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Stolen Dreams Ⅶ

von

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10. Kapitel

Das letzte Mal, dass Luca so ein starkes Herzklopfen gehabt hatte, war an dem Tag seines Selbstmordversuches gewesen. In Rekordzeit stürmte er durch die Villa und fand Fabian in dessen Zimmer, wo der Junge auf dem Bett lag und sich nicht rührte.

„Teddy!“

Es kam keine Reaktion. Erst als Luca ihn an den Schultern packte und vorsichtig rüttelte, öffnete Fabian seine hellblauen Murmelaugen und blinzelte verschlafen.

„Was... ist los?“, murmelte er benommen, aber Luca hatte ihn bereits vom Bett aufgesammelt und ins Badezimmer getragen.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass dir jemand Schlaftabletten ins Essen gemischt hat“, erklärte er und setzte Fabian neben der Toilette ab. „Ich weiß, dass das eine komische Frage ist, aber... weißt du, wie man sich selbst zum Übergeben bringt?“

Fabian runzelte verwirrt die Stirn.

„Du musst dir zwei Finger in den Rachen stecken und so lange dagegen drücken bis... du weißt schon. Soll ich dir helfen?“
 

„N-nein... ich glaube... ich kriege das alleine hin.“

„Okay. Ich bin gleich wieder da“, sagte Luca, ehe er Fabian einen besorgten Blick zuwarf, das Badezimmer verließ und zügig in sein eigenes Zimmer ging, wo er sich sein Handy schnappte. Er wollte Marius anrufen, aber im letzten Moment entschied er sich um und wählte stattdessen Antonias Nummer.

„Luca? Ist alles okay?“

„I-ich...“ Luca wusste nicht, wo er anfangen sollte. Er wusste nicht einmal, was überhaupt vorgefallen war und wie die Schlaftabletten ins Essen geraten waren.

„Luca, geht es dir gut?“, fragte Antonia alarmiert, die sein Stammeln zurecht als Warnzeichen interpretierte. „Wo bist du? Was ist los?“

„Ich glaube, jemand hat versucht, mich umzubringen.“

Für einen kurzen Moment herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Antonia hatte mit vielem gerechnet, aber so etwas überraschte selbst sie.
 

„Da waren-- Jemand muss ein starkes Schlafmittel ins Essen gemischt haben. Ich habe nichts gegessen, mir geht es gut, aber...“ Er lauschte und hörte ein entferntes Geräusch, das wie ein klägliches Husten klang. „Teddy scheint was abbekommen zu haben.“

„Bleib, wo du bist“, wies Antonia ihn an. Im Hintergrund waren hastige Bewegungen zu vernehmen. „Am besten sperrst du dich irgendwo ein. Ich komme sofort zu dir.“

Mit diesen Worten legte sie auf. Luca verstaute sein Handy mit zitternden Händen in der Hosentasche – für den Fall, dass Antonia ihn anrufen würde – und ging zu Fabian, der nicht mehr über dem Klo kniete, sondern vor dem Waschbecken stand und sich die Zähne putzte.

„Denkst du... du hast dich von dem meisten trennen können?“

Fabian nickte und spuckte die schaumige Zahnpasta aus. Er hatte erwartet, dass das ganze Badezimmer nach Magensäure stinken würde, aber der Geruch hielt sich wirklich in Grenzen und das bisschen, das man erschnüffeln konnte, hatte er mit ein wenig Deo überdeckt und anschließend das Fenster geöffnet.
 

„Wie geht es dir?“, fragte Luca, für den die Situation nicht annähernd so unangenehm und peinlich war wie für Fabian, was daran lag, dass er schon ganz andere Sachen erlebt hatte.

„Ich bin müde... aber nicht so sehr wie davor.“

Luca legte einen Arm um den Jungen und führte ihn in sein Zimmer, wo er ihn zum Bett schob und die Tür abschloss.

„Was machen wir jetzt?“

„Darauf warten, dass Antonia nach Hause kommt“, antwortete er und setzte sich neben Teddy auf das Bettende. Einige Minuten verstrichen, in denen nichts geschah, außer dass Fabian sich die Müdigkeit aus den Augen zu blinzeln versuchte.

