsudon gegessen? Alleine bei dem Gedanken lief Yūri das Wasser im Mund zusammen. Umso mehr war er in den letzten Wochen bestrebt gewesen, mehr auf Ernährung und auf Bewegung zu achten. Nicht, weil er einen möglichst guten Eindruck vor seinen Eltern machen wollte. Sondern weil er plante, nahezu jeden Mittag und Abend Katsudon zu essen. Es gab viele Gerichte, die er vermisste. Die hier in Detroit einfach nicht so schmeckten, wie zu Hause. Auch wenn es natürlich das ein oder andere gute Restaurant gab. Es gab zum Beispiel diesen ganz passablen Imbiss ein paar Häuser weiter. Wenn das Heimweh ihn mal so durchschüttelte, half ihm sogar das Katsudon von dort.
 

Sorgfältig strich er das Geschenkpapier glatt und klebte die Enden mit Tesafilm zusammen. Er war heute Abend bei Victor zum Weihnachtsessen eingeladen. Phichit war direkt von New York aus zu seinen Eltern geflogen, da über die Weihnachtstage nicht viel passieren würde. Er war immer noch Feuer und Flamme für das Projekt, welches er mit seinem Mentor mit einer weiteren Klinik durchführte. Yūri gönnte es ihm, doch manchmal fehlte ihm sein bester Freund sehr. Er war mehr als dankbar, dass er Victor kennengelernt hatte. Natürlich war er kein Ersatz, aber er wäre sicher wesentlich einsamer gewesen. Auch merkte er, dass Phichit derjenige war, der seinen Freundeskreis ein wenig zusammengehalten hatte. Ihre Treffen waren eh schon immer weniger geworden, vor allem wenn der ein oder andere eine Beziehung führte, aber mittlerweile schrieben sie sich meist nur noch Nachrichten in ihrer Gruppe.
 

Zufrieden begutachtete Yūri sein Werk. Er war nicht wirklich gut in Geschenkeverpacken, aber den Plüsch-Makkachin hatte er gut verpackt bekommen. Er war froh, dass er Yurio ein Spiel schenkte, die waren gut einzupacken. Die Packung Premium-Hundeleckerlies mit Büffelfleisch hatte er in eine Tüte gesteckt, auf der ein Hund mit Weihnachtsmütze abgebildet war. So konnte Makkachin es selbst auspacken. Vorsichtig, damit das Geschenkpapier nicht einriss, verstaute er alles in eine große Tasche. Dann schaute er auf die Uhr, um sich zu vergewissern, dass er noch genug Zeit für eine Dusche hatte.
 


 

Langsam beschlich Victor das Gefühl, dass er immer wie ein aufgeschrecktes, planloses Huhn durch die Küche lief, wenn er für Yūri kochen wollte. Heute war mal wieder keine Ausnahme. Er hatte lange überlegt, was er kochen sollte und schlussendlich hatte ihn Katya davon erzählt, dass in dem Restaurant, in dem sie arbeitete, aktuell Ente in Gewürzsauce und Cranberry-Rotkohl der Renner schlechthin sei. Also hatte er nicht lange gefackelt und nach einem Rezept im Internet gesucht. Mit eiserner Entschlossenheit, Yūri mit einem Festtagsschmaus zu beeindrucken, hatte er alle nötigen Zutaten vorbestellt und eingekauft. Nur hatte er die Rechnung nicht mit dem Federvieh von einer Ente gemacht. Oder, um genauer zu sein, mit den vier Keulen, die er beim örtlichen Feinkosthandel für eine horrende Summe erstanden hatte. War ja schließlich Weihnachten, da kostete so etwas gut und gerne mal das Doppelte. Und eben jene hochpreisige Stücke Wildgeflügel wollten einfach nicht so werden, wie es Victor gerne hätte. Und das Ganze war ja neben dem Fleisch auch immer noch die Grundlage für die Sauce.
 

Der Rotkohl war ihm ebenfalls einmal angebrannt, weil er gedacht hatte, er könne nebenbei noch ein Manuskript lesen. Es war ein Fantasyroman mit Waldgeistern, Mutter Erde, Dämonen und ein Mädchen, dass versucht, eine Katastrophe abzuwenden. Dazu wurde das Ganze mit 30 Holzschnitten illustriert. Holzschnitte. Wer machte heutzutage so etwas? Victor war direkt fasziniert gewesen. Und auch, wenn er noch nicht wirklich weit war, gefiel ihm die Idee doch recht gut. Zumindest, bis das Manuskript schuld am Rotkohl-Desaster wurde. Notgedrungen bat er Yurio, ihm noch einmal Rotkohl und Cranberrys vom Supermarkt zu holen. Victor hatte die Vermutung, dass nur zwei Gründe dafür gesorgt haben, dass er nicht rummaulte. Der erste Grund war, dass heute Victors Geburtstag war. Nicht, dass das eine große Sache zwischen ihnen gewesen wäre, aber dennoch. Grund zwei war, dass Yurio heilfroh war, dieses Weihnachten kein Seledka pod schuboi essen zu müssen. Victor selbst hatte nicht wirklich was gegen den russischen Matjessalat einzuwenden, aber er wusste, dass es jedes Jahr für Yurio eine Qual war.
 

Dieses Jahr war das erste Weihnachten, welches sie nicht mit ihrer Tante feiern würden. Zwar würden Yurio und sein Onkel zwischen die Jahre zu ihr fahren, aber Victor konnte sich rausreden, da er ja bald mit Yūri Richtung Japan aufbrechen würde. Außerdem wusste Yakov ja nur zu gut, wie das letzte Treffen zwischen den beiden gelaufen war. Vermutlich war Victor noch nicht einmal willkommen. Gleichzeitig wurde ihm warm ums Herz, als er sich an Yūris Schilderung erinnerte, wie glücklich seine Mutter gewirkt hatte, als Yūri von Victor erzählt hatte. Es schien zumindest so, dass Yūri von seiner Familie volle Rückendeckung bekam. Victor wollte nicht schuld an einem Bruch zwischen Yūri und seiner Familie sein. Hätte er noch eine richtige Familie, würde er das wahrscheinlich auch nicht für sich selbst wollen. Manchmal war es schon schwer, ein wenig aus dem Weltbild starrsinniger Idioten zu fallen. Er wünschte sich mehr Toleranz und Lockerheit. Vielleicht würde er irgendwann einmal eine Welt erleben, in der einem nicht immer direkt das Schlimmste unterstellt wurde und man einfach einen offenen Dialog führen konnte. Victor glaubte nicht daran. Zumindest noch nicht. Doch auch vor kurzem ist ihm aufgefallen, dass er, seit er Yūri kannte, optimistischer wurde. Nicht viel, aber ein kleines bisschen. Er stellte sich vor, was vielleicht 10 Jahre Beziehung mit Yūri aus ihm machen würde. War er dann vielleicht auch so ein unverbesserlicher Optimist, der in allem und jedem das Gute sah? Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.
 

Ein dumpfer Knall riss ihn aus seinen Gedanken. Links neben ihm stand Yurio, der einen Rotkohl und eine Tüte Cranberrys auf die Abtropfunterlage der Spüle knallte. „Nur alte Opas essen Rotkohl“, grummelte er dann nun doch. Victor hob eine Augenbraue, sein Lächeln hatte sein Gesicht nur kurz vor Schreck verlassen. „Ach, kein Problem. Ich kann dir noch schnell Matjessalat machen“, bot er süffisant an, während Yurio bereits aus der Küche verschwand. „Igitt“, hörte er nur und meinte, zu sehen wie er sich vor Ekel schüttelte.
 


 

Ein sichtlich mürrischer Yurio öffnete ihm die Tür. Noch bevor er ganz über die Türschwelle getreten war, fragte er: „Pizza oder indisch?“ Yūri zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. Er hatte sich eine weihnachtlichere Begrüßung vorgestellt. „Nichts da, Yurio! Das Essen wird ganz prima!“, hörte er aus der Küche Victor rufen. Er klang gestresst und Yūri war sich nicht sicher, ob er sich verhört hatte oder ob noch ein leises „Glaube ich zumindest“ hinterherkam. Er stellte seine Tüte mit vier Geschenken unter der Garderobe ab und zog seinen Mantel aus. Auch für die kurze Distanz war es aktuell zu kalt, um ohne anständige Jacke vor die Tür zu gehen. Er gestand sich nur ungern selbst ein, dass er bereits mehrfach panisch die Wettervorhersagen studiert hatte, um sicherzugehen, dass der Flug nicht doch wegen einer Kältewelle storniert werden würde. Es sah aber gut aus und er beschloss, einfach mal optimistisch zu sein.
 

Nachdem er auch die Schuhe ausgezogen hatte, ging er in die Küche. „Frohe Weihnachten, Vitya“, sagte er, sobald Victor ihn ansah. Victors Miene hellte sich sofort auf und er stellte die Pfanne ab, in der er gerade irgendetwas am Schwenken gewesen war. „Frohe Weihnachten, Любимый“, sagte er und kam näher, um ihn zu küssen. So stellte er sich eine weihnachtliche Begrüßung vor. Obwohl er natürlich eine solche Zuneigungsbekundung nicht von Yurio wollte. Aber ein ‚Frohe Weihnachten‘ wäre schon nett gewesen. Als hätte er seine Gedanken gelesen, meinte Victor lachend: „Ich weiß, Yurio ist mehr ein Grinch, seit er viele Jahre von unserer Tante gezwungen wurde, beim Krippenspiel mitzumachen, aber eigentlich mag er Weihnachten gerne.“ Yurio und Krippenspiel? Das konnte sich Yūri kaum vorstellen. „Ich musste den verschissenen Ochsen spielen“, kam es vom Sofa und Victor lachte. „Du warst der süßeste Ochse in der Geschichte der Krippenspiele! Aber ich glaube, dein Trauma kommt eher von dem einen Mal, als du den Engel spielen solltest“, gab Victor zurück und erntete nur ein Schnauben. „Diese Rolle verdrängt er noch lieber, als die mit dem Ochsen“, erklärte Victor zu Yūri gewandt.
 

Manchmal fühle sich Yūri ein wenig außen vorgelassen, wenn Victor und Yurio sich wegen alten Geschichten stichelten. Aber irgendwann fand Victor immer die Gelegenheit zu erklären, was da vorgefallen war und das machte es für ihn einfacher. Das Gefühl konnte er dennoch nicht ganz abschalten. Vielleicht, je mehr Zeit sie miteinander verbrachten. So etwas konnte man bestimmt lernen, sich dran gewöhnen oder ab einem bestimmten Zeitpunkt die wichtigsten Geschichten kennen, sodass man sogar ein bisschen mitmachen konnte. Es half zu wissen, dass die beiden es natürlich nicht absichtlich machten. Doch er wollte daran denken, dass er solche Situationen in Japan vermeidet. Victor würde vermutlich schon genug durch die Sprachbarriere zu kämpfen haben und dann würde seine Familie sicherlich vieles wissen wollen. Wenn Victor ihm schon so ein Geschenk machte und vorgab, so mehr über ihn erfahren zu wollen, musste er dafür sorgen, dass er sich wohlfühlte.
 

Victor war recht stolz auf sich. Das Essen war nicht nur „überraschend genießbar“, wie es Yurio ausgedrückt hatte, sondern es schmeckte eigentlich richtig gut. Natürlich war es mit Sicherheit nicht vergleichbar mit der Ente, die sie im Chartreuse Kitchen & Cocktails servierten, aber er war zufrieden. Und auch Yūri schien es zu schmecken. Sofort kehrte etwas vom Unbehagen zurück. Während er noch am Kochen gewesen war und Yurio und Yūri Geschenke unter den Weihnachtsbaum gelegt hatten, war ihm klar geworden, dass er Yūri nie erzählt hatte, wann er Geburtstag hatte. Es war auch nie wirklich das Thema aufgekommen, so lange waren sie ja auch noch nicht zusammen. Zusätzlich gab es da auch noch einen Punkt, weswegen ihm das auch irgendwie gar nicht in den Sinn gekommen war: Er hatte seinen Geburtstag nie wirklich gefeiert. Erst als er Chris kennengelernt hatte, hatten sie nach Weihnachten seinen Geburtstag nachgefeiert. Aber Weihnachten war für seine Tante das Fest des Herrn. Victors Geburtstag am gleichen Tag zu feiern, war für sie immer fast Blasphemie gleichgekommen. Meist hat ihm nach den Feiertagen sein Onkel Yakov verstohlen ein Geschenk überreicht und leise „Alles gute nachträglich zum Geburtstag, Vitya“, gesagt. Das war alles, was er für seinen Geburtstag erwarten konnte.
 