„Das vorhin war das Widerlichste, das ich je getan habe.“
 

„Ich bitte dich“, erwiderte Luca schief lächelnd. „Hast du jemals vor einem Arzt gestanden und erklären müssen, warum du eine Fahrradpumpe zwischen den Beinen stecken hast?“

„Was?“

„Das ist nicht mir, sondern einer ehemaligen Freundin von mir passiert. Ich habe keine Ahnung, wie sie auf die Idee gekommen ist, so etwas zu machen, aber ich bin mir sicher, dass sie betrunken war.“

„Was zur Hölle?“, erwiderte Fabian leicht verunsichert. Genau wie Luca wollte er über diese Dinge lachen, den vorherigen Schock vergessen und seine Angst verdrängen, aber es gelang ihm einfach nicht.

„Über mich kann ich dir auch einen Haufen peinlicher Geschichten erzählen. Die meisten von ihnen beginnen mit zu viel Alkohol.“

„Ähm... sorry, dass ich vom Thema ablenke, aber... was genau ist heute Mittag passiert?“
 

„Ich habe Schlafmittel im Müll gefunden. Nicht das normale, sondern so ein saustarkes Zeug, das selbst einen Elefanten von den Beinen reißt. Vermutlich wollte jemand uns beide damit dauerhaft zum Schlafen bringen. Hast du irgendjemandem erzählt, dass ich dir mein Essen gegeben habe?“

Fabian schüttelte den Kopf.

„Also wusste niemand davon, außer Antonia.“

„Denkst du, es war dein Vater?“

„Das halte ich für unwahrscheinlich. Er würde eine Methode nehmen, bei der garantiert ist, dass ich nicht versehentlich auch draufgehe.“

Teddy senkte den Kopf und starrte betroffen auf seine Hände, die in seinem Schoß lagen. Er war so müde, dass ihm die Augen zufielen, aber das Wissen, dass er vermutlich gestorben wäre, wenn Luca nicht eingegriffen hätte, lag wie eine enge Schlinge um seinen Hals und hinderte ihn am Einschlafen.

„Glaubst du, wir sind noch in Gefahr?“
 

„Ich weiß es nicht“, gab Luca zu. „Die Villa ist voller Sicherheitsleute und Überwachungskameras. Nur jemand wie Antonia könnte zu uns gelangen.“

„Und was ist, wenn der Täter die Villa gar nicht betreten muss, weil er schon längst hier ist?“

„Dann... haben wir eventuell ein Problem.“

Teddy schluckte nervös, woraufhin Luca seine Arme um den Jungen schlang und ihm tröstend über den Rücken strich.

„Keine Sorge, ich pass' auf dich auf.“ Er hatte keine Ahnung, was ihn dazu brachte, so etwas zu sagen. „So wie es aussieht, hat der Täter seine Falle ausgelegt und sich danach aus dem Staub gemacht. Ich glaube nicht, dass er...“

Er brach ab, weil ihm eine Idee gekommen war. Einen kurzen Anruf später teilte er sie Fabian mit.

„Ich habe gerade mit einem der Kerle telefoniert, die die Villa bewachen. Anscheinend hat unsere liebe Köchin vorhin ohne ersichtlichen Anlass das Grundstück verlassen. Was für ein... Zufall.
 

Antonia brauchte fast zwei Stunden, um den ganzen Weg zurück zur Villa zu fahren. Als sie schließlich ankam, stürmte sie sofort zu Lucas Zimmer, wo sie einen gelassenen jungen Mann und einen schläfrigen Jungen vorfand; beide lebendig und wohlauf.

Marius, der von Antonia über die Lage in Kenntnis gesetzt worden war, erreichte sein Grundstück wenige Minuten nach ihr. Er schäumte vor Wut, zerstörte einige Vasen und schwor lautstark, dass er derjenigen, der es gewagt hatte, seinen Sohn in Gefahr zu bringen, eigenhändig in Stücke reißen würde.

„Fabian, ich möchte dich etwas fragen“, sagte Antonia, während im Hintergrund zu hören war, wie Marius wie ein Irrer fluchte und seinen Männern befahl, die verdammte Köchin zu finden. „Wenn Luca an deiner Stelle das Schlafmittel zu sich genommen hätte, was hättest du dann getan?“

„Ähm... den Notarzt gerufen, denke ich.“

„Und mit welchem Telefon?“
 

Teddy zuckte mit den Schulter. Mit dem, worauf Antonia hinauswollte, hatte sie vollkommen recht. Fabian hätte Luca nicht helfen können.