Aber nun nagte langsam das schlechte Gewissen an ihm. Er hätte Yūri etwas sagen sollen. Und so betete er inständig an alle Gottheiten, die heute wohl trotz Weihnachten eine Stoßgebet-Sonderschicht einlegen mochten, dass Yūri es nicht irgendwie durch einen blöden Zufall mitbekommen würde. Er würde es ihm heute Abend beichten, wenn sie alleine waren. Tief durchatmend rang er die Gedanken nieder und versuchte sich an dem Gespräch zwischen Yūri und Yurio zu beteiligen. Allerdings wusste er nicht wirklich, was über Weihnachten in der Stadt ‚abging‘, wie es Yurio ausdrückte. Er war ja die meiste Zeit über Weihnachten gar nicht in der Stadt gewesen. Dennoch war es schön und lenkte ihn ab, wie die beiden darüber redeten, welche Ecken man meiden sollte (Yurio: „Der ganze Weihnachtskitsch in der Mall geht mir auf die Nerven“) oder unbedingt anschauen sollte (Yūri: „Am ersten Weihnachtsfeiertag gibt es immer ein Event im McShane’s Irish Pub.). Zumindest konnte Victor beisteuern, dass über die Feiertage die Batch Brewing Company meist brechend gefüllt war. Zumindest hörte er seit 3 Jahren von Emil vor Weihnachten immer, wie schwierig es war, dort noch Plätze zu finden.
 

Victor verstaute gerade die Reste fein säuberlich in Plastikdosen, ließ die Deckel aber noch offen, damit Ente, Sauce, Rotkohl und Beilagen noch in Ruhe kühl werden konnten. Victor hatte den Zwang, nach dem Kochen aufzuräumen. Er vermutete, weil er so im Haus seiner Tante einem Teil der unangenehmen Gespräche aus dem Weg gehen konnte. Yurio hatte zwar mit den Augen gerollt, aber Victor vermutete, dass er ihm keinen Stress machen würde. Immerhin wollte er nicht zugeben, dass er sich wie ein kleines Kind auf seine Weihnachtsgeschenke freute. Dabei war auch Victor sehr neugierig darauf, was er zu seinem Weihnachtsgeschenk sagte. Er hätte niemals gedacht, dass er sich für ein neues Handy über zwei Stunden in eine Warteschlange stellen würde. Aber da Yurio nun seit gut einem Monat mit kaputtem Display durch die Gegend lief, war er froh über diese Idee gewesen.
 

Yurios Reaktion fiel auch mindestens so überrascht aus, wie er sich erhofft hatte. Ganz vorsichtig hatte er die Verpackung fest in der Hand und blickte mehrfach zwischen dem kleinen Karton und Victor hin und her. Die pure Ungläubigkeit in den Augen. „Du hast… Also… Hast du…? Nicht…“, stammelte er völlig perplex und starrte wieder den Karton an, als könnte er sich jeden Moment in Luft auflösen. „Ach, das ist nur die Umverpackung. Darin ist eine neue Schaufel für das Katzenklo drin“, frotzelte Victor. Er konnte es einfach nicht lassen, auf Yurios Reaktion herumzureiten. Sein Geschenk für Yurio kam gleich nach der neuen Catnip-Maus für Potya und einem großen Knochen für Makkachin, die Yūri für die beiden mitgebracht hatte. Yurio hatte nichts gesagt, aber Victor konnte sehen, dass diese Geste Yūri bei ihm einige Sympathiepunkte eingebracht hatte.
 

Bevor Yurio nun sein neues Handy auspackte, griff dieser nach einem großen Paket und hielt es Victor wortlos hin. Misstrauisch betastete er den Inhalt durch das eisblaue Geschenkpapier mit Pinguinen und Schneemännern drauf. Niemals hatte er das selbst eingepackt. Der Inhalt gab nach, war aber dennoch nicht leicht. Kurze Zeit später gab er auf und zerriss das Papier. Zum Vorschein kam eine neue Aktentasche aus schwarzem, angerautem Leder. Sie gefiel Victor so gut, dass er nicht ausschließen konnte, dass er sie, wenn er sie in einem Laden gesehen hätte, aus einem Impuls heraus gekauft hätte. „Wow. Danke“, Victor war sprachlos und strich über das Leder. Ein Blick in Yurios Gesicht verriet, dass er die Reaktion richtig deuten konnte. Doch bevor Victor ansetzen konnte, dass das zu viel sei, fühlte Yurio sich wohl genötigt, zu erklären: „Ich habe ein bisschen dafür gejobbt. Dann siehst du nicht mehr so Oberlehrerhaft mit deiner alten Tasche aus… Und du hast mich hier aufgenommen, fütterst mich durch und du willst mich heute auch an so einem besonderen Tag hier haben… Ich weiß das zu schätzen. Und mir ist erst einmal richtig aufgefallen, dass ich dir immer nur was zu Weihnachten geschenkt habe. Ich an deiner Stelle wäre ziemlich angepisst“, beendete er seinen ungewöhnlich langen Monolog und Victor meinte, ein bisschen Röte im Gesicht zu erkennen.
 

Gleichzeitig klopfte ihm das Herz bis zum Hals, denn er befürchtete jeden Moment, dass Yurio sein Vorhaben zunichtemachte. Doch es kam nichts mehr. Yūri schien das als seinen Einsatz zu sehen, denn er verkündete: „Natürlich habe ich auch für euch Weihnachtsgeschenke!“ Dabei holte er zwei Geschenke unter dem Baum hervor. Yurio blinzelte auf das kleine Päckchen und blickte dann stirnrunzelnd Victor an. „Er weiß es nicht, oder?“, fragte er und schien Victors Blick sofort deuten zu können, denn er sprang blitzschnell auf. „Danke! Ich… ähm… gehe zu Beka. Der ist heute ganz alleine. Ich nehme von der Ente mit“, er überschlug sich fast beim Sprechen und war so schnell aus der Tür draußen, dass sich Victor nicht gewundert hätte, wenn er eine Spur Bratensauce auf dem Weg zur Tür gefunden hätte. Dann blickte er in das verwirrte Gesicht von Yūri und wusste, jetzt musste er sich erklären. Er atmete tief durch.

Trümmerhaufen

Aber wie sollte er das anstellen? Er selbst hatte von Anfang an mit den großen Gesten aufgewartet. Schlussendlich hatte er ihm sogar Flugtickets nach Japan gekauft. Gut, den Flug sah er auch irgendwie als Geschenk an sich selbst an, aber das würde Yūri ihm natürlich nicht durchgehen lassen. Ihm wurde klar, dass er nun schon viel zu lange schwieg und Yūri anstarrte. Es war sichtbar, dass er sich unwohl fühlte und vor allem verwirrt war. Aber sein Mund war plötzlich so trocken.
 

Er räusperte sich und holte noch einmal tief Luft. „Es ist so, Любимый“, begann er. Seine eigene Stimme klang fremd und kratzig in seinen Ohren. „Ich glaube, da gibt es keine Art und Weise, das gut rüberzubringen… Ich habe heute Geburtstag“, gestand er dann. Yūris Augen weiteten sich, doch bevor er etwas sagen konnte, fuhr er fort: „Mir ist das heute erst richtig aufgefallen. Mein Geburtstag war nie eine große Sache bei meiner Tante. Sie ist der Meinung, dass an Weihnachten nur ein Geburtstag gefeiert werden darf. Vielleicht fand sie es auch einfach nur praktisch, weil sie mir dann kein Geschenk besorgen und eine Feier ausrichten musste.“ Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und ließ den Blick zu seinem Bein fallen, das angewinkelt auf dem Sofa ruhte, seitdem er sich zu Yūri gedreht hatte. „Jedenfalls war es bisher nie wie ein Geburtstag für mich und daher tendiere ich dazu, es einfach zu vergessen. Ich… Es ist einfach schwer zu erklären. Es tut mir leid. Ich hätte dir das sagen sollen“, er stammelte weiter vor sich hin und hätte vermutlich noch weiter einen Monolog gehalten, wenn er nicht doch den Mut gehabt hätte, wieder aufzublicken.
 

Yūri guckte ihn weiter aus großen Augen an, aber er erkannte eindeutig keinen Ärger darin. Eher Mitleid. Das gefiel ihm auch nicht wirklich, aber es war allemal besser, als ihn verärgert zu haben. Für einen Moment war es still in Victors Wohnung, bis auf ein herzhaftes Gähnen von Makkachin. Ein bisschen wurde im Übel und die Ente schien furchtbar schwer in seinem Magen zu liegen. Er war rastlos und wusste nicht, was er mit seinen Händen tun sollte. Sollte er nach Yūris Händen greifen oder war das in diesem Moment zu viel? Das letzte Mal, als er sich so unsicher gefühlt hatte war, als er beschloss, das Eiskunstlaufen zugunsten seines Studiums aufzugeben. Als er plötzlich in seiner Zukunft nur noch dieses dunkle Nichts gesehen hatte. Er zwang sich zurück in die Gegenwart und blickte Yūri an. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Was würde Yūri nun sagen oder machen?
 


 

Yūri brauchte ein bisschen, um Victors Worte zu verarbeiten. Zuerst war er natürlich etwas sauer gewesen, dass ihm Victor solch eine wichtige Information vorenthalten hat. Aber nach der Erklärung war es für ihn zumindest etwas verständlicher. Und mit einem Mal war er froh, dass er sich tatsächlich für die Anfertigung eines personalisierten Makkachin-Stofftiers entschieden hatte. Er atmete tief durch, rutschte zu Victor und schlang seine Arme um dessen Hals. Bevor er ihn küsste, flüsterte er „Alles Gute zum Geburtstag, Vitya“ gegen seine Lippen.
 

Es begann als unschuldiger Kuss, doch je länger er dauerte, desto verlangender wurde er. Einen Moment lang rang Yūri mit sich, denn immerhin wollte er auch, dass Victor sein Geschenk auspackte. Etwas widerwillig löste er sich daher von ihm. Um die aufgeladene Stimmung etwas aufzulockern, sagte er: „Ich hoffe, du machst das wieder gut bei mir. Du hast mir einen riesigen Schreck eingejagt.“ Das war auch nicht ganz verkehrt. Immerhin hatte er keine Ahnung gehabt, was Yurios überstürzten Aufbruch ausgelöst hatte. Victor hob die Augenbrauen und ein verschmitztes Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Ein Anblick von dem Yūri nicht genug bekommen konnte. „Ich mache heute alles, was du möchtest, Любимый“, sagte er und seine Tonlage ließ wenig Interpretationsspielraum. Aber so einfach würde Yūri es ihm nicht machen.
 

„Gut. Dann kannst du ja erst einmal dein Geschenk auspacken.“ Damit drückte Yūri Victor das Geschenk in die Hand. Ungeduldig beobachtete er, wie Victor ganz langsam seine Finger über das blaue Geschenkpapier mit glänzenden Schneekristallen darauf gleiten ließ. Als ob er Gewicht und Beschaffenheit abschätzen wollte, wog er es in der Hand hin und her und drückte vorsichtig an ein paar Stellen das Päckchen zusammen. Dabei zuzuschauen machte Yūri wahnsinnig. Er selbst gehörte eher zu der Sorte, die in Windeseile und mit sehr viel Papierfetzen ein Geschenk auspackten.
 