„Ich werde sie UMBRINGEN!“, rief Marius außer sich vor Zorn und betrat das Zimmer. Sein Gesicht war knallrot und Schaum hing in seinen Mundwinkeln. „Diese widerwärtige, hinterhältige, verräterische Schlampe!“

Antonia wollte entgegnen, dass es sinnvoll wäre, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und sich die Tatumstände genau anzusehen, aber sie hatte gesehen, was Marius mit den armen Vasen gemacht hatte – mit diesem Mann war nicht zu spaßen.

Einige Stunden später, als es draußen langsam dämmerte, kamen zwei Sachen ins Haus. Das eine war die Bestätigung, dass sich tatsächlich eine tödliche Dosis Schlafmittel im Essen befunden hatte, und das andere war die Köchin, die man wie ein entlaufenes Tier eingefangen und nach Hause gebracht hatte. Sie schrie wie am Spieß, was selbst Antonias Zweifel beseitigte.
 

Fabian lag währenddessen in seinem Bett und versuchte zu schlafen. Was ihn davon abhielt, war nicht die Angst, dass so etwas wie heute erneut passieren könnte, sondern die Schreie, die von einem gewissen Zimmer aus durch die ganze Villa hallten. Fabian hatte noch nie sollte Laute gehört; das, was diesen grausamen Klagelauten am nächsten kam, waren die letzten Schreie eines Tieres aus einer Dokumentation über Schlachthöfe. Fabian hatte danach Vegetarier werden wollen, aber sein Vater hatte es ihm verboten, mit der bescheuerten Begründung, der Verzicht auf Fleisch wäre unmännlich und blödsinnig.

Der Junge presste sich das Kopfkissen auf die Ohren, aber die vor Schmerz und Panik verzerrten Schreie der Köchin waren trotzdem zu hören. Ihm blieb schließlich nichts anderes übrig, als aufzugeben, das Zimmer zu verlassen und zu dem von Luca zu tapsen, der auch noch nicht eingeschlafen war. Zögernd klopfte er gegen die Tür und wartete auf eine Antwort.

„Komm rein, Teddy.“
 

„Woher wusstest du, dass ich es bin?“, fragte der Kleine leicht verwundert, nachdem er den Raum betreten und die Tür hinter sich zugemacht hatte.

„Hab's an deinen Schritten erkannt. Marius stampft wie ein Nilpferd, Antonia ist viel ruhiger und leiser und du bist fast vollkommen lautlos.“ Er setzte sich aufrecht hin. „Was gibt's?“

„I-ist es okay, wenn ich bei dir schlafe?“

„Klar. Komm her.“

Obwohl die einzige Lichtquelle das durch die Fenster scheinende Mondlicht war, konnte Fabian die Umrisse der Möbel deutlich genug sehen, um sich nicht die Zehen zu stoßen. Er ließ sich auf der freien Seite des Doppelbettes nieder und verschwand unter der Decke.

„Stell dir vor, Antonia würde jetzt reinkommen“, schmunzelte Luca, der sich wieder hingelegt und Fabian das Gesicht zugedreht hatte. „Sie würde denken, dass wir beide eine Affäre hätten.“
 

„Das erinnert mich an die Grundschule“, erwiderte Teddy schief lächelnd. „Sobald ein Mädchen und ein Junge sich ansehen oder eine Partnerarbeit gemeinsam machen, müssen sie zusammen sein. Es gibt keine andere Möglichkeit. Ignorier die Tatsache, dass die beiden acht Jahre alt sind.“

Luca biss sich auf die Zunge und zwang sich zu einem Lächeln. Die erste Erinnerung, die in seinem Kopf erschien, wenn er an seine Grundschulzeit dachte, war nicht das Verhalten seiner Mitschüler, sondern die Nacht, in der seine Mutter ihn beinahe umgebracht hätte. Versehentlich natürlich. Kann ja auch niemand ahnen, dass es nicht gut für ein Kind ist, es so oft zu schlagen und zu treten, dass es sein Bewusstsein verliert, ne?

„Teddy, kann ich dich mal etwas fragen? Magst du deine Eltern?“

Angesprochener war auf so eine Frage nicht vorbereitet und blinzelte verwirrt.