Vorsichtig hob Victor das Geschenk zu seinem Ohr und schüttelte es ganz zaghaft. Yūri konnte ein Schnauben nicht unterdrücken. Wieder zuckten Victors Mundwinkel und Yūri ging ein Licht auf. „Das machst du mit Absicht, um mich zappeln zu lassen!“, stellte er leicht empört fest. Yūri konnte sehen, wie Victor darum kämpfte, nicht zu grinsen. „Wir könnten jetzt im Schlafzimmer sein und ich könnte mein anderes Geschenk auspacken“, gab Victor mit einem verführerischen Grinsen zurück. „Ja, könnten wir. Aber du hast dir das noch nicht wirklich verdient“, jetzt kämpfte Yūri gegen das Grinsen an. „Waaaas?“, echauffierte sich Victor übertrieben. „Habe ich dir nicht ein Festmahl gekocht?“, schob er dann noch hinterher.
 

„Das ist der Ausgleich dafür, dass du vergessen hast mir zu sagen, dass du Geburtstag hast. Und ich mitansehen durfte, wie sogar dein Bruder die großen Gesten auffährt und ich, als dein Freund mit leeren Händen dasteht“, Yūri versuchte möglichst, Victors Tonfall von eben zu imitieren. Victor lachte bei dem Versuch und seine Augen leuchteten. „Warum macht das so einen Spaß?“, fragte er dann. „Wir flirten. Flirten macht immer Spaß“, Yūri zuckte mit den Achseln. „Nein. Flirten mit dir macht immer Spaß“, gab Victor zurück. „Und schon wieder“, seufzte Yūri.
 

„Was meinst du damit?“, Victor blinzelte ihn fragend an. Vielleicht lag auch ein bisschen Sorge mit in seinem Blick. „Du schaffst es regelmäßig, kitschige Dinge gut klingen zu lassen. Ich glaube, das schaffst du sogar mit dem plumpsten Spruch überhaupt“, erklärte Yūri. „Bist du sicher?“, fragte Victor und legte den Kopf schief und gleichzeitig einen Finger an seine Lippe. Wie immer, wenn er nachdachte. Eine Geste, die Yūri in kürzester Zeit so liebgewonnen hatte, dass er unwillkürlich lächeln musste. „Schließ die Augen, Любимый“, forderte Victor und riss Yūri damit ein wenig aus den Gedanken. Als Yūri die Augen geschlossen hatte, fragte Victor: „Was siehst du?“
 

„Ähm… Nichts?“, antwortete Yūri irritiert. „Das ist meine Welt ohne dich“, erklärte Victor im Brustton der Überzeugung. Yūri spürte ein wenig, wie die Röte in seine Wangen kroch und boxte Victor leicht gegen den Arm. „Das war so schlecht“, beschwerte er sich lachend. „Und machst du jetzt bitte endlich dein Geschenk auf?!“
 


 

Grinsend fokussierte sich Victor wieder auf das Päckchen in seinen Händen. Es stimmte, diese liebevollen und auch frotzelnden Schlagabtausche mit Yūri machten ihm unglaublich Spaß. Kurz überlegte er, ob er sich noch mehr Zeit mit dem Geschenk lassen sollte, aber seine eigene Neugierde brachte ihn fast um. Kurzentschlossen drehte er das Päckchen um, damit sein Finger unter den Klebestreifen gleiten konnte, der das Ende des Geschenkpapiers fixierte. Schnell hatte er das leichte, aber recht große Geschenk aufgewickelt und blickte in zwei Augen. Für einen Moment konnte er einfach nur starren. Auf die Augen. Die Nase. Die leicht heraushängende Zunge. Die flauschigen Ohren. Das war das perfekte Abbild von Makkachin. Nur am Rande hörte er, wie Yūri sich räusperte, vermutlich konnte er nicht deuten, was Victor von seinem Geschenk hielt.
 

„Es ist perfekt“, hauchte Victor, nachdem er einige Male hatte schlucken müssen. Dann zog er Yūri zu einem leidenschaftlichen Kuss an sich. „Ich werde wohl doch gleich über dich herfallen müssen, Любимый“, flüsterte er nachdem er sich gelöst hatte. „Noch ein Grund mehr, dich zappeln zu lassen. Du sagtest doch, du würdest heute alles tun. Nicht wahr?“, Yūri grinste schelmisch, in seinen Augen funkelte der pure Übermut. Seufzend ergab sich Victor seinem Schicksal und ließ die Hände sinken. „Und was hast du dir vorgestellt?“, fragte er dann ergeben. Yūri deutete auf die Spielekonsole von Yurio. „Also schön. Golf, Air Hockey oder irgendein Jump-and-Run-Spiel?“, wollte Victor wissen. „Ich würde Mortal Kombat sagen“, damit deutete auf ein Spiel, das auf der Konsole lag. „Aber ich befürchte, dass ich dich damit zum Weinen bringe“, grinste ihn Yūri frech an. „Ist das eine Herausforderung?“, grinste Victor. Immerhin hatte er das Spiel ein paar Mal mit Yurio gespielt und fand, dass er gar nicht mal so schlecht darin war. Yūri blickte ihn nun unschuldig an, doch grinste dann breit. „Ich glaube nicht, dass das eine Herausforderung sein wird. Eher ein Blutbad.“
 

Ein paar Stunden später hatte Yūri jedes einzelne Spiel gewonnen, das sie gespielt hatten. „Mein Leben ist ein Trümmerhaufen“, jammerte Victor theatralisch und ließ sich vom Sofa auf den Boden rutschen. Dabei wischte er sich imaginäre Tränen mit dem Ärmel aus den Augen. Yūri blickte ihn mit einem leicht triumphierenden Blick von oben an. „Hätte ich ein Herz, es würde brechen“, lachte Yūri dann. „Ich bin kein Organspender, aber dir schenke ich mein Herz“, antwortete er mit einem Lachen. Yūri verdrehte die Augen, musste aber auch grinsen. „Vitya. Hör bitte auf damit.“
 

Hand in Hand gingen sie durch den beleuchteten Park, ihr Atem war sichtbar, so kalt war es mittlerweile geworden. Doch leider ließ der Schnee auf sich warten. Yūri wusste nicht, ob er sich darüber freuen oder sogar ein wenig enttäuscht sein sollte. Schnee an Weihnachten war einfach magisch. Andererseits wäre er in der nassen Kälte sicherlich bald durchgefroren, auch wenn Makkachin bestimmt Spaß gehabt hätte, im Schnee zu wühlen. So trottete Victors Hund vor ihnen her, schnüffelte hier und da, aber sichtlich ohne größeren Elan. Victor deutete auf eine Parkbank, auf der sie schon das ein oder andere Mal Platz genommen hatten, wenn sie mit Makkachin rausgegangen waren. Es war ein schöner Fleck. Weit genug weg vom Spielplatz, sodass man tagsüber ein bisschen Ruhe hatte, aber nah genug am Fluss, um das leise, beruhigende Plätschern zu hören. Es gab nur wenige Bänke im Park, da es mehr ein Wald mit sich windenden Waldwegen war, als ein getrimmter und gepflegter Park. Doch irgendwie war es genau das, was Yūri daran liebte.
 

Makkachin schnüffelte im Gras und an den Bäumen. Das leuchtende Halsband hüpfte im Dunkeln mit den Bewegungen auf und ab. Wie ein riesiges, zugegebenermaßen sehr längliches, Glühwürmchen. „Danke, dass du heute da warst. Und auch, dass du mir das mit meinem Geburtstag verziehen hast“, sagte Victor plötzlich in die Dunkelheit hinein. Yūri schaute ihn von der Seite an. In diesem Moment fand er es schwer, Victors Emotionen zu lesen. Er konnte sich vorstellen, dass es trotz allem nicht schön für ihn war, getrennt von der Familie zu sein. Jedoch sah er trotzdem glücklich aus. „Wer sagt, dass ich dir das schon verziehen habe, Vitya?“, fragte er schmunzelnd und hoffte, nicht auf zu dünnem Eis unterwegs zu sein.
 

Nun wandte Victor sein Gesicht zu ihm und schaute ihn flehend an. Makkachin hätte keinen besseren Hundeblick hinbekommen können. Da war sich Yūri sicher. „Aber ich habe mich doch schon von dir windelweich prügeln lassen!“, empörte sich Victor nun. Mit einem kleinen Entsetzen blickte sich Yūri um und hoffte inständig, dass sie alleine waren. Doch keine Menschenseele war in Sicht. Zum Glück! „Warum klingt das jetzt aus deinem Mund so, als hättest du dich mit Absicht dämlich angestellt?“, Yūri hob fragend eine Augenbraue. „Dumm angestellt?“, keuchte Victor und legte sich eine Hand auf die Brust. „Moment! Du hast nicht ernsthaft geglaubt, mich damit schlagen zu können?“, Yūri war jetzt wirklich überrascht. Phichit war schon besoffen und kopfüber eine größere Herausforderung gewesen.
 

Victor schob schmollend die Unterlippe etwas vor. „Was kann ich dafür, dass mein Freund ganz offensichtlich ein Pro-Gamer ist? Was kommt als Nächstes? Machst du an Elvis-Lookalike-Wettbewerben mit? Oder bist du Stripper?“, jammerte Victor gespielt. Yūri spürte, wie ein bisschen die Röte in seine Wangen schoss. Kurz hatte ihn diese Behauptung aus dem Konzept gebracht, denn an einer Stange konnte er durchaus tanzen. Dafür brauchte er nur eine nicht zu unterschätzende Menge an Alkohol. Zum Glück rettete Makkachin ihn vor einer Antwort, denn er kam fröhlich bellend aus dem Waldstück gelaufen. „Hast du genug? Sollen wir nach Hause?“, fragte ihn Victor während er Makkachins Kopf kraulte. Dann stand er auf, streckte sich ein wenig und gähnte. Yūri ertappte sich bei dem Gedanken, dass er den Winter mit den Jacken und der dicken Kleidung verfluchte. Er sah gerne mehr von Victor.
 

Bevor seine Gedanken ihn noch weiter in diese Richtung trieben, stand er ebenfalls auf und unterdrückte ein Gähnen. Victor hielt ihm wieder die Hand hin, die Yūri natürlich gerne nahm. „Bleibst du über Nacht, Любимый?“, fragte Victor ihn dann. Yūri grinste ein wenig. Nicht, dass er damit nicht schon gerechnet hätte. „Natürlich. Wenn ich darf?“, wollte Yūri nun wissen. Victor schaute ihn mit seinen durchdringenden, blauen Augen an, die durch die kleine Laterne neben der Bank einen ganz besonderen Glanz hatten. „Ich bitte darum. Immerhin gibt es da noch ein weiteres Geschenk, das ich auspacken möchte“, grinste er breit und leckte sich leicht über die Unterlippe. Sofort spürte Yūri die Hitze in seinen Wangen, die definitiv nicht von der Kälte kam. Fieberhaft versuchte er, eine schlagfertige Antwort zu finden, doch sein Kopf blieb leer. Stattdessen zog ihn nun Victor hinter sich her, der über die Schulter noch rief: „Komm Makkachin, ab nach Hause. Ich habe da noch was vor.“ Bellend setze Makkachin zum Sprint an und auch Victors Schritte beschleunigten sich.

Eine wirklich schöne Bescherung

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Der Flug

Während Victor wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Wohnung lief und noch alle möglichen Dinge in seinen Koffer warf, saß Yūri entspannt auf dem Sofa in Victors und Yurios geräumigem Wohnzimmer. Makkachin hatte seinen Kopf auf seine Beine gebettet, als wäre ihm schon klar, dass bald der Zeitpunkt des Abschieds gekommen war. Etwas früher am Morgen war Yūri losgezogen und hat seinen Koffer und Phichits Hamster geholt, der während ihrer Reise auch von Yurio versorgt werden sollte. Dieser hatte zwar ein bisschen gegrummelt, dass er sich gleich um zwei Tiere kümmern sollte, aber gegen das Versprechen, etwas „Cooles“ aus Japan mitzubringen, hatte er sich dann theatralisch dazu bereit erklärt. Yūri hatte aber eh schon lange die Vermutung, dass Yurio bei solchen Dingen nur die Fassade des genervten Teenagers aufrechterhalten wollte. Allerdings fragte er sich seitdem ernsthaft, was etwas „Cooles“ sein sollte. Da setzte er aber seine Hoffnung in Victor. Immerhin kannte der seinen Bruder doch gut genug. Hoffentlich.
 

Yūri pausierte das Youtube-Video eines wissenschaftlichen Kanals, in dem erklärt wurde, was passiert, wenn man in ein schwarzes Loch fallen würde und blickte sich nach Victor um. „Vitya? Kann ich dir nicht doch irgendwie helfen? Wir müssen in einer halben Stunde los“, rief er, ohne seinen Partner sehen zu können. Von irgendwoher kam ein lautes Rumsen und ein leiser Fluch. Seufzend stand Yūri auf und ließ sein Handy mitsamt den Kopfhörern auf dem Sofa liegen. „Vitya? Alles ok?“, versuchte er es nochmal und ging langsam in Richtung des begehbaren Kleiderschranks. Durch Victors Schlafzimmer zog sich eine Spur der Verwüstung, die ihren Höhepunkt in eben jenem Kleiderschrank fand. Victor stand vor einem der großen Schränke mit den maßgeschneiderten Anzügen und rieb sich den Kopf. Kurz überlegte Yūri, einen Witz zu reißen, dass man die Beule sogar durch die lichter werdenden Haare auf Victors Kopf sehen würde. Doch diese ganze Situation wirkte so untypisch für Victor, dass er den Scherz lieber hinunterschluckte.
 

„Vitya? Alles in Ordnung?“, fragte er deshalb etwas besorgt und legte seine Hand auf dessen Schulter. Victor zuckte zusammen, als habe er gar nicht bemerkt, dass Yūri sich genähert hatte. „Ich weiß nicht, was ich anziehen soll“, gestand er dann seufzend. Yūri musste aufgrund des überraschenden und wunderlichen Geständnisses blinzeln. Victor wusste nicht, was er anziehen sollte? Sein Victor? Das konnte doch nicht sein! „Warum weißt du nicht, was du anziehen sollst?“, fragte er daher etwas dümmlich. Er selbst hatte sich für eine Jogginghose, T-Shirt und Zip-Hoodie entschieden. Immerhin saßen sie etwas mehr als 14 Stunden im Flugzeug. „Meinst du, ein Anzug wäre übertrieben?“, fragte Victor nun und ging nicht auf Yūris Frage ein. Yūri riss die Augen auf. „Anzug? Bist du irre? Zieh dir lieber was Bequemes an!“ Dabei deutete Yūri auf sich und sein Outfit. Doch Victor schüttelte den Kopf. „Nein, Любимый. Das geht auf gar keinen Fall“, damit wandte er sich wieder seinem Kleiderschrank zu. Yūri holte tief Luft und stellte sich nun vor Victor. „Ach ja, warum nicht? Wir haben einen echt langen Flug vor uns“, Yūri versuchte ruhig zu klingen, aber fürchtete, dass seine Verwirrung über die Szene langsam überhandnahm.
 

Doch plötzlich ging ihm ein Licht auf. Nicht zuletzt dadurch, dass Victor doch ein bisschen verlegen wirkte und sogar etwas rot geworden war. „Meine Familie wird dich eher komisch anschauen, wenn du im maßgeschneiderten Anzug ankommst, als im Jogginganzug. Wenn es also darum geht, brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, er legte seine Hand beschwichtigend an seine Brust und trat einen Schritt näher an ihn heran. „Ich möchte einen guten Eindruck machen“, gestand Victor untypisch kleinlaut und schaute dabei auf das petrolfarbene Hemd in seiner Hand. Yūri liebte diese und ähnliche Farben an Victor. „Keine Sorge, Vitya“, begann er nun. „Das hast du schon. Meine Familie sieht, dass ich glücklicher bin, seit wir uns kennen. Diesen Eindruck kann kein Jogginganzug der Welt zunichtemachen.“ Dann fügte er lächelnd hinzu: „Außerdem haben wir dann noch ein paar Tage, um den guten Eindruck noch weiter auszubauen. Also mach dir keine Gedanken. Sie wissen, dass ich dich liebe und dass du mir guttust. Mehr Anforderungen an einen Partner stellen sie nicht.“
 


 

Victor blickte in Yūris braune Augen und fühlte die Wärme in ihm aufsteigen. Über die letzte Stunde hinweg hatte er sich wegen diverser Outfits verrückt gemacht und mindestens drei Mal geschaut, dass er nichts an benötigte Hygieneartikel vergessen hatte. Normalerweise war er organisiert bis in die Haarspitzen. Er war bereits so oft geflogen, dass er das Kofferpacken zugunsten der Essensvorbereitungen verschoben hatte. So ein Koffer war für ihn schnell gepackt. Normalerweise. Doch sobald seine Überlegungen angefangen hatten, in diesem Teufelskreis zu rotieren, war jegliche Vernunft und sein gesamtes Organisationstalent der Sorge gewichen, wie Yūris Eltern auf ihn reagieren würden. Yūri hatte zwar schon angedeutet, dass sie überhaupt keine Probleme hatten, dass er ein Mann war… Aber mal ehrlich, so einfach konnte es doch nicht sein, oder? Das Bild seiner Tante flackerte kurz vor seinem inneren Auge auf. Nach seinen Erfahrungen nicht. Aber es gab eben auch Menschen, die weitaus fortgeschrittener waren, als sie. Haufenweise Menschen. Genau genommen waren eher Menschen wie sie in der Unterzahl.
 

Victor holte einmal tief Luft und nickte dann. „Du hast recht, Любимый“, sagte er und beugte sich vor, um Yūri zu küssen. Eigentlich sollte es ein kurzer, dankbarer Kuss sein, doch es fiel Victor immer schwerer, sich bei Yūri zurückzuhalten. Bald hatten seine Hände Yūris Hüfte gefunden, die er forsch an sich drückte. Das Hemd, das eben noch in seiner Hand war, lag vergessen zu seinen Füßen. Doch nach einem kurzen Augenblick – oder war es doch länger gewesen? Victor hatte sich völlig im Gefühl von Yūris weichen Lippen und seinem warmen Körper an seinem verloren – drückte sich Yūri sanft aber bestimmt von Victor weg. „Vitya, wir müssen gleich los. Sonst verpassen wir den Flug“, tadelte er mit Belustigung in der Stimme. Victor wollte schmollen wie ein kleines Kind, wusste aber, dass sein Partner recht hatte. Oder sollte er ihm anbieten, den Flug auf später einfach umzubuchen? Aber Yūri freute sich sicherlich darauf, seine Familie wieder zu sehen und für solche Dinge hatten sie jede Menge Zeit. Wenn es gut lief, bis an das Ende ihres Lebens. Der Gedanke gefiel ihm.
 

„Vitya?“, fragte Yūri mit zusammengezogenen Augenbrauen und holte ihn damit zurück aus seinen Gedanken. „Ja, Любимый?“, fragte er. „Warum grinst du auf einmal so eigenartig?“ Yūri sah immer noch sehr verwirrt aus. Einen Ausdruck, den Victor sehr entzückend und niedlich fand. „Ich möchte einfach nur alt und runzelig mit dir werden, Любимый“, erklärte er. Dann gab er ihm noch einen kurzen Kuss und angelte dann nach seinem Hemd auf dem Boden. Es hatte ein paar Falten, aber im Flieger würden noch ein paar dazu kommen. Oder sollte er wirklich…? „Weißt du was? Du hast recht“, er blickte durch sein Ankleidezimmer. „Ah, da ist er.“ Mit zwei Schritten war er am entsprechenden Regal angekommen und zog einen rot-weißen Trainingsanzug heraus. Er trug ihn gerne, das Material war weich und atmungsaktiv, aber er trug ihn einfach nicht oft. Daher sah er auch nach Jahren noch ziemlich neu aus. Dann nahm er sich noch ein einfaches, schwarzes Baumwollshirt und zog sich so schnell es ging an.
 

Als er wieder zu Yūri sah, machte dieser ein merkwürdiges Gesicht. Victor legte den Kopf schief. „Stimmt etwas nicht?“, fragte er leicht besorgt. „N-nein. Gar nichts“, stotterte Yūri und räusperte sich dann. „Das ist nur ein völlig ungewohnter Anblick.“ Er grinste etwas verlegen. „Ungewohnt gut oder ungewohnt schlecht?“, hakte Victor nach, etwas besorgt, dass dieses Outfit doch nicht das Wahre war. „Ungewohnt gut, Vitya. Mit dir ist alles gut“, Yūri lächelte ihn strahlend an, dass Victor meinte, die Sonne aufgehen zu sehen. Wie er diesen Mann liebte… Er konnte es einfach nicht in Worte fassen. Doch wenn es Yūri von ihm verlange, würde er ihm die Welt zu Füßen legen. Und Mond, Sonne und gleich dazu sämtliche Sterne, Meteoriten, Planeten, Monde und was es alles sonst noch so in dieser Galaxie gab. Mit Yūri würde er keine halben Sachen machen. „Gut, dann kann es losgehen“, grinste Victor zurück, nahm Yūri an die Hand und zog ihn aus seinem Ankleidezimmer heraus. „Yuriooooooo! Dein Lieblingsbruder und seine bessere Hälfte machen sich jetzt auf den Weg!“ Er konnte sich nicht helfen, aber mit einem Mal war seine Laune hervorragend.
 

Die Laune seines Bruders hingegen schien wie immer mehr in Richtung pubertär-mürrisch zu gehen. War er in seiner Jugend auch so gewesen? Er glaube nicht. Allerdings war er in der Beziehung auch voreingenommen und könnte es sich vielleicht auch schönreden. Vielleicht sollte er dazu mal Yakov ausfragen. „Pass mir ja gut auf Makkachin auf! Und die Hamster…“, mahnte er. Die Hamster von Yūris Mitbewohner fielen ihm erst wieder ein, als er Makkachins Namen gesagt hatte und es wäre ihm falsch vorgekommen, sie nicht zu erwähnen. Phichit war durch seine Projektarbeit aktuell ja mehr oder weniger unsichtbar für Victor. Doch er wusste, dass Yūri und Phichit sich täglich schrieben und auch wenn Yūri nichts sagte, er seinen besten Freund vermisste.
 

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Bruder. „Ich habe noch einmal eingekauft. Im Kühlschrank und im Tiefkühlfach ist vermutlich genug Essen für den nächsten Monat. Außerdem ist im Portemonnaie in der Schublade noch Geld, falls du was brauchst oder möchtest. Du musst aber nicht alles ausgeben“, fügte er dann doch noch mahnend hinzu. Allerdings war er sich sicher, dass er von den 300 Dollar nichts mehr sehen würde. Yurio würde ihn bluten lassen, das war ihm schon beim Buchen der Reise klar gewesen. Doch das war für Victor ein fairer Preis dafür, dass Makkachin gut versorgt war. Denn das wäre der Fall, das wusste er einfach. Yurio war zwar gerne grummelig, liebte Makkachin aber ebenfalls. Dann verabschiedeten sie sich und Victor war ganz tapfer, als er sich seinem geliebten Hund noch einmal durch das Fell ging und ihn knuddelte.
 


 

Yūri hatte noch nie so einen theatralischen Abschied erlebt. Nicht von Yurio, natürlich nicht. Das war schnell erledigt. Aber als es dann zu Makkachin ging… Man hätte fast meinen können, dass Victor niemals wiederkam. Es war auf der einen Seite ja schon etwas süß, aber es zeigte wieder einmal deutlich den Hang von Victor, zu übertreiben. Seine eigene Verabschiedung von Makkachin fiel natürlich viel kürzer aus. Auch wenn er meinte, Yurio etwas wie „Das ist nicht euer verdammtes Baby, also benehmt euch endlich wie Erwachsene“ brummen gehört zu haben.
 

Ehe er sich versah, saßen sie dann aber samt Gepäck in Victors Auto und fuhren Richtung Flughafen. Sein ganzer Körper prickelte vor Aufregung und Vorfreude. Endlich würde er seine Familie wiedersehen. Er freute sich wirklich enorm darauf und war Victor unglaublich dankbar, dass er ihm das möglich gemacht hatte. Auch wenn es ihm immer noch unangenehm war, so ein großes Geschenk anzunehmen. Doch ihm half der Gedanke, dass auch Victor seine Familie und seine Heimat kennenlernen wollte. Wäre die Situation andersherum, hätte er vermutlich dasselbe getan.
 