„Ähm... klar mag ich meine Eltern. Auch wenn sie manchmal ein bisschen... altmodisch sind.“
 

„Altmodisch?“

„Sie sind im letzten Jahrhundert stecken geblieben. Du weißt schon – Männer sind stark und unverwundbar und Frauen gehören in die Küche. Alle Männer, die Gefühle zeigen, Rosa mögen oder als Friseur arbeiten, sind automatisch schwul und jemand, der psychisch krank ist, sollte in eine Zwangsjacke gesteckt und in die Klapse gebracht werden.“

„Oh Gott. Jetzt stell ich mir deine Eltern wie Menschen aus einem vergilbten Schwarz-Weiß-Foto vor. Apropos Foto – ich habe eine Aufnahme von deinem Zwillingsbruder gefunden.“

Während Fabian sich fragte, wovon Luca da sprach – er war Einzelkind – griff der Ältere nach seinem Handy und zeigte ihm ein Bild von Harry Styles, eine Person, die Fabian überall wiedererkennen würde, weil seine Ex-Freundin Clara ein absoluter Fan von diesem Sänger war und kaum über etwas anderes sprach, was dazu geführt hatte, dass Fabian eine Menge über ihr Idol wusste. Unter anderem fiel ihm sofort auf, dass das Bild wahrscheinlich von 2012 stammte.
 

„So sehe ich nicht aus“, sagte er mit einem gespielt beleidigten Blick und vergaß vollkommen, dass er vor einer knappen Viertelstunde noch die panischen Schreie der Köchin zu verdrängen versucht hatte. Luca war es mal wieder mit Leichtigkeit gelungen, den Jungen von dessen Sorgen abzulenken.

„Die Haare sind gleich; das reicht mir.“

Fabian kicherte leise. Er sah wirklich nicht so aus wie der Kerl auf dem Foto. Seine Nase war ein wenig schmaler und generell besaß er kein Äußeres, mit dem er berühmt werden könnte. Außerdem hatte sein Gesicht diese weiblichen Züge, wegen denen er es fast genau so sehr hasste wie seine Haare.

Luca legte sein Handy an den ursprünglichen Platz zurück und wollte gerade etwas sagen, als plötzlich ein greller Schrei, der lauter als alle bisherigen war, durch die Villa hallte und Fabian einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Die schützende Mauer, die Luca um ihn herum aufgebaut hatte, brach in sich zusammen und die grausame Realität stürzte wie eine Sintflut auf ihn ein.
 

„Wie... wie kannst du das nur aushalten?“, wisperte Fabian heiser. „Um dich herum sind diese furchtbaren Menschen und du...“

„Ich habe mich irgendwann damit abgefunden. Außerdem ist es mir im Allgemeinen egal, was mit mir oder den Menschen um mich herum passiert.“

Luca würde nicht sagen, dass der Blick, den er daraufhin von Fabian erhielt, ihm das Herz brach, aber viel fehlte nicht mehr. Der Junge erinnerte ihn mit seinen großen, verdächtig feuchten, strahlend blauen Murmelaugen an einen Teddybären, der von seinem Besitzer in den Müll geworfen wurde, weil er keine Verwendung mehr für ihn hatte.

„Es... es ist nicht so schlimm, wie du denkst. So etwas wie heute passiert nicht ständi--“

Lucas Satz wurde von einem weiteren Schrei unterbrochen. Er gab auf, überwand den Abstand zwischen sich und Teddy und legte tröstend einen Arm um ihn. Der Kleine schmiegte sich zögernd an ihn und vergrub das Gesicht in seiner Brust.

„Tu einfach so, als wäre es bloß ein Albtraum. Morgen wachen wir auf und dann ist es vorbei, okay?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Onlyknow3
2018-06-23T09:14:02+00:00 23.06.2018 11:14
Übel für die beiden, das hätte man sich auch anders klären können.
Vielleichts so das man sie nicht durch die ganze Villa schreien hört.
Das ist ja auch für Luca nicht gesund. Gerade weil dieser ja auch angeschlagen ist.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Mamesa
2018-06-20T20:10:30+00:00 20.06.2018 22:10
Also ich glaube die 2 sind meine lieblinge 😊😊😊
Von:  Arya-Gendry
2018-06-20T19:26:26+00:00 20.06.2018 21:26
Ein Glück ist nochmal alles gut gegen und Fabian geht es soweit gut. Aber wieso wollte die Köchin Luca vergift? Aber naja kann ja gut sein das sie in einen Auftrag von jemanden gehandelt hat. Bin schon auf das nächste Kapitel gespannt. ;)
LG.


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