Yūri blickte zu Victor, der konzentriert auf die Straße schaute, aber eine Hand auf Yūris Bein gelegt hatte. Er spürte die Wärme durch den Stoff seiner Hose und schloss kurz genießerisch die Augen. Manchmal war das Leben schon verrückt. Vor einigen Monaten hätte Yūri jeden ausgelacht, wenn dieser behauptet hätte, dass er noch im gleichen Jahr eine so tiefgreifende Beziehung führen würde. Und doch war ihm genau das passiert. Normalerweise war er etwas reservierter. Egal, was für eine Art Beziehung er zu einem anderen Menschen aufbaute, er war vorsichtig und sprang nicht einfach kopfüber ins Wasser. Doch die Beziehung mit Victor war völlig anders. Er hatte sich freudig vom 10-Meter-Brett gestürzt, ohne zu wissen, ob Wasser im Becken war. Doch er hatte nichts bereut. Natürlich hatten sie bisher auch nicht so gute Momente gehabt. Aber auch diese hatten jetzt zu diesem Moment geführt. Es kann nicht immer harmonisch sein, denn auch Streit gehörte zum Kennenlernen und Begreifen der Persönlichkeit des jeweils anderen dazu. Auch, wenn es in diesem Moment wehtut.
 

„Woran denkst du, Любимый?“, fragte Victor und holte ihn damit zurück ins Hier und Jetzt. „Daran, dass ich mich auf meine Familie freue und wie dankbar ich bin, dich an meiner Seite zu haben“, sagte Yūri und legte all die Liebe in seine Worte, die er gerade warm in seiner Brust spürte. Er sah, wie eine leichte Röte auf Victors Wangen erschien und spürte, wie er kurz sein Bein drückte. Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf beide Gesichter.
 


 

Jedes Mal, wenn Victor am Flughafen war, machte sich eine leichte Unruhe in ihm breit. Und im Laufe des Check-Ins und des Boardings wurde es nicht besser. Er ist schon oft geflogen. Natürlich. Musste es wegen seiner Arbeit. Messen fanden im ganzen Land statt und manchmal traf er sich mit geschätzten Autoren bei ihnen vor Ort oder sie trafen sich irgendwo in der Mitte. Denn hin und wieder war es gut, sich auch mal persönlich zu treffen und nicht nur zu telefonieren oder sich über Videochats auszutauschen. Er hat auch schon ein oder zwei Mal Druckereien besucht, wobei sie für die Produktion eigene Mitarbeiter hatten, die sich mit den Druckereien austauschen. Doch wenn man in diesem Job arbeitet, sollte man auch mal alle Schritte gesehen haben, die so ein Buch durchläuft, bis es fertig in den Regalen der Buchläden steht. Oder im Lager eines Versandhandels, auch wenn ihm die andere Option persönlich sehr viel lieber war.
 

Er mochte fliegen nicht besonders. Im Auto konnte er selbst entscheiden. Machte er einen Fehler, war er selbst schuld. Im Flugzeug konnte er nichts tun, außer zu warten. Natürlich war das Personal des Fliegers besonders geschult und nicht jeder konnte diesen Job machen, aber ein mulmiges Gefühl hatte er trotzdem immer. Das würde er vermutlich auch niemals loswerden. Außerdem war da immer noch der Umweltaspekt. Auch wenn er natürlich wusste, dass er durchs Fliegen alleine weder etwas kaputt machte noch durch den Verzicht alles retten konnte. Aber so war das eben. Manchmal war er einfach nicht rational. Man konnte ja auch nicht immer vernünftig sein.
 

Doch dieses Mal gab es noch einen weiteren Punkt, der seinen Körper aufgeregt kribbeln ließ. Der dafür sorgte, dass er Flugzeuge im Bauch hatte. Er musste selbst über seinen Gedanken schmunzeln. Bald würde er Yūris Familie kennenlernen. Ein Gedanke, den er bisher immer wieder versucht hatte, so weit wie möglich aus seinem Kopf zu drängen. Aber langsam klappte das nicht mehr. Immerhin war es bald soweit. In etwas mehr als 14 Stunden würden sie in Japan sein und Yūris Eltern und Schwester gegenüberstehen. Er würde sehen, wo Yūri aufgewachsen war. Ob alles gut laufen wird? Oder machte er sich zu viele Gedanken? Yūris Familie würde ihn mögen. Er war gut in so etwas. Alle Leute mochten ihn. Außerdem sagte Yūri ja schon, dass seine Familie wusste, wie glücklich er ihn machte. Er atmete tief durch und stieg in den Flieger.
 


 

Außer, dass er gar nicht so sicher war, ob er das wirklich konnte. Was, wenn sie ihn doch nicht mochten. Es gab Liebe auf den ersten Blick, dann gab es sicher auch Hass auf den ersten Blick, oder? Auf dem ganzen Flug nach Japan wurde Victor bewusst, warum es ‚kalte Füße bekommen‘ hieß. Mittlerweile hatte er am ganzen Körper Gänsehaut und ihm war schlecht. Er hatte sich noch im Buchladen ein Buch für den Flug gekauft – von der Konkurrenz, wenn man sie so nennen durfte. Doch er hat Keigo Higashinos ‚The Miracles oft he Namiya General Store‘ noch nicht mal angerührt, nur sein Lesezeichen hineingesteckt. Die Beschreibung des Buches klang verlockend, aber er hatte sich nicht dazu bringen können, die Ruhe zum Lesen zu finden.
 

Yūri hingegen hatte total gelassen gewirkt. Irgendwann war er für eine Weile sogar eingeschlafen. Victor beneidete ihn ein wenig darum. Und nun – während alle anderen Passagiere um sie herum standen und darauf warteten, endlich aus dem Flieger zu kommen - saß Yūri immer noch ruhig auf seinem Platz und wartete. Victor fand diese Sorte von Menschen schon immer sehr bewundernswert. Er wusste selbst, dass es nichts brachte und man am Ende nur noch länger auf sein Gepäck wartete, doch auch er gehörte zu den Leuten, die lieber früher als später dem Rumpf des Flugzeugs entkommen wollten. Andererseits… was erwartete ihn da draußen? Den Weg nach Hasetsu mussten sie selbst antreten und trafen dort erst auf Yūris Familie. Yūri hatte auch erzählt, dass eine ungewöhnliche Kältefront über Japan sein Unwesen getrieben hatte und auch dort Schnee lag, wo es selten schneite. Kurz hatten sie Sorge gehabt, ob das mit dem Flug überhaupt so funktionieren würde. Aber auch die Landung war reibungslos verlaufen. Wenigstens etwas Gutes für Victors arg gebeuteltes Nervenkostüm.
 

Er schluckte und versuchte eine Atemübung. Tief mit der Nase ein- und dann langsam aus dem Mund wieder ausatmen. Nach der fünften Wiederholung war Victor etwas schwindelig. Das half ihm nun nicht wirklich. Mit einer Mischung aus Grauen und Erleichterung sah er, wie nun auch Yūri aufstand. Er tat es ihm gleich und Griff nach ihrem Reisegepäck, das in den Fächern über ihren Köpfen verstaut gewesen war. Wie ein Mantra wiederholte er dabei immer wieder ‚Es wird alles gut laufen. Es wird alles gut laufen‘. Doch so wirklich überzeugend klang das selbst in seinem Kopf auch wieder nicht.
 

Wie im Autopilot lief er hinter Yūri her, angelte ihr Gepäck vom Gepäckband und versuchte sich auf dem riesigen Flughafen mit all den fremden Eindrücken und Bezeichnungen in japanischen Schriftzeichen zu orientieren. Natürlich stand auch alles auf Englisch an den Tafeln, aber sein überfordertes Gehirn brauchte eine Weile, um das zu realisieren. Zum Glück fand Yūri den Stand der Autovermietung, wo sie schon vorab ein geräumiges Fahrzeug gemietet hatten. Nach einer kleinen Warnung wegen dem Wetter und einigem Papierkram, den allesamt Yūri übernahm, da er den japanischen Straßenverkehr und auch die Formalitäten besser kannte, bekamen sie den Parkplatz genannt und den Autoschlüssel übergeben. Es konnte endlich losgehen, bald würden sie in Hasetsu sein. In Yūris Heimatstadt, wo er aufgewachsen war. Wo seine Familie lebte. Genau die Familie, die er in Kürze kennenlernen würde. Frau Katsuki und Herr Katsuki. Und Schwester Katsuki. Also die gesamte Familie Katsuki. Bei der Victor für die nächsten Tage leben würde. Unter einem Dach. Victor hätte sich beinahe vor Nervosität mitten auf dem Flughafen übergeben. Das Ganze würde eine Katastrophe werden. Mindestens.

Auf nach Hasetsu

Schnee. Schnee soweit das Auge reicht. Das Wetter außerhalb ihres Autos erinnerte ihn an Moskau und St. Petersburg. An die Zeit, die er mit seinen Eltern gehabt hatte. Nicht, dass sie jemals ein so neues Auto besessen hätten. Victor erinnerte sich an den alten, rostzerfressenen Lada Nova seiner Eltern. Das erste Auto, an das er sich erinnern konnte. Es war schon alt gewesen, als sie ihn bekommen hatten. Zum Schluss hatten sie einen Saporoshez SAS-968M aus dem Jahre 1980. Diese Autos waren damals schon bekannt dafür gewesen, einfach nur günstig zu sein. Victors Eltern hatten fast alles, was sie an Geld verdienten, in sein Hobby gesteckt. Ermöglicht, dass er gute Schlittschuhe hatte und schöne Kostüme.
 

#Anfang | Am Ende hätte ein neueres Auto ihnen vielleicht das Leben gerettet. Oder einfach die Tatsache, dass sich Menschen, die trinken, sich einfach verdammt noch mal nicht mehr hinter ein Lenkrad setzen. Sie hatten keine Chance, dem Auto auszuweichen, das viel zu schnell plötzlich quer über die Straße geschossen kam. Der betagte Kleinwagen war kein Gegner für den nagelneuen Geländewagen. Das Leben war unfair, denn dieses betrunkene Arschloch war nur leicht verletzt worden, während seine Eltern sofort tot waren. Er selbst war gerade beim Training gewesen, das hatte ihm das Leben gerettet. Und auch danach hatte das Eiskunstlaufen sein Leben gerettet. Den Fahrer hatte keiner belangt. Das Ganze wurde unter den Teppich gekehrt, weil er die richtigen Leute kannte. ‚Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht‘ sagte einst Abraham Lincoln. Er hatte recht, denn meistens entpuppten sich diese Menschen dann als gewissenlose Arschlöcher.
 

Kurze Zeit später wurde er, trauernd und verstört, in einen Flieger gesetzt. Als sein Onkel Yakov davon mit Verspätung gehörte hatte, stieg er sofort in einen Flieger, der ihn zum Flughafen von Victors erster Zwischenlandung brachte und hat ihn den Rest der Reise begleitet. Das war das zweite Mal gewesen, dass er Yakov getroffen hatte. Doch seitdem sah er seinen Onkel als Verbündeten, als sein Fels in der Brandung und vielleicht sogar als Vaterfigur. Daher war es für ihn nur logisch, wenn auch schmerzhaft, dass er Yakovs unausgesprochene Bitte gefolgt war und in seine Fußstapfen trat. Das und die Tatsache, dass er so zumindest Yurio das Eiskunstlaufen ermöglichen konnte. Er hatte möglicherweise sogar mehr Talent als er. | #Ende
 

„Alles in Ordnung, Vitya?“, riss ihn Yūris Stimme aus seinen düsterwerdenden Gedanken. Victor musste ein paar Mal blinzeln, um sich gedanklich zurück in die Gegenwart, zurück nach Japan zu bringen. „Ich…“, begann er und merkte, wie belegt seine Stimme war und räusperte sich. „Ich musste gerade an die Zeit mit meinen Eltern in Russland denken. Der ganze Schnee erinnert mich ein bisschen daran.“ Yūri warf ihm einen kurzen Blick zu, das merkte Victor. Doch er hielt den Blick weiter geradeaus auf die Straße gerichtet. Vielleicht war er ein Feigling, weil er immer noch nicht darüber mit Yūri gesprochen hatte. Er wusste, dass er es ihm irgendwann erählen musste. Nicht nur ‘musste’, er wollte es ihm erzählen. Doch ihre gemeinsame Japanreise war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Ganz sicher würde er Yūri damit nicht die Laune verderben.

Victor bemerkte die Stille zwischen ihnen und seufzte. „Ist so viel Schnee normal für Japan?“, fragte er in der Absicht, das Thema zu ändern. Er bemerkte, dass sie die dünner besiedelte Gegend hinter Fukuoka hinter sich gelassen hatten und wieder eine Stadt durchfuhren.
 

„Nein. Gerade in meiner Heimat ist es eigentlich etwas milder. Klar, es schneit auch mal. Aber diese Massen gibt es selten. Dafür musst du schon nach Honshū, da haben wir das Hida-, Kiso- und das Akaishi-Gebirge. Ich habe mal gelesen, dass es dort pro Winter über 30 Meter Neuschnee gibt. Es gibt da sogar eine Bergroute, die Tateyama Kurobe Alpine Route mit 20 Meter hohen Schneewänden. Wir nennen sie 雪の大谷*. Also Schneewände, nicht die Route“, erklärte Yūri mit einem Lächeln. Während Yūri erklärt hatte, konnte Victor doch nicht anders, als Yūri anzuschauen. Wie sich ein kleines, verträumtes Lächeln um Yūris Mund gelegt hatte, vertrieb die Kälte aus Victors Herzen. „Es hört sich schön an, wenn du japanisch redest. Du klingst dabei entspannt und natürlich“, stellte Victor fest. Yūris Lächeln wurde eine Spur breiter. „Könnte daran liegen, dass ich Japaner bin“, gab er zurück, worauf Victor mit den Augen rollte. „残りの人生をあなたと一緒に過ごしたいです。愛してます。*²“, sagte Yūri.
 

Wieder blinzelte Victor aufgrund der plötzlichen Wortflut. „Und was hast du gerade gesagt?“, fragte er nach einem Moment. „Dass ich dich liebe“, sagte Yūri mit einem Grinsen und warf ihm einen kurzen Blick zu. „Das kam mir etwas viel für ein ‚Ich liebe dich‘ vor“, bemerkte Victor mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wir Japaner sind halt ein sehr poetisches Volk“, gab Yūri zurück und verkniff sich sichtlich das Lachen. „Warum habe ich das Gefühl, dass du mir nicht die Wahrheit sagst?“, schnaubte Victor. „Oh schau mal, Vitya. Wir fahren jetzt über die Ikedamiyazono-Brücke. Wer in der Gegend wohnt, fährt zum Hanami hierher. Die Gegend ist zwar nicht unbedingt eine Augenweide, aber der Flusslauf mit den Steinen ist ein beliebtes Motiv. Vor allem, wenn die Kirschblüten auf der Wasseroberfläche schwimmen“, erklärte Yūri. Victor schaute sich um. Tatsächlich war die Gegend jetzt nicht besonders schön, aber er konnte die Bäume und auch die Steine im Fluss erkennen. Er konnte durchaus nachvollziehen, dass das mit der richtigen Perspektive ein schöner Anblick war. „Versuchst du etwa abzulenken?“, fragte Victor, nachdem er die Gegend betrachtet hatte.
 

„Ja, stimmt. Du hast völlig recht. Nur deswegen bin ich gerade über die Brücke gefahren. Eigentlich fahren wir gerade in die völlig falsche Richtung.“ Yūris Grinsen sagte Victor, dass er ihn aufzog. Doch dann fügte Yūri noch hinzu: „Eigentlich nicht. Es ist nichts, was du nicht schon weißt. Allerdings möchte ich dich das nächste Mal dabei angucken, wenn ich es sage.“ Das half jetzt nun mal gar nicht Victors Neugierde zu befriedigen. Er bemerkte ein aufgeregtes Kribbeln in seinem Körper. Das hatte gar nichts mehr mit den düsteren Gedanken vom Anfang ihrer Fahrt oder sogar der Nervosität und Übelkeit zu tun, die er bei dem Gedanken empfand, dass er in gut 45 Minuten Yūris Familie kennenlernen würde. Oh Mist. Er versuchte die aufwallenden Gefühle damit niederzukämpfen, indem er tief durch die Nase einatmete und durch den Mund wieder ausatmete.
 

Natürlich merkte Yūri, dass mit Victor etwas nicht stimmte. Im Flughafen war er sich sicher gewesen, dass er so etwas wie Unruhe bei seinem Partner festgestellt hatte. Während ihrer Fahrt durch Fukuoka, hatte er fast zusehen können, wie sich sein Gesicht verdüstert hatte. Yūri konnte sich die grobe Richtung denken, aber für die Details hätte er raten müssen. Aber er wollte nicht einfach irgendetwas vermuten. Und auch, wenn dieses Geheimnis eine Art Wand zwischen ihnen darstellte, versuchte sich Yūri in Erinnerung zu rufen, dass sie immerhin noch nicht so lange zusammen waren, dass sie jedes Detail ihres Lebens vor dem anderen ausbreiteten. Sie kamen in die Richtung, ja. Yūri war sich auch sicher, dass sie diesen Punkt noch erreichen würden, aber jetzt war nicht der richtige Augenblick dafür. Denn wenn Victor bereit war, über tiefschürfende Dinge aus seinem Leben zu reden – was er ja durchaus auch schon getan hatte – wollte Yūri, dass er auch die nötige Aufmerksamkeit dafür aufbringen konnte. Wenn er aber gleichzeitig durch dichter werdendes Schneetreiben navigieren musste, war das eben nicht so wirklich drin.
 

Mittlerweile sah er hier und dort Autos am Straßenrand. Hier und da war offensichtlich, dass es wegen dem Wetter nicht mehr weiterging. Vor seiner Zeit in Detroit hätte Yūri vermutlich das Auto auch lieber abgestellt. Aber nach dem ein oder anderen Schneesturm, die die Stadt ab und zu vor allem im Januar heimsuchten, war er ein besserer Fahrer im Schnee geworden. Vor allem, wenn er den Luxus eines Autos mit Gangschaltung genießen durfte. „Wir haben die größeren Städte erst einmal hinter und gelassen. Jetzt kommt eine eher ländlichere Gegend. Ich hoffe, die Straßen sind halbwegs frei“, meinte er Victor. Er brauchte ihm nicht erklären, dass Regionen die Schneemassen nicht so gewohnt sind, mit solch einem Wetter eher zu kämpfen haben als Regionen, in denen solch ein Wetter ganz normal ist.
 

Wäre das Wetter ein wenig besser, hätte Yūri ein paar Zwischenstopps eingelegt. Doch im Moment war er froh, dass er noch fahren konnte. Wer wusste schon, wie es ein paar Stunden später aussehen würde. Auch in Japan gab es Idioten auf der Straße, die sich überschätzten. Außerdem war für den Rest des Tages weiterhin Schneefall vorhergesagt. Die knapp 2 Stunden Autofahrt vom Flughafen Fukuoka bis nach Hause würden schon spannend genug werden. Mittlerweile ärgerte er sich, dass sie nicht doch mit der Bahn gefahren waren. Er hatte gedacht, so könne er Victor noch auf der Fahrt ein bisschen was von seiner Heimat zeigen. Aber so hatte er ihnen nur zusätzlich Probleme verursacht. Immerhin war das Bahnnetz auch nach Hasetsu gut ausgebaut. Kein Vergleich zu dem Bahnnetz in Amerika.
 

„Sollen wir irgendwo halten und einen Kaffee oder so besorgen?“, fragte Yūri, nur um die Stille zu vertreiben. Sie war zwar nicht unbedingt unangenehm, aber er wollte jetzt nicht seinen eigenen Gedanken nachhängen. „Oh! Warte“, er hörte auf einmal die Aufregung in Victors Stimme und musste gegen den Drang ankämpfen, sich nach ihm umzudrehen. „Ich hatte so oft davon gehört und war neugierig“, begann Victor zu erzählen, während er in seinem Rucksack wühlte. „Diese Kaffees, die sich selbst erwärmen, wenn man sie aufmacht…“, murmelte er mehr zur Tasche, als zu Yūri. Doch der konnte es trotzdem verstehen und grinste. Yūri kannte diese Kaffeedosen und er kannte Victor. Allerdings war er auch neugierig, wie er diesen Kaffee mittlerweile finden würde, war er doch nun auch anderen Kaffee gewohnt. Wobei er zugeben musste, dass der amerikanische Kaffee teilweise doch echt wässrig war. Er erinnerte sich an den Scherz von 3 Briten, die behaupteten, amerikanischen Kaffee zu brauen und währenddessen ein Stückchen Kaffeebohne abgeschnitten und ins heiße Wasser geworfen hatten.
 

Er hörte, wie Victor die erste Dose öffnete. „Hast du zwei Mal die gleiche Sorte geholt?“, fragte Yūri. „Sie hatten nur noch diese“, gab Victor zurück und reichte ihm die offene Dose, die sich schon warm in seiner Hand anfühlte. Ein kurzer Blick auf die Dose verriet ihm, dass er zumindest nicht die ganz fiese Variante abgestaubt hatte. Er nahm vorsichtig einen Schluck und stellte fest, dass der Kaffee jetzt gar nicht so schlecht war. Doch Victors Grunzen zeigte ihm, dass er anderer Meinung war. „Also diese selbst erhitzende Sache ist ja schon cool. Aber am Geschmack müssten die noch arbeiten“, schnaubte er. „Ich find ihn gar nicht so schlecht. Habe schon schlechtere Kaffees in einem Diner getrunken“, gab Yūri zurück. „Es gibt auch sehr wenige Diner, in denen man guten Kaffee trinken kann“, gab Victor verächtlich zurück. „Man möchte zwar meinen, die sollten das können, aber wenn sie den auf Vorrat kochen und nur warmhalten, wird es nach 2 oder 3 Stunden ekelhaft.“ Dem konnte Yūri nur zustimmen. „Hast du schon mal Kaffee von der Rösterei getrunken, die Anfang des Jahres ein paar Blocks weiter geöffnet hat?“, fragte Yūri. Er hatte sich das einmal vorgenommen, aber als er dann die Kilopreise gesehen hatte, hatte er sich das anders überlegt. Er war zwar wirklich dafür, lokale Anbieter zu stärken, aber bei um die 30 Dollar das Kilo hörte bei ihm der Spaß auf. Sie selbst kauften dann meist den günstigsten Kaffee im Walmart oder wo auch immer sie gerade ihren Einkauf erledigten. Wenn löslicher Kaffee oder Cappuccino im Angebot war, holten sie auch manchmal den. Yūri erinnerte sich mit grauen an einen sehr künstlich schmeckenden Caramel-Pecan-Cappuchino.
 

„Ja, natürlich. Du auch schon. Ich kaufe nur noch da. Ich habe mich durch das ganze Sortiment probiert und hole einen namens ‚Tunki‘. Das ist ein Projektkaffee aus Peru. Er wird in kleinen Familienplantagen von den Quechua und Aymara angebaut. Das sind indigene Völker, die aus der Gegend stammen. Er wird direkt gehandelt, sodass sie auch tatsächlich mehr Gewinn aus dem Anbau erzielen und seit 2010 erhält er regelmäßig Bestnoten und gehört zu den besten Kaffees“, erklärte Victor mit Enthusiasmus. Eigentlich hätte das Yūri klar sein müssen. Wobei er es Victor auch zugetraut hätte, dass er diesen völlig abgefahrenen Kaffee trinken würde, den diese Katzenaffen erst essen und dann wieder ausscheiden. Alleine den Gedanken fand Yūri befremdlich. Dafür dann auch noch 100 Dollar oder mehr zu zahlen… Auf was für Ideen Menschen kamen, wenn sie nur genug Geld hatten.
 

Einmal mehr war er überrascht, wie einfach er mit Yūri reden konnte. Ihr Gespräch fing mit Kaffee an, ging dann über zu Kopi Luwak, dem halb verdauten Kaffee von Schleichkatzen über deren furchtbare Behandlung, um eben jenen Kaffee zu ‚ernten‘. Dann generell zu Nutztierhaltung und dann auf eines seiner Lieblingsthemen: Makkachin. Victor erzählte gerade von einer seiner Lieblingserinnerungen, als Makkachin im Welpenalter Yakov den Hut geklaut und vollkommen zerfetzt hatte, sodass sie im Haus seiner Tante noch Wochen später Hutfetzen gefunden hatten – was allerdings auch dazu geführt hatte, dass seine Tante Makkachin nicht mehr im Haus hatte haben wollen und er daher seitdem gezwungen war, ihn bei Aida und Katya zu lassen – als Yūri ihn plötzlich unterbrach: „Wir sind da. Da vorne ist Hasetsu!“ Victor hatte genau die Freude in Yūris Stimme hören können und auch wenn er immer noch furchtbar nervös war, war Yūris Freude einfach ansteckend.
 

Außerdem bot Hasetsu einen tollen Anblick. Ein altes Schloss schien schon fast über der Stadt zu thronen und Victor war bereits jetzt schon neugierig darauf, Details zu all diesen besonderen Orten dieser Stadt zu erfahren. Wo hat sich Yūri in seiner Jugend die Zeit vertrieben? Wo war die Eiskunsthalle? Wie war das Meer und gab es einen Sandstrand? Bei diesem Gedanken vermisste er Makkachin. Makkachin liebte Strände. Ob er ihn irgendwann einmal mit nach Japan bringen kann? Vielleicht, wenn sie mal einen ausgedehnten ‚Heimatbesuch‘ für Yūri machten? Durfte er solche Gedanken überhaupt schon haben, wenn sie noch nicht einmal ein Jahr lang zusammen waren? Gerade diese Fragen versuchte Victor immer ganz schnell wegzuschieben. Denn manchmal fand er es beängstigend, wie sehr er sich schon an ein Leben mit Yūri gewöhnt hatte und wie natürlich es sich anfühlte, sich eine Zukunft mit ihm vorzustellen.
 

Sein Herz klopfte bis zum Hals, als sie schließlich auf einen Hof fuhren und auf dem notdürftig geräumten Parkplatz ihr Auto abstellten. „Lass uns die Koffer später reinholen“, schlug Yūri fort, nahm seine Hand und zog ihn direkt in das Gebäude. Sie hatten kaum ihre Schuhe ausgezogen, da kam ihnen eine Frau entgegen gelaufen, die Yūri verdächtig ähnlich war. Victor wurde es heiß und kalt, doch das Lächeln, das er Yūris Mutter Hiroko schenkte, war ehrlich. Mit gebrochenem Englisch und leuchtenden Augen hieß sie ihn willkommen, als er sich etwas unbeholfen zur Begrüßung verbeugte. Mit einem strahlenden Lächeln sprach sie schnell auf Yūri ein und knuffte ihm mit den Ellbogen kurz in die Rippen. Yūri machte daraufhin einen etwas entrüsteten Laut. Während sich Victor noch fragte, was sie gesagt haben könnte, wurde Yūri knallrot und Hirokos Augen wanderten noch einmal kurz zu Victor, ihr Blick aufmerksam und neugierig. Oh. Könnte es sein, dass sie über ihn geredet hatten? Einmal mehr wünschte er sich, dass er die App zum Japanisch lernen, die er heruntergeladen hatte, nachdem er den Flug gebucht hatte, mehr benutzt hätte.
 

Als sie weiter in das Gasthaus der Katsukis hineingingen, erschienen zwei weitere Personen, von denen Victor annahm, dass sie Toshiya, Yūris Vater, und Mari, seine Schwester waren. Ihre Ähnlichkeit war nicht so offenkundig, wie die zwischen Yūri und seiner Mutter. Mari erinnerte Victor mit ihrer etwas schroffen Art sogar ein wenig an Yurio. Sie beäugte ihn kritisch von oben bis unten, als wäre sie bereit, ihn jeden Moment mit einem Arschtritt vor die Tür zu setzen. Er wusste, dass er sich lächerlich machen würde, versuchte es aber trotzdem mit seiner mühsam einstudierten Grußformel und Vorstellung. Auch wenn er sich bis auf die Knochen blamieren würde, könnte er zumindest so ein wenig das Eis brechen. Zu seiner Überraschung war es Yūri, der losprustete. Entsetzt guckte er Yūri an, dessen Vater scheinbar tadelnd auf ihn einsprach. „War das so schlecht? Bitte sag mir, dass ich nicht gerade ausversehen jemanden beleidigt habe!“, alleine der Gedanke sorgte für blankes Entsetzen bei Victor.
 


 

Yūri musste immer noch über Victor schmunzeln, als sie ihre Koffer in Yūris altes Zimmer brachten. Seine Eltern hatten es zwischenzeitlich auch zu einem Gästezimmer umgebaut. Yūri hatte damals darauf bestanden, als er nach Amerika ist. Doch er musste feststellen, dass jemand – vermutlich seine Mutter – einen Karton mit alten Habseligkeiten in die Ecke gestellt hat und ein paar seiner alten Sachen in dem Raum verteilt hatte. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mich nicht einfach gebeten hast, mit dir zu üben“, er drehte sich zu Victor um, der immer noch an der Tür stand und seinen Blick durch den Raum gleiten ließ. „Ehrlich gesagt, ist mir der Gedanke gar nicht gekommen“, gestand er und verzog ein wenig den Mund. „Es hat aber definitiv das Eis gebrochen“, lachte Yūri. Natürlich hatte Victor niemanden beleidigt. Es war nur sehr steif gewesen, ziemlich altbacken und mit jede Menge Akzent garniert. Urkomisch und auch irgendwie unglaublich süß. Hätte Victor nicht schon längst sein Herz gewonnen, es wäre jetzt soweit gewesen.
 

Doch Yūri entging Victors kritischer Blick nicht. „Was ist los, Vitya?“, fragte er besorgt und runzelte die Stirn. „Die Wände sind ganz schön dünn, oder?“ Er klang besorgt und vielleicht sogar enttäuscht? Kurz fragte sich Yūri, warum. Doch als ihm der Grund in den Sinn kam, schoss ihm sofort die Hitze ins Gesicht. Er hat überhaupt nicht daran gedacht, dass sie hier… in seinen alten Zimmer… wenn seine Eltern nur ein paar Räume weiter… Er erinnerte sich an die Nachricht seiner Schwester vor ein paar Tagen, dass nicht viele Gäste während ihres Aufenthalts da sein würden und sie alle in Zimmern auf der anderen Seite des Hauses einquartiert hatte. Mit einem Zwinkersmiley. Wie peinlich ihm das gewesen war und wie peinlich ihm gerade diese Situation war. Er wollte zu einer Antwort ansetzen, doch Victor kam ihm mit einem kleinen Grinsen zuvor: „Dann musst du wohl versuchen, leiser zu sein.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass ich keine fundierte Ahnung über die Redakteurstätigkeiten in einem Verlag habe. Sollte jemand aber wirklich Ahnung (also jenseits von dem, was man im Internet finden kann) davon haben und seine Hilfe anbieten wollen, nehme ich sie dankbar an xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soooo... Meine Frage: Was macht Yūri wohl beruflich?
Die Antwort muss nicht unbedingt richtig sein, wenn mir was von der Idee besonders gut gefällt, kann es sein, dass auch dies gewinnt.

Was gibt es zu gewinnen? Generell beschränke ich das nicht auf einen Gewinn. Aber ihr könnt mir eine Situation nennen, die ich einfügen soll oder ein Charakter geben, der einen kurzen Auftritt haben wird. So könnt ihr praktisch ein Teil der Geschichte werden. Natürlich erwähne ich euch, falls gewünscht, dann im entsprechenden Kapitel ^^

Wie könnt ihr mitmachen? Per Kommi, Nachricht oder auch per Facebook.

Bis wann könnt ihr mitmachen? Da das nächste Kapitel am Samstag (vermutlich morgens) online geht: 06.05. um 08:00 Uhr.

Ich bin sehr gespannt auf eure Ideen! ^^
Achso, falls die richtige Antwort dabei sein sollte, werde ich das natürlich nicht verraten xD

P.S.: Natürlich behalte ich mir vor, im Zweifel eine Idee nicht umzusetzen, wenn sie mir unangebracht erscheint oder die Storyline zu stark beeinflusst. Aber in dem Falle komme ich auch noch einmal auf denjenigen zu ^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich denke, die Hauptfrage ist: Warum ist keiner der Yuris der Autor? xD
Yūri: Mit dem habe ich was anderes vor! xD
Yuri: Ich wollte den Altersunterschied der Charaktere weitestgehend erhalten und ich hätte den Altersschnitt doch deutlich anheben müssen, damit Yuri ein öangjähriger Bestseller-Autor werden könnte xD

Warum dann ein OC?
Weil ich da sehr frei bin, was den Charakter angeht. Ich war lange am Überlegen, aber schlussendlich passt das so besser. Aber er wird nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.

Vielleicht erkennt ja jemand, was es mit diesem Namen auf sich hat xD In dem Fall würde ich dieser Person auch wieder einen Platz in dieser FF einräumen xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Überraschung! xD
Verdammte Hacke! Da hat Hakuya doch tatsächlich richtig geantwortet xD
Habe nich schlecht gestaunt... Also, wenn du möchtest, liebe Hakuya, kannst du mir gerne deine Adresse zukommen lassen und ich schicke dir zur Belohnung ein Paket mit japanischen Snacks! xD
Außerdem kannst du mir natürlich auch gerne einen Charakter oder eine Wunschszene schicken xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Es tut mir echt leid, euch mit diesem Cliffhanger 2 Wochen warten zu lassen D: Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich weiß... Ich bin gemein. Bei Gelegenheit gehe ich mich eine Runde schämen. Versprochen! Vorher bemühe ich mich jedoch, alles soweit fertig zu bekommen, um euch vielleicht noch ein Ausgleichskapitel am Mittwoch bieten zu können :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hab es getan *kreisch und panisch im Kreis rumrenn* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass ich den deutschen Sub dieser einen Stelle zwischen Victor und Yūri echt nicht leiden kann? Victor sagt lt. deutscher Übersetzung so etwas wie "Habe ich etwa 'ne Platte?". Irgendwie passt dieser Ausspruch in meinen Augen nicht zu Victor *schnaub* xD Im Englischen ist es sinngemäß wie ich dann schlussendlich verwendet habe, also "Werden sie etwa so dünn?". Passt irgendwie viel besser xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Irgendwie war keinem aufgefallen, dass ich das in die falsche Geschichte (Senbonzakuras Song) gepackt habe... *hust* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Geht sich jetzt für den Cliffhanger schämen* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Gedanken eines geschundenen Schreiberlings: Mensch... Warum baue ich überall so viele Gedanken ein, dass ich das immer kursiv formatieren muss *seufz* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sollte ich mich noch für das Ende entschuldigen...? Naaaaah :P Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Kleine Bemerkung am Rande: Die meisten Orte, die ich in der Geschichte nenne, gibt es tatsächlich in Detroit. Ich kriege regelmäßig Hunger, wenn ich nach Restaurants dort suche xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich entschuldige mich für den Mangel an Yūri und bei Mari, dass ich ihr den Spot geklaut habe! Ich werde es wieder gut machen (hoffentlich)... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen,

Leider kam ich mal wieder mit dem Schreiben nicht so sehr voran, wie ich wollte. Daher direkt eine kleine Warnung: In der Übersetzung, die zurzeit parallel läuft habe ich nun 2 Wochen nichts mehr hochgeladen (das aktuelle Kapitel ist riesig!), daher werde ich diese Woche den Fokus auf die andere Geschichte legen. Es kann also sein, dass ich nächste Woche kein BOAW-Kapitel hochladen kann... Aber vor meiner Sommerpause kommt auf jeden Fall noch ein Kapitel und ich bemühe mich, dass es kein Cliffhanger wird!

Vielen Dank an Lexischlumpf183 und Seredhiel für die Kommentare *Dorayaki da lass*

Bitte verzeiht, dass das Grußwort etc. nach unten gerutscht ist, aber es hat sich einfach nicht richtig angefühlt, alles zusammenzupacken.

Ich hoffe, ihr hattet dennoch Spaß beim Lesen und das Kapitel hat euch gefallen.

LG
yezz Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Für diejenigen, die etwas englisch können, ist es vielleicht ganz lustig. Die Try Guys haben Fanfiction nachgestellt, die über sie geschrieben wurden. Ich habe mich schlapp gelacht! xD
https://www.youtube.com/watch?v=72i3XhRcn0s&feature=youtu.be Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Das besagte Video: https://www.youtube.com/watch?v=bAVFFg9tDtc
Mir tut bei den Geräuschen schon ein bisschen das Kätzchen leid, aber ich bin mir sicher, dass das Mädchen sich gut um es kümmern wird ^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Basiert auf einer wahren Begebenheit: „David Kriesel: Traue keinem Scan, den du nicht selbst gefälscht hast“. Vortrag vom Chaos Communication Congress. Gibt es bei YouTube, dauert knapp eine Stunde ist aber super lohnenswert, spannend und amüsant (und ein wenig schockierend).
Link: https://www.youtube.com/watch?v=7FeqF1-Z1g0 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Q&A:

Q: Wann kriege ich zu lesen, was Yurio so treibt? xDD
A: Das ist keine Geschichte aus Yurios POV xD
(Vielleicht schreibe ich ja mal eine OS dazu, falls ich irgendwann mal wieder etwas Zeit zur Verfügung habe... *seufz*) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
(Bitte erschlagt mich nicht...)

Ein weiterer Teil von "Sprecht endlich richtig miteinander, verdammte beeeep!"

Kleine Anekdote am Rande: Diese Szene war eine der Ersten in meinem Kopf zu dieser Geschichte. In meinen Gedanken spielte dort "Bird On A Wire" von Johnny Cash, weswegen die Geschichte auch erst einmal diesen Arbeitstitel erhalten hat. Schlussendlich habe ich ihn, aus verschiedenen Gründen, auch übernommen xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Kurze Anmerkung: Ein Fantasyroman mit Waldgeistern, Mutter Erde, Dämonen, einem Mädchen und Holzschnitten? Klingt verrückt, oder? Das Buch habe ich tatsächlich gerade gelesen, während dieser Abschnitt entstand (das war vermutlich irgendwann im Februar rum). Mittlerweile habe ich es natürlich fertig und fand es sehr gut. Falls es dich interessiert: Erik von Brimbam und die blauen Feuer: Ein Mädchen rettet ihren Wald von Tobin Santosha Hecker. Leider nur bei Amazon erhältlich. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Yuki no ōtani, Quelle: https://www.skiinfo.de/news/das-schneereichste-skigebiet-der-welt-gassan-japan/
*² Das erste Mal übernehme ich hier was, was ich mit Google Translator übersetzt habe. Bitte verzeiht mir etwaige Fehler.

Anmerkung: Ich habe erst durch die Recherche zu diesem Kapitel erfahren, dass der Kaffee, den wir immer in unserer Stammrösterei kaufen, so ein hochgepriesener Kaffee ist. Tatsächlich ist Tunki aber wirklich sehr lecker ;) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (169)
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Von:  Lexischlumpf183
2024-01-28T20:56:31+00:00 28.01.2024 21:56
oh schön, ein neues Kapitel 😍 war so lange raus das ich mich erst reinlesen musste (ich sollte öfter mal schauen ob was hochgeladen wurde 😬) aber ich finds gut wieder wasvzu lesen und freue mich bald zu erfahren wie der Urlaub weitergeht und ob Yuri es schafft leiser zu sein😉
Von:  Lexischlumpf183
2023-07-06T11:55:52+00:00 06.07.2023 13:55
oh Göttin, das warten hat sich gelohnt 😂😂😂 Viktors Nervosität is zum kaputt lachen, Schwester Katsuki 🤣 ich lieg am Boden.
Von:  Schwefel
2021-09-07T20:38:28+00:00 07.09.2021 22:38
Freut mich, dass du wieder da bist :D bin tatsächlich gar nicht mehr so aktiv auf Animexx aber mir schwebte seit ein paar Tagen deine Fanfic wieder im Kopf rum und dann sehe ich mit Freude, dass du auch wieder da bist! 🎉 Als hätte ich es gewusst! Muss mir allerdings vor dem aktuellen Kapitel nochmal die Zeit nehmen, komplett von Vorne anzufangen. Das steigert die Vorfreude und ich bin einfach wieder komplett im Film (ich könnte es 1000 mal lesen und es wird doch nie langweilig) :D Dauert leider noch etwas, da ich im Moment viel auf der Palette habe, aber das kann ich mir nicht nehmen lassen!

Echt schön, dass du wieder da bist! Und Dinge wieder anzufangen ist unglaublich schwierig, wenn sie mal ne Weile gerührt haben. Deshalb umso schöner, dass du es wieder her geschafft hast :) Ich hoffe, bei dir sind alle soweit gesund und munter 💜
Von:  Lexischlumpf183
2021-08-22T18:00:48+00:00 22.08.2021 20:00
Hi, freut mich unglaublich dass du weitermachst und das ein neues Kapi da is, 😍😁 ich kann verstehen das man in diesen Zeit einige Durchhänger hat und jeder hat ja auch noch ein Leben, welches weitergeht also ich freu mich unglaublich das es weitergeht und bin sehr gespannt wie das "Geständnis" aufgenommen wird und natürlich wie der Japan Urlaub verläuft. 👍😄 ich wünsche dir natürlich auch viel Gesundheit und Motivation für die Story, bis bald 🙋🏻😁😁
Von:  Lexischlumpf183
2020-05-18T05:43:53+00:00 18.05.2020 07:43
Schön es geht weiter 😁 super das die beiden ihre kl. Probleme so schnell klären, hätte schon Panik. Ich freu mich auf die Reise bin gespannt was da noch kommt 👍😁😍 was treibt eigentlich dieser ominöse Autor, hat der aufgegeben oder muss ich mir da noch Sorgen machen? 😬 hoffe nich 🤔 also jetzt Reise und weiter kennen lernen und Hochzeit 🎆😃 oder?
Antwort von:  yezz
03.07.2020 21:56
Alan kommt wieder. Keine Sorge *hust* Der lässt nicht so schnell locker! xD
Hast du etwa irgendwo mein Storyboard gesehen? xD
Bei Hochzeit bin ich mir allerdings noch nicht so sicher... Hmm... Ich habe die Endszene schon lange im Kopf, aber ich habe mir noch keine Gedanken gemacht, ob sie dann verheiratet sind xD
Von:  Lexischlumpf183
2020-02-21T17:04:07+00:00 21.02.2020 18:04
Oh schön, es geht weiter 😁😁 ich hab ab und an, an dich gedacht und gehofft, dass du bald mal ein paar ruhige Minuten hast um weiter zu schreiben 😉. Es ist sehr schön, dass du es bei dem Trubel der gerade bei dir herrscht trotzdem schaffst weiter zuschreiben 🍪🥛 und auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, immer mit der Ruhe, du vergisst uns nicht, dass is alles was zählt und die Story soll ja nich drunter leiden, weil evtl jemand ungeduldig is (der soll erstmal selber schreiben und dann kann man mitreden). Ich fand den Anfang des Kapitels erstmal 😱😱 aber das Ende is süß, bin sehr auf die Japanreise gespannt 😄🤓 hoffe sie findet statt und die Beiden kriegen das auf die Reihe 😅 bis bald und grüß deine Familie, ich bin froh, dass sie dir die Möglichkeit und den Freiraum geben weiter zuschreiben (hoffe sie unterstützen dich 🤔) und knuddel deine Maus 🙋🥛🍪👍
Antwort von:  yezz
16.05.2020 13:47
Huch... ganz vergessen, zu antworten!
Ob die Japanreise stattfindet? Nun ja, noch sind sie nicht geflogen. Also abwarten, was ich noch mit ihnen vorhabe. Oder sie mit mir, manchmal verselbstständigen sich meine Gedanken *hust*

Ja, zurzeit passiert viel auf einmal. Mein Mann ist im Homeoffice und auch wenn das echt schön ist, es bedeutet auch wieder mehr Arbeit für mich. Zumal wir für seine Mutter alles außerhalb organisieren müssen, da sie ja die neue Niere hat... Das wäre ohne Corona schon ein Risiko, aber in der aktuellen Situation geht sie halt so gut wie gar nicht vor die Tür.

Johanna hat vor einigen Wochen entschieden, das Projekt Zähne ernsthaft anzugehen und schläft seitdem auch nicht mehr alleine. Nachts wacht sie weinend auf, wenn sie alleine ist und wir hatten eine Phase, da hat sie es sogar morgens und mittags bei ihren Schläfchen nicht geschafft, alleine zu bleiben. Das frisst Zeit. Dafür hat sie jetzt in einem Monat 2 Zähne bekommen und die Kinderärztin hat schon angekündigt, dass bis Pfingsten noch mindestens 3 weitere folgen werden... *seufz*

So, genug gejammert! Ich hoffe dir gefällt das neue Kapitel :3
Von:  Blaubeerkeks
2019-11-24T21:36:27+00:00 24.11.2019 22:36
ohkay.. jetzt habe ich 3 Tage wieder nonstop durchgelesen und war irgendwie Mental nicht darauf vorbereitet das da kein "nächstes Kapitel" steht :D

ich finde deine Story nach wie vor einfach klasse und habe 1000 mal gejubelt :D

bitte mach weiter so fleißig weiter
Antwort von:  yezz
07.01.2020 18:25
Frohes neues Jahr ;)

Oh, das kenne ich. Aber es freut mich sehr, dass dir die Geschichte bisher so gefallen hat. Ich gebe mir Mühe, dass es weiterhin gut bleibt ;)
Tut mir leid, dass aktuell nicht schneller Nachschub kommt!
Von:  Seredhiel
2019-11-17T21:52:17+00:00 17.11.2019 22:52
Uh la la… das war mal heiß * - *
für sowas wartet man doch gerne auch mal etwas länger *kichert*

einfach großartig die beiden in so einem intimen und intensiven Moment zu erleben
wunderschön zusammen *zufrieden seufzt*

freue mich schon auf das nächste *Kekse und Kakao da lass*
Antwort von:  yezz
07.01.2020 18:24
Erst einmal: frohes neues Jahr!

Es freut mich, dass es dir gefallen hat :)
Ich bemühe mich, bald was Neues posten zu können :3
Von:  Lexischlumpf183
2019-11-09T16:42:16+00:00 09.11.2019 17:42
Oh es geht weiter und so intensiv 😉😍 schönes Kapitel, freu mich aufs nächste 😁🥛🍪.
Antwort von:  yezz
07.01.2020 18:23
Dankeschön :) Und frohes neues Jahr ;)
Ich hoffe euch demnächst ein neues Kapitel präsentieren zu können :3
Von:  Seredhiel
2019-09-21T22:29:44+00:00 22.09.2019 00:29
Huhu ^-^
endlich kam ich wieder dazu das neue Kapitel zu lesen :)

es ist ein sehr schönes geworden, ich finde es toll wie Vic seinen Yuuri verwöhnt *kichert*
ich hoffe durchaus auf ein feuchtfröhliches Kapitel als nächstes *kichert*

ich freue mich, dass es sich langsam einpendelt bei euch ^.^
das wird alles schon und niemals sich stressen lassen. Die Zeit genießen ;)

bis zum nächsten Kapitel *Kekse und Kakao da lass*
Antwort von:  yezz
14.10.2019 09:47
Huhu!
Und endlich kam ich mal zum Antworten ;) Tauche wie ein U-Boot auf und verschwinde dann wieder in der Versenkung *hust*
Ich hab ein wenig was für das nächste Kapitel geplant. Ja. Ich hoffe, ich bekomme es auch so umgesetzt. Zusätzlich schwebt mir da noch eine Idee für einen OS im Kopf herum... Ich brauche eindeutig mehr Zeit... xD

Das Einzige, was mich zurzeit stresst (zumindest ein wenig), ist Johannas Schub... Sie ist ungewöhnlich knatschig, anhänglich, schläft teilweise richtig schlecht... *seufz* Aber dafür klappt es in den letzten Tagen recht gut mit dem Brei... Na ja, geht alles vorbei xD

LG


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